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Kapitel 1: Seelenfresser


Seele



Bedeutung
1.Gesamtheit dessen, was das Fühlen, Empfinden,
Denken eines Menschen ausmacht; Psyche
2.substanz-, körperloser Teil des Menschen, der
nach religiösem Glauben unsterblich ist, nach
dem Tode weiterlebt
3.(emotional) Mensch
3.»die Seele einer Sache sein«
4.(Waffentechnik) das Innere des Laufs oder Rohrs
einer Feuerwaffe

Synonyme: Empfindungsleben, Gefühlsleben,
Gemüt, Herz, Innenwelt, Inneres, Psyche;
(gehoben) Brust, Seelenleben, Kern[stück],
Mitte, Nabel, Seele des Ganzen;
(gehoben) Herzstück; (bildungssprachlich) Fokus


Ail
Kalif brüllt und schlägt um sich. „Nein!“, schreit er. „Nein, nein, nein! Ihr werdet mir mein Herz nicht wegnehmen, ihr werdet es nicht wegnehmen!“ Ich verdrehe die Augen. So musste es ja kommen. „Kalif! Stell dich doch nicht so an!“, schimpfe ich. „Das haben wir doch alle schon hinter uns.“ Er tritt vor mein Schienenbein. „Du bist wie sie, du Monster!“ Mit einem seufzen schiebe ich ihn von mir. „Wir sind alle gleich. Natürlich bin ich wie sie.“ Bei Kalif haben wir einen großen Fehler gemacht. Anstatt – wie es üblich ist – sein Empodium bereits im Kindesalter zu entfernen, haben wir gewartet. Es erschien uns sinnvoll, ihn vorher noch zu unterrichten. Das Empodium ist die Seele eines Menschen, der Teil, der für die stärksten Emotionen verantwortlich ist. Weil starke Emotionen immer nur Probleme bereiten, haben bereits vor hunderten von Jahren die Ältesten eine Methode entwickelt, um diese zu unterbinden. Natürlich sind die Gefühle nicht gänzlich verschwunden, schließlich werden viele von ihnen auch durch Hormone gesteuert. Doch sie sind nicht mehr so intensiv, nicht mehr so aufregend. Ich habe längst vergessen, wie sich das Fühlen anfühlt. Bei Kalif haben wir zu lange gewartet, jetzt ist er vierzehn und kaum noch zu halten. „Kalif, jetzt komm schon.“ Er hat keine Chance sich zu wehren. Sie ziehen ihn zu den anderen Kindern auf den großen Marktplatz. Ich gehe jetzt nach Hause zurück, denn es sollten nicht mehr Leute anwesend sein, als nötig. Ich hörte seine Schreie noch lange, nachdem er außer Sichtweite war. Auf meinem Weg liefen mir einige meiner Nachbarn entgegen, sie trugen schwarze Kleidung und hatten Schlagstöcke bei sich. „Was ist los?“, wollte ich wissen. „Seelenfresser.