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Prolog


Es war stockfinster. In der Ferne hörte man, wie die Kirchturmuhr zur Mitternachtsstunde schlug. Die Straßen waren spärlich beleuchtet. Eine Straßenlaterne ging erst gar nicht, eine weitere flackerte. Erst langsam, dann immer schneller und schneller, ehe sie auch den Geist aufgab. Es kam dichter Nebel aus den wenigen Gullideckeln, die sich auf der Straße einige Zentimeter neben dem Bürgersteig befanden, auf dem eine Jugendliche mit hellbraunen Haaren durch die einsame Stille und das Halbdunkel ging.

Doch die Ruhe währte nicht lange, denn plötzlich war die Straße durch zwei helle Lichtkegel erleuchtet, die schnell auf das Mädchen zukamen. Sie erschreckte sich, wand sich um und lief davon
Sie rannte und rannte, doch das dunkle Auto kam immer näher. Langsam konnte sie nicht mehr, die Ausdauer schien sie zu verlassen. Sie dachte schon, dass es jetzt zu spät wäre und sie überfahren werden würde, als sie eine kleine Gasse fand.
Sie nahm ihre letzte Kraft zusammen und versuchte die Gasse zu erreichten. Kurz bevor sie von dem Wagen erfasst werden konnte, lief das Mädchen in die Gasse hinein. Sie bog noch in einige weitere Abzweiger ab, bis sie sich ganz sicher war, das sie von niemandem verfolgt wurde und die Gefahr vorüber war.

Erschöpft lehnte sie sich gegen die Hauswand und sank langsam auf den feuchten Boden. Erst jetzt merkte sie, dass ihr Herz so schnell und vor allem laut schlug, dass sie schon dachte, dass jeder in fünf Metern Entfernung das Pochen hören konnte.
Langsam schlossen sich ihre Augen. Sie war kurz davor, einzuschlafen, als sie eine leicht verzerrte, freundlich klingende Stimme hörte.

Er kommt früher


Langsam öffnete Heaven die Augen. Nicht schon wieder ein Albtraum, dachte sie. Dann wälzte sie sich herum und machte genervt den Radiowecker aus. Am liebsten hätte sie ihn gegen die Wand geworfen und weitergeschlafen, aber es musste ja unbedingt Montagmorgen sein und die Schule anstehen.
Heaven zog ihre Beine an, um sie dann gleich wieder mit der Decke weg zu stoßen. Langsam stieg sie aus dem Bett, streckte sich, rieb sich die Augen und ging langsam ins Badezimmer, um ihre allmorgendlichen Geschäfte zu verrichten.

Nach zwanzig Minuten kam sie wieder heraus und legte ihren Schlafanzug auf ihrem Bett ab, ehe sie den kleinen Flur zwischen ihrem Zimmer und der Küche entlang ging, um letztere zu betreten und sich Frühstück zu machen.
Während sie ihr Toast mit Erdbeermarmelade aß, las sie sich den kleinen gelben Notizzettel durch, den ihr Vater ihr hinterlassen hatte: 'Mach dir einen schönen Tag!', stand in der ihr bekannten unsauberen Handschrift dort und darunter noch die Mitteilung, dass er früher von seinem Job nach Hause kommen würde.
Heaven seufzte, knüllte das Papier zusammen und warf ihn zusammen mit den Brotkrümeln in die Mülltonne. Dann ging sie nochmals ins Badezimmer, putzte ihre Zähne und kämmte ihre schulterlangen, hellbraunen Haare, bevor sie sich ihre türkisfarbene Schultasche und ihren Schlüssel schnappte und die Wohnung des dreigeschössigen Mehrfamilienhauses verließ.

Kurz bevor sie das Schulgebäude betrat, traf sie auf Sam. Die beiden kannten sich schon seit der ersten Klasse und sind seit dem beste Freunde. Auch wenn Heaven noch weitere Freunde hat, er scheint der einzige zu sein, dem sie wirklich alles anvertrauen kann. Darunter zählt auch die Tätigkeit ihres Vaters, von der sonst niemand etwas weiß.

„Hi Heaven!", begrüßte Sam sie freundlich und bekam als Antwort ein kurzes, nicht gerade toll klingendes „Hi!" als Antwort.
Sam wusste, dass dieser Ton nur zwei Möglichkeiten zugrunde liegen konnte: Entweder kam Daniel früher nach Hause oder er hatte abermals seinen Eclipse kaputt gefahren. Heaven hatte eine besondere Vorliebe für getunte Autos, was für ein Mädchen eigentlich recht ungewöhnlich war. Feststellen musste er diese Tatsache, als sie ihm die Ohren zugejammert hatte, als der Wagen total verbeult und verkratzt gewesen war.
„Nein, der Wagen ist nicht schrott, jedenfalls hoffe ich das", meinte sie, „aber mein Dad kommt tatsächlich früher nach Hause."
Beide betraten das Schulgebäude.
„Verstehe. Der Ki...", begann er, doch sofort wurde er unterbrochen.
„Nicht so laut, verdammt", zischte sie ihn an. „Das geht niemanden was an. Du weißt, was passieren könnte? Einer hier erfährt es. Dann wird getuschelt, was weiß ich, bis es irgendwann zu ihm hervordringt. Und du weißt, was passiert, wenn er davon Wind bekommt, dass jemand weiß, was er ist..."
Heaven sah Sam eindringlich an und er nickte. Er verstand, was sie damit meinte. Es war auch der Grund dafür, weshalb sie ihren Vater nie verraten würde, obwohl es ihr garantiert nicht gefiel, was Daniel machte.
Auch wenn sie damit Gutes tun würde. Sie hatte einfach Angst um sich. Und diese Angst war mehr als berechtigt.
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Der Schultag an sich verlief relativ gut, was wohl daran lag, dass montags Heavens Lieblingsfächer auf dem Stundenplan standen: Englisch, Musik und Sport. In allen drei Fächern, aber besonders im letzteren war sie ziemlich gut. Sport war schon immer ihr Lieblingsfach gewesen. Sie war ziemlich schnell und hängte beim Laufen sogar fast alle Jungen ihrer Klasse ab. Dafür hatte sie ihre Probleme in Chemie und Physik sowie in Informatik und Latein. Letzteres Fach hasste sie wie die Pest. Sie bereute es, dass sie ausgerechnet diese Fremdsprache gewählt hatte. Die ganzen Formen und Vokabeln, die kein Ende zu nehmen schienen, machten ihr sehr zu schaffen. Dennoch hatte sie die meisten Arbeiten bestanden und hatte fast immer eine Note im zufriedenen Bereich gehabt.

Nachdem die sechste und letzte Stunde für diesen Tag vorüber war, ging sie gemütlich ihren Weg nach Hause. Sie machte noch einen kleinen Abstecher zur naheliegenden Strandpromenade und kaufte sich ein Eis in der Waffel. Bei dem kleinen Laden schmeckte das Eis einfach am besten, fand sie. Schon als sie klein gewesen war, war sie oft zusammen mit ihrer Mutter hierher gekommen, um sich eins zum Abkühlen in der anhaltenden Wärme zu holen.

Bei dem Gedanken an die Vergangenheit musste Heaven lächeln. Ihre Mutter lebte schon seit einigen Jahren nicht mehr.

Rote Flecken


Als Heaven die Wohnungstür aufschloss, kam ihr ein leckerer Geruch entgegen. Sie zog ihre Schuhe aus und stellte ihre Schultasche in ihr Zimmer, bevor sie in die Küche ging, um die Herkunft des Geruchs zu erfahren: Ihr Vater hatte Spaghetti mit Tomatensoße gemacht.
Danach betrat sie das Wohnzimmer, das gegenüber lag. Auf dem ockerfarbenen Sofa lag Daniel, den rechten Arm über die Augen, die linke Hand in seinen dunklen Haaren versteckt.
Das erste, was Heaven an ihrem schlafenden Vater auffiel, waren die kleinen dunkelroten Flecken, die auf seinem schwarzen Hemd zum Vorschein kamen. Und das war auf keinen Fall Tomatensoße.
Leicht angewidert ging sie wieder zurück in die Küche, nahm sich den Teller, der neben den Topf mit der Soße stand und tat sich ihr Essen auf, mit dem sie zum kleinen Esstisch ging und aß.

Nach einer halben Stunde war sie fertig, räumte den Tisch ab und ging in ihr Zimmer, um die einzige Hausaufgabe, die daraus bestand, die Vor- und Nachteile eines Praktikums aufzuschreiben, erledigte.
Zuerst wollte ihr rein gar nichts einfallen. Immerhin wusste sie nicht viel über Praktika. Doch dann kamen ihr einige Dinge in den Kopf, die sie als Stichpunkte niederschrieb. Je vier für die Vor- und Nachteile mussten ihrer Meinung nach reichen. Ihr Lehrer sah das im Allgemeinen sowieso nicht so streng mit den Hausaufgaben.

Heaven klappte ihr Heft zu und steckte es wieder in die Schultasche. Als sie kurz zur Wanduhr sah, bemerkte sie, dass sie eine geschlagene Stunde für gerade mal acht Stichpunkte gebraucht hatte. Lag bestimmt nur am Thema.
Dann ging sie in die Küche. Sie brauchte jetzt irgendwas zu trinken. Bei den warmen Temperaturen am besten Wasser aus den Kühlschrank, das sie sich in ein Glas schenkte und schluckweise trank. Danach stellte sie das Glas auf dem Tisch ab und wollte wieder in ihr Zimmer gehen. Doch vorher wagte sie noch einen Blick ins Wohnzimmer.

Zuerst schien es so, als ob Daniel immer noch tief und fest schlafen würde. Doch dann öffnete er langsam die Augen und nahm den rechten Arm vom Gesicht.
Was darunter hervorkam, gefiel Heaven nicht. Sie lief zu ihrem Vater, der sich mittlerweile aufgesetzt hatte, strich eine kurze Haarsträhne weg und sah sich die Platzwunde an seiner linken Schläfe an.
„Dad! Was ist passiert?", fragte Heaven ihn schockiert.
Daniel Blackburn sah seine Tochter an. „Das Übliche", entgegnete er gelassen.

Heaven war klar, dass ihr Vater, nachdem er 'das Übliche' getan hatte, immer mit einigen Blutflecken auf der Kleidung, Kratzern und teilweise sogar kleinen Wunden nach Hause kam, doch nie hatte er eine große Platzwunde am Kopf.
Daniel lächelte leicht, als er den besorgten Blick seiner Tochter sah. Er wusste, dass sie ihm nicht wirklich glaubte.
„Okay, ich gebe zu, es gab ein paar Schwierigkeiten. Ich habe dennoch meinen Job erledigt", ergänzte er deswegen und sah sie dann wieder ernst an. „Sonst noch Fragen?"
Heaven sah abermals zu der Platzwunde.
„Ein Metallrohr. Habe nicht aufgepasst", meinte Daniel darauf nur.

