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Ich wußte auch nicht, dass ich im Großen und Ganzen ein Arschloch-Mensch bin.
Sein kann. Oft bin. Wie auch immer.
Arschloch-Menschen.


(...) Leseprobe


Ich denke, man sollte durch und durch asozial veranlagt sein, um als Pflegekraft bestehen zu können.
Ein Siechtum dass Seinesgleichen lange sucht.
Nach der Reanimation im Altenheim.
Nach einer Woche auf der Intensivstation.
Sabbern, Kotzen, Pissen, Kacken.
Dann auf die Innere Station.
Alle drei Stunden drehen. Umlagern.
Sonst fängt der Zellhaufen im Pflegebett zu stinken an.
Entwickelt Geschwüre und Löcher bis auf die Knochen.
Faulige Löcher, die Sekret absondern. Am Steißbein zum Beispiel.
Die sich dann oft mit Stuhlgang verunreinigen, der sich zwischen Windel und Mensch hochdrückt.
Beim Drehen gleich die Windel wechseln. Den Hintern abwischen.
Manchmal reicht wischen nicht. Ausspülen. Den Dampfdruckreiniger holen.
Den Geruch ertragen.
Die Mischung aus Menschenreinigungsmittel, Desinfektion und Alter.
Man kann es fühlen, dass baldige Sterben. Und Riechen.
Bett frisch beziehen. Verbände wechseln.
Viele Leitungen führen in den Menschenrest hinein, ein paar auch wieder raus.
Sondennahrung, Infusionen, Katheter als Pissersatz. Ein Lätzchen für den Sabber und dass eventuelle Kotzen. Moltex für den Stuhlgang.
Sprühreiniger für den Arsch und die Kackreste, die ab und zu verkleben.
Morgens um Sechs, Waschdurchgang.
Blutdruckmessen, Puls zählen, Temperatur.
Medikamente zerkleinern und ab durch den Plastikschlauch. In den Magen.


Alles mit dem elendigen Geruch des baldigen und unausweichlichen Sterbens in der Nase.
Dementer Pflegegeruch.
Extremfall.
Pflegefall.
Siechtum. Nicht unter Holzdecken, aber unter Neonröhren.
Dem klinikinternen Rhythmus folgend. Sich anpassend.
Dunkelheit zum Augenschließen, Helligkeit zum Starren.
Irgendwann dazwischen. Sabbern, Kotzen, Pissen, Kacken.
Die zweite Reanimation. Im Krankenhaus.
Weitere Plastikschläuche für den zerstörten, abiologischen Körper.
Strom für ein Herz dass nicht mehr schlagen will.
Dessen Zellen nicht mehr in der Lage sind, ohne medikamentöse Unterstützung einen Kreislauf
aufrechtzuerhalten. Die Nieren verdursten. Folgen dem sterbenden Herz.
Der biologischen Endlichkeit, die es im Krankenhaus nicht gibt.
Kein Urin mehr für den Katheter.
Tropfenweises Sterben.
Die Pupillen schon weit.
Synchron zur Unfähigkeit der Synapsen in den Resten des Gehirns zu funktionieren.
Gehirnbrei. Zellen geplatzt. Ausgelaufen.
Dass Bewußtsein, die Erinnerungen, die präfinale Demenz verteilen sich matschig im Schädel.
Inmitten einer irrealen Umgebung. Begleitet vom schon bekannten rhythmischen Geräusch des Beatmungsgerätes und der immer langsamer werdenden akustischen EKG-Überwachung.
Dass letzte Pfeifen. Der letzte Ton, den ein Mensch von sich gibt. Langgezogen.
Nulllinie. In Ausscheidungen liegend. Sein Leben beendet.
Jeden Tag weiter die Konfrontation mit dahingerafften, durch Medikamente und Gerätemedizin am Leben gehaltenen, überalterten Menschen.
Untergebracht in Doppelzimmern.
Gewaschen, Resthaar gekämmt.