“, rief einer von ihnen mir zu. Ich schaute in die Richtung in die sie liefen. Seelenfresser waren ganz normale Menschen, aber sie waren nie von ihrem Empodium befreit worden und sie lebten außerhalb der Dörfer. Niemand wusste was sie wollten, doch sie kamen immer wieder und drangen in unsere Dörfer ein. Nachdem einer von ihnen vor Jahrzehnten das isolierte Empodium eines der Dorfbewohner stahl, wurden unter den Kindern Geschichten laut, die von „Seelenfressern“ handelten, die in den Wäldern lebten. Der Dorfbewohner wurde krank und starb nach einiger Zeit, weil er so lange von seinem Empodium getrennt war. Die Geschichten der Seelenfresser glaubt heute keiner mehr, doch der Name hat sich gehalten. Schnell befolgte ich die Vorschriften und gingt in mein Haus, während draußen für Ordnung gesorgt wurde. Vorsichtig öffne ich den Tresor und betrachte den Inhalt. Dort sind drei Reagenzgläser befestigt. Sie glühen leicht und es sehen aus, als hätte man in ihnen kleine Flammen eingefangen. An der Rückwand des Tresors befindet sich noch eine weitere, leere Halterung. Darunter ist ein kleines Schild angebracht. „Kalif 633 789“. Die Nummer ist zusammengesetzt aus der Nummer unserer Famile „633“ und einer persönlichen Erkennungsnummer: „789“ Daneben steht mein Schild. „Ail 633 560“.
Plötzlich dringt Geschrei von der Straße zu mir. Ich gehe zur Tür, um zu sehen, ob jemand meine Hilfe braucht. Grade als ich die Tür öffne, springt ein Mädchen von unserem Vordach. Sie schaut sich um und als sie sieht, dass ich die Tür geöffnet habe, springt sie herein, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Sie lacht. „Ihr kriegt mich nie!“, brüllt sie und schlägt die Tür zu. Dann grinst sie mich an. „Hallooo!“ Ich runzle misstrauisch die Stirn. Seelenfresser habe ich mir irgendwie anders vorgestellt. Sie trägt zerfetzte Jeans und ein einfaches Top. Ihre dunklen Haare stehen in ungekämmten Wellen von ihrem Kopf ab. Und ich habe nicht erwartet, dass sie lächeln würden. „Ach ja, hab ich ja ganz vergessen: Ihr könnt euch nicht freuen. Schade!“ Sie springt um mich herum und nimmt mein Empodium aus dem Tresor. „Hey!“, rufe ich und will es ihr aus der Hand nehmen. Doch sie ist schneller. Vorsichtig wiegt sie es in ihren Händen. „Wie schön!“, sie lächelt. „Ich verstehe nicht, wie ihr auf die Idee kommt, wir würden die Dinger essen. Das ist doch krank!“ Sie kichert. „Gib es her!“ Sie schüttelt den Kopf. „Nein, will ich nicht. Ich will gerne noch ein bisschen mit dir spielen.“, sie zwinkert und lässt das Reagenzglas fallen. Plötzlich wird mir wahnsinnig schwindelig. Ich taumele und werde plötzlich von einem heftigen Beben der Erde auf den Boden geworfen. Als ich aufsehe, hält sie das Glas wieder fest in der Hand - direkt über dem Boden. „Gut gefangen, hm?“, lacht sie. „Was würdest du machen, wenn ich es mitnehme?“ Ich stöhne, als sie das Glas schüttelt. „Nein.“, jammere ich. Sie lächelt verschmitzt und kommt zu mir. Ich bin zu schwach um ihr das Glas aus den Händen zu nehmen. Dann sieht sie mir in die Augen. „Tja, jetzt stehle ich dir dein Herz, Süße.“ Damit verschwindet sie. Mir wird schwarz vor Augen.

