XXL Leseprobe:
ERSTES BUCH: DIE RÄUBER
Kapitel 1 – Bartel
Der herbstliche Tag ging fast zur Neige, als Bartel die schmuddelige Holztür der Ratsherrn-Schenke aufdrückte und die Wirtschaft betrat.
Seit dem frühen Morgen war er durch die engen Gassen des Städtchens Volkesleben zwischen den schiefen, alten Fachwerkhäusern umhergelaufen. Unter stramm gespannten Wäscheleinen hatte er den Frauen gelauscht, die mit flinken Händen tropfende Kleidungsstücke aufhängten und dabei mit ihren Nachbarinnen lautstark über den neusten Klatsch schwatzten. Es war angenehm gewesen, in der Mittagssonne über den Marktplatz zu schlendern, einen Apfel zu kauen und den Marktfrauen und Händlern aus der Umgebung zuzuhören, die ihre herbstlichen Waren auf den Ständen und Karren feilboten. Der Tag hatte etliche, brauchbare Hinweise gebracht.
Er entdeckte einen leeren Platz in einer Ecke der Gastwirtschaft, schob sich auf die abgeschabte Bank und wartete auf Bedienung. Es dauerte eine Weile, bis der Wirt zu ihm gestapft kam und ihm missmutig einen gefüllten Bierkrug auf den Tisch knallte. Er fingerte ungeduldig wartend an seiner schmierigen Schürze. Bartel ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und warf dem Mann eine Münze zu. Der Kerl sollte verschwinden, denn er wollte sich ungestört anhören, was die Leute in dem Wirtshaus von sich gaben. Er brauchte nicht lange zu warten.
Ein angetrunkener Gast grölte mit blutunterlaufenen Augen am Nachbartisch: »Habt ihr den Neuzugang vom Nachmittag schon gesehen?« Er formte den Mund zu einem runden Loch und streckte mit einem schlürfenden Geräusch seine tänzelnde, weiß belegte Zunge hervor.
Angewidert nahm Bartel einen tiefen Zug aus seinem Krug, senkte den Kopf und zog die Ohrklappen seiner geliebten, speckigen Mütze nach unten. Nichts hasste er mehr als Menschen, die sich am Elend der anderen ergötzten. Am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte sein Messer gezogen, und dieses Ekel von seiner widerlichen Zunge befreit. Doch das hätte Aufsehen erregt. Deswegen beherrschte er sich und entspannte die Schultern. Er wollte wissen, was dieser Dreckskerl von sich gab – ohne selbst bemerkt zu werden.
Lautstark erörterten die angetrunkenen Gäste, dass es sich dieses Mal lohnen würde, den Pranger auf dem Marktplatz zu besuchen, denn in dieser Nacht hatte man offensichtlich ein dralles Frauenzimmer an dem Foltergerät festgesetzt.
So manch finstere Gestalt schlich sich im Schutz der Dunkelheit dort hin, um das gedemütigte Opfer, zusätzlich zu seiner Pein und Erniedrigung, zu quälen. Handelte es sich um eine weibliche Übeltäterin, tat man sich an ihr gütlich. Die Tatsache, dass dieser Missbrauch verboten war, störte niemanden.
Bartel horchte auf. Ein Weib? Das war vielleicht sehenswert. Außerdem hatte er genug gehört. Er trank den Krug in einem Zug leer und verließ die Schenke. Keiner der Gäste achtete auf ihn. In aller Ruhe spazierte er den kurzen Weg zum Marktplatz.
Der hölzerne Schandpfahl auf seinem Podest war nicht zu übersehen. Man hatte die Schandgeige auf Bauchnabelhöhe angebracht, so dass die gequälte Frau in gebückter Haltung ausharren musste. Sie hielt den Kopf und die Hände in den durch viele Hälse und Handgelenke glatt polierten Öffnungen. Ihr blondes, aufgelöstes Haar hing vor ihr Gesicht, aber deswegen war er nicht gekommen. Als er das Folterwerkzeug umrundete, blieb Bartel überrascht stehen. Die Kerle in der Schenke hatten nicht gelogen. Was ihm sofort ins Auge sprang, war ihr herausgestrecktes Hinterteil – rund, prall, und einladend. Wie wäre es einen Satz auf das Podest zu machen, hinter sie zu treten, es mit beiden Händen zu umfassen und ...?
Eine solche Tat war seiner nicht würdig, beschloss er. Verbote schreckten ihn nicht ab – er wollte jedoch unauffällig bleiben.
Während er das dachte, sackten ihr die Beine weg. Sie kniete, die Handgelenke in den Handlöchern abgeknickt und schien in Ohnmacht zu fallen.
Neugierig trat er näher heran. Vielleicht war sie bereits gefoltert worden. So etwas war keine Seltenheit.
Ein alter Mann, in zerlumpter Kleidung, der auf der Plattform kauerte, streckte bettelnd die zitternde Hand aus. Bartel warf ihm eine Münze in den Schoß, die er gierig krallte. Er wollte mehr über die Frau wissen, hatte jedoch keine Lust mit dem verlausten Kerl zu sprechen. Deshalb deutete er mit dem Kinn in ihre Richtung und grunzte fragend.
Der Bettler stierte auf ihr wirres, blondes Haar, das in den Strahlen der untergehenden Sonne rötlich glänzte. Brabbelnd rollte er mit den Augen.
Geduldig lauschte Bartel seinem Gestammel: Das Weib sei eine grauenvolle Hexe, fähig, ganze Städte ins Unglück zu stürzen. »An den Pranger mit ihr! An den Pranger!«, krächzte er immer wieder und fuchtelte drohend mit seiner knotigen Hand. Soso, eine Hexe.
Bartel betrachtete sie nachdenklich. Er hasste all diesen Hokuspokus, Hexenwerk und Aberglauben, der im ganzen Königreich Fürstenwendt weit verbreitet war. Die Kirche empfand er als Grundübel, denn sie unterjochte die Leute mit ihren strengen, unmenschlichen Gesetzen. Diese angeblichen Christen bereicherten sich am dummen Volk. Die einfachen Menschen waren nichts wert. Ein ausgestochenes Auge? Völlig gleichgültig. Bein verloren? Das kümmerte niemanden. Die kleine Stadt war voll mit bettelnden, stinkenden Krüppeln, die Pech gehabt hatten – mit Heuchlern, Geschäftemachern, Frömmelnden. Es war ohne weiteres üblich eine schwache Frau an den Schandpfahl zu stellen, weil sie blond, und womöglich begehrenswert war. Sie leiden zu sehen bot eine Genugtuung für all das Unbill, das einem selbst widerfuhr.
Nicht dass ihm Menschenleben sonderlich viel bedeuteten. In einer Zeit, in der das Gesetz des Stärkeren herrschte, konnte kaum jemand einem geübten Kämpfer wie ihm etwas entgegensetzen. Er war davon überzeugt, nicht aus niedrigen Beweggründen zu töten. Aber als Söldner war der Tod sein Geschäft und gehörte zu seinem Überleben wie das Atmen.
