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Billys Sohn

Ein weiteres Jahr verging und ich meisterte mein letztes Schuljahr mit dem bestmöglichen Gewissen. Jetzt war es Samstag und Hausaufgaben gab es zurzeit keine, aber ich befürchtete nächste Woche einiges an auf mich zukommende Erledigungen. Meine Eltern waren bei Bekannten eingeladen und mein Bruder... dem plagten Albträume. Die Wolf-Geschichte nahm ihn schon damals mit und auch heute kannte dieses Thema kein Erbarmen. Ich schaute zum Fenster und starrte in die Dunkelheit. An dem Wetter war nichts Sonderbares zu entdecken. Die Winterzeit hatte zwar ihre Tücken, aber heute war alles so neutral und unbedeutend, dass mir nicht danach war, etwas zu unternehmen. Hinzu kamen noch depressive Phasen, die mich wissen ließen, dass es bald vorbei sein würde mit der Schule. Das neue Leben mit völlig unbekannten Sachen würde auf mich lasten. 

Mein Bruder stürmte in mein Zimmer, ohne wieder einmal anzuklopfen oder zu fragen. Er verhielt sich ausgepowert, als sei er auf der Flucht.

" Lass mich raten! Der Trittbrettfahrer hat dir in den Träumen die Hölle gezeigt", hakte ich nach. " Und jetzt bist du flau im Magen."

" Kein Trittbrettfahrer. Es ist viel schlimmer."

Er überreichte mir den vom letzten Jahr ungeöffneten Brief, den er aus Panik die ganze Zeit beiseite lag. Ich öffnete ihn und studierte ihn anschließend ein. Jetzt war mir alles klar. Das zunehmend verängstigte Verhalten meines Bruders konnte ich erst recht verstehen. Dann bat ich ihm darum, von seinem letzten Traum zu erzählen.

Er plauderte alles von der Seele.

" Wir trafen uns hier in dieser Wohnung. Jörg, Tobi und ich. Zuerst wollte ich beide damit nicht beunruhigen, zeigte trotzdem mit Widerwillen diesen Brief. Jörg las ihn laut vor.

 

HALLO, IHR HOSENSCHEIßER!!!

 

IHR HABT MIT EURER GEWISSENLOSIGKEIT MEINE ELTERN NIEDERGESTRECKT! JETZT IST DAMIT SCHLUSS! 

ICH GEBE EUCH DIE ALLERLETZTE MÖGLICHKEIT, IN DIE USA ZU FLIEGEN UND MIT MIR ZU KÄMPFEN.

MEINE ADRESSE GEBE ICH NOCH AN. IHR ÜBERSPANNT SOMIT DEN BOGEN, INDEM IHR STÄNDIG AN
     WINKELN HERUM MANIPULIERT. ES WIRD MIR EIN VERGNÜGEN SEIN, EUCH AUSZUSTOPFEN UND EUCH ZU

ÜBUNGSSANDSÄCKEN VERARBEITEN ZU KÖNNEN, DAMIT ICH BEIM BOXTRAINING MEINEN FRUST AN DIE
     RICHTIGEN AUSLASSEN KANN. FLIEGT NACH NEW YORK UND FRAGT NACH DEM HOTEL MIT DEM NAMEN
     BILLY DE WOLF. IST EINFACH ZU FINDEN. DER BETREIBER WIRD EUCH DEN REST SAGEN. BIS DAHIN

WARTE ICH.

 

MIT UNWILLKÜRLICH EINIGERMAßEN...

 

... MOMENT, IHR HABT DIESEN KRUMEN AN HÖFLICHKEITSGRÜßEN NICHT VERDIENT!

 

MIT DEGENERIERT QUALVOLLEN HÖLLENGRÜßEN

 

BILLY WOLF JR

 

Wieder eimal herrschte eine unangenehme, innere Spannung.  Wir starrten uns gegenseitig an.

>> Ich werde nicht eher ruhen, bis die Familie Wolf komplett ausgelöscht ist!<< sagte Jörg renitent.

>> Langsam<<, riet ich ihm mit einer gestischen Zurückhaltung. >> Wir haben nicht mehr genügend Waffen.

Außerdem bräuchten wir viel mehr Leute und einen guten Plan.<<

>> Und wo willst du die Leute herholen? Das ist Amerika! Billys Jungs sind bewaffnet wie ein Bataillon in Afghanistan.<<

>> Kann sein. Ich habe eine Idee. Die restlichen Klassenkameraden werden angerufen. Schätzungsweise dürften acht Leute reichen.<<

Somit tat ich das Nötigste, um mich darauf vorbereiten zu können, Billys Sohn den Garaus zu machen. Als ich mir die Leute aus der Klassenliste herausgepickt hatte, rief ich einen nach dem anderen an. Die erfreulichen Nachrichten gab ich meinen Kumpels weiter.

>> Also, hört mal zu. Ich habe fünf Jungs und drei Mädels überreden können.<<

>> Mädels?<< fragte Jörg. >> Die haben ja bekanntlich Angst vor Spinnen!<<

>> Nicht diese drei. Antje ist eine richtige Kodderschnauze. Maite kann Kickboxen und Trixie dient als Superhirn. Dann hätten wir Thilo, der kräftigste Bursche aus unserer Klasse, Mauro kennt sich mit Waffen aus, Konstantin ist fix und berüchtigt für Blaupausen von Gebäuden, denn er wollte schon immer Architekt werden. Alberto besitzt ein gutes Gespür, wenn Gefahr droht und er hat von uns allen die beste Beobachtungsgabe. Und zum Schluss hätten wir Nubbel.<<

>> Bloß nicht Nubbel! Der Kerl ist ein noch größerer Feigling als Tobi und dümmer als Gülcan, Gott hab' sie selig.<<

>> Den wollen wir doch als Köder einsetzen.<<

Gegenseitig nickten wir uns zu, fingen an zu packen und warteten auf Unterstützung. Mauro war der erste, der kam. Der Tatendurstige war einfach nicht zu stoppen. Unmittelbar danach kam Thilo. Auch er zeigte eine übermütige Einsatzbereitschaft. Etwas später klingelte Alberto, dann kamen die Mädels, dann Konstantin und mit zaghafter Haltung Nubbel.

>> Ich werde erst einmal den Flug buchen. American Airlines<<, sagte ich. >> Dann gehen wir den Plan durch und dazu brauche ich die Blaupausen vom Gebäude.<<

>> Hab ich auch bereits besorgt<<, versicherte Konstantin. >> Ich gebe einen guten Hacker ab, stimmt's?<<

Trixie war skeptisch. Offensichtlich sah sie eine Konkurrenz vor sich. Nach meiner erfolgreichen Erledigung erlebte ich eine Auseinandersetzung, eine Meinungsverschiedenheit kurz vor dem Eklat. Die Mädels rasteten schon aus.