Als ich aufwache, ist meine Mutter bei mir. Ich blicke in den geöffneten Tresor. Es ist verschwunden. „Du hättest besser aufpassen müssen.“, sagt sie. Ich nicke. Mein Kopf rebelliert gegen diese Bewegung. Es ist zu weit weg. „Wirst du es zurückholen?“, fragt sie. Ich nicke erneut. „Ich habe doch gar keine andere Wahl.“ Damit stehe ich auf und beginne ohne zu zögern, meine Sachen einzupacken. Der Abschied fiel kurz aus, sie würde mich nicht vermissen. Ich habe keine Angst, aber ich spüre, dass meine Kräfte nachlassen. Meine Knochen schmerzen und mein Rücken tut schon weh, als ich am Rande des Dorfes ankomme. „Oh, Ail. Ich nehme an, du willst in die Berge?“ Ich sehe auf. Mikael hat heute Wachdienst. Da die Antwort offensichtlich ist, gehe ich nicht auf die Frage ein. „Wie ist das Mädchen bitte entkommen?“, will ich wissen. Ich verstehe wirklich nicht wie sie das gemacht hat. „Sie ist über die Dächer gesprungen und an der Mauer hochgeklettert wie eine Spinne!“ Die Mauer umschließt das komplette Dorf. Sie ist eigentlich komplett glatt, so, dass man tatsächlich eine Spinne sein müsste, um an ihr hochzuklettern. „Wie das wohl geht?“ Ich sehe ihn an. „Das heißt nicht, dass ich auch rüberklettern will! Mach bitte auf.“ Wortlos öffnet es das Tor. „Viel Glück, Ail!“ Ich drehe mich nicht um und bedanke mich nicht, denn ich weiß, dass es ihn nicht kümmert, ob ich es schaffe. Müde und von den Schmerzen gelähmt trotte ich durch die Wiesen. Nach wenigen Metern muss ich schon erschöpft stehenbleiben. Vor mir erstreckt sich ein riesiger Wald und dahinter dicht bewachsene Berge. Irgendwo dort müssen sie sein. „Hey, Ail!“ Ich drehe mich um. Kalif kommt auf mich zugerannt. Er fällt mir um den Hals. „Geh nicht weg!“ Seine Emotionen sind noch da, aber nur für die nächsten paar Tage. Bald sind sie nur noch blasse Erinnerungen. „Lass mich los, Kalif. Ich muss wieter.“ Er sieht mich an. „Ich weiß, dass ich dir nicht egal bin!“, sagt er fest. „Du hast mich lieb, genauso wie ich dich!“ Ich seufze. „Kalif, geh zurück.“ Er hat Tränen in den Augen. „Bis bald, Ail.“ Damit läuft er zum Tor zurück und ist schnell hinter der Mauer verschwunden. Ich gehe weiter, immer die Berge im Blick. Die Sonne brennt auf mich nieder und macht mir meinen Weg noch schwerer. Ich kann es kaum erwarten, den kühlen Schatten der Bäume zu erreichen, doch je weiter ich komme desto größer werden meine Schmerzen. Vor mir kommen die Bäume immer näher. Wie eine riesige Mauer erheben sie sich meterhoch in den Himmel. Es sind nur noch wenige Schritte, die mich vom Schatten trennen. Noch fünf Schritte. Noch zwei. Ein schreckliches Brennen schießt durch meinen Knöchel. Plötzlich rast der Boden auf mich zu und ich schlage auf ihn auf, bevor ich die Hände zum Schutz heben kann. Es fühlt sich an, als würde es in meinem Kopf blitzen – der Schmerz ist heiß, reißend und kurz. Dann bin ich weg, zum zweiten mal heute. Das letzte, woran ich denke, ist der kühle Schatten – zwei Schritte von mir entfernt.

