Ich spürte leicht wie die Wärme in meine Wange stieg. Rau waren meine Hände, mein Ausdruck leer. Schmerz musste ich ertragen. Mein ganzes Leben. Der graue Spiegel mir gegenüber zeigte ein Mädchen mit vielen traurigen Gefühlen. Nicht ein Funken Liebe war in diesen Gefühlen. Es war Traurigkeit, Schmerz und Enttäuschung. Das ganze Leben lang.
„Was war das, Milli? Was hast du getan?? “, schrie mein Vater.
Klatsch! Noch einen Schlag ins Gesicht. Meine Mutter stand weinend daneben.
„Was sollte das? Erkläre es mir!“
Noch einen Schlag. Und noch einen. Immer weiter. Ich spürte bald nichts mehr in meiner Wange. Meine Tränen musste ich zurückhalten. Ich durfte keine Schwäche zeigen. Irgendwann hörte er auf zu schlagen, aber nur damit er mich weiter ausschimpfen konnte.
„Milli! Du wirst ab sofort dieses Haus verlassen und es nie wieder betreten! Wir können so ein Kind nicht lieben!“
Lieben! Da war dieses Wort! Lieben. Das Wort, über das ich mein ganzes Leben nachgedacht habe. Was war diese Liebe?
Schluchzen aus der Richtung meiner Mutter. Ich drehte meinen Kopf zu ihr und lächelte sie an. Damit bekam ich noch mehr Schläge von ihm. Sie hielt sich die Hände vor die Augen.
Muss dieses Leiden denn so wehtun? Es hörte nicht auf oder?
Langsam ging ich die Straßen hinunter. Wie oft ich hier gesessen habe. Wie oft ich zugeguckt habe wie die Menschen lachen und sich freuen, wie sie sich lieb haben. Das alles konnte ich nur sehen. Selber spüren konnte ich es nie.
Es war ein bisschen spät, fand ich, für so einen warmen Wind. Warmer Wind. Es roch nach Herbst. Meine Haare waren nicht sehr lang, aber sie flatterten im Wind. Ich schaute zum Himmel hinauf. Er war lila-blau, sah friedlich aus. Keine Wolken waren am Himmel. Wie ruhig es war. Ich setzte mich auf einer Bank hin. Ich schloss meine Augen. Ich hörte nur das Rascheln der Blätter die im Wind hinweg fliegen.
Diese Bank war unbequem, aber ich hatte nichts anderes. Eine Wohnung kam gar nicht in Frage, ich hatte kein Geld.
Während ich versuchte mich gemütlich hinzulegen, dachte ich nach, wie ich wohl am Besten an eine Wohnung käme. Ohne Geld?
Ich war ziemlich müde. Meine Lider wurden schwer. Es war schon Abend.
Langsam schloss ich die Augen und ließ den Wind in mein Gesicht wehen. Irgendwann packte mich der Schlaf.
Ich hatte keinen Traum. Zumindest erinnerte ich mich nicht daran, doch ich hatte das Gefühl, dass ich keinen Traum hatte.
„Ist dir kalt?“
„Mh.?“
Ich schaute auf und erschrak. Neben mir saß ein Junge, der mich lächelnd anschaute. Schnell rackerte ich mich auf.
„Wer...Wer sind sie?“
„Ich? Ich bin Rob Lerun.“
Er streckte mir eine Hand hin, zog sie dann aber zurück, da ich sie nicht schüttelte.
„Ich habe gerade einen Spaziergang gemacht und wollte mich auf die Bank setzen, als du hier lagst.“
„Eh..Ehm.“
Mir blieben die Worte im Hals stecken. Was sollte ich ihm sagen? Okay, er war ein Fremder, aber er durfte nicht den falschen Eindruck von mir haben, als wenn ich ein Penner wäre.
„Eh.. Ich war sehr müde und habe mich hier hingelegt. Meine Eltern haben mich gerade aus dem Haus rausgeschmissen.“
„Oh, das tut mir Leid.“
Er machte ein mitleidiges Gesicht.
Moment Mal. Warum hatte ich ihm das gerade erzählt? Okay, er war sehr nett, aber Hallo? Ich sollte ihm lieber nichts weiteres über mich erzählen, also stand ich auf nahm meine Koffer, verabschiedete mich und ging.