Die Frau stöhnte und hob den Kopf. Sie flüsterte undeutlich. Ein kurzer Blick unter ihrem zerwühlten Haar. Er neigte sich zu ihr. »Hilf mir«, keuchte sie leise. Dann schwang ihr Haupt wieder kraftlos hinab. Grün. Sie hatte grüne Augen.
Bartel sah sie erstaunt an. Er war kein hilfsbereiter Mensch. Deshalb wunderte er sich, dass ihr Flehen ihn so beeindruckte. Es hatte ihn sogar tief berührt und etwas in ihm geweckt, das er nicht so recht deuten konnte.
Ich will sie haben, dachte er. Wenn mich mein Bauchgefühl nicht täuscht, ist die blonde Hexe mit dem drallen Arsch genau die Richtige für mich. Ob sie wohl einen Mann und Kinder hat? Er fegte den Gedanken sofort beiseite, denn sein Entschluss reifte in Windeseile. Er war lang genug allein gewesen. Diese Gelegenheit würde er beim Schopf packen.
Mit festen, entschlossenen Schritten ging er den Weg zum Wirtshaus zurück, dessen Schankstube inzwischen fast ausgestorben war. Nur ein alter Säufer lag mit dem Kopf in einer Bierlache und schnarchte. Im Hintergrund der Kneipe wieselte ein dürres, schwarzhaariges Kerlchen umher, das vergeblich versuchte sich nützlich zu machen, indem es vor dem unwillig blickenden Schankwirt Krüge einsammelte und die Spucknäpfe leerte.
»Lass das sein, Maus«, herrschte der Wirt den Mann an. »Hier gibt es nichts zu verdienen!«
Dieser arme Hund kam ihm gerade recht. Bartel winkte ihn zu sich.
Der magere Kerl blinzelte ihn unter schwarzen, verfilzten Haaren fragend an.
»Hör zu Maus, ich habe eine Aufgabe für dich.«
Dabei klimperte er mit den wenigen Münzen in seiner derben Jacke, um die Aufmerksamkeit des Kerlchens zu erregen. Er senkte die Stimme. »Draußen am Pranger ist eine. Ich will nicht, dass jemand sie belästigt.« Bartel bückte sich, zog sein Ersatzmesser aus dem linken Stiefel und steckte es ihm unter dem Unterarm verborgen zu. »Du sorgst dafür, dass sie heute Nacht Ruhe hat. Ich komme morgen früh und nehme sie mit – und das Messer darfst du danach behalten. Ist das klar?«
Bartel näherte sich Maus bis ihre Nasen fast zusammenstießen und fletschte bedrohlich die Zähne. Der Mann wich zurück, nickte jedoch eifrig, seine hochstehenden Haare wippten. Ein lächerlicher Anblick. Er verstand offensichtlich, dass mit Bartel nicht zu spaßen war, und er sich besser an ihr Geschäft hielt, statt einfach mit dem Messer das Weite zu suchen.
Nachdem Maus davongehuscht war, rieb Bartel sich die Stirn. Allmählich spürte er die Müdigkeit, die schwer in seine Glieder kroch. Er warf dem neugierig gaffenden Wirt einige Münzen für die Schlafstelle zu und ging müde in die Scheune neben der Schenke. Die Einstreu roch muffig. Die ganze Stadt war ein stinkendes Loch. Er würde im Morgengrauen aufbrechen – diesen Moloch hinter sich lassen. Aber das gedachte er nicht allein zu tun. Bartel ließ sich ins Stroh fallen und schloss die Lider.
Kapitel 2 - Auf dem Weg
Gleichgültig, ob er am Abend zuvor betrunken gewesen war oder nicht – jeden Tag im Morgengrauen wachte Bartel schlagartig auf.
Als er die Augen öffnete und auf seine morgendlich eingeengte Hose blickte, kamen ihm sofort die Frau und sein dreister Plan in Erinnerung. Da er gehört hatte, dass die Delinquenten am Pranger immer in der Morgendämmerung von ihrem erniedrigenden Los befreit wurden, war keine Zeit zu verlieren.
Er wühlte sich aus dem Stroh und ging zur Pferdetränke. Ohne zu zögern, tauchte er seine mit vielen Narben bedeckten Hände in das braune Wasser und schüttete es sich über das zottelige Haar, verrieb es in seinem dichten, schwarzen Bart. Übelriechend troff es in den Nacken. Aber was war ein solcher Geruch in einer Stadt, in der die Leute ihren Müll aus dem Fenster kippten und ihre Notdurft in den Straßen verrichteten? Es war Zeit zu gehen.
Bartel machte sich auf den Weg zum Marktplatz. Als er ankam, sah er, dass Soldaten der Stadtwache dabei waren, die Blonde aus ihrer entwürdigenden Haltung zu befreien. Maus stand grinsend daneben und reinigte sich die Fingernägel mit seinem neuen Messer. Er ließ es blitzschnell in seiner Jacke verschwinden und fing die Frau geschickt auf, bevor sie zu Boden stürzen konnte.
Mit einem Satz war Bartel auf dem Podest, nahm sie ihm aus dem Arm und sagte laut zu ihr: »Na Erna, das hast du jetzt davon!« Wie selbstverständlich warf er sich die Frau über die Schulter. Das Ganze wirkte vertraut und fließend. Die uniformierten Wächter grinsten breit und stellten keine Fragen. Sie hielten ihn vermutlich für den bedauernswerten Ehemann der Hexe. Bartel nickte Maus kurz zu.
Ohne zu zögern machte er sich auf den Weg durch die engen, verschmutzten Gassen Richtung Stadtmauer. Seine Schritte hallten auf den Pflastersteinen. Volkesleben war um diese Zeit menschenleer. Das hatte einen triftigen Grund. Überall wurden unvermittelt Fenster aufgerissen, um die nächtliche Notdurft nach draußen zu entsorgen.
Hoppla! Er musste zur Seite springen. Jemand entleerte schwungvoll seinen Nachttopf auf die Straße. Er war schnell, denn die Frau auf seinem Rücken stellte kein Hindernis dar. Sie wog nur so viel wie ein Sack Weizen – für ihn ein Leichtgewicht. Besonders gut gefiel ihm, dass sie kleiner war als er selbst.
Bartel grinste und schritt weiter, hinaus aus der Stadt. Als Knabe hatte er unter seiner fehlenden Körpergröße gelitten. Mit dem ersten Bartwuchs begann sein Leib in die Breite zu gehen. Die Spannweite seiner Schultern legte im Laufe der Jahre mächtig zu, so stark, dass es ihm gelegentlich Schwierigkeiten bereitete, durch manche Türe zu passen. Inzwischen war ihm seine Größe gleichgültig geworden, denn er besaß Bärenkräfte.