Die Erde wackelt, in einem stetigen, unangenehmen Rhythmus und jedes mal ist es, als würde mein Kopf erneut auf die Erde aufschlagen.

Es ist angenehm kühl. Ich höre Vögel zwitschern, lachende Kinder und Stimmengewirr. Vorsichtig öffne ich meine Augen. Um mich ist es gleißend hell und das licht scheint sich durch meine Augen in meinen Kopf zu brennen. Stöhnend mache ich sie wieder zu. „Hey, bist du wach?“

Kalif
„Scheiße!“, brülle ich und trete heftig gegen einen Stuhl. Wütend stapfe ich umher. Wolke ist doch unglaublich! Sie war schon immer risikofreudig und hat auch schon immer Dummheiten gemacht, aber das geht eindeutig zu weit. Ausgerechnet das Emodium meiner Schwester! Jetzt ist Ail auf dem Weg in die Berge, zu den Seelenfressern. Das heißt also zu Wolke und ihrer Familie. Was wenn sie herausfindet, dass wir uns kennen und dass ich vorhabe... Ich blicke auf das Reagenzglas mit meinem Emodium. Mir bleiben nur noch wenige Tage bis ich meine Gefühle verliere. Aber ich werde Wolke nicht vergessen können, da bin ich mir sicher. Sie hat mir versprochen, dass sie mir meine Seele wiedergeben wird. Wir können das Emodium nur isolieren, aber nicht wieder mit dem Körper verbinden. Das können nur die Seelenfresser. Ich seufze. „Was hast du nur vor, Wolke?“
„Kalif?“
Ertappt drehe ich mich um. Mutter steht in der Tür und mustert mich misstrauisch. „Kalif, was ist los?“ Wütend schnaubend zeige ich auf den Tresor. „Du fragst mich, was los ist?“, zische ich. „Ihr seid alle gefühllose Puppen in diesem fürchterlichen Dorf! Ail ist weg und sie wird sterben, wenn sie die Seelenfresser nicht rechtzeitig findet !“ Sie reagiert kaum. Ihre Augen wandern über das Chaos, das ich verursacht habe. „Du solltest anfangen, vernünftig zu werden. Fang am besten damit an, dass du aufräumst.“ Angeekelt verziehe ich mein Gesicht. Es ist ihr also egal. „Gut.“, fauche ich. „Ich gehe noch einkaufen. Wenn ich wiederkomme, sollte es ordentlich sein.“ Damit macht sie kehrt und verschwindet genauso still wie sie gekommen ist. Doch ich mache mich nicht daran, das von mir verursachte Chaos zu beseitigen. Stattdessen packe ich meine Sachen. Ich nehme mein Reagenzglas mit dem Empodium und gehe in mein Zimmer. Dort suche ich unter meinem Bett, bis ich eine kleine Holzkiste mit uraltem Schloss finde. Ich seufze. Zusammen mit Wolke habe ich kleine Schätze angehäuft, die mir noch nützlich sein werden. Wir haben vieles in alten, zerstörten Dörfern gefunden, als ich mich noch leichter aus dem Dorf schleichen konnte. Leider halten die Bewohner hier sehr wenig Erinnerungen an alte Zeiten, weswegen ich sie in dieser Kiste verstecken musste. Als ich letztere öffne, kommt mir ein vertrauter Geruch von Papier entgegen. Vorsichtig nehme ich die alten Bücher aus der Kiste und greife darunter. Blind wühle ich in altem Schmuck herum, bis ich finde, was ich suche. An einem langen Lederband hängt eine kleine Glaskugel, umschlungen von verfärbten, ehemals silbernen Ornamenten. Meine Finger haben schnell denn vertrauten Mechanismus geöffnet, sodass die Kugel aufschnappt. Dann ziehe ich vorsichtig den Stopfen aus dem Reagenzglas und drücke schnell den Daumen auf die Öffnung. Doch die kleine grün-blaue Flamme ist heißer als ich dachte. Mit einem leisen Fluchen lasse ich das Glas instinktiv fallen. „Verdammt!