Leseprobe des Romans „Hexenmond“ – Band 2 der „Chronik der Legenden“, aus dem 4. Kapitel „Der unheilvolle Blutmond und seine unsterblichen Kinder“
An der Höhle angekommen, begann Ishtar, nachdem sie sich wieder in ihre Farben verwandelt hatte, einen Racheplan zu ersinnen. „Verflucht sollst du sein, Inannan!“, schrie sie im Umherlaufen, die Faust in die Hand schlagend. „Ich muss es ihr einfach heimzahlen! Es genügt ihr nicht, dass ihr jeder, der sie kennt, egal ob Mann oder Frau, hinterher hechelt, der gütigen, braven Inannan, sie muss auch noch die bezirzen, die sie nicht kennt und auch nicht will, wie meinen Prinzen! Dabei genügt es offenbar schon, so auszusehen wie sie, um einen Mann um den Finger zu wickeln! Doch wer will schon so hell, so voller Licht sein wie sie?“ Sie schüttelte sich vor Abscheu. „Wenn sie glaubt, dass sie dieses Licht beschützen kann, dann irrt sie sich! Die Dunkelheit ist immer stärker als das Licht! Das wird sie erleben!“ Sie schaute zum Blutmond am feurigen Himmel hinauf und auf seinen Feuerstrahlen kam ihr eine Idee, direkt aus der Hölle. „Natürlich, wer sich mit ihm verbündet ist unbesiegbar! Das mache ich! Selbst das Licht aller weißen Hexen kann sie dann nicht mehr vor mir beschützen, und ich werde meine Rache bekommen! Außerdem hat die ganze Angelegenheit noch einen Vorteil, es wird Abraham“, sie sprach den Namen aus, als müsste sie sich von seinem Klang übergeben, „ihrem Anhängsel, das Herz brechen, seine Liebste Leiden zu sehen - dieser Möchtegernmann! Vielleicht versucht er sogar sie zu beschützen!“ Dieser Gedanke, Abraham als Inannans Beschützer, ein tapferer Held, ließ Ishtar laut auflachen. „Ha! Der Waschlappen, wen kann der schon beschützen? Der zittert ja schon, wenn ihn ein lauer Wind anbläst. Was sie wohl an dem findet? Was überhaupt jemand an dem findet? Wer will den schon?“
„Ich!“
Die Stimme, die aus dem Nichts zu ihr zu dringen schien, schreckte Ishtar aus den Rachegedanken. „Wer ist da?!“, schrie sie und drehte sich mehrmals um die eigene Achse. War das ein Teufelsgeschöpf? Aber sie hatte doch die Hölle noch nicht angerufen, sie hatte es sich doch nur vorgenommen, es zu tun. Aber wieso sollte der Teufel Interesse an Abraham zeigen. Nein, es musste jemand anderes sein. War ihr jemand gefolgt? Doch der Prinz, der als Einziger in Frage gekommen wäre, hatte eine Baritonstimme, zwar sanft, aber auch mit Tiefen an den richtigen Stellen, wobei diese Stimme eher eine helle Tenorstimme war. Mit suchendem Blick drehte sie sich im Kreis und analysierte, wer oder was sich in ihrer Nähe befand, denn da war noch etwas anderes, eine Aura, die sie wie ein Schleier einhüllte, in ihre Poren drang und sie zu betäuben versuchte. Sie begann sich zu fühlen, als ob sie schwebte und sich im suchenden Drehen dem Himmel entgegen schrauben würde. Wieder ein undefinierbares Gefühl, ein neuer Sinnesreiz, nur dunkler, dichter und betäubender, als die Liebe, die vom Prinzen zu ihr geschickt worden war, aber davon hatte sie für diese Nacht genug. Sie schüttelte die Betäubung aus ihrem Kopf.