Zielsicher passierte er das Stadttor. Einige letzte Kornfelder lagen wogend in der fahlen Morgensonne – etwas weiter lockte der dunkelgrüne Wald. Bartel schritt zügig aus. Er war nicht lange in der Stadt gewesen – nur zwei Tage, bis er alles erfahren hatte – aber diese kurze Zeitspanne erschien ihm widerwärtig genug. Er wollte Volkesleben so schnell wie möglich hinter sich lassen. Er atmete tief durch, ein Luxus, auf den er in der Stadtluft verzichtet hatte, marschierte und witterte mit seiner feinen Nase in die kühle Morgenluft. Als er endlich zwischen die ersten, sich ihm entgegen wiegenden Tannen schritt, fühlte er sich wie befreit. Die Bäume rauschten im morgendlichen Wind und die Frau auf seiner Schulter murmelte leise.
Da stimmte etwas nicht! Er hielt an und horchte. Er wurde verfolgt. Bartel drehte sich unvermittelt um und sah Maus hinter einem Baumstamm verschwinden. »He da! Was soll das?«
Maus merkte offensichtlich, dass es sinnlos war, sich länger zu verstecken. Er kam geduckt und diensteifrig auf ihn zu. »Bitte Herr, nehmt mich mit! Ich bin hilfreich! Ich kann vieles! Ich esse wenig!«
»Ich brauche keinen Knecht.« Bartel blickte den lästigen, dünnen Mann missmutig an.
»Dann lasst mich der Dame dienen«, flehte Maus mit blinkenden, schwarzen Augen.
Dame! Eine soeben vom Pranger geholte Hexe!
»Ich bin ein guter Koch«, versuchte Maus ihn zu erweichen.
Bartel öffnete den Mund für eine recht unwirsche Erwiderung, jedoch hatte sich sein Magen offensichtlich auf Mausens Seite geschlagen, denn er knurrte laut und deutlich.
Also schwieg er. Es war klug, ein solches Angebot auszunutzen. Er überlegte: »Na gut, ich bin noch eine Zeitlang unterwegs. Zeig, was du kannst. Bring zu essen und zu trinken!«
Maus nickte eifrig und eilte zwischen den moosbewachsenen Baumstämmen davon.
»So ein Narr«, brummte Bartel. »Na, den bin ich los.« Er rechnete nicht damit, Maus noch einmal wiederzusehen. Der würde ihn sicher nicht so ohne weiteres im Wald wiederfinden.
Er wanderte eine Weile, als die Frau sich regte. Vorsichtig ließ er sie auf ein dickes, grünes Moospolster gleiten. Endlich konnte er sie ausgiebig im Tageslicht betrachten. Ihr blondes, fast hüftlanges Haar gab ihr verschmutztes Antlitz frei und ringelte sich im Moos. Dort wo kein Schmutz klebte, zeigte sich eine weiße, zarte Gesichtshaut mit winzigen hellen Flaumhärchen. Sie besaß eine hohe geschwungene Stirn, eine gerade Nase und volle, jetzt qualvoll verzerrte, Lippen. Ihr Gesicht erhielt eine eigenwillige Herzform durch breite Wangenknochen und ein kleines, spitzes Kinn. So sah keines der üblichen grobschlächtigen, rotgesichtigen Bauernmädchen der Gegend aus.
Sein Blick wanderte weiter. Ein graues, fleckiges Kleid und ein hellbraunes Mieder. Ihre Brust hob und senkte sich heftig und er bemerkte entzückt einen wundervoll üppigen Busen. Dazu eine schlanke Taille und geschwungene, runde Hüften. Der zerfetzte Rock ließ kräftige Beine erahnen. Ihre verschmutzten kleinen Füße schauten unter dem Saum hervor. Bartel merkte, wie ihm die Wärme in die Lenden stieg. Eine Frau nach seinem Geschmack.
Sie schlug die Augen auf. Er starrte sie an. Im Zwielicht der sonnendurchfluteten Baumkronen war ihm, als blicke er in zwei tiefgründige Waldseen. Was ist nur mit dir los, Bartel?, dachte er. Wirst du jetzt gefühlvoll? Er gab sich im Inneren einen derben Rüffel.
»Was glotzt du so?«, zischte sie trotz ihrer offensichtlichen Schmerzen. Sie wollte sich aufrichten. »Wer bist du überhaupt?«
»Ich bin Bartel. Ich habe dich gerettet«, knurrte er – konnte einen Anflug von Stolz in seiner Stimme nicht vermeiden. Er hatte schließlich einiges wegen ihr riskiert und auch investiert.
»Ich kenne dich nicht«, krächzte sie und griff mit den Händen ins Moos um sich emporzustemmen. Jedoch knickten ihre Handgelenke ein und sie sank zurück.
Er betrachtete ihre kläglichen Versuche, ohne ihr zu helfen. Sie sollte jetzt, verdammt noch mal, da sitzen bleiben, geschwächt, wie sie war.
»Ich habe dich am Pranger beschützt und aus der Stadt gerettet«, beeilte er sich zu sagen.
»Du lügst! Mich hat so ein dünner Kerl bewacht!«
»Ja, das stimmt. Maus hat das in meinem Auftrag getan.«
»Wo willst du mit mir hin?«
Sie war völlig erschöpft, stellte aber ihre Fragen mit bewundernswerter Eindringlichkeit.
»Ich bringe dich zu meinem Haus. Dort kannst du dich erholen.«
Bartel hasste es sich rechtfertigen zu müssen – sich als den rechtschaffenen Gesellen auszugeben, der nur ihr Bestes wollte. Er brauchte Unterstützung. Nun hätte er Maus doch gut gebrauchen können.
Wie gerufen kam der dürre Mann zwischen den Bäumen hervor, in beiden Händen große Blätter, die er an den Kanten zusammenhielt. »Wasser?« Er reichte ihm ein triefendes Blatt, kniete sich neben die Frau und träufelte Wasser in ihren leicht geöffneten Mund. Sie seufzte und ließ sich zurücksinken. Es sah aus, als hätte sie sich in ihr Schicksal ergeben. Maus und er wechselten einen Blick. Nachdenklich trank Bartel sein Blättergefäß leer.
Sie öffnete erneut die Augen. »Nun gut.« Sie versuchte, ihrer Stimme Stärke zu verleihen. »Ich bin Engellin.«
»Kannst du alleine laufen, Engellin?«, fragte Bartel. Sie machte wiederholt Anstalten sich aufzurichten und dieses Mal packte er sie unter den Achseln und half ihr hoch. Ein Schritt und ihre Beine knickten wieder ein. Sofort war er an ihrer Seite und hielt sie fest, ließ sie ins Moos sinken. Das hatte keinen Sinn.
»Wir machen hier Rast. Was gibt es zu essen?« Jetzt würde sich zeigen, wie fähig Maus war.
