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Liebe nach Plan

 

 

Überrumpelt

 

Zum ersten Mal an diesem Tag ist der Kundenbereich wie leergefegt. Zeit genug, um die Belege zu sortieren. Allerdings habe ich nicht mit dem störrischen Computer gerechnet, der ausgerechnet dann rebellieren muss, wenn ich seine Dienste brauche. »So ein Mist«, fluche ich leise vor mich hin.

Genau in dem Moment meiner tiefsten Verzweiflung taucht Melli wie aus dem Nichts auf. »Was ist passiert?« Sie legt ihre Hände auf meine Schultern und schmiegt sich an meinen Rücken. »Ah, verstehe. Das ist seit vorhin schon so. Passiert meistens, wenn der Chef nicht da ist.«

»Und jetzt?« In mir bläht sich die Nervosität wie ein Luftballon auf. »Ich will doch nur die bescheuerten Belege eingeben und die Bestellungen machen.«

Melli löst sich seufzend von meinen Schultern. »Tja, das dauert. Ich rufe gleich mal den Boss an. Der schickt den ITler vorbei. Dann sollte das heute Abend wieder gehen. Daran wirst du dich gewöhnen müssen.«

»Super, schon wieder Überstunden. Dabei dachte ich, hier wäre alles anders«, kontere ich und bereue jetzt schon den Filialwechsel.

»Komm schon«, wispert Melli in mein Ohr. »Du bist viel zu angespannt. Ich könnte dich auf andere Gedanken bringen.«

Ein wirklich verführerisches Angebot, aber bei der Vorstellung, auf der Arbeit beim Fummeln erwischt zu werden, wird mir ganz anders. »Nicht hier«, antworte ich leise und drehe mich auf dem Hocker zu ihr um.

Ihre Unterlippe steckt zwischen den Zähnen und sie sieht mich mit einem begehrlichen Blick an. Wann das zwischen uns angefangen hat, weiß ich gar nicht mehr. Ich erinnere mich daran, dass sie mich nach der katastrophalen Beziehung mit Jonas aufgefangen hat. Das ist zwei Jahre her, aber schon davor gab es diese Blicke zwischen uns und das seelenzüngelnde Feuer, wenn wir uns zufällig berührten.

Hinter Melli taucht Luke auf. »Machst du gerade Bestellungen?« Er strafft seinen Kittel und sieht mich neugierig an. Allerdings beschleicht mich das Gefühl, dass er keine Antwort auf seine Frage erwartet, sondern ihm etwas ganz anderes auf der Seele brennt.

»Würde ich gerne, aber das Ding hier streikt.«

Noch immer steht er einfach nur da. Seine Blicke werden mir unangenehm und ich drehe mich wieder dem Monitor zu, obwohl ich genau weiß, dass mir der Rechner seine Dienste verweigert.

Aus dem Kundenbereich ertönt die Glocke.

»Kundschaft«, ruft Melli. »Luke, dein Auftritt.«

Das hat sie jetzt nicht wirklich gesagt! »Das war gemein«, murmle ich und sortiere rasch die Belege, lege sie auf den Stapel der unerledigten Vorgänge und stehe auf.

Als ich mich umdrehe, steht sie so dicht bei mir, dass ich ihren warmen Atem auf meiner Wange spüre.

»Das war geplant«, wispert sie und platziert einen Kuss auf meinen Lippen.

»Das ist nicht richtig. Wenn wir erwischt werden ...«

Melli lässt mich kaum zu Wort kommen und legt ihre Hand auf meine Brust, knetet sie sanft und haucht: »Du musst so dringend zur Toilette und ich gehe eine rauchen.«

Mit ihrer Berührung entfacht sie ein zartes Zucken in meinem Unterleib. »Ich muss aber gar nicht.«

»Und wie du musst«, hält sie gegen und geht.

