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Teil 1 - David lernt fliegen

 

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du die ganze Zeit der Einzige gewesen bist?“ John stand in der Tür, bereit zu gehen.
Was war denn das für ein Gesichtsausdruck? So hämisch, so verletzend. Warum? Was hatte er ihm getan? David hatte wirklich geglaubt, dass er der Einzige für ihn war – hatte ihn geliebt und gedacht, dass auch John ihn liebte. Wahrscheinlich war dieser Wichser sogar noch stolz darauf, ihn so lange verarscht zu haben. Du bist selbst jetzt zu dumm, um angemessen zu reagieren, sagte sein Gesicht. Und dann erschien dieses Grinsen.
Wah! Nun kam Leben in David! Er würde ihn garantiert nicht anbetteln bei ihm zu bleiben. Einen Kerl, der seinen Schwanz überall hineinsteckte!
Er brauchte eine Waffe und blickte sich suchend um. Da stand sie griffbereit: Der niedliche Kaktus, der ihn letztens im Supermarkt angelacht hatte und den er unbedingt kaufen musste, weil er so einen hübschen, rosafarbenen Blütenansatz besaß. Das war ihm jetzt völlig egal. Er packte den kleinen, handlichen Keramiktopf und schleuderte ihn mit aller Wucht in Johns Richtung, versuchte auf dessen grinsende Visage zu zielen. Verdammt, er war zu langsam! John hatte blitzschnell die Tür zugezogen und die Pflanze krachte gegen die weiß lackierte Spanplattentür, hinterließ dort eine dicke, schwarze Schramme. Verflucht!
„Du Arschloch! Du untreuer Wichser!“ schrie David. Er war bereit, John seine gesamte Kakteensammlung an den Schädel zu knallen. „Lass dich nur nie wieder hier blicken! Du brauchst auch nicht mehr zu kommen um deine Sachen ...“, er brach ab. Was hatte der Kerl denn überhaupt in seiner Wohnung? Seine Zahnbürste und zwei Hemden.
Das würde er sofort ändern. Schnurstracks lief er ins Schlafzimmer und zerrte die beiden Shirts aus der Kommode, schritt entschlossen ins Bad und griff die Zahnbürste. Dort stopfte er alles in den Badezimmer-Mülleimer. Der Deckel schnappte zu. Klapp! Das war das Geräusch, das seine Beziehung zu John beendete. Er trat erneut auf das Pedal des Treteimers und ließ den Deckel abermals herunter. Klapp! Plopp! Feierabend!
John war weg. Er stampfte immer wieder auf den Fußhebel und die Tränen stiegen ihm in die Augen. Klapp! Plopp! Wegen dieses Kerls auch noch heulen? Nee! David sah in den Badezimmerspiegel und wischte sich entschlossen die aufkeimenden Tränen mit dem Handrücken fort. „Andere Mütter haben ebenfalls hübsche Söhne, David“, sagte er laut. Du kannst froh sein, dass du das Arschloch los bist. Der hätte dir vielleicht eine Krankheit angehängt. Ob er das schon hat? Nein, er hatte immer Gummis benutzt. Jetzt war ihm klar, warum.
Er nahm die Haarbürste und striegelte das kinnlange, blauschwarze Haar. Er bürstete es straff nach hinten. Nun sah er älter aus, nicht wie vierundzwanzig. Also ließ er es wieder ein bisschen in die Stirn fallen. „Du siehst gut aus, David“, sagte er zu sich. Seine stahlblauen Augen mit den langen schwarzen Wimpern und dem vollen Mund gaben ihm etwas Mädchenhaftes - und das hatte ohne weiteres seine Fans. Klar, er würde einen anderen finden - kein Akt. Ein Besuch im Club und dann waren die Jungs wie üblich hinter ihm her. Zumal sich garantiert wie ein Lauffeuer herumsprechen würde, dass John und er sich getrennt hatten.
David schniefte noch einmal kurz, legte die Bürste aus der Hand und ging ins Wohnzimmer. Sein kleiner, privater Dschungel. Seine heißgeliebten Pflanzen und die Fische! Allmählich entspannte sich sein verkrampfter Magen. Es sah so aus, als würden die Tiere sich an den Scheiben versammeln und ihn anschauen. Als spürten sie, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist, dachte er. Ach was, das war gewiss Einbildung. Aber der Steinfisch stand wirklich an der Glasscheibe und sah ihn an. Er ließ sich in seinen gelben Ledersessel fallen und starrte zurück. Ja, Junge, den blöden John sind wir los. Der Kerl, der immer seine Klamotten über die Aquarien geschmissen hat und dessen Slips ich vom Boden aufheben musste. Er konnte es drehen und wenden wie er wollte: Er war frustriert. Glücklicherweise war er in dem halben Beziehungsjahr weiterhin unabhängig geblieben und hatte seine Wohnung nie gekündigt oder gar seinen Job aufgegeben. Auch wenn John etliche Male darauf gedrängt hatte, ihn in seinem Club hinter die Bar zu stellen. Pah, er war doch nicht sein Dekohäschen. Hübscher Boy an Bar, Eigentum des Chefs. Nein danke. Er hatte seinen Maklerjob.
Sein Blick fiel auf den Peyote, der auf dem Tischchen neben dem Steinfisch-Aquarium stand. Jetzt ist der richtige Moment, David, sagte er sich. Heute wirst du es versuchen. Die Zeit ist reif! Er eilte zu seinem Schreibtisch und suchte das Set mit den chirurgischen Instrumenten aus der Schublade. Mit einem Skalpell bewaffnet machte er sich auf den Weg zu seinem Kaktus. Jetzt bist du dran, mein Schatz. Nur ein kleines Stückchen. Vorsichtig stach er in die Haut der Pflanze und schnippelte eine Ecke heraus. Das grüne Fleisch sah gut aus und saftig. Er löste drei weitere Scheibchen.
Na denn! Nun wollen wir mal sehen, ob es stimmt, was die Leute erzählen. Mal versuchen, ob es wirklich so toll wirkt, das Meskalin.
David schob eine kleine Scheibe zwischen die Lippen. Nicht übel. Wie Gurke. Er kaute das Stück langsam und bedächtig. Dann das nächste und noch eins. Er lehnte sich erwartungsvoll in seinem Sessel zurück. Die Wirkung würde bestimmt eine Weile auf sich warten lassen.
Ja, John und seine Unabhängigkeit. Die hatte John immer ein bisschen gewurmt. Aber er mochte seinen Job, denn er hatte ein Faible für erstklassige Häuser. Für SEHR exklusive Domizile. Er hatte sich bereits recht gut auf dem Immobilienmarkt durchgesetzt, allerdings bei durchweg schwuler Kundschaft. Okay, er wusste ja, wie man mit Äußerlichkeiten punktet, war ja nicht so. Mit der Zeit war die Qualität der Immobilien, die er zur Vermittlung anvertraut bekam, immer hochwertiger. Er hatte ein Auge für gute Objekte und sah sofort, wo Schrott verarbeitet wurde. Höchstwahrscheinlich lag das daran, dass er als Kind schon mit seinem Vater auf Baustellen herumgelaufen war und von ihm wie ein Lehrling behandelt wurde. „David, schau, man sieht doch auf den ersten Blick, dass die Fliesen nicht ordentlich verfugt sind. Siehst du die feinen Haar-Risse?“ oder „Sieh genau hin. Was stimmt mit dem Haus nicht? Na? - Richtig, die Balkone sind alle nach Norden!“
Norden, dachte er. Norden, Süden, Osten, Westen. Westen hat John auch getragen, oder waren es Vogelkäfige? Hä? Vogelkäfige? War sein Gehirn verstrickt? Er sah seinen Steinfisch an. Der zwitscherte in seinem Becken wie eine Nachtigall. Hahaha! Wie lustig! Er stand auf. Nein, er stand nicht auf, sondern er schnellte hoch! Sein Körper fühlte sich an wie eine Stahlfeder – bereit zum Sprung. Mit einem Satz war er vor dem großen Standspiegel in der Ecke. Er sah aus wie immer – hatte nur ein dümmliches Grinsen im Gesicht. Ein strammes Gefühl in den Kieferknochen. Einen metallischen Geschmack im Mund. Er spitzte die Lippen, um sie zu entspannen. Flapp! Mit einem trockenen Klappgeräusch federte hinter seinem Rücken etwas auf. Ein Flügel! Flack! Auf der anderen Seite ebenso! Schwarze Flügel! Wenn das mal nicht total cool war! Er bewegte die Schultern, um sie vollends zu spüren. Ja, sie waren fest an seinen Schulterblättern verwachsen. So was hatte ja nun wirklich nicht jeder! David breitete sie ganz aus und ließ sie durch die Luft gleiten. Sie rauschten leise. Also schwang er sie stärker. Das Rauschen verstärkte sich und er fühlte, wie ihn der Schwung ein kleines Stückchen vom Boden abhob. Wahnsinn! Er konnte fliegen! Ein uralter Traum von ihm! Er hatte Vancouver ein Mal von oben gesehen, aber nur bei einem Hubschrauber-Rundflug. Das war ein beeindruckendes, jedoch ein sehr lautes Erlebnis gewesen. Die Schwingen ermöglichten es ihm bestimmt lautlos zu gleiten!