>> Aufhören!<< rief ich. >> Ihr müsst euch nicht aufführen wie die Chipettes in den schlechtesten Tagen.<<

>> Wenn er aber so arrogant ist<<, rechtfertigte sie sich.

>> Wir sollten unsere Wut an unserem Feind auslassen, Leute!<<

>> Unsere Lehrerin Frau Quasterstein???<< riefen alle im Chor.

>> Nein<<, rief ich erwartungsbedürftigt. >> Billy Wolf jr.!<<

>> Was ist mit Waffen?<< fragte Jörg.

>> Die holen wir uns in New York, da gibt es die beste Auswahl. Taxi hab' ich schon gerufen, also können wir jetzt aufbrechen.<<

Als zwei Autobusse ankamen, stiegen wir schweigsam ein und auch während der Fahrt sprach keiner. Am Flughafen warteten wir zwei Stunden; die Buchung erfolgte rasch, also über unsere Erwartungen. Tobi und Nubbel waren auf Toilette, die Mädels stellten sich vor, shoppen zu gehen und wir aßen Hamburger. Alles befand sich am angegrenzten Citycenter. Als wir fertig wurden, konnten wir allmählich einchecken. Der Flug dauerte etliche Stunden, aber darauf achtete ich nicht. Als wir unser Ziel erreichten, entdeckten wir den Taxistand und stiegen in die jeweiligen Wagen ein. Ich gab den Namen des entsprechenden Hotels an. Es sollte sich in den Slums am Rande der Stadt befinden. Dort angekommen, wurden wir vom Betreiber bereits erwartet.

>> Da seid ihr ja<<, sagte er. >> Mister Wolf hat viel über euch erzählt. Aber mit so vielen hätte ich jetzt nicht gerechnet.<<

>> Die anderen sind nur dabei, weil sie etwas lernen sollen<<, sagte Jörg.

>> Warum kauft sich ein Berüchtigter so eine Bruchbude unter seinem Namen?<< fragte ich.

>> Weil Billy Wolf der größte Drogenboss in zehn Staaten ist<<, antwortete der Betreiber. >> Er bringt sogar Mexikaner zur Raison. Diese Bude dient eigentlich für Heimatlose. <<

>> Wieviele Zimmer sind frei?<<

>> Ihr könnt zwei Zimmer übernehmen. Dort befinden sich Hochbetten.<<

>> Danke.<<

Als wir uns auf dem Weg machten, um uns einzuleben, bemerkten wir sein hinterhältiges Haifischgrinsen nicht. Die ganze Sache fing an, zu stinken und ich spürte, dass wir zu Beginn Sinn und Zweck einer Massenverschwörung waren. Wieso verlief der Flug so plötzlich und reibungslos? Wir waren alle keine achtzehn und für das alles nicht geschäftsfähig. Gut, Thilo und Alberto sahen vielleicht volljährig aus. Trotzdem konnte ich mir vorstellen, dass wir schon in meiner Bude abgehört oder spioniert worden waren. War meine Wohnung etwa verwanzt? Das war das Verrückte daran: Man führt etwas tatkräftig aus und merkt erst hinterher, dass alles viel zu leicht abgelaufen ist. Der Betreiber hatte nicht einmal nach den Preisen gefragt. Jetzt im Zimmer bemerkte ich zunehmend, dass die Falle im Begriff war, zuzuschnappen.

Die Nacht nahmen alle gelassen hin. Nur ich hatte Schlafstörungen; nicht nur, weil ich jede Sekunde Unheil verspürte, sondern weil wir auch noch unbewaffnet waren. Was wäre, wenn der Betreiber, der Diener des Fürsten der Finsternis, unsere Kehlen durchschnitt? Holz knarrte ab und zu, als ging einer die Treppen auf und ab oder, als ob einer unten mit reibenden Händen auf etwas wartete. Auf etwas, das ihn mit einer Belohnung auszeichnete. Später bemerkte ich, dass auch Jörg, der im unteren Bereich des Hochbettes schlief, bei jedem zweiten Geräusch wach wurde. Jungs und Mädels waren getrennt, wie es so üblich war mit der Zimmeraufteilung. Die Schafe waren gedanklich aufgegriffen und ich fing an, mich selbst zu beruhigen. Dann schlief ich.

Scherben klirrten wie bei einem Anschlag, die Hauswand nebenan polterte und ließ das Haus erzittern. Ich dachte, es wäre ein Traum und im Moment konnte ich Realität und Traum nicht allzu sehr einordnen. Andere schreckten ebenfalls auf und Tobi weinte mit Nubbel im Chor wie eineiige Zwillinge im Kinderwagen.

>> Ist schon gut<<, beruhigte Jörg die beiden. >> Wir sehen zu, dass wir wieder einschlafen. Ich halte solange Wache.<<

>> Gute Idee<<, riet ich ihm. >> Ich hab' ohnehin schon die erste Wache geschoben, wenn auch wider Willen.<<

Vielleicht machte ich mich selbst wahnsinnig, wenn ich ernsthaft annehmen konnte, dass der Betreiber seine Spielchen trieb. Bestimmt war von der Hauswand etwas abgebröckelt. Bei dieser Bruchbude war das offensichtlich. Jetzt aufzustehen, um nachzusehen, ob nicht doch etwas dran war an meiner Verschwörungstheorie, wäre Selbstmord. Wir waren unbewaffnet. Naja, als wir New York betraten, war das Geschäft bestimmt schon geschlossen, denn die Sonne ging da unter und wir waren etwas erschöpft und angespannt, um klaren Kopf behalten zu dürfen.

Am nächsten Tag wachten wir in unserer Bettschwere auf, als wären wir verkatert. Jörg und ich wurden von einer unerwarteten Panikattacke erfasst und dadurch waren wir gezwungen, alle aufzuwecken. Auch bei den Mädels klopften wir an, doch niemand antwortete.

>> Wollen wir wirklich öffnen?<< fragte Nubbel zaghaft. >> Die könnten ja nackt sein.<<

>> Ja klar<<, protestierte ich. >> Die haben provozierend die Bettdecken aufgeklappt, um uns die nackten Ärsche zu zeigen. Du hörst dich an wie eine lebenslängliche Jungfrau.<<

Ich öffnete und schreckte auf. Nicht vor Scham, sondern vor Entsetzen.

