Sie war 19, als ihr damaliger Freund sie schlug und sie mit einem Messer angriff. Sie hat es bis heute nicht richtig überwunden. Es gibt Zeiten in denen merkt man ihr nichts an und dann wiederum, kann sie dem Drang nicht wiederstehen sich selbst zu verletzen. Zu tief sitzt der Schmerz über Vergangenes.
Svenja, so heißt sie, ist mittlerweile 24. Arbeitet als Auszubildende, (sie hatte ihre erste Lehre durch einen Blackout in den Sand gesetzt) in einer großen Pflegefirma und hatte dadurch wenig Freizeit. Von Männern oder Beziehungen im Allgemeinen machte sie seit damals eher einen Bogen, denn Vertrauen und Liebe, naja das war sehr schwer.
Doch dann kam die Zeit und auch der Mann der ihr zeigen sollte, dass es auch anders geht. Sie lernte ihn kennen und lieben. Ein Gefühl von Geborgenheit überkam sie. Svenja fühlte sich wieder wohl und wollte erneut die ganze Welt umarmen. Nach ein bisschen mehr als einem halben Jahr, machte er ihr einen Heiratsantrag. Im Taumel der Geborgenheit nahm sie an. Doch am Tag der Hochzeit kamen ihr Zweifel. Sie fragte ihre Mutter ob sie das auch alles richtig machte, aber eh diese antworten konnte gab sie sich die Antwort schon selbst. Sie wischte alle Zweifel weg und machte sich mit der Verwandtschaft auf zum Standesamt. Die Hochzeit war ein schönes Fest und alle feierten bis in die frühen Morgenstunden, auch Svenja hatte alle Zweifel beiseite gewischt und gab sich ganz dem Fest hin.
Die Ausbildung die sie machte, nahm sehr viel Zeit in Anspruch, immer im Wechsel, Schule , dann wieder arbeiten. Die Prüfungen standen auch schon nahe vor der Tür und Svenja überkam wieder leichte Panik. Noch eine Ausbildung durfte sie nicht durch einen Blackout in den Sand setzen. Sie lernte sehr viel, aber die angeheiratete Familie machte es ihr auch nicht leicht sich voll und ganz auf ihr lernen zu konzentrieren.
Naja die Familie seinerseits war sehr miteinander verbunden, zumindest dachte Svenja das zu dieser Zeit noch. Jeden Nachmittag nach der Arbeit war „gemütliches“ Kaffeetrinken angesagt. Egal was an diesem Tag noch anlag oder auch am nächsten. Zu Beginn der Ehe fand Svenja die Aufmerksamkeit noch angenehm, nur mit der Zeit wandelte sie diese Aufmerksamkeit in regelrechtes drängeln, um eine Familie zu gründen. Es fielen Sätze wie „Na ihr seid doch nun schon eine Weile verheiratet, wann schenkt ihr uns denn einen Enkel?“ oder „Na meint ihr zwei nicht das es langsam mal an der Zeit ist, an Familienplanung zu denken?“. Langsam fielen Svenja diese Nachmittage gewaltig auf die Nerven. Sie zog sich weiter und weiter zurück. Spaß hatte sie zu Hause nicht mehr. Sie vergrub sich immer weiter in die Arbeit.
Eines Tages kam ihr Mann, seine Name war Chris, nach Hause und eröffnete Svenja er habe einen neuen Job gefunden. Es wäre eine Arbeit auf Montage und er wäre die Woche über nicht zu Hause. Svenja schwankte zwischen Freude und Trauer hin und her. Auf der einen Seite würde sie ihn Sicher vermissen, auf der anderen Seite hätten sie diese Familienkaffeetrinken somit auch erledigt und sie könnte endlich mal wieder tun und lassen was die wollte. Zumindest nahm sie das zu dieser Zeit noch an.
Die Zeit kam und Chris hatte den neuen Job angenommen und verabschiedete sich am Sonntag für den Rest der Woche.