Ablenkung


Nachdem sich Heaven einigermaßen wieder vom Anblick ihres Vaters erholt hatte, brauchte sie erst mal jemanden, mit dem sie darüber sprechen konnte. Sie rief Sam an und verabredete sich mit ihm zu einem Treffen am Eisladen in einer viertel Stunde.

Als Heaven dort ankam, war Sam schon da.
„Du hast etwas aufgebracht geklungen. Was ist los?", fragte er sie besorgt.
Beide suchten sich eine Bank in der Nähe und unterhielten sich über Heavens Vater.
„Mein Dad ist schon zu Hause. Wie er aussah..." Sie verzog das Gesicht.
„So schlimm?", fragte er nach und Heaven nickte.
„Eine Platzwunde an der Schläfe und rote Flecken auf dem schwarzen Hemd, die garantiert nicht von der Tomatensoße, die es zu den Spaghettis gab, stammen."
Sam nickte verstehend und meinte, dass Heaven ein wenig Abwechslung brauchte.
Sie standen auf und gingen in die Innenstadt.

Der Boden war mit großen, hellgrauen Granitplatten geplastert, die nicht zu den alten mehrstöckigen Häusern zu passen schienen, in denen sich die Läden befanden. Den Großteil der hier anwesenden Leute waren Frauen und Jugendliche. Teilweise sah man Pärchen oder nörgelnde Kinder, deren Willen nicht erfüllt wurde.
Die beiden Teenager liefen an mehreren Bekleidungsgeschäften vorbei, die brechend voll waren und aus denen Lieder aus den verschiedensten Musikrichtungen nach draußen drangen.
Heaven ging schnell an diesen Läden vorbei. Sie mochte Shoppingtouren dieser Art nicht, weshalb sie mit Sam in eine kleine Seitengasse bog, in der sich ein Buchladen befand.

Sie stellte sich vor das Bücherregal, dass mit 'ab 14' gekennzeichnet war und legte den Kopf schief, um die Titel besser lesen zu können. So sah sie sich Reihe für Reihe durch, bis ihr ein Jugendthriller ins Auge fiel.
Sie nahm das Buch aus dem Regal und las sich den Klappentext durch. Er klang vielversprechend, sodass Heaven sich für das Buch entschied.
Sie wollte gerade zur Kasse gehen, als ihr auffiel, dass Sam nicht in ihrer Nähe war. Mit dem Buch in der rechten Hand suchte sie die zweigeschössige Buchhandlung ab. Im Erdgeschoss war er nicht zu finden, weshalb sie die kleine Holztreppe ins Obergeschoss ging.
Zunächst war Sam dort auch nicht aufzufinden, doch dann entdeckte Heaven ihn in der Humorecke.
Erleichtert seufzte Heaven auf und ging zu ihm: „Beim nächsten Mal machst du deine Klappe auf, bevor du weggehst, okay?"
„Jaja. Was kann ich dafür wenn du so lange brauchst?" Er lachte und bekam dafür von ihr einen leichten Stoß in die Seite.

Die beiden gingen zur Kasse, damit sie ihr Buch bezahlen konnte. Danach verabschiedeten sie sich und jeder trat seinen Rückweg an.

Der Anruf


„Da bist du ja wieder. Genug erholt?", wurde sie von ihrem Vater gefragt, nachdem Heaven die Wohnung betreten hatte.
„Kann man so sagen." Sie musterte ihn. Statt dem befleckten schwarzen Hemd trug er jetzt ein grünes Shirt und statt der Jeans eine kurze graue Stoffhose. Die Platzwunde auf seiner leicht faltigen Stirn hatte er mit einem orangefarbenen Pflaster überklebt, wobei dieses an einigen Stellen schon rötlich schimmerte.
Außerdem schien er erst vor kurzem geduscht zu haben, denn seine kurzen, braunen Haare glänzten feucht im Sonnenlicht.

Wenn man Daniel nicht kannte, würde man ihn für einen liebevollen und charmanten, für seine 43 Jahre jung aussehenden Vater halten, der jeden morgen brav zur Arbeit geht und abends wieder davon nach Hause kommt.
Doch der Schein trügt, wie manche Personen schon erfahren mussten. Denn sobald man wusste, was dahinter steckte, war es eigentlich für diese Person schon zu spät.

Heaven selber hatte auch einige Jahre ihres Lebens so gedacht wie die meisten, bis sie mal ein Gespräch ihres Vaters am Telefon belauscht hatte. Im jungen Alter von 10 Jahren hatte Daniel ihr klargemacht, was er mit ihr machen würde, wenn sie irgendetwas verraten würde. Zunächst hatte sie tatsächlich aus Angst um ihr Leben geschwiegen, doch irgendwann hatte sie es nicht mehr ausgehalten. Sie hatte jemanden gebraucht, mit dem sie darüber sprechen konnte. Und dieser jemand war niemand Anderes als Sam gewesen.
Nachdem sie es ihm erzählt hatte, flehte sie ihn an, niemanden etwas zu sagen, und er willigte ein.
Zwei Jahre später hatte er ihr vorgeschlagen, zusammen mit seinen Eltern zur Polizei zu gehen, was natürlich das Beste gewesen wäre. Doch Heaven war in dieser Sache nicht bereit auszusagen. Ihr Leben war ihr einfach zu wertvoll, um diesen Schritt zu wagen. Und da Sam sie nicht weiter überzeugen konnte, gab er es auf. Dennoch hat er immer ein offenes Ohr für ihre Probleme und versucht das Beste, damit es ihr gut geht.
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Nach dem Abendessen las Heaven noch bis 21 Uhr in ihrem neuen Buch, ehe sie die sonnengelben Vorhänge zuschob, den Wecker stellte und sich schlafen legte. Kurz bevor der Tiefschlaf einsetzte, klopfte es nochmal an der Tür.
„Herein", sagte sie verschlafen und Dan betrat ihr Zimmer.
„Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich nochmal los muss", meinte er.
„Als ob mich das interessiert. Ich will jetzt schlafen. Gute Nacht. Bis morgen", fauchte sie ihn an.
„Ist ja schon okay", murmelte Dan und schloss die Tür hinter sich.

Heaven wollte davon nichts wissen. Er sagte ihr zwar immer auf irgendeiner Weise Bescheid; Wenn er sich verspätete, schrieb er ihr beispielsweise eine Sms. Nur damit sie wusste, dass alles gut läuft.
Es nervte sie. Nicht die Tatsache, dass er ihr andauernd Bescheid gab. Sondern eher das, was er tat. Er hätte alles Mögliche machen können, ob es nun ein Job im Büro, als Arzt oder sogar nur als Kassierer. Es wäre ihr egal.
Aber die Tatsache, dass er so etwas Grausames macht und ihr sogar droht, machte sie fertig. Sie hasste ihn einfach dafür. Und in ihren Augen konnte sie leider nichts dagegen tun. Dafür hatte sie zu große Angst um sich.

Komplikationen?


Am nächsten Morgen wurde Heaven noch unsanfter als am Tag davor von ihrem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Der Moderator wollte den Zuhörern gerade einen guten Dienstagmorgen wünschen, als sie sich im Bett umdrehte und genervt den Wecker ausmachte.
Müde trottete sie ins Bad und aß dann Frühstück. Erst danach fiel ihr auf, dass Daniel noch nicht wieder da war und keinen Zettel hinterlegt hatte. Deshalb prüfte sie ihr Handy nach einer neuen Sms. Nichts.
Leicht stutzig darüber räumte sie den Frühstückstisch am und machte sich allmählich auf den Weg zur Schule.

Früher als sonst kam sie in der Schule an. Das große Gebäude war noch ziemlich leer. Einige Schüler und Lehrer kreuzten ihren Weg. Von Sam noch keine Spur.
Sie stellte ihre Schultasche neben der Tür ihres Klassenraumes ab und wartete am Schuleingang auf ihren Kumpel.
Nach rund 15 Minuten füllte sich das Gebäude allmählich, bis eine große Schülermenge miteinander redend das Gebäude betrat. Mittendrin erblickte Heaven Sam sowie ihre weiteren gemeinsamen Freunde Shawn und Hailey, die ebenfalls in ihre Klasse gingen.

Hailey war die typische Schönheit. Sie hatte hellblonde lange Haare, die sie in scheinbar allen möglichen Varianten trug, wie es ihr gerade passte. Sie trug kein Make-Up, da sie keinen Grund dafür sah. Teilweise bekam sie Liebeserklärungen von mehreren Jungen ihrer Schule, doch lehnte sie alle ab. Denn sie wusste, dass es ihnen nur ums Aussehen ging.
Ganz fremde Leute hielten sie unsensibel, nur weil sie ihre eigene Meinung vertrat und diese auch gerne ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen sagte. Außerdem schien Weinen ein Fremdwort zu sein, doch Heaven wusste, dass das nicht stimmte.

Auch Hailey weinte. Nicht vor all den Leuten, sondern eher im stillen Kämmerchen. Sie hatte Angst, als schwaches Mädchen zu gelten, wenn sie ihre Gefühle zeigen würde. Heaven hatte dies vor rund vier Jahren bemerkt, als Hailey und sie in einem Abstand von einigen Minuten auf die Schultoilette gingen. Zufälligerweise hatte Heaven die Kabine direkt neben ihr erwischt und hatte ihr leises Schlurzen vernommen. Nachdem Heaven ihr Geschäft erledigt hatte, klopfte sie an der anderen Tür an und bat Hailey sie zu öffnen. Mehrmals musste sie sie bitten, dies zu tun, bis Hailey schließlich nachgab und die Tür öffnete.
Mit roten Augen und verweintem Gesicht hatte sie auf dem geschlossenen Deckel gesessen mit einem zusammengeknüllten Taschentuch in der Hand. Und nach Heavens Frage nach dem Grund platzte schon die Antwort heraus: Ihre Eltern hatten sich schon seit mehreren Wochen gestritten und am gestrigen Tag musste sie auch noch erfahren, dass sich ihre Eltern trennen würden. Sie hatte ihren Kummer in sich hinein gefressen und wusste nicht, mit wem sie darüber reden sollte, sodass sie sich schließlich eingeschlossen hatte, um ihre Gefühle rauszulassen.
Heaven hatte sie damals getröstet und ihr versprochen, niemanden etwas zu erzählen.

Langsam hatten sich die beiden Mädchen immer mehr angefreundet und entdeckten einige gemeinsame Interessen, wie zum Beispiel das Lesen. Außerdem hasste Hailey ganz zu Heavens Überraschung auch das Shoppen, was man eigentlich von einem Mädchen wie sie nicht erwartete. Schließlich vertaute Heaven ihr sogar an, dass ihre Mutter verstorben war, als sie noch ein kleines Mädchen war und somit so gut wie keine Erinnerungen an sie hatte und dass sie somit alleine mit ihrem Vater wohnte. Den Rest verschwieg sie ihr.
Auch wenn sie mit der Zeit gute Freundinnen wurden. Sie hatte einfach nicht das gleiche Vertrauen zu Hailey wie zu Sam.