„Wenn du dich weiter so drehst und die Röcke fliegen lässt, dann kann ich sehr bald sehen, was sich darunter versteckt und nicht aus Stoff ist! Ha!“
Der hämische Lacher, der sich an die Spottrede anhängte, war der Auslöser, den Ishtar gebraucht hatte, um sich endgültig gegen die hypnotisierende Wirkung der Aura, die alles andere als menschlich war, zu wehren. Verspotten ließ sie sich nicht. Und mit der aufsteigenden Wut in ihr kam auch ihre alt gewohnte Selbstsicherheit, gestärkt von der Freundin im Innern, die kribbelnd ihre Unterstützung bekundete, zurück. Wer war sie denn, dass sie etwas so verunsichern konnte? Sie blieb augenblicklich stehen, fühlte kurz, von wo aus die Aura strahlte und richtete ihren Blick auf eine alte Buche, einige Schritte vor ihr. „Wer so große Töne spuckt, sollte auch genug Mumm haben, sich zu zeigen. Oder seid Ihr so eine Ausgeburt an Hässlichkeit, das Euere grelle Stimme noch schön dagegen ist! Von der Feigheit, die das verrät, will ich gar nicht erst sprechen!“ Ishtar blieb unbeweglich stehen, lauschte nur und ließ ihre Pupillen den Bereich von Augenwinkel zu Augenwinkel erkunden. Die Präsenz war unvermindert zu spüren, deshalb suchte sie unauffällig mit ihrer rechten Hand nach ihrer versteckten Tasche unter den Röcken und war mehr als nur erleichtert als sie, nachdem sie kurz Gierte, immer noch als Kohle getarnt, befühlt hatte, den vertrauten Weidenstab in den Fingern spürte.
„Lass ihn stecken!“, erklang die arrogante Stimme des Wesens.
Es folgte ein Blitz, bei dessen Intensität es Ishtar nur mit Mühe gelang, die Augen aufzuhalten. Dann erkannte sie durch die langsam verblassenden, weißen Flecken in ihrem Blickfeld einen Mann, oder treffender ausgedrückt ein Wesen, das einen Mann glich, aber etwas anderes war. Ishtar beäugte ihn skeptisch. Er trug einen breiten Ledergürtel auf einer knielangen, roten Tunika, so wie Ishtar sie auf alten römischen Kupferstichen in Tante Perchtas Haus gesehen hatte. Über dem Gürtel schützte ein silberner, reich verzierter Brustpanzer seinen Oberkörper. Seine olivgrünen Augen leuchteten ihr aus seinem markant männlichen Gesicht mit der dünnen Nase und den schmalen, wohlgeformten Lippen entgegen. Der honigblonde Zopf fiel über seine gepanzerten Schultern, an denen ein roter Umhang befestigt war, der bis zu seinen Knien, zum Saum der Tunika reichte. Seine unbestrumpften Beine ließen Ishtar leicht erröten und seine merkwürdig aussehenden Sandalen, deren Riemen über Kreuz, spiralförmig um seine Waden geschnürt waren und in denen er mit den Zehen spielte, fingen kurz ihren Blick ein. Dann schaute sie ihm wieder in die merkwürdig fluoreszierenden Seelenfenster, die ein leichtes, spöttisches Lächeln verrieten, das sein Mund noch nicht preisgab. Seine harmlos wirkende entspannte Haltung, mit vor der Brust verschränkten Armen, lässig an den Baum gelehnt, strafte seine feuergefährliche Aura Lügen, der das Blutmondlicht die richtige Farbe verlieh. Dessenthalben behielt sie nicht nur den Zauberstab in der Hand, sie zog ihn auch aus der Tasche, was er zu bemerken schien, denn seine Lichter huschten kurz an ihr hinunter und brannten sich doch gleich darauf wieder in ihre Augen, die sie nicht mit einem Blinzeln, das sich ihr von den Nachwirkungen des Blitzes aufdrängte, zu verdecken wagte, auch nicht für den Bruchteil einer Sekunde.
„Ich will dir nichts tun, kleines Hexchen“, frotzelte er und zeigte das Spottlächeln, das sich in seinen Augen angekündigt hatte.
„Woher will ich das denn wissen?“, fragte Ishtar, wobei ihr ihre Stimme fremd und unwirklich vorkam, in einem Ton, der ihr zu schrill klang um selbstsicher zu wirken.
