3. Juni
Leise schlich ich durch das Unterholz. Und dann hörte ich ein wunderschönes Lied. Die Stimme schwang sanft durch die Stille. Ich sog die Luft ein und nahm ein Hauch Minze war. Eine Hexe! Sie saß auf einem moosüberzogenen Stein und sang. „Ich habe lange keinen Vampir mehr gespürt“, seufzte sie und blickte in meine Richtung. „Und ich habe lange keine Hexe mehr gesehen“, murmelte ich leise. Sie lachte bitter und sagte: „Seit der Hexenverbrennung sind wir selten geworden“. „Joyce? Du musst dein Kleid noch anziehen!“, riss mich Daylina aus meinen Gedanken. „Was?“, fragte ich verwirrt und blickte sie stirnrunzelnd an. „Du hast dein Kleid noch nicht an“, knurrte sie. Ihre braunen Haare wahren zu einem eleganten Knoten gebunden und ihr Mahagonifarbenes Kleid umschmeichelte ihren Körper. Hinter ihr in einer Ecke stand Darian. „Sag mal willst du mir beim Umziehen zuschauen?“, fragte ich lachend Darian. Er stand total unentschlossen da und suchte dann die Flucht.
1,5 Stunden später stand ich vor meinem Spiegel und sah mich unentschlossen an. Ich hatte meine Haare offen über meinen Rücken fallen lassen und mein karminrotes Kleid biss sich furchtbar mit Daylinas Kleid. „Du siehst super aus“, grinste sie und klopfte mir auf den Rücken. „Und jetzt hörst du gefälligst auf deinen Vampircharme zu unterdrücken und wickelst alle Männer um den Finger“, sagte sie erst und ich schluckte. Ich wollte gar nicht wissen von wem und wie sie davon erfahren hatte aber ich wollte nicht im Rampenlicht stehen. Sie funkelte mich böse und ich war überredet. Ich schloss die Augen und suchte nach den Mauern die mich Jahre gekostet haben. „Es dauert was“, log ich und suchte nach Erklärungen wieso ich etwas was ich selbst erbaut hatte nicht so schnell auslöschen konnte. Doch zu meiner größten Verwunderung nickte Daylina nur und zog mich aus meinem Schlafzimmer. „Mensch Lyonel du machst sogar meine Mutter nervös“, hörte ich meinen liebsten Bruder schnauben. Scheiße! Den hatte ich doch tatsächlich vergessen. Ich wollte grade umdrehen da packte mich Daylina am Arm und fauchte. „Jaja ich komm ja mit“, murrte ich. „Joyce“, sagte Lyonel und nickte mir zu. Ich verschränkte die Arme und wandte mich ab. Als wir durch unsere Haustür schritten (vorher mussten wir Dora noch versprechen nichts Dummes zu tun) wartete James schon in Darians Limousine. „Hier das macht deinen Auftritt besser“, lachte Daylina und reichte mir einen schwarzen Umhang mit Kapuze. Ich band ihn mir um und zog mir die Kapuze tief ins Gesicht denn ich merkte schon wie meine Sicht schärfer wurde und meine Lippen anfingen zu prickeln. Als wir ankamen standen ein paar Schüler vor der Sporthalle um sich eine zu rauchen. Als ich aus dem Auto stieg beäugten sie mich neugierig doch als Daylina sie anfunkelte blickten sie schnell in eine andere Richtung. Sie tätschelte mir den Rücken und bugzierte mich zärtlich Richtung Eingang. „Da will wohl jemand sein Hässliches Gesicht verstecken“, schnaubte ein Mädchen, das bei dem Incubus am Arm klammerte. Ihn sah ich nur von hinten. Seine braunen Haare waren gekonnt zerzaust und ein schwarzes Hemd verdeckte seinen breiten Schultern. Sein Knackarsch fiel mir als erstes auf und ich suchte das Weite. Als mich Darian am Arm packte zischte er: „Kommt nicht in Frage! Du versuchst Daylina gefälligst zufrieden zu stellen, sonst darf ich das ausbaden!“. Ich knurrte und riss mich los. „Gut“, sagte mein allerliebster Bruder und wandte sich zum Gehen. „Vous êtes un trou du cul.“, rief ich ihm nach. Dies war Französisch und hieß so viel wie „Du bist ein Arschloch“. Er zeigte mir über die Schulter den Mittelfinger und ich war drauf und dran mich auf ihn zu stürzen, als mich eine Hand an der Schulter berührte. Als ich mich verwundert umsah fing mein Blick Lyonel ein. „Lass uns tanzen sonst werden wir von Daylina noch geköpft“, meinte dieser und hielt mir den Arm hin. Ich zögerte. Er war wirklich der vorletzte mit dem ich tanzen wollte aber auf der anderen Seite war Daylinas Zorn auch nicht ohne. „Möchtest du nicht deinen Umhang ablegen?