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Prolog


"Sam?", fragte Matthias seine beste Freundin Samantha. "Kommst du heute Abend auch zu der Halloweendisco?"
"Matt. Beim besten Willen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich mit diesen merkwürdigen Schmerzen kommen kann." Sie verzog das Gesicht.

Diese Schmerzen! Seit ihrem 14. Geburtstag vor zwei Wochen wurde sie in unregelmäßigen Abständen und Stärken davon gequält. Sie wusste nicht warum und wo diese das nächste Mal auftreten würden.

"Komm schon. Die ganze Klasse geht hin." Matt sah sie mit diesem Blick an, bei dem sie nicht nein sagen konnte.
Sam seufzte: "Okay. Meinetwegen. Aber nur, wenn mich deine Eltern im Notfall nach Hause bringen."
"Klar doch. Dann bis heute Abend!" Er lächelte und verließ das Schulgebäude.

Sam hatte Glück. Ihr Vater war noch im Krankenhaus bei der Arbeit. Sonst hätte er sie wegen ihrem beinahe Zusammenbruch kurz nach dem Abendessen nicht zur Veranstaltung gehen lassen.

Pünktlich um acht wurde Sam zu Hause abgeholt und zusammen mit Matt zur Schule gebracht. Der Abend konnte beginnen.
Tatsächlich war Sam schmerzfrei am Tanzen mit Matt und ein paar weiteren Freunden.
Doch nach fast zwei Stunden, als sie auf der Toilette war, zuckte ihr ganzer Körper und die plötzlich folgenden Schmerzen ließen ihr einen Schrei entfahren.
Kurz darauf war alles wieder normal, doch Sam wollte nur noch nach Hause.

Sie sagte Matt Bescheid, der sofort seine Eltern anrief, die sie dann kurz darauf schon nach Hause brachten.
Dort angekommen, spurtete sie in das Badezimmer und konnte sich gerade noch auf den Toilettendeckel setzen, ehe ihr ganzer Körper heftig erzitterte, gefolgt von noch heftigeren Schmerzen als in der Schule, die Sam in die einsetzende Dunkelheit leiteten.

Montagmorgen


9 Monate später

Es war einer dieser schönen warmen Julimontage, als Matthias mit dem Bus zum Gymnasium in der Stadt Aestiva fuhr, die rund 34.000 Einwohner hatte.

Im großen Backsteingemäuer mit anschließender Turnhalle und dutzenden Fahrradständern, von denen schon mehrere belegt waren, angekommen, bog er zum Vertretungsplan ab, der auf einem dunklen Flachbildfernseher angezeigt wurde. Die anderen Schüler plauderten über ihr Vorhaben in den Sommerferien in zwei Wochen, während Matthias feststellte, dass seine achte Klasse keine Vertretung hatte und er sich zum Klassenraum begab.

Er war schon fast dort angekommen, als dieser von einer Lehrkraft aufgeschlossen wurde und die Mitschüler sich hineindrängelten.
Matthias setzte sich auf seinen Platz, zog seinen schwarzen MP3-Player aus seiner blau-weiß gestreiften Bermuda, machte ihn aus und wickelte die Kopfhörer drum, ehe dieser wieder in seiner Hosentasche verschwand.
Im selben Moment wurde er von einem kühlen "Hi Matt", das von rechts neben ihm kam, begrüßt.
Matthias drehte sich um und sah direkt in die braunen Augen seiner besten Freundin Samantha Shade, die ihre Füße zwischen die Doppeltischplatte und dem parallel verlaufenden blauen Balken gedrückt hatte und mit ihrem Stuhl sanft hin und her wippte.
"Hi Sam", erwiderte Matt. Sam drehte ihr Gesicht weg und ließ langsam schweigend und ziellos ihren Blick durch den großen, quadratischen, gelben Raum schweifen, bis der Unterricht begann.

Nach sechs Stunden, die Matthias unendlich lang vorkamen, ging er zur Bushaltestelle, während Samantha zu den Fahrradständern abbog. Während er gute zehn Minuten auf den stickigen Bus warten musste und nach weiteren zehn zu Hause war, konnte sie den Fahrwind genießen, bis sie nach einer viertel Stunde nähe der Innenstadt zu Hause war.


Nach den Hausaufgaben legte sich Matt aufs Bett und dachte über Sam nach.

Als sie nach zwei Monaten wieder in der Schule auftauchte und ihren gewohnten Platz neben ihm aufnahm, freute er sich und wollte wissen, was passiert war, worauf sie sich zu ihm umdrehte, irgendetwas zu riechen schien und "interessiert dich nicht" erwiderte.
Zuerst dachte Matt, dass sie vielleicht nur einen schlechten Tag hätte.
Als sie am nächsten Tag immer noch so zu ihm war, dachte er, dass Sam vielleicht ihre Tage hätte.
Als sie aber die nächsten Tage, Wochen und Monate immer noch so drauf war, hatte er keine Erklärung dafür.

Sie hatte sich zwar überhaupt nicht im Aussehen geändert; Immerhin hatte sie immer noch ihre fast schulterlangen, welligen dunklen Haare, die ihren schimmernden Braunton erst richtig im Sonnenlicht zeigten und ihre braunen Augen. Ebenso hatte sie immer noch den selben Kleidungsstil; momentan trug sie wegen der Wärme T-Shirt, 3/4-Hose und Turnschuhe. Auch hatte sie eine normale Figur und trug wie schon zuvor kein Make-Up.

Aber ihr Charakter hatte sich verändert. Früher war sie etwas still im Unterricht gewesen. Aber dennoch hatte sie mit ihren Freunden fröhlich geplaudert und vertraute Matt. Auch hatte sie einen Sinn für Humor mit einem Hauch Sarkasmus gehabt und beantwortete Fragen gerne und auch teilweise schlagkräftig.
Und nun? Sie redete kaum noch mit jemandem, wich Fragen nur noch aus und war total kalt zu ihrem besten Freund.
Er wusste noch, wie er beim ersten Besuch bei ihr herausfand, dass ihre Mutter als Sam zwei Jahre alt war bei einem Autounfall ihr Leben verlor und sie mit ihrem Vater von Sundown Valley nach Aestiva gezogen war, um ein neues Leben zu beginnen. Seit diesem Punkt an waren sie immer für einander da gewesen und bauten Vertrauen auf.
Und nun war sie so abweisend zu ihm.

Mein verdammtes Schicksal


Samantha:

Er tat mir leid. Auch wenn er mein bester Freund war. Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich konnte ihm einfach nichts von den Ereignissen, die passiert waren, nachdem ich von der Halloweendisco nach Hause gekommen bin, sagen. Auch konnte ich ihm von meinem Schicksal und meinem Geheimnis, besser gesagt, dem meiner Familie und den damit zusammenhängenden Gefahren erzählen.
Ich konnte ihm nicht die Gründe für meine Schmerzen damals, noch die von meiner Abwesenheit mitteilen. Es ging einfach nicht.

Und selbst, wenn ich es täte - er würde mir nicht glauben.
Mir sagen, dass ich lüge. Meinen, dass ich es mir nur einbilde oder es mir nur wünsche.

Doch letzteres stimmt überhaupt nicht.
Ganz im Gegenteil. Ich wünschte mir, es wäre nie, niemals passiert. Aber ich kann es nicht ändern. Es ist mein Schicksal und das meiner Familie, so zu leben.

Es schmerzte mich immer noch, dass mein Vater mich nicht darauf vorbereitet hatte. Er hat mir überhaupt nichts erzählt. Erst nachdem es passiert war, rückte er mit der Sprache raus.
Somit erfuhr ich auch, dass meine Mutter nicht bei einem Autounfall ums Leben kam, sondern kaltblütig ermordet wurde und wir deswegen aus Sundown Valley hierher geflüchtet sind.

Ich konnte meinem Dad nicht verzeihen, dass er mich nicht vorbereitet hatte, obwohl er von meiner Mom wusste, dass es irgendwann passieren würde und er die Symptome dafür kannte.

Somit konnte ich mit niemandem über mein Leben und meinen Problemen damit reden.
Ich war auf mich allein gestellt.

Ich kann dir nicht die Wahrheit sagen


Am nächsten Tag lief es nicht besser. Samantha betrat den Klassenraum, packte die benötigten Mathesachen auf den Tisch und wartete schweigend, den Kopf auf die rechte Hand gestützt, auf den Beginn des Unterrichts.

Matthias wollte von Tag zu Tag mehr wissen, was mit ihr los ist. Er wollte ihr doch nur helfen. Wieso behandelte sie ihn wie den letzten Mist? Sie redete mit niemandem mehr. Nicht mit ihm, nicht mit ihren anderen Freundinnen Hanna und Vanessa. Mit niemandem. Es sei denn, sie meldete sich, um etwas zum Unterricht beizutragen und wurde dran genommen oder wenn der Lehrer sie ohne ihre Meldung dran nahm. Sonst schwieg sie und beachtete niemanden. Nie zuvor war sie so gewesen. Aber ganz plötzlich war sie so schweigsam. Was war passiert?

„Matthias! Hallo! Schläft du oder was?“, drang die Stimme der Mathelehrerin zu ihm vor.
„Was ist?“, fragte er völlig neben sich.
„Das Ergebnis. Kannst du mir das Ergebnis dieser Aufgabe sagen?“
„Ähm…“ Er sah sich immer noch vollkommen neben der Spur die Aufgabe an der Tafel an.
„Mist!“, fluchte er leise.
„14, die Antwort ist 14“, hauchte Sam.
„14?“, fragte Matt die Lehrerin und diese nickte.
„Hat aber etwas gedauert. So nun…“ Den Rest bekam Matt nicht mehr mit. Er drehte sich zu Sam um und flüsterte ein „Danke“, worauf diese nur mit den Schultern zuckte und sich wieder dem Unterricht zu wandte.

Wieso half sie ihm mit der Aufgabe? Sie schwieg ihn doch nur noch an! Er war ihr doch egal geworden und nun das? Was war ihr Problem? Warum war sie auf einmal so anders?

Der restliche Schultag zog sie in die Länge und somit seufzte Matt erleichtert auf, als es endlich zum Ende der vierten Stunde klingelte. Zum Glück fielen heute die letzten beiden Stunden aus, denn er wusste nicht, wie lange er es noch ausgehalten hätte. Noch bevor Sam das Schulgebäude verlassen konnte, wurde ihr der Weg durch Matt versperrt.

„Was?“, zischte sie ihn an.
„Warum bist du so kalt zu mir? Was ist mit dir los?“
„Nichts. Rein gar nichts. Und jetzt hau‘ ab.“ Sie setzte sich in Bewegung und ging an Matt vorbei, doch so leicht ließ er sich bestimmt nicht abwimmeln und stellte sich wieder vor sie.
„Das glaube ich dir nicht. Was ist los, verdammt? Sam, sage mir die Wahrheit!“
Sie gab einen langen Seufzer von sich. „Ich kann dir die Wahrheit nicht sagen. Ich kann es einfach nicht. Und selbst wenn ich es täte – du würdest lachen, mir sagen, dass ich lüge, mich für verrückt halten“, meinte sie mit ruhiger Stimme. „Und glaube mir: Es ist besser so für dich.“
„Wieso?“
„Weil es einfach so ist, Matt.“ Sie erhob ihre Stimme. „Und du solltest besser deine bescheuerte Nachfragerei lassen, wenn dir dein Leben lieb ist, verstanden?“
Matt wusste nicht so recht, was er entgegnen sollte.
„Verstanden?“, wiederholte Sam im gleichen Tonfall. Er nickte nur.
„Gut!“ Mit diesem Wort ging sie an ihm vorbei. Als er sich umdrehte, war sie schon verschwunden.