Die Fäulnis der Mundhöhle mit Zitronensaft, die Pilzkulturen an den Nägeln und der Haut mit Salbe bekämpft.
Demenz schreit nach Freiheit.
Viele der bis zum Siechtum Gepflegten versuchen aufzustehen.
Fallen dabei aus dem Bett. Ziehen sich Katheter, Sonden oder Infusionsnadeln.
Reißen sich Verbände vom Leib. Stopfen sich Fäkalien in ihre Liegegeschwüre.
Manche verharren auch nur. Still. Im Bett.
Starrend. Unfähig Gefühltes zu verbalisieren.
Auf dem Rücken. Auf der Seite. Je nach Lagerungsart.
Bestimmt durch Pflegepersonal.
Neueste Pflegewissenschaftliche Erkenntnisse. Erhaltungsmedizin.
Im Drei-Stunden-Rhythmus eine neue Perspektive.
Für ein Gehirn, dass nichts mehr sieht.
Nichts hört. Nichts mehr sagen kann. Gefühltes nicht verbalisiert.
So wie es begonnen hat, so endet es. Scheinbar.
In Windeln, kommunikationsunfähig.
Dem Willen der Angehörigen ausgeliefert.
Der Liebe der Nächsten zum Opfer gefallen.
Dem unsagbaren Bedürfnis nach nicht loslassen wollen.
Die Konfrontation mit der Endlichkeit. Nicht nur alte Menschen sterben. Irgendwann.
Auch junge Menschen. Plötzlich. Unerwartet. Ohne Gottes Gnade.
Was denkt unser aller Gott sich dabei?
Natürliche Selektion kann es nicht sein, wenn ein 40-Jähriger zweifacher Familienvater
nach einem fünfstündigen Sterbeprozess, endlich anscheinend, verreckt ist.
Sonntag Nachmittag. Mein zweites Ausbildungsjahr.
Klinikum. Versorgungsstufe 3.
Knapp 500 Betten. Viele Fachabteilungen.
Sogar ein Zellentrakt ist vorhanden. Für kranke Insassen der örtlichen Justizvollzugsanstalt.
Während der Ausbildung ist man in verschiedenen Stationen eingesetzt.
Normalstationen, Gynäkologie, OP, Anästhesie.
Ich war gerade auf Intensiv.
ICU. Intensiv Care Unit. Intensivpflegestation.
Umgeben von Dunkelheit, aufgehellt nur durch die LEDs der Überwachungsmonitore.
Manchmal die letzte Station im Leben eines Menschen. Oftmals die letzte Station.
Jeden Tag war der Sensenmann zu Besuch.
Zog dass Kittelchen über, desinfizierte sich die knochigen Hände.
Gab sich vollkommener Völlerei hin. Symbolisch gesehen.
Dunkelheit. Und diese ganz speziellen Geräusche, der ganz spezielle Geruch.
Gleichförmiges Piepen. Wenig Stimmen. Steril wirkende Aufgeräumtheit in den Gängen.
Den Räumen. Ein paar Einzelkabinen. Sonst Doppelkabinen.
Die Betten durch Vorhänge getrennt.
In den Fensterscheiben Milchglas bis knapp unter die Decke.
Hinter den Milchglasscheiben pulsierte der fließende Verkehr.
Davor pulsierte oft nicht mehr viel.
Höchstens der elektronische Wille des Beatmunsgerätes Luft durch einen Plastikschlauch in entzündete Lungen zu pressen.
Der Brustkorb hebt und senkt sich. Beugt sich dem Druck der Gerätemedizin.
Scheinbares Atmen für Scheinbares Hoffen auf Scheinbare Besserung.
Infusionspumpen dosieren lebenserhaltende Chemie.
Katecholamine. Fett, Eiweiß oder Flüssigkeit durch einen Venenkatheter.
Plastikschlauch in der Vene. Ellbeuge. Handrücken. Halsvene.
