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EINS

Stöhnend rieb er sich den schmerzenden Kopf. Was zum Geier war eben passiert?
Ächzend richtete er sich auf, wobei ein stechender Schmerz seinen Körper durchzuckte. Vorsichtig sah er an sich hinab und erkannte, dass ihn ein riesiger Schnitt quer über den Bauch zierte. Er schien nicht sonderlich tief zu sein – zumindest hoffte er das –, doch er brannte wie die Hölle. Sein Hemd hing nur noch in Fetzen an seinem Körper. Sein rechtes Hosenbein war als solches nicht mehr  zu erkennen und auch das Aussehen des Linken ließ stark zu wünschen ürbig. Seine beiden Arme, ebenso wie die Beine, waren von Kratzern und Schnitten übersäht. Und am linken Fuß trug er keinen Schuh mehr.
Verdutzt sah er sich um. Ein Schuh konnte doch nicht einfach so verschwinden! Irgendwo würde er ja wohl zu finden sein. Doch in seiner näheren Umgebung sah er nichts blaues aus dem Gras leuchten. Wie weit konnte er barfuß gelaufen sein?
Nachdenklich hielt er inne. Woher war er gekommen? In dieser Richtung müsste auch sein Schuh zu finden sein. Vielleicht würde sich dann auch klären, woher seine Verletzungen stammten.
So sehr er jedoch auch versuchte sich zu erinnern, es gelang ihm nicht. Nur schemenhaft zeichneten sich Gestalten vor seinem Inneren Auge ab. Das Gefühl zu fallen ergriff ihn. Keuchend packte er ein paar Büschel Gras links und rechts von sich, die er fest umklammerte, bis das Gefühl wieder nachließ.
Okay, sprach er sich selbst zu. Fangen wir von vorne an. Er atmete tief durch. Wo befindest du dich? Kurz runzelte er die Stirn. Okay...also ganz von vorne. Wie heißt du? Doch selbst bei dieser Frage musste er stutzen, konnte er sie doch nicht beantworten.
Langsam begann leichte Panik in ihm aufzusteigen. Hektisch sah er sich nach allen Richtungen um. War es möglich, dass man ihn beobachtete, oder bildete er sich das nur ein? War er Teil irgendeines kranken Experiments, bei dem ihm die Erinnerungen gelöscht wurden?
Er zwang sich, ruhig zu atmen. Denk logisch!, wies er sich an. Woher können deine Verletzungen kommen? Wie viele mögliche Richtungen gibt es, aus denen du hast kommen können?
Wieder stieg das Gefühl des Fallens in ihm auf, doch dieses Mal war es nicht schwindelerregend, bereitete ihm keine Furcht. Vielmehr schien es diesmal als tatsächliche Erinnerung in seine Gedanken wiederzukehren.
Sein Blick schweifte nach oben. Ganz langsam, am Stamm der Tanne entlang hinauf, vor der er lag.
Dort oben hing tatsächlich sein zweiter Schuh. Wieso war er auf einer Tanne gewesen? Eine andere Erklärung gab es schließlich nicht für den Schuh, der dort an einem Ast hing, oder für das Gefühl des Fallens.
Vorsichtig stand er auf. Bei genauerer Betrachtung des Stammes der Tanne fiel ihm auf, wie dicht bewachsen er war. Dort hinauf zu klettern würde sicher eine recht schmerzhafte Angelegenheit werden.
Während er sich umsah, auf der Suche nach irgendetwas, um das Unterfangen etwas angenehmer zu gestalten, landete plötzlich etwas neben ihm im Gras.
Überrascht sah er nach unten. Dort lag sein Schuh.
Alamiert sah er auf und blickte direkt in den Lauf einer 9 mm.
„Wer bist du?“
Langsam ließ er seinen Blick über den Arm, der die Waffe auf ihn gerichtet hielt, gleiten und landete bei einer hübschen, jungen Frau. Sie hatte glattes, schwarzes Haar, das sie zurückgebunden hatte, trug ein enges schwarzes Top und eine weite, khakifarbene Hose.
„Ich schwör dir, ich erschieß dich, wenn du mir nicht anwortest!“, zischte sie.
„Ich – ähm – ich weiß es nicht“, gab er zu.
„Ich glaub dir kein Wort. Deinen Namen!“
„Ehrlich, ich weiß ihn nicht!“ Er sah ihr in die Augen, versuchte dabei so ehrlich wie möglich auszusehen.
„Wo kommst du her?“, fragte sie weiter.
Er zuckte nur die Schultern. „Ich kann mich nur daran erinnern, von der Tanne gefallen zu sein. Und nichtmal daran so richtig“, berichtete er wahrheitsgemäß.
Sie starrte ihn ungläubig an. „Ich frage dich ein letztes Mal: Wie heißt du?“
„Ich weiß es nicht!“ Dieses Mal schrie er es fast; als er das Klicken der 9 mm hörte, als sie sie entsicherte, zuckte er leicht zusammen.
„Ich hab dich gewarnt!“, zischte sie.
„Sara! Stop!“ Plötzlich sprang eine Blondine hinter der Tanne hervor. Sie war gekleidet wie die Dunkle, doch sie trug keine Waffe.
„Wenn er nun die Wahrheit sagt?“, gab die Blonde zu bedenken.
„Was, wenn nicht?“, stellte Sara die Gegenfrage.
Sein Blick fiel auf ihren Hosenbund, in dem eine weitere 9 mm steckte.
„Wie können es uns nicht leisten, ihm einfach zu vertrauen! Das weißt du! Stell dir vor, er hätte etwas mit der Sache zu tun und wir würden ihn laufen lassen!“, wies Sara die Blonde zurecht.
„Verzeihung, wenn ich mich einmische“, meinte er plötzlich.
Zwei Augenpaare wandte sich zu ihm. Eines blickte ihn kalt an, das andere mit leichtem Misstrauen.
„Abgesehen davon, dass ich keine Ahnung habe, wovon ihr sprecht,“ – er machte eine kleine Pause, damit sie seine Worte verstanden – „drängt sich mir die Frage auf, weshalb ich als Bedrohung angesehen werde, wenn du doch diejenige bist, die mit zwei Waffen rumläuft!“
Ein kühles Lächeln breitete sich auf Saras Gesicht aus. „Ganz einfach“, erklärte sie. „Das hier“ – sie wies auf die Waffe in ihrem Hosenbund – „ist deine!“

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Tag der Veröffentlichung: 15.12.2013

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