Besuch im Krankenhaus


Nachdem die Schulwoche halbwegs gleich verlaufen war, beschloss Matt, am Samstag nach dem Mittagessen zum Krankenhaus zu fahren.
Er verhoffte sich, wenigstens etwas bei ihrem Vater herauszufinden, weil er zu ihm schon von Anfang an einen guten Draht hatte. Direkt nach dem Mittagessen fuhr er los, denn soweit er wusste, müsste Michael Shade in dieser Woche Frühschicht haben.
Matt brauchte 20 Minuten mit dem Bus zum Krankenhaus am Stadtrand von Aestiva.
Er betrat das große weiße Gebäude und ging auf die Information zu, in der eine etwas ältere rothaarige Frau saß.
„Hallo. Ich möchte gerne mit Doktor Shade sprechen.“
„Gerne. Warte kurz, ich frage mal nach.“ Während sie nach dem Telefon griff, bat sie Matt, noch seinen Namen zu sagen. Dann wartete sie eine Weile und fragte bei der Person am anderen Ende der Leitung. Nachdem sie wieder aufgelegt hatte, meinte sie zu Matt, dass Doktor Shade gleich zu ihm kommen würde.
Matt nahm auf einen der Stühle Platz und musste nicht lange warten, da kam der dunkelhaarige Erwachsene schon die Treppe hinunter und ging auf ihn zu. Als Michael ihn erblickte, lächelte er diesen freundlich an.
„Hi Matt! Was machst du denn hier?“
„Mike, ich habe ein Problem und gehofft, dass du mir weiterhelfen könntest.“
„Was denn für ein Problem?“ Mike sah ihn fragend an und das Lächeln wurde schmaler.
„Sam. Sie…sie ist so kalt zu mir und redet kaum noch ein Wort. Was ist mit ihr los? Was ist passiert, dass sie so ist, Mike? Ich habe sie schon gefragt, aber dann meckert sie mich nur an, ich solle aufhören nachzufragen und würde die Wahrheit sowieso nicht verstehen.“
„Tut mir Leid Matt, ich kann dir da auch nicht weiterhelfen.“ Mikes Lächeln war nun völlig verschwunden. „Es ist auch besser so, wenn du nicht weiß, was los ist, glaub mir.“
„Wieso? Ich will ihr doch nur helfen!“
„Ich doch auch. Aber sie lässt mich nicht mehr an sich heran. Und wenn ich es nicht schaffe, ihr zu helfen, wie willst du das hinbekommen? Ich muss jetzt aber auch wieder hoch und weiter arbeiten. Auf Wiedersehen!“ Im Gegensatz zu Sam sprach er die ganze Zeit mit einer ruhigen Stimme. Trotzdem war er von Michaels Verhalten enttäuscht. Er verließ das Krankenhaus und ging mit gesenktem Kopf Richtung Bushaltestelle, bis er gegen irgendjemanden stieß.
„Tschuldigung“, murmelte er und wollte weitergehen. Doch er wurde am Arm fest gepackt und gegen die Wand gedrückt.
„Ich habe dir doch ausdrücklich gesagt, dass du deine Nachfragerei lassen sollst!“
„Sam!“ Matt war erschrocken, als er sah, wer ihn gegen die Wand presste.
„Ja, ich. So ist das also. Wenn du nichts aus mir herausbekommst, versuchst du es bei meinem Dad. So wie ich sehe, hat er aber dicht gehalten. Aber eins lass dir nochmals gesagt sein, Matthias Braun: Hör mit deiner dämlichen Nachfragerei auf! Schlag dir solche Aktionen wie die gerade eben aus dem Kopf, kapiert?“
Als Antwort erhielt sie ein Nicken. Sie schleuderte ihn auf den leeren Weg.
Nachdem Matt sich wieder aufgerappelt hatte, sah er sich um. Wieder einmal war Sam schon verschwunden.

Falsche Wahrheit


Samantha:

Spinnt Matt? Meint er tatsächlich, dass er, wenn er von mir nichts erfährt, meinen Dad ausquetschen kann? Das ist doch nicht sein Ernst! Allerdings faszinierte mich sein Interesse an meinem Geheimnis. Aber das bewirkte auch, dass er mich unendlich damit nervte, bis er mal etwas erfahren würde.
Aber Moment! Er will doch etwas, irgendwas erfahren. Was wäre, wenn ich ihm eine, ich nenne es mal ‚falsche Wahrheit‘ erzähle? Wird er sie mir glauben? Wenn ja, was ich vermute, wird er mich dann endlich in Ruhe lassen? Würde er dann nur noch normal mit mir sprechen und die Sache mit dem Geheimnis vergessen? Ich konnte es nur hoffen. Was mir dann nur noch fehlte, war eine Erklärung dafür, warum ich ihn auf den Boden geschleudert hatte. Nun würde der Ärmste nämlich ein paar blaue Flecken mit sich herumtragen. Aber dafür werde ich auch noch eine glaubhafte Erklärung finden. Nämlich die, dass er mich so wütend mit seiner Aktion gemacht hatte. Er wird mir diese Kleinigkeit schon glauben, solange der Rest glaubwürdig ist.
Ich würde mich heute Abend noch mit ihm treffen und mit ihm zum Schein ein Eis essen, wie vor dem Ereignis, damit es noch glaubhafter wirkt und ihm die falsche Wahrheit erzählen. Hoffentlich kappt es gut und ich habe meine Ruhe. Nicht weil ich kein Bock mehr auf ihn habe, sondern weil ich will, dass er so bleibt, wie er ist und keine Angst vor mir haben muss.
Dies würde der einzig richtige Weg im Moment sein, die Frage nach meinem Geheimnis zu umgehen und trotzdem unsere Freundschaft, die mir so viel bedeutete, aufrecht zu erhalten.
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Matts Handy zeigte eine neue SMS an. Von Sam:
Hey Matt!
Tut mir leid wegen vorhin. Ich war bloß so wütend über deine Aktion. Wie wär’s? Wollen wir uns gleich beim Eiscafé treffen?


Er überlegte kurz, was er ihr antworten sollte. Immerhin tat ihm immer noch der Rücken wegen ihr weh. Aber vielleicht würde sie ihm dann endlich die Wahrheit sagen? Ein Versuch wäre es ja wert.
Okay, Sam. Bis gleich!


Matt stieg aus dem Bus, der gerade gekommen war und ihn nach Hause bringen sollte und ging Richtung Innenstadt. Es war mittlerweile 14 Uhr und sie war dementsprechend voll. Vor dem vereinbarten Treffpunkt sah er schon Sam stehen und ging auf sie zu.
„Hi! Da bist du ja. Wie geht es deinem Rücken?“, fragte sie ihn, nachdem er sich den schmerzenden Rücken hielt.
„Alles gut. Danke der Nachfrage“, fuhr er sie an. Beide bestellten sie je eine Kugel Stracciatella in der Waffel und gingen dann Richtung Park, der sich direkt hinter der Innenstadt mit all seinen alten Gemäuern und kleinen Gassen befand und in dem sich ein See war. Zu dieser Jahreszeit war der Park schön hellgrün und Matt und Sam setzten sich auf eine Bank in der Nähe des kleinen Sees, auf dem ein paar Enten schwammen.
Nachdem jeder mit seinem Eis fertig war, begann Matt das Gespräch:
„Also, Sam. Warum wolltest du mich sehen?“
„Weil du doch unbedingt wissen willst, was mit mir los ist.“ Sie seufzte und sah ihn.
„Ja, und? Komm‘ schon. Bitte sag‘ es mir.“
„Ich…“, begann sie und dachte nach, wie sie es ihm sagen sollte.
„Ja? Du weißt doch, dass dein Problem bei mir sicher ist. Also raus mit der Sprache“, forderte Matt und Sam seufzte abermals.
„Ich…ich habe…jemanden verloren…der mir sehr wichtig war“, meinte sie mit leicht zitternder Stimme und Matt schien es tatsächlich zu glauben.
„Oh, das tut mir sehr leid“, versuchte Matt sie aufzumuntern, „dürfte ich fragen, wer?“
„Meine Oma“, seufzte Sam, „Auch wenn ich sie kaum kannte, ist es schlimm, vielleicht sogar deshalb. Aber das braucht dir nicht leid tun. Nimm es einfach so hin.“
„Okay. Aber warum hast du mich zu Boden geworfen?“, hakte Matt nach und hielt sich abermals den schmerzenden Rücken.
„Weil ich so wütend über deine Aktionen war. Es tut mir leid. Mir fällt gerade ein, dass ich noch ein paar Dinge zu erledigen habe. Ich muss nach Hause“, erklärte Samantha und stand auf. Matthias verstand es und verabschiedete sich von ihr, ehe sich beide auf den Weg nach Hause machten.

Nervende Freunde


Würde es im Bus keine Fenster geben, die man am oberen Rand aufklappen kann, wäre Matthias erstickt. Umso erleichterter war er, als der Bus endlich an der Bushaltestelle des Gymnasiums anhielt, die Türen aufgingen und er der stickigen Hölle auf Rädern entkommen konnte.
Er machte sich auf den Weg zum Klassenraum, der schon offen war und setzte sich auf seinen Platz. Dann packte er seine Deutschsachen aus und sah durch das blendende Sonnenlicht genervt in Richtung Tafel, wobei gerade Sam den Raum betrat und ihn anlächelte. Ihr sehr dunkles Haar zeigte im Sonnenlicht seinen bräunlich-roten Ton.
„Hi! Na, wie geht’s dir und deinem Rücken?“, fragte sie ihn, nachdem auch sie ihre Deutschsachen ausgepackt und ihren Platz neben ihrem besten Freund eingenommen hatte.
„Eigentlich ganz gut. Solange mir keiner draufhaut…“
„…und dir nicht die Rippen bricht, ist alles okay“, ergänzte sie.
Im selben Moment kamen Hanna und Vanessa, ihre Freunde aus der Parallelklasse zu ihnen. Hanna sah Sam kurz an, dann blickte sie zu Matt.
„Hält sie immer noch die Klappe und spricht nur, wenn sie vom Lehrer dran genommen wird?“, fragte sie ihn bissig.
„Hanna, sei mal etwas freundlicher zu ihr! Sie musste in letzter Zeit etwas Schlimmes verkraften!“, entgegnete er.
„Ach, und das wäre?“, fragte Hanna und zog eine Augenbraue hoch.
„Sie hat jemanden verloren, der ihr sehr nahe stand. Und du gehst so scheiße mit ihr um!“
Matthias hat ganz zu Samanthas Gefallen die Lüge also ehrlich geglaubt. Während die beiden ihre Meinungsverschiedenheit versuchten, aus dem Weg räumten, wandte sich Vanessa Sam zu:
„Ehrlich? Das erklärt deine Schweigsamkeit natürlich. Tut mir leid. Wer ist denn verstorben, wenn ich fragen darf?“
„Ach, ist schon okay. So langsam verkrafte ich das“, erwiderte Samantha, „Die Verstorbene ist meine Oma.“
„Und ich dachte, du willst mit uns nichts mehr zu tun haben. Aber bei Hannas Art kann ich das auch verstehen“, meinte Vanessa grinsend.
„Was hast du gerade gesagt?“ Hanna entging der Kommentar anscheinend nicht.
„Mensch, komm‘ mal wieder runter“, meinte Sam nur gleichgültig zu ihr. Hanna stürmte aus dem Raum. „Weiber!“ Matt verdrehte die Augen und grinste, wodurch er sich eine leichte Ohrfeige von Vanessa einfing.
„Hat sie ihre Tage oder so? Oder wurde sie mal wieder von einem Jungen verarscht?“, hakte Samantha nach.
„Nicht das ich wüsste. Du weißt ja, wie sie manchmal ist“, entgegnete Vanessa. Es klingelte zur ersten Stunde und auch sie verließ den Raum, nachdem sie sich verabschiedet hatte.

Nun trat die Deutschlehrerin ein und der Unterricht begann damit, dass sie wie immer, wenn Zeit dazu war, aus einem Buch vorlas. Diesmal las sie nicht nur für ein paar Minuten, sondern beide Stunden. Das war das Schöne daran, wenn die Ferien bald anstanden. Wenig Unterricht mit kaum Hausaufgaben und noch weniger aufpassenden Schülern, denen die bevorstehenden Wochen wichtiger waren als die Schule.
Nach Deutsch war Englisch dran. Montag war der sogenannte ‚Sprachentag‘, weil man beide Fremdsprachen und Deutsch an einem Tag hatte.

Doch zuerst war große Pause und Sam ging zusammen mit Matt zum Vertretungsplan, wo sie wieder einmal auf ihre Freunde Vanessa und Hanna trafen, wobei sich Sam überlegte, ob man letztere im Moment so bezeichnen könne und sich zwischen Matt und Vanessa stellte. Wieder einmal hatte Sams Klasse keine Vertretung im Gegensatz zu Vanessas und Hannas.
„Wie hast du sie bloß im Unterricht ausgehalten? Wie kannst du bloß mit ihr in eine Klasse gehen?“, fragte Sam Vanessa gespielt vorwurfsvoll und grinste Hanna dabei an.
„Eigentlich ging es. Sie hatte nur eine leichte Stimmungsschwankung“, meinte Vanessa nur.
„Oh mein Gott, Vani! Sie ist doch nicht etwa schwanger?“ Sam musste über ihre eigene Frage lachen.
„Nein, Sam. Sowas nennt man Pubertät“, war Matts Antwort.
„Bist du dir da wirklich sicher?“, fragte Sam und Matt nickte. „Okay, wenn du meinst…“
„Ihr wisst schon, dass ich auch hier bin?“, mischte sich Hanna ein.
„Ja, wieso? Ist irgendwas?“, fragte Sam.
„Nein, überhaupt nicht!“, gab Hanna sarkastisch zurück.
„Dein Pech. Hättest nicht so mit mir umspringen sollen.“
„Mein Gott, es tut mir leid. Ich war bloß eh schon genervt wegen meiner Mutter. Die ist mir heute Morgen so auf die Nerven gegangen. Ich wusste ja nicht, dass du jemanden wichtigen verloren hast“, entschuldigte sich Hanna. Sam dachte nach. Sollte sie diese Entschuldigung annehmen? Wäre besser so. Kann ja jedem mal passieren.
„Okay. Entschuldigung angenommen.“ Nun war die Sache vom Tisch und die Pause auch bald vorbei. Die kleine Clique trennte sich und jeder ging zu seinem Raum.