Der nickte eifrig und begann in den Taschen seiner speckigen, geräumigen, Jacke zu wühlen. Zuerst brachte er etliche kleine Wildäpfel ans Tageslicht, dann erschienen einige Hände voller Brombeeren und zum Schluss ein etwas zerdrückter, großer Steinpilz. »Darf ich für die Dame kochen?« Seine blanken Mausaugen blinkten beflissen.
»Ja, mach das«, seufzte Bartel. Er neigte misstrauisch den Kopf. Das Essen entsprach von der Menge her in keiner Weise seinen gewohnten Portionen. Auch war er kein großer Freund fleischloser Kost. Er musste seinen Hunger wohl bis zu Hause aufheben. Aber immerhin kam Engellin auf diese Art wieder zu Kräften.
Maus entfachte ein kleines Feuer, briet auf einem flachen Stein über der Glut den Steinpilz und streute die kleingeschnittenen Äpfel darüber. Er würzte das Ganze mit einer Handvoll wildem Majoran. Es duftete verführerisch. Nein, er konnte sich nicht beschweren – Maus hatte die ihm gestellte Aufgabe gut gelöst. Den würde er ebenfalls mit auf den Hof nehmen.
Er war eingenickt. Als er die Augen öffnete, sah er seine beiden Begleiter miteinander flüstern. Sofort war er vollends wach.
»Was gibt’s? Was habt ihr zu tuscheln?«, fuhr er Engellin misstrauisch an.
Sie sah ihn müde an: »Ich brauche Kräuter und Maus soll sie mir holen.«
Kräuter? Nun gut, daran war ja nichts Verdächtiges. In ihrem Zustand würde sie wohl kaum versuchen, ihm irgendwelche Giftkräuter zu verabreichen, um ihn loszuwerden. Er wandte sich zu Maus. »Wir gehen nach Westen. Sieh zu, dass du uns einholst.«
Maus nickte und huschte davon.
Vorsichtig lud er sie sich wieder auf die Schulter und stapfte los. Hoffentlich machte er mit ihr keinen Fehler. So undurchsichtig, wie sie ihm auch immer noch erschien, hatte er doch ein gutes Gefühl. Ihr Wesen schien stark zu sein, aber weich und fraulich. Genau diese Mischung zog ihn an. Er hatte seine Zeit bisher mit Huren vertändelt. Nun wollte auch er eine Frau zu Hause, die auf ihn wartete.
Er dachte an die vergangenen Jahre zurück und an sein unstetes Leben. Meist war er in der Gesellschaft anderer Söldner oder wechselnder Bandenmitglieder gewesen, ständig auf der Suche nach Geld und Gut. Sie hatten sich im Norden eine Menge Feinde gemacht mit ihrer Wegelagerei und den Überfällen, deshalb mussten seine Spießgesellen und er den Standort wechseln. Nun plante er den Osten auszubeuten. Nur aus diesem Grund hatte er sich in Volkesleben umgehört. Wie er dem Geplapper der Gäste im Wirtshaus und den Einwohnern des Städtchens entnommen hatte, wurde das waldreiche Gebiet um die Stadt durch drei Personen dominiert: Fürst Mordersberg, der eine recht respektable Burg zu besitzen schien, dem jungen Gutsherrn Münzbach, dem der Tribut etlicher Dörfer zustand und einem verhassten Menschen namens Freiherr Warrenhausen. Von diesem war nichts Gutes zu hören. Ein Geldverleiher, Halsabschneider und Verbrecher, der, den Reden der Wirtshausgäste nach zu schließen, Mordersberg mit Neid betrachtete. Noch wusste Bartel nicht, wie er diese Umstände zu seinem Vorteil nutzen konnte.
Nachdenklich kratzte er seinen Bart. Verflucht! Wieder Läuse! Angewidert schleuderte er das Krabbeltier, das er in seinem Barthaar zu fassen bekommen hatte, von sich. Es war an der Zeit sich zu scheren und zu waschen. Bei dem Gedanken an ein Bad kräuselte er die Nase. Er war kein großer Freund von Körperpflege. Nun begann es auch unter seiner geliebten Mütze zu jucken. Abneigung hin oder her – er würde baden müssen, sobald er den Hof erreichte.
Der Hof. Er war stolz, seine Gesellen an diesen Ort geführt zu haben, denn er war verborgen, nicht einsehbar und bot fließendes Wasser. Dort floss ein Bach, der dem nahe gelegenen Felsmassiv entsprang. Was er als Hof bezeichnete, waren einige kleine, aneinander gelehnte Blockhütten, die sie, mitten in dem weitläufigen Waldgebiet, in den Schutz einer großen Felsformation gebaut hatten. Er kannte diesen Ort noch aus seiner Jugend. Der riesige Fels türmte sich zackig und gigantisch auf. In der Felswand befand sich die Öffnung zu einem Höhlengewirr. Als Halbwüchsiger hatte er diese Höhlen neugierig erkundet und festgestellt, dass sie Ausgänge in alle Himmelsrichtungen besaßen.
Als der Norden ausgeblutet war, erinnerte er sich an diesen Platz und errichtete dort zunächst für sich ein einfaches Holzhaus direkt vor einem Höhleneingang. Er hatte die Öffnung im Felsen während des Hausbaus wohlweislich mit Steinen zugeschichtet und diese noch hinter Zweigen versteckt. Er wollte dieses Geheimnis weiterhin bewahren – auch seinen Spießgesellen gegenüber. Die Hütte bestand aus einem Zimmer. Nach einiger Zeit hatte Bartel einen Stall angebaut mit einer Esse, an der er seine Schmiedearbeiten machte. Er war ein recht guter Schmied und stellte akzeptable Waffen her, was ihm den Respekt seine Kameraden einbrachte.
Bartel seufzte. Respekt. Das war so eine Sache auf dem Hof – genau so hart durchzusetzen wie Disziplin. Sie hatten dann begonnen nach seinem Vorbild weitere Häuser unter den Felsvorsprung zu bauen, die nun alle gemütlich und warm aneinander lehnten.
Das Bauvorhaben war mit Schwierigkeiten verbunden gewesen, denn die beiden Junggesellen Rudger und Volmar weigerten sich ein gemeinsames Heim zu beziehen, während Arnest und Godeke weiterhin im Freien kampieren wollten. Sie hielten einen Hüttenbau für unnötig.
Rudger besaß das einzige Pferd auf dem Hof, einen braunen Wallach, den er bei einem der Raubzüge im Norden erbeutet hatte, und den er sorgsam pflegte. Also beschlossen sie zwei Häuser zu bauen – ein winziges für Volmar, in das kaum die Schlafstatt und ein kleiner, gemauerter Ofen passte, und eins für Rudger und den Gaul, mit einer großen Türe. In der dritten Bleibe wohnte der gutmütige Burghard, der als einziges verheiratetes Bandenmitglied seine voluminöse Ehefrau Beate überall mit hin schleppte.