Kleine synthetische Brocken fallen durch den Katheter in die Blutgefäße.
Vermischen sich mit den biologischen Resten.
Versuchen ein komplexes System am Laufen, am Leben zu erhalten.
Zerfetzte Körper. Nach Verkehrsunfällen.
Nach Operationen. Offene Bäuche. Aufgeklappt zum Entfaulen.
Zerschnittene oder Vergiftete Suizidler.
Junkies. Alkoholintoxikierte.
Punkt 13 Uhr. Von draußen hört man einen Rettungswagen. Hektisch. Sich nähernd.
Bei uns klingelt dass Telefon. Rettungsleitstelle. Laufende Reanimation.
Die scheinbar wahrgenommene Hektik des RTW erklärt sich.
Nicht weit vom Klinikum. Ein Festumzug. Dort ein Kollaps.
Dass Paradoxon zur gekaukelten Fröhlichkeit des Treibens.
Dass Paradoxon zur Hitze des Sommers. Sterbende Körper kühlen aus.
Wechseln ähnlich einem Chamäleon die Farbe. Zuerst bläulich. Dann Grau.
Dass Kraftwerk Mensch versagt ohne Sauerstoff. Ohne Blutkreislauf.
Kurze Informationen schwappen durch durch den Telefonhörer.
40-Jähriger Patient, am Straßenrand plötzlich kollabiert, seit 35 Minuten reanimiert.
Intubiert. Beatmet. Durch den Rettungsdienst intensivmedizinisch vorversorgt.
Dass Telefon auf Mithören geschalten, ich nehme die knarrige Stimme des
Leitstellentelefonisten war.
Noch zwei Minuten bis der Rettungswagen eintreffen wird.
Leises Surren der Klimatisierungsautomatik auf Station.
Dass vorher eingeteilte Rea-Team steht bereit.
Ein Assistentzarzt. Drei Intensivpflegekräfte. Ein Krankenpflegeschüler.
Ohne zu Wissen, was mich erwarten wird, komme ich mit in den Schockraum.
Eingriffsraum. Reanimationsraum.
Neonröhren machen sich bereit. Zischen kurz. Spenden Licht.
Deckenstrahler flammen auf. Ähnlich derer, die man im OP findet.
Die Landschaft der Lebensrettenden und Lebenserhaltenden Gerätschaften wird hochgefahren.
Klackend, Pfeifend. Surrend.
EKG, Defibrillator, Beatmungseinheit.
Ein Katecholaminperfusor wird vorbereitet.
Alles reiht sich um ein Krankenhausbett. In der Mitte des Raumes.
Eine Kampfbereite Armada. Wartend. Vorbereitet für einen wenig aussichtsreichen Krieg.
Der nähert sich, ein Aufzug schluckt dass Team des Rettungswagens.
Der Kriegsschauplatz liegt auf der Trage, wird umkämpft.
Plastikschläuche, die dem Gehirn Leben vorspielen.
Pumpen Sauerstoff und Medikamente in die Menschenhülle.
Künstlicher Kreislauf. Dass Herz schlägt nicht mehr. Wird nur noch von außen komprimiert.
Durch den Brustkorb. Der Brustkorb selbst.
Elektroden kleben auf der Brust. Dokumentieren in großen elliptischen Bahnen die Herzdruckmassage.
Umlagern. Krankenhausbett.
Der Bauch des Patienten ragt wie ein kleiner Berg aus dem Bett hervor.
Etwa 40 Jahre alt. Dick. Adipositas per magna. Gepflegte Gesichtszüge.
Wirkt wie ein Versicherungsvertreter.
Schnauzbart. Dunkle Haare.
Die Hose ,genauso wie dass Hemd von ihm, bereits ausgezogen.
Eine lange Narbe am Schienbein. Leicht S-Förmig. Vielleicht vom Fußball.
Übergabe vom Rettungsdienst. Laufende Reanimation seit über einer halben Stunde.
