DUOCARNS – NICE GAME
von Pat McCraw
Band 8 der Duocarns Erotic Fantasy & Gay Romance Buchserie
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Die blassgoldenen Strahlen der auranischen Sonne drangen durch das Fenster des Gemachs, krochen über den bunt gefliesten Steinboden und schoben sich zu ihrem Bett, um sie im goldenen Licht zu baden. Verschlafen hob David den Arm, um sein Gesicht zu schützen. Nein, er wollte den Tag noch nicht beginnen. Dafür war ihre erste Hochzeitsnacht einfach zu schön gewesen. Behaglich hielt er die Augen geschlossen und genoss den wohligen Zustand seines Körpers. Sein Unterleib fühlte sich schwer und entspannt an und einmal mehr freute er sich über die schnelle Regenerationsfähigkeit, zu der die Unsterblichkeit ihm verholfen hatte. Was für eine Nacht! Ein Rausch aus Zärtlichkeiten, Küssen, geflüsterten Geheimnissen, die sich mit hemmungslosem, verschlingendem und heftigem Sex abwechselten, bis Tervenarius und er völlig verausgabt, ineinander verschlungen eingeschlafen waren.
Wie war das damals zu seiner Zeit als Mensch gewesen? Eine solche Nacht hätte ihm einen grauenvollen Muskelkater beschert und er würde zwei Tage lang dankend abwinkt haben, wenn man ihm einen Stuhl anbot. Dieser Gedanke brachte ihn zum Grinsen. Derartige Schmerzen und Peinlichkeiten gehörten nun seit fast einhundert Jahren der Vergangenheit an.
»Na, dir scheint es ja gut zu gehen«, brummte Tervenarius amüsiert. David öffnete die Augen und blickte zu seinem Schatz hoch, dessen Schulter er wie immer als Kopfkissen benutzte, und der ihn mit trägen Löwenaugen musterte.
»Oh ja.« David rollte sich ganz auf Tervenarius, schob die Arme auf seine breite Brust und legte den Kopf darauf. So konnte er das von der Sonne beschienene Gesicht seines Geliebten genau betrachten. In diesem Licht wirkte Tervs Haarflut wie silbern-weiße Schlangen, die sich über das Kissen ergossen.
»Ich bin wunschlos glücklich, Terv. Die Hochzeit war das schönste Fest, das ich jemals erlebt habe. Das Leben ist wunderbar.«
Tervenarius schloss die Augen, nickte und streichelte sanft Davids Haar, kraulte seinen Nacken, was David sogleich wieder in einen Dämmerzustand versetzte. Er spürte dem angenehmen Gefühl nach, das ihm einen wohligen Schauer den Rücken hinablaufen ließ, fühlte Tervs kräftigen und weichhäutigen Leib unter sich, warm und vertraut. Dabei lauschte er den Geräuschen aus der Residenz, den leisen Stimmen ihrer Freunde, dem Rauschen des Meeres durch das halb geöffnete Fenster.
Er hatte bewusst den wundervollen und intakten Planeten Sublimar für ihre Hochzeit gewählt. Es gab Zeiten, da war er froh darüber, nicht mehr in das zerstörte und verseuchte Antlitz der Erde sehen zu müssen. Terv und er wohnten gut beschützt in ihrem Haus in den Bergen oberhalb von Vancouver. Das unabhängige Energie-Haus lag versteckt und besaß eine eigene Quelle. Allglobalmeds, die Firma von Terv und Patallia, sowie Davids Unternehmen Tentasylum, befanden sich in einem bewachten Komplex im Firmenareal von Vancouver, der ihnen Schutz vor den alltäglichen Plünderungen bot. Alle Handelstätigkeiten mussten unter strengen Sicherheitsvorkehrungen abgewickelt werden, denn die Not veranlasste die Menschen sich zu nehmen, was sie brauchten, notfalls auch mit Gewalt. Die Tatsache, dass die durch den Klimawandel verursachten Überflutungen die Weltbevölkerung von fünfundzwanzig auf zehn Milliarden dezimiert hatte, änderte wenig. Der Meeresspiegel war um fünf Meter gestiegen und Länder wie die Philippinen oder die Bahamas gab es nicht mehr. Sie waren einfach weggeschwemmt. Völkerwanderungen, Kriege um das verbliebende Wasser, Seuchen und Krankheiten waren die Folge. Aber war der Tag auf Sublimar nicht viel zu schön, um an all das menschliche Elend zu denken?
Als hätte Terv seine Gedanken gelesen, fragte er »Möchtest du denn überhaupt noch auf die Erde zurück?«
Nein, von Wollen konnte nicht die Rede sein. Aber er war einfach nicht der Typ, der vor Schwierigkeiten davonlief. Überdies wusste David, dass Terv an seiner Arbeit hing. Er hatte beschlossen, den Menschen zu helfen, und die von ihm entwickelten Fungizide und Schmerzmittel bekämpften und linderten die Folgen der neuen Seuchen.
»Eigentlich seltsam, dass du aus einem Pilz ein Fungizid gewonnen hast. Der Pilz kämpft quasi gegen seine eigene Spezies«, dachte David laut.
»Das stimmt.« Terv ergriff ihn mit einem Arm, schob sich höher und zog ihn mit. Halb liegend, halb sitzend strich er David das wirre Haar aus der Stirn. »Patallia und ich haben es geschafft, einen neuen Pilz zu züchten, der das kann. Durch die immensen Produktionskosten verdienen wir allerdings nicht viel daran. Aber ich finde das akzeptabel.« Er blickte David prüfend an. »Das war auch nicht meine Frage. Wie stark belastet dich die Situation auf der Erde?«
David schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich bin kein Weichei, Terv. Wir halten dort aus, solange es geht. Wie lange wissen wir bereits, dass die Menschheit ins Verderben rudert?« Er beantwortete sich die Frage selbst: »Schon immer. Und trotzdem haben wir beschlossen zu bleiben. Ich werde jedenfalls mit meinen Projekten weitermachen.«
Wie erwartet nickte Tervenarius. Er wusste, wie stolz David auf seine Arbeit war, die sich mit der Entwicklung von Überlebens-Zelten und Strahlenschutzbauten befasste. Ihnen beiden war klar, dass die Menschheit aus ihrer Dezimierung nichts gelernt hatte. Nach wie vor regierten Geld, Machtstreben und Habgier die Welt.
»Aber irgendwann werden wir gehen müssen, David. Und dann kannst du entscheiden, auf welchem Planeten du leben willst. Ob auf Sublimar oder Duonalia.«
»Es gibt noch eine Möglichkeit. Wir könnten auf Renovamion wohnen«, schlug David vor.
Diese Worte brachten Terv zum Lachen. »Ich glaube nicht, dass wir dafür geschaffen sind, wie in der Steinzeit zu leben. Die Renovaren sind ein reines Bauernvolk. Oder möchtest du dorthin und diese Schildschafe züchten?«
Belustigt dachte David an die skurrilen Geschöpfe mit den kurzen, krummen Beinen und den flachen Körpern, die ständig mit riesigen Kulleraugen aus ihrer Wolle schauten und dabei pfiffen. »Mal sehen, Terv. Vielleicht für eine Weile. Die Milch hat mir geschmeckt.«
Genussvoll streckte sich David auf Tervs Leib aus, kuschelte seinen Kopf in dessen Halsbeuge und atmete tief ein. Er hatte schon vor längerer Zeit Tervs Schnupper-Verhalten übernommen. David konnte inzwischen genau die Stimmungen seines Geliebten erkennen, denn die Pilzsporen, mit denen er seine Haut aromatisierte, verrieten ihn. An diesem Morgen roch Tervenarius zart nach Vanille, gepaart mit einem fruchtigen Duft, den David nicht bestimmen konnte, und einem Hauch Moschus, der ihren lustvollen Sex der vergangenen Stunden verkörperte. Während er einatmete, veränderte sich der Geruch und bekam ein säuerliches Aroma. Hunger. Sein Schatz benötigte ein Frühstück.
»Ich rieche deinen Frühstückshunger. Lass uns aufstehen und nachschauen, was wir in der Residenz zu essen finden«, lachte David.
Anfangs hatte er es bedauert, sich nicht telepathisch mit Terv verständigen zu können. Inzwischen beherrschten sie eine Art Geruchssprache, die nur für sie beide verständlich war. Übermütig küsste David seinen Schatz auf die Nase und sprang aus dem Bett.
-2-
Weich, warm, feucht. Darias Körper unter ihm bewegte sich schneller. Ihr kontrahierendes Fleisch saugte an seinem Glied. Gierig und heiß. Nice kam mit einem unterdrückten Stöhnen.
Schwer atmend betrachtete er Darias verschwitztes Gesicht, musterte die geschlossenen Augen. Seit dem Attentat blickte sie ihn beim Sex nicht mehr an, hielt lediglich mit einer Hand seinen Oberarm umklammert. Ihr linker Arm lag unbeweglich, wie gelähmt. Sie fasste ihn nicht an, dort, wo die Implantate das Fleisch ersetzten. Sie hatte es nie offen ausgesprochen, aber er wusste, dass sie sich vor seiner rechten Gesichtshälfte, der Schulter und dem künstlichen Arm ekelte.
Schnell drückte er ihr einen Kuss auf die vollen Lippen, rollte sich von ihr herunter und war mit der gleichen Drehung aus dem Bett. Sein Oberkörper schmerzte, aber er wollte ihr das nicht zeigen, erwähnte diese Qual nicht einmal mehr. Sofort schnappte er seinen langärmeligen Kaftan vom Boden und zog ihn über den Kopf.
»Du kannst die Augen aufmachen«, bemerkte er leicht spöttisch. Eigentlich hätte er noch gern hinzugesetzt »der Krüppel hat sich wieder angezogen«, aber er wusste, dass derlei Sätze sinnlos waren. Solche Vorwürfe ließen sie unbeeindruckt.
Daria öffnete die schweren Lider und blickte ihn an. Jahre zuvor hätte er darin in so einem Moment die langsam weichende Lust gesehen, Liebe und Zärtlichkeit. Heute musterte sie ihn mit eisig blauem Blick. So als wäre sie ebenfalls von der „Kälte“-Seuche infiziert, dachte Nice ohne Bedauern. Bedrückte ihn ihr Verhalten? Nein. Er hatte sich inzwischen an ihre abweisende und herrische Art gewöhnt. Die Zeit, in der er sich wegen ihrer schwindenden Zuneigung gegrämt hatte, war vorbei.
»Willst du einen Shake?«, fragte er auf dem Weg in die Küche. Eigentlich war ihm gleichgültig, ob sie ihn gehört hatte oder nicht.
»Nein, lass mal.«
Da der Raum keine Fenster besaß, schaltete sich sofort das blendend-weiße Licht ein. Lediglich ihr Wohnzimmer leistete sich den Schwachpunkt ein Glasfenster zu haben, durch das man auf einen minimalistischen Garten blicken konnte.
Seufzend öffnete Nice den Kühlschrank und spähte hinein: Wasserflaschen, teure Nahrungsshakes auf Basis von Blut und Milch, einige synthetische Vitamin-Smoothies, Darias Invitro-Fleisch und seine Insco-Riegel auf Insektenbasis. In einer Ecke, gut verpackt, zwei echte Eier, die Daria bei ihrem letzten Firmentreffen geschenkt bekommen hatte.
Ohne nachzudenken, holte er eine Wasserflasche und einen der weichen Riegel heraus, riss die Verpackung auf und biss hinein. Er mochte diese Nahrung aus Insekten, die nussig und süß schmeckte. Noch ein Schluck Wasser hinterher, um – er hielt inne - um Darias Geschmack zu vertreiben. Konnte es wirklich sein, dass ihre Beziehung derartig abgekühlt war? Es war offensichtlich nur Bequemlichkeit, die sie weiterhin aneinander band.
Er bewegte den Arm, kreiste kurz mit der Schulter, um den pochenden, brennenden Schmerz zu lindern. Sein Körper hatte die Ersatzteile nach der schwerwiegenden Verletzung nicht angenommen. Und das, obwohl sie aus seiner eigenen DNA gezüchtet worden waren. Warum das so war, wusste niemand. Er hatte die Implantate einfach nicht gemocht und sie abgestoßen. Er erinnerte sich mit Grausen an den weißen, blutleeren Zombie-Arm. Danach hatte er sich mit kybernetischen Metallteilen samt künstlicher Haut zufriedengeben müssen, die wohl funktionierten, aber an seinem Körper rieben. Nein, sie schabten nicht nur an seinem Fleisch, sondern auch an seiner Seele, bis sie wund gescheuert und er launisch, mürrisch und ungenießbar geworden war wie ein giftiger Pilz. Eigentlich war ihm ein Rätsel, wieso Daria überhaupt noch mit ihm zusammen war.
Nice warf die Verpackung des Riegels in den Küchen-Recycler und ging ins Ankleidezimmer. Es war Zeit, ins Labor zu fahren und sich in die Arbeit zu stürzen. David war offensichtlich weiterhin auf Reisen, aber auch wenn er alleine arbeitete, würde ihn das ablenken. Nice hob den rechten Arm, schob den Ärmel des Kaftans beiseite und aktivierte mit einem kurzen Gedanken den Screen, der sich aus dem Unterarm in die Luft hob und dort flimmernd stehenblieb. Er blickte auf das Datum, das der Computer ihm anzeigte. Der 16. Februar 2119. David wollte am Siebzehnten zurück sein. Ein wenig freute er sich sogar auf die Rückkehr des Freundes und Kollegen, denn David schien ihm der einzige Mensch zu sein, der ihn verstand und es mit ihm aushielt.
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Die Residenz auf Sublimar besaß einen kleinen Zubereitungsraum für Speisen. Energiepumpen drückten unermüdlich Meerwasser durch die in Wänden und Böden verborgenen Wassertunnels. Sie kühlten so den in die Kalksteinwand eingelassenen Vorratsschrank. Die Squalis benutzten diese Wasseradern und fanden so Zugang zu allen Räumen. Überall plätscherten und schäumten Brunnen.
Tervenarius hatte bereits bei seinem ersten Besuch in der Residenz neugierig die Energiequellen der Wasserpumpen begutachtet. Diese befanden sich in Form von Sonnenenergie speichernden Blöcken auf dem Dach des Gebäudes.
Während er in den Kühlschrank spähte, dachte Terv darüber nach, wie er außerirdische Technologie auf die Erde bringen konnte, um die dortigen Probleme zu lösen. Diese Energie-Blöcke hätten das Leid der Menschen gelindert. Er hatte die Idee jedoch nie umgesetzt, da er deren Folgen nicht überblicken konnte.
»Du kannst den Kühlschrank wieder zumachen.« Davids Stimme klang amüsiert. Jetzt erst bemerkte Terv, dass er eine ganze Weile auf das Sortiment von Fischen, Krügen mit Squali-Milch und Kefir gestarrt hatte.
»Was ist denn los?« David lehnte am Fenster und blickte auf die verschachtelte Struktur der Residenz, die wirkte, als hätte man viele verschieden große, weiße Bauklötze wahllos zusammengefügt.
»Nichts. Ich denke wie schon so oft darüber nach, wie es wäre, humanoide und außerirdische Technologie zu verbinden.« Er nahm seinen Becher Kefir von David entgegen. »Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen. Dort ist es gemütlicher.«
Der hell getünchte Raum mit dem bunten Steinfußboden war leer, die Spuren des Hochzeitsfestes beseitigt. Terv setzte sich auf einen der geflochtenen Sessel, vorsichtig, denn David hatte seinen Becher zu voll gemacht, und er wollte nichts verschütten.
David, der ihm gegenübersaß, blickte ihn aus seinen kristallklaren, durchdringenden Augen interessiert an. »Du erwägst es aber nicht, oder?«
»Nein. Ich glaube, das würde problematisch. Wir müssen mit dem klarkommen, was die Erde letztendlich zu bieten hat. Ich weiß, dass du leidest, David. Du siehst deine Spezies zugrunde gehen. Wir können noch eine Weile dagegen arbeiten, jedoch wird es letzten Endes irgendwann keine Menschen mehr dort geben. Es ist ein Trauerspiel. Du kannst ...«
Terv brach ab und beobachtete den energetischen Ring, der sich mitten im Raum erhob. Unvermittelt trat Ulquiorra aus diesem hervor, schwankend, das dunkle Gesicht bestürzt und traurig.
Mit einem Satz war Terv bei ihm, um ihn aufzufangen. David war sofort an der anderen Seite und ergriff Ulquiorras Arm. »Was ist los?«, fragten David und er aus einem Mund.
»Smu. Er ist tot.« Ulquiorras Blick irrte im Zimmer umher, so als würde er Smu dort suchen. »Ihr müsst zurück. Patallia ist außer sich.«
Smu war tot. Der Freund, der noch am Tag zuvor grinsend vor ihm gestanden hatte. Der sich am angebotenen Sushi gütlich getan und der bei Davids Anblick in dem erotischen Kleid ebenso erregt reagiert hatte wie Terv selbst.