David ging schnurstracks zum Fenster, machte es auf und spähte auf die Straße hinab. Ob er aus dem zweiten Stock genügend Auftrieb bekäme, um über die Dächer zu fliegen? Er bewegte nochmals die Schultern. Ein sattes Rauschen antwortete ihm. Ganz sicher! Er stieg auf das Fensterbrett, ließ den Fensterrahmen los und stieß sich ab! Er hörte noch, wie sich das Zwitschern des Steinfischs in ein Kichern verwandelte, aber da war er schon ... Aua! Schmerz! Er prallte auf etwas Hartes, glitt an ihm hinab. Knallte unsanft auf den Boden. Schmerz! Er schoss durch den gesamten Leib. Die Flügel hatten ihn nicht hoch hinaufgetragen, sondern er war in die Tiefe gefallen wie ein Stein, einfach nur abwärts auf einen eisenharten Grund, Beton – die Straße.
Eine männliche Stimme sagte etwas zu ihm in einer fremden Sprache. Eine wütende Stimme. Hatte er sich alle Knochen gebrochen? David versuchte nach und nach seine Glieder zu bewegen: Den Kopf, den Hals, die Schultern, die Flügel – da tat sich nichts – das Becken, aua, die Knie, die Füße. Rasender Schmerz fuhr aus dem rechten Knöchel hoch ins Schienbein. Fuß gebrochen?
„Bist du wahnsinnig?“, fragte die Stimme erneut. Dieses Mal in Englisch. Der Mann hatte einen leichten Akzent. Mann? Wieso Mann? Der große Mann in dem dunklen Anzug rieb sich die Schulter und sah ihn wütend an. Die blauen Augen brannten regelrecht in seinem weißen Gesicht. Er war offensichtlich auf ihn gefallen.
„Ähm“. Was sollte er antworten? Warum hatte das nicht geklappt mit dem Fliegen? Er versuchte sich aufzurichten, spürte eine starke Hand, die unter seine Achsel griff und ihn hochzog.
„Wo sind meine Flügel?“, fragte David ihn und kam sich im selben Moment ziemlich blöd vor. Er versuchte den rechten Fuß zu belasten und knickte vor Schmerz ein. „Auh!“ Der Mann blickte neugierig auf seinen Rücken.
„Keine da“, antwortete er. Er hatte ihn bereits losgelassen, aber griff wieder zu, als David in die Knie ging. Der Mann packte ihn am Arm und hielt ihn fest.
„Ich glaube, ich habe mir den Fuß gebrochen.“ Wieso hatte er keine Flügel und stattdessen einen pulsierend schmerzenden Fußknöchel?
„Wohnst du da oben?“ Der Mann sah zum Fenster seiner Wohnung hinauf. „Du solltest einen Arzt rufen. Soll ich dich hoch bringen?“
Jetzt erst wurde David bewusst, was überhaupt vor sich ging: Er stand auf der Straße vor seinem Haus in einem dünnen Muskelshirt und einer Jeans – im März – in Socken und auf einem Bein. Dazu klammerte er sich an den Arm eines fremden Mannes, der, einen Kopf größer als er, mit interessiertem Gesicht zu ihm hinabschaute. Was blieb ihm anderes übrig als dieses Angebot anzunehmen? Laufen konnte er mit diesem Fuß nicht mehr. Also nickte er ergeben.
War es die Wirkung des Meskalins? Er wusste es nicht genau. Der Mann hob ihn einfach auf seine Arme, als wäre er ein Fliegengewicht und David schlang den rechten Arm um seinen Hals. Immerhin wog er fünfundsiebzig Kilo. Ungeachtet dessen trug der Fremde ihn, als würde es keinerlei Anstrengung bedeuten. Augenblicklich fühlte er sich geborgen und wie in Watte gepackt. Der Fremde war stark und hart, aber gleichzeitig weich, so dass er sich vorkam, als würde ihn eine große Wolke die Treppen hinauftragen. David bewegte die Hand. Sie lag auf seinem seidenweichen, silbern-weißen Pferdeschwanz. Das war kein gewöhnliches Haar, sondern es fasste sich an wie das Engelshaar, das er als kleiner Junge immer an den Weihnachtsbaum hängen durfte. Dafür wurde er von seinem Vater hochgehoben, damit er bis an die Spitze kam. Der Mann war ein Himmelsbote. Ganz sicher. Er war zielgenau auf einen Engel gekracht, der zu Besuch in Vancouver war. Zum Teufel, warum sollte ein Götterbote in der Stadt herumlaufen? Er kam nicht dazu diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn sie standen vor seiner geschlossenen Haustür. Himmel! Der Schlüssel! Hoffentlich hatte dieses Arschloch von John ihn unter die Zeitung zurückgeschoben. John. Wen interessierte John, während man in den Armen eines Engels lag?
„Schlüssel ist unter der Zeitung“, sagte David zu ihm und hoffte inbrünstig, dass das auch stimmte. Ohne ihn abzusetzen, bückte sich der silberweiße Mann danach. Was war denn das für ein Duft? David schloss einen Moment die Augen. Süßlich, wie Marzipan, mit einer blumigen Note. Einem Frühlingsduft. Veilchen! Marzipan und Veilchen! Der Fremde kam wieder hoch und öffnete die Hand, um ihm den Schlüssel zu zeigen
„Ja genau der“, sagte David mit belegter Stimme. Die ganze Situation war unwirklich. Bestimmt wirkt das Meskalin noch, dachte er, aber im gleichen Augenblick wurde ihm klar, dass es sein Retter war, der ihn so stark verwirrte. Ein duftender Engel, der ihn in diesem Moment auf seinem gelben Ledersessel absetzte und sich überrascht umblickte.
„Hier wohnst du?“, fragte er. „Erstaunlich!“ Er drehte sich in seinem Wohnzimmer, um seine ganzen Pflanzen und Aquarien erfassen zu können.
„Gefällt es dir?“David und bückte sich zu seinem Fuß. Der Mann antwortete nicht, sondern lief zu dem Becken mit den Kugelfischen.
David versuchte, den Strumpf von seinem rechten Fuß zu ziehen. Schmerz! Er keuchte. Das hatte weh getan! Sofort war der Mann wieder bei ihm und kniete sich vor ihn. Vorsichtig zog er die Socke vom Fuß. Der Knöchel war rot und dick geschwollen. Er pulsierte. Er war ein Fall für den Arzt, ganz klar.
Der Fremde betastete die verletzte Stelle mit konzentriertem, ernstem Gesicht. Seine Hände waren sehnig und doch weich. Eine Feder hätte seine Haut nicht zarter berühren können. Eine Gänsehaut kroch Davids Wade empor, kletterte übers Knie und zerstreute sich auf seinem Oberschenkel.
„Der Knöchel ist hin“, bemerkte der Engel trocken.
„Bist du Arzt?“, fragte David impulsiv und merkte im selben Augenblick, dass das eine dumme Frage war. Wie konnte ein Mann, dem er auf die Schulter geknallt war, der aussah wie ein Engel und zudem so duftete, auch noch Mediziner sein? So viel Zufall auf ein Mal gab es nicht.
„Nein, ich verstehe nur wenig von Medizin. Ich bin eher auf Pilze und Gifte spezialisiert!“
Sein Zauberwort! Gifte! Sein großes Hobby! Das war ja weitaus besser als Arzt! David strahlte ihn an. Sein Fuß, die Flügel und John waren vergessen. „Hast du meinen Steinfisch gesehen? Ich bin so stolz auf ihn! Er ist der giftigste Fisch im ganzen Tierreich!“
Der Mann erhob sich, lief zu dem Steinfisch-Aquarium und gönnte ihm so einen Blick auf seine ausgesprochen reizvolle Rückansicht. Sein Anzug passte wie angegossen. Ein Maßanzug. Garantiert Boss oder Armani. David wurde der Hals trocken.
„Du solltest einen Arzt verständigen. Kennst du einen?“, fragte er und drehte sich um.
Nun war ihm seine Fürsorge fast peinlich. Er war doch ein völlig Fremder! Ein attraktiver, engelsgleicher Fremder, von dem er unter Garantie eine Woche lang träumen würde.
„Ich komme schon klar, vielen Dank! Ich rufe einen Freund von mir an. Er hat Medizin studiert und wird sicher herkommen. Ich danke dir für deine Hilfe.“
Er sah David mit seinen intensiven Augen durchdringend und forschend an. „Ich heiße übrigens Tervenarius“, sagte er. Was für ein passender Name für so einen beeindruckenden Mann.
„Ich bin David“, antwortete er. Was sollte er nun noch sagen, ohne lächerlich zu wirken? Er hatte sich mit der ganzen Aktion ja sowieso schon wieder als reichlich nervig und wenig männlich erwiesen. Diese ganze Sache wäre wieder Wasser auf Johns Mühle gewesen, der ihn ja immer als hübschen Naivling betrachtete.
Der Mann ging zur Tür. Er hätte ihn so gerne zurückgehalten, aber ihm fiel nicht ein, wie er das bewerkstelligen sollte. „Ich danke dir für deine Hilfe“, stieß er hervor. Tervenarius nickte und lächelte. Lächelte. Oh Herr im Himmel! Und da war er schon zur Tür hinaus.
Er hatte Tervenarius nicht nach seiner Handynummer gefragt. Und nun war er weg. Er knetete seine Socke, die er noch umklammert hielt. Er war ein Obertrottel.
David starrte auf die große Kerbe, die sein Kakteentopf in der Tür hinterlassen hatte. Wann war das gewesen? Ihm kam es vor, als wäre es Jahre her, dass John dort grinsend gestanden hatte. Wen interessierte nach diesem Erlebnis ein Scheißkerl namens John?