„Wenn ich das vorhätte, hätte ich es schon lange tun können, und auch dein hölzerner Freund würde mich nicht davon abhalten; das kannst du mir glauben!“
Unter seinem drohenden Blick aus leuchtenden Augen, der keine Zweifel offen ließ, dass er am längeren Hebel saß, konnte Ishtar, immer noch in die gefährliche Ausstrahlung des Wesens eingehüllt, nicht anders als seinem Drohen nachzugeben. Nichts Gutes oder Schwaches umgibt so eine Aura, sagte sie sich und steckte, gegen den Willen der Freundin im Innern, die sich auf ihre kribbelnde Art bemerkbar machte, den Zauberstab zurück in die Tasche. „Wer und vor allem was seid Ihr?“, fragte Ishtar ergründend in die Seelenfenster des Wesens vertieft, die so geheimnisvoll leuchteten.
„Ich …“, mit diesem Wort öffnete er seine Arme und schickte eine Druckwelle durch seine Aura, die Ishtar, als die Welle ihren Körper erreichte, zusammenzucken ließ, und sie veranlasste, einen Schritt zurück zu tun. Mit einem beinahe verständnisvollen Lächeln und einem angedeuteten Schulterzucken begann er den Satz erneut. „Ich heiße Cogadh und bin ein Vampir.“
„Um Himmels willen!“, stieß Ishtar im ersten Schrecken aus, was ihr gleich darauf mehr als nur peinlich war. Sie hatte wohl schon einmal beiläufig von Vampiren gehört, in Schreckensgeschichten im Mädchenzimmer in der Hexenschule, die sich die Zauberschülerinnen in den Wintermonaten vor dem Ofen gerne erzählten, hatte aber keinen weiteren Gedanken über sie verschwendet und wusste deshalb nur, dass es lebende Tode sind und dass sie Blut trinken. Doch dieses Wissen genügte offenbar schon, um sich vor dem toten Bluttrinker mit einem peinlichen Schrei zu blamieren.
Und Cogadh ließ diese Gelegenheit zum Spotten nicht verstreichen. „Na, jetzt hast du mich aber enttäuscht. Eben wolltest du noch die Herren da unten anrufen und jetzt wendest du dich an die da oben. Oh, diese wankelmütigen Frauen.“
Er lachte den letzten Satz geradezu, was Ishtars Selbstbewusstsein, das mit dem Drohen des Vampirs erheblich an Stärke eingebüsst hatte, nun wieder durch die auflebende Wut, über so viel Arroganz und den Spott auf ihre Kosten, beinahe zur alten Stärke erblühen ließ. „Entweder redet Ihr vernünftig mit mir, oder Ihr lasst mich in Frieden!“, schrie sie und versuchte den Blick des Wesens, mit dem es sie eingeschüchtert hatte, nachzuahmen.
„So gefällst du mir schon besser.“ Er ging zielsicher an ihr vorbei und hielt, unter Ishtars angespitztem Blick, auf ihren Greif, der vor der Höhle stand, zu.
Woran erinnert mich sein Gang bloß, dachte sie, widmete dann aber wider ihre Aufmerksamkeit dem Geschehen zu, als Apoll scheute, ein drohendes Krächzen von sich gab und Cogadh ehrfürchtig stehen blieb. „Apoll mag es nicht, von Fremden berührt zu werden“, zischte Ishtar und fragte: „Was wollt Ihr von mir?“
Nach kurzem Verharren, gefangen im Bann des Greifs, drehte sich Cogadh zu ihr um. „Ich will dir einen Vorschlag unterbreiten. Es …“
„Davon will ich nichts wissen“, schnitt ihm Ishtar das Wort ab. Es widerstrebte ihr zu erfahren, was sich so ein Wesen, ein Blutsauger, wohl ausgedacht hatte. Außerdem brauchte sie keine Hilfe, von niemandem. Sie wollte nur, dass er verschwindet und seine unangenehme, durchdringende Aura mitnahm.
Ungerührt von ihrer abweisenden Reaktion nahm er den abgeschnittenen Satz wieder auf: „Es wird sich für dich lohnen. Mein Vorschlag wird dir bei deinem Vorhaben von Nutzen sein und dir im Übrigen noch einen ungeliebten Menschen vom Halse schaffen.“
Nun hatte er sie doch tatsächlich neugierig gemacht. Wen meinte er wohl mit diesem ungeliebten Menschen? Es gab so viele davon. Sie nickte, und er nahm diese Zustimmung mit einem triumphierenden Lächeln zur Kenntnis, als hätte sie seinen Vorschlag schon angenommen.
„Du willst dich doch an deiner Zwillingsschwester rächen, nicht wahr?“, fragte er.