“, rufe ich, doch zum Glück fällt es, ohne zu zerbrechen, zwischen die Seiten des Buches. Leider ist jetzt die Öffnung nach oben gedreht, sodass das Empodium wabernd aufsteigt und heraus schwebt. Fasziniert beobachte ich, wie das kleine Flämmchen zuckend und bebend hin und her gleitet wie ein Geist. Dann besinne ich mich, fange es mit einer Art Metall-Handschuh ein und stecke es schließlich in den Anhänger. „Hab ich dich!“, seufze ich erleichtert und hänge die Kette um meinen Hals. Sofort fühle ich mich besser, nicht mehr ganz so als würde ein Stück von mir fehlen.
Schließlich stopfe ich einige meiner Klamotten in eine Tasche und kippe den Inhalt der Kiste dazu. Ich sehe zum Fenster heraus und betrachte den Himmel. Hoffentlich bleibt mir noch genug Zeit, bevor es dunkel wird.
Aber ich werde nicht länger auf Wolke warten, also muss ich mich allein auf den Weg machen. Sie wird mich schon finden.
Schnell laufe ich aus dem Haus und durch die engen Gassen zu meinem Ausgang. Die Kette baumelt, springt und hüpft um meinen Hals. Ich ziehe sie Fester und stecke sie unter mein Shirt, denn das auf und ab löst Schwindel bei mir aus. Als ich schließlich die Mauer erreiche, schwanke ich sogar ein bisschen. Doch ich habe keine Zeit und blicke mich nur kurz um, bevor ich entdecke, wonach ich suche. Links von mir befinden sich einige eingeschlagene Kellerfenster. Man muss sehr vorsichtig sein, um sich nicht zu schneiden, doch es ist der einzige Weg. Also zwänge ich mich durch das Fenster und springe in die Dunkelheit. Als ich aufkomme, höre ich wie raschelnd die Ratten davon laufen. Vorsichtig taste ich mich an der Wand entlang, bis ich ans nächste Fenster komme, unter dem ich vorbereitend einen Stuhl platziert habe. Als ich aufsehe kann ich durch das Fenster bereits die Felder auf der anderen Seite der Mauer sehen. Mit wenigen geübten Handgriffen habe ich das Gitter aus der Verankerung genommen und kann ungehindert auf die andere Seite der Mauer klettern. Ich nehme diesen Weg schon seit Jahren und frage mich jedes mal, welchen Sinn diese Konstruktion hat, aber eigentlich bin ich nur froh, dass sich der Architekt hier wohl ein wenig verschätzt zu haben scheint. Als ich schließlich das Gitter wieder eingehakt habe, laufe ich, so schnell mich meine Beine tragen, in den Wald. Als ich im schützenden Schatten der Bäume bin, verlangsame ich meinen Schritt und blicke zum ersten mal zurück. Mein Dorf liegt weiß, wie eine Festung, zwischen den grünen Feldern und Wiesen. Ein lautes Knacken lässt mich herum schnellen, doch ich sehe nichts. Vermutlich war es nur ein Vogel. Also ging ich weiter, immer wieder erschreckt von Geräuschen des Waldes. Ich habe das Gefühl, überempfindlich geworden zu sein. Der Weg ist so vertraut, dass ich ihn blind gehen könnte, ohne zu fallen. Ungewöhnliches fällt mir deshalb sicher stärker auf. Doch als ich an einen meiner Lieblingsplätze komme, auf eine wundervolle, moosige Waldlichtung, bleibe ich schließlich doch stehen. War das grade etwa Kichern? Ich schaue mich um, dann ziehen sich meine Augenbrauen wütend zusammen. „Lass das!“, rufe ich verärgert. Es bleibt still. Genervt verdrehe ich die Augen und setze mich auf einen der abgebrochenen Baumstämme. „Na, jetzt komm schon raus!“ Ein weiteres leises Lachen ertönt. „Meinst du mich?