Englisch und selbst das langweiligste Fach überhaupt, nämlich Latein, gingen schnell vorüber, da nur Spiele gespielt worden waren. Somit machten sich Samantha und Matthias auf den Weg nach Hause, doch kurz bevor Sam das Gebäude verlassen konnte, fragte Matt sie, was sie denn machen würde.
„Eigentlich nichts Besonderes. Wieso?“
„Weil ich die ersten drei Wochen auch nichts vor habe. Vielleicht können wir dann schwimmen gehen oder so?“
„Ja, warum nicht? Na dann. Ersticke mir aber nicht im Bus.“ Sie lachte.
„Keine Angst. Wird schon nicht passieren. Bis morgen!“
„Tschüss!“

Urlaubsplanung


Als Sam zu Hause ankam, war ihr Vater noch auf Arbeit. Da er diese Woche Frühschicht hatte, müsste aber auch er bald da sein. Deswegen machte sie es sich mit ihrem Essen auf dem Sofa bequem.

Schon bald öffnete sich auch die Haustür und ihr Vater betrat das geräumige Wohnzimmer.
„Hi Dad!“, begrüßte sie ihn auf dem Weg zum Mülleimer.
„Hallo meine Kleine.“
Sam verdrehte die Augen. „Ich bitte dich! Ich bin nicht klein!“
„Du bist noch nicht mal 1,70 m, aber meinst, dass du groß bist?“, meinte er mit einem Lächeln.
„Okay, vergessen wir das Thema ganz schnell. Mal was anderes: Matt hat mich heute gefragt, ob ich was in den Ferien vorhätte, weil er die ersten drei Wochen nichts zu tun hat. Hast du einen Vorschlag?“
„Er meinte, dass wir zu ihm kommen könnten“, dachte Michael laut.
„Wer ist er? Und wohin könnten wir kommen?“, hakte Sam nach.
„Ich habe gestern Abend noch mit Damian deswegen geschrieben und…“
„Damian?“, unterbrach Sam ihn. „Der Damian?“
„Ja, ich meine deinen Onkel Damian. Und unterbrich mich bitte nicht. Er freute sich über meine Mail und meinte, dass wir unsere Familie in Sundown Valley besuchen könnten. Ich habe ihm noch keine Antwort gegeben, weil ich dich erst mal fragen wollte, ob es für dich okay ist.“
„Klar! Warum nicht?“, platzte es aus Sam raus. „Darf Matt auch mitkommen?“
„Wenn er denn darf. Ich glaube nicht, dass dies ein Problem darstellt. Wir können Damian ja mal fragen.“

Mike fuhr den Computer hoch und öffnete das Mailprogramm. Er schrieb, dass sie gerne kommen würden und fragte nach, ob ein Kumpel seiner Tochter mitkommen dürfte.
Lange brauchten sie nicht auf die Antwort warten:
‚Natürlich, warum nicht. Das freut mich aber. Kristina würde es bestimmt auch gut tun, euch zu sehen. Ich weiß noch nicht, wie Samuel es finden wird, dich zu sehen, aber auf Samantha wird er sich bestimmt genauso freuen, wie wir alle. Wann möchtet ihr denn kommen und wie lange? Um eine Unterkunft bräuchtet ihr euch nicht zu kümmern, ihr würdet bei uns wohnen. Ach, außerdem: Was ist eigentlich aus deinem süßen, kleinen Mädchen geworden?‘
„Natürlich sobald wir den ersten Flug kriegen. Und wenn es Last Minute sein muss. Ach ja, wie wär’s mit zwei Wochen?“, meinte Sam.

‚Sams Sommerferien starten in zwei Wochen. Wir würden dann mit dem ersten Flieger kommen, den wir dann bekommen und für ungefähr zwei Wochen bleiben, wenn das okay für euch ist. Was das ‚süße, kleine Mädchen‘ betrifft: Es ist ein großer, bockiger Teenager draus geworden‘, tippte Mike grinsend zurück.
Wieder musste man nicht lange auf die Antwort warten:
‚Ist okay. Kein Problem. Wir freuen uns schon auf euch! Ich glaube, wir werden uns trotzdem gut verstehen. Dann machen wir das so, dass du mich im Flughafen anrufst, damit ich euch abholen kann. Bis dann, Damian‘

„Okay, der große, bockige Teenager fasst mal zusammen: Meinetwegen Matt darf – was ich auch annehme- mitkommen. Wir buchen den erstbesten Flug nach Sundown Valley und machen dort für zwei Wochen Urlaub, wobei wir bei unserer Familie wohnen. Richtig?“, fragte Sam zur Sicherheit noch einmal nach.
„Ganz genau“, bestätigte ihr Vater.
Samantha holte ihr Handy aus der Hosentasche und wählte Matts Nummer. Sie musste ein paar Sekunden warten, bis er ranging.
„Ja?“, fragte er.
„Hi, Matt. Du, ich habe in den ersten zwei Wochen etwas vor…“
„Naja, macht nichts.“
„Unterbrich mich bitte nicht. Ich wollte fragen, ob du mitkommen willst? Nach Sundown Valley?“
„Doch nicht DAS Sundown Valley, oder?“ Matt konnte nicht glauben, was er hörte.
„Oh doch. Wir würden bei meiner Familie wohnen und die Flugkosten übernehmen. Also, möchtest du? Denk aber daran, deine Eltern zu fragen.“
„Natürlich. Warte kurz, ich frag sie mal.“ Sam konnte hören, wie Matt, seine Eltern fragte und freute sich, als sie dessen Antwort mitbekam. Seine Eltern hatten nichts dagegen. Sie kannten Sam und ihren Vater gut und wussten, dass ihr Sohn in guten Händen sein würde.
„Wie toll ist das denn? Wir fahren zusammen zu meiner Familie! Mein Dad will gleich zum Reisebüro gehen. Ich sage dir dann morgen alles Weitere, okay? Bis dann, tschüss!“, verabschiedete sie sich und beendete das Gespräch.
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Nach ungefähr einer Stunde kam Michael Shade wieder. „Perfekt! Wir fliegen am ersten Ferientag, also Montag los. Es waren noch genau fünf Plätze frei.“
„Und jetzt sind es nur noch zwei“, freute sich Sam auf den bevorstehenden Urlaub bei ihrer Familie, die sie nach langer Zeit wiedersehen würde.

Die letzten Schultage


Am nächsten Tag wartete Sam mit einem Zettel in der Hand schon in der Schule vor der Aula auf Matt. Es konnte ihr nicht schnell genug gehen, dass er endlich ankam und sie ihm das Blatt geben könnte. Somit erfreute es sie, als sie ihn auf dem Weg vor der Schule erblickte und stürmte in unauffälliger Geschwindigkeit auf ihn zu und übergab ihm den Zettel.
„Okay, danke für die Informationen. Dann komme ich Sonntag gegen vier mit meinen Koffer zu dir und übernachte auf dieser Gästematratze. Ich freue mich schon jetzt, obwohl wir noch eineinhalb Wochen Schule haben“, meinte Matt, nachdem er das Blatt durchgelesen hatte.
Es waren die letzten vier Tage der letzten richtigen Schulwoche. Danach kamen noch das Sommer- sowie das Sportfest und schließlich gab es am Freitag die Zeugnisse und etwas mehr als 1000 Schüler starteten in ihre wohlverdienten Sommerferien.
Obwohl die meisten Lehrer sowieso keinen Unterricht mehr machten und stattdessen vorlasen und Spiele gespielt wurden, gab es dennoch andere, die meinten, nochmal Hausaufgaben aufgeben zu müssen, obwohl man sowieso nur noch eine weitere Doppelstunde hätte. Trotzdem ging die letzte richtige Woche schnell um und die Schüler waren immer mehr mit den Ferienplanungen beschäftigt als mit dem Unterricht.
Schließlich fing die letzte Woche mit zwei Tagen ‚Unterricht‘ an.
Am Mittwoch fand das Sportfest auf dem großen Sportplatz in der Nähe des Gymnasiums statt, wobei Sams Klasse insgesamt recht gut abschnitt und beim Staffellauf sogar den dritten Platz belegte.
Am Donnerstag fand das Sommerfest auf dem Schulhof statt. Mehrere Stände der ungeraden Klassen gab es, an denen man Essen kaufen oder Spiele spielen konnte. Das Wetter war auch gut, denn der Himmel war blau und wolkenlos und die Sonne schien.
Freitag war der Tag der Wahrheit. Die Zeugnisse standen an. Aber vorher wurde der Klassenraum gesäubert, die Tische und die Tafel gewischt. Dann wurden die Schüler nach und nach vorne zum Lehrerpult gerufen, wo sie ihre Zeugnisse von der Klassenlehrerin bekamen. Danach wurden die Noten und der Schnitt verglichen und die meisten schafften den Übergang in die neunte Klasse, wie auch Sam und Matt. Schließlich klingelte es zum Ende der dritten Stunde und die Schüler stürmten aus dem Klassenraum, um sich auf den Weg nach Hause und in die Ferien zu begeben.
Bevor Sam zum Fahrradständer abbog, verabschiedete sie sich von Matt und fuhr dann mit Hanna, mit der sie sich mittlerweile wieder verstand, nach Hause.
Bis ihr Vater zu Hause war, ging Sam in ihr Zimmer und las eine Stunde. Danach fuhr sie ihren Laptop hoch, machte die Musik an und spielte, bis sich die Tür öffnete. Schnell holte sie ihre Zeugnismappe heraus, um sie ihm zu zeigen.
„Gut, du warst mal etwas besser, aber es freut mich, dass du trotz der Umstände so gut warst. Und dafür bekommst du noch was für dein Taschengeld“, sagte Michael zum Zeugnis seiner Tochter und umarmte sie. „Danke Dad.“

Vorfreude


Ungeduldig wartete Sam am Sonntag auf Matthias. Es war kurz nach 16 Uhr und sie stand vor dem Fenster. Jeden Moment müsste er vor dem Haus auftauchen.
Und tatsächlich: 5 Minuten später öffnete sie ihm die Haustür. Matt war mit einem lockeren dunklen Shirt und einer hellen kurzen Hose bekleidet und zog einen mittelgroßen, silbernen Koffer hinter sich her. Dahinter standen seine beiden Eltern. Sam rief ihren Vater zur Tür, um mit Matts Eltern die letzten Dinge zu regeln.
Danach umarmten sie ihren Sohn, der nun das Haus der Shades betrat und seine Sneakers auszog, ehe er von Sam sein Zimmer für diese Nacht gezeigt bekam und den Koffer abstellte.
„Wir haben extra für dich Spaghetti mit Tomatensoße gekocht. Magst du doch bestimmt“, meinte Sam zu ihm.
„Nein, Sam. Überhaupt nicht. Wir kennen uns nun seit rund vier Jahren und du stellst mir diese Frage“, entgegnete Matt ironisch und lachte.
Sie setzten sich an den Küchentisch und besprachen noch einmal den Ablauf des morgigen Tages. Sie würden um 17 Uhr den Flieger nach Sundown Valley nehmen, was bedeutete, dass sie mindestens um 15 Uhr am Flughafen sein mussten. Dann würden sie vier Stunden fliegen. Da Sundown Valley rund sechs Stunden hinter Aestiva lag, würden sie um 13 Uhr ankommen. Sobald sie das Flughafengebäude erreicht haben, würde Mike Damian anrufen, der die drei dann abholen und zu den Shades bringen würde. Der Rest wird sich dann ergeben.
Nachdem alles besprochen und Fragen geklärt wurden, war es schon 22 Uhr und Matt war müde und ging schlafen. Jedenfalls versuchte er das, denn wegen der Vorfreude konnte er nicht einschlafen und wälzte sich im Bett dauernd hin und her, bis er die Decke anstarrte.
„Du schläfst ja noch nicht!“ Matt zuckte zusammen. Sam war mit ihm im Zimmer und hatte ihn allem Anschein nach beobachtet.
„Nein, tue ich nicht. Obwohl ich müde bin. Ich bin zu aufgeregt.“
„Ich freue mich auch schon. Schließe die Augen und versuche dich zu entspannen. Das hilft.“
„Wenn du meinst. Was machst du eigentlich hier? Solltest du nicht ebenfalls schlafen?"
„Ja, schon. Aber ich habe hier die knackenden Geräusche des Lattenrostes gehört und wollte nachsehen. Bis morgen!" Mit einem Lächeln verließ Sam den Raum.
Matt versuchte den Ratschlag auszuführen. Er lag einfach da mit geschlossenen Augen und war nach einiger Zeit tatsächlich eingeschlafen.

Willkommen in Sundown Valley


Matt öffnete vorsichtig die Augen, was er zugleich bereute. Das Sonnenlicht schien direkt in sein Gesicht. Seufzend wälzte er sich im Bett und zog die blau bezogene Decke über den Kopf.
„Aufstehen, Schlafmütze. Wir müssen bald los. Komm schon!“ Sam riss ihm lachend die Decke weg und warf sie sanft in die andere Ecke des Raumes.
Matt rieb sich die Augen und gähnte. „Wie spät ist es denn?“ Ein Kopfnicken Sams in Richtung der Wanduhr verriet ihm, dass er selber gucken musste und sah, dass es kurz nach zwölf Uhr mittags war. „Warum hast du mich denn nicht geweckt?“
„Warum sollte ich? Du hast so fest geschlafen. Und jetzt steh‘ auf, das Mittag wartet. Die restlichen Spaghetti. Wir sehen uns.“ Mit einem Lächeln im Gesicht verschwand sie aus dem Raum und Matt ging ins Badezimmer, um sich fertig zu machen.