Sie nickte.
„Dabei will ich dir helfen. Auch ich habe einen Zwilling, der mir mit seiner guten Art schon seit fast zweitausend Jahren auf die Nerven geht, und so kann ich dich mehr als nur gut verstehen.“
„Ihr wollt mir also weismachen, dass Ihr mir nur aus dem Verständnis heraus helfen wollt, weil auch Ihr einen Zwilling habt, mit dem Ihr Euch auch nicht versteht?“
„Langsam, langsam“, er klang amüsiert. „Ich tue gar nichts, rein gar nichts, uneigennützig!“ Seine Aussage wurde von seinem ernsten Blick unterstrichen, der aber gleich darauf von aufgesetzter Freundlicher und einer gehörigen Portion Arroganz verschleiert wurde.
Er begann, Ishtar zu gefallen, da sie nun eine Gemeinsamkeit entdeckte. „Aber wie wollt Ihr mir helfen, und was ist der Preis für diese Hilfe?“
Auch er schien Ishtar zu mögen, das glaubte sie jedenfalls in dem freundlich arroganten Ton, im dem er ihr antwortete, unterschwellig zu erkennen: „Da gibt es doch einen jungen Mann, den du verachtest.“
„Abraham!“, gab sie blitzschnell von sich, und in Gedanken setzte sie hinzu: Aber natürlich, als ich vorhin fragte, wer Abraham schon haben will, antwortete er mit ‚Ich’. „Aber wozu in aller Welt braucht Ihr denn diesen Waschlappen?“, schickte sie in angewiderten Ton ihren Gedanken hinterher.
„Ich brauche ein Gefäß“, antwortete Cogadh gelassen.
„Ein Gefäß? Wollt Ihr ihn etwa auf einen Tisch stellen und ihm Blumen in den Hals stecken?“ Diese Vorstellung brachte sie doch tatsächlich zum Schmunzeln und auch ihr Gegenüber konnte sich einen lauten Lacher nicht verkneifen, an den er die Antwort auf ihre Frage hängte:
„Nein, nein, das habe ich nicht vor, aber es ist eine lustige Vorstellung.“
Dieser Cogadh gefiel ihr immer besser, normalerweise hätte sie jetzt schon ein „Ishtar“ von ihrer Tante, ihren Eltern oder von Inannan vernommen, doch dieser Vampir schien ihren schwarzen Humor zu teilen. „Wollt Ihr ihn etwa aussaugen?“ Nicht, dass ihr dieser Gedanke etwas ausmachen oder etwa ihr Mitleid erregen würde, es interessierte sie nur.
„Nein, dafür würde ich deine Hilfe nicht brauchen. Ich will in seinem Körper mit deiner Magie einen Teil von mir hinterlegen.“
„Wozu? Und es erscheint mir, als ob Ihr selbst magisch gestärkt seid, anhand Eurer Ausstrahlung, sogar noch weit mehr, als ich es bin. Könnt Ihr das denn nicht selber zu Werke bringen?“
„Ich habe es schon versucht, und zwar in dieser Nacht, doch mit den Gaben, die uns Vampiren zur Verfügung stehen, ist es mir leider nicht gelungen. Es war ein Fluch der keltischen Mondgöttin Anu, der mich, meinen Vater und meine Zwillingsbruder zu dem machte, was wir und alle, die wir geschaffen haben, sind. Wir sind unsterblich und das Ewige Blut in unseren Adern, das von der Mondgöttin dazu erhöht wurde, trägt gewisse Fähigkeiten, die wir für unsere Zwecke gebrauchen können, aber wir tragen keine Magie in uns, wie ihr Hexen das tut. Wir können schweben, Gedanken lesen und austauschen, besitzen übermenschlich starke Muskelkraft, die Fähigkeit, uns unsichtbar zu machen, und wir können Gegenstände mit dem Geist bewegen. Das sind nur einige unserer Gaben, aber wohl die Wichtigsten, wobei aber nicht jeder Vampir alle unsere Fähigkeiten besitzt oder im gleichen Umfang darüber verfügen kann.“ Er reckte stolz sein Kinn. „Ich kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass ich der stärkste Vampir bin und mich auf das Beeinflussen des Geistes anderer gut verstehe, und doch geht das, was ich mit Abraham vorhabe, weit über meine Möglichkeiten. Ich will ihn nicht beeinflussen, ich will einen Teil von mir in ihm als zweites Bewusstsein hinterlegen, damit sein Körper, sollte meiner vernichtet werden, zum Gefäß meiner Seele wird.“