Svenja genoss die Ruhe als er fort war. Sie nahm sich ein Buch und konnte das erste Mal seit über einem Jahr in Ruhe etwas lesen. Sie gewöhnte sich schnell ans Alleinsein und unternahm viel mit Freunden. Jeden Abend rief er an,fragte wie es ihr ginge und was sie so macht. Langsam nervte es.
Jeden Tag Kontrollanrufe.
Vier Wochen vergingen. Es war Freitag, der Tag an dem er immer heimkam. Als er die Tür aufschloss sah Svenja ihm schon an das etwas nicht stimmte. Er erzählte ihr, er habe gekündigt. Er käme damit nicht klar, wenn er nicht weiß was sie hier zuhause immer treibt. Svenja war wie vor den Kopf geschlagen. Sie treibt? Die Stimmung war am Boden und jeder ging seiner Wege. Die nächsten Monate waren wie die davor. Sie lebten miteinander, aneinander vorbei.
Svenja bestand ihre Prüfung und machte sich daran eine Arbeitsstelle zu finden, denn ihr Ausbildungsbetrieb hatte sie nicht übernehmen können. Der erste Gedanke war, bloß keine Arbeitsstelle in der Stadt wo sie wohne. Also bewarb sie sich ca. 40 km außerhalb ihrer Stadt und bekam auch prompt eine Anstellung. Alles war gut. Dachte sie.
Das Leben wurde für sie besser, denn sie ließ sich nichts mehr gefallen, brach aus dem Trott aus. Sie ging mit nach der Arbeit mit Freunden feiern und machte nur noch das was ihr gefiel. Ihrem Mann schien es ja nicht zu stören. Er sagte nichts und machte auch nie die Anzeichen das es ihm missfiel. Zusammen machten sie gar nichts mehr und Svenja störte es nicht, im Gegenteil.
Bis das lang geplante Wochenende kam. Es ging zum Motorradrennen. Zelten, feiern und Spaß haben. Angekommen auf dem Zeltplatz war das Theater schon wieder fast perfekt. Alles war ihm nicht Recht. Er war nur am nörgeln. Svenja regte sich nicht auf, denn sie wusste er war nur einen Abend mit da und musste dann wieder nach Hause fahren und sie konnte bleiben. Allein, mit ihren Freunden. Weiterhin wusste sie auch, das einer ihrer besten Freunde mit da sein würde und dieser war ihr wichtiger als alles andere. Also ertrug sie das Genörgel geduldig.
Der Abend war vorbei und Christ reiste ab.
Svenja blieb. Und nun konnte der Spaß beginnen. Es wurde zwei Tage und Nächte gefeiert und das Rennen war ebenso einsame Spitze. Am Tag der Heimfahrt allerdings hatte Svenja ein seltsames Gefühl in der Magengegend. Sie konnte es nicht beschreiben, komisch eben. Also fuhr sie nach Hause, wo sich dieses Gefühl bestätigte. Chris war nicht das als sie ankam, also packte sie erst mal alles aus und gönnte sich ein Bad. Nicht lang danach kam auch er heim. Eisige Stille herrschte zwischen den beiden und als Svenja nachfragte was sei, erhielt sie keine Antwort. Eigentlich hätte sie darüber nachdenken sollen, aber sie tat es nicht, denn das Bad hatte sie müde gemacht und sie musste ja schließlich am nächsten Tag zum Dienst. Also legte sie sich ohne Antworten hin und schlief ein.
Am nächsten Tag war er schon außer Haus als Svenja aufstand. Also machte sie sich bereit für die Arbeit und fuhr los.