>> Was ist?<< fragte Konstantin. >> Hat eine von denen Blutsturz?<<

Dann sahen sie es auch. Der Lärm von gestern war keine Einbildung. Ein großer Teil der Außenwand war zerstört wie von einer Abrissbirne attackiert. Und Trixie war verschwunden. Neben den zersprungenen Scherben und dem Geröll befand sich Blut. Die anderen beiden Mädels schliefen tiefer, als der Sandmann erlaubt. 

>> Wir müssen sie mit Wasser aufwecken<<, befahl ich. Mauro machte sich auf dem Weg und stöberte nach einer Schüssel. Er fand jedoch einen alten Eimer und ließ das Wasser im Bad darauf fließen. Leider war es bräunlich und stank etwas nach Fäulnis. Trotzdem war keine Zeit zu verlieren. Auf diese rabiate Weise weckte er beide und sah, wie benommen die sich aufführten.

>> Was zum...<<, antwortete Maite.

Auch Antje war verkatert und hielt sich ihre Stirn fest.

>> Eure Freundin Trixie ist entführt worden<<, erklärte ich.

>> Haben wir Kaffee?<< fragte Antje.

>> Nein!<< antwortete Jörg. >> Unsere innere Wut gab uns einen saftigen Adrenalinschub.<<

>> Wetten, der Betreiber hat denen K.O.-Tropfen verabreicht?<< vermutete Konstantin.

>> Schließe ich nicht aus.<<

>> Dann gehen wir<<, befahl ich.

>> Wohin?<<, fragte Nubbel.

>> Zum bösen Wolf natürlich!<<

>> In den Wald? In den Zoo?<<

>> Nein, du Vakuumbehälter! Wir greifen uns den Drogenboss! Aber zuerst kaufen wir den Mädels Energydrinks und dann gehen wir in den Waffenladen. Zuerst aber die Blaupausen. Konstantin!<<

>> Hier sind sie<<, sagte der übriggebliebene Hacker.

>> Was ist das? Warum ist der Teil feucht?<<

>> Denkst du, ich lasse den Plan nur eine Sekunde aus den Augen? Ist doch klar, dass ich damit penne. Außerdem bin ich vierzehn, da fängt die Lust des Lebens an. Und Svetlana aus der Nachbarklasse ist doch eine tolle Braut. Irgendwann werde ich sie mir klarmachen.<<

>> Bemüh' dich nicht, sie begehrt schon den drei Jahre älteren Kugelstoßer.<<

>> Aus einen Kugelstoßer kann schnell ein Kugelscheißer werden.<<

>> Das besprechen wir später. Also die Blaupausen... Das ist also das Zentralgebäude. 3942 Crystal Path Street. Dreizehn Stockwerke besitzt das Gebäude. Nachdem wir den Waffenladen verlassen haben, müssen wir die Wachen mit einer Granate ausschalten. Wenn wir erst einmal durch das Kellerfenster einsteigen, da ist die Alarmanlage weniger funktionstüchtig, weil sie billig ist und zwar aus einem Eindollarshop, begehen wir den schmalen Gang und folgen den Rohren. Meine Aufgabe wird es sein, den Keller genauer unter die Lupe zu nehmen. Alle anderen versammeln sich im Erdgeschoss und nehmen Instruktionen von Jörg an. Wenn weitere Feinde kommen, sofort ausschalten! Jörg wird diese Ebene sichern und der Rest bewegt sich, wenn die Luft rein ist, zum Treppenhaus. Jeder teilt sich dann auf. Tobi übernimmt die erste Etage, da gibt's Toiletten und einen Hausmeisterbereich. Mauro übernimmt die zweite Etage, Alberto die dritte, Konstantin die vierte, Thilo die fünfte, Maite die sechste, Antje die siebente und Nubbel von acht bis dreizehn. Da von Etage acht bis zwölf sich kaum einer befindet, weil viele Bereiche leerstehend sind und auf der dreizehnten Versammlungen meist abgehalten werden, liegt es an dir, diese Unterhaltung zu stoppen. Während unser Held zwischen der achten und dreizehnten Etage; das bist du, Nubbel(!) die Aufgaben mit bester Zufriedenheit erledigt hat und der Trakt gesichert ist, wird einer nach dem anderen ein Stockwerk in Abständen von fünf Minuten höher klettern und restliche Winkel durchstöbern. Und zum Schluss haben wir den Großmeister, den wir gemeinsam niederstrecken. Dann erst fliegt das gesamte Gebäude in die Luft. Noch Fragen?<<

Alberto hob einen Finger.

>> Wird das so eine Aktion wie in der Stirb-Langsam-Reihe?<<

>> Viel effektiver! Ich glaube, dass wir dabei gefoltert werden könnten. Aber Jörg, Tobi und ich haben das zweimal durchgemacht und keiner ist bis jetzt traumatisiert von diesen Rambo-Aktionen. Dann starten wir jetzt diese Operation 'Jaulendes Inferno' und verlassen das Hotel. Wenn der Betreiber sich jetzt einmischt, Jörg, erschlag ihn mit einer Holzlatte. Unten hab' ich eine Menge davon entdeckt, an der Küchentür.<<

Jörg nickte zustimmend. Ihm war es nicht wohl auf der Haut. Diese Stille war so abnormal, so ungewöhnlich und nicht nachvollziehbar. Jederzeit konnte einer lauern. Somit bildeten Jörg und ich die Vorhut und Mauro mit Thilo den Schluss nach dem Herabsteigen der Treppe. Nichts stellte sich quer. Draußen suchten wir uns den nächsten Getränkeladen auf und gaben den Mädels erst einmal eine amphitaminelle Erfrischung aus. Dann ging es zum Waffenladen, drei Straßen weiter. Wir kauften uns zahlreiche Granaten, eine Panzerfaust, drei Maschinengewehre, sechs 44er, drei Säbel, ein Baseballschläger, ein Brecheisen, und eine Zeitbombe. Mehr konnten wir nicht schleppen. Nachdem wir bezahlten, fragten wir überall nach der Adresse. Nach einer maßlosen Erfolglosigkeit fanden wir einen Stadtplan und so wie wir nachschauten, merkten wir, dass nur fünf Straßen uns trennten von diesem Ziel.

Als wir das Gebäude sahen, lehnten wir uns seitlich an der benachbarten Hauswand. Das Tor stand weit offen und das Begrüßungsschild, das uns galt, war deutlich zu erkennen, wie es bei einer Anzeigetafel der Fall war.

KOMMT NUR HER, IHR JUGENDLICHEN PENNER, DIE GEWEHRKUGELN LIEBEN ES, IN EURE RANZIGEN KÖRPER SICH EINZUNISTEN!!!