“, höre ich eine vertraute Stimme fragen. „Ja, wen denn sonst ?“, grummle ich. Dann betrachte ich mit forschendem Blick die Baumkronen, bis ich sie schließlich entdecke. Wolke kauert in gekrümmter Haltung auf einem der dicken Äste. Ihr spöttisches Grinsen scheint ihr ins Gesicht tätowiert. „Na, du hast mich ja schnell entdeckt!“, lacht sie. Mit einem katzenartigen Sprung landet sie federleicht auf der Waldlichtung. „Also, exanime stultus,“, sie hüpft um mich herum, „sieht aus als gehörst du jetzt zu denen.“ Ihre Worte verletzen mich. Exanime stultus ist Latein, eine sehr lange überlieferte Sprache der Seelenfresser, und bezeichnet mein Volk. Es heißt so viel wie „seelenloser Narr“. Ich will nicht, dass sie merkt, wie sehr ihre Worte mich traeffen und sehe beschämt zu Boden. Denn sie hat Recht: vielleicht werde ich bald genau das sein – ein seelenloser Narr. Natürlich merkt sie es trotzdem. „Hey, Kalif?“, sie geht auf mich zu. „Ach, du weißt doch, dass ich das nicht so meine.“ Sie hebt mein Kinn und sieht mich an, die Unterlippe traurig vorgeschoben. Mit großen Kulleraugen mustert sie mich. „Bitte sei nicht sauer.“ Bei diesem Blick kann ich wirklich nicht lange sauer sein und schließe sie in meine Arme. Dabei fällt der Anhänger meiner Kette aus meinem Oberteil. Als ich Wolke loslasse, weiten sich ihre Augen noch mehr. Ihr Blick wandert sehnsüchtig zu meinem Empodium und ihre Finger verkrampfen sich. „Oh.“, haucht sie nur. Ich erkenne, mit wie viel Selbstbeherrschung sie sich schließlich zwingen muss wegzusehen. Schnell lasse ich es wieder unter meinem Shirt verschwinden. Doch Wolkes spöttisches Lachen ist verschwunden. Sie starrt auf die leuchtende Erhebung unter dem Stoff. Langsam streckt sie ihre Hand aus, aber ich halte sie fest. „Wolke!“ Sie wehrt sich gegen meinen Griff. „Wolke!“ Sie sieht mich an. Einen Moment haben ihre Augen noch einen seltsam leeren Ausdruck, dann fängt sie sich wieder. So schnell wie es verschwunden war, so schnell ist ihr Grinsen auch wieder zurück. Also folge ich ihrer hüpfenden, federleichten Gestalt durch den Wald. Sie ist so schnell, dass ich sie zwischendurch fast verliere. Nach einer Weil geht es nur noch bergauf, was mir wesentlich mehr ausmacht als Wolke, die immer noch in stetigem Tempo durch den Wald rast. „Hey!“, rufe ich erschöpft. „Jetzt warte doch!“ Als sie stehenbleibt hole ich sie schnell ein. „Sag mal, du bist mir eigentlich noch eine Erklärung schuldig.“, werfe ich ihr vor.
„Tatsächlich?“
„Tja, denk mal scharf nach, Fresserchen.“
Sie kichert.
„Ich komm einfach nicht drauf, was du meinst!“
„Wolke! Kannst du nicht einmal ernst sein?“
Sie seufzt.
„Jaja, ich weiß, die Sache mit deiner Schwester...“
„Genau! Ich meine, was hast du dir dabei gedacht? Ausgerechnet Ail?“
„Es war so schön...“ Sie sieht zu Boden.
„Achso und da dachtest du: 'Hey, bring ich doch einfach mal Kalifs Schwester um, das wird ein Spaß!'.“ Sie funkelt mich an.
„Ja, eigentlich wollte ich sie umbringen, hast Recht!“ Damit dreht sie sich um und stapft weiter, jetzt weniger federleicht. Ich packe sie am Arm und drehe sie so, dass sie mich ansehen muss. „Hey! Du hast absolut kein Recht sauer auf mich zu sein!“, schimpfe ich. „DU hast meiner Schwester das Empodium gestohlen – nicht ich!“ Doch sie reißt sich nur los und so gehen wir den Rest des Weges eisig schweigend.

