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Der alte Mann knapperte am Rotkrautsalat und saß in seinem Nostalgie-Sofa auf dem er des öfteren fern sah. Früher, als er noch jung, gut aussehend, beliebt und vital war, mischte er sich in die kleinsten Angelegenheiten der Menschen ein. Gerne saß er in den spärlichen Bäumen des Plattenbaus und beobachtete Frauen beim Umziehen, Dealer beim Verkaufen und die sogenannten Astloch-Raper. Manchmal erwischte man ihn auf einem der Bäume, wie er mit seiner, für NASA-Leute gewöhnlichen Ausrüstung, die Fenster nach nacktem Fleisch absuchte. Dann begründete er seine Taten mit "Ich arbeite beim BND, irgendwo hier lauert ein gefährlicher Moslem und wird uns früher oder später alle töten - es wäre besser für sie, wenn sie sich schnell einen Luftschutzbunker suchen". Und wenn sie dann fragten warum ein Luftschutzbunker so sicher wäre, die Moslems würden doch nicht mit Flugzeugen kommen, dann spuckte der Mann in die Weite und sah den Infragestellenden mit böser Miene an.
Ja! Mit seiner bösen Miene hatte er so manche nervige Person zum Schweigen gebracht.
Früher war alles besser. Da waren die Leute lebensfroher, kritischer und lustiger, denkt er. Was ist heute? Heute, ist alles Mist. Er spuckte fluchend auf sein Sofa. An jeder Ecke wird beschissen, erpresst und..und... . Es wird wohl das Beste sein, wenn ich mir die Kugel gebe. Wo bleibt denn das Leben? Alle Freunde sind tot, und die die noch leben sind entweder zu Mist mutiert oder habe ich selbst vergrault, denkt er. Früher, als er noch kreativ war, da hat er Bücher und Gedichte geschrieben, die Leute hatten sich nach einem Exemplar zerrissen, obwohl die alten Kritiker ihn immer verachtet hatten. Es war ein Fieber, ein positives Fieber, jeden Tag sprossen die Ideen aus seinen Händen, jeden Tag wurde das Ergebnis aufgesogen, wie ein praktischer Staubsauger.
Und heute? Er begutachtete seine Hände. Heute ist alles anders. Heute schreibt er keine Bücher mehr, er hatte sich zu weit aus dem Fenster gelehnt, mit seinen Gedanken und mit seiner Kritik. Irgendwann musste es soweit kommen, dachte er. Mit jungen Jahren kam er in die Großstadt, baute sich seinen Ruf als Nervling und Perversling auf, danach schaffte er den Sprung zum teilweise anspruchsvollen und niveauvollen Menschen. Jetzt ist er wieder am Anfang, einsam - verlassen.
Gründlich überlegt ist es das Beste Abschied zunehmen, Abschied nehmen von einer Welt voller Ideale, traurigen Gestalten, die in der Masse die GROßEN sind, Abschied nehmen von Freunden und Glaubensbrüdern, Abschied nehmen vom einzig großen Versager - ihn.
Und der alte Mann stand auf, bäumte sich das letzte Mal zur Decke hin und hielt sich die Pistole an den Kopf.

"Was ist das für ein Gestank?"
"Keine Ahnung, aber gesund riecht es nicht! Du gehst als erstes rein!"
Ein Schwall von Rotkraut, Nostalgie-Sofa und Blut kam ihnen entgegen.
"Naja er hat es verstanden sich zu verabschieden" Und erbrach sich im Vorgarten.

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Texte: Copyright 2008 Philipp R.
Tag der Veröffentlichung: 07.09.2008

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