Erschüttert ließ Tervenarius sich in den erstbesten Sessel sinken. Der nächste Tote. Und wieder und wieder würde er erleben, dass seine Freunde starben. Das waren die Momente, in denen er seine Unsterblichkeit verfluchte und laut schreien wollte, wie ungerecht das doch alles war. Er sah zu David, der den riesigen Energetiker zu einem Sessel geleitete und dann das bestürzte Gesicht zu ihm hob. Und nun? Ihm gingen gleichzeitig tausende Erinnerungen und Gedanken durch den Kopf: Wie hatte er Smu kennengelernt? Der Mann hatte vor ihnen gestanden, nackt, kunterbunt, gepierct, mit verbundenem Schwanz. Smu war ein echtes Unikat, ein langjähriger Freund. So oft hatte dieser ihn mit seiner urkomischen Art zum Lachen gebracht. Und nun war er fort. Auch für ihn wäre das Tor zur Unsterblichkeit offen gewesen, so wie für David, aber Smu hatte das abgelehnt. Und Patallia? Der Duocarn würde nun zusammengebrochen sein. An gemeinsame Arbeit war nicht mehr zu denken, oder? Er musste auf die Erde zurück. Damit hatte Ulquiorra recht.
»Wie ist er denn gestorben?«, fragte David in diesem Moment.
»Er ist eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.« Ulquiorra starrte vor sich hin. »Patallia ist wie versteinert. Er spricht nicht mehr, hat sich mit ihm im Zimmer eingeschlossen. Jedoch scheint der Leichnam inzwischen zu verwesen.«
»Aber ..., aber, er war doch gestern noch hier!«, stammelte David. »Wie kann das sein?«
»Du vergisst die Zeitunterschiede zwischen den Planeten. Auf der Erde vergeht die Zeit schneller«, erwiderte Terv tonlos, bevor Ulquiorra etwas sagen konnte. Der nickte betrübt.
»Ich gehe unsere Sachen holen.« David war bereits an der Tür. Bleib bei Ulquiorra, sagte Davids Blick. Dann war er verschwunden.
Tervenarius sah zu dem Energetiker in dem weißen Gewand, der den Kopf hob. Sie starrten sich an, die Gesichter wie in Stein gemeißelt, und Terv wusste, dass Ulquiorra das Gleiche dachte wie er: Das ist der Preis der Unsterblichkeit, den wir immer wieder zahlen müssen. Werden wir das verkraften können, ohne dass unsere Seelen Schaden nehmen?
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Als Tervenarius das Haus betrat, drang ihm augenblicklich der süßliche Geruch nach verwesendem Fleisch in die feine Nase. Trotzdem ließ er zunächst kurz den Blick über Davids Aquarien gleiten, um zu kontrollieren, ob die automatische Versorgungsanlage während ihrer Abwesenheit ihren Dienst getan hatte. Seit er David kannte, besaß dieser Steinfische, Piranhas und Kugelfische an denen er sehr hing. Wie zur Begrüßung standen die Tiere an den Scheiben und glotzten ihn an. Der helle, energetische Ring hatte sie höchstwahrscheinlich aufgeschreckt, der in diesem Moment erneut das Wohnzimmer erleuchtete. David trat mit kleinem Gepäck aus ihm hervor.
»Danke, Ulquiorra.« Der Energetiker blieb am Fuß des wild kreisenden Ringes stehen und blickte seinen Liebsten traurig an. »Wir kümmern uns um alles. Mach dir keine Sorgen. Sollten wir Hilfe brauchen, rufen wir dich.«
Mit einem kurzen Nicken trat Ulquiorra zurück und der goldene Reif fiel in sich zusammen, als hätte es ihn nie gegeben.
David setzte seinen Rucksack ab und drehte sich zu Tervenarius um. Er trug nun wieder menschliche Kleidung, eine Bluejeans und einen hellblauen Pulli, der die Farbe seiner Augen betonte. Terv blickte in sein besorgtes Gesicht.
»Was riecht denn hier so?« Auch Davids Blick traf zunächst die Aquarien. »Das sind aber nicht die Fische, oder?«
»Nein, Schatz. Mit denen ist alles in Ordnung. Es wird so sein, wie Ulquiorra gesagt hat. Patallia kann Smu nicht loslassen. Ich werde mit ihm reden.«
Mit ein paar Schritten war David bei ihm, drückte sich an ihn und streichelte liebevoll sein Gesicht. »Du wirst die richtigen Worte finden. Da bin ich mir sicher.« Er hielt inne. »Wir müssen einem Bestatter Bescheid sagen.«
»Nein.« Terv schüttelte den Kopf. »Das wird Pat nicht wollen. Da die kanadische Regierung nach dem Computercrash sowieso keine Unterlagen mehr über ihre Einwohner hat, können wir ihn getrost selbst zur Ruhe betten. Ich würde vorschlagen, dass wir ihn hier auf dem Grundstück beerdigen. Am Teich. Den mochte er ganz besonders.« Er blickte in Davids blasses Gesicht. »Ich ziehe mich um und grabe dort ein Loch, bevor ich mit Patallia spreche. Denn stimmt er mir zu, muss alles schnell gehen. Wir müssen den Leichnam so bald wie möglich loswerden.« Und Pat kann ja dann am Gartenteich weitertrauern, dachte er. Ihn wunderte in diesem Moment sein eigener, kalter Gedanke. Die Situation ließ jedoch keine Sentimentalitäten zu. Patallia stand eine Trauerzeit bevor. Es hatte auch wenig Sinn, zu diesem Zeitpunkt auf eine Fortführung ihrer Arbeit zu drängen. Patallia war ein wertvoller Partner, aber sein Wohl hatte Vorrang vor allem.
Terv nahm den auf eine tröstende Zärtlichkeit wartenden David in die Arme und küsste sanft seine weiße, glatte Stirn.
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Fast hätte Tervenarius vergessen, die Robot-Wachhunde zu deaktivieren, auf deren Anschaffung David gedrängt hatte, um das hoch eingezäunte Areal ihres Grundstücks zusätzlich zu schützen. Kaum hatte er die Terrassentür geöffnet, standen ihm plötzlich sechs zähnefletschende, schwarze Riesentiere gegenüber. Schnell schloss er die Türe wieder und machte einen Satz zu der Steuerung der Hunde, die David in einem Kasten neben der Tür eingebaut hatte. Im Grunde hasste er diese unzähligen Sicherheitsmaßnahmen. Das selbstversorgende Haus war eine Festung. David hatte an alles gedacht, und es gab kein Schlupfloch, das ein Eindringling hätte überwinden können.
Die Erde beherbergte nur noch bettelarme und reiche Menschen. Und die Not machte die Armen erfinderisch. Marodierende Banden waren an der Tagesordnung und dementsprechend war eine Behausung wie die ihre ein geeignetes Ziel. Sie hatten trotzdem nicht in eines der stark geschützten Areale ziehen wollen, das die Begüterten der Gegend bewohnten. David und er brauchten Luft und Licht. Es war schlimm genug zur Arbeit in dieses Areal zu fahren und zu sehen, wie der Rest der Menschen unter ärmlichsten Bedingungen in Ghettos hauste. Diese Bedürftigen kamen nicht in den Genuss sauberer Lebensmittel oder reinen Trinkwassers, geschweige denn der fortgeschrittenen medizinischen Technik und Errungenschaften. Die verbliebene, kanadische Regierung, besaß kaum Entscheidungsgewalt. Die Weltherrschaft war längst von Großkonzernen an sich gerissen worden, die sämtliche Energie- und Wasserreserven unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Mit der Verteilung dieser Güter legten sie der Menschheit die Daumenschrauben an.
Terv deaktivierte die Hunde, stapfte aus dem Haus und markierte mit ein paar Spatenstichen eine mannsgroße Fläche im Gras. Dort schaufelte er verbissen. Er hatte sich für die Außenarbeiten einen Overall, Handschuhe und einen Hut angezogen, der vor den intensiven Sonnenstrahlen schützte, die den gelb und braun verbrannten Garten in gleißendes Licht tauchten. Lediglich rund um den kleinen Teich, der von ihrer hauseigenen Wasserquelle gespeist wurde, wucherten Gras, Blumen und Moos. Wasser. Neben den fehlenden Rohstoffen das größte Problem der Menschheit. Er hasste Firmen wie Westle, die auf Kosten der eigenen Spezies zu Imperien herangewachsen waren. Und diese hatten doch tatsächlich die Unverschämtheit besessen, an den Geschäftsführer von Allglobalmeds, Steward Ross, heranzutreten, um nachzufragen, ob ihr Konzern zum Verkauf stand.
Kräftiger als nötig warf Terv eine Schaufel voller Erde aus dem bereits hüfthohen Erdloch. Der Aushub landete klatschend im Teich, was nicht geplant war. Natürlich waren trotz ihrer sozialen Medikamenten-Verkaufspreise wirtschaftlich arbeitende Firmen wie ihre Allglobalmeds für die Großkonzerne interessant. Sie versuchten, alles und jeden zu schlucken.
Endlich war das Erdloch groß genug. Terv stützte die Unterarme auf die Rasenkante. Trauer und Wut ließen ihn mit einem Satz aus dem brusthohen Loch schnellen. Er war nach wie vor stark, aber benötigte diese Kraft normalerweise nicht mehr. Seine Zeiten als Krieger waren längst vorbei. Er absolvierte sein tägliches Fitness-Training eigentlich nur noch aus Gewohnheit, weil David daran teilnahm und Terv ihm gerne zusah. Er mochte das Muskelspiel von Davids perfektem, unsterblichem Leib. Das machte ihn an. Dieser Gedanke brachte ihn zum Lächeln. Er wusste, dass sein Mann niemals den ihm eigenen Reiz verlieren würde. David erschien ihm als eine wunderschöne Pflanze, die ständig neue Blüten in Form von Empfindungen, Ideen und Worten trieb. Und er war gespannt zu sehen, wie diese sich entfalteten. Er war der Gärtner, der dieses außergewöhnliche Gewächs besaß, es hegte und pflegte. Seine Fürsorge und Verständnis stellten Davids Dünger und Nahrung dar. Tervs Liebe die benötigte Sonne.
Lächelnd brachte Terv Spaten und Schaufel in den Geräteschuppen zurück, der sich sofort hermetisch schloss.
Ein Blick auf das Grab erinnerte ihn an seine vor ihm liegende Aufgabe. Patallia hatte seinen Partner, seine Stütze verloren. Es gab keinen Trost für ihn. Trotzdem musste er nun mit dem Freund sprechen.
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»Patallia.« Terv benutze Telepathie, denn er wollte nicht durch das ganze Haus schreien. »Ich muss mit dir sprechen. Bitte öffne die Tür.« Er fühlte, dass Pat ihn gehört hatte, und wartete geduldig.
Sie kannten sich so lange. Ihre tiefe Freundschaft hatte ihn auf so vielen Abenteuern mit dem Mediziner verbunden. Und Patallia wusste, dass er sich nun den Tatsachen stellen musste. Der Verwesungs-Gestank aus dem Raum drang süßlich und stechend in Tervs empfindliche Nase.
Schlurfende Schritte hinter der Tür. Dann stand der gezeichnete Freund vor ihm. Noch nie hatte Terv ihn in einem solchen Zustand gesehen. Das Gesicht von tiefen Kummerfalten durchzogen, den Rücken gebeugt vor Gram, klammerte er sich an die Türklinke, als hätte er Schmerzen. Patallia hatte höchstwahrscheinlich lange nichts gegessen oder getrunken. Als Unsterblicher konnte er sich mit Nahrungsentzug nicht umbringen, dieser verursachte jedoch elende, körperliche Pein. Was sollte er nun sagen?
Wortlos nahm Tervenarius seinen zitternden Freund in die Arme.
»Ich habe mich so lange auf seinen Tod vorbereitet, Terv. Jeden Tag dachte ich, dass ich gewappnet wäre, wenn es passiert, aber dann ... Er ist einfach nicht wieder aufgewacht. Hat friedlich geschlafen. Noch am Abend hatte er einen Witz über das Sushi auf der Hochzeit gemacht. Nun sagt er nichts mehr, Terv? Warum?«
Diese Worte trieben Tervenarius die Tränen in die Augen. Er drückte den Freund an sich, vergaß dabei, wie kräftig er war. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass er Patallia weh tat, und lockerte den Griff.
»Das ist der Preis, den wir bezahlen müssen, Pat. Du musst stark sein. Bitte stell dir immer vor, was er sagen würde, sähe er dich so. Er würde das nicht wollen.« Er hielt Patallia am ausgestreckten Arm von sich und blickte ihn an. »Smu hatte ein ausgefülltes Leben. Er war glücklich. Und er ist selig gestorben. Vielleicht seht ihr euch ja wieder, wenn das Schicksal es gut mit euch meint. Du darfst jetzt nicht verzweifeln. Denk an die schönen Stunden mit ihm. Du kannst dich doch an sie erinnern, oder?«
Patallia nickte. »Ja, ich habe mir alles, was er gesagt und getan hat, genau gemerkt. Es ist in meinem Gehirn gespeichert wie einen Film für die Ewigkeit.«
Das war gut.
»Gönn dir jeden Tag eine Erinnerung. Ich habe ihm an dem Teich, den er so mochte, ein Grab ausgehoben. Dort kannst du mit ihm sprechen und dich erinnern. Lass uns nun bitte seinen Leichnam dorthin bringen.«
Nein, er äußerte kein Wort des Vorwurfs. Während er mit Patallia zum Bett ging, um den wachsbleichen Smu zu betrachten, dankte er David insgeheim für seinen Entschluss, ihm in die Ewigkeit gefolgt zu sein. Welch ein Leid blieb ihm erspart.
»Komm, Pat, lass uns ihn nach unten bringen. Ich trage ihn, wenn du willst.«
Patallia schüttelte den Kopf, während er liebevoll das Bettlaken an den Seiten löste und es um seinen Partner schlang. Er wickelte Smu darin ein und hob das weiße Menschenpaket auf seine Arme. Das fiel dem geschwächten Patallia schwer, aber Terv ließ ihn in Ruhe. Er folgte Pat die Treppen hinunter in den Garten, dankbar, dass David sich nicht ihrem traurigen Gang anschloss. Er wusste, dass sein Mann instinktiv den richtigen Zeitpunkt für sein Erscheinen wählen würde.
Wie um Smu Lebewohl zu sagen, versank in diesem Moment die Sonne glutrot hinter den kanadischen Gebirgszügen, die ihr einsames Anwesen umringten wie starre, graue Wächter.
Mit einem Satz war Terv in das Grab gesprungen und nahm Smu vorsichtig von Patallia entgegen. Er platzierte ihn liebevoll und strich ihm über den eingehüllten Kopf. »Machs gut, mein Freund«, sagte er telepathisch. Smu war der Telepathie nicht mächtig gewesen, aber nun machte es keinen Unterschied. »Reise nun erst einmal in Ruhe. Drehe eine Runde im Universum. Danach kommst du zu uns zurück. Wir werden dich, gleichgültig in welcher Form, willkommen heißen.« Er zögerte. »Es könnte allerdings nicht schaden, wenn du wieder als attraktiver Mann zurück kämst. Auf Wiedersehen.« Smu war ein lustiger Kerl gewesen, und Terv wusste, dass ihm dieser Scherz gefallen hätte.
Er hob den Kopf und sah David neben Patallia stehen, den Arm um den Mediziner gelegt, um ihn zu stützen. An ihrer linken Seite stand nun ein kleiner Beistelltisch, an dem zwei Schaufeln lehnten, und auf den David eine Karaffe mit Wasser und einige Gläser gestellt hatte. Obwohl Tervenarius in diesem Moment Trauer empfand, mischte sich doch ein leises Glücksgefühl in dieses Leid. Er war nicht verdammt dazu, die Ewigkeit alleine zu verbringen.
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Eine Begegnung mit dem Tod. David starrte auf das in weiße Laken gewickelte Bündel in dem Erdloch, das einmal sein Freund Smu gewesen war. Sein Blick irrte zu Tervenarius, der danebenstand und ihn von unten ansah. Terv war traurig. Aber da war noch etwas. Instinktiv wusste David, was es war. Zu der Trauer erschien Zärtlichkeit in Tervs Blick. Sie hatten sich. Und das würde immer so bleiben.
Automatisch verstärkte David den Druck seines Armes und zog den gebeugten Patallia fester an sich.
»Warum ist er nicht durch das Sternentor gegangen?«, fragte Pat ihn leise. »Du hast es für Terv getan. Hat er mich überhaupt geliebt?«
Diese Frage schnürte David den Hals zu. »Er hatte sich entschieden, Pat. Ich glaube nicht, dass es etwas mit dir zu tun hatte. Denn er hat dich geliebt«, fügte er hinzu. »Du solltest niemals an seiner Liebe zweifeln. Er wollte nie ewig leben. Das weißt du. Er wollte in dem Kreislauf der natürlichen Erneuerung bleiben. Und er bat dich, das zu akzeptieren.« David hielt inne. »So war er eben: liebenswert und starrköpfig.«
Tervenarius, der inzwischen aus dem Grab gekommen war, schüttete etwas Wasser in ein Glas und reichte es Patallia. »Bitte trink. Du trocknest sonst aus. Ich möchte nicht, dass das geschieht.« Patallia wich ein Stückchen zurück und wehrte ab.
»Hör zu«, raunte Terv mit einem Unterton in der Stimme, der David schlucken ließ. »Ich bin der Chef der Duocarns. Und als dieser befehle ich dir: trink! Was passiert ist, ist betrüblich genug. Mach es nicht noch schlimmer.«
Er fixierte Patallia mit hartem Blick. »Nur das verlange ich in nächster Zeit von dir. Iss und trink. Denn sonst hast du keine Kraft um deinen Verlust zu verschmerzen.«
Patallias grau-violette Augen weiteten sich. Dann nahm er gehorsam das Glas und setzte es an die Lippen.