“, fragte er und kam mir verdächtig nah. „Mir macht das auch keinen Spaß also mach es uns nicht unnötig schwer denn Daylina beobachtet uns schon“, flüsterte er mir leise ins Ohr. Ich fletschte die Zähne und packte ihm am Kragen als mein Umhang sich löste und zu Boden glitt. Und plötzlich war es still im Saal und alle blickten mich an. Ich schluckte meine Wut hinunter und zog Lyonel hinter mich her. Zu meinem Bedauern lief ein langsames Lied und ich musste wohl oder übel da durch. Ich legte die Arme um seinen Nacken und wiegte mich im Takt. Er legte seine Hände auf meine Hüften und sah mir in die Augen. Seine grünen Augen erinnerten mich sehr stark an die von Daylinas und hatten die Farbe von Blättern die sich in der Sonne räkelten. Als das Lied endete seufzte ich erleichtert auf und ging von der Tanzfläche. Und dann sah ich mich als Mensch aus einer anderen Perspektive. Ich saß am Nil mit den Füßen im Wasser und strich mir die Haare hinters Ohr. Als ich wieder in meinem Körper war schaute ich mich verwirrt um und erblickte den Incubus wie er auf der Bühne stand und mich direkt ansah. Ich erschauderte unter seinem Blickt. Dann schloss er die Augen und die Musik erklang.
was will das Schicksal mir beweisen
warum muss ich durch liebe leiden
warum sind schmerzen unerträglich
und warum finde ich den weg nicht
werd ich sie wiedersehen
warum lief sie mir übern weg
werd ich es bald verstehn
oder ist es schon zu spät
ich weiß wer du bist
du weißt nicht wer ich bin
wer weiß ob ich dich jemals wiederfind
gehörst du nur zu mir
gehöre ich zu dir
warum musste ich dich so schnell verliern
werden wir uns wiedersehen?
Ich blinzelte. Dieses Lied machte doch keinen Sinn. Plötzlich drückte mir jemand ein Mikrophon in die Hand und nahm aus den Augenwinkel wahr, dass es Darian war. Nun gut wenn sie wollen das ich sang dann sang ich eben.
was will das Leben mir nur zeigen
ich will doch einfach glücklich sein denn
das Schicksal nimmt mir so viel liebe
warum hat es sich so entschieden
warum geht es mir so nah
werd ich es bald verstehn
ich frag mich warum ich dich sah
ich weiß nicht wer du bist
du weißt wer ich bin
wer weiß ob wir uns wirklich kenn
gehören wir vielleicht zusamm
gehörst du nur zu mir?
Wer bist du?
Den letzten Satz sang ich nicht sondern knurrte ich. Im Saal herrsche Stille und alle starrten mich an. „Was denn?“, fragte ich und blickte in die Menge die Stumm und mit offenen Mund vor mir standen. „Ich bin es Joyce, Lisandro“, sagte nun der Incubus in die Stille hinein. Ich runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. Lisandro seufzte und ging nun auf mich zu. Er nahm meinen Arm und drückte mir einen Kuss auf meine Pulsader: „Was macht eine so schöne Frau alleine im Wald?“. „Achja!“, sagte ich und lies meine Faust in meine offene Hand sausen. „Du bist der Dorfgigolo!“, rief ich und sah Darian fragend an. Dieser nickte und grinste. Lisandro wirkte bestürzt und hielt sich die Hand ans Herz. „Wie kannst du so was sagen?“, fragte er trocken. Als ich mich umblickte merkte ich, dass uns immer noch alle anstarrten. Das Mädchen, mit dem Lisandro hier war griff nach seinem Arm und nörgelte: „Komm lass uns tanzen“. Als sie dies sagte funkelte sie mich böse an. „Mach du mal ich brauche frische Luft“, sagte ich und machte eine abwertende Geste Richtung dem Mädchen. „Joyce!