Zu den beiden unter dem Felsvorsprung kampierenden Spießgesellen Arnest und Godeke gesellten sich die Huren Herlinde und Elsbeth. Niemand wusste, woher sie gekommen waren. Wer von den Dirnen zu welchem Mann gehörte, hatte Bartel bisher nicht verstanden. Er vermutete, dass Arnest Elsbeth gelegentlich feilbot. Er hatte nie gefragt, denn mit dieser Art von Geschäft wollte er nichts zu tun haben.
Diese Bande zusammenzuhalten ging oftmals nur mit Gewalt. Bartel seufzte, dieses Mal lauter. Ständig musste er Stärke beweisen. Von seiner Fähigkeit die finsteren Gedanken der anderen im Voraus zu ahnen, hing ab, ob sie ihn weiterhin in der Führungsrolle billigten. Überleben und gewinnen konnte nur, wer gewissenhaft plante, die Bedenken der Kerle mit Vehemenz ausräumte und möglicherweise auftauchende Hindernisse mit einbezog. Nach anfänglichen Streitigkeiten hatte sich erwiesen, dass er dieser Führer war. Seit er mit Umsicht und Durchsetzungsvermögen die Überfälle und Aufträge organisierte, ging es der Bande gut.
Gelegentlich dachte er daran, allein seiner Wege zu gehen, was aber in den harten und vor allen kriegerischen Zeiten, nicht ratsam war. Glücklicherweise waren die Männer im Moment satt und ruhig, denn der letzte Raubzug auf die weit nördlich gelegene Burg Steineck hatte ihnen fette Beute gebracht. Außerdem, Bartel blickte zu den sich langsam rötlich färbenden Bäumen, stand der Winter vor der Tür und es war Zeit Brennholz zu schlagen und zu jagen. Eine gestohlene Kuh und zwei Schweine wohnten bereits im Stall. Während er darüber nachdachte, ob die vier Menschen vor seiner Tür wirklich die kalte Jahreszeit im Freien verbringen wollten, regte sich Engellin wieder.
»Wo gehen wir hin?«, fragte sie. »Ist es noch weit?«
»Wir sind bald da«, antwortete er.
»Ist Maus mit den Kräutern zurück?«
Er blickte sich um. Maus war nirgendwo zu sehen. »Nein.«
Engellin seufzte.
»Brauchst du eine Pause?«, fragte er und ließ sie auf den Boden gleiten. »Was ist mit dir?«
Engellins Sumpfaugen wurden dunkel und füllten sich mit Tränen. »Ich muss meine Wunden versorgen«, hauchte sie. »Ich habe Angst.« Sie senkte den Kopf und hob ihren Rock ein wenig an. Sie gab den Blick frei auf ihren mit rotbraunen Flecken übersäten Unterrock. Blut! Verflucht!
»Was ist passiert?« Er presste diese Frage wütend zwischen den Zähnen hervor – ahnte bereits, was sie erwidern würde.
»Sie haben mich gefoltert«, stöhnte sie. Frau, Unterleib, Blut. Bartel konnte sich ausmalen, was da geschehen war.
»Sie haben einen ...« Engellin weinte jetzt. Dicke Tränen quollen aus ihren Augen.
Verdammt! Verdammt! Diese Schweine! Das war die Bestätigung. Aber er hatte nur auf sein Bauchgefühl gehört. Wenn er das gewusst hätte. Nun war es zu spät. Er wollte sie bei sich haben. Sie gefiel ihm. Vielleicht sogar ein bisschen mehr als das. Wenn sie nun starb? Er schluckte.
»Hör zu! Das kriegen wir hin! Auf dem Hof wirst du dich ausruhen und behandeln. Verstanden?« Sie hatte die nassen Augen geschlossen. Er schüttelte sie leicht.
In dem Moment legte sich eine Hand auf seinen Arm. »Nicht schütteln«, raunte Maus. »Ich habe die Kräuter.«
»Gut!« Bartel erhob sich schnell und lud Engellin wieder auf die Schulter – dieses Mal vorsichtiger. Nun fielen ihre unbeweglichen Beine erst richtig auf, sie baumelten schlapp herunter. Auch erschien sie ihm dieses Mal schwerer als zuvor.
»Lass uns gehen, Maus. Es ist nicht mehr weit.«
Kapitel 3 – Der Hof
Durch die Bäume schimmerte die Felsformation, die das Ende ihres Weges ankündigte. Es dämmerte. Mit festen Schritten ging er das letzte Stück, bis sich vor ihm der riesige, gezackte Felsvorsprung auftürmte und die kleinen Holzhäuser sichtbar wurden, die sich unter diesem steinernen Giganten schutzsuchend an den Fels drängten. Dünne Rauchfahnen schlängelten sich aus den Dächern zweier Häuser. Bartel runzelte die Stirn und blieb stehen. Wer, zum Teufel, war da in seiner Hütte?
Maus prallte gegen ihn, da er gebannt auf den Anblick gestarrt hatte, der sich bot. »Großartig!« Er pfiff bewundernd durch die schiefen Zähne.
Der Ton wurde gehört. Aus dem Schatten des Felsgiganten lösten sich zwei riesige Gestalten, groß wie Kälber. Bartels zottelige Hunde, Max und Fox! Sie knurrten, bereit ihnen an die Kehle zu springen. Sie bellten nicht, denn das hatte er ihnen verboten. Er schnalzte leise. Sofort verwandelte sich ihre Abwehrhaltung in aufgeregte Luftsprünge.
»Halt!«, rief er schnell, um nicht von ihrer Begrüßungsfreude umgeworfen zu werden. Er musste laut lachen, als er sah, dass Maus hinter ihm auf dem Boden kauerte, zu einer kleinen Kugel gerollt, die Arme schützend über dem Kopf. Fox und Max bremsten, die Augen blitzend und die aufgerissenen Mäuler mit den blanken, weißen Reißzähnen lachend und glücklich zu seinem Gesicht emporgehoben.
»Maus ist gut«, sagte er zu den aufgeregten Tieren.
Die beiden großen Hunde beschnupperten den ängstlich fiependen Maus. Sie stupsten ihn mit den Schnauzen an, als wäre er ein Igel, den sie dazu auffordern wollten, sich aufzurollen. Aber ihre Aufmerksamkeit war plötzlich abgelenkt, traf auf Engellins Gewand. – Das blutige Unterkleid erregte ihre Neugier.
»Schluss jetzt!«, befahl Bartel. Augenblicklich ließen Max und Fox von Engellin ab und sprangen freudig an seiner Seite, bis sie den Hof erreichten.