Nach einer Weile tauchte er am Mittagstisch mit der gleichen Hose wie am Vortag, allerdings in Kombination mit einem grün-weiß karierten Hemd auf. Sam trug ein blaues Shirt, auf dem ein Strand mit Palmen dargestellt war zusammen mit ihrer geliebten, schwarzen ¾-Hose.
„Guten Morgen. Hast du denn gut geschlafen?“, wurde Matt von Sams Vater gefragt.
„Einen guten Morgen zurück, Mike. Ja, hab‘ ich“, er sah zu Sam, „bis sie meinte, mir die Decke wegzuziehen.“
„Hey! Du warst sowieso schon wach. Ich habe es doch gesehen“, verteidigte sie sich. Michael Shade lachte.
„Matt, du solltest mal anfangen zu essen. Guten Appetit“, meinte er zu ihm.
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Nachdem Matt es endlich geschafft hatte aufzuessen und er mit den Shades nach einer kurzen Autofahrt im nahe liegendem Flughafen stand, lief er die ganze Zeit neben der kleinen Familie her, die nur ganz kurz stehen geblieben war, um zu sehen, von welchem Gate ihr Flieger abgehen würde.
Nachdem alles weitere, angefangen bei der Durchsuchung bis vor Vorzeige des Flugtickets und dem Start des Flugzeugs, erledigt war und die drei nun endlich auf dem Weg nach Sundown Valley waren, hatte Matt nichts Besseres zu tun, als zu ruhen, während Sam aus dem Fenster sah und zwischen ein paar Wolken mal einen sehr klein aussehenden Teil eines Zuges und ein Haus sehen konnte.
Der Flug an sich verlief planmäßig und ohne Turbulenzen oder andere Vorkommnisse. Kurz bevor die Landung anstand, weckte Sam ihren Kumpel auf, der mittlerweile eingeschlafen war.
„Alter, Matt. Du hast schon zu viel geschlafen. Nun hast du die ganzen Wolken verpasst“, stichelte sie ihn.
„Als ob ich noch nie eine Wolke gesehen hätte oder geflogen wäre…“, erwiderte Matt gähnend und setzte sich wieder gerade hin.
Die Landung passte zum Rest des Fluges. Es war eine ganz normale Landung ohne irgendwelche Probleme gewesen.

Nachdem die drei ihre Koffer hatten und nun wartend vor dem Flughafeneingang standen, rief Michael wie abgesprochen Damian an. Eigentlich bestand das Gespräch nur aus einem „Wir sind da“ und Damians Antwort „Okay, komme sofort“.
Und tatsächlich: Samantha, Matthias und Michael mussten nicht lange warten, da fuhr auch schon ein dunkler Mittelklasse-Wagen vor und hielt direkt neben den dreien. Ein jung aussehender, schlanker, dunkelhaariger Mann stieg aus dem Auto und begrüßte freundlich lächelnd die drei mit „Willkommen in Sundown Valley!“ Dann begrüßte er jeden einzeln, wobei er bei Michael anfing. „Hey Mike! Schön dich zu sehen.“, sprach er mit sanfter Stimme und die beiden Männer umarmten sich kurz.
„Es freut mich auch, dich zu sehen, Dam.“
Damian wand sich nun dem neben Michael stehendem Matthias zu: „Lass mich raten, du bist der beschriebene Kumpel von Samantha.“ Die beiden schüttelten die Hände und Matt nickte.
Damian lächelte ihn an und wand sich nun Sam zu:
„So, jetzt zu unserem großen, bockigen Teenager.“
„Sehr witzig!“, fuhr sie ihn an.Arm.
„Du müsstest jetzt 14, bald 15 sein, richtig?“ Sam nickte, als beide sich wieder aus der Umarmung gelöst hatten. „Dann ist es also schon passiert. Hast du denn auch schon…?“
„Jaha. Könnten wir dieses Thema bitte, wenigstens für’s erste, unter den Teppich kehren?“, fragte sie genervt. Sie ging näher auf ihn zu und flüsterte ihm irgendwas ins Ohr, worauf dieser verstehend nickte.
„Ich hab dich auch vermisst, Samantha.“ Damian lachte und nahm seine Nichte fest in den
„Meinetwegen.“ Damian grinste und nahm einen Koffer nach dem anderen, um ihn im geräumigen Kofferraum zu verstauen, während Matt mit Sam hinten einstieg und Michael auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Matthias sah sie nachdenklich an. Was meinte Damian mit seinen Sätzen? Warum antwortete Sam so genervt darauf? Und was hatte sie ihm ins Ohr geflüstert?
Nachdenklich bediente er den elektrischen Fensterheber, nachdem Damian den Wagen gestartet hatte, um frische Luft in das warme Innere zu lassen.

Familie Shade


Eine etwas ältere Frau stand am Grab ihres vor wenigen Wochen verstorbenen Mannes. Er hatte eine unheilbare Krankheit gehabt. Sie weinte bitterlich und hat sich nach seinem Tod extrem zurückgezogen und pflegte keine Freundschaften und Kontakte mehr. Mit ihrem Mann ist auch ein Teil von ihr verstorben. So sehr hatte sie sich eine kleine, glückliche Familie mit ihm gewünscht. Doch dieser Wunsch wird sich nun nie erfüllen.
Die Frau hatte ihren Mann so sehr geliebt und war ihm immer treu, wobei dieses auf Gegenseitigkeit beruhte. Und auch jetzt, wo er nicht mehr unter den Lebenden weilte, liebte sie ihn immer noch. Sie kann sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen, weiß nicht, wie es weitergehen soll.

Nach einer Weile wischte sich die dunkelblonde Frau die letzten Tränen weg und machte sich auf den Weg nach Hause. Auf ihrem Weg durch den eigentlich menschenleeren Friedhof zum Ausgang kam sie an einer alten Birke vorbei, an der ein scheinbar junger Mann mit dunkelbraunen Haaren und dunkler Augenfarbe lehnte. Die Frau sah kurz zu ihm und beachtete ihn nicht weiter. Sie wollte nur noch nach Hause. Allein sein.

Sie hörte das Knirschen der Kieselsteine auf dem Weg. Nicht nur unter ihren Füßen, sondern auch hinter ihr. Sie einen Blick über die Schulter und sah den Mann, der vorher am Baum gelehnt hatte, hinter sich. Als er ihren Blick bemerkte, sah er zu Boden und blieb stehen.
Die Frau beschleunigte ihren Schritt und nahm ein paar Umwege, um sicher zu gehen, dass er sie nicht verfolgte. Doch der Mann blieb immer an ihr dran. Er verfolgte sie.

Sie ging noch schneller, bis sie schließlich vor ihrem Verfolger weg rannte. Nach einigen Metern, sie war ungefähr in der Mitte des Friedhofs, sah sie sich um. Der Mann war weg. Nirgends zu sehen. Erleichtert atmete die Frau tief ein und aus und wollte weiter gehen, als sie gegen einen Grabstein gepresst wurde. Sie wollte schreien, doch der Mann hielt ihr den Mund zu.
„Meintest du wirklich, du könntest jemanden wie mir entkommen?“ Die Frau sah ihn ängstlich an. Sie versuchte ihn zu treten, doch scheinbar ohne den kleinsten Erfolg. „Soll ich jetzt ‚das tat weh‘ sagen oder sogar theatralisch mein Bein halten?“, fragte er sie gelangweilt. „Es ist doch immer das Gleiche: Immer versuchen sich die Menschen zu wehren, wodurch sie allerdings nichts erreichen." Der Unbekannte lächelte falsch und die Frau bekam noch mehr Angst.
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Samantha:

Nachdem wir eine Weile neben dem fast weißen Strand entlanggefahren waren und uns Damian ein paar Dinge über die Stadt erzählt hatte, kamen wir am Stadtrand von Sundown Valley an.
Er fuhr in eine kleine Seitenstraße und parkte vor einem großen, hellen Einfamilienhaus. Dann schloss die weiße Haustür auf und ließ uns hinein. Sofort wurden wir von einer Frau mit dunkelroten Haaren begrüßt:
„Da seid ihr ja! Herzlich Willkommen. Wir haben uns ja so lange nicht gesehen.“ Sie umarmte meinen Dad.
„Ja, Kristina. Damals war Sam auch noch zwei.“
Kristina drehte sich zu mir um und musterte mich. Ich zog die Augenbrauen hoch.
„Du warst damals noch so klein und hast meistens mit Damian gespielt“, meinte sie zu mir und Damian lächelte. „Und Samuel fand dich, genauso wie wir alle, so süß.“
„Wo du ihn gerade anspricht, wo ist er eigentlich?“, fragte mein Dad nach.
„Im Krankenhaus. Er muss noch etwas erledigen“, gab ihm Kristina die Antwort.

Die beiden sprachen noch über die damalige Zeit und ich verließ den Raum, da es mir zu langweilig wurde. Damian zeigte Matt und mir unsere Zimmer, die im ersten Stock des Hauses lagen. Wir durchquerten einen schmalen Flur und Matt wurde zuerst sein Zimmer gezeigt. Ich folgte meinem Onkel weiter durch den Gang, bis er schließlich eine Tür öffnete. „Hier ist dein Zimmer. Fühle dich ganz wie zu Hause“, meinte er und ich stellte meinen Koffer in dem geräumigen, hellblauem, lichtdurchfluteten Zimmer mit Holzschränken und einem hölzernen Schreibtisch und einem ebenfalls hölzernem Bett neben dem Kleiderschrank ab. Als ich mich Richtung Tür drehte, lehnte Damian noch am Rahmen: „Gefällt dir der Raum?“
Ich nickte und sah mich nochmals im Raum um.
„Weißt du, dies war das Zimmer deiner Mutter. Ich weiß noch, als wir beide in deinem Alter waren und ich sie immer aus Spaß geärgert hatte und auf ihrem Bett saß, als sie von ihrer ersten großen Liebe hintergangen worden war“, erzählte er und sprach damit ein wichtiges Thema an.
„Habt ihr hier zufällig einen Stadtplan?“
„Ja, natürlich. Wieso?“, fragte mein Onkel und zog eine Augenbraue hoch.
„Ach nur so. Ich will die Stadt zuerst mal alleine erkunden, wenn es dir recht wäre“, log ich und er glaubte mir.
„Okay, komm‘ mit.“

Wir gingen ins Wohnzimmer, wo sich Kristina, mein Dad und jetzt auch noch Matt auf der schwarzen Ledercouch saßen und miteinander plauderten. Damian schritt an ihnen vorbei zur weißen Wohnwand, auf dem ein großer Flachbildfernseher stand und öffnete eine Tür. Er kramte ein bisschen im Schrank rum, ehe er mit einem Stadtplan zu mir kam und ihn mir übergab. „Aber warum willst du denn alleine gehen?“, fragte er und deutete zu Matt.
„Er kann manchmal richtig nerven“, entgegnete ich gelassen, bedankte mich und verließ das Haus.

Ich musste nicht lange auf den Plan gucken, bis mein Ziel fand. Es lag in der Nähe des Krankenhauses und somit nicht wirklich weit weg. Ich ging den Weg zu Fuß und nach geschätzten zwei Stunden kam ich an meinem Ziel an. Dort stand ich nun vor dem schwarzen Zaun und suchte den Eingang, bis ich ein geöffnetes großes, ebenfalls schwarzes Eisentor vorfand und trat ein. Ich ging zur Verwaltung und fragte nach, wo ich sie finden würde. Der nette, älte Mann gab mir eine genaue Beschreibung und ich machte mich auf den Weg. Ich musste nur geradeaus gehen und in den fünften Abzweiger rechts abbiegen. Dann noch an sechs Gräbern vorbei und es wäre zu meiner Rechten. Hoffentlich stimmte die Angabe und ich machte mich auf den Weg.

Als ich gerade in den Abzweiger biegen wollte, vernahm ich einen erstickten Schrei in der Ferne. Mit dem Gedanken ihn mir nur eingebildet zu haben, ging ich weiter und folgte den Angaben.
Und tatsächlich: Ich stand vor dem Grab auf dem einer schwarzer, glatter, glänzender Marmorstein mit weißer Umrandung stand. In weißer, geschwungener Schrift stand ‚Evangeline Shade‘ auf dem Stein und darunter in der gleichen Schrift das Geburts- und Todesdatum. Neben dem Stein war ein Bilderrahmen in denselben Farben wie die des Grabsteines platziert und ich hockte mich hin, um das Bild besser sehen zu können. Die schöne, junge Frau mit den langen, dunklen Haaren auf dem Schwarz/Weiß-Foto strahlte fröhlich.
Ich stand wieder auf und merkte, dass ich meine Tränen nicht länger zurückhalten konnte und ließ meinen Gefühlen freien Lauf. Auch wenn ich sie nicht wirklich kannte, fehlte sie mir so sehr. Ich hatte nie die Chance, sie richtig kennenzulernen.