“, wurde mir noch von Lisandro nachgerufen, doch ich drehte mich nicht mehr um sondern suchte mein heil in der Flucht. Im Lauf hob ich meinen Umhang auf und zog mir die Kapuze übern Kopf. Ich lehnte mich an eine Wand und sah hoch zu den Sternen. Als sich jemand neben mir an die Wand lehnte zuckte ich zusammen. „Eine junge Dame wie du sollte hier nicht alleine stehen“, sagte der junge Mann und sah hoch zu den Sternen. „Ich kann mich schon selbst verteidigen“, murmelte ich und wandte mich zum Gehen. „Sagt mal hast du eben gesungen?“, fragte er und richtete seinen Blick auf mich. „Ja, warum? Wenn du jetzt sagen willst ich kann nicht singen halt lieber die Schnauze“, fuhr ich ihn an. Er hob beschwichtigend die Hände. „Ich habe dich letztens in Wald singen hören und wusste nicht wo das herkam“, sagte er und lächelte sanft. Nun nahm ich ihn genau unter die Lupe. Seine olivenfarbene Haut schimmerte im Schein der Straßenlaterne und er trug nichts weiter als eine Jeans noch nicht mal Schuhe. „Wie ist dein Name?“, fragte ich und blähte meine Nüstern. Ich nahm ein Hauch von Erde wahr. „Ryan“, sagte er und hielt mir die Hand zum Schütteln hin. Ich mied Körperkontakt daher ignorierte ich seine ausgestreckte Hand. Als er merkte dass ich sie nicht ergriff ließ er sie sinken. „Warum bist du so alleine hier?“, fragte er stattdessen und seine Augen verengten sich um mein Gesicht zu erkennen. „Ist sie nicht!“, kam eine Stimme aus dem Schatten. Ich verdrehte die Augen. War ja klar das Lisandro mich nicht alleine lies. „Joyce hier draußen ist es gefährlich geh doch rein“, sagte er und sah mich erwartungsvoll an. Ich zog beide Augenbrauen hoch und pruste dann los. „Quietis! et relinquere me solus“, sagte ich spöttisch und wandte mich Ryan zu. Seine Mundwinkel waren zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Er konnte also Latein. „Ihr kennt euch also?“, fragte Ryan und sah mich an. Ich nickte knapp und zog meine Kapuze tiefer in mein Gesicht. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht das Ryan mich so lüstern ansah wie die anderen. Wir unterhielten und noch eine Weile. „Ich muss jetzt gehen“, sagte er nach einiger Zeit. Es fühlte sich so an als würde mein Magen Purzelbäume schlagen. Er lächelte mir noch einmal zu und verschwand zwischen den Bäumen. „Wieso lächelst du so verträumt?“, fragte Daylina und zog mich zur Seite. „Tu‘ ich das?“, fragte ich verwirrt und runzelte die Stirn. Dieser fremde Mann, Ryan, ich kann ihn kaum und doch hatte ich das Gefühl ich würde ihn schon mein ganzes Leben kennen.
5. Juni
Es war Freitag und der erste Ferientag. Darian war mit Daylina auf meinem Date und ich saß alleine in meinem Zimmer. Eine eifersüchtige Hexe hatte mich vor 300 Jahren verflucht. Ihr Angebetender hatte wohl mal erwähnt das ich eine schöne Stimme hatte. Sie wollte eigentlich das ich meine Stimmer ganz verliere jedoch war ich damals nicht ganz so menschlich wie sie angenommen hatte und der Fluch hatte ich auf einen Tag alle 10 Jahre gedehnt. Selbst Adriana eine befreundete Hexe von mir konnte den Fluch nicht brechen. Dieser Tag war Heute. Meine Familie ließ mich an diesem Tag immer in Ruhe. Mir fiel fast die Decke auf dem Kopf. Also zog ich mir eine Jeans und ein T-Shirt an und ging aus dem Haus. Als ich mir einen Kaffee genehmigt hatte bog ich in eine Seitenstraße ein. Es war eine Abkürzung zum Wald. Ich roch die Männer ehe ich sie Sah. Sie rochen nach Schweiß und Alkohol. Ich seufzte ohne einen Ton von mir zu geben. Grade jetzt war dieser Fluch echt lästig. Die Männer konnten wahrscheinlich keine Gebärdensprache. „Hej süzzzzzzzze“, lallte der eine. Ich drehte mich ruckartig um und zog eine Augenbraue hoch. „Willscht du Spasch aben“, nuschelte der zweite. Der Dritte starrte mich nur an und grinst dreckig. Als ich nicht antwortete fingen sie an zu lachen. „Schüchtern was?