Ansonsten nichts Neues. Identisch mit der Leitstellenanmeldung.
Keine bekannten Vorerkrankungen.
Kein bekannter Auslöser für den Kollaps. Den Stillstand.
Umstehende hätten den Notruf abgesetzt, die Beine hochgelagert.
Er wäre kurz noch ansprechbar gewesen. Dann hätten sich die Augen verdreht.
Die Atmung ausgesetzt. Dass Gesicht verfärbt. Gleich dem Chamäleon.
Die Kriegserklärung wurde überbracht.
Einen kurzen Gedankenfetzen verschwende ich an Gott.
Dieses Wesen, dass über uns stehen soll.
Sowohl topografisch als auch Geistig.
Dass dreigeteilte Neutrum.
Der Vater, der Sohn, der heilige Geist.
Weder Maskulin noch Feminin.
Dass wohl die Entscheidungskompetenz in dieser Sache trägt.
Tragen soll. Dem christlichen Glauben nach.
Wo bist du? Denke ich mir.
Geschieht dies hinter deinem Rücken?
Kann nicht sein. Eigentlich. Du siehst doch alles.
Jedes Gebet, jedes Flehen.
Glaubt man dem Oberhirten in Rom.
Und seinen Aposteln und Unterhirten.
Seinen Bischöfen, Pfarrern und Pfaffen.
Den Dieben, Kinderschändern und Falschparkern.
Lügner. Denunzianten.
Im Namen des Herren.
Verfälschte Zeugnisse, Überlieferungen.
Anführer von Kreuzzügen. Gegen die Ungläubigen.
Kirchliche Mörder. Totschläger.
Früher waren es Kreuzzüge. Heute sind es Sexualverbrechen.
Die Kirche legt eine rühmliche Karriere hin.

Gott mag es wohl geben. Wenn es auch nicht diesen Namen trägt.
Vielleicht hat es rein physikalische Ursprünge. Das Neutrum.
Oder auch nicht. Oder Esoterisch, spirituelle und physikalische Grundlagen.
Die Kirche als weltlich geschaffene Organisation, stelle ich jedoch in Frage.
Die Ziele des Vatikan sind nicht wesentlich Bessere als die Ziele der Mafia.
Geld und Macht über Menschen.
Kirchensteuer. Opferstöcke. Haussammlungen.
Für die Sonntägliche Gehirnwäsche.
Die Sonntägliche anale Fingerreise des Herrn Pfarrer durch den Ministrantenpopo.
Praktizierte Nächstenliebe.
Nicht alle sind so.
Aber zuviele.
Also, wo ist Gott.
Ist Gott schon Tot?
Hat er dass sinkende Schiff verlassen?
Sich einer neuen, besseren Welt zugekehrt.
Einem neuen Universum.
Die fragliche Weite. Weltall.
Wo ist es denn zu Ende?
Ist vielleicht nur die Erde eine Kugel, dass Universum aber eine Scheibe?
Begrenzt durch kosmischen Staub, der sich zu einem Wall aufgeschüttet hat.
Sitzt Gott jetzt im Nachbaruniversum und versucht einen Neuanfang?
Kann er von da aus weiter über Leben und Tod entscheiden?
Hat er dass jemals?
Hat er nicht eher philosophiert und ausprobiert.
Haschischrauchend, Schnapstrinkend.
Alles, was sich nicht erklären lässt, wird als Schicksal bezeichnet.
Warum stirbt ein Mensch?
Die Biologische Uhr wäre abgelaufen. Wäre?
Ist abgelaufen.
Zellen sind nicht unendlich lange teilungsfähig.
Dieses wird auch gemeinhin als "Altern" bezeichnet.
Warum altert ein Mensch? Weil er aus Zellen zusammengebaut ist.
Weil der kultivierte Lebensstil nicht nur gute Seiten hat.
Weil es gut ist, wenn Arschlöcher nicht endlich lange leben.