 

Teil 2 - David trifft seinen Traummann wieder

David fluchte, als er am nächsten Morgen aus dem Bett aufstehen wollte. Seinem Fuß ging es nicht viel besser, obwohl ein alter Freund von ihm, Dave, der Medizinstudent, ihn sich noch am Abend angesehen und als verstaucht erklärt hatte. Die kühlende Salbe starrte fingerdick auf der Haut als David den Verband vorsichtig löste. Auto fahren konnte er mit der Verletzung vergessen. Ärgerlich, denn er hatte eine Verabredung mit einem neuen Kunden. Wayne, ein befreundeter Häusermakler, hatte ihn ihm den zugeschoben, da er selbst in Urlaub war. Der Mann suchte dringend ein größeres Objekt und David hatte noch drei geeignete Häuser auf Lager. Er sah auf die Uhr. Wenn er pünktlich um zehn Uhr dort sein wollte, musste er sich sputen.
Das Taxi lud am vereinbarten Treffpunkt in Kitsilano ab. Er bezahlte den Fahrer und stieg etwas schwerfällig aus. Dieser blöde Fuß. Sein Kunde war nicht da. David stellte den Kragen seines Mantels hoch, denn der Wind war morgendlich frisch. Er sah zum Himmel. Immerhin versuchte die Sonne, sich einen Weg durch die graue Himmelssuppe zu bahnen.
Ein schwarzer BMW hielt am Straßenrand. Er verstand nicht viel von Autos, aber sah sofort, dass dieser ein größeres Kaliber war. Das war ja schon einmal ein guter Anfang. Obwohl – sein Vater hatte ihm beigebracht, dass dicke Limousinen auch geleast werden können, und man nicht den Geldbeutel des Fahrers daran messen sollte.
Ein Mann stieg aus und David stockte bei seinem Anblick der Atem. Sein Herz setzte ein paar Schläge lang aus. Wahnsinn! Sein Kunde war ER!
Tervenarius trug einen hellgrauen Armanianzug, der mit ihm zu verschmelzen schien, hatte das silbrige Haar mit einem schwarzen Lederband zurückgebunden. Er zog sich rasch einen dunklen Wollmantel über, drehte sich um und blickte ihn an. Seine weiße Haut wirkte in dem fahlen Morgenlicht wie von innen beleuchtet. Er lächelte. Grün. Er hatte grüne Augen.
Aber Moment mal. Wieso denn grün? Waren sie nicht am Tag zuvor blau gewesen? Davids Herz kletterte in den Hals und blieb dort laut klopfend stehen. Wie sollte er sich nach dieser verrückten Vorgeschichte verhalten? Professionell, dachte er – am besten fachmännisch und cool.
Er riss sich zusammen und hinkte auf Tervenarius zu. »Guten Morgen! Ich bin David Martinal.« Er reichte ihm die Hand und verdrängte den Gedanken daran, dass die gleiche Hand am Tag zuvor seinen Knöchel berührt hatte. »Wenn Sie wollen, können wir sofort mit der ersten Besichtigung anfangen. Wir haben hier eine Villa, die leider noch bewohnt ist, aber bald frei wird. Zwölf elegante Zimmer.«
Tervenarius lächelte höflich. »Hat sie einen Keller und wie groß ist die Gesamtfläche?« Mit keinem Wort erwähnte einer von ihnen das Erlebnis vom Vortag. Jetzt ging es ums Geschäft. Das schien sein Gegenüber ebenfalls so zu sehen. Also schloss David die Tür der 1976 erbauten, weißen Villa auf und gab ihm die ersten Informationen.
Tervenarius hörte ihm aufmerksam zu. Nun war David mal nicht der dumme August und konnte mit Fachwissen punkten. Er erklärte das Anwesen und lobte die Villa über den grünen Klee.
Sein Kunde schüttelte den Kopf. »Ich befürchte, das Objekt ist zu klein für meine Zwecke.« Hm, schlecht.
»Okay, kein Problem – ich habe noch zwei weitere Häuser zur Auswahl. Eine schöne Villa und – tja, da ist so eine Art alte Schule. Die hat wohl kaum Wohnqualitäten, aber das kann man ja einrichten. Dafür ist sie riesig und voll unterkellert. Sie liegt sogar nah am Meer.«
»Die möchte ich sehen.«
Sie verließen die Villa und stiegen in den BMW. Der Wagen war wahrlich ein echtes Prachtstück, innen mit Wurzelholz-Armatur und einem beeindruckenden Bordcomputer. »Ein Traumauto.« David lächelte ihn an und blickte auf seine kräftigen, weiße Hände auf dem Lenkrad. Eigentlich hätte er ja lieber gesagt: „Ein Traummann in einem Traumauto.“ Aber er war zu wohlerzogen um einen potentiellen Käufer so unverhohlen anzuflirten. Also legte er den Kopf an die Kopflehne und schloss eine Sekunde lang die Lider. Am liebsten hätte er in diesem Moment eine Weile in wohligen Gedanken verhaart, aber riss schnell die Augen wieder auf. Der Mann war ein Kunde – er musste sich dringend zusammennehmen.
Wie er versprochen hatte, lag das Haus nah am Meer, im Seafair Drive. Tervenarius parkte und sie stiegen aus. Die Luft war angenehm frisch und salzig. Aus seinem Pferdeschwanz löste sich eine silberweiße Strähne. Sie flatterte im Morgenwind. Sofort begann David erneut zu träumen. Ob er noch einmal die Gelegenheit haben würde, sein Engelshaar zu berühren? Tervenarius strich sich die Haarsträhne hinters Ohr. Urplötzlich fühlte David sich frustriert und leer. Er schloss auf, ließ Tervenarius den Vortritt und folgte ihm hinkend ins Haus.

 

 Die Schule war ein langgestrecktes, weißes, einstöckiges Gebäude. Von einem langen Flur gingen viele Zimmer in alle Richtungen. Das Haus war, wie David richtig angepriesen hatte, voll unterkellert, der Kellerboden durchgehend gefliest. Sie liefen langsam durch das Anwesen, da sein Fuß weiterhin schmerzte.
Endlich nickte Tervenarius. »Das muss umgebaut werden. Was soll das Ganze kosten?«
»Da das Areal sehr groß ist und in der besten Lage Zweikommazwei Millionen.« Dazu kam dann noch seine Vermittlungs-Provision.
Tervenarius überlegte und lief dabei Richtung Eingangstür. Jetzt kam es drauf an. David wartete nervös auf seine Antwort. Die alte Schule war ein problematisches Objekt. Sie loszuwerden hätte ihn um einige Kopfschmerzen erleichtert. Er wollte den schönen Mann nicht über den Tisch ziehen wollen, aber Geschäft war Geschäft.
»Da ich sehr hohe Umbaukosten haben werde, würde ich das Haus für zwei Millionen nehmen«, sagte Tervenarius schließlich.
Feilschen gehörte für David dazu: »Zweikommaeins.«
Tervenarius lächelte ihn an. »Okay, aber unter einer Bedingung: Sie helfen mir einen fähigen Bauunternehmer zu finden und beaufsichtigen die Umbauarbeiten, wenn ich nicht hier bin.«
Was für eine Chance! Jetzt hatte David die Möglichkeit, diesen traumhaften Mann näher kennenzulernen! Doch dann siegte seine Unsicherheit. Da er seinen Familiennamen nicht kannte, antwortete er: »Tut mir leid, Tervenarius. Ich bin kein Innenarchitekt und kann Umbauten nur schwerlich planen.« Er hasste sich in diesem Moment für diese Antwort.
Aber Tervenarius blieb hartnäckig. »Sie haben Ihre Wohnung wunderschön hinbekommen – das schaffen Sie bei meinem Haus bestimmt auch!« Er streckte ihm mit einem auffordernden Lächeln die Hand hin.
David gab sich einen Ruck und nahm die Hand. Es war einfach DIE Gelegenheit: »Abgemacht! Zweikommaeins plus Beaufsichtigung des Umbaus.« Er würde das schon irgendwie geregelt bekommen. Sie lächelten sich an.
»Das sollten wir zumindest mit einem Kaffee begießen«, grinste David. Es war zu früh für Drinks.
»Kennen Sie eine Milchbar in Vancouver? – Ich bin Milch-Fan.« Tervenarius machte eine Pause. »Wir waren auch schon einmal beim Du.«
David spürte, wie er errötete. Das Erlebnis am Abend vorher war ihm nun mehr als peinlich. »Milchbar? Ja, natürlich. Da ist eine hübsche in Downtown.« Er war so aufgeregt mit diesem tollen Mann in die Bar fahren zu können, dass er vergaß, sich über das gute Geschäft zu freuen.

 

 Die Miura Waffle Milk Bar hatte bereits geöffnet. David bestellte sich einen Kaffee und einige Waffeln. Tervenarius orderte Kefir. Lange saßen sie sich schweigend gegenüber und nippten an ihren Getränken. Was sollte er nun sagen? Er hoffte, dass Tervenarius das Gespräch eröffnen würde, aber er tat es nicht.
Verlegen versuchte er zu erklären: »Ich möchte mich noch einmal für gestern Abend bedanken. Ich hätte dich bei meinem „Flug“ auch schwer verletzen können. Nicht jeder wäre mit so einem Unfall derartig großzügig umgegangen. Ich stand etwas neben mir und wusste nicht, was ich tat.«
Tervenarius blickte ihn interessiert an. »Helfen die Menschen sich denn nicht gegenseitig?«, fragte er.
Was für eine seltsame Frage. »Doch natürlich. Manche sind hilfsbereit, aber, besonders in den Großstädten, sind das nicht alle.«
»Warum sind die Menschen in den Städten anders?«
Wieder so eine eigentümliche Äußerung. David überlegte. »Ich glaube, hier ist es die Anonymität, in der sich viele verstecken. Jeder denkt nur an sich, und da bleibt die Menschlichkeit schon mal auf der Strecke.«
»Das ist schade.« Tervenarius ging nicht näher auf das Thema ein, was David sehr lieb war. »Ich habe mich übrigens über deine Fische schlaugemacht.«
Seine Fische? Er hatte sich darüber informiert.  David strahlte – sein Lieblingsthema. Sie versanken in Fachsimpeleien über Aquaristik, Pflanzen und Gifte. Tervenarius sah nicht nur phantastisch aus, sondern war auch noch gebildet. Sein Wissen, was Pilze anging, war enorm.

 

 Die Zeit verrann wie im Flug und Tervenarius war bereits bei seinem dritten Kefir. Er musste zum Geschäftlichen zurückkommen.
»Wann machen wir die Vertrags-Unterzeichnung?«, fragte David.
»Wenn es dir recht ist, übergebe ich dir schon einmal die Hälfte in bar und du quittierst sie mir. Miss Aiden McGallahan wird aus Calgary kommen und das Haus kaufen.«
Miss? Und sie kommt her? Verdammt, er hat eine Freundin. Das hätte er sich ja denken können. Sein Mut sank. Aber er wollte sich nicht so einfach geschlagen geben und hinterfragte es: »Deine Freundin oder Frau?«
»Nein.« Tervenarius schmunzelte. »Die Frau meines besten Freundes. Sie werden auch mit in Vancouver wohnen.« Er umklammerte mit seinen weißen Händen das Kefirglas. Es sah so aus, als würden beide verschmelzen.
Seine Hände sind das Schönste an ihm, dachte David verträumt, stark, sehnig, aber gleichzeitig weich.
»Aiden wird morgen in Vancouver sein. Wo sollen wir uns treffen?«
David sah ihn verwirrt an. Er hatte bereits wieder den Faden verloren – ach ja, die Frau.
»Ich kann selbstverständlich zu euch kommen. Wo wohnst du?« , antwortet David schnell.
»Im Rosewood.«
Eigentlich war klar gewesen, dass er im besten Hotel der Stadt wohnte. Aber würde er gern dort abends herumsitzen? Er musste ihn einfach fragen: »Was machst du heute Abend?«
„Ich habe noch nichts vor. Vielleicht ein wenig Fernsehen.“ Er sah ihn lächelnd an. „Meine Freunde nennen mich übrigens Terv.“
»Hast du Lust mit in eine Vorstellung zu gehen, Terv?«, fragte David und unterdrückte die Spannung in seiner Stimme. Das wäre ja zu schön, um wahr zu sein.
»Eine Darbietung? Warum nicht.«
Terv blickte in sein strahlendes Gesicht. Bestimmt war ihm seine Aufregung und Freude anzusehen. Er hatte zugesagt! Er würde mit ihm die Travestie Show im Westend besuchen. Wahnsinn! Er konnte sich bereits die Reaktion seiner Freunde vorstellen, wenn er mit diesem Prachtstück von Mann dort ankäme.
»Fein, dann hole ich dich um acht Uhr im Hotel ab. Ich lade dich ein.« Das war selbstverständlich, nach dem, was er an dem Objekt verdient hatte.
Terv nickte. „In Ordnung. Dafür fahre ich dich nach Hause.“
David bezahlte die Rechnung und sie verließen die Milchbar. Er hatte ein Date mit seinem Traummann! Er vergaß seinen Knöchel und ging wie in Trance zu Tervs BMW. Er konnte nicht umhin Tervenarius im Auto nochmals von der Seite anzuschauen. Sein Herz flatterte.
Tervenarius bemerkte seinen Blick und lächelte, sah ihn aber nicht an. Er hielt vor Davids Wohnung. »Bis heute Abend.«