Mir fiel auf, dass die Wachen mit ihren Sonnenbrillen stets geradeaus schauten, dennoch durften wir uns von keiner Taktik täuschen lassen und darum schlichen wir uns an dem umzingelten Gitterzaun. Jetzt kletterten wir hinauf; jeder half den anderen, denn einige brauchten dabei Hilfestellung. An der seitlichen Hauswand angekommen, bat ich jemanden, der zufällig sich in meiner Nähe befand, den Rucksack zu öffnen. Leider war es Tobi und was ich peinlicherweise vorfand, waren Taschentücher. Klinex. Der ganze Rucksack war voll davon und Jörg war ganz besonders betroffen.

>> Blamieren kann ich mich auch alleine. Demnächst sind es Steppdecken.<<

>> Wie passend<<, sagte Nubbel. >> Ich habe Klopapierrollen.<<

>> Ist doch nicht zu glauben. Ihr zwei seid die größten Jammerlappen.<<

Jetzt bat ich Mauro um den Rucksack und fand eine Granate. Diese rollte ich nach Entfernen des Stiftes gezielt zu den Wachen. Sie hoben sie auf und staunten.

>> Hey, wer rollt hier mit Tennisbällen?<< fragte der Eine.

>> Das ist kein Tennisball, du Sprühdose<<, sagte der Andere. >> Das ist eine Ananas.<<

>> Nein, du bist die Sprühdose! Eine Ananas ist doch viel größer und...<<

BUMMMMM!!!!!

Der Weg war nun frei und mit Hilfe eines Brecheisens öffneten wir die Ladeklappen des Kellers und stiegen ein. Der Keller war modrig und ansonsten undefinierbar. Einen Raum weiter fanden wir Plunder und mehrfache Wirtschaftsausschnitte, gesammelt und zusammengeschnürt mit Kordeln. Ich gab ein Zeichen.

>> Also gut Jörg. Viel Glück!<<

Alle gehorchten und betraten das Erdgeschoss. Schien verlassen zu sein, da packte einer dieser Männer, der aus einer Ecke herausschoss Thilo und wollte ihn erwürgen. Da packte Mauro eine Ristole aus dem Rucksack, lud sie geschwind und schoss den Täter in den Kopf. 

>> Ab zum Treppenhaus<<, befahl Jörg. >> Mauro übernimmt.<<

>> Also gut<<, stimmte dieser zu. >> Mir nach, Leute.<<

Jeder verteilte sich und tat, wie es der Plan zuließ. Nun war Nubbel im achten Stockwerk und schaute sich um.  Eine dunkele und muffige Leere verteilte sich um seinesgleichen. Er verhielt sich so hektisch, dass er seine Alarmbereitschaft übertrieb. Immer, wenn er glaubte, an der nächsten Ecke ein Schatten zu entdecken, huschte er ruckartig zur anderen Ecke. Ob es eine Ratte war oder ein Kleiderständer, alles schien den Feind zu verkörpern. So erging es auch den nächsten Etagen. Im dreizehnten Stockwerk fiel sein Blick auf eine Doppeltür. Es war total ruhig und ungewöhnlich entspannt. Irgendetwas braute sich zusammen und war im Begriff alles auszubrüten, was möglich war und um hinterher sich auf die Lauer zu legen. Mit verstärkter Vorsicht drückte er an die Doppeltür und befand sich beim öffnen in einem finsteren Raum. Er konnte nicht einmal leicht aufhellendere Pigmente erkennen. Das änderte sich, als das Licht anging. ÜBERRASCHUNG!

Das ganze Syndikat war in diesem kanzelgestalteten Raum vertreten und ließ ihrem Vergnügen freien Lauf. Auch der Boss war mittendrin... und Trixie. Die regungslose, bereits ausgestopfte Trixie, deren Handgelenke Blut aufwiesen. Diese Verbrecher grinsten höhnisch.

>> Äh... seid ihr das Empfangskomitee?<< fragte Nubbel mit äußerster Vorsicht.

Alle fingen an, hysterisch zu lachen. Es klang so herablassend, dass er sich wertlos vorkam.

>> Also, dann werde ich jetzt gehen und mit dem Aufzug he... he... herunterfahren. Mein Auftrag ist es, die Unterhaltung zu stoppen und das habe ich hoffentlich getan, oder?<<

>> Ganz im Gegenteil, mein lieber<<, sagte Billy jr. mit scheinheiliger Sanftheit. >> Du hast unser Schweigegelübde unterbrochen mit deiner dilettantischen Anwesenheit und verdienst somit deine Abwesenheit.<<

>> Ich verschwinde!<<

Nachdem Nubbel weglief, standen alle da wie angewurzelt. Er durchsuchte seinen Rucksack nach einer wirkungsvollen Waffe, fand jedoch nur Stroh und fragte sich, wieso er so schusselig sein konnte. Oder hatten die anderen ihn doch nur als unbedeutende Aufopferungswitzfigur ausgenutzt?

>> Wollen Sie ihn nicht aufhalten, Boss?<< fragte einer.

>> Das wird nicht nötig sein. Er will mit dem Aufzug fahren? Kann er haben, denn ein Knopfdruck genügt und der Aufzug fährt nicht nur, er rast! Ich rufe jetzt Bongo an. Halb Gorilla, halb Mensch. Er soll sie alle schnappen und zwar möglichst lebend. Möglichst!<<

 

Ich empfand nichts, als die kalte Langeweile in der hoffnungslosen Stille. Wann würden sich die nächsten Schüsse lösen? Ich wanderte hin und her, bis ich mich in der Nähe des Aufzuges befand. Sekunden vergingen und ich war kurz davor, zum Trockenraum zu marschieren, da schepperte es hinter mir mit einer unglaublichen Gewalt, als ob der Krieg jetzt richtig begann. Ich drehte mich um und trottete auf das gerade entstandene Chaos zu. Alles in dem Bereich war wie bei einer eingeschlagenen Bombe verwüstet. Was ich dann noch sah, schockierte mich zuerst und aus diesem Zustand wurde eine abzusehende Gewissheit. Was von Nubbel übrig war, erinnerte mich daran, wie es war, wenn man ein Pfirsisch mit einer Tomate zusammenquetschte und gemeinsam in einen von Zigarettenhinterlassenschaften gefüllten Aschenbecher hineinsteckte. Hoffentlich gingen die anderen ihren Gefühlen nach. Ich sollte langsam zum Erdgeschoss latschen...