„Ihr sagtet doch, Ihr seid unsterblich, aber wieso ist es dann möglich, Euch zu vernichten? Und wieso wollt Ihr denn in seinem Körper leben? Gefällt er Euch etwa?“
„Oh, er ist außergewöhnlich schön, wie ein gefallender Engel, mit seinen bernsteinfarbenen Locken und den Perlenaugen, der zierlichen Nase und den vollen Lippen. Er ist schon fast zu schön für einen Menschen.“ Nach einem kurzen Zögern beantwortete er auch bedacht ihre erste Frage: „Man nennt uns die Unsterblichen, weil man unseren übernatürlich beseelten Körper nur durch zwei Dinge vernichten kann, ansonsten sind wir unsterblich.“ Ihren fragenden Blick beantwortete er mit einem ungläubigen Lächeln, das sich auf seine Stimme abfärbte. „Aber du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich dir erzähle, wie man das bewerkstelligt.“
Und so richtete sie ihre Gedanken wieder auf die unglaubliche Tatsache, dass er in Abrahams Körper leben wollte. Er war für sie alles andere als schön, aber sie hatte ihn auch nie genau betrachtet. „Aber Ihr seid doch stark und …“, sie suchte nach einem passenden Wort, um seine maskuline Ausstrahlung, seine übermenschliche Aura zu beschreiben, „von Herrschergestalt, eindrucksvoll in Eurem Wirken auf andere, wollt Ihr da nicht lieber einen anderen erwählen, der mehr ist wie Ihr?“ Das machte ihr nun wirklich zu schaffen. Es war die Gelegenheit, Abraham loszuwerden, und sie versuchte doch tatsächlich, es dem Vampir auszureden. Ja bin ich denn von allen Sinnen, was ist nur mit mir in dieser Nacht?
„Aber gerade deshalb will ich ihn ja. Er ist so … so – gut -“, dieses Wort kam ihm nur schwer über die Lippen. „Er hat einen dunklen Platz für mich in sich, den ein Teil meiner Seele ausfüllen kann, da er nicht von ihm genutzt wird. Man kann eine Seele nach Licht und Schatten zuordnen, einfach, wohin sie mehr tendiert. Ich bin ein Schattenwesen, die Sonnenstrahlen …“, er hielt erschrocken inne, was Ishtar insgeheim als Schwäche auslegte. Die Sonne kann ihm also Schaden zufügen, vielleicht sogar vernichten, dachte sie. Doch er fing sich augenblicklich wieder und fuhr fort: „Es ist einfach so, dass meine dunkle Seele den Platz in ihm besetzen kann, den er, mit einer Seele, die dem Licht zugetan ist, nicht ausfüllt.“
„Und woher wisst Ihr das alles, wenn ein Vampir es nicht zu tun vermag?“, fragte sie.
„Es ist nur eine Idee von mir, aber eine meiner besseren“, antwortete er selbstsicher. „Diese Idee kam mir, als ich mich vor einiger Zeit an einem Menschen labte. Als dieser starb, stellte ich erstaunt fest, dass zwei Seelen in seinem Körper lebten, eine, die dem Licht zugetan war, das war die des Menschen, und die Seele eines Schattenwesens, das sich im dunklen Platz, den der Mensch nicht nutzte, eingenistet hatte. Ich bin mir sicher, dass es funktioniert, mit Seelen kenne ich mich aus, immerhin zwinge ich jede Nacht einige aus ihren Körpern und das seit Jahrtausenden.“
„Aber wieso gerade ihn? Er mag ja für Euch schön anzusehen sein, und dennoch gibt es bestimmt mehrere Körper, die Euch als Behausung mehr reizen würden?“ War sie für Abraham gerade wieder in die Bresche gesprungen? Unfassbar! Was hatte dieser Abend bloß aus ihr gemacht. Zuerst verliebte sie sich in den Prinzen und nun versuchte sie erneut, Abraham vor dem Vampir zu retten, der sich in ihm einnisten wollte. Sie musste völlig verrückt geworden sein. Wenn dieses Wesen sich in Abraham einnistete und den dunklen Platz in seiner Seele ausfüllte, dann konnte das den Abraham, den sie kannte, nur gut tun. Sie tat ihm also keinen Gefallen, wenn sie ihn zu schützen versuchte, was sie ja auch gar nicht vorhatte. Die Vorstellung, dass ein anderes Wesen, neben Inannan, Abraham so nahe sein wollte, verwunderte sie nur.