Plötzlich vernahm ich langsame Schritte auf dem Kies rechts neben mir und sah auf. Ich blickte direkt in die dunklen Augen des fast schwarzhaarigen Mannes, der dort stand und zu mir sah.
„Guten Tag“, begrüßte er mich und kam ein kleines Stückchen näher.
Ich presste ein „Hi“ hervor und wischte mir die Tränen weg. Dann sah ich wieder zum Grab.

Der Unbekannte kam weiter zu mir, bis er sich schließlich mit etwas Abstand neben mich stellte.
„Dürfte ich fragen, in welcher Verbindung du zu ihr standest?“, fragte er mich ruhig.
„Ich rede nicht mit Fremden darüber“, antwortete ich ohne aufzusehen.
„So fremd scheine ich gar nicht zu sein. Immerhin stehen wir beide am Grab derselben Person.“
Eigentlich hatte er recht. So fremd konnte er nicht sein. Er lächelte mich sanft an.
„Sie war meine Mama“, seufzte ich.
„Samantha?“, fragte der Unbekannte mich und ich nickte.
„Und Sie sind?“ Fragend zog eine Augenbraue hoch.
„Du brauchst mich doch nicht siezen. Ich bin Samuel“, stellte er sich vor.
„Ich dachte, du wärst im Krankenhaus? Kristina meinte das.“
„Stimmt auch. Dann bin ich hierher gefahren. Aber das ist doch jetzt unwichtig. Es ist schön, dich wiederzusehen. Auch wenn der Ort nicht der passendste dafür ist.“ Samuel lächelte und nahm mich fest in den Arm. „Lass uns nach Hause fahren.“

Mit diesen Worten gingen wir zum Parkplatz und er leitete mich zu seinem dunklen Wagen. Auf dem Weg nach Hause erklärte ich ihm noch, dass Matt nichts von unserem Geheimnis wusste und er deswegen aufpassen musste. Außerdem sollte er sich als mein zweiter Onkel vorstellen.

Merkwürdiges Verhalten


Matthias fiel auf, dass Samantha nicht mehr da war und fragte nach. Damian erzählte ihm das, was er von Samantha zu sagen bekommen hatte, worauf Matt ihn ungläubig ansah. Wieso sollte er sie bei der Erkundung der Stadt nerven? Er verstand es nicht.

Kurz darauf hörte man schon den Schlüssel im Haustürschloss und Samuel betrat mit Samantha das Haus.
„Da bin ich wieder", begrüßte Samuel freundlich die Runde.  
Samantha, die hinter ihm lief, gesellte sich zu Matt , der auf sie zukam und gleich danach fragte, warum er nicht mit durfte. Genervt meinte sie, dass es eine Familienangelegenheit gewesen wäre. Seit wann ist eine Stadt-Erkundung eine Familienangelegenheit? Er konnte sich keinen Reim daraus machen, erhielt aber auch keine Antwort auf weitere Fragen.
Dafür übernahm jetzt Michael das Wort:
„Eine Familienangelegenheit im Krankenhaus. Sicher.“
„Nein, nicht im Krankenhaus“, erwiderte Samuel, „sondern auf dem Friedhof."
Sam verdrehte die Augen. Es sollte eigentlich niemand wissen, dass sie das Grab ihrer Mutter besucht hatte. Sie setzte sich auf das Sofa und verschränkte die Arme vor der Brust.

Nun nahm Samuel den anderen, ihm unbekannten Teenager wahr. Die beiden stellten sich gegenseitig vor, wobei Samuel vorgab, ein weiterer Onkel von Samantha zu sein, wie er es zuvor mit ihr abgesprochen hatte.

Er schien etwas zu riechen und lächelte Matt dann seltsam an. Im Gegensatz zu diesem, der nicht wusste, was dieses Verhalten zu bedeuten hatte, verstand Kristina, was ihr Mann vorhatte. Und wenn das passieren würde, würde das Familiengeheimnis auffliegen. Deswegen lenkte sie ein:
„Wie wäre es, wenn ich euch beiden mal die Stadt zeige?“
„Klar, warum nicht. Wäre keine schlechte Idee. Besonders jetzt, wo ich nicht dazu gekommen bin“, gab Sam erfreut von sich. Matt jedoch war immer noch von Samuels Verhalten verwirrt und hörte nicht richtig hin. Somit vernahm er auch nicht Sams Nachfrage, ob er mitkommen will.
„Matt!“ Sie zog seinen Namen lang. „Was ist nun? Willst du nun mitkommen oder nicht?“
„Was? Wohin?“
„Kristina will uns die Stadt zeigen.“
„Ach so... Ja, klar... Gerne.“
Die beiden Teenager und Kristina zogen ihre Schuhe an und letztere holte noch ihre Autoschlüssel. Dann ließen sie die beiden Männer allein im Haus zurück.

Feindlich standen sie sich gegenüber. Michael passte Samuels Verhalten ganz und gar nicht und dementsprechend war er aufgebracht.
„Was sollte das gerade?“, fing er das Gespräch an.
„Was meinst du denn?“ Samuel legte den Kopf schief und grinste.
„Das weißt du ganz genau. Er weiß nichts von unserem Geheimnis und du musst mitspielen, damit es nicht auffliegt. Aber spiele nicht mit ihm!“
Samuel lachte über Mikes letzten Satz. „Und wieso nicht? Was könnte passieren? Dass er vor Angst wegrennt? Lass mir doch meinen Spaß.“
Nun trat Mike näher an Samuel heran und packte ihn an dessen schwarzen Hemd: „Wenn du ihm irgendetwas antust, dann…“ Er stockte.
„Dann was? Ich habe das, was ich lange nicht mehr gesehen hatte, hier zusammen. Unsere Familie. Da brauche ich keinen Außenstehenden“, konterte Samuel gelassen und löste sich aus dem Griff.
„Wenn du Matt was antust, ist die Familie bestimmt nicht mehr zusammen, Samuel! Glaub mir“, fauchte Mike.
Er hatte es geschafft. Samuel war irritiert und wusste nicht, was er damit meinte.
Michael erklärte ihm, dass Matt für Sam das Wichtigste war. Somit stand er für sie noch vor der Familie. Und wenn ihm was passieren würde, wäre Samantha nach Mikes Einschätzung am Boden zerstört.
„Glaub mir Samuel, wenn du Matt irgendetwas antust, dann mache ich dich fertig.“ Mit diesem drohenden Satz war das Gespräch beendet.
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Samantha:

Kristina fuhr die wichtigsten Punkte der Stadt ab. Zunächst zeigte sie uns das Krankenhaus, den Arbeitsort von Kristina und Samuel, das ungefähr doppelt so groß war, wie das in Aestiva.
Dann fuhr sie Richtung Innenstadt und zeigte uns dort die unzähligen Geschäfte, die zwei Einkaufspassagen und die beiden Kinos sowie die zwei Schulen.

Den sogenannten Business-District umfuhr sie, da die Büros in den höchsten Häusern der Stadt kaum jemanden interessierten.

Zuletzt fuhren wir am großen Strand entlang, den wir schon bei unserer Ankunft gesehen hatten, der zu dieser abendlichen Tageszeit immer noch ziemlich voll war.
Wir waren lange weg gewesen und gerade als Kristina den Wagen neben dem Haus parkte, konnten wir uns einen schönen Sonnenuntergang anschauen.

Wir stiegen aus und gingen ins Haus, wo uns Samuel und mein Dad schon erwarteten. Allerdings sahen sie nicht gerade erfreut aus und man konnte die Spannung, die zwischen den beiden in der Luft lag, förmlich spüren.

Gedanken


Matthias war müde und ging schon nach dem Abendessen ins Bett. Trotzdem konnte er nicht einschlafen. Ihm kreisten zu viele Gedanken durch den Kopf.
Warum hatte sich Kristina so merkwürdig verhalten, als er von Samuel angelächelt wurde? Es war doch nur freundlich gemeint. Was hatte sie bloß? Sam verhielt sich genauso merkwürdig und es kam ihm vor, als ob sie ihn von Samuel schützen wollten. Aber warum?
Selbst Michael hatte Samuel nicht gerade freundlich am Tisch angesehen und saß schräg von ihm versetzt am anderen Ende des Tisches ihm gegenüber.
Irgendetwas stimmte hier nicht, doch Matt wusste nicht, was es war.
Vielleicht bildete er sich das alles nur ein und er war einfach nur sehr müde. Was soll schon sein? Es gab dafür bestimmt eine einfache Erklärung wie die für Sams Verhalten.
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Samantha:

Nachdem Matt im Bett war, ging ich wieder ins Wohnzimmer, weil ich ein bisschen Fernsehen wollte. Doch aus der Küche vernahm ich ein Gespräch. Es war kein normales, sondern ein Streit. Ich erkannte die Stimmen von Kristina, Samuel, Damian sowie die meines Dads und wurde neugierig.

Langsam schlich ich zur hellen Wand, die die Küche von dem Wohnzimmer trennte und stellte mich neben den Holzbogen, der den Durchgang darstellte.
Ich musste nicht lange zuhören, da wusste ich schon, dass es um Samuels Verhalten ging und erfuhr, dass er sich heute schon einmal mit meinem Dad deswegen gestritten hatte, während wir weg waren.

Langsam wurde es mir zu viel und ich mischte mich ein: „Ihr habt euch heute schon mal gestritten?“
„Hast du etwa gelauscht?“, fragte mich mein Dad. Ich nickte gelassen und er fuhr fort: „Ja, haben wir. Und ich habe Samuel schon gesagt, was ich machen werde, wenn er Matt etwas antut.“
Feindlich sah er zu ihm.
„Wenn du überhaupt an ihn ran kommst“, meinte Damian zu meinem Dad und lachte. „Wie du ja selber weißt, ist Samuel der Schnellste unserer Familie.“

„Ich habe nur ein Problem…“ Ich stockte und seufzte.
„Und das wäre?“ Kristina sah mich fragend an.
„Wenn Matt sich ver…“
„Das ist bis jetzt nicht passiert und wird auch nicht passieren. Dafür werde ich persönlich sorgen", unterbrach sie mich und lächelte beruhigend.
„Ich meine ja nur. Immerhin kann es überall durch irgendwas passieren. Und ich weiß nicht wirklich, wie ihr euch in einem solchen Moment verhalten würdet.“ Ich sah beim letzten Satz speziell Samuel an.
„Es wird aber nicht passieren. Und selbst wenn… Ich würde mich dann persönlich darum kümmern, okay?“, wiederholte Kristina. Zur Antwort zuckte ich nur mit den Schultern und verließ die Küche wieder.

Ich ging in mein Zimmer und sogleich dachte ich wieder nach. Kristina mag vielleicht recht haben, doch sie kann nicht immer und überall dabei sein. Außerdem könnte es doch passieren, dass sie selbst in dem Moment…
Moment! Machte ich mir etwa Sorgen um ihn? Mein Gott, wenn es geschieht, dann ist das einfach so. Niemand wird etwas daran ändern können. Es ist ganz normal  für uns. Ich selbst werde mich wahrscheinlich auch nicht zusammenreißen können. Dafür fehlte es mir noch an Übung.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass irgendjemand von uns nicht aufpassen und uns sowie unser Familiengeheimnis verraten würde.
Aber was sollte Matt dann schon tun? Es weiter erzählen? Man würde ihm nicht glauben, ihn wahrscheinlich nur dumm angucken und für verrückt halten.
Bis dahin wünschte ich Matt viel Spaß bei unserem Urlaub.

Ein Tag am Strand


Am nächsten Tag schlief Matt aus. Er hatte es auch nötig: Immerhin hatte er sich die ganze Nacht Gedanken über die Verhaltensweisen von Sam und ihrer Familie gemacht, kam aber dennoch nicht auf die Gründe und dachte sich, dass er bloß müde wäre und sich dadurch alles einbildete. Irgendwann war er auch eingeschlafen und nun wurde er vom Sonnenlicht geweckt.
Er rieb sich die Augen und ging ins Bad. Nachdem er seine Geschäfte verrichtet hatte, ging er hinunter zur Küche, wo er nur Damian und Michael beim Vorbereiten des Frühstücks vorfand.
„Guten Morgen! Gut geschlafen?“, fragte Damian Matt, nachdem er ihn auf der Treppe erblickt hatte und lächelte ihn freundlich an.
„Geht so. Ist Sam noch nicht wach?“
„Doch, schon. Sie kommt gleich runter. Setze dich doch schon mal an den Tisch“, antwortete Mike.
Matt tat dies und Sam gesellte sich schon kurz darauf zu ihm.
„Auch schon wach?“ Sie lächelte ihn an. Mike und Damian setzten sich nun ebenfalls an den Tisch.
„Ja, siehst du doch. Kommen Samuel und Kristina auch noch?“
Damian schüttelte den Kopf: „Nein, die erledigen gerade im Krankenhaus den Papierkram.“
„Als was arbeiten sie eigentlich?“, fragte Sam nach.
„Sie leiten es“, antwortete Damian. „Kristina hatte es nach dem Tod ihres Vaters übernommen. Und nachdem sie Samuel, der dort als Oberarzt gearbeitet hatte, kennengelernt hatte, teilte sie sich die Arbeit mit ihm.“
Sam und Matt nickten nur und letzterer biss gerade genüsslich in sein Nutellabrötchen.