 

Antje befand sich nun in der Küche. Was sie an Waffen im Rucksack besaß, reichte offenbar nicht aus, um ein ganzes Syndikat über den Haufen zu werfen. Da bediente sie sich mit weiteren möglichen Mitteln im Küchenbereich. Ein Fleischerbeil wäre nicht schlecht. Unter anderem befanden sich ein Brotmesser, eine Schere und eine Stricknadel. Dann kam sie auf eine andere Idee. Sie holte aus dem unteren Schrank einen Kochtopf heraus und füllte ihn mit Wasser. Der Ofen war weitaus größer als der Durchschnitt und wurde ebenso dazu benutzt, das Wasser zum Kochen zu bringen. Den Rucksack nahm sie solange ab. In fünf Minuten öffnete sich die Tür und einer der Handlanger stürmte auf sie. Er bekam sie gerade zu packen, da schlug sie mit dem Beil auf seinen Handrücken. Er schrie wie wahnsinnig, doch der Wahnsinn betrug höhere Gradzahlen, als sie das kochende Wasser auf sein Gesicht schüttete.

>> Mein Gesicht, ich kann nichts sehen! Arrgghhhh!!!!!<<

>> Stell dich nicht so an! Kein Wunder, dass du nur ein billiger Handlanger bist mit der Intelligenz eines Lamas. Mehr hast du auch nicht drauf.<<

Nach einer kurzen Weile sackte er mit hervorgehaltener Hand zusammen und bekämpfte weiter seine Schmerzen bis zum Schluss. Dann wurde es stockfinster. Sie ahnte etwas Furchtbares und versteckte sich im Backofen, wo sie in gekrümmter Haltung gerade noch hereinpasste. Schritte näherten sich. Es waren größere Schritte als die eines normalen Menschen. Diese unheimliche Gestalt schnüffelte und seine behaarte Hand berührte die hintere Seite der Herdplatte. Was das Bigfoot? Er schnüffelte weiter und starrte auf die immer noch glühende Herdplatte. Da vermutete er etwas. Vorsichtig tastete er nach dem Besenstiel und steckte ihn langsam in den Griff der unteren Schranktür, bis das Ende des Stiels in den Herdgriff ragte. Vorsichtshalber stellte er einen schweren Karton mit Zucker davor und drückte den Regler auf 250 Grad. Daraufhin verließ er den Raum.

 

Maite befand sich dort, wo sie sich selbst wiederspiegelte. Im Trainingsraum. Sie bestieg den Boxring und hielt sich bereit. Wenn die Türe sich öffnen sollte, würde sie sich geduckt halten. Soll doch jeder kämpfen wie ein Mann, dachte sie. Ich besiege sie alle. Die ersten Kandidaten kamen auf sie zugestürmt, robbten in den Ring hinein und begannen, sie zu attackieren. Durch ihre Abwehr verließ ein Handlanger nach dem anderen unsanft den Ring. Aus dem Ringboden brach auf einmal eine kräftige, behaarte Hand hervor und griff nach ihren Fuß. Sie versuchte vergeblich, den Feind abzuschütteln, doch der Gegner besaß seine übermenschlichen Kräfte und mit einem weiteren Schwung zog er sie in dieses Loch hinein. Ihr Gesicht bekam noch die restlichen Holzsplitter ab, noch bevor sie endgültig verschwand.

 

Thilo befand sich im Fittnessraum und musterte alle Geräte. Einige davon überboten die momentan vom Markt aus befindliche Technik. Ein Spiegel zerschellte, die Tür brach auf und hunderte von diesen Ganoven rannten auf ihr neugewonnenes Opfer zu. Thilo verteidigte sich mit Hanteln und bewarf sie nacheinander, aber es waren einfach zu viele von diesen Typen, um alle Mittel anwenden zu können, sie zu überwältigen. Natürlich gab er nicht auf und konnte seine Arme und Beine in Bewegung setzen, um sich nicht gefangen nehmen zu lassen. Er bemerkte nur nicht, dass die Hintertür sich öffnete und ebenfalls hunderte von Leuten ihn überrannten.

 

Wo befand sich Konstantin? Er befand sich noch in seiner Ebene und zögerte mit seiner nächsten Handlungsweise. Der Plan schien nicht die gerade Linie zu durchlaufen und das spürte Alberto, der sich mit ihm traf und einige Minuten später kam Mauro an.

>> Was ist denn los?<< fragte der Waffenspezialist.

>> Da scheint alles merkwürdig zu sein<<, sprach Konstantin und runzelte dabei die Stirn. Nun war er irritiert, ob er sich im Recht sah, oder im Unrecht. Alberto gab ihm die gewünschte Bestätigung. Wachmannschaften und bewaffnete Handlanger rannten auf sie zu und umzingelten ihre Beute. Konstantin lief auf sie zu und startete den Versuch, sich unter deren Beinen fortzukriechen. Einer schlug ihn mit einem Gewehrkolben nieder. Mauro und Alberto ließen widerstandslos die Hände nach oben führen.

 

Tobi zitterte am ganzen Körper, während er auf Toilette saß und dabei die Beine hob. Sein Ziel war es, möglichst unentdeckt zu bleiben, bis seine Freunde als strahlende Gewinner ihn abholen würden.

Komm schon, Tobi. Du hast doch nicht vor, für den Rest des Lebens als Feigling durchzugehen. Andererseits bist du, falls du Mut angesammelt haben solltest, viel zu zaghaft, um ganz schnell wieder rückfällig zu werden. Du handelst dann zaghaft, und eh du dich versiehst, haben andere Leute eine Entscheidung gefällt. Ganz besonders der, der sich gerade in dieser Räumlichkeit anschleicht...

Eine große, behaarte Hand tastete wild unter der Kabinentür und hoffte, ein paar Füße zu erwischen. Danach kam der Arm zum Vorschein, der sich immer länger ausstreckte bis über die Grenzen biologischer Gesetze. Sowie diese Kreatur Tobi zu fassen bekam, verschwand dessen Körper mit einem Ruck unter der Kabinentür.

 

Jörg kam zu mir und gab mir zu verstehen, dass diese Operation schief gelaufen sei und wir nun eine große Offensive starten müssten. Unverhofft umringten uns gleichaussehende Handlanger und Wachmannschaften und wir luden die Maschinengewehre. Bevor sie reagierten, schossen wir gedankenlos um uns herum, bis die Letzten zu Boden fielen.