Mit einem freundlichen Lächeln begrüßte Heaven die drei.
„Hey Heaven! Was machst du denn schon hier?", fragte Shawn sie freundlich wie immer. Andauernd hatte er gute Laune. Sie kannte es einfach nicht anders von ihm. Selbst wenn er erkältet oder Ähnliches war, hatte er gute Laune. Seiner Meinung nach war das die beste Medizin. Seine Haare, deren Farbton eine Mischung aus schokoladenbraun und dunkelrot war, waren wie immer unordentlich verwuschelt.

„Bin anscheinend zu früh los gegangen. Weiß auch nicht so recht", meinte sie schulternzuckend. „Wusstet ihr, dass die Schule beinahe tot ist, ehe der erste Bus kommt?", fügte sie hinzu um abzulenken, doch Sam bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Wer will schon so früh hierher kommen?", fragte Shawn.
„Lauren?", meinte Hailey. Shawn zog eine Augenbraue hoch.
„Ach, die alte Streberin. Was will man da schon erwarten?"
Sam sah ihn daraufhin entgeistert an: „Du nennst sie Streberin? Womit hat die denn das verdient? Die sollte aufpassen, dass sie nicht auf einer Schleimspur ausrutscht. Die trägt doch jedem Lehrer etwas hinterher. Ein Zettel fliegt runter. Lauren läuft schnell hin und nimmt ihn in die Hand, ehe das Ding den Boden auch nur ansatzweise berührt."
„Oder gestern in Englisch. Weißt du noch? Sie streitet sich erst richtig mit Nicole, beschimpft sie übel, da die Antwort ja sowas von an den Haaren herbeigezogen ist. Und dann nimmt sie Mr. Anderson dran und sie sagt genau die Antwort, die vorher ja sowas von dämlich war", regte sich Hailey auf.
„Und die Antwort war auch noch komplett richtig und sie kassierte ein Lob. Für nichts", fügte Sam verärgert hinzu.

Es klingelte zur ersten Stunde und die vier gingen gemeinsam zum Klassenraum.
Shawn nahm seinen Platz am Fenster in der zweiten Reihe ein, wobei der Platz neben links neben ihm freiblieb. Rechts neben ihm saß Hailey
In der Reihe dahinter saß sich Heaven auf ihren Platz, der sich hinter Haileys befand und Sam links neben ihr. Von ihrem Platz aus hatte sie eine gute Sicht auf Lauren, die in der ersten Reihe der anderen Seite saß, fast direkt vor dem Lehrerpult und mit gefalteten Händen auf den Beginn des Unterrichts wartete. Heaven musste darüber leicht grinsen und ließ ihren Blick langsam durch den Raum gleiten. Diejenigen, die ihre Schulsachen für die folgenden zwei Mathestunden noch nicht ausgepackt hatten, taten dies in dem Moment. Dann haftete ihr Blick auf Shawn, der Hailey mit einem Geodreieck in den Arm piecksen wollte, aus Spaß verstand sich, aber ohne jeglichen Erfolg. Hailey wich mit ihrem Arm immer lachend aus.

Heaven schaute den beiden noch ein wenig zu, während alle noch auf Mrs. Ward warteten, die es mit dem Stundenbeginn nie so genau nahm und allgemein eine sehr nette Person war, als sie plötzlich Sams Stimme leise neben sich hörte: „Was war gerade eigentlich mit dir los?"
Sie sah ihn an. „Was soll schon los sein?"
„Komm schon. Ich habe es doch gemerkt. Irgendetwas stimmt nicht mit dir."
„Du hast ja recht", seufzte sie, „irgendetwas stimmt nicht. Aber nicht mit mir. Sondern mit meinem Dad."
„Was stimmt schon bei dem?", witzelte Sam, doch an Heavens Blick erkannte er, dass es nicht angebracht war.
„Entschuldigung. Was ist denn los?"
„Er hatte gestern Abend noch einen Anruf bekommen und musste los. Heute morgen war er nicht da und eine Nachricht hat er mir auch nicht zukommen lassen. Rein gar nichts! Macht mich schon nachdenklich", erklärte Heaven.
„Ach, der ist bestimmt nur sehr 'beschäftigt", versuchte er sie zu beruhigen.
„Und wenn nicht? Wenn etwas schief gelaufen ist?", zischte Heaven. Auch wenn sie aufgebracht war, musste sie leise sprechen. Es ging die anderen nichts an.
„Warum machst du dir Sorgen? So hast du mal Freizeit. Und wenn er gar nicht nach Hause kommt, rufst du mich an und übernachtest bei mir. Okay?" Er lächelte sie sanft an.
Heaven nickte. Eigentlich hatte er ja recht gehabt. Wieso machte sie sich Sorgen um jemanden, den sie sowieso nicht wirklich ausstehen konnte?
Dennoch wurde sie das bedrückende Gefühl nicht los, dass irgendetwas schief gelaufen war.

Der Neue


Rund zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn betrat Mrs. Ward schließlich den Klassenraum. Die zierliche, noch 30 Jahre alte Blondine mit der schwarzen rechteckigen Brille kam mit ihrer Tasche unter dem rechten Arm hinein und legte diese auf dem Lehrerpult ab.
„Es tut mir leid, dass ich heute noch etwas länger gebraucht habe", meinte Mrs. Ward, die neben der Mathelehrerin auch noch die Klassenlehrerin darstellte. „Aber mir wurde noch die freundliche Bitte aufgetragen, euch jemanden vorzustellen."
Sie ging zur Tür, öffnete sie und ein schlanker Junge mit dunkelblonden Haaren, wobei einige Strähnen eher hellbraun waren, betrat mit einem leichten Lächeln den Raum.
Mrs. Ward fragte ihn, ob er sich selber vorstellen will.
„Klar, mach' ich das selbst. Ich bin schließlich kein kleines Kind mehr", war seine schlagkräftige Antwort. „Ich heiße Kyle Hayes, bin 15 Jahre und erst vor einigen Tagen von so einem kleinen Kaff in Kalifornien hierher in den sonnigen Süden gezogen. Oder um es anders auszudrücken: Vom Golden State in den Sunshine State."
Er lächelte freundlich in die Runde. Man musste nicht neben ihr sitzen, um zu bemerken, dass Lauren ihn anschmachtete. An ihrer Haltung erkannte Heaven schon, dass sie allem Anschein nach Interesse an dem Neuen hatte und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

„Okay, Kyle. Am besten setzt du dich neben Shawn", meinte Mrs. Ward und zeigte auf den freien Platz neben ihm.
Kyle nickte. Während er sich auf den Weg dorthin machte, raunte Sam zu Heaven: „Mal sehen, ob er Shawns Geodreieck-Attacken überlebt."
Sie kicherte und Kyle sah beide kurz irritiert an. Dann setzte er sich auf seinen Platz und packte seine Sachen auf. Die Stunde konnte beginnen.

Die Lehrerin führte die Klasse in das neue Thema ein: Trigonometrie. Sie malte ein Dreieck an die Tafel, wobei ein rechter Winkel vorhanden war und erklärte daran zunächst den Begriff Sinus und wozu dieser da war. Danach sollten die Schüler ihre Mathebücher und Hefte aufschlagen und eine Aufgabe machen, in der drei Dreiecke, in denen jeder Winkel eingezeichnet und die Seiten sowie Eckpunkte mit entsprechenden Buchstaben gekennzeichnet waren. Bei allen dreien sollten der Sinus von Alpha und Beta anhand eines Bruchs bestimmt werden, doch bevor man überhaupt mit der Aufgabe beginnen konnte, klingelte es schon zur kleinen Pause.
Sofort legten alle ihre Stifte weg, bis auf Lauren, die die Aufgaben weiterhin erledigte, zusammen mit Nicole.

Sam tickte Heaven an: „Wollen wir mal Hallo sagen?" Er nickte in Kyles Richtung. Sie nickte. Beide standen auf und stellten sich vor seinen Tisch.
„Hi! Ich bin Sam und das ist Heaven", stellte er sich und Heaven vor. Kyle nickte und lächelte beide freundlich an. Dann gesellte sich Sam zu Shawn, der ein scheinbar sinnloses Spiel auf seinem Handy spielte.
„Warum hattest du eigentlich vorhin gekichert? Willst du etwa ein Date mit mir?", fragte Kyle Heaven verspottend.
„Vergiss es!"
„Ach, komm schon Puppe. Sei ehrlich", neckte er sie und lehnte sich im Stuhl zurück.
„Alter, hör auf damit!", forderte Heaven ihn auf. Doch er legte nur den Kopf schief und grinste sie an.
„Sonst was?"
„Sonst kriegst du einen saftigen Tritt in dein Hinterteil!"
„Autsch." Er verzog sein Gesicht. „Der hat gesessen."
Heaven sah ihn verachtend an.
Hailey, die die ganze Situation mitbekommen hatte, stellte sich nun neben sie.
„Vielleicht solltest du versuchen, bei ihr zu landen." Sie zeigte zu Lauren und Heaven sowie Sam und Shawn prusteten los. Kyle sah ratlos von einem zum Anderen. Er wusste nicht, was daran so witzig war.
„Sie ist das Schlimmste, was einem passieren kann", erklärte Shawn. „Lauf bloß nicht hinter ihr, du könntest auf der Schleimspur ausrutschen."
„Ach, so eine ist sie. Kein Wunder, dass sie mir von der ersten Sekunde an unsympathisch vorkam", meinte Kyle darauf nur und alle gingen wieder auf ihre Plätze, da die zweite Stunde begann.
Sam und Heaven lösten die Aufgaben zusammen und legten mit dem Gedanken, dass das alles in ihrer Sicht ziemlich einfach gewesen war, den Stift weg, während Hailey zusammen mit Shawn und Kyle noch an dem letzten Dreieck saßen, dass sie ebenfalls ziemlich schnell lösten.