Teil 3: Das erste Date

 

Tervenarius war pünktlich. In dunkler Jeans, weißem Hemd und schwarzem Sakko lehnte er an der Wand des Rosewood Hotels. Er trug das Haar offen. Es floss in einem silberweißen Strom über seine Schultern, was ausgesprochen aufregend aussah.
David hatte wieder ein Taxi genommen, denn er war sich nicht sicher, ob der Abend nicht vielleicht doch feuchtfröhlich enden würde.
Sie begrüßten sich mit Handschlag. David hatte sich drei Mal umgezogen, bis er etwas gefunden hatte, von dem er hoffte, dass es angemessen war und Terv gefallen würde: eine helle Hose und ein weißes, weich fallendes Hemd. Es war immer noch recht kühl. Deshalb hatte er seine schwarze Lammfelljacke darüber gezogen. Tervenarius musterte ihn, aber David konnte den Blick nicht deuten. Gefiel ihm, was er sah?
»Wo gehen wir denn hin?«, erkundigte sich Tervenarius.
»Ich dachte, du hättest vielleicht Spaß, dir einmal eine Travestie-Show anzuschauen.«
»Was ist das?«
»Eine Art Cabaret, aber nur mit Männern.«
Tervenarius nickte zustimmend. David war sich nach wie vor nicht klar über seine sexuelle Ausrichtung. Na ja, zumindest schien er tolerant zu sein, denn sonst würde er sich bestimmt nicht bereit erklärt haben, eine reine Männershow zu besuchen. Das ist schon einmal gut, dachte David, als sie aus dem Taxi stiegen und sich dem Eingang näherten.

Madame Ricarda zwinkerte David zu, als sie Terv und ihn durch das kleine Klappfensterchen der Eingangstür betrachtete, und ließ sie ein. Sie lächelte vielsagend.
Sie bekamen einen Platz, von dem aus sie die Bühne gut sehen konnten. Die Show hatte noch nicht begonnen und die an den runden, schwarzen Lack-Tischchen verteilten Besucher unterhielten sich angeregt. Das rötliche Licht der Wandlampen und der hübschen Glas-Öllampen auf den Tischen, schmeichelte dem Aussehen der Gäste. Die gedämpfte Hintergrundmusik ermöglichte leise Gespräche. Ein angenehmes Ambiente. Hoffentlich empfand Terv das ebenfalls so.
David blickte sich um. Ausgerechnet an diesem Abend hatte keiner seiner Freunde und Bekannten den Weg ins Cabaret gefunden. Na ja, so schlimm war das ja nicht. Er konnte nun wohl nicht mit Tervenarius angeben, aber lief auch nicht in Gefahr, seinen Begleiter eventuell ausgespannt zu bekommen.
Tervenarius musterte die Getränkekarte und bestellte einen Florida-Keeper, den er jedoch nicht anrührte. Er schien wirklich reiner Milchtrinker zu sein. Das war natürlich blöd. Den ganzen Abend auf dem Trockenen zu sitzen, würde für ihn vielleicht nicht so amüsant.
»Du trinkst nur Kefir?«
Terv nickte und in diesem Moment begann die Show. Die Wandlampen verdunkelten sich und Scheinwerfer erhellten die mit roten Samtvorhängen eingerahmte Bühne. Die Transe Tatjana imitierte Madonna sehr gekonnt und sang dazu nach einem eigenen Text. Es war klar, dass dieser das Alter des Stars und dessen Bemühungen wie eine junge Sexbombe zu erscheinen, auf die Schippe nahm. Davids Blick huschte zu Tervenarius. Er schien sich nicht zu amüsieren, denn seine Miene blieb unbeteiligt. Vielleicht mochte er Madonna und konnte es nicht leiden, wenn sie durch den Kakao gezogen wurde. David nippte betreten an seinem Glas. Das war ungünstig.
Danach folgte ein lustiger Auftritt von fünf Can-Can-Tänzerinnen zu lauter Musik. Sie machten ihre Sache wirklich gut, kreischten, warfen die Beine in die Höhe und sangen ein anzügliches Lied. Die Gäste lachten. Ein Seitenblick auf Tervenarius zeigte ihm, dass auch diese Darbietung bei ihm nicht so recht ankam. Verflixt, er hatte den falschen Laden gewählt. Er musste das Desaster schnell beenden.
»Sollen wir lieber irgendwo hingehen, wo es leiser ist?«, fragte er.
Tervenarius sah ihn an und nickte dankbar. »Ja, bitte.«
David winkte dem Crossdresser, der sie bediente hatte und zahlte. Madame Ricarda öffnete ihnen mit erstauntem Gesicht die Tür, um sie hinauszulassen. Es half nichts. Er hatte Terv falsch eingeschätzt. Er schien ein ernster Mann zu sein, kein Partygänger. Hoffentlich hat ihm das jetzt nicht den ganzen Abend vermiest, dachte David bedrückt.

Erleichtert atmete Terv die kühle Nachtluft vor der Tür. Seine Miene war nun viel entspannter. Und was nun? Terv beantwortete seine unausgesprochene Frage. »Ich würde mir lieber noch einmal deine Fische anschauen – oder vielleicht ein großes Aquarium besuchen.«
»Das Vancouver Aquarium hat nicht mehr geöffnet«, antwortete David bedauernd. Er wollte das Date keinesfalls abrupt enden lassen. »Aber wenn du willst, erkläre ich dir gern alle meine Tiere.« Sein Herz klopfte zu laut. Ob Terv das hören konnte? Sie würden in seine Wohnung zurückkehren.
David winkte einem vorbeifahrenden Taxi, das sofort anhielt und sie mitnahm. Er gab dem Fahrer die Adresse. Vor Aufregung kribbelten seine Fingerspitzen. Nun war der Abend richtig spannend geworden. Er blickte zu Tervenarius, der interessiert die hell erleuchteten, vorbeihuschenden Straßenzüge betrachtete. Er war David ein Rätsel. Das verunsicherte ihn auf der einen Seite, aber machte ihn auf der anderen aufgeregt und erwartungsfroh. David presste die Beine zusammen, um nicht unruhig mit den Knien zu zappeln und war froh, als das Taxi endlich anhielt.

Seine Wohnung empfing sie mit ihrer heimeligen Dschungel-Atmosphäre. Hier war er auf sicherem Terrain. Tervenarius fühlte sich offensichtlich auch sofort wohl und legte sein Sakko ab. Er trug ein weißes Hemd, das eng an seinem Körper anlag. An seiner Muskulatur war klar zu sehen, dass er viel Sport machte. David begutachtete seinen flachen Bauch und das durchschimmernde Sixpack. Terv gefiel ihm immer mehr. Er wusste, dass es ungezogen war, ihn anzustarren, aber war nicht fähig den Blick abzuwenden. Er riss sich zusammen.
Fische und Gifte. War das nicht ihr Thema? Daran würde er anknüpfen.
»Komm, wir setzen uns hierher und ich erzähle dir etwas über meine Fische. Sie sind eine Seltenheit, musst du wissen.« Mit diesen Kenntnissen konnte er punkten. David lächelte.
Sie ließen sich vor dem großen Aquarium auf den weichen Teppichboden nieder. David berichtete, was er über Kugelfische wusste: Er erzählte von den japanischen Köchen, deren Kunst darin bestand, den Fisch so zuzubereiten, dass nur so viel Gift auf den Teller kam, damit die Zunge prickelte.
Terv lauschte interessiert und betrachtete die aufgeblasenen Tiere. Er tupfte mit dem Finger an das Glas und vollführte kleine Lemniskaten. Die Fische folgten seinen Bewegungen.
War das ein Zufall? Es war faszinierend. David nahm seinen Mut zusammen: »Was ich dich die ganze Zeit schon fragen wollte …«
Terv sah ihn an. Ja, nun waren seine Augen wieder blau.
»Warum trägst du Kontaktlinsen?«
Tervenarius legte den Kopf schief. »Weil es mir gefällt.«
Diese Antwort reichte David nicht. »Und was hast du für eine Augenfarbe?«, fragte er neugierig.
»Golden«
David lachte ungläubig. »Na klar.«
Tervenarius senkte den Kopf und tupfte sich mit dem angefeuchteten Finger in die Augen. Die blauen Linsen lagen in seiner Hand. Dann hob er den Blick.
Es traf David wie ein Blitz. Solche Augen hatte er noch nie gesehen. Plötzlich war Tervs Aussehen vollkommen: die weiße Haut, das silbrige Haar, die Augen. Nun passte alles harmonisch. Tervenarius war sein Traum-Prinz. Das war ihm nun endgültig klar. Es war nicht nur die Art, wie er sich bewegte und sprach. Es war die Ausstrahlung, seine ganze Persönlichkeit, gepaart mit dem ungewöhnlichen Äußeren, was ihm Davids Herz zufliegen ließ.  David starrte ihn an. Es stimmte, was die Leute sagen, schoss es ihm durch den Kopf.  Wenn man sich verliebt, hat man Schmetterlinge im Bauch. Er fühlte sie regelrecht flattern und tanzen. Und – dieses Gefühl hatte er zum ersten Mal. Er war völlig überrumpelt. 
»Unglaublich!«, keuchte er. Terv wollte die Linsen wieder einsetzen, aber David hielt ihn davon ab. »Bitte lass sie für heute Abend draußen – für mich«, bat er leise. Er warf alles in eine Waagschale. »Ich würde gern noch mehr von dir sehen.«
Terv sah ihn mit nachdenklichem Gesicht an, betrachtete ihn forschend. Eine Prüfung, die Davids Herz bis zum Hals klopfen ließ. Was dachte er nur von ihm? Würde er nun einfach aufstehen und gehen? Das war eine eindeutige Anmache gewesen. War er zu weit gegangen?
Endlich antwortete er sanft: »Ich zeige dir gerne mehr, David, aber ich will nicht angefasst werden.«
Was für ein Abenteuer! Er würde sich ausziehen? Für ihn?
»Das ist okay«, flüsterte David.
Terv blieb auf dem Boden sitzen. Ruhig knöpfte er sein Hemd auf, zog es von den Schultern. Sein Oberkörper war milchweiß und strahlte von innen wie eine Marmorstatue.
David war unfähig sich zu rühren. Es war ihn nun auch gleichgültig, dass er ihn unverhohlen anstarrte.
Tervenarius erhob sich und zog gemächlich seine Schuhe, Strümpfe und Jeans aus. Er trug keinen Slip.
Er hatte sich wirklich entkleidet. Als wäre es nichts. David konnte die Augen nicht von ihm abwenden, fühlte, wie es ihm heiß und kalt den Rücken hinablief und er anfing zu schwitzen. Tervenarius stand mitten in seinem Wohnzimmer, nackt, als ob es selbstverständlich wäre, und blickte mit unbewegtem Gesicht auf ihn hinab.
So etwas war ihm noch nie passiert. Er durfte schauen, aber nicht berühren. David lehnte sich an das Aquarium und versuchte seine Stirn an dem Glas zu kühlen.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Terv besorgt.
»Ja«, flüsterte David und richtete seinen Blick wieder auf ihn.
Terv hatte sich bereits umgedreht und war zum Becken des Steinfischs gegangen – präsentierte ihm so seine Kehrseite. Sein Körper war perfekt. Gebannt sah David auf die beiden Grübchen auf seinem sanft gerundeten Po. Sein Schwanz reagierte augenblicklich.
»Erzählst du mir auch noch eine Geschichte vom Steinfisch?«, sagte Tervenarius lächelnd und blickte über die Schulter.
Er würde es in dieser Situation unmöglich schaffen, sich auf einen Aquaristik-Vortrag zu konzentrieren. »Entschuldige, das möchte ich lieber machen, wenn wir uns das nächste Mal sehen«, krächzte David. Sein Hals war entsetzlich trocken.
Tervenarius kam wieder zurück und kniete sich vor ihn auf den Boden. Er sah ihm forschend ins Gesicht.
»Weißt du eigentlich, wie schön du bist?«, stieß David hervor.
»Du findest mich schön?« Dieser Gedanke schien Terv fremd zu sein.
Wie konnte es sein, dass ein Mann wie er zum einen nicht wusste, wie gut er aussah und es zum anderen nicht ausnutzte?
Plötzlich begriff er offensichtlich, dass David ihm ein Kompliment gemacht hatte, denn er lächelte. Instinktiv streckte David, entgegen ihrer Abmachung, die Hände nach ihm aus. Terv wich zurück.
David ließ die Hände sinken. Er sah wie gelähmt zu wie Tervenarius sein Hemd und die Jeans wieder anzog. Zuletzt Strümpfe und Schuhe. Ja, er hatte sich auf seine Bitte hin ausgezogen. Einfach so. Mehr nicht.
Seine Miene musste Bände gesprochen haben, denn Tervenarius kniete sich vor ihn und nahm sein schweißnasses Gesicht in die Hände. Dann küsste er ihn sanft. Davids Herz setzte einen Schlag lang aus. Seine Lippen waren weich und warm. Sein Duft von Marzipan und Veilchen hüllte David sekundenlang ein.
Tervenarius erhob sich und ging, das Sakko über die Schulter gehängt. »Wir sehen uns morgen um elf Uhr zur Unterzeichnung im Rosewood«, sagte er. David saß da wie hypnotisiert und war nicht fähig ihm zu antworten.