>> Ich gehe schon mal vor<<, sagte Jörg und benutzte die Treppe. >> Nur die wahren Profis räumen jetzt auf. Wenn ich in fünf Minuten nicht wieder da sein sollte, halte dich bereit.<<

>> Pass auf dich trotzdem auf. Diesmal sind die Gegner nicht ahnungslos.<<

Als die fünf Minuten um waren und die Stille mir einen Schauer einjagte, ahnte ich Böses. Zuerst kam ein gewaltiger Luftzug auf mich zu. Dann hörte ich gigantische Schritte auf mich zustampfen und ein haariges Ungetüm hielt zwei bewusstlose Körper unter seinen Armen. Er ließ sie nun fallen und wollte mich angreifen. Da hielt ich meine Waffe in seine Richtung und schoss. Ladehemmungen brachten mich in diese von nun an problematische Lage und er schlug mich nieder.

 

Meine geöffneten Augenlider sahen ein mit bunten Blitzen geschmücktes Schauspiel und außerdem fühlte ich mich verkatert. Als ich meinen Kopf schüttelte und die Blitze sich allmählich lösten, sah ich mich auf einem Stuhl, natürlich gefesselt. Ein Seemannsknoten benachbarte den anderen. Dann, als mein Verstand sich besserte, musterte ich den Raum, in dem ich mich befand. Neben mir saß Jörg, der an der Wand angekettet war. Tobi war im Papageienkäfig gequetscht und weinte sich die Seele aus dem Leib. Mauro haben sie am Pranger gestellt und er fluchte die ganze Zeit. Alberto hatten sie umgekehrt aufgehängt und Thilo wurde von dem Affenvieh gerade ausgepeitscht. Wo war Konstantin? Ich fragte nach und einer ( ich weiß nicht, wer) erwähnte die Kühlkammer. Wir hatten also die Sadisten am Hals. Jetzt tauchte auch noch der Boss auf, um uns zu begrüßen.

>> Ein Vergnügen ist es, euch im verwahrlosten Zustand vorzufinden. Was die Mädels betrifft, eine ist unser Abendessen und die anderen dienen ab sofort als Gegenstände. Und das arme Schwein im Aufzug... daran wollen wir nicht denken, nicht wahr, du kleiner Mistkäfer?<<

Er wandte sich ausgerechnet zu mir. In mir staute sich eine unbegrenzte Wut, vereint mit Edelmut.

>> Weißt du, was du mit dem Gorilla gemeinsam hast?<< fragte ich. >> Ihr seid beide zu faul oder zu blöde, euch zu rasieren, deswegen seid ihr so stark behaart.<<

Er schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann schrie er mich an.

>> HÖR ZU, DU FETTSACK! DICH WERDE ICH MIR ALS LETZTEN AUFHEBEN, DAMIT ICH MEINEN SPAß IN LÄNGEN GENIEßEN KANN!<<

Jetzt wandte er sich zu Jörg. Er starrte ihn an.

>> Hast du auch noch ' was zu sagen? Oder bist du genauso eine Heulsuse geworden wie der Idiot im Käfig? Also?<<

>> Das geht dich einen Scheißdreck an! Wir werden hier herauskommen und erst deine halbhirnigen Helfer umpusten. Dann werden wir dich mit allen Foltermethoden drankriegen und zum Schluss schießen wir den Gorilla mit der Bazooka den Kopf weg.<<

>> Ein bisschen zu frech für jemanden, der angekettet mit dem Rücken zur Wand sitzt!<<

Er schlug ihn mit der Faust ins Gesicht und wandte sich Tobi zu. Er wimmerte, als ob seine Zeit gekommen wäre. Billy Wolf rüttelte den Käfig.

>> Na wie ist das Leben in dieser engen Räumlichkeit? Da lernst du eines Tages das Kamasutra, du Memme. Mit deinem Geheule verpestest du den Rest der Welt.<<

Er wandte sich Mauro zu.

>> Der Waffenexperte. Hattest du mal daran gedacht, für mich zu arbeiten? Du könntest verdammt reich werden, ansonsten wäre aus dir ein jämmerlicher Handwerker geworden, der seine Zeit im schäbigsten Wohnheim der Stadt verbringen würde.<<

>> Viel lieber lebe ich in der dritten Welt, als mit einem Satan zu paktieren.<<

>> Verdammter Klugscheißer. Ich hoffe, du kriegst einen schweren Muskelkater.<<

Er wandte sich Alberto zu.

>>Der Gehängte! Die Tarotkarten sagen immer die Wahrheit. Hahahahaha! Sei froh, dass die Schlinge sich nicht um deinen Hals befindet. Ich will euch ja schließlich ganz langsam verrecken lassen.<<

Er wandte sich Thilo zu, der weitere Peitschenhiebe einstecken musste.

>> Müde? Schmerzen sind dazu da, um aus seinen Fehlern zu lernen und die Sünden zu verdrängen.<<

>> Leck mich<<, sagte er aufmüpfig. Seine Stimme klang heiser, sein Rücken blutete.

>> Bongo, mach weiter!<< befahl der Boss. Er wandte sich zur Tür der Kühlkammer und schaute diese Szene durch das Bullauge. Konstantin umschlung seine Arme und lief hin und her. Sein Kopf war in gesenkter Position, so unbekümmert, in Gedanken eintönig anvisiert. Das genoss der Wolf zutiefst. Dann verließ er uns. Ich konzentrierte mich darauf, unauffällig meinen Stuhl zu dem mit chirurgischen Werkzeugen ausgestatteten Tisch zu bewegen. Dieses Skalpell war für mich ein blinzelndes Merkmal der Rettung. Jedesmal, wenn der Gorilla mit dem Rücken zu meiner Sichtweise stand, rückte ich den Stuhl weiter und betete, dass keiner der Handlanger dies heimlich beobachtete. Als es mir gelang, mit körperlicher Überanstrengung an das Skalpell heranzukommen, konzentrierte ich mich auf die Fingergeschicklichkeit jeglichem Musters. Auf gar keinen Fall durfte ich das Werkzeug fallen lassen, sonst wäre alles verloren. Regelmäßig starrte ich mit kühnem Lächeln auf die auspeitschende Szenerie und hatte jetzt den Drang, mich doch noch ein bisschen zu beeilen, denn wer weiß, wieviel Hiebe Thilo noch aushalten konnte. Ich verfluchte das Seil, das zu dick war und mir Arbeit einbrachte. So, der untere Teil wäre geschafft. Nun musste ich zusehen, wie ich den Rest bewältigen könnte. Vielleicht den Nächstunteren an den Knoten vorbeiziehen und wieder einmal aufschneiden. Nach etwa drei Prozeduren löste sich der Rest und mein Blick fiel zunächst auf den Halfter, der mit einer 44er an der Wand neben der Tür hing. Ohne zu zögern, rannte ich darauf zu und schnappte mir die Waffe - der Gorilla bemerkte mich und stieß ein Gebrüll aus, dass die Wände wackelten. Als er auf mich zustampfte, schoss ich mehrfach. Zweimal auf den Brustkorb und einmal ins Gesicht. Dann rannte ich zu Thilo, denn er sah am ehesten mitgenommen aus.