Tervenarius war noch nicht fertig. »Meinetwegen brauchst du auch nicht mehr ins Büro zu kommen. Bleib zu Hause. Und nun hilf mir, das Grab zu schließen.«
Ein Arschtritt, dachte David und ließ den stützenden Arm sinken. War das die richtige Art, mit Patallia umzugehen?
Voll Mitgefühl sah er, wie Pat eine Schaufel ergriff und langsam etwas Mutterboden aufnahm. Er zögerte, warf die Erde aber doch in das Grab, wo sie sich mit einem dumpfen Prasseln auf dem weißen Bettlaken verteilte. Die beiden Männer schaufelten schweigend und David spürte, dass Patallia Terv dankbar für seine Führung war. Er selbst fühlte sich überflüssig. Man brauchte ihn und seine Anteilnahme nicht mehr. Die Situation hatte sich in eine Duocarns-Angelegenheit gewandelt. Eine Sache zwischen dem Boss und seinem Mediziner. Es kam nur noch selten vor, dass Terv seine Position hervorhob, war doch die Kriegerschaft in alle Winde verstreut. Die Befehlsgewalt des Duocarns-Chefs bestand aus Autorität, gepaart mit Freundschaft und Terv wusste diese Komponenten zur richtigen Zeit einzusetzen.
»Ich werde morgen zur Arbeit kommen.« Der Mediziner stützte sich auf sein Werkzeug. »Smu würde das so wollen. Ich forsche weiter. Ich kann am Abend sein Grab besuchen.«
Wahnsinn, dachte David und wandte sich zum Gehen. The Show must go on! Terv und Pat fahren wieder in die Firma und ich werde das Gleiche tun. Nice wartet bestimmt schon auf mich.
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Die Sonne schien warm in die Küche, als David am nächsten Morgen den Raum betrat. Er hatte verschlafen, was nach den nächtlichen Geschehnissen kein Wunder war. Smus Tod hatte Terv und ihn eng zusammenrücken lassen – was ihn beglückte, aber auch nachdenklich machte. Sie hatten die Nacht aneinander geklammert verbracht, mit dem Bedürfnis, sich gegenseitig zu spüren und sich um Gottes Willen nicht zu verlieren. Das war gegen jedes logische Denken, doch hatte Smus Dahinscheiden sie stark erschüttert und sie hatten sich vergewissern müssen, dass der andere da war und ihnen nicht das gleiche Schicksal drohte wie Patallia.
David schaute in den Kühlschrank. Da lag das Steak, das Smu stolz von ihrem Milchlieferanten ergattert hatte, einem Bauernhof, der abgelegen und bis aufs Äußerste geschützt, Kuhmilch produzierte. Irgendwann würde dieser Betrieb wohl ebenfalls verschwunden sein, denn es war kaum noch möglich, genügend Viehfutter zu produzieren. Die marodierenden Menschen stürzten sich auf alles Essbare, das sie fanden. Eines Tages würden Terv und er gezwungen sein, ihren Kefir auf Basis künstlicher Milch herzustellen. David graute vor diesem Tag. Keine frische Nahrung zu bekommen, ließ ihn wirklich erwägen, die Erde zu verlassen.
Kopfschüttelnd warf er das Steak in den Recycler für organische Stoffe, denn nun war niemand mehr im Haus, der dafür Verwendung hatte. Anschließend kontrollierte David die Behälter mit den Kefirpilzen, schüttete vorsichtig ein Glas voll mit frischem Kefir und stand danach versonnen vor den vielen kleinen Gläschen mit Aromen, die Tervenarius für ihn hergestellt hatte. Künstlicher Genuss auf Basis von Pilzen: Vanille, Orange, Zitrone, Mango, aber auch duonalische Früchte, die David gern mochte.
An diesem Morgen stand ihm der Sinn nach Banane mit einem blumigen Ismanien-Aroma, um seinen Kefir zu verfeinern. Das weiße Pulver löste sich sofort. Andächtig rührte er mit einem Löffel in der Mixtur.
Tervenarius und Patallia hatten bereits das Haus verlassen und waren in die Firma gefahren. David nahm einen Schluck aus seinem Glas und beobachtete aus dem Fenster, wie die Robo-Hunde auf dem verbrannten Grundstück patrouillierten. Terv mochte sie nicht, aber David war von ihrem Nutzen überzeugt. Es war unsicher geworden auf dieser Welt. Er wusste, dass im Grunde jede Fahrt ein Risiko darstellte. Auch die Touren von ihrem Haus zu dem gesicherten Firmen-Areal, auf dem sich seine Arbeitsräume und die Werkstatt befanden.
Auf so einer Wegstrecke hatte Nice seinen rechten Arm und eine Gesichtshälfte verloren. Sie hatten ihn aus seinem ungepanzerten Fahrzeug gezerrt, in dem er leichtsinnigerweise unterwegs gewesen war. Man hatte ihn komplett beraubt, mit einer Axt verletzt und halb tot liegen gelassen. Er verdankte es nur dem Zufall, dass ihn ein vorbeifahrender Bekannter bemerkt und gerettet hatte. Seitdem war Nice vorsichtiger geworden und auch David hatte die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt.
Sie gingen nicht mehr unbewaffnet aus dem Haus und Nice hatte sich in seinen künstlichen Arm einen Dolch einbauen lassen, den er nach Belieben ausfahren konnte. David hatte einen Witz gewagt, als er die Waffe zum ersten Mal zu Gesicht bekam. »Der Assassine von Vancouver.« Eine Bemerkung, die sogar auf Nices mürrische Miene ein Grinsen gezaubert hatte.
Seufzend stellte David sein leer getrunkenes Glas in die Spüle und ging in ihr Ankleidezimmer, das zugleich als Waffenkammer diente. Seine normale Alltagskleidung enthielt einen kleinen Kevlar-Anteil, der Messerstiche verhindern konnte und Kugeln bremste. Arme Menschen besaßen im Gegensatz zu ihm keine Strahlenwaffen. Nachdenklich zog er eine schwarze Hose und eine dazu passende Jacke über. Danach kam das Halfter für die Strahlenpistole, die er kurz auf ihre Schuss-Stärke überprüfte, denn er wollte niemanden töten.
Ja, er hielt an den Menschen fest. Es war die Not, die alle trieb, und die viele Leute alle moralischen Bedenken vergessen ließ. Der schiere Kampf ums Überleben machte manche zu Tieren. Trotzdem war David nach wie vor felsenfest davon überzeugt, dass man helfen musste, wenn man dazu in der Lage war. Nice und er waren schon recht weit mit der Entwicklung ihrer selbstversorgenden Zelte gediehen, die eigene Energie erzeugen konnten, Rohstoffe und Wasser recycleten, Wohnraum und sogar ein genügend großes Hydroponikum enthielt, um ihre Bewohner zu versorgen.
David stieg in sein gepanzertes Solar-Fahrzeug und verließ das Haus, das hinter ihm automatisch seinen festungsähnlichen Zustand wiederherstellte. Sie tüftelten schon so lange an diesen Zelten, aber nach wie vor waren diese zu schwer und der Transport stellte eine Schwierigkeit dar. Und ununterbrochen lag er mit Nice im Streit, ob man nicht auf das Hydroponikum verzichten sollte. David war der Meinung, dass ein Überlebenszelt eine Versorgungsmöglichkeit enthalten müsse. Wahrscheinlich war Nice, der in Wirklichkeit John Balton hieß, nicht überzeugt davon, da er sich selbst von Etonutrid-Insektennahrung ernährte. Ihre unterschiedlichen Speisen waren Anlass sich immer wieder gegenseitig zu necken.
Der Bordcomputer hatte sein Fahrzeug schnurstracks den alten, rumpeligen Highway entlang aus der gebirgigen Landschaft an den Rand von Vancouver geführt. Von dort konnte er die zerstörte Stadt, die überschwemmten Gebiete sowie die Slums der Armen, überblicken. Keiner der Reichen hielt sich jemals in diesen Gegenden auf. Sie verließen das bewachte, von einer fünf Meter hohen Mauer umgebene Areal so gut wie nie. Dort hatten sie ihre weitgehend heile Welt aufgebaut. Wirtschaft, Technik, Nahrungsentwicklung, sowie auch Sauberkeit und Ordnung waren nur in diesem streng gesicherten, recht weitläufigen Gebiet zu finden.
David fuhr in die Hochsicherheitsschleusen. Ein Computergenie wie Nice zum Freund zu haben, war ein echter Vorteil. David hatte ihm gegenüber geheimnisvoll getan, illegale Metall-Implantate angedeutet, denn niemals hätte ihm sein Kollege die Wahrheit geglaubt. Daraufhin hatte Nice ihm geholfen und seinen Wagen so manipuliert, dass dieser dem prüfenden System zuverlässig einen korrekten Bericht über seinen vermeintlich menschlichen Leib schickte. Den erforderlichen Gesundheitscheck hätte er unmöglich bestehen können. Denn ein unsterbliches Wesen, in dessen Adern Quecksilber floss, wäre selbst auf der inzwischen hochentwickelten Erde ein einzigartiges Phänomen gewesen. David hatte keine Lust auf irgendeinem Seziertisch zu landen.
Sein Fahrzeug verband sich mit dem dortigen System und lieferte genaue Informationen über seinen Fahrer: Netzhaut-Scan und DNA Test erfolgte automatisch durch die Sensoren des Wagens
Nachdem David den sekundenschnellen Check durchlaufen hatte, tat sich das Tor in die scheinbar heile Welt der Allpigs auf.
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Das in nüchternem Stil gehaltene Büro lag in gedämpftem Licht, denn Nice hatte die Jalousien halb geschlossen. Der saß grübelnd, die Füße in die Beine seines Drehstuhls eingehakt, an seinen Rechnern. Zwischendurch benutzte er zusätzlich den Implantat-Computer in seinem Arm, dessen Display über seiner bleichen Haut schwebte.
»Hi, Nice.« David zog die Jacke aus und hängte sie ordentlich in einen schmalen Eckschrank, während Nice seinen Mantel einfach auf einen der großen Drucker geworfen hatte. Typisch, dachte David und brachte das Kleidungsstück seines Kollegen ebenfalls im Schrank unter. Das tat er jeden Morgen, und wie üblich spähte Nice missmutig auf das, was er tat.
David musterte ihn. »Du siehst scheiße aus.« In der Tat hing Nices helles Haar auf der linken Seite strähnig bis auf die Schulter, statt wie sonst sauber und ordentlich gekämmt zu sein. Die rechte Implantat-Kopfseite des schlanken Mannes hatte es nicht mehr zu einem ansehnlichen Haarwuchs gebracht und zeigte schlohweiße Stoppeln. David kannte Nice aus der Zeit vor der Attacke mit strahlendem, blonden Haar. Das hatte sich nach dem Schicksalsschlag unvermittelt in ein fahles Weiß verwandelt, jedoch nicht ein edles Silberweiß wie bei Tervenarius. Schockweiß nannte David diese Farbe bei sich.
Nice knurrte lediglich als Antwort und wandte sich seiner Arbeit zu. »Du hast auch schon mal besser ausgesehen. Ich dachte, du warst in Urlaub.«
»Ja, die Ferien waren toll. Aber gleich darauf hat es einen Todesfall bei uns im Haus gegeben. Mein Freund Smu ist gestorben. Du hast ihn ja mal kennengelernt.«
Dieser Satz brachte Nice dazu, sich erneut zu ihm umzudrehen. »Fuck. Das war ein cooler Typ. War der denn schon so alt?«
David nickte. »Ja, er war 132.«
»Verstehe.« Nice blickte ihn von unten an, die verschiedenfarbigen Augen ausdruckslos. »Kein übles Alter für einen Allpig. Habt ihr einen Bestatter gerufen?«
»Nein. Wozu? Was kann der, was wir nicht selbst können? Wir haben ihn im Garten bestattet. Außerdem mag ich nicht, wenn du dieses Wort benutzt«, fügte David hinzu.
Allpigs war der Name, den die Armen den Begüterten gegeben hatten. Die Donthaves und die Allpigs. David seufzte.
Nice wusste, dass er schwul war, und es störte ihn nicht. Jedoch war er nicht der richtige Mann, um ihm von der romantischen Hochzeit zu erzählen. Man lief Gefahr, einen sarkastischen Kommentar zu ernten, denn wenn Nice irgendetwas kennzeichnete, dann war es Verbitterung. Er litt ununterbrochene Schmerzen und besaß einen ständigen Groll über den verlorenen Arm und seine ehemalige Schönheit, die ihm vor Jahren den Spitznamen eingebracht hatte. Trotzdem arbeitete David gern mit ihm zusammen. Nice wurde durch den gleichen sozialen Geist getrieben wie er selbst, forschte und setzte alles daran, dass sie ihr gemeinsames Ziel erreichten: Den gestrandeten Leuten Energiezelte zur Verfügung zu stellen, die ihr Überleben mit einem Minimum an Aufwand und Kosten sicherten. Sie wollten Menschen retten, und davon möglichst viele, denn sie starben weg wie die Fliegen. Und das geschah quasi vor ihrer Tür.
Entschlossen schob David einen Ballstuhl zu seinem Rechner und aktivierte ihn mit einem Gedanken.
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Nice blickte neben sich. David arbeitete konzentriert. Durch Davids Anwesenheit fühlte er sich plötzlich wohler, selbst wenn er sich das ungern eingestand. Und er mochte es, seinen Partner zu beobachten, sein seidiges Haar, das angenehme Profil, die feine, weiße Haut, die langen, dunklen Wimpern. Sein Anblick erinnerte ihn an die Zeit, in der er ebenfalls „Nice“ gewesen war. Bestimmt fühlte David seine Blicke bestimmt, aber ignorierte sie.
Obwohl mit achtundzwanzig Jahren gleich alt, empfand Nice David nicht als Mann, sondern als Jungen. Für seinen Geschmack war er zu sanft. Andererseits hatte auch David die schlimmen Zeiten überlebt, was nur die Starken oder Korrupten schafften.
Im Grunde war Nice froh darüber, dass David so war, nie den Chef heraushängen ließ und irgendwelches Machogehabe an den Tag legte. Sie hatten beschlossen, dass sie Kollegen auf gleichberechtigter Basis waren, obwohl das Kapital für die Firma von David gekommen war.
Er selbst brachte schließlich seine Computerkenntnisse und sein technisches Fachwissen mit, ohne die ihre Arbeit überhaupt nicht möglich war. Wenn er es richtig bedachte, besaß er noch eine weitere Trumpfkarte. Nice blickte auf die Wasserflasche in seiner Hand. Durch Daria saß er direkt an der Wasserquelle, denn seine Freundin gehörte zur Vorstands-Spitze von Westle, dem Wasser-Konzern, der in ganz Kanada den Ton angab. Bisher hatte er Darias Beziehungen allerdings nie genutzt. Sie besorgten die Rohstoffe für ihre Forschungen selbst, worauf er stolz war. Ihn ärgerte, dass Daria seine Arbeit als unnütz und Zeitverschwendung abtat. Sie, die den korruptesten Job machte, den er sich vorstellen konnte.
Daria. Ihm war nicht klar, wie lange das mit ihr noch weiter gehen würde. Sie liebten sich nicht mehr. Was sie noch verband, waren Gewohnheit und – Sex. Und dieser Sex sorgte dafür, dass er sich ständig einsam fühlte. Jeder Fick brachte ihm die Hoffnungslosigkeit ihrer Beziehung zu Bewusstsein.
»Was gibt’s?« David hatte seinen langen Blick nun doch registriert.
»Nichts.« Nice wandte sich wieder seinem Screen zu, der ihm die Formel für die Sonnenkollektoren anzeigte, die in den Zeltstoff eingefügt werden sollte. Er wollte David nicht fragen, ob er seinen Freund liebte. Das hätte seinen Neid vielleicht verstärkt. Schön und geliebt, das wäre zu viel für ihn gewesen. Er hatte Davids Partner erst ein Mal kurz gesehen, als dieser an einem Tag ins Büro gekommen war, um David abzuholen. Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit langem, weißem Haar, der ihn ruhig und freundlich gegrüßt hatte. Es war offensichtlich, wer in dieser Beziehung die Hosen anhatte. Nice grinste.
Wieso gingen ihm an diesem Tag so viele Sachen durch den Kopf? Er konnte sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren. Also schloss er sich mit einem gedanklichen Befehl an sein Online-Rollenspiel an. Der Dungeon mit dem zu bekämpfenden Monster schob sich in sein rechtes Auge. Das Vieh schwenkte fettig glänzende Tentakel und stieß ein krächzendes Brüllen aus. Nice ließ seine gepanzerte Spielfigur ein Flammenschwert ziehen und dem Biest den Kopf abschlagen. In diesem Moment kam von der Sicherungs-Vorrichtung ein Alarmzeichen. Sie hatten Besuch.