Alles war ruhig. Bartel legte Engellin vor seiner Blockhütte auf eine hölzerne Bank und nickte Maus zu, der sich sogleich wortlos daran machte, sie in eine bequeme Lage zu betten. Er stapfte in sein Haus, verscheuchte ein paar laut gackernde Hühner mit dem Fuß und ging schnurstracks zu seinem Strohbett. Dort ruhten Godeke und die Hure Elsbeth nackt in inniger Umarmung und schliefen. Im Kamin glomm ein großer Holzklotz und warf einen rotgoldenen Schein auf ihre weißen Körper.
Das war eine Frechheit! Zorn stieg in ihm hoch. Er beugte sich vor, packte Godeke am Ohr und zog ihn gnadenlos in die Höhe. Der Mann strampelte und schrie vor Schmerz. Er ruderte mit dem rechten Arm – sein Armstummel auf der linken Seite zuckte grotesk. Er versuchte nach ihm zu greifen, doch Bartel verdrehte ihm mit der anderen Hand den gesunden Arm. Godeke wehrte sich wimmernd – bis er Bartel erkannte.
»Bartel!«, stieß er rau hervor und dann noch einmal schuldbewusst: »Bartel!« Bartel zog den anderen am Ohr bis nah an sein Gesicht.
»Was hast du in meinem Bett verloren? – Fickt sich`s gut darin?«
»Aua!«, keuchte Godeke. »Lass mich los!«
Er ließ ihn so fallen, dass er auf Elsbeths mageren Körper krachte. Die fuhr mit einem Schmerzenslaut hoch.
»Raus! Wenn ihr zu faul seid, euch Häuser zu bauen, ist das nicht mein Problem!«, blaffte er.
Godeke und Elsbeth rafften ihre Kleidung vom Boden auf und zogen sich rasch an.
»Wo sind denn die anderen?«
Godeke vermied, ihm in die Augen zu schauen: »Auf der Jagd, nehme ich an. Nur Beate ist noch hier. Du warst ja tagelang unterwegs, da dachten Elsbeth und ich …«.
Bartel winkte ab. Für ihn war der Fall bereits erledigt. Er warf die beiden raus und fertig. »Lass gut sein. Ich habe eine Frau für mich mitgebracht. Sie ist krank und braucht Ruhe und Pflege. Lasst mich jetzt allein.«
Mit gerunzelten Brauen beobachtete er, wie die zwei sich langsam rückwärts gehend zurückzogen, als hätten sie Angst, ihm den Rücken zuzukehren. Er schüttelte unwillig den Kopf und lief, um Engellin zu holen. Unter den neugierigen Blicken von Godeke und Elsbeth trug er sie ins Haus und wollte sie auf das Strohlager legen.
»Nein«, flüsterte sie, »bitte kein Stroh. Heu. Möglichst frisches.«
Maus, der hinter ihm über die Schwelle getreten war und sich im Zimmer umsah, reagierte sofort und sah ihn fragend an.
»Nebenan im Stall.«
Wenig später kam Maus mit den Armen voller duftendem Heu zurück, scharrte mit den Füßen das verschmutzte Stroh von der Bettstatt und verteilte das Heu darauf.
»Hast du sauberes Leinen und etwas Ziegenleder?«, bat Engellin. Sie lehnte entkräftet an der Wand, hielt sich an einem Holzbalken fest. »Darf Maus mir weiter zur Hand gehen?«
Bartel nickte Maus zu und sah zu dem unter einem vorgehängten Sack verborgenen Höhleneingang. Er kannte weder Engellin noch Maus gut. In einer der Felsengrotten stand eine Truhe mit Kleidungs- und Wäschestücken. Darin war bestimmt auch ein ordentliches Stück Stoff. An der Decke einer der Höhlen hing etliches an Pelz und Leder. Aber wie sollte er das holen, ohne den Eingang zu verraten?
Er sah, dass Engellin vom Fieber geschüttelt wurde. Sie würde nicht bemerken, was er tat. Und Maus? Der legte ihr prüfend die Hand auf die Stirn. Vor ihm würde er sowieso nichts für lange Zeit verbergen können. Entschlossen schob er den Sack zur Seite und verschwand in der Höhle.
Bartel liebte die kühle Felsenhöhle. Sie diente als Versteck für seine Beute, aber auch als gut temperierte Vorratskammer. Außerdem kam in einem der Felsengänge der Bach zum Vorschein, so dass er ständig frisches Wasser zur Verfügung hatte.
Rasch fand er das Gesuchte und kehrte zu den beiden ins Haus zurück. Maus hatte bereits das Feuer neu entfacht und war dabei einen Sud aus den Kräutern herzustellen, die er in Engellins Auftrag gesammelt hatte. Er nahm Bartel das Leinen aus der Hand und breitete es auf dem Heu aus. Dann geleitete er Engellin zum Bett und ließ sie niedergleiten. Bartel stand hilflos daneben und wusste nicht wohin mit seinen Händen. Er fühlte sich plötzlich überflüssig.
Bartel sah, wie Maus nach Engellins leiser Anweisung das Ziegenleder vorsichtig mit der Messerspitze perforierte. So langsam wurde ihm klar, was sie vorhatte. Er drehte sich zur Seite. Nein, er wollte nicht auf das schauen, was man ihr angetan hatte. Er beschloss, die beiden allein zu lassen und Beate zu besuchen. Wahrscheinlich hatte sie etwas auf dem Herd brutzeln für einen hungrigen Mann wie ihn – und vielleicht noch ein Bier. Unverzüglich wandte er sich zur Tür.
»Bartel?« Engellins Stimme war klar zu verstehen. Er drehte sich um und sah in ihrer Hand einen kleinen, leicht tropfenden Lederball, der mit dem Pflanzensud gefüllt war. Sie saß breitbeinig auf dem Lager, aber ihre Röcke bedeckten ihre Scham.
»Was?« Er klang barscher als beabsichtigt.
»Danke, Bartel«, flüsterte sie heiser. Ihre grünen Augen glommen. Bartel verließ fluchtartig das Haus.
Die Tür des Nachbarhauses war nur angelehnt. Beate, die pummelige Frau seines Kumpels Burghard, stand gebückt vor einem riesigen Kochtopf, der über der Feuerstelle hing. Er knallte die Tür zu, damit sie ihn hörte. Sie wandte sich flinker um, als man ihr bei ihrer Leibesfülle zugetraut hätte. Dann erhellte ein strahlendes Lachen ihr rundes Gesicht. Der Mund zeigte jede Menge Zahnlücken und braune Zähne.
»Bartel! Jungchen!« Sie eilte auf ihn zu und schlang die Arme um ihn. Immer behandelte sie ihn wie ihren Sohn, obwohl sie vermutlich gleich alt waren. Er kannte sein genaues Alter nicht.