>> Geht es?<< fragte ich.

>> Ein kleines bisschen<<, stöhnte er.

Ich ging logisch vor und sah zu, Konstantin als nächstes zu befreien, doch ein klägliches, ja sogar flehendes Stöhnen unterbrach mich. Es war Alberto - ihm wurde übel. Kopfstände mochte er nie besonders, doch jetzt wirkte dies sich auf seinen Kreislauf aus. Ich schnappte mir das Skalpell und schob mit Thilo einen gammeligen Holztisch, um aufzusteigen und ihn zu befreien. Thilo hielt Albertos Körper solange fest. Als ich ihn losschnitt und er sich langsam aufrichtete, übergab er sich. Wie sollten wir Konstantin befreien? Mein Blick fiel auf den Glasraum nebenan, da entdeckte ich unsere Rucksäcke. Leider stellte ich beim näheren Hinsehen fest, dass wir entwaffnet wurden. Nur noch einige Brecheisen waren vorhanden und ich lief zum Kühlraum. Thilo half mit letzter Kraft mit und wir schafften es. Ich holte den armen Kerl aus seiner eigenen Winterlandschaft heraus. Er zitterte wie ein übergroßer Vibrator und seine Lippen waren bereits blau.

>> Soll ich dem Gorilla das Fell abziehen?<< fragte Thilo. >>Dann hätten wir 'was zum warmhalten.<<

>> Wir haben keine Zeit zu verlieren<<, sagte ich und machte mich an den Pranger heran, um ihn aufzubrechen. So etwas schaffte ich wenigstens alleine. Dann befreiten wir Tobi. Er konnte sich nicht mehr bewegen, jedenfalls nicht besonders.  Bei Jörg war die Befreiungsaktion schwieriger. Billy Wolf jr. besaß die Schlüssel und weder eine Säge noch ein Bunsenbrenner befanden sich im Raum.

>> Thilo, Mauro. Ich brauche momentan eure Hilfe<<, forderte ich. Tobi war mit sich selbst beschäftigt und Alberto, der sich wieder erholt hatte, kümmerte sich um den ziemlich Unterkühlten. Mein Glück versuchte ich mit dem Brecheisen, irgendwie auf irgendeine Weise. Das Schloss musstemöglichst an die Wand gelegt werden, bevor Thilo und ich unsere Kräfte einsetzten. Mauro, der eher mittelkräftig war, hielt das Schloss fest. Nach einigen Minuten war das erledigt. Die Rucksäcke nahmen wir an uns.

>> Okay<<, sagte ich. >> Zwei greifen Konstantin unter die Arme und einer hilft Tobi. Und jetzt sehen wir zu, dass wir ein für alle mal wegrennen.<<

Die Tür war offen und wir schauten, ob die Luft rein war. Nichts, als die Leere.

Eine Hand griff nach Tobis Bein und brachte ihn zu Fall.

>> Hilfe, der will mich fressen!<< jammerte der Feigling. >> Hilfe, das Monster reißt mir die Gedärme raus!<<

>> Hat der Gorilla immer noch nicht genug?<< fluchte ich.

Da nahm Thilo die Peitsche und schlug damit auf das Gesicht des Ungetümes.

>> Hier hast du deine Strafe! Wie gefällt dir das, du Bestie? Brauchst du das?<<

Die Kreatur ließ das Bein los und griff stattdessen nach dem Ende der Peitsche, wobei er Thilo zur Tür der Kühlkammer schleuderte. Mit animalischem Gebrüll stürzte sie auf ihr neustes Opfer und zerdrückte den Körper. Ich vernahm ein Knacken und gab den anderen das Zeichen, unaufgefordert wegzurennen. Die Etage kam Konstantin bekannt vor. Er besaß gerade noch die Kraft, die Zahl fünf aus den Lippen zu nuscheln.

>> Fünfte Etage?<< fragte ich unterwegs. >> Wir müssten eigentlich das ganze Gebäude in die Luft jagen.<<

>> Und wie willst du das anstellen?<< fragte Jörg.

>> Ich weiß es nicht. Aber irgendwo muss hier eine Schwachstelle sein.<<

>> Wir müssen erst einmal zum Erdgeschoss<<, warnte Alberto uns. >> Die Bestie ist uns auf den Fersen, wenn wir uns nicht sputen.<<

>> Ja<<, sagte Mauro. >>Wir sind ja schließlich unbewaffnet.<<

Da angelangt, schauten wir uns um, bis Tobi aus Versehen über einen Stuhl stolperte und einen geheimen Raum zum öffnen brachte. Nacheinander begutachteten wir den Raum und erkannten tatsächlich eine riesige Bombe zum Einstellen. Ich stellte den Zünder auf eine Minute und rannte mit den anderen sofort weg. Mauro lächelte, doch Alberto war unwohl dabei und ahnte schon, dass um die Ecke der Gorilla lauerte und sich erst einmal Konstantin schnappte, während wir das Weite suchten. Tobi stolperte noch einmal und wir zerrten ihn weiter mit zur Flucht. Draußen angekommen, nahmen wir uns vor, vierzig Meter hinter uns zu bringen. Erst dann warfen wir ein Blick zurück und beobachteten den Gorilla, wie er an der Eingangstür herumtollte.

BUMMMMMMMM!!!!!!

Die Explosion nahm alles mit. Das ganze Gelände. Als wir über den Zaun geklettert waren, wurde auch der Umkreis vom Inferno zerstört. Über die Hälfte hatten wir verloren aus unserer Truppe. Als wir die Stadt lansam erreichten, suchten wir den Waffenladen auf, fanden jedoch am Straßenrand einen Revolver. Das würde ausreichen. Jetzt riefen wir uns ein Taxi und fuhren zum Hotel, um den Betreiber zu suchen. Eine Rechnung musste beglichen werden. Er war im Begriff, seine Sachen zu packen, als wir ihn mit vorgehaltener Waffe ihn baten, alles fallen zu lassen. Er zögerte anfangs und dann schnappte er hinter sich die nächstliegende Waffe. Wir hatten natürlich nicht vor, zu zögern und bevor noch einer von uns dran glauben musste oder eventuell verletzt wurde, schoss ich zweimal. Dann verließen wir ihn und fuhren mit einem Taxi zum Flughafen. Wir bestanden darauf, den nächsten Flug nach Deutschland zu nehmen, mussten aber drei Stunden warten. Dann stellte sich heraus, dass nur noch ein Privatflugzeug für uns bestimmt wäre und so nahmen wir die einzigste Chance hier herauszukommen. Ein schäbiges Privatflugzeug - so werden Helden also behandelt. Naja, man musste das Beste daraus machen.