Mich eingeschlossen. Arschlochmensch.
Zurückkatapultiert. Realität. Reanimationsraum.
Helles Licht. Die Neonröhren geben ihr Bestes.
Scheint dass Licht des Tunnels bis zu uns durch?
Dass Licht am Ende dieses Tunnels, dessen Wahrnehmung wohl gerade in den
Windungen des Gehirns unseres Patienten sich vollzieht.
Hypoxiebedingt. Dem Sterbeprozess typisch. Oftmals geschildert.
Nahtoderfahrung.
Vielleicht auch kein Nahtod mehr.
Vielleicht hat sich der Prozess des Sterbens schon
vollzogen. Der Krieg ist schon vorbei, nur wir bemerken nichts davon.
Kämpfen weiter, auf einem leeren Schlachtfeld.
Es dauert nur kurz bis die Verkabelung der Überwachungsgerätschaften wieder komplett ist.
Dass erste Mal in meinem Leben, meiner Ausbildung werde ich mit der
nur schwer nachvollziehbaren Sterblichkeit eines menschlichen Organismus konfrontiert.
Eines anscheinend noch nicht ausgelebten menschlichen Organismus.
40 Lebensjahre. Statistisch gesehen gerade mal die Hälfte der Lebensuhr abgelaufen.
Die Gegensätzlichkeit zu dem Gesabbere auf den internen Stationen oder den Altenheimen.
Dem Siechtum unter Neonröhren.
Gegensätzlich zu den leeren menschlichen Resten, die daheim noch im Pflegebett liegen.
Von den Angehörigen und dem Pflegedienst gedreht, gepudert und eingecremt.
Mit vollen Windeln und einer fast unheimlichen Verklärtheit in oder hinter den Augen; unter
Holzdecken die nächsten zwei Jahre vor sich her existierend.
Selbst wenn der Wunsch zu Sterben besteht, wenn die Notwendigkeit hierfür schon lange vorliegt;
es darf nicht sein. Erhaltungsmedizin. Erhaltungspflege.
Der Kampf im Schockraum um dass verlorene Gut, eigenständige Herzaktionen und Atemtätigkeit, mittelfristig ein gesellschaftsfähiges Bewußtsein und im Großen und Ganzen dass Leben des Patienten, wurde fortgesetzt.
Mit mir als Zeuge. 18 Jährig. Wie schon so oft vom scheinbar Guten im Leben und der Welt enttäuscht. Bis dahin ging ich davon aus, dass Sterben später stattfindet.
Nicht in der rechnerischen Mitte des Lebens. Oder in einer Anderen Welt.
Zumindest jedoch friedvoll. So wie ich es kennengelernt hatte.
Dass Sterben.
Meine Großeltern, im Verhältnis hierzu relativ ruhig gestorben. Berechenbar.
Nicht einfach, deswegen, für meine Eltern. Jedoch wissentlich.
Dem Umabkehrbaren nicht den Rücken zugekehrt.
Die Augen und Ohren nicht verschlossen.
Den Lauf des Lebens und dessen Umstrukturierung, am Ende des Bewußten, sozusagen weltlichen Daseins, nicht gestoppt. Ohne es religös anhauchen zu wollen.
Sterben heißt für mich, die getragene Hülle, die Kommunikationsfähigkeit, dass Mensch-Sein in der bisher gelebten Form ab zu geben. Unumkehrbar wohl.
Sterben scheint sehr Endlich zu sein.
Die eigene Erlebnisfähigkeit kann ja durchaus wiederkehren. Vielleicht als "Neuer" Mensch.
Als Blume. Katze. Giraffe. Zwergkaninchen. Irgendetwas Organisches.
Wieso sollte es im Himmel enden? Was sollte man da auch machen.
Dass Ich-Bewußtsein eigentlich nicht. Kann nicht wiederkehren.
Dass Ich-Bewußtsein zu dem Körper, dem Denken, der biologischen Struktur die Begraben oder Verbrannt wird.