Nice wechselte den Screen und warf einen Blick in die Überwachungskameras. »Dein Kumpel steht vor der Tür, David.«
David drehte kurz den Kopf. »Er ist mein Mann. Wir haben geheiratet.«
»Ach ...«
»Ja, ach ...«
Ich bin ein Idiot, sagte Nice unhörbar zu sich selbst. »Gratuliere, David. Ich freue mich für euch.«
Der gönnte ihm einen schrägen Seitenblick, deaktivierte schnell die Sicherheitssperren, ließ den Mann ein und sprang auf. Wahnsinn, dachte Nice. Er rennt, wenn sein Kerl kommt.
Bekleidet mit einem schwarzen, langen Sonnenschutzmantel, Handschuhen und einem dunklen Hut betrat Tervenarius den Raum. Er musste auf den Besucher-Parkplätzen geparkt haben und war offensichtlich ein Stück durch die Sonne gelaufen. Der große, bleiche Mann ergriff sofort Davids Hände und blickt seinen um einen Kopf kleineren Freund zärtlich an.
Sie sehen nur noch sich, überlegte Nice. Die nehmen ihre Umgebung ja überhaupt nicht mehr wahr. Liebe. Ach du meine Güte. Na ja, David ist ja auch ein hübsches Bürschchen. Wie es wohl war, so jemanden wie ihn im Bett zu haben? Den Bruchteil einer Sekunde sah er David auf dem Rücken liegen, die Augen geschlossen, das Gesicht von Wollust gezeichnet.
Er musste sich am Riemen reißen. Ich entgleise, dachte er. Es sind vielleicht die neuen Schmerztabletten, die mich so benebeln. David war ein Kollege, ein Freund und nicht mehr. Er zwang sich, den Besucher mit einem schrägen Grinsen zu beglücken. »Hallo. Schönes Wetter heute.«
Tervenarius wandte den Kopf und musterte ihn mit honigfarbenen Löwenaugen.
Verdammt geile Kontaktlinsen ... Der ganze Kerl besaß etwas, das Nice nicht genau zu definieren wusste.
Der Besucher neigte sich zu David: »Ich muss kurz mit dir sprechen. Allein.«
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David schloss die Tür der Werkstatt, in die er Terv geleitet hatte, wandte sich um und umarmte seinen Schatz. »Das ist eine tolle Überraschung. Weißt du, dass ich es liebe, wenn du so unvermittelt auftauchst? Es ist, als würde die Sonne aufgehen.«
Tervenarius lachte leise. »Die scheint doch schon, Mimiran. Leider ist der Grund, warum ich dich besuche, nicht sonderlich erfreulich. Solutosan bittet mich, nach Sublimar zu kommen. Dort ist eine Krankheit aufgetaucht, die offenbar die Squalis befällt.«
In der Tat warf die Morgensonne einen starken Strahl durch das dicke Fensterglas und badete sie im Licht. Davids Lächeln erstarb. »Aber wieso musst du da hin und nicht Patallia?«
»Weil es sich wahrscheinlich um Pilze handelt.«
Wie viele einsame Abende standen ihm bevor? Frustriert lehnte sich David an einen Tisch mit Stoffballen.
»Es ist wohl müßig zu fragen, wie lange du weg sein wirst.«
»Ich weiß es nicht, Schatz. Möchtest du nicht mitkommen?«
David überlegte. Er hatte eben erst mit der Arbeit begonnen. Eigentlich hatte er vor, die Ideen, die ihm während der Ferien gekommen waren, nun in die Tat umzusetzen und zu schauen, ob sie funktionierten. Außerdem wollte er nicht als lästiges Anhängsel auf Sublimar im Weg herumstehen.
»Nein, ich bleibe hier. Ich komme sonst nicht weiter.«
Terv nickte nachdenklich. »Ich sehe zu, dass ich die Sache beschleunigen kann, okay? Bitte kümmere dich ein bisschen um Patallia.« Er hielt inne. »Mir gefällt nicht, dass du keinen Ring hast. Mir wäre lieb, du könntest einen der Energetiker rufen, falls irgendetwas ist.«
Einen eingebrannten Energie-Reifen in der Brust, so wie Terv einen trug? Oh nein, darauf hatte er wahrlich keine Lust. David erinnerte sich mit Schaudern an die Schmerzen, die Tervenarius gelitten hatte, als sich ihm das gleißende Metall ins Fleisch fräste.
»Ich komme schon klar.« Die Aussicht, ohne Terv zu sein, stimmte ihn traurig. Doch das war es nicht allein. Ihm schien es gestern gewesen zu sein, als sein Liebster sich verabschiedet hatte, um nach Duonalia zu reisen. Der Transport war schief gegangen und Tervenarius hatte vier Jahre lang als verschollen gegolten. Eine entsetzliche Zeitspanne, in der David vor Kummer fast gestorben war. Damals hatten die Torwächter Ulquiorra und Solutosan am Anfang der kosmischen Reisen gestanden. Inzwischen waren beide Männer als absolut versierte und erfahrene Energetiker zu bezeichnen. Trotzdem war ihm diese Pilzsache auf Sublimar nicht ganz geheuer, eine Vorahnung, die er nicht begründen konnte.
David schloss Terv fest in die Arme, der sein Gesicht zärtlich küsste. Es gibt immer noch Situationen, in denen ich mich fühle wie ein verlassenes Kind, dachte David. Ich sollte mich nicht lächerlich machen. Tervs Mund blieb auf seinen Lippen. Grapefruitblüten, Zitrone, Sonne, ein Kuss wie der Garten Eden. Gierig klammerte er sich an seinen Schatz, drehte sich so, dass nun Terv mit dem Rücken an den Tisch gelehnt zum Stehen kam.
Ich vergehe jetzt schon vor Sehnsucht, obwohl er noch hier ist. Davids Hand glitt tiefer, öffnete den Mantel und legte sich ganz selbstverständlich auf Tervs hart erregtes Geschlecht unter dem dünnen Stoff.
»Ich sollte gehen. Ulquiorra wartet.«
»Nur fünf Minuten, Terv.«
Ihm blieb also nicht viel Zeit, um seinen Hunger zu stillen. Mit einem schnellen Handgriff öffnete David Tervs Hose und ließ sich auf die Knie sinken.
»Dein Kollege«, versuchte Terv wenig überzeugend zu warnen.
Nice war David in diesem Moment einerlei. Außerdem war die Tür mit der großen Milchglasscheibe geschlossen.
Er tat, als hätte er den Einwand nicht gehört und befreite Tervs Glied, das sich ihm willig entgegen drängte. Schnell entblößte er auch seinen Liebling, den weichen, langen Hodensack, den er sofort gierig mit den Lippen verwöhnte und leckte.
»Ihr Götter. David.« Terv dämpfte weiterhin seine Stimme, keuchte unterdrückt.
So weich, so warm, die seidige Haut, eine glatte Eichel. David liebte Tervs großen Schwanz, wandte all seine Künste an, leckte und sog das stark geäderte Glied in seinen Mund, während er mit beiden Händen die Hoden massierte.
Hungrig, wie er war, konnte er sein langsames und genießerisches Tempo nicht halten. Die Finger in Tervs harte Pobacken gekrallt saugte er schneller, tiefer und gieriger.
Tervenarius, der anfangs sein Haar liebevoll gestreichelt hatte, hielt nun angespannt mit der Rechten Davids Kopf, während er die linke Faust gegen seine eigenen Lippen presste, um sämtliche, verräterische Laute zu unterdrücken. Welchen Geschmack wird er wählen?, schoss es David durch den benebelten Verstand. Die Frage wurde in der gleichen Sekunde beantwortet. Tervenarius kam zuckend in seinen Mund. Die warme Milch floss, lief seinen Schlund hinunter und das Aroma von Marzipan und Veilchen drang David bis in die Nase – Tervs ureigener Duft seit einhundert Jahren. Der Orgasmus spülte Davids Verstand hinweg. Gleichzeitig spürte er, wie sich sein eigenes Glied entlud. Verdammt, dachte er noch, ich habe keine Hose zum Wechseln dabei.
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Nice lauschte auf die leisen Stimmen von David und seinem Freund, konnte jedoch in dem sonnendurchfluteten Raum nur deren Silhouetten durch die Milchglasscheibe sehen und kein Wort verstehen. Die beiden standen sehr eng beieinander.
Nein, es war ihm nicht möglich, sich darauf zu konzentrieren, Monster zu erschießen oder zu zerstückeln. Er beendete das Online-Spiel. Die Schmerztabletten verdüsterten seinen Verstand und wirkten nicht einmal sonderlich gut. Gequält fuhr er sich seitlich über das Gesicht, wo das Implantat mit seinem Organismus verbunden war. Es fühlte sich an wie ein beißender, brennender Fremdkörper. Nach den vielen Monaten hätte sich sein Fleisch längst daran gewöhnt haben müssen, aber sein Leib hasste die rechte künstliche Kopfseite, die Schulter und den Arm.
Wo war David? Er blickte wieder zur Tür. Das Blut schoss Nice ziehend in den Unterleib, als er die Gestalt seines Kollegen auf den Knien vor dessen Freund sah. Davids Bewegungen verrieten ihm genau, was dort geschah. Schlagartig trocknete seine Kehle ein. Sex im Büro. Das war heiß.
Die beiden bemühten sich, leise zu sein, das fühlte er. David leistete ganze Arbeit. Die Faust auf den Mund gedrückt, fuhr der Kopf des großen Mannes in den Nacken, der Hut rutschte hinab. Nice spürte dessen Lust und den Orgasmus fast körperlich, verstand auch, was David trieb, obwohl er selbst noch nie einem Kerl einen geblasen hatte. Lediglich die Silhouetten der beiden zu sehen, ließ viel Raum für eigene Phantasie.
Es war vorbei. Die Männer im Nachbarzimmer bewegten sich, sprachen wieder lauter. Blitzschnell nahm Nice seine Hand vom Schritt, wandte sich seinem Rechner zu und zog mit einem Gedanken einen Haufen Dateien auf seine Screens. Gleichzeitig fuhr er den Dolch aus seinem Arm und schnitt sich ein Stück von dem Etonutrid-Riegel ab, der in dem Chaos auf seinem Arbeitsplatz lag.
Er sorgte dafür, dass, als David und Tervenarius durch die Tür traten, sie ihn in aller Seelenruhe kauend, in seine Formeln vertieft, mit Kopfhörern auf den Ohren sahen.
Tervenarius musste gegangen sein, denn David setzte sich wieder neben ihn und wollte mit seiner Arbeit beginnen. Es war nicht Nices Art, sich in das Privatleben von anderen zu mischen. Nein, wirklich nicht. Aber das Erlebnis hatte ihn aufgewühlt. Nice zog die Kopfhörer von den Ohren. »Ist dein Freund weg?« Sein Kollege nickte.
»Er ist ein attraktiver Kerl.«
Nun wandte sich David aufmerksam zu ihm um. »Möchtest du mir etwas sagen?«
»Nein. Ich ...» Doch, eigentlich schon. Ich freue mich für dich, dass du so einen tollen Mann gefunden hast. Du scheinst mir verdammt verknallt zu sein. Ich gönne dir das. Ähm, ja, das wollte ich mal loswerden.«
David lächelte und zeigte seine ebenmäßigen Zähne. Der Junge hat einen Schmollmund wie eine Frau, fuhr es Nice durch den Kopf. Kein Wunder, dass Typen wie der Löwenäugige scharf auf ihn sind.
»Erstaunliches aus deinem Mund.« David blinzelte. »Aber es freut mich.« Er hielt inne. »Leider kam er, um mir mitzuteilen, dass er auf unbestimmte Zeit verreisen muss.« David schluckte und Nice bemerkte, dass ihm das zusetzte. »Bin also erst mal Strohwitwer. Na ja, dann bekomme ich hoffentlich mehr geschafft.«
Während seiner Worte hatte Nice den Dolch ausgefahren und kratzte nachdenklich an der Kante der beschichteten Tischplatte seines Arbeitstischs. »Wir können ja mal auf einen Drink gehen, wenn du nun abends so viel Zeit hast.«
Lud er David jetzt mit einem Hintergedanken ein? Nein. Oder vielleicht doch. Er wollte mehr über diese Männerliebschaft erfahren. Hatte so eine homosexuelle Beziehung die gleichen Probleme, wie sie bei Mann und Frau auftraten?
»Und Daria?« David sah ihn prüfend an. »Ist bei euch alles in Ordnung?«
»Ja klar, wie kommst du darauf?« Er war nicht fähig dieses Thema näher zu erläutern, obwohl er fühlte, dass David der richtige Gesprächspartner dafür war. Was sollte er sagen? Dass ihre Liebe erloschen war? Wie würde David reagieren? Mit Anteilnahme? Wenn Nice irgendetwas nicht ausstehen konnte, war es Mitleid.
Er hatte wohl abweisend geklungen, denn David wandte sich wieder seinem Bildschirm zu. »Schon okay, ich wollte nicht aufdringlich sein.«
Nice presste die Lippen zusammen.
- 13 –
Auf dem Weg zurück in die Berge gingen Tervenarius etliche Gedanken durch den Kopf. Er lenkte das gepanzerte Fahrzeug so, dass er den größten Schlaglöchern auswich.
Was konnten das für Pilze sein, die den Squalis das Leben schwermachten? Salzwasser war ja bekanntlich nicht der ideale Nährboden für derlei Gewächse. Er selbst hasste es ebenfalls, im Meer zu schwimmen. Deshalb erinnerte er sich ungern an die Kämpfe, die er gegen die Piscanier in deren unterseeischer Stadt ausgefochten hatte. Hoffentlich würde ihn dieser neue Fall nicht dazu zwingen, sich erneut tagelang unter Wasser bewegen zu müssen.
Und David? Bedrückt hatte er dessen Angst gerochen, als er ihm von seiner Abreise erzählte. Er trennte sich ebenfalls ungern, hatte ihn aber nicht überreden wollen, wieder mit nach Sublimar zu kommen. David war ein selbständiger Mann und kein Anhängsel. Er musste Freiraum haben, um seine eigenen Interessen zu wahren.
Terv gab dem Hauscomputer Bescheid, dass er vor der Tür stand, indem er sich das Handgerät aus dem Wagen kurz vor die Augen hielt. Der Computer machte einen Netzhautscan, prüfte seine DNA durch den Hautkontakt zum Gerät und gab sein Okay. Das System öffnete die Garage und er fuhr hinein.
Solutosan war bestimmt schon da und wartete, aber Tervenarius hatte nicht aufbrechen wollen, ohne David vorher noch einmal zu sehen.
In der Tat, Terv fand Patallia und Solutosan im Garten an Smus Grab vor. Die Sonne brannte um diese Mittagszeit besonders stark, und brütende Hitze lag über dem versengten Land. Patallia stand im Schatten eines rosa-weiß gepunkteten Sonnenschirms, den Smu immer benutzt hatte. In seiner Hand wirkte das Stück deplatziert und befremdlich. Dem Sternenkrieger Solutosan schien die Sonnenstrahlung nichts auszumachen. Wahrscheinlich schützte ihn sein Sternenstaub. Tervenarius zog seinen Hut tiefer und gesellte sich zu den beiden.
»Willst du wirklich hierbleiben?«, fragte Solutosan den Mediziner telepathisch. »Schau dir das Land an. Sieh die Erde, wie sie sich verändert hat. Du hättest es doch auf Duonalia schöner. Meo ist noch da. Du könntest im Silentium studieren. Oder du kommst mit nach Sublimar und unterstützt Terv bei der Sache.«
Patallia schüttelte den Kopf. »Dort braucht mich niemand, Solutosan. Hier wird meine Hilfe benötigt. Die Menschen sterben. Terv und ich haben unsere Arbeit. Ich mache weiter, während er fort ist.«
Solutosan gab noch nicht klein bei. »Aber die Humanoiden sind zu bedrohlichen Tieren mutiert. Ihr könnt euch nicht mehr frei bewegen, ohne Gefahr zu laufen, ausgeplündert und verletzt zu werden.«
Nun mischte Terv sich ein. »Wir wissen, dass wir irgendwann hier weg müssen, aber so lange versuchen wir zu retten, was noch zu retten ist. Dazu kommt natürlich auch, dass diese Seuche, die wir die Kälte nennen, unseren Forscherdrang geweckt hat. Niemand weiß, wieso bei den Menschen plötzlich die Körpertemperatur abfällt und sie quasi erstarren. Wir haben inzwischen ein Medikament entwickelt, dass diese Symptome ein wenig verlangsamt. Aber das ist keine Heilung.« Während seiner kleinen Ansprache nickte Patallia zustimmend.
Der besorgte Solutosan betrachtete ihn ernst. »Na gut. Es ist eure Entscheidung. In der Zwischenzeit werden Ulquiorra und ich viele neue und interessante Welten entdecken. Vielleicht könnt ihr euch ja für eine von ihnen begeistern, wenn es mit der Erde zu Ende geht.«
Tervenarius dachte an Solutosans eigenen Planeten Renovamion und lächelte. »Lass uns jetzt erst einmal schauen, was es mit der Krankheit der Squalis auf sich hat. Ich gehe packen.«
Er ließ die beiden stehen und ging ins Haus. Terv betrat das Umkleidezimmer und zog die Sonnenschutzkleidung aus. Natürlich hatte Solutosan recht. Es gab wahrlich bequemere und schönere Welten als die Erde. Jedoch hatte er sich in den vergangenen einhundert Jahren an sie gewöhnt, hatte ihre Bewohner lieben gelernt. Er war nicht der Mann, der vor Problemen davonlief. David war wohl kein Mensch mehr, hing aber ebenfalls an dem Planeten.