Kapitel 2: Verwirrung


Verwirrung

Beispiele:
- es herrschte allgemeine, große Verwirrung (großes Durcheinander, große Aufregung)
- ein Zustand geistiger Verwirrung (Verstörtheit)
- jemanden in Verwirrung bringen (verstören, unsicher machen)
- in Verwirrung geraten (verwirrt werden)

Synonyme:
Aufregung

, Chaos, Gewirr, Konfusion, Planlosigkeit, Tohuwabohu, Tumult, Unordnung, Unruhe

, Wirbel, Wirrwarr; (gehoben) Wirrnis, Wirrsal; (umgangssprachlich) Kuddelmuddel,
Bestürzung, Fassungslosigkeit, Kopflosigkeit, Ratlosigkeit, Sprachlosigkeit

, Verblüffung, Verstörtheit, Verwirrtheit; (bildungssprachlich) Konsternation


Ail
„Hey, bist du wach?“ Ich blinzle. „Ja.“, hauche ich. „Wie geht’s dir?“ Ich gehe nicht darauf ein. „Wer bist du“, will ich wissen, denn ich kenne die Stimme nicht. Soweit ich es bei der Helligkeit erkennen kann, beugt sich eine junge Frau über mich. Sie hat die gleichen wilden Haare wie das Mädchen, das mein Empodium gestohlen hat.
„Ich bin Aya.“, meint sie sanft. Langsam gewöhnen sich meine Augen an das Licht und mein Bild wird scharf. Ich zucke Automatisch zurück. Über die makellose Haut der Frau ziehen sich feine Linien und Ornamente, immer von der Mitte des Gesichts nach außen. Doch was mich eigentlich erschreckt, sind ihre Augen. Ihre Iris funkelt und wirft das Licht in allen Farben des Regenbogens zurück, fast wie ein Diamant. Sie lächelt freundlich. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“ Ich nehme die Hände an den Kopf. „Wo bin ich?“,frage ich verwirrt. Ihr Blick wird niedergeschlagen und sie wirkt irgendwie beschämt. „Ähm, du erinnerst dich sicher an Wolke...“ Ich blicke fragend an. „Das Mädchen, das dein Empodium gestohlen hat.“ Ich nicke vorsichtig. „Naja, sie lebt hier und wir haben dich im Wald gefunden. Ich nehme an, du warst auf der Suche nach ihr?“
„Ja ich suche nach ihr! Wo. Ist. Es. ?!“ Zaghaft deutet sie hinter mich. Auf einem kleinen, hölzernen Regal steht ein Glas, in dem ein kleines, blaues Flämmchen zart leuchtet. Ich will schon danach greifen, doch die Frau hält mich zurück. „Das ist gewöhnliches Glas – du wirst dich fürchterlich verbrennen!“
„Was ist mit dem Reagenzglas passiert?“
„Wolke hat es zerschlagen...“
„Was? Wieso das denn? Hey und wie soll ich das jetzt wieder mitnehmen?“
Sie zuckt mit den Schultern, was vermutlich die Antwort auf all meine Fragen sein soll. Dann steht sie auf. „Ich denke nicht, dass du bald wieder zurückgehen kannst. Du solltest dich erstmal auskurieren!“ Zaghaft drängt sich die Erinnerung an meinen Sturz in meinen Kopf. „Was genau habe ich denn?“ Vorsichtig will ich mich aufsetzen, doch mein Kopf fühlt sich tonnenschwer an und plötzlich tanzen schwarze Punkte vor meinen Augen. Im gleichen Moment stürmt ein kleiner Junge herein „MamaMamaMamaMama! Komm, ich will dir was zeigen! Komm schon!“ Er zerrt an ihrem Arm. Ein Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht. Dann wendet sie sich wieder an mich. „Ich werde nicht bei dir bleiben können, aber ich werde später wiederkommen und nach dir sehen. Wasser ist da in der Schale und Essen bringe ich dir später. Gute Besserung!“ Ohne dass ich etwas erwidern kann, geht sie raus. Leider weiß ich jetzt immer noch nicht, was genau ich habe. Mein Kopf brummt zwar gewaltig, aber ansonsten scheine ich nicht verletzt zu sein...