Nach einer halben Stunde räumten die vier den Tisch ab und fuhren an den Strand.
Es war kurz vor der Mittagsstunde und er war brechend voll. Sie mussten lange suchen, um noch eine Lücke zu finden, die groß genug für sie war, bis sie sich schließlich in einer Lücke zwischen einer jungen, sonnengebräunten Frau und einer Familie mit einem Kleinkind niederließen und ihre Decken ausbreiteten. Danach zogen sie sich die Schuhe aus und während sich Mike und Damian an ihrem Platz unterhielten, gingen Sam und Matt ins Wasser, bis es zu ihrer Kniekehle reichte. Vorher hatten sie ihre ohnehin schon kurzen Hosen noch ein bisschen hochgekrempelt, damit diese auch trocken blieben.

Nach einer Weile gesellten sie sich wieder zu den Erwachsenen zu einem Sonnenbad.
Zum Glück zog sich niemand einen schmerzhaften Sonnenbrand zu. Während Matt richtig braun wurde, wirkten die restlichen drei im Gegensatz eher blass.
Besonders fiel Matt das auf, als er seinen Arm an den kühlen von Sam legte.

Nach drei Stunden beendeten sie auch schon wieder ihren Strandtag.
Als sie zu Hause ankamen, wurden sie schon von Samuel und Kristina erwartet. Als diese Matt sah, wusste sie gleich, wo die vier den Tag verbracht hatten. Samuel hingegen musterte ihn nur und sah dann weg.
Der restliche Abend verlief eher gemütlich vor dem Fernseher. Damian bekam auch noch einen Anruf von dem Restaurant, in dem er manchmal aushalf, dass er am nächsten Tag hinkommen musste und lud die anderen zum Kommen ein.
Alle außer Samuel, der meinte, dass er an dem Tag noch etwas erledigen müsste, willigten gerne ein.

Schnitzelessen mit Folgen


Samantha:

Matt durfte an diesem Tag abermals ausschlafen. Er stand gerade im Bad vor dem Spiegel und kämmte sich die Haare, als ich zu ihm kam und mich auf seiner rechten Schulter abstützte. Wir wollten bald los und warteten nur noch auf ihn. Ich blieb die ganze Zeit in meiner Haltung, als ich plötzlich bemerkte, wie er irgendwas im Spiegel zu sehen schien.
Daraufhin nahm ich meinen Arm von seiner Schulter und beobachtete, wie Matt zu der Stelle sah. Jetzt wusste ich, was er gesehen hatte, aber an seinem Blick konnte ich erkennen, dass er nicht glaubte, was er gesehen hatte. Zu meinem Glück.
Kurz darauf legte er auch wieder den Kamm weg und wir machten uns auf den Weg.

Kristina fuhr uns bis zu einem Parkhaus in der Innenstadt. Das Restaurant lag in der Fußgängerzone; somit mussten wir noch wenige Meter laufen. Es befand sich in einem etwas älteren Haus im Fachwerkstil, so wie mehrere andere Häuser daneben, die an einer Kopfsteinpflaster-Straße lagen.
Wir traten ein und uns wurde ein Tisch mit einer Sitzecke zugewiesen. Matt nahm natürlich neben mir und meinem Dad Platz und Kristina setzte sich neben letzteren.
Am ein paar Meter entfernten Tresen sah ich, wie sich eine junge Frau, die ihre blonden, mittellangen Haare zu einem Zopf gebunden hatte und ein halbwegs junger Mann mit dunklen, etwas längeren, strubbeligen Haaren unterhielten und auch lachten.
„Hallo, da seid ihr ja. Hier sind eure Speisekarten.“ Damian reichte uns diese und wir blätterten darin. „Möchtet ihr etwas trinken?“
Matthias bestellte sich eine Cola, Kristina, mein Dad und ich je ein Mineralwasser ohne Kohlensäure.
„Okay. Und möchtet ihr auch schon etwas essen?“
Ich blätterte noch einmal schnell die Speisekarte durch, bis ich das Angebot eines Wiener Schnitzels mit Pommes fand und bestellte es natürlich sofort zusammen mit Ketschup. Die drei anderen taten dies ebenfalls. Damian musste über unsere gleiche Bestellung kichern.
„Das liegt wohl in der Familie und bei der unseres Gastes“, meinte er erfreut. „Sarah bringt euch gleich die Getränke.“ Er deutete zu der Frau am Tresen und verschwand.
Kurz darauf kam auch schon Sarah mit den vier Gläsern auf einem kleinen Tablett zu uns und stellte sie auf jeweils einen hellen Untersetzer.

Nach ungefähr einer viertel Stunde übergab uns wieder Damian unsere vier Schnitzel und wünschte uns einen guten Appetit. Kristina allerdings kleckerte kurz darauf schon mit dem Ketschup auf ihr weißes Oberteil und verabschiedete sich kurz auf die Toilette. Der Mann vom Tresen tat dies ebenfalls. Ich dachte mir nichts dabei und aß einfach weiter. Kurze Zeit später kam der Mann auch wieder an den Tresen. Aber was interessierte er mich eigentlich? Ist doch eine normale Sache, das stille Örtchen zu besuchen.

Nach einer halben Stunde waren wir fertig. Aber Kristina war in dieser Zeit noch nicht wieder gekommen.
„Das muss vielleicht ein hartnäckiger Fleck sein.“ Ich lachte.
„Vielleicht ist sie auch im Klo ertrunken?“, fragte Matt trocken.
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Seit wann wäscht man einen Fleck im Klo aus? Naja, ich gehe mal gucken.“

Langsam stand ich auf und ging auf die Damentoilette. Am Waschbecken stand sie schon mal nicht. Eine alte Frau betrat die Damentoilette und ging an mir vorbei.
„Kristina?“, rief ich, bekam aber keine Antwort. Ich ging an den drei Toilettenräumen lang, die unten einen Spalt offen waren.
„Kristina?“, wiederholte ich, doch abermals erhielt ich keine Antwort. Allerdings bekam ich nur ein „die jungen Leute von heute können sich nicht benehmen“ von der alten Dame, die eine der Toiletten benutzte, an den Kopf geworfen. Ich verdrehte die Augen und kam an der hintersten Kabine an. Hier klebte der Boden merkwürdigerweise ein wenig und ich vernahm einen leichten Geruch, der nicht normal für eine Toilette war. Doch ich wusste, was es war.
Ich sah mich um. Niemand sonst war hier, der mich bei meiner folgenden, vielleicht etwas merkwürdig aussehenden Aktion sehen könnte. Langsam ging ich in die Hocke und guckte durch den Spalt unter der Tür – und war wie erstarrt.
Langsam fasste ich mich wieder und verließ das WC.

Schnell huschte ich zu unserem Tisch und mein Dad bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Ich flüsterte ihm zu, was ich gesehen hatte und er war schockiert. Er stand auf und ging auf Damian zu, dem er ebenfalls etwas flüsterte und der daraufhin auch geschockt war. Dann kam mein Dad wieder:
„Ich habe noch etwas zusammen mit Damian zu klären“, meinte er glaubhaft. „Geht doch schon mal nach Hause. Oder nehmt euch ein Taxi. Wir sehen uns später.“ Er zwang sich zu einem Lächeln und gab uns das Geld für ein Taxi sowie den Haustürschlüssel von Kristina.
„Was ist denn los?“, fragte mich Matt.
„Kristina hat ein paar Probleme auf der Toilette“, log ich und versuchte so locker wie möglich zu klingen. Dann verließen wir das Lokal und fuhren mit dem erstbesten Taxi nach Hause.
Auf dem ganzen Rückweg hatte ich nur eine Frage im Kopf: Wie sollten wir das bloß Samuel beibringen?

Ein Schnitt im Handgelenk


Nach ein paar Minuten kamen die beiden Teenager beim Haus der Shades an und Sam bezahlte den Taxifahrer mit dem Geld, das ihr Michael gegeben hatte.
Dann ging sie mit Matt den befestigten Weg zur Haustür und er wartete auf der Veranda, bis sie die Tür aufgeschlossen hatte und beide eintreten konnten.
Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich aufs Sofa.
„Kristina hat Probleme auf dem Klo? Was denn für welche?", fragte er sie.
„Die Tür ging nicht mehr auf. Ich konnte auch nichts machen." Samantha versuchte immer noch, so gelassen wie möglich zu klingen, damit er ihre Lüge glaubte. Wie sollte sie es ihm denn auch erzählen?
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Samantha:

Ich musste versuchen, gelassen zu bleiben, damit Matt nichts mitbekam. Im Inneren machte ich mir aber Gedanken darüber, wie wir Samuel beibringen sollten, dass seine Frau nie wieder zurück kommt. Natürlich könnten wir zuerst sagen, dass sie noch etwas zu erledigen hätte. Allerdings würde nach einiger Zeit auffallen, dass dies nicht der Wirklichkeit entspricht und wir würden Samuel so nur noch wütender deswegen machen, als wenn wir es ihm sofort erzählen würden.

Ich war noch gerade in diesen Gedanken, als die Tür aufging. Ich hoffte, dass mein Dad und Damian kämen. Doch ganz zu meinem Missfallen kam ausgerechnet jetzt Samuel nach Hause.
„Hallo. Ihr seid schon da?", fragte er, nachdem er uns erblickte. Wir nickten und Samuel sah sich um.
„Wo sind Kristina, Damian und Michael?" Er kam langsam zu uns.
„Die...müssen noch etwas erledigen." Meine Stimme war etwas zu hoch, um glaubwürdig zu klingen und außerdem sprach ich den Satz zu schnell, was Samuel nachdenklich machte.
„Und was, wenn ich fragen darf?" Samuel stand nun direkt vor uns und sah von mir zu Matt und wieder zurück.
„Probleme auf der Toilette", entgegnete Matt. Er glaubte mir also wirklich. „Die Tür klemmt und Damian und Mike wollen sich darum kümmern."
Samuel zog die Augenbrauen hoch. „Die Tür klemmt also", murmelte er und ging in seinen Raum.

Eine halbe Stunde später waren die beiden Männer immer noch nicht da und Samuel kam wieder zu uns.
„Das muss eine ziemlich hartnäckige Tür sein", meinte er und im selben Moment betrat Damian mit meinem Dad das Haus.
„Da sind wir wieder. Und wir haben Brötchen mitgebracht", hörte ich Damians freundliche Stimme und er hielt eine Tüte hoch. Wie schaffte er es bloß so freundlich zu klingen?
Ich sah meinen Dad wegen der Sache mit Kristina fragend an und er nickte mir zu. Dann sah er zu Boden. Also hatte ich leider tatsächlich mit meiner Vermutung recht gehabt.

„Habt ihr also die klemmende Tür entschärft?", fragte Samuel belustigt die beiden Männer, die sich erst gegenseitig und dann Matt und mich ansahen. Ich nickte meinem Vater zu und er verstand.
„Ja, und dann waren wir noch beim Bäcker, um frische Brötchen für heute Abend zu holen", meinte er zu Samuel, der eine Augenbraue hochzog.
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So langsam neigte sich der Tag dem Ende zu und das Abendbrot stand an. Die fünf saßen zusammen am Tisch und Samuel fragte das, was kommen musste:
„Wo ist Kristina?"
„Im Krankenhaus", erwiderte Damian schnell. Zu schnell. Samuel merkte die Lüge.
„Hat die Tür sie verletzt? Lügt mich nicht an." Sein Tonfall klang etwas bedrohlich und er sah jeden einzelnen an. Er lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wie sollen wir es dir sagen?", begann Sam und sah Samuel an.
„Einfach raus damit? So schlimm kann es doch nicht sein." Fragend sah er zu ihr und sie drehte sich weg. Er wurde nachdenklich und legte den Kopf schräg. Nach ein paar Sekunden sah Samantha ihn wieder an, diesmal mit einem traurigen Blick, und erzählte ihm die Wahrheit: „Kristina ist nicht mehr am leben."
Samuel richtete sich auf. Er konnte nicht glauben, was er hörte.
„Was? Wie?", fragte er völlig neben der Spur.

Im gleichen Moment knurrte Matts Magen. Damian bemerkte dies und gab ihm den Brotkorb mit dem Brotmesser rüber. Matt nahm sich ein Brötchen und fing an, es aufzuschneiden.
„Sie ist tot. Die klassische Variante...", begann Damian wieder zu Samuel gerichtet und Michael ergänzte: „Genau wie bei Evangeline."
„Das kann doch nicht wahr sein!" Wütend und traurig zugleich schlug Samuel mit der Hand auf den Tisch, sodass alle anderen zusammen zuckten - und Matt mit dem Messer abrutschte und sich am Handgelenk schnitt.
Sofort fing die Wunde an zu bluten und Matt legte das Messer und das Brötchen auf sein Brett, sodass er mit der nun freien Hand die Wunde umschließen konnte.