Terv betrachtete sich kurz nackt im Spiegel. David liebte ihn, begehrte ihn. Es war kaum eine Stunde her, dass sein Liebster vor ihm gekniet und ihn verwöhnt hatte. Der Gedanke daran ließ sein Glied erneut hart werden. Hoffentlich fand er sofort eine Lösung für das Problem auf Sublimar und war schnell wieder zurück. Die Squalis waren symbiotisch mit den Auranern verbunden. Wenn sie erkrankten, konnte das lebensbedrohliche Folgen haben. Ohne die Milch der Squalis würden die Bewohner verhungern. Dieser Gedanke kühlte ihn ab. David und er hatten alle Zeit der Welt. Er musste nun seine persönlichen Interessen beiseiteschieben und helfen. Terv nickte sich im Spiegel zu, nahm ein waldgrünes, blau changierendes Serica-Gewand aus dem Schrank und zog es an.
- 14 –
Tervenarius machte zusammen mit Solutosan einen großen Schritt aus dem golden wirbelnden Ring und ließ seinen breiten Rücken los, an dem er sich während des Transports festgehalten hatte. Nur durch Kontakt zum Energetiker konnte dieser seine Passagiere in Energie transformieren und so in der Anomalie zu den entferntesten Planeten bringen.
Sie standen in dem großen Wohnzimmer der Residenz auf Sublimar, dem gemütlichen Raum mit dem bunten Steinfußboden und den bequemen Flechtmöbeln, in dem sie erst vor kurzem seine und Davids Hochzeit zelebriert hatten.
Troyan, Solutosans Halbbruder und Regent Sublimars, stand mit einem älteren Auraner auf der Terrasse. Beide Männer spähten über die Brüstung ins Wasser. Dem auranischen Besucher hing das goldene mit weißen Strähnen durchzogene Haar lang den Rücken herunter. Sein gelbes Serica-Gewand schimmerte in allen Farben.
»Da sind die beiden kranken Squalis«, informierte Solutosan ihn, als Tervenarius an seiner Seite in die gleißende Sonne trat.
Ein Lächeln erhellte Troyans besorgtes Gesicht, als er Terv erblickte. »Wie gut, dass du kommen konntest. Das ist Bental, der Besitzer der Squalis.«
Mit zusammengekniffenen Lippen deutete Bental nach unten ins Wasser. Dort schwammen zwei Squalis. Eines der Tiere starrte mit trübem Blick zurück, die sonst gefleckte, glatte Haut mit einem roten Schorf bedeckt. Dem anderen Squali schien es etwas besser zu gehen. Es bewegte sich lebhafter, jedoch wies auch seine Epidermis bereits einige krebsrote Flecken auf.
»Pirani geht es sehr schlecht«, jammerte Bental telepathisch. »Sie frisst nichts mehr. Und seht, auch Mali hat es erwischt. Das zeigt, dass die Krankheit ansteckend ist.« Er blickte bittend zu Tervenarius. »Könnt Ihr mir helfen?« Das mit feinen Fältchen zerfurchte Gesicht verzog sich jammervoll. »Was soll ich ohne meine Squalis machen? Ich verdiene nicht so viel. Ich bin Beschneider der Morlus-Bäume. Von dem wenigen Serica kann ich mir und meiner Frau gerade das Notwendigste kaufen. Was, wenn die Tiere nicht mehr gesund werden?« Seine Stimme erhob sich beim letzten Satz zu einem jammernden Wehklagen.
»Nun klage nicht voreilig«, versuchte Troyan den Mann zu besänftigen. »Wir wissen ja noch überhaupt nichts. Tervenarius wird sich der Sache annehmen.« Seine dunklen Sternenaugen glitzerten, als er Terv anblickte.
Der nickte. »Ich werde sofort eine Probe nehmen.«
Um dem jammernden Bental zu entkommen, sprang Tervenarius mit einem Satz auf die weiße Umgrenzungsmauer der Terrasse und von dort aus ins Wasser. Ich hasse Meerwasser, dachte er noch, aber nun ließ es sich nicht ändern. In Sekundenschnelle wählte er zum Schutz seiner Haut weniger salzempfindliche Pilzsporen und war mit zwei kräftigen Schwimmzügen bei den kranken Tieren. Die stark befallene Pirani reagierte kaum auf ihn. Trotzdem streichelte er der geschwächten Squali sanft über die nasse Nase. »Das wird schon wieder«, tröstete er sie und betrachtete den Ausschlag eingehend. Es schien wirklich ein Pilz zu sein. Terv kratzte ein kleines Stückchen davon ab und roch daran. Ein leicht fauliger Geruch. Rottenpilz, das war das erste Wort, das ihm in den Kopf kam. So etwas hatte er noch nie gesehen, obwohl ihm tausende Fäulnispilze bekannt waren. Dieses Lebewesen hatte mit den Saprobionten der Erde nichts gemeinsam. Mit dem Rottenpilz auf dem Finger zog er sich an der Mauer hinauf und kam auf dem weißen Steinfußboden zum Stehen. Sein Serica-Gewand trocknete in Sekundenschnelle. Er hörte nicht mehr, was die anderen erzählten. Das Wesen auf seiner Hand nahm ihn völlig gefangen. Er spürte, wie die Substanz zunächst versuchte, sich an ihn zu klammern, aber dann regelrecht vor seiner Pilzhaut zurückschreckte, sich zusammenzog und als roter Klecks auf seiner Fingerkuppe sitzen blieb. Der Pilz hatte ihn offensichtlich als nicht essbar und verwertbar erkannt. Da hast du wohl deinen Meister gefunden, sagte er in Gedanken zu dem Rottenpilz, du kleiner Stinker. Ich werde dir auf den Zahn fühlen.
Ohne die anderen zu beachten, ging er ins Wohnzimmer zurück und betrachtete den Parasiten. Denn dass dieser von den Squali schmarotzte, war eindeutig.
Draußen auf der Terrasse lamentierte Bental weiter, gelegentlich unterbrochen von Troyan, der mit sanfter Stimme auf den Auraner einsprach.
Tervenarius versuchte indessen, Erreger und Pilzsporen zu aktivieren, die dem Rottenpilz zusetzen sollten. Er leitete sie zu seiner Fingerspitze. Er wusste, dass es schwierig war, einen Pilz oder Mikroorganismus zu finden, der gegen seinesgleichen kämpfen würde. In der Tat, die rote Materie zog sich minimal zusammen, zeigte aber keine weitere Reaktion. Nun denn, da er offensichtlich nicht fähig war, den Parasiten mit seinen körpereigenen Mitteln zu bekämpfen, musste er schwerere Geschütze auffahren.
Entschlossen ging er zu den anderen zurück und blickte zu Solutosan, der sich im Schatten der Residenz auf ein Flechtkissen gesetzt hatte und geduldig wartete. »Bitte geh zur Erde und frage Pat, mir kleine Mengen von Schwefelsäure, Phosphorsäure und Essigsäure zur Verfügung zu stellen. Diese Substanzen müssten bei uns im Haus sein. Außerdem«, er überlegte, »bring bitte einen meiner Probenkästen mit. Patallia weiß, welchen.«
Mit einem erleichterten Blick auf Bental war Solutosan sofort auf den Füßen, schuf sein Tor und war fort. Der goldene Ring fiel in sich zusammen. Diese Art zu verschwinden hatte selbst Bental für einen Moment die Sprache verschlagen. Er wollte erneut anfangen zu reden, als Terv der Geduldsfaden riss. »Bental, alles Zetern nützt nichts. Davon werden deine Squalis nicht gesund. Entweder lässt du sie hier und gehst zu deiner Frau zurück, oder du bleibst bei ihnen und verhältst dich ruhig. Du störst meine Konzentration.« Selbst der souveräne Troyan konnte sich mit einem Blick auf Bentals weit aufgerissene Augen ein Lächeln nicht verkneifen. Dann nickte der Regent zustimmend.
Tervenarius nahm ihn zur Seite. »Ich hoffe, dass ich mit den Säuren etwas ausrichten kann. Wenn nicht, muss ich den Ursprung des Pilzes finden. Wo könnte die Squali ihn herhaben?«
Troyan warf einen Blick auf den nun schweigsamen Bental. »Er hatte mir heute Morgen berichtet, dass die Squali Pirani eine rechte Herumtreiberin wäre. Sie liebt Süßwasser und er nähme an, dass sie deshalb in die Sümpfe schwimmen würde.«
Die Sümpfe von Sublimar. Tervenarius blickte nachdenklich auf die sonnenbeschienene Wasserfläche, die endlos am Horizont verschwamm. War das ein Zeichen? War er nicht der Sohn des Sumpffürsten, den Pallasidus vor Äonen so jähzornig vernichtet hatte? Ihm war diese Geschichte nie besonders wichtig erschienen, auch wenn David sie damals aufregend gefunden hatte. Jetzt hatte er die Gelegenheit, seine Herkunft zu erforschen. Er erwartete nicht, in diesen Sümpfen irgendetwas zu finden – einen Hinweis auf ein ausgestorbenes Volk zum Beispiel. Aber er würde Proben von Pilzen und Mikroorganismen in Hülle und Fülle nehmen können. Das war eine Aufgabe nach seinem Geschmack – wenn da nicht Bental gewesen wäre. Ihn musste er als Führer mitnehmen. Terv stieß verdrossen die Luft aus.
Der Regent Troyan, der kurz im Inneren der Residenz verschwunden war, trat mit einem Tablett in den Sonnenschein, auf dem sich zwei gefüllte Becher voll vergorener Squalimilch für Bental und Kefir für Tervenarius befanden. Der Herrscher selbst, als Sohn eines Sternengottes und einer Sirene aus dem Südmeer, ernährte sich von Fisch. Trotz einer Schar Bediensteter war er sich nicht zu schade, seine Gäste eigenhändig zu bewirten. Sein dickes, dunkelgrünes Haar umrahmte das edle Gesicht mit der feinschuppigen, hellen Haut. Wann immer Terv ihn sah, bestaunte er dessen Schönheit und Eleganz. Die schwulen Männer auf der Erde würden sich um ihn reißen, dachte er amüsiert. Aber zum einen hatte Troyan eine der aquarianischen Töchter von König Maurus geheiratet, zum anderen hätte dieser wohl niemals einen Fuß auf den verkommenen Humanoiden-Planeten gesetzt.
Solutosans golden flirrender Ring erschien. Mit einem Schreckenslaut machte Bental einen übertrieben weiten Sprung bis an den Rand der Terrasse und glotzte den Energetiker an, als hätte sein letztes Stündlein geschlagen. Solutosan ignorierte ihn und ließ das Tor in die Anomalie mit einer Handbewegung zusammenfallen. »Hier sind die gewünschten Sachen. Patallia war nicht da, aber ich habe gesucht und alles gefunden.«
Interessiert betrachtete Tervenarius den roten Rottenpilz auf seinem Finger. Witzigerweise hatte er das Gefühl, dass dieser beim Anblick der Säurefläschchen in Deckung ging und minimal schrumpfte.
So, mein Freund, dachte Terv grimmig. Wollen wir doch mal sehen, ob wir dir hiermit beikommen können. Er musste einen Weg finden. Ihm war der Ernst der Lage völlig bewusst. Starben die Squalis, wäre das auch der Tod der Auraner.
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Tervenarius war nun schon drei ganze Wochen fort. Besonders die Abende hatten sich endlos gezogen ohne ihn. Deshalb war David froh, als sein Freund und Kollege die Einladung zu einem Drink erneuerte.
Es war früher Nachmittag, als Nice und er ihr Büro verließen und sorgfältig verschlossen. Obwohl das Areal stark bewacht wurde, war man nie sicher, ob nicht doch Eindringlinge versuchen würden, Equipment zu stehlen.
Nice hatte sich schwerfällig hinter das Steuer seines Solarfahrzeugs gedrückt und David setzte sich wortlos auf den Beifahrersitz. Er vertrug nur Milchmischgetränke und Wasser, aber wollte Nice zuliebe einen Cocktail aus selbstgebranntem Schnaps, Wasser und Aromastoffen bestellen und daran nippen.
Die Mischung aus Restaurant und Bar lag zentral innerhalb der unzähligen, langgestreckten Firmengebäude. Es war kein gemütlicher Ort, auch wenn der Besitzer Matthew versucht hatte, Wände und Nischen mit allerhand buntem Tand zu dekorieren. Nun zierten Teddybären und verstaubten Plastikpflanzen aus einer längst vergangenen Zeit das Etablissement.
Sie schoben sich am Ende der schwarz lackierten Bar auf die Barhocker. »Zwei Hellraiser«. Der dicke Matt nickte und begann, die Drinks zu mischen.
Warum sitze ich hier eigentlich?, fragte sich David und musterte den verspannt neben sich kauernden Nice. Der Freund bewegte sich ungelenk und steif. David wusste, dass er ständige Probleme mit den Implantaten hatte. Natürlich war es ihm schon in den Sinn gekommen, Nice zu Patallia zu bringen. Der hatte jedoch mit einem geknurrten »Alles Kurpfuscher« eine weitere Behandlung abgelehnt.
Matthew stellte ihnen die Getränke hin. »Wer zahlt?«
Da Nice als Erster bestätigend nickte, hielt der Wirt kurz das Handgerät des Computers an dessen Auge, um den Netzhautscan zu machen.
David seufzte aus tiefster Brust. Mit einem Mal fühlte er sich frustriert und leer. Es stimmte, was er Terv gesagt hatte: Tervenarius war seine Sonne. An seiner Seite ergab plötzlich alles wieder einen Sinn.
»Die Erde zieht mich runter.« David stierte in sein Glas und schwenkte die leise klirrenden Eiswürfel.
Von Nice kam ein heiseres Krächzen, das einem Lachen nur entfernt ähnelte. »Na toll, möchtest du lieber in dieses Sauerstoffzelt auf dem Mars? Das bescheuerte Projekt wird doch sowieso nie funktionieren. Außerdem mangelt es denen da oben an allem.«
David musterte ihn, betrachtete erst das blaue und dann das braune Auge. Ob es Nice auf einem gesunden Planeten wie Duonalia oder Sublimar besser gegangen wäre? Vielleicht sogar als Siedler in dem urtümlichen Renovamion? Als Schafzüchter? Ohne Computer? Er konnte es sich nicht vorstellen. »Warum hast du dir eigentlich ein blaues Auge ins Implantat setzen lassen?« Diese Frage hatte er Nice nie gestellt.
Der stutzte zunächst, da David so abrupt das Thema gewechselt hatte, strich sich dann mit einer fahrigen Bewegung das strähnige Haar zurück. »Keine Ahnung. Ich fand braune Augen schon immer langweilig. Und da sich die Gelegenheit bot ...«
»Hm.«
»Findest du, dass es scheiße aussieht?«
»Nein.« Er blickte Nice versonnen an. »Ich wünsche mir einfach manchmal, dass es dir besser ginge.«
»Mir geht’s gut«, erwiderte Nice trotzig.
Das wollte David nicht auf sich beruhen lassen. »Ich sehe doch, dass das nicht stimmt.«
Nice trank sein Glas mit einem großen Schluck leer. »Der Zug ist für mich abgefahren, David. Es gibt keinen Weg mehr. Ich kann nur hoffen, dass mein Körper irgendwann seine neuen Teile akzeptiert.« Er blickte ihn mit steinernem Gesicht an. »So lange fresse ich eben diese Scheiß-Pillen.«
Er tat David leid, aber das durfte er um Gottes willen nicht zeigen. Deshalb kniff er die Augen zusammen. »Ich weiß gar nicht, was du hast. Ich mag dein Styling. Integriertes Brotmesser und Computer, das hat doch was. Und den Arm kann dir wenigstens niemand klauen.«
Nice stutzte. Dann grinste er.
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Das war es, was er an David mochte: seinen unerschütterlichen Humor. »Ja genau. Verliere ich den anderen Arm auch noch, lass ich mir dort eine Strahlenpistole einsetzen und eine Dose für meine Etonutride.« Er trank sein Glas auf einen Schluck aus. Der hochprozentige Alkohol machte sich angenehm wärmend in seinem Magen breit.
David lachte und Nice betrachtete dabei seinen Mund. Das erinnerte ihn an den erotischen Vorfall im Büro. Ob Daria schon zu Hause war?
Nice erhob sich und klopfte auf die Bar. »Alles klar. Trink aus, David. Ich habe noch etwas vor. Ich bringe dich zu deinem Wagen.«
Der Freund starrte auf sein fast volles Glas und reichte es ihm dann. »Mir ist heute nicht so danach. Nimm du es.«
Sich einen anzusaufen, bevor er mit Daria konfrontiert wurde, war einerseits keine gute Idee, denn sie hasste es, wenn er trank. Andererseits würde ihn das zusätzlich betäuben, und ihn ihre Kälte weniger spüren lassen.
Mit einem Zug hatte er sich den Inhalt des Glases einverleibt. Wow! Das kam gut zusammen mit den vielen Tabletten. Er grinste David verschwommen an.
»Na, denn mal los.«
Daria war bereits zu Hause, als Nice die Wohnung betrat. Nice betrachtete sie lüstern, wie sie auf einem zierlichen Schemel vor ihrer hypermodernen Frisierkommode saß und sich das volle, dunkle Haar bürstete. Ihr Body war perfekt. In dieser Hinsicht begehrte er sie nach wie vor.