Sie hielt Bartel am lang ausgestreckten Arm vor sich und musterte nachdenklich sein Gesicht. »Was habe ich denn da gehört? Eine neue Frau auf dem Hof?«
Wie zum Teufel hatte sie in dieser kurzen Zeit davon erfahren? Ihm fiel ein, dass sie bestimmt an den dünnen Wänden gelauscht hatte. »Ja, ich habe eine Frau mitgebracht. Aber sie ist krank und braucht Ruhe!« Eine Warnung lag in seiner Stimme. Was Engellin jetzt am wenigsten benötigte, war eine neugierige Beate, die an ihrem Bett herumlungerte und sie ausfragte. Maus war da und das reichte.
»Aber ich Armer!« Bartel blickte jammervoll. »Um mich hat sich lange niemand mehr gekümmert und ich habe einen Riesenhunger!« Er blinzelte mitleidheischend.
Sofort schwang Beates Stimmung um. »Na da hast du aber Glück, dass ich gerade Hirscheintopf koche!« Sie drängte ihn zu dem Holztisch in der Mitte des Raumes, um den einige Schemel standen. »Hinsetzen!«
Nun war sie in ihrem Element. Da Burghard und sie keine Kinder hatten, liebte sie es, sich Opfer zum Bemuttern zu suchen – eine Rolle, für die er sich gelegentlich gerne zur Verfügung stellte. Sie rührte in ihrem Kochtopf, rannte behände in der kleinen Stube hin und her und redete ununterbrochen.
Sie erzählte, dass die Dirnen wieder unverschämt gewesen wären, außerdem würde sie wetten, dass die Hure Herlinde schwanger sei. Sie ließ sich darüber aus, dass einige der Gesellen sich nie wuschen, unglaublich faul seien und teilte ihm ihre Bedenken mit, dass es wohl kaum möglich wäre, den Winter über unter einem Felsen zu kampieren. Sie befürchtete offensichtlich, dass Burghard die Männer aus Mitleid in ihre Hütte einladen könnte.
Während sie ununterbrochen schnatterte und er zustimmend nickte, sobald sie in seine Richtung blickte, packte sie einen Holzteller voller Hirschfleisch. Den stellte sie auf den Tisch, reichte ihm ein dickes Stück Fladenbrot und einen Steingut-Becher Bier. Endlich! Er schüttete das Bier in einem Zug herunter und hielt ihr mit bittendem Blick den Becher wieder hin.
»Na du bist mir einer!«, strahlte sie, aber füllte ihn sofort.
Dank Beate war er innerhalb kurzer Zeit darüber unterrichtet, was während seiner Abwesenheit auf dem Hof geschehen war: die üblichen Zankereien – nichts Besonderes. Beruhigt schaufelte er sich den Hirscheintopf mit einem Holzlöffel in den Mund.
»Und nun sag endlich, woher du die Frau hast!«
Er bemerkte, dass er ihr bereits eine Weile nicht zugehört hatte. Sollte er ihr die Wahrheit sagen? Bartel sah ihren heischenden Gesichtsausdruck und antwortete nur: »Sie ist die Schwester von Maus. Ich habe den beiden erlaubt, einige Zeit hier zu verbringen.« Neuigkeiten sammeln und erfahren, aber keine verbreiten – das war seine Spezialität.
Beate seufzte. »Na du wieder!« Sie tätschelte seinen Kopf. »Willst du die Mütze nicht mal zum Essen abnehmen?«
Das erinnerte ihn an die Läuse und an das überfällige Bad. Er beschloss, das Unvermeidliche am nächsten Tag in Angriff zu nehmen. »Danke für das Essen, Beate!« Er erhob sich, stopfte noch zwei große Stücke Fladenbrot in die Taschen, fing ihren flotten Lauf mit einem Arm ab und presste sie an seine Brust.
Sie kicherte. »Na dann gute Nacht!« Sie schob ihn freundschaftlich aus der Haustür in die kühle Nachtluft.
Bartel hatte Fox und Max verboten die Häuser zu betreten, deshalb warteten die beiden schweren Hunde draußen auf ihn. Er warf ihnen das Brot zu, das sie geschickt in der Luft fingen und sofort verschlangen. Sie wedelten freudig. Mit einem Seitenblick sah Bartel nach Godeke und Elsbeth. Sie kauerten eng aneinander gedrängt an einem kleinen, flackernden Feuer, das ihren einzigen Schatten riesig vor dem grauen Felsgestein erscheinen ließ.
Er fühlte, dass er nach dem Vorfall im Haus einlenken musste, deshalb ging er langsam, flankiert von den Hunden, zu ihnen. Die beiden sahen mit fragenden Gesichtern zu ihm auf.
»Wie wäre es, wenn wir mit dem Bau eurer Hütte begännen, bevor es Winter wird?«, fing er versöhnlich an.
Augenblicklich kam Leben in die Zwei. Godeke erklärte, dass sie mit dem Bau sofort nach Arnests Rückkehr von der Jagd beginnen würden. Die Holzstämme seien hergerichtet.
Bartel nickte zufrieden über deren Einsicht. Nun war eine erfolgreiche Überwinterung für alle gesichert. Er wusste, dass die Huren etliches Hirschfleisch gedörrt und einige der großen, ebenfalls gestohlenen, Steinkrüge mit Kohl und Gemüse gefüllt hatten. Voller Wohlbehagen dachte er an seine beiden schwarzen Wildschweinschinken. Einer hing kühl in der Höhle, der andere baumelte in seinem Haus in einer Ecke an der Decke. Kraut und Gemüse konnten fehlen, wenn es nach ihm ging.
Seine Gedanken waren abgeschweift und er hatte Godeke und Elsbeth nur noch mit halbem Ohr zugehört. Deshalb richtete er seine Aufmerksamkeit erneut auf ihre plappernden, im Feuerschein rötlich glühenden Gesichter. »Und stell dir vor Bartel, Herlinde ist schwanger!«
Er stutzte. Ein Kind? Von wem? In ihrer Lage? Er fasste sich augenblicklich. »Was für eine dumme Dirne«, stieß er hervor und grübelte einen Augenblick. Ihm war klar, dass das einen zusätzlichen Aufwand für die Gruppe bedeuten konnte, und nahm sich vor, keine Rücksicht darauf zu nehmen. Sollte Arnest sich um seine Hure kümmern. »Du wirst ihr hoffentlich nicht nacheifern, Elsbeth.« Die schüttelte den Kopf.
Er erhob sich. Das gute Essen machte sich bemerkbar. Lähmend fuhr ihm die Müdigkeit in die Knochen. Bartel winkte den beiden zu und ging mit schleppenden Schritten zu seiner Haustür. Er hatte genug gehört.
Die Hunde ließen sich auf ihren Plätzen vor dem Haus nieder. Er sah den roten Feuerschein unter der Tür schimmern, dachte an Engellin und beschloss die Nacht im Stall zu verbringen. Er mochte Tiere und ihre Ausdünstungen, die ihm nicht als Gestank erschienen.