Kalif
Ich höre schon die Rufe der Kinder und lautes Lachen, was mir Wolkes Dorf ankündigt, als ich erneut stehenbleibe. „Wolke?“ Als sie nicht reagiert, halte ich sie am Arm auf. „Wolke, es tut mir leid. Ich weiß, dass du nichts böses wolltest. Aber du weißt, dass Ail mir sehr wichtig ist. Ich mache mir eben Sorgen um sie...“ Natürlich weiß ich, dass ich mich nicht entschuldigen muss. Ich habe ja nichts verwerfliches gemacht, aber ich kann einfach nicht sauer auf Wolke sein. Und ich ertrage es auch nicht, wenn sie sauer auf mich ist. Sofort bemerke ich, wie das schelmische Funkeln in ihre kristallbunten Augen zurückkehrt. „Okay, ich verzeihe dir!“, lacht sie fröhlich. „Und vielleicht tuts mir auch ein bisschen leid...“ In ihren Augen sehe ich kein bisschen Reue, aber ich weiß, dass sie wirklich nichts Böses im Sinn hatte. Also kann ich nicht anders als sie versöhnlich zu umarmen. Doch sie ist viel zu aufgedreht, um lange so zu stehen, deswegen löst sie sich aus meinen Armen und hüpft weiter. Wo nimmt sie bloß diese Energie her? Traurig sehe ich ihr nach. Ich hätte sie gerne noch ein wenig länger im Arm gehalten.
Mit einem Kopfschütteln verbanne ich den Gedanken aus meinem Kopf und folge ihr in das Dorf. Hier werde ich sofort herzlich begrüßt. Noel, Wolkes Neffe stürmt freudig auf mich zu. „Wann können wir wieder verstecken spielen?“, fragt er sofort. Seine Augen leuchten aufgeregt. Ich muss unwillkürlich lachen. Ich liebe es, hier zu sein.„Später.“, sage ich nur und Noel, der anscheinend total aufgekratzt ist, rennt sofort weiter und stürzt sich auf Wolke. Ich betrachte das Dorf. Es ist beschaulich – nur eine Waldlichtung, an dessen Rand sich Häuser drängen und ducken wie verängstigte Kinder. Doch in der Mitte der Lichtung ist es alles andere als eng: Auf einer großen Wiese ist alles untergebracht, was sich bei uns in den Häusern befindet. Baumstämme und Holzblöcke zum Sitzen, Feuerstellen zum Kochen und inmitten von alldem ein großer Brunnen. Das wirkt auf den ersten Blick zwar alles sehr mittelalterlich, doch es ist tausendmal besser als zuhause.
Da bemerke ich, dass Cloe mir zuwinkt und mir anscheinend klarmachen will, dass ich zu ihr kommen soll. Man erkennt sofort, dass sie Wolkes Schwester ist. Ihre Haare stehen in den gleichen unbändigen Locken ab und ihre Augen blitzen selbst aus der Ferne in dem gleichen verschmitzten Ausdruck, wenn sie auch nicht mehr ganz so kindlich waren. Als ich bei ihr ankomme, umarmt sie mich freudig zur Begrüßung. „Ich bin froh dich zu sehen! Ail ist hier... ich glaube sie ist wütend, wegen dem Empodium...“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Ail ist ganz sicher nicht wütend, Cloe. Sie kann doch gar nicht wütend sein!“ Sie sah mich traurig an. „Ach ja, hab ich ganz vergessen.“ Tröstend lege ich meine Hand auf ihre Schulter. Ich weiß, was sie davon hält, jemandem die Seele zu nehmen. Für die Seelenfresser ist die Seele das wichtigste was ein Mensch besitzt, ohne sie bist du niemand. Sie können sich nichts schlimmeres vorstellen, als ihre Seele zu verlieren. Sie seufzt. „Sie will so schnell wie möglich wieder zurück.“ Ich nicke. „Es ist eben so, Cloe. Sie fühlt nicht. Sie wird auch nie daran zweifeln und nichts bedauern. Das braucht dir nicht leidtun.“ Sie sah immer noch traurig aus. „Ich weiß, ich weiß. Aber das ist doch trotzdem schrecklich. Apropos!“ Sie legt ihre Hand auf den Kettenanhänger, der unter meinem Oberteil glüht wie ein gefangener Stern. „Wie lange ist es her?“, fragt sie leise. „Ein paar Stunden erst.“

Impressum

Texte: Alles meins :)
Bildmaterialien: inoc "Sakura Blossoms 2", D. Sharon Pruitt "here name is rio" - > www.piqs.de Some rights reserved: http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2012

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