Sie musterte ihn im Spiegel, wie er am Türrahmen des Schlafzimmers lehnte. »Du weißt hoffentlich, dass wir heute bei Westle auf dem Firmen-Event eingeladen sind. Das ist mir wichtig, John.« Sie drehte sich zu ihm um. Das hauchdünne Unterkleid spannte sich über ihre vollen Brüste, betonte die sanfte Rundung ihres Bauches und endete knapp über ihren wohlgeformten Schenkeln.
Scheiße. Natürlich hatte er das vergessen, beziehungsweise wohlweislich verdrängt. Er hasste derlei Festivitäten, die er mit Smalltalk und festgefrorenem Lächeln absolvieren musste. Und er konnte es nicht leiden, wenn sie ihn bei seinem richtigen Namen nannte.
Daria las die ablehnenden Gedanken in seinem Gesicht. »Einen Rückzieher akzeptiere ich nicht. Du hast es versprochen. Alle Führungskräfte haben ihre Partner mitzubringen. Wir müssen um halb acht los.«
Also hatte er noch zwei Stunden Galgenfrist. Genügend Zeit, um sie vorher gründlich durchzunehmen.
Sie wandte sich erneut dem Spiegel zu und beobachtete ihn prüfend mit zusammengekniffenen Augen.
»Ich bin zu müde für so einen Scheiß, Daria.« Sein Entschluss stand fest. Er würde sie für diese Gefälligkeit in Naturalien bezahlen lassen.
Ohne sie weiter zu beachten, begann er sich auszuziehen. Um sie zu ärgern, ließ er seine Kleider auf dem Weg zum Bett einfach auf den Boden fallen und warf sich stöhnend in die Kissen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, streifte er liegend seinen Slip ab und pfefferte ihn in ihre Richtung.
»Du willst mich nur provozieren.« Wie gut sie ihn inzwischen kannte. Er schloss die Augen.
»Nice! Was erwartest du von mir?« Sie stand vor dem Bett. »Soll ich betteln? Ist es nicht auch deine Zukunft, die auf dem Spiel steht? Du verdienst doch durch deinen ganzen sozialen Müll nichts. Einer von uns muss ja wohl vernünftig sein und auf der richtigen Seite arbeiten.«
Argh! Die Endlos-Diskussion um seinen Job und dessen Nutzen. Darauf hatte er absolut keine Lust. Alkohol und Tabletten hatten sich zu einem angenehmen Konglomerat verbunden, das sich beruhigend in seinem Körper breit machte. »Ich unterstütze dich ja. Aber deswegen muss ich mich ja nicht auf so einem Fest prostituieren.« Er hörte Daria nach Luft schnappen. »Niemand hat gesagt, dass du dort mehr machen sollst als Lächeln und Smalltalk.«
»Mir ist nicht nach Lächeln.«
Stille. Dann ein Knistern ihres Unterrocks, als sie sich auf das Bett kniete.
»Gut, ich bezahle.« Ihre Hand schloss sich um seinen Schwanz.
»Handjob? So billig sind exquisite Begleiter nicht zu haben.« Er bemühte sich, das Zucken seiner Mundwinkel zu unterdrücken. Sie war eine geschickte Bläserin. Das wussten sie beide. »Um mich zum Lächeln zu bringen, musst du dir schon mehr einfallen lassen.«
Anstelle einer Antwort umzüngelte ihre Zunge augenblicklich gekonnt seine Eichel. Sein Glied in ihrer Hand reagierte sofort. Nice entspannte sich. Auf meinen Schwanz ist wirklich immer Verlass, überlegte er. Ihm habe ich zu verdanken, dass Daria überhaupt noch bei mir ist. Das Bild des sich genussvoll zurücklehnenden Tervenarius erschien in seinem benebelten Kopf. Er konnte sich vorstellen, wie dieser auf David lag. Was das wohl für ein Gefühl war? Er konzentrierte sich wieder auf Darias saugenden Mund. Ihm stand der Sinn danach, sie ebenfalls auf diese Art zu penetrieren. Wie einen Mann. Das hatte er noch nie versucht. Wie würde sie reagieren? Das war schwer vorherzusagen. Aber war es nicht letztendlich gleichgültig? Ihr Verhältnis basierte doch sowieso nur auf Sex. Warum also das Repertoire nicht noch erweitern? Sein Verlangen wuchs.
»Komm, reite ihn.«
Eine von Darias Lieblings-Stellungen. In der konnte er sie überrumpeln.
Mit einem Satz saß sie auf seinen Schenkeln. Ihre heiße, feuchte Enge umschloss seinen Schwanz so gierig und schnell, dass er laut keuchte. Mit einem Griff der linken Hand hatte er ihre wippenden Brüste aus dem spitzenverzierten Ausschnitt gelöst. Ein Anblick, den er liebte.
Sie ritt ihn, lange und ausgiebig. Wie eine wilde Amazone, die auf einem feurigen Hengst über die Steppe preschte. Mit verzücktem Gesicht und aufgelöstem Haar, die Hände auf seine Brust gestützt, schwitzend und schwer atmend. Ein schwaches Kontrahieren ihres Geschlechts signalisierte ihm, dass sie sich dem Höhepunkt näherte.
Oh nein, so einfach würde er ihr es nicht machen. Er packte ihr Becken mit beiden Händen, zog sie ein kleines Stück nach vorne und versenkte seinen nassen Schwanz in ihrem hinteren, entspannten Eingang. Daria schrie völlig überrascht auf. In einem ersten Reflex verkrampfte sie sich, wollte sie sich ihm sofort entziehen, aber das ließ er nicht zu. Mit eiserner Kraft hielt er sie in ihrer Position. Augenblicklich brüllte sie vor Schmerz und Wut, stemmte sich gegen ihn. Er gab ein kleines Stück nach, glitt jedoch nicht vollständig aus ihr, sondern drückte sie erneut auf sein hochgradig erregtes Glied zurück. So eng. So tief. So also fühlte sich das an. Er gab wieder ihrem Fluchttrieb nach, aber ließ sie nicht ganz gehen, benutzte nun auch die Stärke seines Implantat-Armes, um sie zu bändigen. »Nice! Nein!«
»Doch! Heute machen wir es so. Und dafür komme ich mit. Einen verdammten Abend an deiner Leine. Dein brav lächelndes Hündchen. Aber jetzt will dich dein Haustier erst einmal ficken. Und zwar so, wie es ihm passt.«
Er verschob die linke Hand, sodass sein Daumen auf ihrer nassen, geschwollenen Perle zu liegen kam. Gemächlich nahm er seine Bewegung wieder auf, massierte den empfindlichsten Punkt.
Sie kämpfte mit sich. Wut und Lust spiegelten sich abwechselnd in ihrem Gesicht, aber sie ließ ihn gewähren. Ihre Geilheit siegte. Sie fügte sich. Brutal und hart stieß er in diese neu eroberte Enge. Ein Gefühl wie die Umklammerung eines Schraubstocks. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren.
Den Kopf in den Nacken gelegt, in sein Fleisch gekrallt, übergoss sie seinen Bauch mit einem heißen Schwall aus ihrem Geschlecht, was seiner Beherrschung ein Ende setzte. Laut keuchend verströmte er sich in ihren Leib, hielt sie dabei auf sich gepresst, als wolle er sie auf seinem Schwanz für immer festnageln.
Er musste ihr wehgetan haben. Das war sein erster Gedanke. Die Mechanik seiner Hand bestand aus Metall. Vorsichtig löste er sie von ihrer Hüfte, hob den Kopf und betrachtete die rot-blau unterlaufene Stelle.
Da traf ihn eine klatschende Ohrfeige, die ihm den Schädel herum riss. »Du widerliches Schwein!« Sie wollte noch einmal zuschlagen, aber er packte blitzschnell ihr Handgelenk. »Mich so zu benutzen! Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
Daria löste sich und sprang aus dem Bett, stand zitternd vor Entrüstung daneben.
»Wieso? Es hat dir doch gefallen.« Sie ist wirklich eine heiße Braut, dachte er und betrachtete ihre funkelnden Augen, die geröteten Wangen. »Die Wut steht dir gut. Du wirst sicher die Attraktion auf deinem Firmentreffen. Soll ich dich jetzt jedes Mal in den Arsch ficken, bevor wir in deine Firma gehen?«
Daria schnappte nach Luft. Ihre Stimmung schlug um, das spürte er. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie wollten ihm jedoch offensichtlich nicht zeigen, wie tief sie getroffen war, denn sie drehte sich postwendend um und marschierte ins Bad. Rumms, die Tür war zu.
Es war ihm gleichgültig. Der juckende, brennende Schmerz hatte erneut überhand gewonnen. Sein Schädel pulsierte. Am liebsten hätte er sich den Arm abgerissen – wie schon so oft, wenn er sich zu stark angestrengt hatte. Er hörte die Dusche kurz angehen und biss die Zähne zusammen. Wie lange hielt sie es wohl noch mit ihm aus? Wo waren seine Tabletten?
Der kommende Abend war unmöglich ohne Schmerzmittel zu überstehen. Die Ärzte hatten ihm angeboten, in den Arm ein Reservoir an Schmerzblockern einzubauen. Die hätte er nur mit einem Gedanken nach Belieben freisetzen können. Aber das war nicht sein Film. Er hatte nicht vor, komplett süchtig zu werden. Er hasste den Schmerz. Er war sein Partner. Es war besser, den Peiniger zu hassen statt sich selbst.
Fluchend schob Nice sich aus dem Bett, stolperte durch das Zimmer zu seiner Jacke und wühlte in den Taschen. Er musste die Medikamente schnell nehmen, bevor sie ihn in diesem Zustand sah. Er wollte nicht als der kränkliche Krüppel vor ihr stehen.
Erschöpft ließ er sich auf die Bettkante sinken, betrachtete seinen Arm und fuhr den Dolch aus. Allmählich trat die betäubende Wirkung ein. Nachdenklich kratzte er mit der Dolchspitze über den rechten Oberschenkel. Ein roter Strich. Das war nicht genug. Er ritzte tiefer und Blut quoll hervor. Ah, das war besser. Während sich das wohlige Gefühl durch das Medikament bemerkbar machte, lief der Schmerz aus seinem Fleisch. Fasziniert beobachtete er, wie das Blut sich auf der Haut ausbreitete.
»Was zum Teufel machst du da?«
Er hatte Daria bereits vergessen, die plötzlich in einem schwarzen, engen Abendkleid vor ihm stand. War da Besorgnis in ihrer Stimme? Vielleicht sollte er sich wenigstens für diesen Abend mit ihr versöhnen. »Es hat da gejuckt. Ist nicht schlimm.«
Er erhob sich schneller als gut für ihn war, denn es wurde ihm eine Sekunde lang schwarz vor Augen.
»Du wirst doch jetzt nicht einen weiteren Grund suchen, um dich zu drücken?« Verachtung schwang in ihrer Stimme mit.
»Nein.« So viel Ehre hatte er ja wohl noch im Leib. Sie hatte bezahlt. Er bemühte sich, mit festen Schritten zu seinem Kleiderschrank zu gehen und seinen offiziellen Anzug herauszuholen. Wie es zu diesem Zeitpunkt in Mode war, bestand dieser aus glänzendem, schwarzem Material und hatte einen strengen Schnitt mit Stehkragen.
Daria hatte sich vor ihre Frisierkommode gesetzt und steckte sich das Haar auf. »Wie geht es eigentlich deinem Freund – diesem David? Ist er aus dem Urlaub zurück?«
Warum interessierte sie das? Er zog sich Socken an. Vielleicht sollte es ein Smalltalk werden, um Normalität herzustellen.
»Der ist schon seit einiger Zeit wieder da. Aber es geht ihm nicht so gut, denn in seinem Haus war ein Todesfall. Einer seiner Freunde ist gestorben.« In dem Moment, als er das sagte, ärgerte er sich über sich selbst. Es stand ihm nicht zu, Davids private Probleme nach außen zu tragen. Aber nun war es geschehen.
»Ach. Das ist tragisch.« Daria puderte ihr Gesicht und blickte ihn nicht an. »Zumal die Bestatter ja grauenvoll teuer geworden sind.«
»Sie haben keinen gerufen.« Er stand auf und stellte sich hinter sie, um sich fertig angezogen im Spiegel zu betrachten. Wäre da nicht seine künstliche, metallisch schimmernde Gesichtshälfte gewesen und das stoppelige weiße Haar darüber – sie hätten perfekt zusammen ausgesehen.
Nun wandte Daria sich um. »Sie haben ihn selbst begraben? Sag jetzt nicht, im eigenen Garten. Das ist ja gruselig.«
Nice wiegelte ab. Er wollte dieses Thema endlich beenden. »Das hat uns nicht zu interessieren, Daria. Lass uns fahren.«
Als ob sie sich jemals für die Leichen interessiert hätte, die in den Straßen liegen, dachte er, während er an ihrer Seite in die Tiefgarage ging. Sie mied die Gegenden der Donthaves und bewegte sich, soweit möglich, nur in den geschützten Bereichen. Dort befand sich selbstverständlich auch der monumentale Westle Firmensitz. Der geplante Empfang diente dem Zusammenhalt der Mitarbeiter und bot so ganz nebenbei den obersten Chefs die Gelegenheit, die privaten Hintergründe ihrer Untergebenen zu erforschen. Offiziell wurde der Jahrestag der Firmengründung gefeiert. Nach Nices Meinung ein schwarzer Tag in der Geschichte. Und nun war er dazu verdammt, Smalltalk mit Leuten zu machen, die er verachtete. Was für ein Scheiß-Job. Er musste aufpassen, dass ihm die Verachtung nicht durch sämtliche Poren drang.
-17-
»Wasser für die Welt«, verkündete ein unübersehbares, in einen Silberrahmen gefasstes Schild im Eingangsbereich des Gebäudes, dessen Schleuse Daria und er durchlaufen mussten, um das Innere zu betreten. Ihm war völlig klar, dass dieser Durchgang alles aufbot, was man an Sicherheitschecks auffahren konnte. Westle war nun im Besitz seiner aktuellsten medizinischen Daten samt Blutgruppe und DNA Code und kannte sogar die Farbe seines Slips, beziehungsweise seine Schwanzlänge. Für seinen Dolch hatte er keine Sondererlaubnis bekommen, deshalb war dessen Mechanik blockiert, was man ebenfalls überprüft hatte. Wie gerne hätte Westle auch den Inhalt seines Computers gecheckt. Nice grinste in sich hinein. So klug wie deren Techniker war er allemal. Der Rechner in seinem Arm machte auf seinen Gedankenbefehl dicht, hatte eine Spezial-Legierung und gehorchte nur ihm mit einer bestimmten Gedankenfolge. Westle besaß allerdings ein monumentales Sperr-Programm, mit dem man seinen Rechner für die Zeit seines Aufenthalts komplett deaktivieren konnte. Das hatte er zulassen müssen. Beim Verlassen des Firmengeländes gab man seinen Computer dann wieder frei. Nice kam diese Anwendung vor wie ein riesiger, klebriger Kaugummi, mit dem man sämtliche Aktivitäten unterband, ohne Daten auszulesen.
So ein Nonsens. Als ob sie ihn in einen wichtigen Bereich der Firma gelassen hätten. Nur Daria und den Betriebsangehörigen war der Zugang in das Allerheiligste gestattet, das vom Gemeinschaftstrakt durch eine weitere Schleuse getrennt war. Tja, Wasser ist eben wertvoller als Gold, dachte Nice und betrachtete einen plätschernden Marmorbrunnen in einer Ecke des Raumes, der kristallklares Wasser aus einem blumenverzierten Füllhorn spie. Westle hatte es geschafft, die Hälfte der weltweiten Wasservorräte aufzukaufen. Der andere Teil wurde von Unlimited Springwater beherrscht, deren Firmenpolitik keinen Deut besser war.
Das staatliche Wasser aus den Entsalzungsanlagen war schlecht und teuer. Also blieb den meisten Menschen nur noch eine braune Brackbrühe aus diversen Bodenlöchern. Mit Urinreinigern war ebenfalls Geld zu machen. Nice war zu Ohren gekommen, dass Westle auch diese Patente aufgekauft hatte. Die verdienen sogar an den armen Schweinen, die ihre eigene Pisse saufen, dachte Nice. Sie streben nach Macht und der Weltherrschaft, und irgendwie scheint an ihnen die Tatsache vorbei gegangen zu sein, dass die Erde ein zerstörter, stinkender Planet ist, den zu beherrschen nicht lohnt. Obwohl – vielleicht gab es ja doch noch irgendwelche Reste herauszupressen, mit denen man sich dann die letzten, verbliebenen Ressourcen leisten konnte. Nice schluckte, um den aufsteigenden Hass nach unten zu drücken.
Er blickte in die Runde der elegant gekleideten Damen und Herren. Die Männer in schwarzen Anzügen, die Frauen in dunklen, kniekurzen Kleidern, schmucklos, lächelnd, nickend in leise Unterhaltungen vertieft. Selbstverständlich tranken alle Wasser.
»Das Wasser ist aus einer deutschen Gebirgsquelle«, flüsterte Daria an seiner Seite. »Du solltest es probieren. Es ist das Beste, was wir im Moment auf dem Markt haben.«
Gehorsam hielt Nice einen der vorbeieilenden Kellner an und nahm sich ein gefülltes Glas vom Tablett. »Ich muss kurz mit Don sprechen. Bin gleich wieder da.« Mit diesen Worten war Daria in der Menge verschwunden.