„Nun, ich bin nicht durch die Welt gezogen und habe ihn gesucht, wenn du das vielleicht glaubst. Ich bin zufällig auf ihn gestoßen, als ich Aurelia und ihrer Brut gefolgt bin.“
„Wem?“, gab Ishtar von sich, dann kam ihr in den Sinn, an wen ihn sein Gang erinnert hatte. „Redet Ihr etwa über die seltsame Zigeunerin und die zwei nicht minder ungewöhnlichen Kinder, die sie im Schlepptau hatte, und die …“
„… gerade deinen Eltern einen Besuch abstatten. Jawohl, genau die meine ich. Und jetzt kommen wir zu meinem Teil der Vereinbarung.“ Er schien sehr zufrieden mit sich zu sein, verschränkte seine Hände hinter dem Rücken und wippte einige Male auf den Zehenspitzen. „Sie sind auch Vampire und sie beabsichtigen deine Pläne … dein Schicksal zu durchkreuzen.“
„Wie wollen sie das denn tun, und von welchem Schicksal sprecht Ihr?“, fragte Ishtar, beinahe ängstlich, so das sie am liebsten vor sich selber ausgespuckt hätte.
„Nun, ich weiß nicht viel darüber, nur das, was ich gelegentlich aufgeschnappt habe, als sich Aurelia mit anderen darüber unterhalten hat. Sie hat, als sie vor Jahren einmal deiner Mutter wahrsagte, gesehen, wie eine Hexe, die Beschreibung passt genau auf dich, zu großer Macht gelangt und die Welt der Menschen unterjocht. Wie, kann ich dir leider nicht sagen, nicht etwa weil ich es nicht will, sondern weil ich es nicht weiß. Deshalb ist sie mit ihrer Brut hergekommen, um dieses ach so schlimme Schicksal“, er verspottete das Wort mit verdrehten Augen, „von der Menschheit und deiner Familie abzuwenden. Du musst wissen, Aurelia und ihre Familie, gehören zu den Vampiren, die sich die Menschenfreunde nennen.“ Er schüttelte den Kopf und zischte dabei verächtlich.
„Könnten sie das fertig bringen, mein Schicksal zu durchkreuzen?“
„Nicht, wenn wir uns einig werden, Mädchen“ Er schaute sie fragend an.
Der Ausspruch „Mädchen“ ließ sie kurz zusammenzucken, denn dadurch fühlte sie sich herabgewürdigt. Dabei kam ihr in den Sinn, dass er sie während der gesamten Unterhaltung geduzt hatte, obwohl eine förmliche Ansprache wesentlich angebrachter gewesen wäre, immerhin war sie eine erwachsene Frau, und doch war für ein so altes Wesen - zweitausend Jahre alt – wohl jede Frau ein Mädchen. Außerdem spielte es auch wirklich keine Rolle, denn es gab Wichtigeres zu entscheiden, als sich über Umgangsformen den Kopf zu zerbrechen, mahnte sich Ishtar und nahm sich der Entscheidung über Cogadhs Vorschlag an. Er würde ihr die Vampirfrau und die zwei Kinder vom Halse schaffen und sie würde zusätzlich noch Abraham loswerden. Es schien ein guter Vorschlag zu sein und keine andere Möglichkeit zu geben, als sich mit Cogadh einzulassen, denn allein würde sie drei Vampire, an Cogadh gemessen, selbst wenn zwei davon noch Kinder waren, unmöglich besiegen können. „Ich bin einverstanden. Was soll ich tun?“
„Schaff den Jungen her und sieh zu, dass mir sein Körper, im Falle meiner Vernichtung, als Behausung zur Verfügung steht. Dann nehme ich ihn mit, und du kannst dort fortfahren, wo ich dich unterbrochen habe, und dich mit denen da unten verbünden. Mir kannst du getrost Aurelia und ihre zwei Gören überlassen.“
Sie nickte, schnappte sich ihren Zauberstab, überlegte kurz, wobei sie sich dazu entschied, ein Abbild Abraham, eine leere Puppe, so lange an seinem Aufenthaltsort zurückzulassen, bis sie Cogadhs Idee in die Tat umgesetzt hatte, und sprach Abraham mit Magie herbei:
„Abraham, erscheine hier,
sollst alles starr erleben wie im Traum,
nun spute dich, komm her zu mir,
komm her durch Zeit und Raum.