Nach rund fünf weiteren Minuten, als die meisten fertig waren, wurden die Ergebnisse zusammen verglichen.
Lauren meldete sich so sehr, dass es aussah, als ob ihr Finger beinahe im Gesicht der Lehrerin landen würde. Beim dritten Dreieck, bei dem der rechte Winkel nicht wie bei den beiden anderen den Winkel Gamma darstellte, sondern Beta, und bei dem die Seiten a, b, c mit r, s, t beschriftet waren, wurde sie schließlich drangenommen.
„Der Sinus von Alpha lautet: r durch t. Und der Sinus von Beta lautet: s durch t."
„Wrong, Bitch!", rief Kyle dazwischen und sofort lagen die Blicke der Schüler und der Lehrerin auf ihm.
„Kyle, keine Beleidigungen", tadelte Mrs. Ward ihn. „Weißt du denn die richtige Antwort?"
Er nickte: „Sinus von Alpha gleich r durch s und Sinus von Gamma gleich t durch s. Beta ist nämlich schon als rechter Winkel gegeben und s ist dadurch dieses Hypo-Ding."
„Hypothenuse", verbesserte ihn die Lehrerin. „Ansonsten war deine Antwort richtig." Dann erklärte sie, dass es noch Kosinus und Tangens gab und wozu diese da waren, während Lauren Kyle verächtlich ansah. Er hingegen streckte ihr nur die Zunge raus. Sie verdrehte die Augen und wand sich wieder um.

Kurz vor dem Ende der Stunde sagte Mrs. Ward noch die Hausaufgaben an, die darin bestanden, bei den selben Dreiecken noch Kosinus und Tangens zu bestimmen. Dann wurde der Matheunterricht beendet.

Gedanken


Mrs. Ward wartete noch, bis alle Schüler den Raum verließen. Heaven und Sam warteten noch mit Hailey und Shawn, bis Kyle seine Sachen zusammengepackt haben und verließen mit ihm zusammen den Raum.

„Wir beiden haben uns ja noch nicht vorgestellt", sagte Hailey. „Ich bin Hailey."
„Und ich bin Shawn", fügte Shawn noch schnell hinzu.
Kyle nickte verstehend. „Was haben wir jetzt eigentlich?"
„Kunst", sagte Heaven. „Wir machen gerade Bilder im Stil des Impressionismus."
Kyle zog die Augenbrauen hoch. Er konnte mit dem Wort nichts anfangen.
„Kennst du Bilder von Claude Monet?", versuchte Heaven ihm zu helfen und er nickte. „Und in dem Stil machen wir unsere Bilder."
An seinem Blick konnte sie erkennen, dass sich das Fragezeichen aufgelöst hatte. Die fünf gingen eine Treppe hoch bis hinauf in den zweiten Stock, wo sich die Kunsträume befanden und Lauren an ihrer Umhängetasche stand.
Als sie die Schritte hinter ihr vernahm wand sie sich um und funkelte Kyle wütend an.
„Was sollte das gerade eigentlich? Spinnst du?", fauchte sie ihn an.
„So nachtragend?", fragte er sie gelassen und provozierte sie damit. Sie wollte ihm eine klatschen, doch Hailey hielt ihre Hand fest. Langsam ließ sie den Arm wieder los und Lauren stampfte wütend davon.
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Kunst war ziemlich schnell vorbei und Heaven hatte den unteren Bildrand fertig bekommen. Kyle, der erst einsteigen musste, kam auch ziemlich gut zurecht und hatte wenigstens eine Ecke des DIN A3-Bogens fertig.

Nach Kunst war Physik dran. Im Gegensatz zu Kunst schien sich das Fach hinzuziehen, was wohl nur daran lag, dass Heaven dieses Fach wie die Pest verachtete.
Während der Stunde hatte sie mehrere Kästchen des karierten Zettels in mehreren Farben ausgemalt.
Der Gedanke an die möglichen Komplikationen bei ihrem Vater, der in den vorherigen Fächern wie weggefegt war, kam aufgrund Heavens Langeweile wieder hoch. Wieder machte sie sich Gedanken darüber. Sie bekam einfach das beklemmende Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht stimmte. Da half es auch nicht wirklich, dass sie ihren Vater sowieso nicht wirklich mochte und wenn sie wollte, bei Sam übernachten konnte.

Nachdem es endlich zum Stundenende klingelte und somit der Schultag zuende war, atmete Heaven erleichtert aus. Wieder einmal hatte sie die quälend lange Stunde überstanden und ging nach Hause.

Flucht


Immer noch in Gedanken versunken ging Heaven die Strandpromenade entlang. Obwohl sie sich sonst immer daran erfreut, den hellen Strand und die Palmen mit ihren Kokosnüssen zu sehen und das Rauschen des Meeres zu hören, empfand sie an diesem Tag nichts für all dies.
Das bedrückende Gefühl machte ihr einfach zu schaffen.

Länger als sonst brauchte sie, bis sie schließlich zu Hause ankam. Sie bemerkte noch nicht einmal die fremden Wagen, die vor dem hellen Mehrfamilienhaus standen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Eingangstür offen stand und sie einfach das Haus betreten konnte.
Erst als sie sich schon kurz vor der Wohnungstür befand, wurde sie schlagartig von der leicht rauen Stimme eines Mannes aus den Gedanken gerissen: „Entschuldigung! Wohnst du hier in diesem Haus?"
Heaven blickte auf und sah direkt in das Gesicht des braunhaarigen Mannes, der dort vor ihr stand. Die leichten Falten auf seiner Stirn schienen darauf hinzuweisen, dass die durchfeierten Nächte schon seit einigen Jahren hinter ihm zu sein schienen. Er trug ein sauberes, gebügeltes weißes Hemd sowie eine ordentliche, dunkle Stoffhose, die bis zu seinen schwarzen Schuhen reichte.

Auf seine Frage erhielt er nur ein Nicken von Heaven.
„Wer sind Sie?", fragte sie ihn.
Der Mann fasste in seine Hosentasche und zog einen Ausweis heraus.
„Baker. Kriminalpolizei Coconut Bay", stellte er sich vor.

Heaven schluckte. Polizei! Dann hatte sie ihr Gefühl nicht getäuscht. Irgendwas stimmte hier nicht.
Ganz plötzlich hämmerten ihr Daniels Worte durch den Kopf: Wenn du irgendjemanden irgendwas erzählst, bist du dran. Wenn die Polizei kommt, hau' ab.


Heaven ging zwei Schritte zurück und sah die Treppe hinunter. Niemand versperrte ihr den Weg. Die restlichen Polizisten schienen in der Wohung zu sein.
Dann sah sie wieder zum dem Mann vor ihr. Mr. Baker sah sie mit undeutbarem Blick an.
„Ist irgendwas? Kann ich helfen?", fragte er sie.
Doch anstatt eine Antwort zu erhalten, lief Heaven weg. Dicht gefolgt von dem Polizisten. Nun konnte und musste sie ihre sportlichen Fähigkeiten einsetzen. Es war kurz nach zwei Uhr mittags. Die beste Möglichkeit zur Flucht wäre der Weg durch die Innenstadt, die um diese Uhrzeit ziemlich voll war. Doch bis dahin musste sie noch mehrere Meter laufen und die Hauptstraße überqueren.

Der Weg verlief an mehreren Ein- und Mehrfamilienhäusern in verschiedenen bunten Farben mit und ohne Vorgärten vorbei, durch einige Gassen, bis Heaven schließlich an einer Seitenstraße nähe der Hauptstraße, die sie von der Innenstadt trennte, ankam. Einige Meter vor der noch grünen Ampel blieb sie stehen und sah sich um. Die Ampel würde sie sowieso nicht schaffen und sie hatte somit Zeit dafür.

Der Beamte war nirgends zu sehen. Sie ging ein paar Schritte. bis sie an einer Gasse mit einer Kurve ankam. Immer noch nichts. Doch plötzlich kam er schnell um die Kurve und auf der Straße kam ihr ein silberner Wagen im schnellen Tempo entgegen.
Schnell lief Heaven zu der mittlerweile für die Fußgänger roten Ampel, die kurz bevor sie die Straße betreten konnte, grün für die Autofahrer anzeigte. Einige Autos fuhren schon langsam los. Dennoch überquerte Heaven die Straße. Sie hörte das Hupen und die empörten Rufe der Autofahrer, doch ihr war das im Moment ziemlich egal. Sie wollte nur noch abhauen. Beinahe hätte sie auch einen Unfall verursacht, indem sie gegen ein Auto gerannt wäre, dass von rechts neben ihr kam. Doch im allerletzten Moment sprang sie einen Schritt zurück.
Der alte Mann am Steuer meckerte sie an, doch sie ließ das kalt und lief hinter dem Auto weiter.

Nachdem sie die Straße überquert hatte, sah sie sich beim Laufen noch mal um. Der silberne Wagen stand an der Ampel und der Beamte lief zwischen den Autos hindurch immer noch hinter ihr her.
Heaven beschleunigte ihr Tempo noch ein wenig und lief unachtsam durch die dichte Menschenmenge. Ihr war auch egal, dass sie auch von diesen beschimpft wurde. Sie lief den breiten Hauptweg durch die Innenstadt und bog kurz danach in eine Seitengasse ein. Abermals wand sie sich um und durfte erleichtert feststellen, dass die Flucht ihr anscheinend gelungen war.
Keuchend ging sie langsam weiter, immer noch ihre Schultasche auf dem Rücken, bis zu dem Einfamilienhaus der Crowleys, Sams Familie, das sich am Stadtrand von Coconut Bay befand. Sie klingelte und wartete kurz auf der Veranda.
Dann wurde ihr die Tür von Sam geöffnet.
„Kann ich rein kommen?", fragte sie außer Atem.
„Natürlich." Er sah sie besorgt an.
„Danke."

Besuch von Bekannten


„Meine Eltern arbeiten noch", sagte Sam, nachdem er die Tür geschlossen hatte. „Was ist denn los?"
„Erzähle ich dir gleich. Kannst du mir etwas zu trinken bringen?", fragte sie ihn, während sie das große lichtdurchflutete Wohnzimmer betrat und ihre Schultasche neben dem alten Holztisch abstellte.
„Klar. Setz dich erstmal."
Nach einer Minute kam er mit einem Glas Wasser zu ihr und setzte sich auf das beigefarbene Sofa neben sie. Heaven bedankte sich und trank einen Schluck.
Dann stellte sie das Glas ab und nahm einen tiefen Atemzug, ehe sie zu erzählen begann: „Ich bin wie immer den Weg über die Strandpromenade nach Hause gekommen. Völlig in Gedanken versunken betrat ich unser Haus und war auf dem Weg zu unserer Wohnung, als mich plötzlich ein mir fremder Mann fragte, ob ich in dem Haus wohne. Ich bejahte dies natürlich und auf meine Nachfrage hin, stellte er sich als Kripo-Typ vor."
Sie unterbrach an dieser Stelle, um noch einen Schluck zu trinken.
„Und was ist dann passiert? Von einer bloßen Begegnung sieht man so ja nicht aus", meinte Sam ein wenig ungeduldig.
„Naja, mir kamen Dads Worte in den Kopf. Du weißt schon, welche."
Sam nickte. Zu gut wusste er, was sie meinte.
„Und dann bin ich geflüchtet. Durch verschiedene Gassen, bis ich schließlich zu einer Seitenstraße nähe der Hauptstraße bei der Fußgängerzone ankam. Der Typ sowie ein silberner Wagen waren noch hinter mir her und ich bin weitergelaufen. Beinahe wäre ich in einen Unfall verwickelt gewesen, denn die Ampel für die Fußgänger war schon rot, als ich die Straße überquert hatte. Irgendwie hatte ich es dennoch geschafft und konnte durch die volle Innenstadt entwischen. Und nun bin ich hier und weiß nicht, was ich tun soll."
„Zu allererst solltest du duschen", meinte er mit einem beruhigenden Lächeln. „Und dann kannst du auch hier übernachten. Aber warte kurz."
Er stand auf und verließ den Raum. Heaven sah ihm mit fragendem Blick hinterher und trank langsam das Glas aus. Nach einigen Minuten kam er mit ein paar Bekleidungsstücken wieder.
„Ich sollte gestern meinen Kleiderschrank nach Sachen ausmisten, die mir zu klein sind. Ich glaube, dass könnte dir annähernd passen."
Er übergab Heaven die Textilien. Es handelte sich um ein dunkelblaues Hemd und eine weite graue, kurze Hose mit Gummizug. Sie bedankte sich und folgte Sam, der ihr das Badezimmer zeigte.