Teil 4: Gemeinsames Arbeiten

David erwachte am nächsten Tag viel zu früh und konnte nicht wieder einschlafen. Er sah zum Fenster. Der April bescherte Vancouver einen leichten Nieselregen, der wie ein graues, nasses Laken über die Stadt hing. Eigentlich war es das richtige Wetter, um im Bett zu bleiben. Aber ihn hielt dort nichts mehr. Sobald er sich in die Kissen kuschelte, kamen die wohligen Gedanken an Tervenarius und er begann von ihm zu träumen. Das tat er in der letzten Zeit viel zu oft.

Er stand auf und tappte ins Bad. Was hatte er denn bisher über das Objekt seiner Begierde in Erfahrung gebracht? Er kannte seinen Namen und wusste, dass er offensichtlich keine Geldprobleme hatte. Na ja, er hatte schon ein wenig mehr erfahren ... Zum Beispiel wie sich seine Hände anfühlten und sein Haar, aber genau daran wollte David ja nicht denken. Entschlossen ging er zurück in sein Schlafzimmer und suchte nach einem passenden Outfit für das Treffen im Rosewood. Er würde dort seine Freunde und Bekannte kennenlernen, also war es ihm wichtig, einen guten Eindruck zu machen.

Mit einer roten Krawatte in der Hand ertappte er sich schließlich, dass er nach einer Stunde immer noch träumend auf dem Bett saß. Oh nein, wenn er sich nicht beeilte, kam er zu spät!

Tervenarius und seine beiden Begleiter erwarteten ihn bereits in der Empfangshalle des Rosewood.  Es gehört sich nicht, jemanden direkt anzustarren. Also lächelte David das Pärchen an, das vor ihm stand, und ließ sich nicht anmerken, wie außergewöhnlich er diese Zwei fand. Die Frau, eine rothaarige Schönheit mit dem dazu passenden, milchweißen Teint blickte ihn mit ihren riesigen, grünen Augen freundlich an. Groß und langbeinig, elegant gekleidet, hätte sie ohne weiteres als Model durchgehen können.

Der schwarz gekleidete Riese an ihrer Seite, der ihr ständig sorgenvolle Blicke zuwarf und ihr immer wieder stützend die Hand in den Rücken legte, war kaum hinter seiner gigantischen, dunklen Sonnenbrille und unter dem breitkrempigen Hut zu erkennen. Aber was David von ihm sah, fand er beeindruckend: ein großer, breitschultriger Körper, sicherlich fast zwei Meter hoch, mit schmalen Hüften. Eine gerade Nase und ein sinnlicher Mund. Auch er hatte einen Akzent, den David nicht einordnen konnte, als er ihn mit seiner wohlklingenden Stimme begrüßte und ihm fest die Hand drückte. Seine einschüchternde Ausstrahlung deutete darauf hin, dass er gewohnt war, zu befehlen und seinen Willen durchzusetzen. Ein Mann, auf den die Frauen sicher fliegen würden. Gegen ihn wirkte selbst der kräftige Tervenarius fast filigran. Der lächelte. Terv sah David an, aber er konnte dessen Blick nicht deuten. Er fühlte, dass er dem großen Fremden gegenüber Respekt empfand und wahrscheinlich auch Freundschaft.

Das gebuchte Besprechungszimmer im Rosewood entpuppte sich als ein gemütliches Zimmer mit bequemen Sesseln um einen runden Mahagonitisch. Sie nahmen Platz.
»Möchten Sie das Anwesen erst besichtigen?«, fragte David den Mann, der sich ihm als Solutosan vorgestellt hatte.
Der lächelte freundlich. Seine Zähne blitzten. »Nicht nötig, ich habe Handyfotos gesehen. Außerdem weiß mein Freund genau, was ich mir wünsche. Wenn die Substanz des Hauses in Ordnung ist, kaufen wir es.«
Solutosan blickte Tervenarius lange an. Erstaunlich, an der Mimik der Männer sah David, dass sie zu kommunizieren schienen. Sie sagten jedoch kein Wort. Diese Stille war unheimlich. David spielte verlegen mit dem Griff seiner Aktentasche und überlegte, was er in so einer Situation sagen sollte. Aber Aiden McGallahan rettete ihn. »Haben sie das Geld schon erhalten, Herr Martinal?«, fragte sie freundlich.
»Ja, eine Anzahlung.«
Sie wandte sich an Solutosan. »Ich für meinen Teil würde jetzt erst gern zum Haus fahren und es besichtigen. Wir können die Abwicklung ja dort fertigmachen.« Sie beendete so die stille Kommunikation der Männer.
»Selbstverständlich«, antwortete David beflissen.

 

 Sie verließen das Rosewood und gingen zu dem BMW, den ein diensteifriger Hotelboy vorgefahren hatte. Der große Solutosan betrachtete den Wagen und brach unversehens in lautes Gelächter aus.  Das war schon ein bisschen unheimlich. Dann verstand David: Tervenarius war beauftragt worden ein Auto zu kaufen und hatte diesen Luxus-Schlitten erstanden. Die hübsche Aiden schüttelte in gespieltem Ernst den Kopf: »Männer und ihre Spielsachen!« Aber auch sie musste lachen.
Erstaunlich wie sich Solutosans Verhalten auf ihre Fröhlichkeit hin veränderte. Er strahlte sie an und freute sich an ihrem Lachen, ergriff ihre Hand und drückte sie.
Von da an ging alles sehr schnell. Solutosan hatte die Entscheidungsmacht. Er musterte die Schule, ließ den Blick über die kleine Straße zum offenen Meer schweifen. Dann lächelte er. David fiel ein Stein vom Herzen. Nun war das Objekt endgültig verkauft.
Aiden McGallahan lief begeistert in den vielen Räumen umher. Sie blickte Solutosan an: »Ich glaube, ich werde mit Tervenarius hierbleiben und das Haus planen.«
Solutosan beugte sich erstaunt zu ihr. »Richte es ein, wie du es haben willst, Aiden!« Er nahm sie ungeniert in den Arm und küsste sie.
Eindeutig, die beiden waren ein Paar. Das hieß Terv war frei. Hoffentlich ...
»Ich brauche keinen Architekten!«, sagte Aiden in diesem Moment. »Die kosten nur unnötig Geld – außerdem sind Tervenarius und Herrn Martinal ja hier. Wie ich gehört habe, helfen Sie uns den Bau zusätzlich zu überwachen?«
»Das war so abgemacht«, nickte David.
»Fein!« Sie ließ Solutosan los, drückte den Kaufvertrag gegen die Wand und setzte schwungvoll ihre Unterschrift darunter.
»Gratuliere zum neuen Haus!« Sein Herz schlug bis zum Hals, als er Tervenarius ansah. Der lächelte.