“, fragte der dritte. Dieser lallte nicht und roch auch nicht nach Alkohol sondern nach purer Gewalt. Als ich immer noch nicht antwortete sondern sie einfach nur ansah wurden sie sauer. Der Dritte wollte schon auf mich losstürzen als sich jemand zwischen mich und die Männer stellte. „Du feige Schlampe“, schimpfte der Dritte zu mir, „Du antwortest noch nicht mal und versteckst dich dann hinter deinem Freund wenn man dich etwas fragt!“. Nun war ich sauer. Wut kroch wie Gift durch meine Adern. „Sie kann euch nicht antworten!“, hörte ich eine bekannte Stimme sagen, „Sie ist stumm!“. Vor mir stand Ryan. Mein Herz setzte einen Moment aus und ich schluckte. „Mir doch ejal wir könn‘ se uch zu viert durchnehmen“, zischte der erste. Ich tippte Ryan von hinten an so dass er mich kurz ansah und dann erstarrte. Ich bedeutete ihm zur Seite zu treten und er tat es. Mit offenem Mund beobachte er wie ich auf die Männer zutrat. Sie fingen an zu zittern. Ich hatte mein bösestes Lächeln auf den Lippen. Ich versuchte mit menschlicher Kraft einen nach dem anderen K.O zu schlagen und wand mich dann um. Ryan starrte mich an mit offenem Mund. „Alles okay?“, fragte ich in Zeichensprache. Er sagte nicht sondern nickte nur. Ich zuckte mit meinen Achseln und ging Richtung Wald. „H-Hey warte!“, rief Ryan und lief mir nach. Ich sah ihn fragend an. „Wie heißt du?“, fragte er. Ich verdrehte die Augen und ging gradewegs auf einen Baum zu. Ich kletterte hoch und setzte mich auf einen dicken Ast. Ryan kam mir nach und kletterte auf einen nah liegenden Ast. „Nun gut kein Name also“, flüsterte er und ließ seinen Blick über mich gleiten. Ich fühlte mich auf einmal so nackt. Gleich würde die Sonne untergehen und der Fluch verlor seine Wirkung. „Ich geh nach Hause“, sagte ich in Gebärdensprache. „Seit wann bist du Stumm?“, fragte Ryan und sah mir tief in die Augen. Ich lächelte bitter. Und dann sprang ich vom Baum. Ryan sah mir noch nach, das spürte ich. Ich rannte nach Hause so dass mich kein Menschliches Auge sehen würde. Zuhause zog ich mir den Umhang über und in einer Minute war ich wieder im Wald. Ich setzte mich unter eine Eiche und fing an zu summen. „Wie lange bist du schon hier?", fragte Ryan aus der Dunkelheit. Ich gluckste leise und wand mein Kopf in seine Richtung. „Wieso interessiert dich das?", war meine Gegenfrage. „Hast du mich mit dem Mädchen gesehen?", fragte er und ignorierte meine Frage vollkommen. „Ach die kleine Schwarzhaarig?“, fragte ich unschuldig. „Genau die“, sagte er und kniff die Augen zusammen, „Wieso zeigst du mir eigentlich nicht dein Gesicht?“. Ich drehte mich weg und beobachte die Blumen wie sie leicht in der Brise wiegten. „Wieso fragst nach ihr?“, flüsterte ich leise und hob meine Hand um einen Nachtfalter auf meinem Finger landen zu lassen. „Kennst du sie?“, erwiderte Ryan und ich hörte sein Grinsen in seiner Stimme. „Ja“, war meine knappe Antwort.
Der Nachfalter flatterte davon und ich sah ihm nach. „Ich würde gerne fliegen können“, flüsterte ich und wand mich zu gehen. „Geh nicht!“, Ryan bestimmt und griff nach meinem Arm. „Du und dieser Lisandro seit ihr…“, er ließ die letzten Worte unausgesprochen. Das klang so absurd, dass ich in einen Lachanfall versank. Unschlüssig wie er meine Reaktion verstehen sollte trat er von einem Fuß auf den anderen. „Ich gestehe als ich jünger war, war ich furchtbar in ihn verknallt gewesen“, kicherte ich. „Und jetzt…?“, fragte Ryan und seine Stirn legte sich in Falten. Nun brach ich wieder in Lachen aus: „Du hörst dich eifersüchtig an“. Er lief knall rot an und zischte: „Und wenn es so wäre?“. Nun blinzelte verwundert. „Äh…“, war meine intellektuelle Antwort. „Ich möchte dir in die Augen schauen wenn du mit mir sprichst“, schnurrte Ryan. Plötzlich kam ein starker Windstoß und meine Kaputze rutschte mir vom Kopf und Ryan erstarrte. Bevor er den Mund aufmachen konnte rannte ich nach Hause. Mein Magen drehte sich um und ich fing an zu weinen.
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Nala,Samson,Coco,Lolita