Das war ihm recht. Er wollte sich alles in Ruhe anschauen und schlenderte durch die Räume. Eine riesige Wand zeigt das Lichtermeer von Vancouver, um den Eindruck eines Ausblicks vorzutäuschen. Die Firmenzentrale verfügte jedoch über kein einziges Fenster. Fenster stellten Sicherheitslücken dar, die tunlichst vermieden wurden.
Ihr eigenes Tentasylum-Büro besaß noch welche. David hatte darauf bestanden, Licht in ihre Arbeitsräume zu lassen. Er behauptete, in völlig abgeschlossenen Zimmern zu ersticken. Wahrscheinlich ging er deshalb das enorme Risiko ein, in den Bergen zu wohnen. Nice hatte das Haus dort gut gefallen. Es war ebenfalls hoch abgesichert, aber gemütlich, hell, warm und großzügig. »Das ist meine Burg«, hatte David ihm lächelnd erklärt. »In ihr hüte ich alles, was mir wertvoll ist.« Während er das sagte, hatte er seinen Freund angestrahlt, der in diesem Moment zu Tür hereingekommen war.
Nachdenklich spazierte Nice durch die hell erleuchteten Konferenzräume. Er begutachtete das kalte Büffet, das offensichtlich Brot aus Weizenmehl und Käse aus originaler Kuhmilch aufbot, außerdem hartgekochte Eier in einer Menge, wie er sie noch nie gesehen hatte. Verschiedene Sorten Obst rundeten schön dekoriert die Tafel ab. Nice tippte mit einem Finger auf ein Stück Apfel. Es schien wirklich echt zu sein. Also nahm er es und lief knabbernd weiter. Ihn interessierten besonders die Sicherheitsanlagen, die man nur vermuten konnte, denn man hatte sie geschickt in die Wände und die Beleuchtung integriert.
Daria hatte angeboten, ihm bei Westle einen Job im Sicherheitsteam zu besorgen. So sehr ihn diese Aufgabe lerntechnisch reizte – die Vorstellung, ebenfalls für diese Halsabschneider zu arbeiten, war ihm zuwider. Um Daria nicht zu verärgern, hatte er jedoch nicht rundum abgelehnt, sondern diese Frage offen gelassen.
»Wie ich höre, werden Sie sich unserem Sicherheitsteam anschließen«, bemerkte eine dunkle, sonore Stimme neben ihm. Damien Scott, der Vorstandsvorsitzende und einer der höchsten Chefs von Westle, stand urplötzlich vor ihm, ein Kristallglas in den weißen Händen. Der schlanke, dunkelhaarige Mann mit dem militärischen Kurzhaarschnitt musterte ihn mit kaltem Blick.
»Das steht noch nicht fest«, entgegnete Nice. »Ich muss zunächst eines meiner eigenen Projekte zu Ende führen.«
Der einen Kopf größere Scott verzog einen Mundwinkel, was an ein Lächeln erinnern sollte. »Ah ja, Daria hat mir davon erzählt. War das nicht die Entwicklung eines neuen Medikaments gegen die Kälte?«
Nice stutzte. »Nein, da verwechseln Sie mich, Damien. Die pharmazeutische Firma gehört dem Lebensgefährten meines Partners. Wir von Tentasylum beschäftigen uns mit lebensrettenden Zelten, die den Bewohnern ein Mindestmaß an Komfort bieten sollen. Deshalb ...« Er hielt inne, denn sein Gegenüber hörte ihm bereits nicht mehr zu, sondern horchte in sich hinein, das linke Auge leicht milchig. Nice war sofort klar, dass auch Scott irgendwo in seiner Kleidung oder seinem Körper einen Rechner trug, den er unhöflicherweise mitten im Gespräch benutzte. Er selbst aktivierte den Eyevisor nur, um gelegentlich ein paar Onlinespiele zu zocken, und bevorzugte ansonsten den holographischen Bildschirm seines Armes. Der Eyevisor war nicht sicher. Jahre zuvor hatte er an der Hackersoftware mitgearbeitet, die es ermöglichte, sich in das Gesichtsfeld eines Users einzuklinken und durch dessen Augen zu sehen. Ob das Scott bekannt war? Wie er die Westle-Leute kannte, hatten sie ihr eigenes Netzwerk bombensicher geschützt. Gleichzeitig ärgerte er sich, dass er auch nur angesetzt hatte, einem solchen Menschen die soziale Motivation seiner Arbeit zu erklären.
»Entschuldigen Sie mich.« Damien Scott verneigte sich knapp und verschwand in der Menge.
Seine Schmerzen meldeten sich mit plötzlicher Heftigkeit. Schnell stellte Nice das Wasserglas, das er in der rechten Hand gehalten hatte, auf einen der weiß gedeckten Tische. Daria trat neben ihn. Sie senkte die Stimme: »Alles in Ordnung?« Hatte sie sein Problem bemerkt? »Was meinst du?«
»War Damien nicht eben bei dir?«
Aha, es war klar, dass ihre Sorge nicht seinem schmerzverzerrten Gesicht, sondern der eigenen Karriere galt. Nein, ihr hochverehrter Damien hatte ihn, den niedrigen Bürger aus dem Fußvolk, einfach nur verwechselt.
»Smalltalk«, erwiderte er. »Nichts von Bedeutung.«
»Bei Damien ist alles von Bedeutung«, zischte sie und presste die Lippen kurz zusammen. Sofort entspannte sich ihr Gesicht wieder und sie blickte lächelnd in die Runde.
»So gern wie ich gekochte Eier mag – können wir dieses Theater nicht bald beenden?«
»Nicht so laut«, knurrte sie mit zuckersüßem Lächeln. »Wir sollten uns verabschieden. Denk daran, dass du versprochen hast freundlich zu sein. Begleite mich und lächle.«
Gut, das konnte er noch für sie tun. Ihm war klar, dass sie diesen Aufenthalt wegen ihm frühzeitig beendete. Nickend und lächelnd flanierten sie durch die Menge, aus der er niemanden kannte. Damien war nicht mehr zu sehen. »Was für ein wunderschönes Fest.« »Danke für alles.« »Bis morgen.« Einige Blicke trafen ihn, mitleidige Augen wanderten zu Daria. Was gingen ihn diese Leute an? Nichts wie raus hier. Sie hatten ihn genug durchleuchtet. Erleichtert atmete Nice die kalte Nachtluft ein, als sich die schwere Tür des Westle-Unternehmens mit einem Zischen hinter ihm hermetisch verschloss.
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Patallia musterte David, der am Küchenfenster des Duocarns-Hauses stand und gedankenverloren in den Garten starrte. Er fühlt sich verlassen, dachte er. Was soll ich sagen? Sein Liebster kommt wieder, wird immer zu ihm zurückkehren. Er schluckte, denn er wollte nicht in Davids Anwesenheit weinen. In den Jahren auf der Erde hatte er sich angewöhnt, genau wie die Menschen Stress zusammen mit der Grundflüssigkeit für seine Medikamente aus den Augen fließen zu lassen. Das half dabei, die Anspannung abzubauen. Auch hatte Smu ihn besser verstanden, wenn er menschenähnlich reagierte.
Smus Tod hatte ihn entsetzlich tief getroffen. Er hatte sich immer der Illusion hingegeben, auf diesen unvermeidbaren Tag vorbereitet zu sein, doch dem war nicht so. Seitdem verrichtete er alle Arbeiten nur noch mechanisch, ohne richtig wahrzunehmen, was er tat.
»Soll ich ausziehen?«, fragte er.
David fuhr herum.
»Wie kommst du denn auf so eine Idee? Natürlich nicht!«
»Hm, ich dachte, weil ich jetzt so ein Trauerkloß bin. Bevor ich hier allen Leuten die Laune verderbe ...«
Entsetzt starrte David ihn an. Dann schnaufte er. »Hör mal zu, unter Freundschaft versteht man etwas anderes. Gerade wenn es einem Freund dreckig geht, muss man bei ihm sein und ihn unterstützen. Ich finde wichtig, dass du jetzt jemanden zum Reden hast.«
»Ich will euch nicht mit der ewigen Frage nach dem Warum auf die Nerven gehen. Wieso hat er so gehandelt? Warum hat er nicht deinen Weg gewählt, David, und mich stattdessen allein gelassen?«
Die Miene des Freundes veränderte sich. Sanftheit und Geduld kamen zum Vorschein. David setzte sich zu ihm an den schmalen Küchentisch. »Du hast so oft mit ihm darüber gesprochen, Pat. Er wollte es nicht. Er hat es sich so ausgesucht und das musst du akzeptieren. Was wir Unsterblichen machen, ist eine Gratwanderung. Ich sehe es an Tervenarius, der oftmals Angst um sein Seelenleben hat. Smu wollte seiner Seele Ruhe gönnen und einen neuen Leib haben – irgendwann. Es ist doch möglich, dass du ihn wiedersiehst. Man trifft sich immer viele Male. Das ist unvermeidlich.«
»Das glaubst du wirklich?«
David nickte und blickte auf seine gefalteten Hände.
»Aber verlassen wolltest du dich nicht darauf. Denn sonst wärst du Terv ja nicht gefolgt.«
»Die Wege des Schicksals sind unergründlich. Man kann immer nur das Beste geben. Ich habe keine Garantie, dass Tervenarius und ich uns ewig verstehen werden. Ich muss einkalkulieren, dass wir uns einmal entzweien. Zumal wir es uns ja wirklich nicht leicht machen, indem wir auf der Erde bleiben.« David blickte ihn an. Seine Augen ähnelten wasserblauen Kristallen und schienen ihn durchdringen zu wollen. »Warum gehst du nicht nach Duonalia zurück? Hier erinnert dich alles an ihn. So nährst du doch den Schmerz.«
Mit zusammengebissenen Zähnen musterte Patallia den Freund. Das wusste er selbst. Ihm war jedoch in seiner momentanen Situation am wichtigsten, nicht allein und einsam zu sein. Und in der Stille des Silentiums wäre das Verlassenheitsgefühl erdrückend gewesen. Auf der Erde wurde er gebraucht. Terv und er hatten Erfolge zu verzeichnen, aber „Die Kälte“ war längst nicht besiegt. Als Mediziner war es seine Pflicht, an dem Ort zu bleiben, an dem er helfen konnte.
Diese Gedanken hatte David offensichtlich in seinem Gesicht gelesen. »Ich verstehe. Als Arzt wirst du hier gebraucht. Du willst so wie ich der Menschheit dienen bis zum bitteren Ende. Auch wenn es noch so hart ist.« David dachte kurz nach. »Bei mir gibt es einen weiteren Punkt, der mich in Vancouver hält. Ich glaube, Nice braucht mich.«
»Dein Kollege? Dieses Computer-Genie? Hattest du nicht mal erwähnt, dass er krank ist?«
»Ja.« David nickte. »Seit er durch einen Angriff eine Gesichtshälfte und einen Arm verlor, leidet er ununterbrochene Schmerzen. Die genetisch einwandfreien Ersatzteile hat sein Körper nicht angenommen. Seitdem plagt er sich mit mechanischen Implantaten herum. Ich glaube, seine Arbeit ist das Einzige, was ihn noch am Leben hält. Ich habe schon oft gedacht, dass er sich irgendwann mit all den Tabletten und dem schlechten Alkohol umbringt.«
»Warum kommt er nicht zu mir? Vielleicht kann ich ihm helfen.«
»Er weigert sich, einen weiteren Arzt an sich heranzulassen. Nach seiner grauenvollen Krankengeschichte ist das irgendwie verständlich.«
Das stimmte wohl. Patallia blickte auf seine Hände. Sie muteten ihm nutzlos an. Er hatte versucht, Smu erneut zum Leben zu erwecken. So viele Jahre hatte er ihn durch das Elixier gesund gehalten. Warum war er ihm einfach so weggestorben? Ja, jeder zweite Gedanke galt Smu. Ob das nachlassen würde? Wieder und wieder schürte er so seine Trauer neu. Deshalb war er auch nicht mehr in den Garten zu Smus Grab gegangen. Die Qual war schon groß genug.
»Ich fahre ins Labor, David. Ich habe noch eine Menge zu tun.« Er strich sich über den glatten Schädel. Ihm war klar, dass er auf dem Weg zur Firma in Tränen aufgelöst mit seinem Fahrzeug am Straßenrand stehen würde.
-19-
Die Morgendämmerung lag in Schwaden über der spiegelglatten, grauen Wasserfläche, als Tervenarius mit seinem Rucksack auf die Terrasse der Residenz trat, wo ihn Bental in einem hölzernen Kanu erwartete.
»Meine Squalis sind zu geschwächt, um das Boot zu ziehen. Wir müssen rudern«, teilte der Auraner ihm mit. Terv nickte zustimmend. Das war ihm recht.
Er kannte in etwa die Länge der Wegstrecke bis zu den Mangrovenwäldern. Dorthin zu paddeln würde ihm sogar Spaß machen. Er hatte Lust, sich bis an seine Grenzen zu bewegen und zu ermüden. »Ist es weit von den Mangroven bis zu den Sümpfen?« Er stieg vorsichtig zu Bental in das leichte Boot.
»Nein. Ihr werdet sehen, wenn wir das Süßwassergebiet erreichen. Die Vegetation verändert sich dort.« Der Auraner stieß das Kanu von der Umgrenzungsmauer ab und ergriff das Paddel.
Tervenarius wechselte zu der auf Sublimar üblichen Höflichkeitsform. »Ich danke Euch, dass Ihr mir helft, diese Sache zu erforschen, Bental. Hoffentlich führt Pirani uns an den Ort, an dem sie die Pilze aufgelesen hat. Sie scheint mir sehr geschwächt.«
Terv warf einen besorgten Blick auf die Squali, die das Boot flankierte. Der Kopf war fast völlig von dem roten Parasiten überwuchert. Das Tier machte den Eindruck, dass es ihm sehr schlecht ging. Der Rottenpilz hatte weder auf Schwefelsäure, Phosphorsäure oder Essigsäure reagiert und, obwohl Herr der Pilze, war er ratlos, was diesen fremden Organismus anging.
Bental antwortete nicht, sondern paddelte verbissen. Er hatte es offensichtlich aufgegeben, wegen seiner kranken Squalis zu lamentieren. Nachdenklich blickte Terv auf seinen knochigen Rücken in dem goldgelben Gewand. Ja, es galt, keine Zeit zu verlieren. Eilig holte er sein Holz-Paddel aus dem Rumpf des Kanus und tauchte es in die Fluten. Er passte sich an Bentals Rhythmus an, ihre Ruder stachen gleichzeitig ins Wasser und kamen tropfend daraus hervor.
Das Boot glitt zügig vorwärts, während sich die warme Sonne Sublimars am Horizont erhob. Sie ließen das Ufer nicht aus den Augen und fuhren in gleichbleibender Entfernung außerhalb der sanften Dünung.
Sublimar-Stadt sowie auch die Residenz waren auf weißen Kalksteinformationen erbaut. Die schroffen Riffe ragten in diesem Teil des Landes in allen Größen aus dem Wasser. Allmählich änderte sich die Landschaft. Das Ufer, die vorbeiziehenden Inseln und sandigen Halbinseln zeigten sich begrünt und mit Bäumen bestanden. Tervenarius wusste aus Erzählungen, dass es sich bei diesen um Morlus-Bäume handelte, deren Blätter als Futter für die Serica-Spinner dienten. Gelegentlich sahen sie auranische Arbeiter an diesen Gewächsen beschäftigt. Ihre goldenen Haarschöpfe glänzten in der Sonne.
Sie ruderten zügig voran. Die Vegetation des Ufers ging nach und nach in Mangrovenwälder über. Hier war kaum Wellengang zu spüren, sodass sie näher an die Pflanzen paddelten, deren Wurzeln und Zweige tief in das salzige Wasser tauchten. Die tütenförmigen, weißen Kelchblüten der Bäume dufteten süßlich-scharf, ein Geruch, der leicht in der Nase stach. Natürlich waren diese Gewächse den irdischen Mangrovenbäumen nur entfernt ähnlich. Tervs Übersetzermikroben gaben ihm das auranische Wort »Fàstaroscur« als »Mangroven«, was er in Ordnung fand. Er war außerordentlich gespannt auf die Vegetation der Süßwassersümpfe. Sein Rucksack enthielt ein Sortiment an Messerchen und etliche Probenbehälter.
Bental vor ihm gab ein Handzeichen, und sie bogen in einen Flusslauf ein, der die Mangroven auf einer Breite von zirka zwanzig Metern durchzog.
Nun wurde es interessant, denn dieser Teil von Sublimar war Terv unbekannt.
Besorgt schaute er nach den Squalis. Sie flankierten weiterhin brav das Boot. Also schien die Richtung zu stimmen. Squalis waren intelligente Tiere, die die telepathischen Befehle ihrer Besitzer gut verstanden, auch wenn sie gelegentlich etwas störrisch reagierten und ihren eigenen Kopf besaßen.