 

 Mit dem Hausverkauf plus seiner Zusage beim Umbau mitzuhelfen begann sein Desaster. Ja, dachte David und blickte zu Terv, der an einem improvisierten Schreibtisch aus zwei Blöcken und einer Platte saß und an seinem Laptop arbeitete.  Das habe ich mir selbst zuzuschreiben. Er will nichts von mir und ich sitze nun hier und himmele ihn an. Warum habe ich mir das angetan?
David betrachtete Terv und nahm jedes Detail in sich auf: die eng sitzende Jeans und den eierschalfarbenen Strickpulli. Das zu einem Pferdeschwanz gebundene Haar hatte sich wie kleine silberweiße Schlangen auf dem Rücken in die groben Maschen des Pullovers verschlungen. Die sehnigen Hände auf der Tastatur, das konzentrierte, vorgeneigte Profil. Tervenarius bemerkte seinen Blick und wandte den Kopf. Er trug Kontaktlinsen, wie immer wenn sie auf der Baustelle waren. An diesem Tag benutzte er braune. Nein, er lächelte nicht, sah wieder gedankenverloren auf den Bildschirm, als hätte er ihn gar nicht wahrgenommen.
Ja, selbst dran schuld. David traute sich nicht zu seufzen. »Ich gehe mal nachsehen, wie weit der Fliesenleger im Keller ist«, sagte er zu Terv, der lediglich nickte. Er erhob sich und verließ das Zimmer.
Nein, ihn zog es nicht ins Untergeschoss, sondern erst einmal nur fort. Er benahm sich peinlich – er wollte nicht schon wieder so nervig sein, sich unreif benehmen. David lehnte sich an die Wand im Flur. Wie werde ich diese rosarote Brille nur los?, fragte er sich. Er hatte sich derartig rettungslos in Tervenarius verliebt, dass ihm beim jedem seiner Blicke das Herz in die Hose rutschte. Ich muss cool bleiben. Ich muss mich wie ein Mann verhalten und nicht wie ein kleiner, dummer Junge. Das wird die einzige Möglichkeit sein, um ihn von mir zu überzeugen. Ich muss Kompetenz zeigen. Er nickte. Ja, Fachwissen wäre gut. Er beschloss, sich gründlich über Innenarchitektur schlauzumachen. Außerdem wollte er versuchen, Tervenarius zu Freizeit-Aktivitäten zu überreden. Was gab es denn in Vancouver in diese Richtung? Er hatte keine Ahnung davon, was die Touristen in seiner Heimatstadt gerne besichtigten. Er selbst kannte nur das Aquarium. Genau, das würde er machen. Vom Aquarium wusste er, dass es um siebzehn Uhr schloss, also würde er Terv für den Nachmittag einladen mit ihm dorthin zu gehen. Da konnte er auf jeden Fall mit interessanten Informationen aufwarten.
Nun setzte er sich doch in Richtung Keller in Bewegung und warf einen Blick auf den Fußboden. Die Fliesenleger waren fleißig gewesen und hatten die Hälfte geschafft. Zufrieden stieg er die Treppen hinauf.
»Die sind fast fertig«, verkündete er im Wohnzimmer angekommen.
Terv drehte sich zu ihm und nickte. »Gut. Haben sie auch die Wände des Umkleideraums gemacht?«
Verdammt, das hatte er natürlich nicht kontrolliert. Es fing ja gut an mit seiner Kompetenz. »Da war ich nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß und setzte sich an den großen Tisch mit den Hausplänen. »Aber wenn du willst, gehe ich nachschauen.«
Tervenarius schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Das werden wir ja am Abend sehen.«
David nahm seinen Mut zusammen. »Terv?«
»Hmm?« Er sah nicht auf.
»Ich wollte dich etwas fragen. Ich meine, heute Nachmittag haben wir nicht so viel auf dem Plan.« Er stockte. »Hast du nicht Lust mit mir ins Aquarium zu gehen?« Er konnte nicht verhindern, dass er rot wurde.
Tervenarius musterte ihn durchdringend, was seine Röte noch verstärkte. Er hasste sich dafür.
»Warum nicht? Ja, das wird bestimmt interessant«, antwortete Terv und lächelte.
Das war vieldeutig. Oder bildete er sich das ein? Unter Garantie hatte Terv nur die Fische gemeint und nicht ihn. Verdammt.
»Prima.« Trotz seiner Röte gab er sich Mühe ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. »Dann lass uns nach dem Essen losfahren, okay?«

Tervenarius reißt der Geduldsfaden

Es war bereits hell als David aufwachte. Samstag. Die Arbeiter würden an diesem Tag später kommen – wenn überhaupt. Aiden war mit Solutosan nach Calgary geflogen. Also hatte er an diesem Tag auf jeden Fall frei.
Er kuschelte sich ins Kissen. Terv ins Aquarium einzuladen war eine gute Idee gewesen. Endlich hatten sie ein paar gemeinsame Stunden, ohne die Probleme des Umbaus zu wälzen. Dementsprechend entspannt waren sie durch das beeindruckende Gebäude mit der feucht-warmen Luft geschlendert und hatten die Fische in den Becken bestaunt. Ein Mal berührten sich sogar ihre Hände, als sie vor dem Aquarium mit den Haifischen standen. Ob Terv das bemerkt hatte? Nein, wahrscheinlich nicht.
Er konnte Tervs Verhalten nicht deuten, was ihn nach wie vor verunsicherte. Tervenarius hatte ihn geküsst. Machen Hetero-Männer so etwas? Eigentlich nicht. Vielleicht war er homosexuell und David war einfach nicht sein Typ? War es eher ein väterlicher Kuss gewesen? Das musste es sein.
Ich gebe nicht so schnell auf, dachte er. Ich werde meinen Plan weiter verfolgen und versuchen mit ihm auszugehen. Irgendwann gibt er sicher nach. Oder er sagt mir auf den Kopf zu, dass er nicht will. Das muss ich riskieren. David seufzte. Ach, es wäre so schön, wenn er nachgäbe. Wenn er mich in den Arm nehmen und küssen würde. Ob er wohl ein aktiver Mann war? Ein Top? Oh je, so weit mochte er überhaupt nicht denken.  Jedoch die daunenweichen Kissen verführten ihn zu träumen. Er liebte es, dass Tervenarius so weich war – Teint und Haar wie Seide. Alle seine bisherigen Liebhaber hatten glatte Haut gehabt, stramm über den Muskeln, und nicht derartig streichelzart. Dazu diese Augen. Da fiel ihm ein, dass er noch nie Bartstoffeln an ihm bemerkt hatte. Ob er sich ständig rasierte? David seufzte erneut.
Er selbst war in der Männerwelt beliebt. Aber er schien nicht gut und reizvoll genug für Tervenarius. Ob er überhaupt schwul war?
Meine Gedanken drehen sich im Kreis, dachte David frustriert. Ich stehe mal besser auf und informiere mich gründlich über die Sehenswürdigkeiten von Vancouver. Ich werde ihn so lange belagern, bis er mir eine Antwort auf meine unausgesprochene Frage gibt!

 

 Wunderschöne Wochen lagen hinter ihnen. Phantastisch deshalb, weil er sie mit Tervenarius verbracht hatte. David überlegte, ob sie noch eine Vergnügung ausgelassen hatten? Nein, ihm fiel keine mehr ein. Er dachte an ihre gemeinsame Bergwanderung. Beim durchtrainierten Tervenarius waren ihm an den darauf folgenden Tagen keinerlei Nachwirkungen der Kletterpartie aufgefallen, während er vor lauter Muskelkater fast am Stock gegangen war.
Er hatte sich wirklich bemüht. Mit welchem Erfolg? Mit absolut keinem. Tervenarius war freundlich und zurückhaltend geblieben und hatte sich nicht aus der Reserve locken lassen. Er war ein Diplomat durch und durch.
Leise fluchend stieg David von der ehemaligen Schule aus dem Auto. Der Regen rauschte schon seit geschlagenen drei Tagen in Kübeln vom Himmel. Die Gullis konnten die Wassermassen nicht mehr fassen, so dass viele Straßen überschwemmt waren. Sie hatten aufgrund der Feuchtigkeit früher Feierabend gemacht. Aiden und Terv waren ins Hotel gefahren. Er hatte dummerweise sein Handy im Wohnzimmer vergessen und musste mitten auf dem Weg nach Hause deswegen umkehren.
Stimmte mit seinen Augen etwas nicht? Die neu angemauerte Wand der riesigen Garage sah schief aus und hatte eine Ausbuchtung. Er stieg aus dem Auto, zog sich die Jacke über den Kopf und rannte los, um sich möglichst nah am Haus vor dem Regen zu schützen, was ihm nicht sonderlich gut gelang.
Er spähte zu der Wand. Himmel! Sie hatte wirklich einen Bauch und sah aus, als würde sie unter dem Dach wegrutschen.  Wenn die Mauer nicht abgestützt, ihr Fuß vor den strömenden Wassermassen geschützt würde – sie wäre verloren. Er war kein Fachmann, aber das sah selbst er.
Die Garagenfront klaffte noch offen, da die Metalltore bisher nicht geliefert worden waren. Also hastete er zu der improvisierten Zwischentür, die Haus und Garage verband, fummelte mit klammen Fingern den Schlüssel aus seiner Jeans und schloss eilig auf. Sein Handy lag wirklich neben Tervs Laptop. Er drückte dessen Kurzwahl.
»Ja?« Tervs’ Stimme ließ sein Herz sofort schneller schlagen.
»Tervenarius? Hier im Haus ist ein massives Problem. Die neue Garagenwand bricht ein. Der Regen hat den Mörtel ausgeschwemmt.«
»Ich komme!«
David legte auf und stierte nachdenklich auf sein Handy. Terv kam. Was würden sie brauchen? Regenkleidung, Balken, Werkzeug, Säcke, Sand.
Er lief eilig im Haus umher und suchte die benötigten Dinge zusammen, schleppte sie in die Garage.