Während des Fluges, es waren zwei Stunden vergangen, bemerkte ich neben uns ein weiteres Flugzeug, das absichtlich mit uns Schritt hielt. Etwas kam mir verdächtig vor. Es schien, als ob die Maschine uns verächtlich darstellte. Als ob wir beim Wettrennen vorbestimmt verlieren würden. Dann las ich die Aufschrift an der Seite. Billy.jr.airlines war deutlich eingraviert. Ich warnte den Captain, doch er nahm die Situation nicht ernst. Auch dann, als dieses Flugzeug uns rammte. Ich hörte das laute und hämische Lachen von dem Boss, der den Steuerknüppel übernahm. Der Captain ließ sich nichts anmerken und vielleicht hatte er sogar eine Fahne. Darum schlugen wir ihn bewusstlos und Albert übernahm mit Mauro das Steuer, während Jörg und ich Ausschau hielten. Tobi umklammerte den Sitz und zitterte. Was hatte der Verbrecher als nächstes vor? dachte ich. Er rammte uns noch einmal und Tobi fiel hin. Ich kam plötzlich auf die Idee, das Flugzeug auf den Feind zu manövrieren.

>> Dann würden wir alle draufgehen<<, teilte Jörg mit.

>> Wir haben Fallschirme und springen rechtzeitig ab. Kümmere du dich um Tobi, denn ich glaube, für diese Aktion ist er zu unbeholfen. Alberto und Mauro können dann das Flugzeug gegen den Feind steuern und müssen anschließend blitzschnell reagieren, indem sie abspringen. Jeder nimmt sich jetzt ein Fallschirm und bindet sie um euch. Wenn ich sage 'HIER', dann steuert darauf hin, während wir bereits abspringen. Okay. Jörg und Tobi halten sich jetzt schon bereit.<<

Jörg nickte und hielt Tobi fest. Erneut wurde unser Flieger gerammt und wir hielten alle aneinander fest. Billy jr. lachte sich kaputt, als wäre unsere Schwachheit angeboren, vielleicht sogar unaufhaltsam. Es war der Moment gekommen, wo ich das Zeichen gab. >> Hier!!!<<

Jörg und Tobi sprangen zuerst, anschließend ich und Mauro unmittelbar hinterher, ohne darauf geachtet zu haben, dass Alberto mit dem Fuß hängen blieb und mit dem Malheur sich selbst der Nächste war. Er steuerte den Flieger alleine weiter, wich zurück, sodass er Anlauf nahm und während wir mit aufgeklappten Fallschirmen schon entfernt genug waren, die Flieger nur noch mit dumpfen Geräuschen hören zu können, steuerte er auf den Feind zu und krachte gezielt gegen das Cockpit, wo Billy jr. sein hämisches und verächtliches Lachen endgültig abklingen ließ. Beide Maschinen explodierten und ich blickte zurück. Armer Alberto. Wir befanden uns etwa tausend Meter über den Ozean. Vermutlich war es der Atlantische Ozean. Als wir tiefer schwebten, gab sich eine klitzekleine Insel zu erkennen. Natürlich wedelten wir mit den Händen, um doch noch auf exakte Weise dort landen zu dürfen, doch ehe ich diesen Anblick genauer registrieren konnte, brachte ein brennendes Wrackteil Mauros Fallschirm noch zum Platzen. Er fiel dabei tief und landete auf einenm Fischerboot. In diesem Augenblick dachte ich an diese Verluste nach und wurde, auch wenn ich es mir nicht eingestehen konnte, etwas ängstlich. Unsere Landung diente nicht gerade zu unserer Zufriedenheit. Tobi landete auf einen Bananenbaum und wir mussten die dreißig Meter bis zur Insel schwimmen. Danach halfen wir Tobi runter und eine Bananenstaude fiel ausgerechnet auf seinen Kopf. Zwei Tage verbrachten wir in dieser Einöde, bis endlich ein Dampfer auf uns aufmerksam wurde. Sie nahmen uns freundlich auf,; wir gaben an, aus Deutschland zu sein und bestanden darauf, unverzüglich zurück gefahren zu werden. Da auf dem Dampfer überwiegend Touristen dabei waren und die Zuständigen uns diesen Gefallen taten, freuten wir uns gemeinsam. Als drei Tage vergingen, erreichten wir unsere Heimat und unsere Wege trennten sich."

" Eines muss man dir lassen: Das war wirklich ein Abenteuer auf Leben und Tod", sagte ich. " Wenigstens hast du mit der verkorksten Familie abgerechnet und abgeschlossen."

" Ich weiß nicht", sagte er. " Ich habe immer noch ein komisches Gefühl bei der Sache."

" Denk einfach nicht daran. Das macht dir nur das Leben schwer."

" Das versuche ich ja, aber es war zuviel passiert. Ich kriege das nicht aus dem Kopf."

" Am besten, du schläfst und morgen sieht die Welt anders aus."

Kaum verließ er mich, da hörte ich, dass die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Ich schaute auf die Uhr und durch das lange Zuhören stellte ich fest, dass wir schon halb eins hatten. Meine Eltern schauten nach mir und ich entdeckte in der rechten Hand meines Vaters einige Briefe. Neugierig fragte ich nach, für wem sie bestimmt waren. Einer für meinen Vater, einer für Mutti und einer für meinen Bruder. Ich ging nach wie vor leer aus und erschrak. Sollte ich demnächst tatsächlich eine weitere haarsträubende Story mir anhören müssen? Panisch wie ich war, riss ich den Brief an mich und bevor ich mir den Absender genau ansah, stellte ich mir einige Fragen. Gab es immer noch einen lebenden Verwandten aus der missratenen Sippschaft? Nahm das alles gar kein Ende? Oder war diesmal ein Trittbrettfahrer am Werk?

Dann kam die Erleichterung. Es handelte sich bloß um eine Zusage für eine Praktikantenstelle. Beruhigt gab ich den Brief wieder zurück und wünschte meinen Eltern eine gute Nacht.

 

 

 

ENDE

 

 

 

   

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.03.2016

Alle Rechte vorbehalten

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