Während sie duschte, kümmerte er sich um das Mittagessen, dass aus Fischstäbchen und Pommes mit Ketchup bestand. Er machte gerade die Teller fertig, als Heaven mit noch leicht feuchtem Haar, dem weißen Handtuch in der einen und das alte T-Shirt sowie die alte kurze Hose in der anderen Hand die Küche betrat.
Sam stellte die Teller ab und wand sich dann zu Heaven um. Er musste leicht grinsen, als er sie sah: Das Hemd war ein wenig zu groß. Doch es sah nicht wirklich schlimm aus.
Er nahm ihr die Sachen ab und meinte, dass sie schon mal mit dem Essen anfangen könne. Nach wenigen Minuten gesellte er sich schon wieder zu ihr.
Nach dem Essen machten sie gemeinsam die Hausaufgaben. Mathe schien für beide immer noch genauso einfach zu sein wie in der Schule und in den anderen beiden Fächern hatten sie nichts aufbekommen.
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„Josh! Wo kommst du denn gerade her?", fragte Simon seinen älteren Kollegen, der stoßweise atmete.
„Ich wollte gerade ein Mädchen befragen, das die Treppe hochgekommen war. Doch sie ist geflüchtet", meinte er.
„Josh! Simon! Schaut mal, was ich gerade gefunden habe." Julie kam zu den beiden und hielt in der mit einem Handschuh überzogenen linken Hand einen Bilderrahmen fest. Die beiden Polizisten sahen sich das Foto an.
„Das ist das Mädchen, das geflüchtet ist", sagte Josh und deutete auf das Mädchen, das neben Daniel auf dem Foto zu sehen war.
„Dann ist das wohl seine Tochter. Wir müssen sie finden", meinte Simon. Die beiden Männer liefen die Treppe hinunter und fuhren mit dem Wagen zum Department.
An einem der Schreibtische saß Peter, ein dunkelblonder Mittvierziger, der letzte Woche seinen Job angetreten hatte.
„Könntest du uns einen Gefallen tun?", wurde er von Josh gefragt. Peter nickte.
„Wir müssen ein Mädchen finden. Der Nachname ist mit großer Wahrscheinlichkeit Blackburn. Den Vornamen haben wir nicht."
„Blackburn? Ist das nicht auch der Nachname von...?", wollte er nachfragen, doch Simon bejahte dies schon, sodass Peter sich daran machte, etwas über dessen Tochter herauszufinden. Während er sein bestes tat, hörten die drei Männer eine leicht raue und tiefe Stimme hinter sich: „Dürfte ich fragen, was Sie da machen?"
Simon wand sich um und sah Mr. Winter, den dunkelhaarigen, an vielen Stellen schon silberhaarigen Chef an. „Wir suchen ein flüchtiges Mädchen, das wahrscheinlich die Tochter von Mr. Blackburn ist", informierte er ihn.
„Ich habe hier etwas gefunden", hörten die beiden Peters Stimme und sahen sich das Ergebnis an.
„Heaven Blackburn. 15 Jahre und geht...", las Peter den anderen vor, doch wurde von Mr. Winter unterbrochen: „Sie brauchen das nicht vorlesen. Wir sehen es auch so. Baker? Donovan? Sie fahren morgen zu der Schule und fangen das Mädchen ab."
Josh und Simon nickten.
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Mittlerweile war es schon 17 Uhr und Sams Eltern kamen von der Arbeit wieder.
„Wir sind wieder zu Hause!", hörten beide Mr. Crowleys freundliche Stimme, der zusammen mit seiner Frau das Wohnzimmer betrat. Er trug einen Anzug, was daran lag, dass er im Büro arbeitete, während Mrs. Crowley eine saubere weiße Bluse sowie eine lange ordentliche Hose in der selben Farbe trug. Die beiden begrüßten ihren Sohn sowie Heaven.
„So wie ich sehe, hast du Besuch", meinte Mr. Crowley zu Sam.
„Ja, sie übernachtet auch heute hier", meinte er.
„Dann könnt ihr euch ja einen schönen Tag machen", meinte Sams Mutter. „Übrigens kommen Ryan und Eileen heute auch noch. Zum Abendessen. Also in einer Stunde. Sie wollten uns irgendetwas Freudiges mitteilen."
Sie lächelte. Sam nickte und verabschiedete sich mit Heaven und ihren Schulsachen in sein Zimmer.

Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich zu Heaven auf sein Bett, die sich in dem hellgrünen Zimmer umschaute, wobei ihr Blick beim kleinen Regal neben dem kleinen hellen Schreibtisch hängen blieb.
„Ich glaube, den müsstest du mal aufräumen. Findest du in dem Gerümpel überhaupt irgendetwas wieder?", fragte sie ihn.
„Klar. Noch nie was von geordnetem Chaos gehört?", war seine Antwort und Heaven lachte. Damit war das Thema zunächst mal vom Tisch. Sie schwiegen eine Weile, bis Heaven es unterbrach: „Wer sind eigentlich Ryan und Eileen?"
„Gute Bekannte meiner Mom. Ryan ist Arzt und Eileen ebenfalls Krankenschwester. Beide sind laut der Beschreibungen meiner Mutter Anfang dreißig. Ich kenne sie aber noch nicht persönlich. Sie kommen das erste Mal hierher. Wollen wir einen Spaziergang machen?"
„Bei der Sache, die mir heute passiert ist?", fragte sie ihn entgeistert. „Ne, lass mal."
„Ist schon okay. Kein Problem. Wollen wir ein bisschen zocken?" Er deutete zum Schreibtisch, auf dem ein Flachbildschirm sowie Tastatur und Maus standen.
„Klar, warum nicht. Solange es kein Ballerspiel ist."
„Nö, Autorennen." Er lachte.
„Okay."

Sie spielten eine Weile, bis es um kurz nach sechs an der Tür klingelte. Dann vernahmen sanfte Schritte auf dem Parkett, die von Sams Mutter kommen mussten. Spätestens als sie die Tür öffnete und man ihre Stimme hörte, waren sich Heaven und Sam sicher, dass es tatsächlich dessen Mutter gewesen war.
„Kommt rein", hörten sie sie sagen und schon hörte man weitere Schritte.
„Wie wär's? Wollen wir mal Hallo sagen?", fragte Heaven Sam im selben Tonfall wie er sie in der Schule. Er nickte und pausierte das Spiel. Dann gingen die beiden ins Wohnzimmer.
Sams Eltern saßen zusammen mit ihren Gästen auf dem Sofa und redeten mit einander. Als Mrs. Crowley in Sam und Heavens Richtung sah, begann sie gleich freudestrahlend: „Eileen und Ryan wollen heiraten! Ist das nicht toll?"
Nun sahen der Mann mit den dunklen etwas längeren, leicht verwuschelten Haaren, bei dem es sich um Ryan handeln musste und die blonde Frau, wahrscheinlich handelte es sich bei ihr um Eileen, ebenfalls zu den beiden Jugendlichen und freuten sich auch.
„Ja, das ist klasse", antwortete Sam mit einem freundlichem Lächeln.
„Total", murmelte Heaven und kassierte dafür einen leichten Hieb in die Seite von ihrem Kumpel.
„Das sind übrigens mein Sohn Sam und seine gute Freundin Heaven", stellte Mr. Crowley vor.
Nachdem die Förmlichkeiten geklärt waren, verschwanden Heaven und Sam wieder in dessen Zimmer für eine Stunde. Dann wurde zu sechst Abendbrot gegessen. Es gab Kartoffeln zusammen mit je einem kleinen Stück Fleisch, Erbsen und Wurzeln und brauner Soße.
Sams Mutter war eine gute Köchin. Das hatte Heaven schon festgestellt, als sie das erste mal hier war. Und dieses Essen machte keine Ausnahme.
Die beiden verlobten Gäste blieben noch eine Weile, sodass die Jugendlichen abermals ins Zimmer gingen. Um kurz nach acht, während sich Heaven zum Schlafen umzog, wofür sie eine Jogginghose sowie ein lockeres T-Shirt von Sam bereit gestellt bekam, machte Sam Heavens Schlafplatz, der aus einer grünen Isomatte sowie einem blauen Schlafsack bestand, in seinem Zimmer bereit.
Eine Stunde später waren beide schließlich tief und fest eingeschlafen und der Besuch machte sich auf den Nachhauseweg.

Hilfe von einem Bekannten


Am nächsten Morgen wurde Heaven durch das Klingeln des Weckers geweckt. Seufzend wälzte sie sich herum, um diesen auszumachen, doch sie fasste ins Leere. Nachdenklich darüber öffnete sie die Augen und sah sich um.
Dann fiel ihr wieder ein, dass sie ja bei Sam geschlafen hatte. Dieser machte gerade den Wecker aus und wünschte ihr im Vorbeigehen einen guten Morgen.

Nachdem er im Bad fertig war, ging sie hinein und zog sich die Sachen an, die sie gestern von ihm bekommen hatte.
Dann gesellte sie sich zu ihm und seiner Mutter an den schon gedeckten Frühstückstisch und alle aßen gemeinsam ihre Toasts, ehe sich Sam und Heaven auf den Weg zur Schule machten.
Zum Glück hatte er daran gedacht, etwas Geld mitzunehmen, sonst wäre es mit dem Busfahren schwierig geworden. Doch nun saßen sie nebeneinander im lauten Bus und fuhren zwei Stationen, bis Hailey und Shawn ebenfalls den Bus bestiegen und auf den zwei Sitzplätzen neben den beiden Platz nahmen. Nach einer weiteren Station betrat noch jemand den Bus: Kyle.
Nachdem er die vier erblickt hatte, kam er zu ihnen und blieb im Gang zwischen ihren Plätzen stehen, sodass er mit jedem von ihnen reden konnte.