Der BMW hielt am Straßenrand und Tervenarius rannte durch den Regen auf ihn zu. Bumm, bumm. Bitte Herz, hör auf so zu ballern, dachte er. Ich kann das nicht gebrauchen. Ich brauche jetzt einen klaren Kopf. Sein Blick verfing sich an Tervs feuchtem Pferdeschwanz, der dunkel an seiner nassen Jeansjacke klebte. Tervenarius drückte mit der Hand gegen die absackende Wand und sprintete dann kopfschüttelnd in die trockene Garage.
»Wir müssen versuchen sie aufzufangen, David«, sagte er und musterte ihn ernst.
»Ja, ich habe schon Sachen dafür zusammengetragen.« Er deutete auf den Haufen Material und reichte Terv den olivfarbenen Regenschutz, bestehend aus einer Hose und einer Jacke.
»Okay«, der nickte zufrieden. »Ich denke, wir probieren es erst einmal mit Balken. Vielleicht können wir sie abstützen. Den Fuß der Wand legen wir mit Sandsäcken trocken.« Während er das sagte, schlüpfte er in die überweite Regenhose.
»Gut«, entgegnete David knapp und zog ebenfalls Regenkleidung über seine Jeans.
Sie kämpften, nass bis auf die Knochen, arbeiteten verbissen. Sie tackerten eine Plane über die Garagenwand, füllten Sandsäcke, klemmten Balken gegen die durchweichte Mauer. David wischte sich das Wasser von der tropfenden Nase.
»Ich glaube, wir haben es geschafft!« Tervenarius stand neben ihm im Garageneingang. Gemeinsam betrachteten sie ihr Werk. In diesem Moment gab die Wand endgültig nach und sackte nach vorne weg. Ihre Rettungsversuche waren zu spät gekommen. Der Mörtel war ausgeschwemmt, der Fuß der Wand instabil. Resigniert sahen sie zu, wie die große Garagenwand in die Knie ging.
»Beim Vraan!« Terv brüllte enttäuscht und ärgerlich, während er nur mit offenem Mund auf das Durcheinander aus Steinen, Sand und Balken starrte. Tervenarius schlug mit der Faust auf einen Berg Zementsäcke, die auf einer Palette in der Garage gestapelt waren. 
»Das hätten wir uns sparen können!« Er war stinksauer. David musterte ihn hilflos. Es war nicht zu ändern. Wenn der Regen endlich nachließ, würden die Maurer die Wand neu machen müssen. David seufzte und ging tiefer in die Garage hinein. Ihm war kalt und er fror. Alles klebte an seinem Leib. Er musste unbedingt aus den nassen Sachen.
Tervenarius tobte noch eine Weile in der offenen Garagenfront. Es war zum ersten Mal, dass er nicht ausgeglichen wirkte und wie ein Gentleman agierte. Er gestikulierte und deutete immer wieder auf den peitschenden Regen. In einer ihm unbekannten Sprache fluchend stapfte er dann ebenfalls ins trockene Innere.
David fand diesen Gefühlsausbruch extrem anziehend. Er hatte Tervenarius nicht so viel Temperament zugetraut.
David zog sich den nassen Slip über den Po und blickte ihm entgegen. Tervs goldene Augen funkelten. Er hatte die Kontaktlinsen vergessen. Er wirkte wie ein Löwe: mächtig, wild und zornig. David bekam weiche Knie.
Tervs Blick hielt ihn fest umfangen, die Wut daraus wich nicht. Mit diesen hypnotisierenden Löwenaugen kam er auf ihn zu. »Jetzt ist Schluss. Du willst es? Dann kriegst du es«, knurrte er.
David stand wie festgeklebt. Terv meinte ihn! Womit war Schluss? Tervenarius packte ihn brutal am Haar, zog ihm den Kopf in den Nacken. Mit der anderen Hand drehte er ihn zu dem roten Ölfass, das neben ihm stand. Er zwang ihn, sich nach vorne über das Fass zu beugen. David war seiner brachialen Kraft völlig überrumpelt ausgesetzt. Himmel, Terv war stark! So viel Stärke! Und nun wandte er sie gegen ihn!
David fühlte sein Glied schlagartig erigieren. Er war da! Er beachtete ihn! Er fasste ihn an! Terv presste ihn gegen das kalte Metall des Fasses. Passierte das wirklich? Er wusste, was nun kam. Terv drückte ihm die Beine auseinander. Ja, der Mann, in den er sich so wahnsinnig und irrwitzig verliebt hatte, stand hinter ihm, keuchend und wütend. Er fackelte nicht lange, sondern stieß zu. Der Schmerz flammte  auf, rauschte über seinen Rücken, brachte seine Pobacken zum Zittern. Terv war da und er tat so weh! Es schien ihm gleichgültig zu sein. War es überhaupt noch Tervenarius, der da wie ein wildes Tier knurrte und in ihn stieß?
Nun erhielt er die Strafe für seine ganzen nervigen Annäherungsversuche. Terv wehrte sich. David spürte Verzweiflung, Wut, Hilflosigkeit. Sein Schwanz wurde zur Waffe. Sein Schwanz … Sein stoßendes Glied erschütterte seinen Leib. Terv war tief in ihm. David konnte kaum noch atmen. Es war, als wäre die Luft in der Garage plötzlich zum Schneiden dick geworden. Er röchelte. Es war ihm egal. Er nahm ihn. Endlich! Sein Penis prallte durch seine Stöße gegen das Fass. Der harte Rand schnitt in den Bauch. Es war schmerzhaft aber so unendlich geil! Wie oft hatte er von Tervenarius’ Schwanz geträumt! Ihm schwanden die Sinne. Der Mann stöhnte laut und dann kam sie, die finale Wärme. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Er war so nah! David zitterte am ganzen Leib. Stille.

Tervenarius rührte sich nicht. Er stand hinter ihm mit heruntergelassener Hose. David fühlte seinen Blick auf seinem nackten Rücken. Endlich war Terv da, da wo er ihn immer gewollt hatte. David drehte sich um. An das Ölfass gelehnt sah er in ein fassungsloses Gesicht. Das Gold war aus Tervs Augen gewichen. Sein Blick war dunkel, das Feuer erloschen. David spürte fast körperlich sein Entsetzen und seinen Kummer.
Nein, er sollte nicht so sein! Er durfte nicht bereuen. David wandte sich vollends um, zerrte Tervs Kopf zu sich und küsste ihn. Wild, ungezügelt! Nun traute er sich! Jetzt ließ er seinen Gefühlen freien Lauf!
»Endlich!«, keuchte David. »Endlich bist du bei mir!« Er musste reden, aber er wollte ihn gleichzeitig auch küssen, tief und hungrig. »Du bist da! Ich liebe dich!« Er steckte Tervenarius die Zunge in den Hals, biss ihn, biss in seiner Hektik sich selbst, klammerte sich an ihn. Er würde ihn nicht mehr loslassen wollen!
Nun kam Leben in Tervenarius. Er löste sich. »Du weißt nicht, was du sagst!«, brüllte er außer sich. »Es wird immer wieder so sein! Ich werde dir weh tun. Ich verliere die Kontrolle und bin gefährlich. Ein Wunder, dass ich dich nicht umgebracht habe!«
Er hielt ihn auf Armeslänge vor sich und stierte ihn an als würde er ihn zum ersten Mal sehen. Dann erschlafften seine Arme. Sein Gesicht sah mit einem Mal alt und grau aus. Gram, ja echte Reue spiegelte sich darin, Schmerz. Und er, David, war die Ursache dafür, dass Tervenarius litt. Das durfte nicht sein. Sein Geliebter sollte nicht leiden.
Er zog den steifen Tervenarius zu sich, umschlang ihn ganz fest, presste sein Gesicht an die nackte Schulter, streichelte sein feuchtes Haar, flüsterte besänftigende und tröstende Worte.  Er würde alles tun, damit es ihm wieder besser ging.
Tervenarius erbebte. David fühlte sachte Berührungen auf seiner Schulter. Was war das? Etwas lief kitzelnd seinen blanken Rücken hinunter und kam leise klickend auf das Ölfass auf.
Der Körper in seinen Armen erschlaffte, wurde nachgiebig. Tervenarius löste sich von ihm und drückte zart gegen seine Brust, musterte ihn aufmerksam. Seine Augen glommen wieder golden im Licht der einzigen Glühbirne. Erstaunen, Ungläubigkeit, Nachdenklichkeit spiegelten sich in seinem Gesicht. Er betrachtete ihn – lange. Dann kam Wärme in seinen Blick. Er lächelte, zaghaft zuerst, schließlich leuchtete er regelrecht. Er berührte zärtlich Davids Wange – und ließ die Hand abrupt fallen.
David war wie gebannt, festgenagelt. Was war da eben geschehen?
»Du wirst dir den Tod holen, David!« Tervenarius streifte rasch seine nasse Hose ab. Splitterfasernackt rannte er eilig los zu seinem Auto und kam mit einer Decke und einem alten Handtuch wieder.
David hatte sich zu dem Ölfass umgedreht und suchte, was ihm da über den Rücken gerollt war. Ungläubig blickte er auf ein paar goldfarbene Kügelchen, die auf dem Deckel verstreut lagen. Gebannt nahm er eine in die Hand. Sammelte sie alle auf. Ja, es waren goldene, erstarrte Tränen.
Wie vom Blitz getroffen stand David da, während Terv seine Finger einfach zur Faust schloss, ihm die wärmende Wolldecke um den Leib wickelte und sich dann selbst das Handtuch um die Hüften schlang.
»Komm!«
Terv nahm ihn bei der Hand, führte ihn zu den Zementsäcken, drückte ihn darauf nieder und zog fürsorglich noch einen Zipfel der Decke über seine nackte Schulter. Wie selbstverständlich setzte er sich eng neben ihn.