Als sie auf dem Parkplatz ihrer Arbeitsstelle ankam, piepte ihr Handy in dem bekannten Sms Ton. Was sie dann las nahm ihr für kurze Zeit den Atem. In der Sms stand drin, dass wenn sie heute vom Dienst käme stehen ihre Möbel auf der Straße und sie könnte sich eine neue Wohnung suchen. Sie versuchte Chris anzurufen, aber er ging nicht ran. Also blieb ihr erst mal nichts anderes übrig, als ihren Dienst zu machen. Der Dienst ging mit vielen Schwierigkeiten rum, denn sie war mit den Gedanken bei dem was sie erwartete als auf ihrer Arbeit und als er vorbei war, stieg sie in ihr Auto und fuhr so schnell sie konnte nach Hause.
Zu Hause angekommen war keiner da. Der große Fernseher den sie sich beide erst angeschafft hatten war weg. Von Chris war weit und breit nichts zu sehen. Ein Zettel lag auf dem Tisch, dass er erst mal ausgezogen sei, bis sie eine neue Wohnung gefunden hätte.
Aus Frust, Enttäuschung und Ärger setzte sie sich gleich vor den Pc und suchte im Internet nach neuen Wohnungen. Sie fand auf Anhieb gleich mehrere und schrieb per E-Mail den Vermittlern ihr Interesse. Dann ging sie schlafen.
Am nächsten Tag hatte sie frei und setzte sich gleich nach dem aufstehen wieder an den Pc. Es waren schon einige Antworten von den Wohnungsvermittlern eingegangen und Svenja rief einen nach dem anderen an und machte sich Wohnungsbesichtigungstermine und freute sich. Plötzlich stand Chris in der Tür. Er sagte, dass er sich es anders überlegt hat und er ausziehen wird. Sie brauche sich keine Wohnung suchen und ging wieder. Svenja war erstaunt, aber konnte mit der Entscheidung gut leben, denn dann würde sie sich den ganzen Umzugsstress ersparen. Also rief sie die Wohnungsvermittler wieder an und sagte alle Termine ab.
Es vergingen zwei Wochen, nichts passierte, alles war ruhig, Svenja ging arbeiten und Chris war nicht zu sehen. Bis er eines Abends wieder in der Tür stand.
Er wollte mit Svenja reden, also setzten sie sich ins Wohnzimmer und er fing an zu reden. Er sagte, das er doch nicht auszieht, denn er hätte zu viel Geld in die Wohnung gesteckt und er würde es nun nicht einsehen hier auszuziehen.
Svenja war geschockt.
Sie hatte alle Besichtigungstermine abgesagt und nun? Ihr war ganz schlecht, aber sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Also stimmte sie wohl oder übel zu, denn sie wollte nur noch weg von diesem Mann. Von dem Mann, den sie einmal über alles geliebt hatte. Sie setzte sich wieder an den Pc und suchte erneut nach Wohnungen. Prompt fand sie eine, nur diesmal machte sie es anders. Sie nahm ihr Telefon und rief den Makler gleich an.
Als der Makler sich meldete, sagte sie ihm sie bräuchte dringend eine Wohnung und sie habe gerade eine bei seinen Angeboten gesehen, die ihr zusagte. Sie fragte wann sie sich die Wohnung einmal ansehen könnte.
Der Makler sagte ihr, dass er den Vermieter gleich mal anrufen werde, dann könnte es passieren wenn sie Glück habe, das sie sie gleich noch besichtigen könnte. Alles passiert wie der Makler es sagte. Svenja bekam in einer Stunde einen Besichtigungstermin. Sie freute sich und zog sich an. Informierte ihre Eltern und lief los, denn die Wohnung war nur 10 min von der jetzigen entfernt.
Die Wohnung war ein Traum.
Svenja war begeistert und sagte ihren Einzug in 4 Wochen zu. Denn sie hatte ja trotz allem eine Kündigungsfrist. Die 4 Wochen vergingen wie im Flug.
Chris wollte Svenja nur noch aus seiner Wohnung haben und bot ihr an, ihren Umzug mit zu fahren. Gesagt – getan. In 4 Stunden war Svenja´s gesamtes Hab und Gut in ihrer neuen Wohnung.