Als der Bus an der Haltestelle der Schule stoppte und alle ausgestiegen waren, bemerkten Shawn, Hailey und Kyle Heavens ungewöhnliche Bekleidung.
„Was ist das denn? Wieso trägst du denn sowas?", wurde sie von Shawn gefragt.
Sie musste kurz nachdenken, um sich eine passende Ausrede einfallen zu lassen: „Ich habe gestern bei Sam übernachtet und meine Wechselkleidung vergessen." Sie zuckte mit den Schultern.

Am heutigen Tag standen wieder Englisch sowie Chemie und Fremdsprache an, was für Sam und Heaven Latein bedeutete. Sie stellten fest, dass sich Kyle ebenfalls für diese Sprache entschieden hatte. Er setzte sich neben Heaven an den Doppeltisch, den sie bis jetzt für sich allein beansprucht hatte und somit ein wenig Platz machen musste.
Shawn und Hailey hingegen hatten Spanisch und saßen deshalb zusammen mit Lauren in einem Kurs. Die beiden taten Heaven leid.
Der Unterricht an sich verlief wie immer, Kyle riss sich bis auf ein paar Kommentare in Englisch und Chemie, die sich natürlich gegen Lauren richteten, ziemlich zusammen. Man konnte spüren, wie groß der Hass zwischen den beiden war. Doch Heaven und ihren Freunden konnte das nur recht sein.

Wieder einmal hatte Heaven den Schultag überstanden. Sie wollte zusammen mit Sam zur Bushaltestelle gehen, um wieder mit zu ihm zu fahren, als ihr auf der anderen mit Palmen bestückten Straßenseite auf dem Parkstreifen ein schwarzer Mustang auffiel. Das Besondere an dem Wagen war, dass er ein wenig tiefergelegt war und einen nicht wirklich großen Heckspoiler hatte und sich somit von den anderen Wagen hier in der Gegend abhob.
Heaven blieb stehen und sah sich den Wagen noch eine Weile an. Sam, der schon ein wenig weiter gegangen war, da er bis jetzt nicht bemerkt hatte, dass sie nicht mehr neben ihr war, folgte ihrem Blick und musste lächeln. Das war mal wieder typisch für sie, dass sie so einen Wagen anschauen musste. Er stellte sich einfach neben sie und wartete ab.

Aus dem Wagen stiegen zwei Männer. Der eine hatte blonde Haare und war um die dreißig. Der andere kam Heaven bekannt vor: Es war derselbe Mann, der ihr gestern gefolgt war.
Sie schluckte und sah sich um. Die Wege waren halbwegs leer, die meisten Schüler waren schon zum Bus gegangen oder waren schon zu Fuß oder mit dem Rad auf den Weg nach Hause. Die anderen warteten noch darauf, dass sie von ihren Eltern abgeholt wurden.
Heaven hatte also einen freien Fluchtweg.
Ohne noch irgendwas zu sagen, machte sie sich aus dem Staub. Sam sah ihr verwirrt nach. Dann beobachtete er die beiden Männer, die sich ebenfalls immer schneller in Bewegung setzten, bis sie schließlich Heaven hinterherliefen.
Dass der Weg durch kaum jemanden versperrt wurde, hatte zwar auch den Vorteil, dass niemand sie aufhalten konnte. Allerdings gab es dadurch auch das Problem, dass sie sich nicht verstecken konnte und ihr die Flucht somit erschwert wurde, weshalb sie abermals in die Fußgängerzone der Innenstadt eilte.

Heaven lief an den Kleidungsgeschäften vorbei, die sie vor wenigen Tagen noch bei ihrem Tour mit Sam gesehen hatte.
Sie bog in die kleine Gasse ein, in der Hoffnung, dass sie ihre Verfolger dadurch abschütteln konnte und betrat den kleinen Buchladen.
Schlagartig verringerte sie ihr Tempo, sodass sie in normalen Schritttempo durch den Laden ging und hier und dort mal stehen blieb.
Langsam fuhr auch ihre Atemfrequenz wieder herunter und sie nahm tiefe, lange Atemzüge, bis sich schließlich alles wieder normalisiert hatte.

Mit dem Gedanken, dass sie wohl ihre Verfolger erfolgreich abgehängt hatte, ging sie wieder aus dem Laden. Sie sah sich nach rechts um und ging dann links - und lief gegen irgendwas.
Heaven schluckte und ging zwei Schritte zurück. Vor ihr stand der Polizist, der auch schon gestern hinter ihr her war, sowie der blonde Mann, der mit ihm aus dem Wagen gestiegen war.
„Wir haben ein paar Fragen an dich", meinte der Blonde. Doch statt einer Antwort erhielten beide einen Schlag in die Magengegend und Heaven flüchtete abermals.

Sehr weit kam sie allerdings nicht, denn schon kurz darauf wurde sie fest am linken Arm gepackt.
„Hey! Lass mich los! Ich brauche den Arm noch zum Schreiben!", schrie sie und drehte ihren Kopf zu demjenigen, der sie festhielt.
„So sieht man sich wieder." Ryan lächelte sie an und brachte sie zu den beiden Beamten, die sich immer noch die Hand vor den Bauch hielten.
„Danke für deine Hilfe, Ryan", sagte der blonde Mann zu ihm.
„Kein Problem. Darf ich fragen, was sie gemacht hat? Irgendetwas geklaut?", fragte er nach. Doch der Blonde schüttelte den Kopf.
„Nein. Aber mehr darf ich dazu nicht sagen. Danke nochmals."
„Gerne doch." Ryan sah sich mit fragendem Blick um.
„Ist irgendwas?"
„Ja, ich suche meine Freundin. Vor kurzem war sie noch in meiner Nähe", sagte er.
„Die ist bestimmt nur in einem shoppen", meinte nun der braunhaarige Mann, der älter als sein Kollege zu sein schien.
Ryan nickte und verabschiedete sich. Dann wandten sich die beiden Polizisten Heaven zu.
„Was?", fauchte sie die beiden mit finsterem Blick an.
„Wir wollen dir nur ein paar Fragen stellen. Es wäre schön, wenn du uns ins Dienststelle begleiten würdest", sagte der Ältere der beiden.
Heaven seufzte: „Wenn ich dann endlich in Ruhe gelassen werde, meinetwegen." Sie verschränkte die Arme vor der Brust und folgte den beiden.
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Ryan bog aus der kleinen Gasse auf den Hauptweg der Fußgängerzone. Er ging in mehrere Geschäfte hinein, in der seine Verlobte hätte sein können. Doch er fand sie einfach nicht.
Deshalb suchte er eine ruhige, menschenleere Gasse auf und holte sein Handy aus der Hosentasche. Er wählte Eileens Nummer. Während er darauf wartete, dass sie abnahm, hörte er Schritte von Stöckelschuhen auf den Kopfsteinpflaster hinter sich. Ryan wollte sich gerade umdrehen, als er einen dumpfen Schlag auf dem Hinterkopf spürte und alles um ihn herum plötzlich dunkel wurde.

In Sicherheit?


Während der Fahrt zur Dienststelle schwieg Heaven. Und das wird sich ihrer Meinung nach dort auch nicht ändern.
Sie wurde von den beiden Beamten zum Schreibtisch des Dunkelhaarigen geführt und setzte sich auf den Stuhl, der davor stand. Dann stellte er sich nochmals als Baker und seinen Kollegen mit dem Namen Donovan vor.
Kurz bevor sie zum Vorfall befragt werden konnte, trat ein noch älterer Mann aus seinem Büro, das von Fenstern, wobei die Sicht durch die weißen Jalousien versperrt wurde, und einer Glastür begrenzt wurde.
Neben ihm lief ein noch recht junger, sportlicher Mann, den Heaven auf höchstens dreißig schätzte, der von dem älteren Herren zu einem Schreibtisch gebracht wurde. Aus dem gemeinsamen Gespräch, das zusammen mit Mr. Baker und Mr. Donovan geführt wurde, entnahm sie, dass es sich bei dem jungen Mann um den 28-jährigen Blake Smith handelte. Der Rest war in ihren Augen nur noch sinnloseres Gefasel, sodass sie nicht mehr zuhörte.
Nachdem die Formalitäten erledigt waren, fingen die beiden Beamten mit der Befragung an, wobei sie als Antwort bis auf ein Schweigen von Heavens Seite nichts erhielten. Obwohl sich Blakes Schreibtisch hinter ihrem Rücken befand oder vielleicht auch gerade deshalb, spürte sie förmlich dessen Blicke in ihre Richtung. Sie wand sich um, um sich vom Gegenteil zu überzeugen, doch im selben Moment bemerkte sie, dass Blake tatsächlich in ihre Richtung gesehen hatte. Sobald er ihren Blick bemerkte, wand er sich wieder dem Computer zu.

Die beiden Polizisten vor ihr fuhren mit der Befragung fort und erhielten immer noch keine Antwort.
„Du bist hier in Sicherheit. Dein Vater ist im Gefängnis. Und wir glauben, dass du mit deiner Aussage etwas tun kannst, damit es auch so bleibt", versuchte ihr Mr. Donovan ins Gewissen zu reden.
„In Sicherheit. Genau", schnaubte sie und wand den Blick ab, während sie ihre Arme vor der Brust verschränkte.
„Er ist im Gefängnis", wiederholte nun Mr. Baker den Satz seines Kollegen. „Er kann dir nichts tun."
„Schon mal was von Ausbrechen gehört?", fragte Heaven, die nun ihren Blick wieder zu den Beamten gerichtet hatte. „Und außerdem..." Sie beugte sich ein wenig vor, bis sie im Flüsterton weitersprach: „Der hat seine Augen und Ohren bestimmt überall."
Dann setzte sie sich wieder gerade hin.
„Willst du, dass noch mehr Leute sterben?"
„Nein!", entgegnete sie. „Aber ich will auch nicht umkommen!" Und dann fügte sie noch hinzu: „Ich bin nirgendwo sicher."
„Wir könnten dafür sorgen", versuchte Mr. Donovan sie zu beruhigen.
„Wie? Wie wollen sie dafür sorgen?" Ihr Blick wanderte von einem zum anderen.
„Folgen Sie bitte mit ihr ins Büro", hörte Heaven eine Stimme hinter sich. Sie wand sich um und sah den älteren Mann, dessen Haare zum Teil schon grau waren hinter sich. Er sah zu Josh, der aufstand und Heaven in das Büro des älteren Herrn begleitete.
„Du wirst bei einem Mitarbeiter von uns unterkommen. Normalerweise machen wir das nicht. Aber dies hier ist ein besonderer Fall, bei dem du gefährdet bist."
Dann sah er Mr. Baker an: „Sie sind schon recht lange bei uns und ich hatte immer vollstes Vertrauen in Sie. Würden Sie die Aufgabe übernehmen?"
Er nickte. „Natürlich, Mr. Winter. Kein Problem."
Dann sah Mr. Winter zu Heaven: „Er wird dich zu deiner Wohnung begleiten. Da wir mit der Durchsuchung soweit fertig sind, darfst du deine Sachen mitnehmen. Damit verabschiede ich mich."
Der ältere Herr verabschiedete die beiden aus seinem Büro. Allem Anschein nach schien er hier der Chef des Ganzen zu sein.