Die Erlebnisfähigkeit im Sinne der Wahrnehmung in Verbindung mit einem neuen Ich-Bewußtsein.
Ohne Erinnerung an dass vergangene Leben. Die Erinnerungskapsel in Form des Gehirnes wurde ja eingegraben. Oder ist in Rauch aufgegangen. Auf hoher See oder im Dorfweiher vom Winde verweht.
Vielleicht endet es auch weder im Himmel noch in einer neuen Bausubstanz, respektive Hülle.
Dauerstandby.
Liegen.
Ohne Sinnesempfindungen. Ohne Zeitgefühl. Ohne Bewußtsein. Ohne Irgendwas.
Vor allem ohne Sinn. Oder Menschenverständliche Erklärung hierfür.
Manchmal kommt mir die Himmels- oder auch die Reinkarnationstheorie als zu sehr dem menschlichen Verstand angepasst vor.
"Nichts" kann man weder tun, noch kann es dass Geben.
Hört dass Eine auf, Fängt dass Andere an.
Leben aus, Reinkarnation, Leben Zwei.
Der Mensch denkt im Kreislauf. Ohne Stillstand. Ohne dass eventuell eintretende "Nichts" kalkuliert zu haben.
Wenn keine Wiedergeburt, dann halt wenigstens Himmel. Oder Fegefeuer. Gegen dass schlechte Gewissen. Irgendwie muss es ja weitergehen.
Vielleicht ist es so, vielleicht ist es doch ganz Anders.

Ich stehe auf einer kleinen, metallischen Tritterhöhung.
Drücke mit beiden Händen fest auf dem Brustkorb des Mannes. Herzdruckmassage.
Es fühlt sich komisch an, seltsam. Geht nicht mal so leicht.
Kein Vergleich zu der Plastikpuppe aus dem Erste-Hilfe-Kurs.
Er ist noch jung. Die Knorpelstruktur des Brustkorbes eigentlich noch relativ flexibel.
Die Schranken in meinem Hirn machen mir zu schaffen.
Ich weiß, ich muss da jetzt durch. So wollte ich dass, so habe ich dass jetzt bekommen.
Aus seinem Mund, ab und zu ein Gurgeln. Röcheln. Schiebt sich am Beatmungsschlauch vorbei.
Kommt aus seinem Magen. Durch die Speiseröhre.
Scheinbar als letztes Lebenszeichen, wenn man so will, aus seinem dem Todeskampf wohl bald erliegenden Körper.
Nach ein paar Minuten drücke ich fester. Die Ausschläge am EKG werden rhythmischer, runder.
Der Puls in der Leiste und am Hals ist besser zu tasten jetzt.
Ich habe mich aklimatisiert, sozusagen. Angepasst.
Von der Hektik um mich rundum bekomme ich erstmal nicht viel mit.
Konzentriere mich auf die Herzdruckmassage. Beobachte dass EKG.
Ein Pfleger drückt von unten gegen den Bauch des Patienten. Der schwappt sonst im Takt der Herzmassage mit.
Pupillenkontrolle.
Die vermutete Sinnlosigkeit unseres Tuns scheint sich immer mehr zu bestätigen.
Die Augen leer, ausdruckslos. Unmenschlich. Große, anormale weite Pupillen.
Gräulich-weiße Schleier haben sich auf den Augen niedergelassen.
Der Vorhang ist wiedermal gefallen.
Es geht weiter. Der mittlerweile eingetroffene Oberarzt läutet einen neuen Feldzug ein.
Kann es genauso wenig akzeptieren, dass ein 40-Jähriger Mensch stirbt.
Ich kann es auch nicht. Damals nicht. Heute im Rettungsdienst erst Recht nicht.
Die Laborergebnisse deuten auf einen Herzinfarkt hin.
Die restlichen Umstände des Patienten passen ebenfalls dazu. Übergewicht, Raucher.
Wenigstens scheint die Ursache klar.