Ich bleibe mit einem Kribbeln zurück, das meinen Verstand ausschaltet. Schließlich begebe ich mich zur Damentoilette und bekomme auf dem Weg mit, wie sie Luke ihre Lüge auftischt: »Bin kurz draußen.«

Kaum drücke ich die Klinke hinunter, höre ich ihre rasch aufeinanderfolgenden Schritte. Sie sieht mich und beschleunigt, sodass wir gemeinsam hinter der Tür verschwinden. Melli schiebt mich hinter die letzte Kabine vor das mit Milchfolie beklebte Fenster und drückt mich an die Wand. Ich spüre, wie die Lust mich in pulsierenden Wellen erfasst. Ihre Lippen streicheln zart über meine Wange, während sie mit der Hand meinen Hosenknopf öffnet und sie sanft in meinen Slip gleiten lässt. Ihre Finger sind kalt, dennoch entfacht ihre Berührung zarte Flämmchen auf meiner Haut und ein Prickeln im Bauch.

»Du bist so feucht« säuselt sie in mein Ohr und bettet ihren Finger in meine Scham. Hitze steigt in mir auf. Mein Herz trommelt wie wild und jede Faser meines Körpers spannt sich an. Abwechselnd reibt sie meine Klit und taucht hin und wieder in mich ein. Ich atme schneller und merke, wie sich mein Becken gierig in ihre Bewegungen einstimmt. Ihre Zunge fährt an meinem Hals entlang. Das Kitzeln breitet sich über meine Schultern aus und erhärtet meine Nippel, die wie Knospen bei der zartesten Berührung erblühen. Ich verschmelze mit ihr und meine Ekstase entlädt sich in einem leisen Ächzen.

»Oh Mel«, huscht es über meine Lippen, als sie ihre Hand wieder aus meinem Höschen zieht und den Finger voller Lust ableckt.

Mein Herz schlägt noch immer schnell.

Sie richtet ihr erdbeerrotes Haar und beißt sich auf die Unterlippe. In ihren Augen sehe ich pure Leidenschaft. Ein freches Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. »Und, immer noch so verspannt?«

Ich kann nicht antworten. Mein Geist ist überzogen von einem rosa Nebel. Es ist, als wäre mein Verstand auf eine lange Reise gegangen und hätte meiner Libido das Zepter übergeben.

Sie räuspert sich. »Luke dreht bestimmt schon durch. Er weiß garantiert, was wir hier gemacht haben.«

Schlagartig verpufft der Nebel und hinterlässt nichts als Verwirrung. Warum sagt sie das? »Was? Er könnte uns verraten und dann gibt es riesengroßen Ärger.«

Sie lässt mich einfach stehen. Ich fühle mich wie in Wasser getauchtes glühendes Eisen – schockgefroren. Ehe ich mich wieder in den Verkaufsbereich traue, ordne ich meinen verworrenen Gefühlszustand und werfe einen Blick in den Spiegel. Eine Strähne hat sich aus meinem Dutt gelöst. Rasch bringe ich mich in Ordnung und verlasse die Toilette. Je näher ich dem Kundenbereich komme, ums heißer werden meine Wangen.

Als ich den Kassenbereich betrete, rasselt es hinter mir. Ich drehe mich um und sehe, wie Luke einige Packungen Mucosolvan Lutschpastillen vom Boden klaubt. Dabei huscht sein Blick verstohlen zu mir hinauf. »Da sind Blumen für dich abgegeben worden.«

»Blumen? Von wem?«

»Keine Ahnung«, erwidert Luke knapp und widmet seine volle Aufmerksamkeit wieder den verunglückten Schachteln.

»Ich helfe dir«, schlage ich vor und gehe neben ihm in die Hocke.

Er schluckt. Mist! Hat er wirklich etwas bemerkt? Meine Hand schnellt nach unten. Ich will eine Packung fassen, da berühren sich unsere Finger. Schnell zuckt er zurück und beeilt sich, die restlichen Kartons aufzuheben. Wortlos dreht er sich um und räumt die Verpackungen ins Regal.

Er weiß es! Hundertprozentig weiß er über Melli und mich Bescheid.