Doch er folgte mir.
„Warte. Ehm, ich hätte noch ein Gästezimmer. Möchtest du zufällig bei mir schlafen?“
Ich drehte mich um und guckte ihn an. Meinte er das jetzt wirklich ernst? Sollte ich dieses Angebot annehmen? Er war doch total fremd! Aber, irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich ihm vertraut bin und dass ich ihn schon mal gesehen habe. Dieser Gedanke ging mir erstmal nicht aus dem Kopf.
„Nein. Tut mir Leid. Ich schlafe nicht bei fremden Leuten.“
Damit ging ich, ohne ihm Tschüss zu sagen. Trotzdem ging mir dieser eine Gedanke nicht aus dem Kopf. Ich schüttelte mich und ging weiter.
Als ich durch die Stadt streifte sah ich die vielen Häuser und Geschäfte. Es war fast wie in New York. Meine Lehrerin hatte mir davon erzählt. Die vielen Neonlichter. Der dichte Verkehr. Die vielen Leute und die vielen Restaurants. Doch ich hatte die Welt draußen noch nie mit meinen eigenen Augen gesehen, denn meine Eltern sperrten mich mein Leben lang im Haus ein. Sie gaben mir Privatunterricht. Ich konnte immer nur zuhören. Nie von mir selber erzählen, denn was hatte ich auch zu erzählen?
Ich war ganz in Gedanken versunken, deswegen merkte ich nicht, dass ich über einen Bahngleis ging. Ein schrilles Quietschen kam von rechts. Erschrocken sah ich hin und traute meinen Augen nicht. Dort kam eine Bahn. Eins wusste ich aber. Ich würde sterben. Ich konnte mein Leben nicht mehr leben. Ich würde hier und jetzt sterben, denn es war so sicher, dass diese Bahn nicht halten konnte, bevor sie mich überfahren hatte. Sie konnte höchstens ein paar Meter vor der Haltestelle stehen bleiben, die direkt neben mir war. Ich konnte auch höchstens zwei Meter gehen, denn der Bahngleis war viel zu groß und ich müsste springen. Dafür war ich leider nicht in der Lage, denn ich hatte erstens noch nie in meinem Leben richtigen Sport getrieben und zweitens stand ich unter Schock, was die Sache sehr erschwerte. Also sah ich diese Bahn auf mich zukommen und hoffte auf einen schnellen Tod. Einen Tod, der nicht schmerzhaft war. Was hatte ich auch zu verlieren? Mich hatte man mein ganzes Leben lang gehasst. Ich hatte niemanden.
Meine Gedanken schwirrten im Kopf umher und ich konnte nicht mehr klar denken. Ich sah alles nur noch vernebelt. Es ging alles sekundenschnell. Plötzlich stieß mich etwas über den Bahngleis. Es war so ein heftiger Stoß, dass ich mit dem Kopf aufschlug. Doch auf der anderen Seite des Bahngleises. Ich sah die Bahn vorbeifahren. Ich sah sie vorbeifahren. Diese Bahn die dafür bestimmt war, mich zu töten! Es musste ein Wunder sein. Oder war ich schon im Himmel und dies war eine Halluzination? Hatte ich also schon das Himmelreich erreicht? Nein, es war nicht so, denn ich spürte plötzlich die furchtbaren Schmerzen an meinem Hinterkopf. Deswegen brachte ich ein leises „Aua“ heraus.
War es Gott der mich gerettet hatte? Hatte er meine Bitten erhört?
Ich versuchte etwas zu erkennen, diesen jemand, dieses etwas zu erkennen der oder das mich gerettet hatte.
Doch ich bekam meine Augen leider nur ein kleines Stück auf. Ich erkannte die Umrisse dieser Person. Schlanker Körper, starke Arme und was ich dann noch erkannte war unglaublich. Ich sah den Ausdruck dieser Person leuchten. Ja, ich sah ihn leuchten. Es glitzerte golden und schimmerte in Regenbogenfarben. Wie ein Diamant.
„Geht es dir gut?“, fragte mich diese Stimme hektisch.
Ich konnte nichts erwidern, denn mein Bewusstsein ließ nach und ich fiel in einen langen Schlaf.
Tag der Veröffentlichung: 10.08.2010
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