Mr. Baker geleitete Heaven zu seinem Wagen.
„Der Mustang ist Ihr Wagen?", fragte sie ihn erstaunt, als sie auf dem Parkplatz vor seinem Wagen ankamen.
„Ja. Steig ein."
Der Mann startete den Motor und beide machten sich auf den Weg zu ihrem alten Zuhause. Mr. Baker half ihr beim Packen ihrer Sachen. Dann fuhren sie zum Stadtrand von Coconut Bay, bis er den Wagen neben einem kleinen Einfamilienhaus parkte.
„Die Gegend hier kenne ich", meinte Heaven, als sie den Koffer mit der linken Hand den Weg zur Haustür schob und sich dabei umsah. „Sam wohnt hier in der Nähe."

„Wer ist Sam?", fragte der Beamte, während er die weiße Holztür aufschloss und mit Heaven das Haus betrat.
„Mein Kumpel", war Heavens kurze Antwort. Der Mann nickte und leitete sie durch den breiten, mit hellbraunen Parkett ausgelegten Flur zu ihrem Zimmer.
Der Raum war groß und in einem hellen Orange gehalten, das durch das Sonnenlicht dem Zimmer einen freundlichen Touch gab. Links neben der Tür befand sich das Bett, das mit orangener Bettwäsche bezogen war und rechts daneben der kleine Kleiderschrank, sowie ein heller Schreibtisch.
„Dann packe mal deine Sachen aus. Ich mache dann jetzt Mittag", meinte der Beamte, während er den Raum verließ und den Raum verließ.

Gerade richtig, als Heaven so gut wie alles ausgepackt hatte, gab es Mittag. Es bestand aus Spaghetti mit Tomatensoße. Ihr Lieblingsessen.
„Ist die Tomatensoße selbst gemacht?", fragte Heaven, nachdem sie schon ein wenig davon zu sich genommen hatte. Mr. Baker nickte.
„Haben Sie echt gut gemacht, Mr. Baker", lobte sie ihn, nachdem sie den Mund wieder leer hatte.
„Danke. Ach übrigens, du brauchst mich nicht zu siezen", meinte er.
„Okay. Wie ist dein Vorname?", fragte sie ihn daraufhin.
„Josh."
„Netter Name. Du bist bestimmt verheiratet. Auf meinem Weg hierher habe ich nämlich ein paar Bilder im Flur gesehen."
Ganz plötzlich hatte Josh einen traurigen Blick, der Heaven verdutzte.
„Ich war mal verheiratet", seufzte er. „Wir hatten auch ein Kind zusammen."
„Oh, ihr habt euch geschieden und das Kind lebt bei ihr, stimmt's?"
Er schüttelte den Kopf. Heaven wollte wissen, was dann vorgefallen war. Doch er meinte, dass beim Essen nicht der richtige Zeitpunkt dafür wäre.
Schweigend aßen sie weiter und Josh räumte schließlich den Tisch ab.
Heaven hatte ihre Frage nicht vergessen und wollte abermals wissen, was mit seiner Frau und seinem Kind vorgefallen war. Er setzte sich zusammen mit einem Bild in der Hand in das helle kleine Wohnzimmer auf das dunkle Sofa und Heaven nahm neben ihm Platz. Dann zeigte er ihr das Foto und begann zu erzählen: „Melina und ich waren ein glückliches Paar. Wir haben geheiratet und schon bald wurde sie schwanger. Wir haben ein Mädchen bekommen: Sally." Er lächelte, doch kurz darauf verschwand dieses wieder.

„Während ich auf Arbeit war, ging Melina immer mit Sally auf den Spielplatz hier in der Nähe. Zwei Wochen, nachdem dieses Bild gemacht wurde, waren sie ebenfalls dort, als plötzlich ein Notruf bei uns einging: Auf dem Spielplatz liege eine bewusstlose Frau, die sehr viel Blut verlor. Sofort riefen wir beim Krankenhaus an. Sie sollten einen Krankenwagen schicken, da die ältere Dame am Telefon in dieser Situation dies noch nicht getan hatte. Wir fuhren auch hin. Als wir ankamen, kümmerte sich der Notarzt schon um die Frau. Im Vorbeigehen konnte ich sie nicht genau erkennen. Ich befragte zusammen mit ein paar Kollegen einige Passanten und erfuhr, dass eine Gestalt, die niemand genau beschreiben konnte, die Frau erschossen und das Kind, das mit ihr dort gewesen war, entführt hatte.
Dann ging ich zum Notarzt, um zu erfahren, wie es um die Frau stünde. Doch so weit kam ich gar nicht erst."
Er stockte an dieser Stelle. Er war sich nicht sicher, ob Heaven das Folgende vertragen würde. Doch sie brannte darauf es zu erfahren. Egal, wie schlimm es sein würde.

„Als ich die Frau auf dem Boden in der Blutlache liegen sah, fühlte ich mich so, als ob mir der Boden unter den Füßen weggezogen werden würde. Simon, also Mr. Donovan, der damals unser Neuling war, konnte mich gerade so auffangen, bevor ich auf dem Boden war. Er stützte mich und ich weinte. Es verriss mir das Herz, Melina dort so liegen zu sehen. Tot. Und mir wurde klar, dass es sich bei dem entführten Kind um Sally handelte."

Joshs Stimme zitterte, bis sie schließlich brach. Ihm stiegen die Tränen langsam in die Augen. Heaven nahm die Packung Taschentücher, die sie auf dem kleinen Tisch vor sich entdeckte, und reichte ihm eins, woraufhin er sich bei ihr bedankte und hinein schneuzte. Dann knüllte er das Taschentuch zusammen und sprach weiter: „Die Ermittlungen begannen, doch nach einiger Zeit wurden sie eingestellt. Wir hatten nichts außer diversen Zeugenaussagen. Keine brauchbaren Beschreibungen. Nichts. Die Spur verlief sich im Sande. Ich wurde von Albträumen geplagt, die zwar langsam verschwanden, doch es zerreißt mich immer noch innerlich, dass ich nicht weiß, wo meine Tochter ist. Ich weiß nicht, wie es ihr geht, geschweige, ob sie überhaupt noch am Leben ist!"

Nun brachen alle Dämme bei Josh. Der gebrochene Beamte weinte scheinbar ohne Ende.
Heaven versuchte ihn zu trösten und fragte ihn, ob sie ihm etwas bringen solle. Doch er schüttelte nur den Kopf.
„Okay. Ich bin dann mal kurz in meinem Zimmer. Ich habe noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen", meinte sie. „Kann ich dich alleine lassen?"
Josh nickte und sie verschwand in ihrem Zimmer. Während sie ihre Hausaufgaben erledigte, hörte sie erleichtert, wie sich Josh langsam wieder beruhigte.
Für Heaven war es etwas Ungewöhnliches, jemand Erwachsenen so weinen zu sehen.

Nach den Hausaufgaben hörte sie, dass ihr Handy klingelte. Eine neue Nachricht von Sam:
Alles okay bei dir? Bitte melde dich!
Sie lächelte leicht und tippte zurück, dass alles okay sei. Sam war darüber erleichtert.

Aussage


Die erste Nacht im neuen Zuhause war für Heaven ziemlich ungewohnt. Doch den Umständen entsprechend hatte sie gut geschlafen. Während der Moderator dabei war, den Zuhörern einen schönen, weiteren sonnigen Tag zu wünschen, machte sie den Wecker aus und zog sich im hellblau gefliesten kleinen Badezimmer um.
Dann ging sie in die daneben liegende Küche, aus der Kaffeegeruch in ihre Nase stieg. Am kleinen Esstisch saß Josh mit der Tasse in der rechten Hand über die Zeitung gebückt. Erst als sie ihn begrüßte, sah er lächelnd zu ihr auf.
„Guten Morgen! Ich wusste nicht, was du morgens trinkst. Deswegen habe ich noch nichts vorbereitet", sagte er freundlich.
„Es ist mir eigentlich egal, solange es keine Milch ist", entgegnete Heaven. Josh stand auf und hielt ihr ein Päckchen Pfefferminz-Tee hin und sie nickte. Während er den Tee zubereitete, fragte er sie auch noch wie sie geschlafen hatte. Ihre Antwort freute ihn.

Heaven schmierte sich ihre zwei Toasts, die ein wenig schwarz an den Ecken geworden waren, und aß sie, während Josh ihr die Tasse Tee hinstellte. Sie bedankte sich und nachdem sie aufgegessen hatte, leerte sie die Tasse in vier Zügen. Dann sah sie sich in dem kleinen Raum um, bis ihr Blick auf die Uhr fiel, die sie gesucht hatte.

„Ich muss gleich los", meinte sie.
„Okay. Soll ich dich bringen?"
„Wäre nett." Sie lächelte leicht.
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„Morgen, Peter!", begrüßte Simon seinen Arbeitskollegen beim Dienstantritt. Peter schaute über den Rand der Zeitung und begrüßte ihn ebenfalls.
Mit einem fragenden Blick hielt er dem Blonden einen Teil der Zeitung hin und dieser nahm ihn dankend an und setzte sich damit auf seinen Platz.
Kurz darauf nahm auch Blake seinen Platz ein und begrüßte die beiden ebenfalls, die daraufhin fast gleichzeitig über den Rand der Zeitung schauten und ihn auch gleichzeitig mit seinem Nachnamen begrüßten, weshalb alle drei lachten.
„Ich kann es nicht wirklich leiden, mit meinem Nachnamen angesprochen zu werden. Da fühle ich mich so alt. Ich biete euch das Du an", meinte Blake. „Ich hoffe, ich darf auch du sagen?"
„Klar, ist kein Problem", entgegnete Simon daraufhin. „Wir sagen ja auch nicht Mr. Donovan oder Mr. Hayes zueinander." Beim letzten Nachnamen deutete er zu Peter.
„Sondern Simon und Peter", fügte dieser hinzu.
„Okay." Mit diesem Wort wand sich jeder seinem Papierkram zu.
Während Simon und Peter mit Eifer dabei waren, sah Blake immer von einem zum anderen. Und wenn jemand aufschaute, sah er weg.
Die beiden anderen Beamten bemerkten dies und sahen sich kurz an. Sie dachten sich nichts weiter dabei und zuckten nur mit den Schultern.