1 Woche später hatte sich Svenja eingelebt, aber ihre Psyche war wieder am Boden. Sie war allein. Die Vergangenheit holte sie in ihren Träumen ein und sie wusste sich keinen anderen Ausweg als sich wieder zu ritzen.
Nach dem Ritzen war alles gut. Sie fühlte sich danach frei und geriet wieder immer weiter in diesen Teufelskreis herein.
Auf Arbeit versteckte sie die Wunden unter langen T-Shirts oder Jacken. Keiner merkte etwas von dieser Dramatik. Auf Arbeit hatte sich aber nun eine sehr gute Freundschaft entwickelt zwischen ihr und einer Kollegin, sie hieß Maja. Sie trafen sich oft auch nach dem Dienst, verbrachten ihre Freizeit miteinander und teilten alles. Sie sprachen über (fast) alles. Fast alles, aus Sicht von Svenja.
Sie traute sich nicht es ihr anzuvertrauen. Aber der Tag sollte schneller kommen als Svenja dachte.
Frühdienst war angesagt, alles war halbwegs stabil. Die Zeitenräume zwischen dem Ritzen wurden länger. Aber sie waren da.
Eines Nachmittags, sie saßen wieder auf dem Balkon Svenja plötzlich fragte, was sie denn an ihrem Arm gemacht hätte, denn sie trug ja nun schon seit längeren einen Verband. Nun war er da der Moment wo Svenja entweder Farbe bekennen musste oder endgültig für immer schweigen würde. Sie entschied sich Maja von ihrer Leidensgeschichte zu erzählen. Danach herrschte Ruhe zwischen den Beiden. Stille machte sich breit. Eine Stille die Svenja nicht länger ertrug. Sie fragte Maja, ob sie denn nun eine andere Meinung von ihr hätte, ob sie sich nun lieber wieder von ihr zurückziehen wollte. Maja schaute sie entgeistert an.
Sie schüttelte den Kopf und nahm Svenja in den Arm. Seit diesem Tag verbrachten sie noch mehr Zeit miteinander als vorher. Svenja fühlte sich wohl, ging ihrer Arbeit nach und genoss wieder das Leben in vollen Zügen.
Eines Abends als sie mit Maja einen schönen Weinabend machte war die Stimmung ausgelassen und gemütlich. Sie quatschten viel und kuschelten sich auf der Couch ein. Als Maja Svenja plötzlich küsste. Svenja war so verdutzt das sie sich ruckartig von Maja entfernte. Sie fragte Maja was dies sollte. Maja antwortete ihr das sie sich schon einen ganze Weile in sie verliebt habe und sie es nicht mehr länger verheimlichen kann. Svenja war geschockt. Eine Frau? Ihre beste Freundin? Der sie alles anvertraute? Warum?
Warum konnte nicht mal alles so bleiben wie es war?
Seit diesem Tag war ein großer Riss zwischen Svenja und Maja. Und Svenja wusste, dass man dieses auch nicht wieder kitten könnte. Maja verstand nicht warum Svenja es nicht wenigstens mal mit ihr versuchte und Svenja wollte nicht mehr darüber reden. Eine Beziehung mit einer Frau war nichts für sie und es würde nie gut gehen. Das Vertrauen war weg, wie weggeblasen. Wieder ein Mensch dem Svenja vertraute und der sie wieder einmal enttäuschte. All die seelischen Verletzungen, Schmerzen und Gefühle kamen wieder hoch. Svenja hielt es nicht mehr aus. Sie nahm sich eine Rasierklinge und ritzte sich die innerlichen Schmerzen weg. Danach ging es ihr besser. Was sie nicht bedachte, es hatte wieder als Therapie gegen innerliche Schmerzen geholfen und sie tat es wieder und wieder und wieder. Bei allen Gelegenheiten und bei den kleinsten innerlichen Schmerzen nahm sie sich ihr Therapiemittel zur Hand.
Besserung? Nicht in Sicht.
Tag der Veröffentlichung: 19.09.2010
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