Lass ein Abbild deines Körpers zurück,
dass sie von meinem Plan nichts wissen,
so ist es dann zu meinem Glück,
wenn sie dich nicht vermissen.“
Ein blendender Blitz folgte dem Zauberspruch, und schon stand Abraham völlig regungslos vor Ishtar, den Rücken zu Cogadh gekehrt.
„Gut gemacht, jetzt schnell, setz meinen Wunsch um!“, drängte der Vampir mit begierigem Blick.
Auch Ishtar war daran gelegen, die Sache schnell hinter sich zu bringen, und richtete nach kurzem Nachsinnen über den magischen Spruch, mit dem sie es bewerkstelligen könnte, den Zauberstab auf Cogadh, der inzwischen neben Abraham getreten war. Doch dann hielt sie inne und zog die Augenbrauen misstrauisch zusammen.
„Was ist mit dir? Wieso sprichst du nicht die Worte?“, wollte Cogadh gereizt wissen.
„Ich dachte nur gerade, dass Ihr, wenn ich Euren Wunsch nun erfülle, keinen Grund mehr habt, Euren Teil der Abmachung einzuhalten.“
„Ich gebe dir mein Wort!“, schnarrte er.
Ishtar überlegte, wie glaubwürdig er sein würde. Sie mochte Cogadh, weil sie sich in ihm erkannte, und das war das Problem, denn sie war alles andere als glaubwürdig gegenüber anderen. „Ich habe einen besseren Einfall. Ich spreche zwar den Zauberspruch jetzt, füge aber einen Reim ein, der ihn erst mit Vollendung Eures Teils der Abmachung in Kraft treten lässt, solange kehrt Abraham dorthin zurück, wo ich ihn hergezaubert habe. Erst nachdem Ihr Eueren Teil der Abmachung erfüllt habt und ich dadurch mein Schicksal vollendet habe, könnt Ihr ihn mitnehmen.“ Nun war es an Ishtar, einen fragenden Blick aufzusetzen.
„Meinetwegen“, brummte Cogadh, „und jetzt mach’ schon, bevor ich die Geduld verliere.“
Ishtar lächelte triumphierend, überlegte einige Minuten am magischen Wortlaut und sprach:
„Abraham und Cogadh stehen hier,
sind Licht und Dunkelheit,
Mensch und Vampir,
und sollen verbunden sein für alle Zeit.
Nun leg Cogadhs dunklen Keim,
in den ungenutzten, bösen Fleck,
in Abrahams Seelenheim,
und lass ihn nie mehr dort weg.
Abrahams Körper soll ewig leben,
erhalte ihn jung,
er soll ihn dann an Cogadhs übergeben,
bei seiner Vernichtung.
Ich will mein Schicksal vollendet sehen,
dann wird dieser Zauber erst wirksam sein,
so soll es geschehen,
schick nun Cogadhs Seelenteil in Abraham hinein.“
Ein Blitz zuckte von der Spitze des Zauberstabs in Cogadhs Brust und verließ den Körper des Vampirs durch seinen Rücken, beschrieb ein S und drang dann in Abrahams Brustkorb ein, um dort den Spruch zu vollenden und Cogadhs Seelenteil in Abraham zu verankern. Geschwächt brachen beide zusammen, worauf Ishtar Abraham zurückschickte und Cogadh sich kurz angebunden verabschiedete, um seinen Teil der Abmachung zu erfüllen. Jetzt war es an Ishtar sich mit dem Teufel zu verbünden und ihre lange Reise unter Evarahs Schatten feurig unterm Blutmond zu vollenden.
Texte: Dieses Buch wurde im Januar 2010 von Novum Verlag veröffentlicht.
Tag der Veröffentlichung: 21.09.2010
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