Nach einigen Minuten bekam Blake einen Anruf. Auf seinem Handy. Schnell sprang er auf.
„Was ist denn los?", fragte Peter.
„Meine Frau ist hochschwanger und liegt im Krankenhaus. Sie bekommt gleich ihr Kind!", rief er noch. Dann war er schon verschwunden.
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In der Schule traf Heaven auf ihren Kumpel Sam, der wie sonst auch immer, auf sie wartete und zusammen mit ihr zum Klassenraum ging.
„Sag mal, was war das gestern eigentlich für ne Aktion von dir?", fragte er sie ruhig.
„Was soll ich schon dazu sagen?"
„Vielleicht wer das war?"
„Zwei Bullen. Josh Baker und von dem anderen weiß ich den Namen nicht mehr. Diesmal konnte ich dank dem netten Freund deiner Mutter aber nicht erfolgreich flüchten und nun wohne ich bei Josh", erklärte sie.
„Ryan hat deine Flucht verhindert und du wohnst jetzt bei diesem Bullen?", hakte er sicherheitshalber nochmal nach und Heaven nickte.
„Ja, damit ich sicher bin vor..."
„Ich verstehe schon", unterbrach sie Sam, da beide im Klassenraum ankamen und sich auf ihre Plätze setzten.
Shawn und Kyle spielten beide irgendwelche Handyspiele und tauschten sich darüber auf, während Hailey genervt daneben saß und den Kopf in die rechte Hand stützte. Umso mehr freute sie sich, als sie Sam und Heaven sah und sprang sofort auf.
„Helft mir! Shawn hat schon wieder ein neues sinnloses Spiel", sagte sie im flehenden Ton.
„Was? Ein neues Spiel? Das muss ich mir ansehen!", meinte Sam und ging zu den beiden Jungs.
„Haben die nichts anderes im Kopf?" Hailey verdrehte die Augen.
„Was erwartest du? Das ist halt typisch Junge", erwiderte Heaven grinsend.
„Ja, und Kyle macht da keine Ausnahme." Hailey seufzte.

Die Fächer Geschichte, Politik und Biologie, die mittwochs auf dem Stundenplan standen, verliefen schleppend. Da halfen auch Kyles nicht wirklich ernst gemeinten Antworten nicht viel. Dennoch überstand sie den Tag, obwohl es Heaven wie Jahre vorkamen.
Sie ging mit Hailey, Sam, Shawn und Kyle Richtung Bushaltestelle, da sie auf dem Weg dorthin am Parkstreifen vorbei kam, wo Josh mit seinem Wagen auf sie wartete. Als sie dort ankam und sich von ihren Freunden verabschiedete, konnte sich Kyle einen beeindruckten Kommentar über das Gefährt nicht verkneifen. Heaven lächelte und stieg ein.

„Hi!", begrüßte sie ihn kurz.
„Hallo!" Josh lächelte sie an. „Wie war dein Tag?"
„Langweilig wie jeden Mittwoch", entgegnete sie nur.
Josh startete den Motor und fuhr los. Heaven sah die ganze Fahrt über aus dem Fenster und beobachtete die Menschen, Häuser und Palmen, die an dem Auto vorbeizogen.
„Ich glaube, ich bin langsam bereit", murmelte sie.
„Hast du etwas gesagt?"
Heaven drehte sich zu Josh um und nickte.
„Ich glaube, ich bin bereit, etwas zu sagen über meinen Dad." Sie seufzte. Dann fügte sie noch hinzu: „Es gefällt mir wirklich nicht, dass wegen ihm Leute sterben. Familien und Freunde auseinandergerissen werden dadurch. Vielleicht sogar Kinder ohne beide Elternteile aufwachsen. Ich finde es einfach schrecklich und will meinen Teil dazu beitragen, etwas dagegen zu tun."
Josh war ein wenig über Heavens Entscheidung überrascht. So schnell hatte er nicht damit gerechnet.
„Wann wäre es dir denn am liebsten?", fragte er sie.
„So früh wie möglich."
„Jetzt sofort?"
Heaven nickte und Josh fuhr zur Dienststelle.

Dort angekommen setzte sich Heaven auf den Stuhl vor Joshs Schreibtisch.
„Was macht ihr denn hier?", fragte Simon, der am Schreibisch daneben saß, die beiden freundlich.
„Ich will tun, was ich kann", antwortete Heaven.
Nun kam auch Peter hinzu, um die Aussage anzuhören.
„Mein Name ist Hayes", stellte er sich vor. Heaven legte den Kopf schräg. Sie schien nachzudenken.
„Ich habe den Namen irgendwo schon mal gehört", teilte sie ihren Gedanken mit.
„Das kann gut möglich sein. Mein Sohn geht auch auf deine Schule. Vielleicht kennst du ihn."
„Name?", war Heavens kurze Frage.
„Kyle."
„Oh ja, und wie ich den kenne. Geht in meine Klasse."
„Ehrlich?"
Heaven nickte. „Hat ne große Klappe."
„Ja, ich weiß", meinte Mr. Hayes im bedauernswerten Ton.
„Gefällt mir." Ein Grinsen schlich sich über Heavens Lippen.
„Ich glaube, wir sollten wieder zum alten Thema kommen", meinte Simon mit einem Räuspern und es wurde sich auf Heavens Aussage konzentriert. Sie wusste zwar nicht wirklich viel. Doch dass sie erzählte, dass Daniel immer mit blutroten Flecken nach Hause kam und ihr gedroht hatte, war besser als gar nichts und half den Beamten.
Kurz nachdem alles aufgenommen worden war, kam Mr. Winter mit einem Pappbecher in der rechten Hand, der allen Anschein nach mit Kaffee gefüllt war, zu den vieren. Er warf einen Blick auf Blakes leeren Platz und sah dann fragend in die Runde.
„Wo ist Mr. Smith?"
„Der hat einen Anruf bekommen und musste ins Krankenhaus zu seiner hochschwangeren Frau, die ihr Kind bekommt", berichtete Peter.
„Frau? Schwanger?", fragte Mr. Winter sichtlich verwirrt und Peter sowie Simon nickten. Sie sahen ihren Chef mit fragendem Blick an.
„Eins ist klar: Smith hat gelogen. Entweder hat er mir verheimlicht, dass er eine Frau, die dazu noch schwanger ist, hat oder er ist nicht im Krankenhaus", erklärte dieser seinen Beamten.

Ein Klingeln drang aus dem Büro des Chefs hervor. Das Telefon. Mr. Winter trat in sein Büro und nahm den Anruf an.

Ausbruch


Nachdem Mr. Winter aufgelegt hatte, kam er wieder zu seinen Angestellten und Heaven. An seinem Blick konnten sie erkennen, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Das war gerade der Gefängnisleiter", erklärte er. Dann sah er zu Heaven. „Daniel Blackburn ist vor kurzem ausgebrochen."
Besorgt sahen alle zu dem Mädchen. Sie war fassungslos: „Wie? Wie konnte das passieren?"
„Einige Wächter wurden getötet, weitere niedergeschlagen oder schwer verletzt", gab er wider, was der Gefängnisleiter ihm erklärt hatte. „Er hat das sicher nicht allein gemacht."

Wenige Minuten später betrat Blake die Abteilung. Auf seinem Weg zum Schreibtisch sah er mit verdutztem Blick zwischen den Beamten und Heaven hin und her.
„Ist etwas passiert?"
Alle nickten.
„Blackburn ist ausgebrochen", klärte ihn Josh auf.
„Oh. Das ist wirklich schrecklich." Blake sah auf seinen Schreibtisch.
„Dafür haben wir jetzt aber Heavens Aussage", meinte Simon.
„Ehrlich?" Blake sah wieder auf. „Das ist ja mal ein guter Anfang."
„Und ein genauso guter wäre es, wenn Sie mir sagen würden, was heute Vormittag wirklich vorgefallen war. Sie haben mich angelogen und ich kann es nicht leiden", rief Mr. Winter in rauen Ton und sah den Jüngling ernst an. „Wieso haben sie mir verschwiegen, dass Sie eine hochschwangere Frau haben?"
„Ja, das tut mir leid." Blake rutschte auf seinem Stuhl herum. „Ich war so aufgeregt beim Vorstellungsgespräch, dass ich einfach vergessen hatte, das zu erwähnen. Wird nicht wieder vorkommen."
„Das hoffe ich für Sie!", rief der Chef. Dann sah er durch die Runde. „Tun Sie alles dafür, dass Blackburn wieder eingefangen wird!" Er sah Heaven besorgt an. „Es sollen nicht noch mehr Personen sterben."
„Was ist eigentlich mit dem Mann, der uns erst dazu gebracht hatte, dass wir ihn fassen konnten?", fragte Simon nach, kurz bevor der Chef in sein Büro gehen konnte.
„Der ist heute Morgen nicht mehr aufgewacht. Er erlitt seinen Verletzungen", antwortete der Chef und verschwand.

Heaven sah Simon an: „Was für ein Mann?"
„Dienstagmorgen in aller Frühe ging ein anonymer Notruf bei uns ein. Von einer Telefonzelle bei der Promenade. Als acht Kollegen dort ankamen, lag der Anrufer schwer verletzt auf dem Boden. Er war Mitte zwanzig. Sofort wurde er ins Krankenhaus gebracht.
Während man auf den Krankenwagen wartete, vernahm man Schüsse.
Die Beamten teilten sich auf, doch bis auf Blackburn konnten alle seiner Verbündeten flüchten, ohne erkannt zu werden.
Am Vormittag befragten wir den jungen Mann, doch bis auf die Beschreibung von dunklen Gestalten konnte er keine weiteren Angaben machen. Deshalb waren wir..."
„Ja, das reicht. Den Rest kenne ich", unterbrach Heaven Simon.

Ein Telefon klingelte. Blake fasste sich in die rechte Hosentasche und zog sein Handy heraus. Alle, auch Heaven, wandten sich ihm zu. Blake nahm den Anruf an und sagte seinen Nachnamen.
Das weitere Gespräch bestand daraus, dass Blake dem Anrufer gespannt zuhörte und manchmal mit "Ja" und "Okay" antwortete.
Nach rund fünf Minuten beendete er den Anruf und ließ das Handy wieder in die Hosentasche wandern.
„Was ist?", fragte Simon ihn.
„Ähm... Das war nur noch mal das Krankenhaus. Nur ein paar Informationen über das Kind", meinte er.
Simon zog eine Augenbraue hoch, doch er fragte nicht weiter nach. Dann wandten sich die Beamten wieder Heaven zu.
„Wir werden ab jetzt immer in deiner Nähe sein. Wenn irgendwas passiert, greifen wir ein", informierte Josh sie und sie nickte kaum merklich.

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Tag der Veröffentlichung: 17.11.2012

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