Allmählich kam David zu sich. Es hatte aufgehört zu regnen und er konnte aus der offenen Garage die untergehende Sonne sehen, deren glutrote Strahlen sich durch die dunklen Wolkenbanken drängten und sofort wieder verschwanden. Seine Gedanken rotierten. Es war ihm, als hätte sich plötzlich aus den wild durcheinander fliegenden Puzzleteilchen ein perfektes Ganzes gebildet. Jedoch traute er sich kaum, seine Schlussfolgerung zu äußern. Terv würde ihn vielleicht als Spinner abstempeln. Zögernd drehte David den Kopf, blickte in sein bleiches Gesicht, das ruhig und gelassen wirkte wie immer. Seine Haut, die Augen, das Haar, seine Tränen. Niemand auf der Erde war so wie er.
»Du bist kein Mensch, stimmt's?«, fragte er leise.
»Ich bin Duonalier. – Es ist eine lange Geschichte.«
David starrte ihn weiterhin verblüfft an. Er hatte stets geahnt, dass es außerirdisches Leben gab, aber einem Alien leibhaftig zu begegnen ... Dieser Gedanke trieb ihm den Schreck in die Glieder. Leibhaftig – das war es ja wohl im wahrsten Sinne des Wortes gewesen. Er versuchte, blitzschnell die letzten Monate Revue passieren zu lassen: seinen Fenstersturz, den Hauskauf, ihre gemeinsamen Aktivitäten und nun ... Hatte Terv sich irgendwie bedrohlich verhalten? Nein, er war höflich und zurückhaltend, ein Gentleman. Na ja, bis zum heutigen Tag. Aber vielleicht war es ja so, dass auf seinem Planeten derartig brutaler Sex gemacht wurde.
»Ist es in deiner Welt normal so einen heftigen Sex zu machen?«, stieß er hervor.
Tervenarius erbleichte, soweit das bei seiner blassen Haut noch möglich war. Der gequälte Gesichtsausdruck erschien erneut und David bereute sofort, das gefragt zu haben.
»Nein«, Terv senkte beschämt den Kopf. »Ich war wütend und habe mich gehenlassen. Das ist unverzeihlich. Ich hatte gehofft, dass mir so etwas nicht mehr passiert. Ich ...«, er verstummte.
Ich will nicht, dass er deswegen wieder weint, dachte David und legte ihm schnell die Hand auf den Arm. Wie wunderbar er sich anfühlt. Er betastete seine Haut, streichelte den Unterarm. Hatte sich sein Verhältnis zu Terv geändert? Im Gegenteil. Sie waren sich ein großes Stück näher gekommen. Mag sein, dass er auf einem anderen Planeten geboren ist, überlegte David, aber er ist keine Bedrohung für die Erde und er sieht menschlich aus. Nicht nur das, sondern er ist auch umwerfend männlich und ..., David spürte, wie ihm erneut die Hitze in die Lenden schoss – er ist ein Top, wie ich gehofft habe. Sein Herz klopfte genauso heftig vor zuvor, wenn er Terv betrachtete, der weiterhin mit gesenktem Haupt neben ihm saß und offensichtlich mit seinem Schicksal haderte. Er liebte einen Alien. David drückte seinen Unterarm und Terv hob den Kopf und sah ihn mit seinen goldenen Löwenaugen an.
»Ich verzeihe dir«, sagte David fest. »Geschehen ist geschehen.« Tervs Augen weiteten sich erstaunt. Oh mein Gott, dachte David, ich liebe ihn. Ich will nicht mehr aufhören ihn anzusehen. Ich will seine Stimme hören, seine Hände spüren – möchte ganz eng bei ihm sein. Es ist mir gleichgültig, woher er kommt. Ich will ihn, ohne Wenn und Aber. Ob Terv das wohl verstand? Wurden seine Gefühle erwidert? Er wusste, wie er nun aussah. Er war nicht fähig sich zu verstellen. Terv konnte in seiner Miene lesen wie in einem Buch.
Tervenarius blickte ihn an, das Gesicht wie aus weißem Marmor gehauen. Allmählich begannen seine Augen zu strahlen. Er lächelte und neigte sich zu ihm.
Das ist unser erster richtiger Kuss, dachte David. Sein Herz schlug laut, jedoch in gleichmäßigem Takt als Terv seine Lippen öffnete, ihn tief mit der Zunge penetrierte und so endgültig gefangen nahm. Ich werde nie wieder von ihm loskommen. Dieser Gedanke floss wie zähes, betäubendes Öl durch seinen Verstand. Er versank. Eine kleine Unendlichkeit.
Sie lösten sich voneinander.
»Es tut mir so leid, was geschehen ist. Das wird nicht mehr passieren.« Tervs Stimme war voller Reue.
Was? Er kam schlagartig aus seinem angenehmen Dämmerzustand. Das konnte ja wohl nicht sein Ernst sein! Er wollte niemals wieder auf ihn verzichten! Nur – David rutschte ein wenig auf seinem schmerzenden Hinterteil herum – Terv musste lernen, dass ihm Sex ohne Vorspiel, Zärtlichkeit und Gleitmittel auf Dauer kein Vergnügen bereitete. Bei aller Liebe nicht. Aber das würde er ihm beibringen.
Der Gedanke ließ ihn schmunzeln und er antwortete mit gespielter Empörtheit: »Oh doch! Wir werden es wieder machen. Nur musst du verstehen, dass es Regeln gibt. Man kann sich nicht einfach nehmen, was man will!«
Terv blickte ihn prüfend an. Dann lächelte er. »Ihr Menschen seid schwer zu begreifen. Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen. Du bist, wie soll ich das sagen …«, er zögerte, »… großherzig, außergewöhnlich, sensibel und dazu – sehr begehrenswert.«
David schoss die Röte ins Gesicht. »Ich finde mich ganz normal«, stotterte er. Komplimente waren ihm schrecklich unangenehm. Verstand Terv denn nicht, dass er ihn liebte? Nun musste er schnell das Thema wechseln, bevor er weitere Peinlichkeiten über sich und seinen Charakter zu hören bekam. Er zupfte einen Fussel von der Decke, spürte weiterhin Tervs Blick auf sich ruhen. »Erzähle mir lieber, wo du herkommst. Warum willst du dich ausgerechnet in Vancouver niederlassen?«
Terv nahm seine Hand und strich sacht nacheinander jeden seiner Finger. Ein Kribbeln lief seinen Arm hinauf, bis zur Schulter.
»Wir kommen von einer Welt namens Duonalia. Auf einer Weltraumpatrouille sind wir in eine Raumverzerrung geraten, wahrscheinlich eine Anomalie oder ein schwarzes Loch. Dadurch kamen wir vom Kurs ab und sind mit einem Raumschiff in Calgary gestrandet. Unser Führer hat kürzlich beschlossen, nach Vancouver umzuziehen.«
»Raumschiff?« David riss die Augen erstaunt auf.
»Ja.«
»Kann ich das mal sehen?« Ein echter Raumkreuzer! Selbstverständlich kannte er klingonische Warbirds, die Enterprise und die Defiant und sogar die Moya. Aber das war Sciencefiction. Obwohl – er hatte immer an Leben außerhalb der Erde geglaubt, hatte gedacht, dass Aliens die Welt zumindest beobachten. Natürlich wären sie nie in Erscheinung getreten, denn die Menschheit war viel zu gefährlich. Welcher Außerirdischer würde sich mit passionierten Selbstzerstörern beschäftigen wollen, die ihre Umgebung bis zum Ruin ausbeuteten? All das schoss ihm sofort durch den Kopf.
»Der Kreuzer wurde bei der Notlandung beschädigt und wir haben ihn danach zerstört. Einer meiner Freunde hat ihn in Atome zerteilt.«
Er hatte noch mehr Freunde? Oh je, hoffentlich kam da kein Konkurrent auf ihn zu!
»Ich kenne nur Solutosan und Aiden, Terv. Wer sind denn die anderen? Kommen sie alle nach Vancouver? Ist das Haus deshalb so ausgebaut worden?
Tervenarius nickte und streichelte ihm sanft die Wange. »Du brauchst nicht so besorgt schauen, David. Wir sind keine Menschenfresser. Wir wollen eigentlich nur in Ruhe untertauchen und hoffen auf eine Chance irgendwann zurückzufliegen. Unsere Kaste nennt sich Duocarns, bestehend aus fünf Kriegern und einem Navigator. Solutosan ist der Chef. Er hat Aiden in Calgary kennengelernt. Sie hat uns viel geholfen.«
»Ist sie ein Mensch?«, staunte er. »Fand sie es nicht außergewöhnlich echten Aliens zu begegnen?«
»Doch, natürlich. Sie hat sich jedoch Hals über Kopf in Solutosan verliebt.«
So wie ich mich in dich, dachte David und schloss einen Moment die Augen, denn Tervs streichelnde, weiche Hand glitt über seine Nase, berührte seine Lippen, das Kinn. Sie fuhr seinen Hals hinab, umfasste das Genick und zog ihn zu sich heran. Seine Küsse, sein Duft – David gab sich auf, versank in ihm. Jede weitere Minute unseres Zusammenseins, jeder zusätzliche Kuss bindet mich mehr an ihn, schoss es ihm durch den Kopf. Er war sich klar darüber, dass er eine riesige rosafarbene Brille trug. Aber es fühlte sich so gut an.
David kuschelte sich an seine nackte, weiße Schulter, die sich plötzlich noch weicher anfühlte. »Ich finde, dass du sehr menschenähnlich bist. Ich hätte nie gedacht, dass sich Außerirdische küssen.«
Terv lachte leise. »Das tun sie auch nicht. Das mit dem Küssen habe ich im Internet gesehen. Ihr habt da solche Filme ... . Es fasziniert mich, dass diese Art sich gegenseitig zu penetrieren derartig anregend ist.«
Himmel! Die Duocarns hatten ja Zugang zum Internet. Ja klar, sie würden im Netz unter anderem Pornos gefunden haben. Was mussten sie für einen Eindruck von der Menschheit haben! David fand das einen Moment lang ausgesprochen peinlich. Vielleicht war Terv gar nicht schwul, sondern machte einfach nur nach, was er dort gesehen hatte. David schluckte trocken.
»Ihr küsst nicht, aber es gibt doch bei euch bestimmt zwei Geschlechter, oder?«, fragte er vorsichtig.
Tervenarius nickte. »Ja, und wie du an mir siehst, ähneln wir den Humanoiden. Wir sind ebenfalls lebendgebärend und die Frauen säugen die Kinder.«
»Und ihr habt Sex wie wir?«, erkundigte sich David gespannt.
»Nein, meist bitten die Frauen den Mann ihrer Wahl um eine Samenspende für eine künstliche Befruchtung. Kopulationen laufen nach einem strengend Ritual.«
»Oh!« David senkte nachdenklich den Kopf. Das bekam er alles nicht richtig zusammen. »Es gibt also auf Duonalia keine Männer, die Männer lieben?«
Terv lachte. »Offiziell nicht. Aber du kannst dir vorstellen, dass bei dieser Art von steriler oder ritualisierter Sexualität eine homosexuelle Gemeinschaft existiert. Nur würde niemals jemand offen darüber sprechen.«
Heiße Angst schoss in Davids Venen. Terv war mit fünf anderen Männern auf einem Raumschiff gewesen. Vermutlich sehr lange. Es gab schwule Duonalier. Hatte er einen Partner?«
Tervenarius griff unter sein Kinn und hob sein Gesicht zu sich empor. »Was ist, David?«
»Ist noch ein weiterer Homosexueller bei den Duocarns?«, fragte er. Er senkte den Blick und nagte nervös an der Unterlippe.
Tervenarius lachte wieder. »David, du bist köstlich. Willst du mich für dich alleine?« Er ließ ihn los.
David nickte verlegen.
»Ja, ich glaube, dass sich Patallia, der Mediziner der Duocarns, ebenfalls nur für Männer interessiert. Aber, halt, bevor du dir deswegen Sorgen machst, ich käme nie auf die Idee, mit ihm etwas anzufangen. Wir sind nur Kameraden. Eigentlich sind alle Duocarns Einzelgänger. Patallia ist Sexualität gleichgültig. Er kennt nur seine Forschung.«
Uff, das war gut. Er lächelte zu Terv hoch. Das war alles wirklich gut.  Sein Lächeln wurde zu einem Strahlen. In diesem Moment blinzelte die Abendsonne einen letzten Schein durch die Wolken, bevor sie endgültig hinter dem Horizont versank. Sie erleuchtete Tervs Gesicht mit einem rosigen Schimmer, verwandelte das Gold seiner Augen in ein Orange.
Er hatte einen außerirdischen Freund. Einen wunderschönen Mann, der genau so war, wie er sich immer erträumt hatte. Terv musste garantiert noch eine Menge über die neue Welt lernen. Jetzt war er da und würde, ebenso wie Aiden, ihn und die Duocarns unterstützen – in allem. Den Gedanken an Tervs unkontrollierten Wutanfall verdrängte er.

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Impressum

Texte: Elicit Dreams
Bildmaterialien: Elicit Dreams
Tag der Veröffentlichung: 21.06.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Geschichte den 5 Kriegern der Duocarns, die bereits seit zwei Jahren mein Leben bereichern: Solutosan, Tervenarius, Meodern, Xanmeran und Patallia.

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