„Gut, dass wir schon haben", flüsterte Damian zu Mike und beide sahen Samuel an.
„Ich habe schon im Krankenhaus", erwiderte dieser den Blick. „Was ist mit...?"
Noch bevor er den Satz beenden konnte, war Samantha aufgesprungen und packte Matthias am Handgelenk.

Javier


„Samantha. Pass auf, was du machst", ermahnte ihr Vater sie. Wütend sah sie ihn an.
Zum Glück sah Matt nicht ihr Gesicht, sonst hätte er einen Hinweis auf das Familiengeheimnis erhalten. Und genau das sollte nicht passieren.
Sie atmete einmal tief durch. Während sie sich wieder hinsetzte, stand Damian auf und ging mit Matt in die Küche. Er sollte an der Anrichte warten, während Damian aus einem der Schränke einen Verbandskasten nahm. Schnell holte er einen Verband und eines dieser sterilen Tücher heraus und stellte den Kasten wieder zurück.
Dann kam er wieder zu Matt und versorgte die Wunde.

Sie ließen den Abend ruhig und ohne weitere Vorkommnisse verlaufen. Allerdings verschwand Samuel nach dem Abendbrot in seinen Raum und ließ die anderen allein zurück.
Nach einer Weile ging Damian zu Samuels Zimmer und wurde von diesem gebeten, ihn in Ruhe zu lassen.
Nachdem er wieder zurück kam, sahen ihn Samantha, Michael und Matthias fragend an.
„Der ist im Moment zu nichts zu gebrauchen. Wenn ich die Tür aufgemacht hätte, wäre mir wahrscheinlich ein Ozean Tränenwasser entgegen gekommen", versuchte er zu scherzen.

Nach drei Stunden verabschiedete sich Matt von den anderen und ging ins Bett. Er konnte es kaum glauben, dass Kristina nicht mehr am leben war. Die Situation nahm ihn mit, obwohl er sie nicht allzu sehr kannte.

Kurz danach gesellte sich Samuel wieder zu den anderen und er sah alles andere als gut aus.
„Wir müssen reden", meinte er.
Alle im Raum wussten, worüber gesprochen werden musste - Kristinas Tod.

Samuel stellte die Frage, ob irgendwer etwas gesehen hatte. Es hörte sich an, wie in einem Krimi. Aber die Frage musste natürlich sein.
Damian, Michael und Samantha überlegten, bis letztere etwas zur Sache beitrug: „Ich glaube nicht, dass es wirklich etwas hilft, aber nachdem Kristina das Klo aufgesucht hatte, ging ein dunkelhaariger Mann vom Tresen ebenfalls Richtung WC und kam nach kurzer Zeit wieder."
Damian winkte ab: „Xavier? Nein, er kann es nicht gewesen sein. Dafür ist er zu nett."
Samuel zog die Augenbraue hoch: „Damian, manche Personen können vorgeben etwas zu sein, das sie nicht sind. Bist du dir auch wirklich sicher, dass Xavier zur Toilette gegangen ist? Es hätte auch ein anderer dunkelhaariger Mann sein können." Er legte den Kopf schief und sah Samantha an: „Wie sah der Mann denn genau aus?"
Es schien, als ob Samuel einen Verdacht hatte. Sonst hätte er ihr nicht diese Frage gestellt. Sam meinte daraufhin, dass er aufstehen sollte und er tat es bereitwillig.

„Er war ungefähr so groß wie du. Vielleicht etwas größer. Außerdem war er schlank. Seine Haare waren etwas länger als deine, etwas unordentlich und hatten ungefähr die selbe Farbe. Allerdings hatte er eine dunkelrote Sträne auf Höhe des linken Auges", teilte sie ihm aus dem Gedächtnis mit.

„Es ist doch Xavier. Sie hat ihn gerade genau beschrieben", sagte Damian.
Nachdem er die Beschreibung gehört hatte, fuhr Samuel sich mit den Händen durch die Haare. Dann seufzte er. „Nein, er heißt nicht Xavier", meinte er und machte eine Pause.
„Wie meinst du das?", fragte Damian und Samuel sah zuerst zu ihm und dann durch die Runde. Dann stand er auf und lief im Zimmer herum.
„Dieser Mistkerl", rief er aufgebracht. „So viele Jahre sind wir uns erfolgreich aus dem Weg gegangen und jetzt will er meine Familie zerstören. Wahrscheinlich ging auch Evangelines Tod auf seine Rechnung."
Keiner im Raum konnte sich einen Reim daraus machen, wovon und von wem Samuel redete. Aber eins war sicher: Er war auf diese Person nicht gut zu sprechen.

„Von wem sprichst du?", fragte Damian vorsichtig nach und Samuel setzte sich seufzend wieder hin.
„Von Javier, meinem älteren Bruder oder besser gesagt, meinem Halbbruder. Wir haben die gleiche Mutter, aber unterschiedliche Väter.
Ich kam auf die Welt, als er 14 war, also mitten in der bedeutenden Phase. Schon damals hatte er mir Vorhaltungen gemacht, weil sich unsere Mutter mehr um mich gekümmert hatte als um ihn. Leider vergaß er bei der ganzen Sache, dass ein Baby nicht viel alleine machen kann.
Sechs Jahre danach war er ausgezogen. Ein wenig später sind wir uns durch Zufall wieder begegnet. Er hatte mir geschworen, meine Familie zu vernichten und mein Leben zur Hölle zu machen. Seitdem haben wir uns nie wieder gesehen.
Und jetzt erfahre ich, dass er im selben Restaurant arbeitet, wie du. Scheinbar weiß er dies glücklicherweise nicht, sonst hätte dich auch schon das Zeitliche gesegnet." Bei den letzten beiden Sätzen sah er speziell Damian an.

Die Suche beginnt


Es stand eine Sache fest: Javier musste gefunden und um die Ecke gebracht werden, bevor noch ein weiteres Familienmitglied sein Leben verliert. Der einzige Ort, an dem die Suche beginnen konnte, war das Restaurant, in dem Damian hin und wieder jobbte.
Deswegen beschlossen sie, am nächsten Tag dorhin zu fahren. Allerdings ohne Samantha, da die ganze Angelegenheit für sie zu gefährlich wäre.

Von ihrer Seite gab es viele Widerworte, doch am Ende ließ sie sich widerwillig überzeugen, die Sache von den Erwachsenen erledigen zu lassen, während sie zu Hause hocken und warten sollte, bis - hoffentlich - alle wieder wohlauf nach Hause zurückkehren würden. Außerdem sollte sie auf Matt aufpassen.

Sie konnte zwar nicht verstehen, warum ein Junge, der gerade mal ein viertel Jahr jünger war als sie, einen Aufpasser brauchte. Aber nachdem sie merken musste, dass alle Widerrede nichts brachte, sagte sie einfach nichts mehr dazu und dachte sich ihren Teil. Sie konnte nur hoffen, dass alles gut ging.
Damit war die Sache besprochen und man konnte nichts mehr daran rütteln.
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Matthias tat sich mit dem Aufstehen schwer. Eigentlich hätte er den ganzen Tag im Bett verbringen können - wäre da nicht noch eine Gleichaltrige, die gerade in sein Zimmer gestürmt kam und ihm wie am Tag des Hinflugs die Bettdecke lachend wegzog und auch noch die hellen Gardinen aufzog, sodass der gesamte Raum nun lichtdurchflutet war. Er wälzte sich auf den Bauch und vergrub sein Gesicht im Kopfkissen.

„Komm schon! Steh' auf! Du schläft mir sowieso viel zu viel!", rief sie freundlich und lachte. Matt konnte nicht verstehen, wie sie das schaffte.
Er drehte sich wieder zurück auf den Rücken.
„Ich warte unten auf dich. Bis gleich", meinte sie nur und war eine Sekunde später schon wieder verschwunden.

Langsam ging er ins Badezimmer und erledigte seine alltäglichen Geschäfte.
Danach ging er hinunter zur Küche, wobei er seinen Verband ansah. An einigen Stellen waren kaum sichtbare rote Flecken zu sehen.
Sam nahm ihm den Verband ab und sah sich die Schnittwunde an, die aber nicht mehr blutete. Danach wechselte sie ihm den Verband und beide aßen ihr Toasts.
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Zur selben Zeit waren Samuel, Damian und Michael auf dem Weg zum Restaurant. Samuel hielt auf den Bürgersteig vor der Fußgängerzone und ließ die beiden anderen Männer hinaus.
Während er seinen Wagen im nahen Parkhaus abstellte, gingen die beiden Männer schon zum Restaurant und traten ein.

Am Tresen stand Sarah, die Frau, die Mike und den Rest am Tag des Vorfalls bedient hatte, alleine. Von Javier keine Spur.
Sobald sie die beiden erblickte, lächelte sie freundlich.
„Ganz alleine hier?", fragte Damian sie und bekam als Antwort ein Nicken. „Was ist mit Xavier?"
Sarah zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Er ist heute einfach nicht gekommen. Nicht mal abgemeldet hat er sich. Und gestern sah er auch nicht krank oder so aus."
„Hatte er sich vielleicht anders als sonst verhalten?", hakte Mike nach.
Sarah überlegte einen Moment, bis sie schließlich nickte. „Ja, nachdem er von der Toilette wiederkam, war er plötzlich gut gelaunt. Aber nicht wie man es kennt. Es war eine seltsame Freude. Ich hatte ihn natürlich gefragt. Eine Antwort habe ich aber nicht bekommen. Kurz darauf ging schon das Mädchen von Ihrem Tisch...", sie zeigte auf Mike, „...ebenfalls auf die Toilette und kam etwas später wieder. Den Rest kennen Sie ja."
„Und wie wir den Rest kennen", murmelte Mike und beide Männer nickten.
„Danke, Sarah. Wir sehen uns bestimmt bald wieder, wenn ich aushelfen muss", verabschiedete sich Damian freundlich lächelnd von ihr und verließ mit Michael das Restaurant.

Sie traten gerade nach draußen, als ihnen Samuel entgegen kam und nachfragte, was sie herausgefunden hatten. Er war sichtlich nicht über deren Antwort erfreut. Nun mussten sie wieder von vorne anfangen.
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Samantha:

Nach dem Frühstück hatte mich Matt gefragt, wo die anderen seien. Ich erzählte ihm, dass sie auf der Suche nach Samuels älteren Bruder Javier waren. Als ich ihm auch noch das Wichtigste über diesen erzählte, war er nicht darüber erfreut gewesen.

Mir ging es auch nicht besser. Während die drei da draußen auf der Suche waren, musste ich hier im Haus mit Matt hocken und Däumchen drehen.
Ich machte mir Sorgen. Was, wenn ihnen etwas passieren würde? Wenn sie verletzt werden? Wenn ich sie nie wiedersehe? Was dann? Wie würde es weiter gehen?
Ich wusste keine Antwort auf all diese Fragen. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie es wäre, wenn sie nicht mehr da wären. Wenn ich Damian, Samuel und vor allem meinen Dad nicht mehr sehen würde.
Ich konnte doch nicht einfach hier sitzen und nichts tun! Es musste doch eine Möglichkeit geben, meiner Familie zu helfen.

„Sam? Alles okay bei dir?", riss mich Matt aus meinen Gedanken.
„Nein, nichts ist okay! Wer weiß, ob sie je wieder zurückkehren", fauchte ich ihn wütend an. „Ich kann doch nicht hier sitzen, während die da draußen nach ihm suchen. Ich muss doch helfen!"
„Und was hindert uns da dran?", fragte er mich. Eigentlich hatte er recht. Was hinderte uns... Moment, UNS?
„Du bleibst hier, das ist zu gefährlich für dich", meinte ich zu ihm.
„Ach, das ist zu gefährlich für mich. Ich bin kein Kleinkind mehr und nur ein bisschen jünger als du. Und für dich soll das nicht gefährlich sein, oder was?", fragte er wütend.
Wenn ich so darüber nachdachte, hatte er schon wieder recht. Und wenn ich ihn hier lassen würde, würde er mich nur nerven, bis er so oder so mitkommen darf.
„Okay, du darfst mitkommen", sagte ich zu ihm, „Ziehe dir schon mal deine Schuhe an und warte auf mich. Ich schreibe nur noch einen Zettel, damit die anderen wissen, was wir vorhaben, falls sie nach Hause kommen und hole noch die Haustürschlüssel."
„Ich warte dann draußen auf dich", rief er mir hinterher, als ich in die Küche ging, und schloss die Tür hinter sich.

Plötzlich hörte ich, wie Matt meinen Namen rief.

