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EHE


Errare Humanum Est
-irren ist menschlich-

Als er das Taxi wegfahren sah, trat ein Lächeln auf sein Gesicht.
"Endlich ist es vorbei", dachte er bei sich und wandte sich von der Straße ab.

„Endlich ist alles geschafft, schneller als geplant. Ich bin gespannt, was Sandy wohl sagen wird.“ Sandy war die Frau von Peter Dremmler und er trat mit erwartungsvollen Schritten auf die Haustüre zu. Eigentlich war es ja keine Haustüre, eher der Eingangsbereich zu einer „Bonzenvilla“, wie es seine Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand immer nannten. Peter war Eigentümer und alleiniger Geschäftsführer einer weit bekannten Werbeagentur. Und er verdiente „ne Menge Kohle“, aber das war für ihn nicht das Wichtigste. Er war zufrieden, dass er 23 Menschen einen sicheren Arbeitsplatz bieten konnte und er war happy mit seiner nahezu genialen Kreativität, die er wohl von seine Vater geerbt hatte. All dies war aber im Moment zweitrangig. Er freute sich einfach auf Sandy.
Sandy war „sein Stern“ am Himmel und er liebte und verehrte sie immer noch wie am ersten Tag ihres Kennenlernens. „Mein Gott“, dachte er „das ist ja schon wieder ein halbes Jahr her.“ Das erste Treffen war, rein zufällig, auf einer „Promi-Silvesterparty“, die er eigentlich gerne ausgelassen hätte, aber „was tut man nicht alles für seine Kunden“. Bis heute hatte es Peter nicht bereut. Er konnte sich noch sehr gut an ihren ersten Blick erinnern. Ihre strahlend blauen Augen hatten ihn sofort in Bann gezogen und er „dackelte“ den Rest der Party hinter ihr her. Ihren langen, weizenblonden Haare und der super Figur konnte er nicht widerstehen. Vier Monate später hatten sie geheiratet und diesen Schritt bereute er bis heute nicht. Das traurige dabei war allerdings, dass sie nicht auf Hochzeitsreise gehen konnten. In der Agentur standen noch wichtige Verhandlungen und Meetings bevor und das konnte er nicht einfach so sausen lassen. Aber jetzt und heute war alles erledigt. Zwei Tage früher als erwartet und er wollte Sandy mit dieser Tatsache erfreuen: „Morgen geht’s los. Wir starten in unsere Flitterwochen.“

Sanft ließ er die Türe ins Schloss fallen. Er wollte seine Frau überraschen und auf leisen Sohlen schlich er ins Wohnzimmer. Und dort lag Sandy mit geschlossenen Augen auf der Couch und summte leise vor sich hin. Aus der Stereoanlage tönte einer ihrer Lieblingssongs und Peter konnte ihre Entspannung fast körperlich spüren. Er beugte sich über sie und drückte Ihr einen laut schmatzenden Kuss auf die Lippen. Erschrocken sprang sie auf, als sie ihn aber erkannte, fiel sie ihm stürmisch in die Arme.
„Endlich bist du zuhause. Ich dachte schon, heute wird’s wieder recht spät. Wann müssen wir den morgen Früh aufstehen?“ Ihr Redeschwung wollte kein Ende nehmen und Peter drückt sie sanft zurück auf das Sofa.
„Bleib ganz cool, mein Schatz. Ich hab's geschafft. Alle Aufgaben sind erledigt und wir können morgen losfahren, natürlich nur, wenn Madam es belieben.“
Er machte eine höfliche Verbeugung mit vornehmen Handschwung und lächelte sie triumphierend an.
Wieder nahm ihr Redefluss keine Ende:
„Ist das wirklich war, oder willst du mich auf den Arm nehmen? Wann geht's los, wann stehen wir auf, wann...“
Zärtlich nahm er sie in die Arme und flüsterte Ihr ins Ohr:
„Wie du willst, mein Stern. Jetzt setzen wir uns gemütlich hin und bei einem Glas Wein darfst du mir sagen, wohin du gerne reisen würdest.“

Romantisch funkelte das Kerzenlicht in den, mit Rotwein gefüllten Gläsern:
„Du weißt sicher,“ sagte Peter, „ich würde gerne auf irgend eine Insel fliegen. Aber ich kenne deine Vorliebe für die Berge und ich kenne deine Lust, steile Pfade zu erklimmen. Deshalb habe ich für uns einen besonderen Ort ausgesucht. Wir fahren morgen mit dem Zug ins Allgäu, nach Oberstdorf. Dort mieten wir uns einen Geländewagen und fahren dann zum südlichsten Ort in Deutschland, nach Einödsbach. Wohnen werden wir im „Berggasthof Einödsbach“. Dies ist, genau genommen, das südlichste, ständig bewohnte Gebäude Deutschlands. Und, was dir besonders gefallen wird, wir sind in unmittelbarer Nähe der Trettachspitze. Ich habe mich schlau gemacht und weiß nun, dass dieser Berg 2995 m hoch ist und einer der berühmtesten Kletterberg der Allgäuer Alpen ist. Und ich weiß, dass du dir nichts sehnlicher wünscht, als diesen Gipfel zu erklimmen. Ich habe deshalb in den letzten Wochen heimlich einen Kletterkurs besucht und werde dich natürlich beim Gipfelsturm begleiten.“
Sprachlos schmiegte sich Sandy an Peters Schulter. Ihre strahlend himmelblauen Augen sprach das aus, was sie Peter ins Ohr flüstere: „Das kann ich fast nicht glauben. Ich liebe dich mehr als alles Andere auf dieser Welt!“

Wir schreiben Montag, den 22.Juni.


Ein Taxi fährt vor das Haus von Peter Dremmler. Seine junge Frau Sandy steigt aus.
Als sie das Taxi wegfahren sah, trat ein Lächeln auf ihr Gesicht.
"Endlich ist es vorbei", dachte sie bei sich und wandte sich von der Straße ab.

Als der Taxifahrer weiter fahren wollte, entdeckte er auf dem Rücksitz eine Ausgabe des „Allgäuer Anzeigenblattes“. Die Schlagzeile war nicht zu übersehen:


DER 43-JÄHRIGE PETER D. VERUNGLÜCKTE TÖDLICH AN TRETTACHSPITZE!


„Ein 43-jähriger Bergsteiger ist am Samstag an der Trettachspitze bei Oberstdorf tödlich verunglückt. Die Rettungskräfte entdeckten, laut Polizei, zunächst seine junge 23-jährigen Begleiterin. Sie war bereits am Abstieg und wurde mit Hubschrauber ins Tal gebracht.
Zwischenzeitlich erreichten die Retter die Unglücksstelle an der Westwand, wo der 43-Jährige aus den Halt verloren hatte und rund 150 Meter in die Tiefe gestürzt war. Er war seinen Verletzungen sofort erlegen. Beide waren, laut Aussage der Ehefrau, erfahrene Bergsteiger. Die Leiche konnte wegen starken Windes am Samstag erst am Tag darauf geborgen werden.“

Als er den Artikel gelesen hatte, konnte er das Lächeln auf dem Gesicht der jungen Frau nicht nachvollziehen. Na ja, irren ist menschlich!

Impressum

Texte: Copyright by Paul McGregor
Tag der Veröffentlichung: 09.11.2011

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