»Alles okay?« Ihre Stimme klingt nah – zu nah.

Beunruhigt darüber, dass wir aufgeflogen sein könnten, suche ich Abstand zu ihr und laufe an Luke vorbei bis zum Ende des schmalen Kassenbereichs, um den Aufsteller zu sortieren. Meine Hände brauchen etwas zum Anfassen. Ich weiß genau, dass ich sonst an meinen Haaren rumfummeln würde. Und weil das zu auffällig wäre, beschäftige ich mich eben mit dem Aufräumen der Prospekte und Werbeflyer.

»Du bist so blass. Geht es dir nicht gut?« Luke klingt besorgt.

Ich wende mich um und stehe ihm plötzlich dicht gegenüber.

»Du solltest eine Pause machen«, schlägt er vor.

Mein Blick wandert an ihm vorbei zu Melli, die so tut, als wäre sie mit irgendwelchen Notizen beschäftigt. Aber mich täuscht sie nicht, denn sie sieht heimlich zu uns herüber.

»Mir ist nur ein bisschen schwindelig«,

lüge ich. Was soll ich auch anderes sagen?

»Warte.« Es ist das Einzige, was über seine Lippen huscht. Er schiebt sich zwischen den Kassen vorbei und geht zum Wasserautomaten.

Da kommt auch schon Melli herbei und tut so, als würde sie sich um ihre geschwächte Kollegin kümmern. Sie nimmt meine Hand und sieht mir tief in die Augen. »Na, da macht sich aber Einer Gedanken um dein Wohlbefinden.«

»Sei still«, zischle ich. »Ist doch okay. Solange er glaubt, dass es mir nicht gut geht, kann nichts passieren. Oder willst du lieber, dass er in der Belegschaft rumerzählt, was wir so auf der Toilette treiben, wenn keine Kundschaft hier ist?«

»Das vorhin war nur ein Spaß. Ich wollte dich nicht verunsichern«, räumt Melli ein.

»Ein Spaß?«, erwidere ich so leise, dass sie schon von meinen Lippen ablesen muss. »Danke.«

»Hier, trink.« Luke schiebt seinen Arm an Melli vorbei und reicht mir den kegelförmigen Wasserbecher.

Als Kundschaft den Eingangsbereich betritt, neigt sich Melli zu mir herunter und schlägt vor: »Geht nach hinten. Der Chef mag es nicht, wenn wir uns hier vorne versammeln.«

Sie sagt es so, als wolle sie auf Luke und mich anspielen. Ich will nicht nach hinten. Mir geht es super. Doch Luke scheint da anderer Meinung zu sein. Er legt seine Handfläche zwischen meine Schulterblätter und zwingt mich sanft in den Privatbereich.

»Das musst du nicht tun. Mir geht es schon wieder besser« beschwere ich mich.

»Seid ihr beiden ein Paar oder sowas?«, lässt er betont beiläufig fallen.

Alles an mir versteinert – Arme, Beine, Hirn. Wie viel hat er mitbekommen? Ist er uns etwa gefolgt und hat uns beobachtet? Ich will nichts preisgeben, also stelle ich mich blöd.

»Was?«

»Entschuldige bitte. Ich meine nur, weil ihr so vertraut miteinander seid. Ihr wirkt wie ein Paar. Versteh mich nicht falsch – ich hätte nichts dagegen. Also ... nicht so. Nur ...«

Warum stottert er denn plötzlich? Macht ihn die Vorstellung zweier Frauen etwa so nervös? »Wir sind Freundinnen« antworte ich. Das ist ja auch die Wahrheit. Vielleicht nicht die Ganze, aber er muss ja nicht alles wissen.