Nach vier Stunden vergeblicher Bemühungen, unzähligen Elektroschocks, vielen Ampullen und Infusionslösungen, und wohl auch vereinzelter stiller Gebete mancher Teammitglieder dass sich
der liebe Gott, dass Schicksal oder wer auch immer endlich entscheiden möchten.
Die letzten Minuten eines Lebens dass sich seit Stunden in den Letzten Zügen windet. Sich aufbäumt, zurücksinkt. Fällt. Aufgefangen wird. Ins Licht taucht. Dunkelheit fühlt.
Hin- und Hergerissen zwischen Sein, Leben und Endlichkeit. Wo und wie auch immer diese Endlichkeit stattfinden soll. Dreierlei Möglichkeiten bieten sich an.
Der Tod. Als letzte Konsequenz eines zu fülligen Lebens. Live fast, die young.
Die Gefangenschaft. In einer irrealen Welt ohne Bewußtsein. Beatmet und gewindelt.
Überleben und Sein. Der möglichen Hypoxie getrotzt. Aufwachen. Weiterleben.
Dass Ergebnis einer Ultraschalluntersuchung seines Herzens ließ nur noch einen Weg zu.
Durch den Tunnel, durch dass Licht. Weg von dieser Welt.
Seine Frau, zwei Kinder. Zurücklassend.
Verzicht übend.
Unser Patient wird jetzt auf seinen letzten Weg geschickt.
Die Armada zieht sich zurück. Dass EKG gibt den letzten, langgezogenen Ton von sich.
Dass Licht, sein persönliches Licht kommt näher.
Er taucht ein. Erlebt sein Sterben. Wird losgelassen.
Sein Körper, seine Familie bleibt zurück.
Wir bleiben zurück. Ich bleibe zurück.
Ziehe den Beatmungsschlauch aus seinem Mund.
Der zieht Speichel und Lungensaftfäden nach sich.
Entferne Elektroden.
Betrachte die Spuren des Krieges im Raum.
Dreck, Blut und Kotze am Boden.
Am Bett.
Ampullenreste. Plastikteilchen.
Letzte Speichelreste sickern aus seinen Mundwinkel.
Er verändert sich. Passt sich den gedimmten Lichtverhältnissen an. Dass Chamäleon.
Überspringt Blau, wird Grau. Schlabbrig. Tonuslos.
Mit dem Kampf fällt die Anspannung und mit der Anspannung der Kampfgeist.
Dort wo sein Herz war, ist nur noch eine matschige Masse.
Keine Kammern mehr, ein seröser Klumpen. Zellklumpen.
Schleim und Blut. Zwischenzellflüssigkeit.
Durch den Kampf den Kampf verloren. Zerdrückt und Zerschossen.
Fast fünf Stunden Herzdruckmassage und Stromstöße zollen Tribut.
Vollgesogene, schwammige Masse.
Die Lungen voll Flüssigkeit.
Sein Gehirn ein aufgeschwollener Rest seiner Gedankenfetzen.
Von außerhalb, ein Schrei.
Aus dem Wartebereich.
Schmerzvoll. Grauenvoll. Kalt.
Weinen.
Die Familie. Sein Bruder.
Es zieht an mir vorbei. Durch mich durch.
Spüre den Zusammenbruch nach einem Nachmittag voll Hoffnung.
Kurzzeitig wird es eiskalt im Raum.
Dunkel.
Die Steigerungsform der schwarzen Nacht. Keine graue Katze mehr. Kein Restlicht.
Dass verdammte EKG schaut mich mit seinen glänzend grünen Augen an.
Wirft sein Firmenlogo unter die Neonröhrenbeleuchtung.
Die Kabel schon geordnet.
Wartend.
Auf die nächsten Bahnen, die es ziehen kann.
Dass nächste Lied, dass es pfeifen wird.
Philips.
Lets make Things better. (...)

Ende der Leseprobe




Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.03.2011

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