Bartel drückte die warme Kuh zur Seite und warf sich auf den duftenden Heuhaufen in der Ecke des Schuppens. Er beglückwünschte sich, während seiner Abwesenheit der zuverlässigen Beate die Versorgung der wertvollen Kuh anvertraut zu haben. Wiederkäuend und zufrieden blickte das Tier ihn an. Er kratzte sich noch einmal ausgiebig, wühlte sich tiefer in das wohlriechende Heu und schlief ein.
Kapitel 4 - Tagträume
Prüfend schaute Bartel zum grauen Himmel. Von den Hunden begleitet, beladen mit sechs toten Kaninchen, die ihm auf dem Rücken baumelten, lief er durch den Wald in Richtung Hof.
Es hatte noch über einen Monat gedauert, bis Engellin wieder einigermaßen zu Kräften gekommen war. Zwischenzeitlich waren die Gesellen längst von der Jagd zurück. Nun ja, sie bezeichneten es als Jagd, aber im Grunde war es Wilderei, denn das Waldgebiet gehörte offiziell dem Fürsten Mordersberg. Bartel vermutete, dass der Fürst ziemlich wütend würde, sollte er davon erfahren, dass sie sich ihren Teil von seinem Wild sicherten. Das konnte in naher Zeit Ärger bedeuten. Er musste wachsam sein.
Das vierte Blockhaus war inzwischen fertiggestellt. Es lehnte links an Rudgers Hütte und war recht geräumig geworden. Grob aus Holzstämmen gezimmert, etwas schief, aber stabil bot es nun auch dem Rest der Gesellen, Herlinde und Elsbeth ein gutes Zuhause. Der Winter konnte kommen.
Maus hielt sich weiterhin in Bartels Haus auf. Allerdings schlief dieser nun im Stall und er selbst bei Engellin auf dem Heulager. Maus hatte sich als sehr nützlich und umsichtig erwiesen und sein Wissen war eine echte Bereicherung. So hatte er unter anderem die Kaninchenschlingen geschickt gelegt und Bartel brauchte die gefangenen Tiere nur noch einzusammeln. Zufrieden rückte er im Laufen den Stock mit den toten Kaninchen auf seiner Schulter zurecht.
Maus betete Engellin an. Ein Blick von ihr reichte, um ihn auf die Knie sinken zu lassen. Das war dem Mann nicht abzugewöhnen.
Und wie stand es mit ihm? Verehrte er sie ebenfalls? In gewisser Weise schon. Sie hatte so eine Art die Dinge gewaltlos zu lenken, die er bewunderte. Die Huren fraßen ihr schon aus der Hand. Die Gesellen betrachteten sie mit Ehrfurcht. Sie konnte ihre grünen Augen zum Blitzen bringen wie frisch geschliffene Messer und jedermann fürchtete auf der Stelle verhext zu werden, sollte er nicht ihrem Willen folgen. Das hatte er bereits einige Male amüsiert beobachtet.
Was ihn weniger belustigte war, dass sie zwar inzwischen den Haushalt führte und kleinere Arbeiten verrichtete, aber ihre Unterleibswunde nur langsam verheilte. Er fühlte sich magisch zu ihr hingezogen. Seine Bewunderung wechselte sich mit einer ungeheuren Begierde ab. Jedoch hatte sie ihn im Griff – er konnte es nicht anders sagen.
Bartel dachte an das Erlebnis vom Vortag und merkte, wie ihm beim Laufen Kraft in die Lenden schoss. Er beschloss zu rasten, hängte die pelzigen, steifen Kaninchenkörper so hoch es ging an einen Ast und ließ sich auf einem umgestürzten Baumstamm nieder. Diese Frau machte ihn wahnsinnig. Er streichelte den Hunden die schweren, an ihn herandrängenden Köpfe.
Sie hatte wieder einmal einen ihrer vorzüglichen Eintöpfe gekocht, mit denen sie versuchte, ihm pflanzliche Kost schmackhaft zu machen. Sie rührte konzentriert in dem großen schwarzen Kochtopf, als handele es sich um einen ihrer Heilkräutertränke. Als sie sich bückte, um Holz nachzulegen und sich ihr Hinterteil rund und einladend wölbte, trat Bartel schnell hinter sie und legte ihr die Hände auf die fülligen Hüften.
Sie stand steif, wie erstarrt.
»Hör zu, Weib«, murrte er, »wenn ich noch länger warten muss, platze ich!«
Sie wandte sich langsam um. Ein liebevolles Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Hab Geduld, Bartel. Bald ist alles gründlich verheilt und wir werden täglich der Fleischeslust frönen.«
»Ich will aber nicht mehr warten«, erwiderte er trotzig und streichelte ihre Brustwarzen durch das Kleid. Sie presste die Brüste fester in seine Handflächen und schloss genießerisch die Augen.
Unvermittelt blickte sie ihn an. Erstaunlich, ihre Augen waren plötzlich dunkelgrün und er meinte, in der Tiefe kleine, goldene Sterne glimmen zu sehen. Ein unergründliches Lächeln huschte über ihr Gesicht und ihre Wangen röteten sich. »Ich denke, ich werde dich trösten müssen.« Energisch schob sie ihn bis an ihr Schlaflager und drückte ihn sanft darauf nieder. Er war verblüfft und ließ es geschehen. Was kam denn jetzt? Er wurde aus ihr einfach nicht schlau.
Sie küsste ihn liebevoll, ihre flinken Hände strichen über seine Brust zu seiner Hose; lösten die geschnürte Öffnung zwischen den Beinen. Oh! Nun begriff er. Sie kniete vor ihm und lächelte zu ihm hinauf. Als sie anfing sein Glied zu küssen, war mit einem Mal alles verschwunden: der schummrige Raum, der brodelnde Topf, die winselnden Hunde vor der Tür, sein Verstand. Nie war eine Frau so zärtlich mit seiner Männlichkeit umgegangen. Sie saugte und knabberte, nahm ihn trotz seiner Größe, ganz in ihren weichen Mund auf. Er gab sich ihren geschickten Lippen hin, folgte stöhnend ihrem schnellen Rhythmus, bis eine riesige Welle ihn endgültig hinwegschwemmte und sein Saft ihren Mund überflutete.
Verdammt, war der Baum hart! Bartel öffnete die Augen. Seine Hunde beobachteten ihn erwartungsvoll. Über ihm baumelten die Kaninchen im kalten Herbstwind. Er erhob sich, zog seinen Umhang fester um den Leib. Seine Hose fühlte sich innen feucht an. Das war unangenehm. Fluchend und doch grinsend setzte er seinen Weg nach Hause fort. Dieses Weib machte ihn noch verrückt!
Das Buch gibt es als Ebook und Taschenbuch exklusiv bei Amazon
Texte: Elicit Dreams Verlag
Lektorat: Susanne Pavlovic
Tag der Veröffentlichung: 16.12.2015
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Clark