Es scheint, als fiele die Anspannung aus seinem Gesicht. Eine zufällige Berührung seiner Hand an meiner löst etwas in mir aus, das ich nicht einordnen kann. Mein Puls beschleunigt. Nicht viel, aber genug, um nicht unbemerkt zu bleiben. Ich schlucke. »Warum interessiert dich das?«

Luke senkt den Blick, reibt sich den Nacken und sieht mich von unten her an. »Und zu Hause?«

»Zu Hause?«

»Ach, vergiss es! Blöde Frage.«

Wow! So schnell habe ich noch nie einen Mann den Rückwärtsgang einlegen sehen. Während unseres kuriosen Gesprächs habe ich nicht bemerkt, dass wir im Gemeinschaftsraum angekommen sind. Auf dem Tisch steht ein Strauß mit rosa und weißen Rosen, dekoriert mit Schleierkraut und Gräsern. Das sind dann wohl meine Blumen. Aber ich tue so, als hätte ich sie übersehen, um nicht vor Lukes Nase nach einer Karte zu suchen. Er ist mir im Moment ein bisschen zu neugierig. Also lasse ich mich auf das rote Sofa fallen. Er setzt sich mir gegenüber auf einen Stuhl.

Die Luft knistert vor Anspannung. Er umschließt seine Faust mit der anderen Hand und drückt darauf herum. Luke ist offensichtlich nervös. Da fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Er ist nicht nur neugierig – er ist interessiert. »Du willst wissen, ob jemand auf mich wartet, wenn ich in den Feierabend gehe?«

Sein Achselzucken genügt mir als Antwort. »Nein! Und das ist auch gut so. Ich verdaue noch immer die letzte Beziehung.«

»Ich will euch ja nicht stören, aber die Pflicht ruft«, ertönt Mellis rettende Stimme.

»Du störst nicht«, beschwere ich mich und beeile mich hinaus, kippe auf dem Weg das Wasser in meinen Mund und werfe den Becher in den Mülleimer.

»Der ist scharf auf dich«, trällert Melli leise und verschwindet zur Kasse.

Der Ansturm ist so groß, dass mir keine Zeit zum Protest bleibt. Rasch schalte ich in den Arbeitsmodus um und bediene eine Reihe von Kunden.

Mitten in dem Chaos taucht der bestellte IT-Mensch auf und geht geradewegs in den Privatbereich. Melli zwirbelt eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern, als sie ihn entdeckt. Sie hat gerade ihren letzten Kunden bedient und folgt dem Besucher. Nach und nach leert sich der Kundenbereich wieder.

Ich will ihr folgen, aber Luke hält mich fest. »Nicht. Geh da nicht rein.«

Er ist mir so nahe, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüre. Er fährt sich verlegen mit dem Zeigefinger über die Lippen.

»Warum nicht?«

Eine Weile schweigt er. Dann nähert er sich meinem Ohr und raunt: »Ich weiß nicht, wir gut du deine Freundin kennst. Aber sie lässt nichts anbrennen.«

Wie ein Speer treffen mich seine Worte. Dass Melli gerne rummacht, weiß ich. Sie ist ständig auf der Suche nach Spaß. Aber jetzt da Luke es so genau auf den Punkt bringt, fühle ich mich hintergangen. Ich weiß, dass ich das nicht sollte. Immerhin führen wir keine feste Beziehung. Dennoch schmerzt mich die Deutlichkeit, in der er meine eigenen Beobachtungen ausgesprochen hat.

»Sie genießt das Leben«, schiebe ich vor und kämpfe gegen Tränen an, die sich erbarmungslos ankündigen.

»Ich meine ja nur. Nicht, dass du etwas siehst, was du lieber nicht sehen willst.«

Rechtzeitig vor Ladenschluss ist der Rechner wieder fit, sodass ich die Belege und Bestellungen eingeben kann. Ich beeile mich, um pünktlich in den wohlverdienten Feierabend zu gehen.

»Kommst du noch mit ins Melody`s?«, ertönt Mellis Stimme,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Cecilia Bennett
Bildmaterialien: pixabay.com
Cover: Dana Müller
Lektorat: A. Müller, R. Schwartz
Korrektorat: A.Müller, M. Schoppenhorst
Tag der Veröffentlichung: 14.03.2022
ISBN: 978-3-7554-0953-3

Alle Rechte vorbehalten

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