Ein hilfreicher Zwischenfall


Samantha:

So schnell ich konnte, sprintete ich nach draußen und nahm auf den Weg den Haustürschlüssel mit.
Auf der Veranda angekommen sah ich mich flink um und erblickte Matt, der von einen anderen Mann angegriffen wurden.
„Hey!", rief ich und der dunkelhaarige ließ von Matt ab, drehte sich zu mir um und fauchte mich an, ehe er verschwand. Ich erkannte ihn und lief schnell zu Matt, um zu sehen, wie es ihm ging.
„Alles okay?", fragte ich ihn und erhielt als Antwort ein ängstliches Nicken.
„Gehe rein und nimm mein Handy mit. Rufe meinen Dad an und sage ihm, dass ich Javier gefunden habe und ihn verfolge, okay?"
Ohne auf seine Antwort zu warten, war ich auch schon wieder verschwunden und sprintete hinter Javier her, der mittlerweile fast nur noch ein kleiner Punkt am Horizont war.
Auf Höhe der Innenstadt holte ich ihn allerdings ein. Er konnte es sich nicht leisten, auffällig schnell zu rennen und musste auf eine 'normale' Geschwindigkeit zurückstellen. Allerdings musste ich dies auch tun. Und die Menschenmassen erschwerten das Durchkommen.

Ich hörte die empörten Rufe der Menschen, als wir beide unseren Weg ohne Rücksicht auf Verluste durch die Masse bahnten. Doch das war mir im Moment egal. Der Kerl hatte Kristina und meine Mutter auf dem Gewissen und jetzt auch noch Matt angegriffen. Er hatte es nicht verdient zu entkommen.

Mittlerweile waren wir auf Höhe des Restaurants angekommen, als ich einen Mann, den ich im Augenwinkel als dunkelhaarig und mit einem schwarzen Sweatshirt bekleidet wahrnahm, anrempelte und mich kurz ohne anzuhalten entschuldigte.
Als ich kurz darauf dessen Stimme wahrnahm, wusste ich sofort, wer der Mann gewesen war.
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Damian, Samuel und Michael standen noch vor dem Restaurant, als letzteren ein Anruf vom Handy seiner Tochter erreichte und er sofort annahm:
„Hallo Sam! Alles gut bei euch?"
„Nein. Ich wurde von so einem Typen angegriffen, und wenn Sam ihn nicht auf sich aufmerksam gemacht hätte, wer weiß, was dann passiert wäre...", hörte er Matts aufgeregte Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Wo ist dieser Mann jetzt? Und wo ist Sam?", hakte Mike nach.
„Der Kerl ist abgehauen und Sam ist ihm hinterher", antwortete Matt.
Kurz darauf wurde Damian von einem rennenden Mädchen angestoßen, dass sich deswegen kurz beim Vorbeilaufen bei ihm deswegen entschuldigte. An ihrer Stimme erkannte er sofort, dass das Mädchen Samantha war.
„Mike, Sam hat mich gerade angerempelt. Sie ist hier gerade entlang gelaufen. Wir müssen hinterher", meinte Damian daraufhin aufgeregt.
Mike erklärte Matt kurz die Situation und legte danach auf.

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Samantha:

Ich hörte, dass mir jemand hinterher lief und drehte mich beim Laufen um. Es waren nur Damian, mein Dad und Samuel, die mir folgten und schnell neben mir waren, um dann zu überholen und die Verfolgung weiter aufzunehmen. Mein Dad meinte, dass ich jetzt, nachdem Matt angegriffen wurde, erst recht hier bleiben und auf ihn aufpassen sollte. Noch bevor ich etwas dagegen sagen konnte, waren sie schon in einer Gasse verschwunden.

Ich lief zurück nach Hause zu Matt, der mich fragend aus dem Wohnzimmer ansah.
„Die drei verfolgen ihn weiter und ich soll jetzt erst recht auf dich aufpassen", sagte ich nur und setzte mich auf das Sofa neben ihn.
Er zog aus mir unerklärlichen Gründen eine Augenbraue hoch und nun war ich es, die ihn mit fragenden Blick ansah.
„Du lässt dich zu schnell abwimmeln, Sam. Das kenne ich nicht von dir. Gerade eben hatten wir noch geplant, ihnen zu helfen und jetzt sitzen wir hier", erklärte er und hatte recht.
„Es war aber auch nicht geplant, dass Javier hierher kommt und dich angreift", konterte ich, doch ich konnte ihn nicht abbringen, weiter an der Sache zu bleiben.
Ich stand auf und nahm mein Handy, das Matt auf den Tisch vor dem Sofa gelegt hatte, und wählte Dads Nummer, um dessen Aufenthaltsort zu erfahren.

Ich erfuhr, dass sie kurz vor einem Waldstück ganz in der Nähe von hier gelandet waren und die Verfolgung über Stock und Stein ging. Ich sah Matt an und er verstand. Wir würden auch dorthin kommen. Und wir ließen uns bestimmt nicht nochmal abhalten.

Familienprobleme


Mittlerweile waren Javier und seine Verfolger in der Nähe einer Lichtung im Wald angekommen und er drehte sich kurz zu Samuel und den anderen beiden um, nur um sie fies anzulächeln - und kurz danach gegen einen Baum zu laufen, der daraufhin ein bedrohliches Knarschen von sich gab.
Samuel nutzte die Chance, packte ihn und warf ihn durch die Luft. Kurz bevor Javier mit dem Rücken auf dem mit einigen Blättern in dutzenden Farben bedeckten Boden aufkam, presste Samuel ihn gegen einen Baum, sodass dieser sich nicht mehr bewegen konnte.

Sofort grinste Javier seinen jüngeren Bruder an, ehe er anfing zu sprechen: „Ich finde es auch schön, dich nach all den Jahren wiederzusehen, Kleiner! Allerdings hatte ich eigentlich nicht geplant, Berührungen mit dem Baum auszutauschen." Er lachte und drückte Samuel von sich weg, nur um ihn dann gegen einen Baum zu schmettern und ihn dadurch bewegungsunfähig zu machen.

Damian wollte eingreifen, doch irgendwas packte ihn am Arm, schleifte ihn über den Boden und presste ihn gegen einen anderen Baum, der zu Samuels linken stand.
Geschockt sah Samuel zu ihm und dem jungen, blonden Mann, der ihn gegen den Baum drückte.
Javier folgte Samuels Blick und lachte abermals.
„Also bitte. Hattest du wirklich gedacht, dass ich das ganze hier alleine durchziehen werde? Das war alles eine geplante Sache. Und wie du weißt hatte ich eine Menge Zeit dazu."

Wie auf Kommando wurde Michael gepackt und auf den Boden geworfen. Ein etwas älterer, ebenfalls blonder Mann, kämpfte mit ihm, bis schließlich auch Mike neben Damian an einen Baum gedrückt wurde.

„Gut, da das erledigt ist...", begann Javier und unterbrach, weil er von Samuel getreten wurde.
Daraufhin wurde Samuel von ihm durch die Luft geworfen und landete nach ein paar Metern unsanft auf den Boden, auf dem er noch einen weiteren Meter rutschte.
„...widmen wir uns doch mal unserer Familie", beendete Javier seinen Satz.
Als Samuel das letzte Wort vernommen hatte, sprintete er auf Javier zu und warf ihn mit aller Wucht auf den Baum, an den er vorher gedrückt wurden war.

„Dann bleibe ich halt hier oben und spreche mit dir von hier aus", meinte er nur und legte sich auf einen Ast. „Sicher hast du gemerkt, dass Kristina und Evangeline nicht mehr am leben sind, oder?
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Samantha:

Matt und ich brauchten nicht lange, um das Waldstück zu erreichen. Wir hatten uns ein Taxi genommen, das uns bis zum Anfang des Waldes gefahren hatte.

Ich hörte Stimmen, die von einer Lichtung ganz in der Nähe von hier zu kommen schienen. Leise gingen wir näher heran und blieben hinter einem Baum, wahrscheinlich einer Eiche, stehen.
Ich sah, dass mein Dad und Damian gegen je einen Baum gedrückt wurden und dass Samuel mit jemandem, der auf einem anderen zu sein schien, sprach - Javier. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht sofort auf ihn los zu gehen.
Doch dann sprach Javier zu Samuel: „Sicher hast du gemerkt, dass Kristina und Evangeline nicht mehr am leben sind, oder?"

Nun konnte ich mich nicht einfach mehr zusammenreißen und kam hinter dem Baum hervor.
„Und wie ich das gemerkt habe, du Mistkerl!", rief ich.
„Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben hier nichts zu suchen, Kleine", meinte Javier nur locker vom Baum aus und grinste mich an.
Nun reichte es mir vollkommen und ich lief zur Lichtung

„Was hast du da gerade gesagt? Du fühlst dich auch nur stark, weil du deine Affen für dich hast, die alles für dich machen, während du da oben sitzt und alles beobachtest, oder was?"
Was dachte der Kerl eigentlich, wer er ist? Scheinbar hatte ich einen Nerv getroffen, denn nun sah er mich wütend an.


„Samantha, hör auf! Mache ihn nicht wütend", bat mich Samuel, doch ich konnte darauf keine Rücksicht nehmen.
„Nein, Samuel. Ich höre bestimmt nicht bei diesem Miststück auf, das meine Mama..."
„Oh deine Mama? Das hier sind Erwachsenenangelegenheiten, Kindchen. Da hast du nichts zu suchen. Du solltest lieber deine Mama aufsuchen und dich bei Milch und Keksen auf ihrem Schoß ausweinen", spottete Javier, „Wo ist denn deine Mama?"
„Unter der Erde, du Dummkopf, du hast sie doch selber dorthin befördert!", fauchte ich Javier an.

Er legte den Kopf schräg und schien nachzudenken, während er zuerst mich und dann Samuel ansah, zu dem er dann auch sprach: „Sie ist deine Tochter?"
Dieser schüttelte nur den Kopf, ehe er antwortete: „Nein, sie ist meine Enkelin."

„Was machst du eigentlich hier? Ich habe dir doch gesagt...", begann mein Dad, doch in konnte es nicht mehr hören und unterbrach ihn: „Ich kann nicht zu Hause sitzen und Däumchen drehen, während ihr hier seid!"
_________________

Matt, der die ganze Zeit hinter dem Baum gelauscht hatte, konnte nicht glauben, was er zu hören bekam.
„Wie kann Sam die Enkelin von Samuel sein? Er ist doch höchstens doppelt so alt wie sie", dachte Matt. Doch anscheinend zu laut, denn als er das Geschehen weiter betrachtete, sahen alle zu ihm. Außerdem schien er sich, während er in Gedanken war, ein paar Meter bewegt zu haben, denn nun hatte er unbeschränkte Sicht auf die Lichtung - und die dort stehenden Personen auf ihn,
Sein Atem stockte sofort und sein Herz schien einen Schlag auszusetzen.
Er konnte nicht anders, als alle anzustarren.

Javier nutzte den Moment, um vom Baum zu springen und mit einer sanften Landung wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und beim Vorbeigehen Samuel gegen eine Birke zu werfen.
„Jonathan?", fragte er und ein weiterer, höchstens 30-jähriger Mann mit dunkelroten Haaren kam schnell wie aus dem Nichts auf die Lichtung.
„Könntest du dich bitte um meinen Bruder kümmern? Aber bitte lass ihn noch am leben."
Jonathan nickte mit einem fiesen Grinsen, packte Samuel, warf ihn über die Lichtung und riss ihn dann in das gegenüberliegende Waldstück.

„Samuel!", rief Sam ihm hinterher, doch sie wusste, dass sie ihm so nicht helfen konnte. Stattdessen stand sie Javier nun genau gegenüber und funkelte ihn finster an.
„Das wird ihm nichts bringen. Aber ich danke dafür, dass ihr mir einen Snack vorbeigebracht habt." Er sah grinsend zu Matt, der immer noch ohne jegliche Bewegung neben der Eiche stand.

„Du lässt ihn in Ruhe!", schrie Samantha Javier an, dessen Aufmerksamkeit nun wieder auf ihr lag.
„Oh, wie süß! Du beschützt das Essen", sagte er mit verstellt hoher Stimme.
Kurz darauf wurde er schlagartig wieder ernst: „Was willst du schon ausrichten? Du bist nur ein aufmüpfiger Teenager mit einer toten Mutter und einem menschlichen Freund. Wo ich gerade das Thema wieder anspreche: Evangeline war deine Mutter, nicht wahr?"

„Ja, ganz genau", antwortete sie ihm aufgebracht, „und du Mistvieh hast sie umgebracht!"
„Aus dem einfachen Grund, dass sie Samuels Tochter war. Der so tolle Kerl, um den sich immer alle gekümmert hatten. Der Junge von dem Vater, der mich gehasst hat wie die Pest. Der Junge, der alles falsch machen durfte, wofür nicht er, sondern ich bestraft wurde. Und warum? Weil ich der ältere Bruder von dem anderen Mann war. Diesem liebevollen Vater, der von meiner Mutter geflüchtet ist, als ihm bewusst wurde, was sie ist.
Samuel hat mir meine Kindheit kaputt gemacht. Also hat er es auch nicht verdient, eine Familie zu haben!"
„Ach. Und deswegen meinst du, mir meine Mutter nehmen zu dürfen? Nur weil deine Kindheit nicht toll war, soll ich auch eine bescheuerte Kindheit haben? Du hast sie wohl nicht mehr alle!", warf sie ihm wütender als sie es jemals war an den Kopf, sodass alle um sie herum zusammenzuckten.
Javier nickte als Antwort nur gelassen.

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Tag der Veröffentlichung: 17.11.2012

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