Nach und nach schmälerte sich der Wasserlauf, bis er nur noch aus einem etwa zwei Meter breiten Flüsschen bestand. Die Vegetation auf beiden Seiten hatte sich völlig verändert. Terv ruderte mit kräftigen Schlägen an mit wehenden Flechten bewachsenen Bäumen vorbei, wie er sie noch nie gesehen hatte. Was ihn erstaunte, war die pastellfarbene Farbpracht dieser Gewächse, die von einem hellen Rosa bis zu einem blauviolett variierte. Die Luft erschien ihm gehaltvoller und fortschreitend schwüler. Ein angenehm warmer Wind traf ihn, der ihn wohltuend durchwärmte und ihn den Hals recken ließ. Er schnupperte in den Luftzug. Wie wunderbar es in diesem Sumpfgebiet roch. Es drängte ihn, aus dem Kanu zu springen, um die Gegend zu erforschen und Proben zu nehmen, aber Bental paddelte stoisch weiter. Es war abzusehen, dass der Wasserlauf bald nicht mehr befahrbar sein würde. Bental wählte deshalb eine kleine Bucht, in der die Tiere noch genügend Platz zum Schwimmen hatten, verließ das Boot und vertäute es an einem morschen Ast.
»Ich glaube, dass das die richtige Stelle ist.« Der Auraner blickte zu Terv, der sich interessiert umsah.
»Hier wachsen Süßwasseralgen, die Pirani besonders mag.« Er wandte sich an die Squali, die teilnahmslos im Wasser dümpelte, während Mali den Untergrund der Bucht abgraste. Bentals Gesicht verzog sich kummervoll. »Hast du die schlimme Krankheit an diesem Punkt aufgelesen, Pirani?«, fragte er das apathische Tier.
Voll Mitgefühl betrachtete Terv ihn und erhob sich von der Ruderbank. Er bezweifelte, dass die Squali ihrem Herrn antworten würde, zumal sie nicht sprechen, sondern sich höchstens mit Gesten verständigen konnten. Aber dafür war das Tier viel zu krank.
»Lass uns hier lagern, Bental«, schlug er vor. »Ich mache mich dann auf den Weg, um die Gegend zu erkunden und Proben zu nehmen.« Es drängte ihn, dem Mann etwas Trost zu spenden. »Ich werde die Ursache bestimmt finden.«
Bental hob den Kopf. Tränen flossen über sein faltiges Gesicht. Er nickte tapfer. »Ich habe genügend Proviant für einige Zyklen. Ich warte.«
-20-
Es geschah mitten in der Nacht. Eine behandschuhte Hand presste sich auf Davids Mund, während ein leises Zischen und ein kurzer Druck am Hals ihm verriet, dass jemand eine Injektion auf ihn angesetzt hatte und abdrückte. David lag steif vor Schreck. Zwei maskierte Kerle standen vor seinem Bett. Mit einem Satz war einer von ihnen auf die andere Seite der Matratze gesprungen und packte ihn an den Schultern.
»Verdammt, das Zeug wirkt nicht.« Seine Stimme klang gedämpft durch die Maske. Diese Sekunde nutzte David, um hochzufahren. Sofort griff der zweite Mann zu, hielt seine Arme fest, bevor er sich wehren konnte.
»Lasst mich in Ruhe! Was wollt ihr?«, schrie David völlig außer sich, trat mit den Beinen und versuchte, sich aus den Haltegriffen der Angreifer zu winden. Ein heftiger Schlag auf den Kopf ließ die Welt um ihn herum verstummen.
Verwirrt schlug David die Augen auf. Er befand sich in völliger Dunkelheit. Sein Schädel hämmerte. Was war passiert? Jemand war in ihr Haus eingedrungen. Man hatte ihn geschlagen.
Wo war er? Er tastete mit den Händen. Offensichtlich hatte man ihn nicht gefesselt. Die Unterlage fühlte sich an wie eine Matratze aus Schaumstoff, mit einem Überzug aus einer glatten Faser. Angestrengt schnupperte er. Kein Luftzug, kein Geruch, Temperatur um die zwanzig Grad. Der Raum schien klimatisiert. Wieso hatte man ihn angegriffen und verschleppt? War es nicht sinnlos, jemanden, der sich sozialen Projekten widmete, zu entführen? Terv. Es konnte nur etwas mit dessen Firma zu tun haben. Allglobalmeds war erfolgreich und am Expandieren. Eine Erpressung, das musste es sein.
Vielleicht hatte man ihn, David, auch nur verwechselt. Nein – jemand, der sich die Mühe machte, das Sicherheitssystem des Hauses zu knacken, der handelte gezielt.
Seine Gedanken rotierten. Wie war es geglückt, das System zu überlisten? Warum das alles? Oder hatte irgendjemand erfahren, dass er unsterblich war? Dass es ihn eigentlich überhaupt nicht geben dürfte? Eventuell war er ein Versuchskaninchen und man hatte vor, ihn zu sezieren. Angst stieg in ihm hoch, so stark, dass ihm schwindelig wurde.
Er musste alle seine Sinne mobilisieren, jede Bewegung, jede Regung seiner Entführer deuten, wenn sie sich einmal blicken ließen. Wussten sie, wer David war? Besaßen sie Informationen über seine mit Quecksilber gefüllten Adern?
»Hallo!«, schrie er in die Dunkelheit. »Ist da jemand?« Die Wände des Raumes verschluckten den Klang seiner Stimme. Höchstwahrscheinlich hatte man sie schallisoliert. Terv. Tränen rannen ihm aus den Augen. Terv, warum habe ich nicht auf dich gehört und mir einen Ring geben lassen? Bitte hilf mir, wo auch immer du bist.
-21-
Eine andere Welt. Als sich die wehenden, bunten Flechten hinter Tervenarius schlossen und er auf dem saftig-weichen Boden ins Unbekannte lief, überkam ihn das Gefühl, echtes Neuland zu betreten. Er fühlte sich ausgesprochen wohl. Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Gerüche ließen ihn hoch aufgerichtet mit geweiteten Nüstern durch den Wald laufen. Begeistert sog er die Luft mit ihren Mikroorganismen und Düften ein, sortierte sie in seinem Inneren. Etliche Pilzsporen befanden sich darunter, aber nichts, was dem roten Rottenpilz in irgendeiner Weise glich. Die Sporen der Flechten dominierten die gesamte Gegend. Er war so in die Aufnahme der neuen Reize versunken, dass er erst nach einer Weile auf den Gedanken kam, zu überprüfen, ob der irdische Kompass, den er mitgebracht hatte, auch auf Sublimar funktionierte. Eilig kramte Terv ihn aus dem Rucksack und betrachtete ihn prüfend. Ja, die kleine Bucht, in der Bental auf ihn wartete, lag nördlich von ihm.
Ein warmer, verwöhnender Windstoß traf ihn. Versonnen steckte er den Kompass weg und streichelte eine der Flechten, die sich in seine Hand schmiegte. Es war, als würde ihn dieses Land willkommen heißen. Wunderte ihn das? Es war seine Heimat. Er hatte es immer verdrängt, nicht wahr haben wollen, aber offensichtlich stimmte die Legende des Sumpfkönigs. Es war ihm lästig gewesen, der Abkömmling irgendeines verschollenen Volkes zu sein. Nun bedauerte er seinen Hochmut, denn dieses Land war wie für ihn gemacht. Er verspürte riesige Lust es zu erkunden, und dachte einen Moment an David. Es war schade, dass sein Liebster nicht mitgekommen war.
Die Proben. Er setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm. Das auranische Gewand würde ihn bei seiner Exkursion behindern. Vorausschauend trug er irdische Kleidung darunter: eine dunkle Hose und ein Shirt aus schwarzem, atmungsaktivem Stoff. Also zog er das waldgrüne Serica-Gewand aus, legte es zusammen und stopfte es in sein Gepäck.
Wo sollte er anfangen? Es gab so unendlich viel zu entdecken. Mit einem der Probenmesserchen schnitt er kleine Stücke aus den Baumrinden, den Flechten, den wildwuchernden, orangefarbenen Bodenpilzen und versenkte sie in die Behälter aus klarem Kunststoff. Den Rucksack wieder geschultert, blickte er um sich.
Vielleicht würde sein Instinkt ihn führen. Terv schnupperte in die Luft. Wo roch es am interessantesten? Er lächelte. Na denn, immer der Nase nach.
Es war herrlich, durch diesen sumpfigen Wald zu laufen, dessen Boden mit vielfältigen Pilzen bewachsen war und bei jedem Schritt federte. Er nahm ununterbrochen Proben von all den Gewächsen und freute sich insgeheim schon darauf, sie später zu riechen, schmecken und zu bestimmen. Der würzige Waldduft veränderte sich. Interessiert lief er weiter, kletterte über umgestürzte Bäume, strich Flechten zur Seite und stand mit einem Mal auf einer Lichtung inmitten von kniehohem, weißem Gras. Der Geruch hatte an Schärfe zugenommen, was er als unangenehm empfand. In der Mitte des sonnenbeschienen Platzes reckte ein Baum von der Höhe eines dreistöckigen Hauses seine aufgeplatzten Äste zum Himmel. Blattlos, nur mit wenigen, rosafarbenen Flechten bewachsen, machte er einen kranken Eindruck. Im unteren Bereich des Wurzelwerks klaffte eine mannshohe, schwarze Höhlung, der Terv sich neugierig näherte. Ha! Volltreffer! An den Rändern dieses Eingangs befanden sich feuerrote Organismen, die Tervenarius sofort als den roten Pilz identifizierte.
»Da hab ich dich, mein Freund«, sprach er den Rottenpilz an und amüsierte sich gleichzeitig über sich selbst, dass er mit diesem Parasiten redete. »Hier also wohnst du.« Neugierig reckte er den Kopf in die Dunkelheit der Öffnung. Es schien sich um mehr als nur eine kleine Höhle zu handeln, denn aus den Tiefen des Baumes wehte ihm schwülwarme, feuchte Luft entgegen. Befand sich dort ein ganzes Höhlensystem?
-22-
Ohne zu zögern, bildete Terv tantilianische, grüne Leuchtsporen auf seiner Handfläche und lief vorsichtig mit den Füßen tastend los. Zu seinem Erstaunen erwies sich der Weg ins Höhleninnere als glatt und ausgetreten. War er hier seinem Volk auf der Spur?
Er prüfte die Wände. An vereinzelten Stellen hielt sich der rote Pilz an dem unebenen Gestein fest. Voller Neugier lief er weiter. Der schmale Gang führte ihn tiefer ins Erdinnere, das sich allmählich erhellte. Das war interessant. Verwandte der oberirdischen Flechten hingen dort von der Decke und spendeten diffuses, hellgelbes Licht. Sofort nahm er davon eine Probe und verstaute sie in seinem Rucksack. Ein fiebriger Forscherdrang hatte ihn gepackt. Das war seine Welt! Er wollte unbedingt mehr erfahren und strich über die glimmenden Flechten. Da es nun hell genug war, um den Pfad zu erkennen, ließ er seine eigenen Leuchtsporen auf dem Weg zurück. Der Korridor teilte sich. Tervenarius schnupperte in die feuchtwarme Luft und entschied sich, dem stärksten Luftstrom zu folgen. Der Gang führte ihn tiefer in den Untergrund, wurde breiter, öffnete sich schließlich und entließ ihn staunend in eine Höhle von der Größe einer Kathedrale.
In diesem Raum wütete der Rottenpilz in einem enormen Ausmaß. Terv nahm eine lange Leuchtflechte von der Wand. Der Pilz war dabei, diese Pflanze zu ersticken. Vermutlich war diese Grotte einmal fast taghell gewesen. Durch den Parasiten kam nur noch gedämpftes Licht auf dem ebenmäßigen Untergrund an. Interessiert schabte Terv mit dem Fuß über den Boden. Dieser wirkte wie glattgeschliffen. Gespannt ging er in die Mitte der ausladenden Halle und ließ den Blick über die Wände und die Decke schweifen. Hunderte kleinere Aushöhlungen bedeckten die Seitenwände. Er trat näher an eine der mannsgroßen Grotten, teilte den Leuchtflechten-Vorhang und blickte hinein. Unangenehm getroffen fuhr er zurück, denn der scharfe Geruch des Rottenpilzes nahm an Stärke zu. In diesen kleinen Gelassen schien sich der Pilz extrem wohl zu fühlen. Neugierig kratzte Terv etwas weißes Myzel von den Wänden, das der Parasit offensichtlich als Nahrung bevorzugte. Er wog es in der Hand, roch daran und schob sich ein Partikel in den Mund. Eine organische, nahrhafte Masse, milchig und angenehm. Erstaunlich. Er betrachtete die Decke genauer. Dort, sowie auch in der gesamten Halle, reichten Baumwurzeln bis nach unten. An ihnen hatte der rote Pilz ebenfalls Fuß gefasst.
Kopfschüttelnd lief er in die Mitte der Grotte zurück. Er konnte sich keinen Reim auf das Gesehene machen. Hatte vor dem Rottenpilz jemand in diesen Aushöhlungen gewohnt? Die ganze Szenerie war ihm fremd, und doch irgendwie vertraut. An der Kopfseite des Gewölbes waren ein paar größere Gegenstände dem roten Pilz zu Opfer gefallen, die er gefräßig überwuchert hatte. Was war darunter? Terv riss einen Wurzelarm von der Wand, drückte damit den Parasiten zur Seite und befreite den größten Teil des Gegenstandes. Erstaunt stand er vor einem steinernen Stuhl mit Armlehnen. Neugierig kratzte Tervenarius an der hohen Rückenlehne und entblößte eine in den grauen Stein gehauene Inschrift. Er kam nicht dazu sie zu entziffern, denn er wurde durch das Wurzelstück in seiner Hand abgelenkt, aus dem sich eine weiße Milch drückte. Sie roch angenehm und nahrhaft.
Nein, es war jetzt nicht die Zeit an Essen zu denken. Er nahm sich wieder die steinernen Gegenstände vor und trat ein paar Schritte zurück, um sie genauer zu betrachten. Es handelte sich um eine Stuhl-Gruppe. Ein großer Sessel in der Mitte, beidseitig von zwei kleineren Sitzgelegenheiten flankiert. War er in einem Thronsaal gelandet? Aber wozu dienten die vielen Höhlen?
Da von dem Gewölbe noch weitere Gänge abzweigten, musste er sich entscheiden. Er warf das Wurzelstück beiseite, wählte die linke Öffnung und ging neugierig voran. Das nachfolgende Gemach lag im Halbdunkel. Um sich bessere Sicht zu verschaffen, lief er durch den ganzen Raum und verstreute seine Leuchtpilze. Verdutzt blieb er stehen. Er hatte ja alles Mögliche erwartet, aber nicht damit, plötzlich auf eine Bibliothek zu stoßen. Folianten stapelten sich in steinernen, wandhohen Regalen. Was für eine Entdeckung! Woraus bestanden diese Dokumente? Wissbegierig kratzte er den lästigen Rottenpilz von einem der obersten Blätter. Auch Betasten und Beschnuppern brachten kein Ergebnis. Es handelte sich nicht um Pflanzenblätter oder Tierhaut. Forschend hielt Terv das Schriftstück näher an einen Haufen seiner grün schimmernden Leuchtpilze. Die Zeichen verschwammen vor seinen Augen. Das würde er später erforschen.
Interessiert blickte er sich weiter um. Gegenstände aus Glas? Er nahm eines der grün-transparenten Dinge aus dem Regal. Ein Messer? Woraus bestand es? Die ganze Sache war ihm ein Rätsel. Vermutlich stand er in der Behausung eines Forschers oder Gelehrten. Das steinerne Sitzmobiliar in diesem Raum hatte der Rottenpilz fast völlig verschont. Seufzend ließ Terv sich auf einem der Sitze nieder. Wie sehr wünschte er sich, den überall wütenden Pilz bekämpfen zu können. Es war möglich, dass die unterirdische Gegend bis zu der kleinen Bucht, in der Bental wartete, komplett von dem roten Schädling befallen war. Und es war anzunehmen, dass dieser seinen Ursprung in diesem Höhlensystem hatte. Wie es dort wohl ohne den Parasiten ausgesehen hatte? Konnte es sein, dass er sich im Reich des Volkes befand, dem sein Vater, der Sumpffürst, vorgestanden hatte? Was war aus seiner Mutter geworden? Oder hatte es nie eine solche gegeben?
Nachdenklich betastete er eine braune Wurzel, die von der Decke bis in den Raum herunter reichte und sich mehrfach teilte. Sie erschien ihm etwas dunkler als das Wurzelwerk aus der Halle. Er hatte versäumt, von dessen Milch eine Probe zu nehmen. Er strich über die raue, warme Wurzelhaut und brach ein Stück davon ab. Auch dieses Gewächs enthielt eine weiße Flüssigkeit. Sie roch ebenso nahrhaft wie der Wurzelsaft aus der Halle. Wie hypnotisiert starrte Terv auf die Wurzel in seiner Hand. Eine Ahnung stieg in ihm hoch. Er kannte diesen Geruch, aber die Erinnerung daran war verschüttet. Konnte es sein?
Gierig leckte er die köstliche Milch von dem Wurzelstück. Sie war seine Nahrung gewesen, vor langer, langer Zeit. Er war zu Hause angekommen.
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Texte: Elicit Dreams Verlag
Bildmaterialien: Elicit Dreams Verlag
Tag der Veröffentlichung: 06.03.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme es meiner Halswirbelsäule, die auch dieses Buch einigermaßen gut überstanden hat ;)