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Eines Nachts, weit draußen im Eis, hatte der junge Yuta einen Stein gefunden. Er war flach und glatt, paßte gut in die Hand und funkelte im Sonnenlicht in den schönsten Farben des Regenbogens. Das wirklich Besondere aber war daß der Stein sprechen konnte. Nur Yuta konnte ihn hören, aber das machte nichts. Denn Yuta war zufrieden damit alleine seinen Geschichten lauschen zu können. Der Stein erzählte ihm von vielen Dingen die er selbst noch nicht gesehen hatte. Von unglaublichen Farben, und schönen Orten, und fremden Menschen. Dafür erzählte Yuta die Sagen seines Volkes, wie er im letzten Frühling den Wal am Strand gefunden hatte und wie man erkennt ob ein Sturm aufzieht. Bald waren sie die besten Freunde geworden.
Zuerst lachten die anderen Kinder über ihn, denn sie konnten nicht verstehen warum er sich mit einem Stein unterhalten wollte. Doch bald schon breitete sich Mißgunst unter ihnen aus, denn das Funkeln gefiel auch ihnen, und einige meinten sie hätten ihn mindestens ebenso verdient wie Yuta. So kam es daß nach einiger Zeit einer der Stärksten vortrat und den Stein für sich beanspruchte. Yuta wollte seinen Freund nicht hergeben, doch dieser sprach insgeheim zu ihm: “Laß mich los, so werde ich zu Dir zurückkommen. Halt mich fest, und nichts Gutes wird daraus werden.“ So gab der Junge also seinen Freund den Stein her, ohne aber zu verstehen was dieser gemeint hatte.
Der ältere und stärkere Junge aber hielt den Stein in seiner Faust und lachte triumphierend. Der Stein wollte jedoch nicht in allen Farben schimmern wie er es bei Yuta immer getan hatte sondern blieb grau. Aus Zorn warf ihn der Kerl von sich so weit er konnte und meinte: „Hol ihn doch, wenn du ihn willst!“. Der Stein aber blitzte kurz in der Sonne und fiel in den Fluß an den das Dorf grenzte. Sofort sprang Yuta hinterher, doch so sehr er sich auch bemühte, der Stein ließ sich nicht finden. Keiner hatte gegen die sinkende Sonne sehen können wo genau der Stein gefallen war. Zu allem Überdruß war das Flußbett nach dem Hochwasser aufgewühlt und alle Steine schimmerten wie polierte Perlen. Die anderen Kinder verloren bald das Interesse und ließen Yuta alleine, er aber suchte bis der Abend hereinbrach. Voller Tauer lauschte er nach seinem Freund, konnte aber nur das Flüstern des Wassers vernehmen. Er suchte auch am nächsten Tag, und am drauf folgenden, bis er niedergeschlagen meinte es habe keinen Sinn mehr weiterzusuchen.

In dieser Nacht hatte Yuta einen Traum. Er sah ein Träne aus Silber, die das Gesicht einer schönen Frau benetzte. Da löste sich die Träne und landete in einem Nest aus Ästen und Gras. In dem Nest lagen drei Eier. Das erste Ei zerbrach und schwarze Tinte trat hervor. Das war der Neid der anderen. Das zweite Ei zerbrach und rotes Blut trat hervor. Das war der Schmerz den sein Herz erlebte, denn er vermißte seinen Freund sehr. Da zerbrach das dritte Ei und ein Vogelküken schlüpfte. Der Vogel wuchs in Windeseile bis er die Länge seines Unterarms erreicht hatte, schwang sich in die Luft und flog davon. Als Yuta am Morgen erwachte konnte er nicht recht verstehen was der Traum bedeutet haben sollte. Er hatte aber neuen Mut geschöpft und verbrachte jeden weiteren Tag des Sommers damit im Fluß nach seinem Stein zu suchen. Doch ohne Erfolg. Nachdem er nach einigen Wochen noch immer keine Zeit mit ihnen verbringen wollte erkannten die anderen Kinder wie sehr Yuta der Stein noch immer fehlte und es tat ihnen Leid. Und obwohl sie es nicht ganz verstehen mochten, denn der Stein hatte ja nie zu ihnen gesprochen, versuchten sie Yuta auf andere Gedanken zu bringen. Yuta danke es ihnen, konnte aber nicht von der Suche ablassen bis jeder Stein im Fluß umgedreht war. Eines Tages erschien die kleine Lale, die Tochter des Medizinmannes, mit allen ihren Freunden am Fluß und meinte: „Yuta, wir verstehen Deine Trauer nicht. Aber wir wollen dir helfen den funkelden Stein zu finden den Du wegen unserer Mißgunst verloren hast“. Yuta bedankte sich und war froh, denn in seinem Herzen hatte er ihnen schon lange verziehen. Zusammen machten sie sich daran den Rest des Wassers zu durchsuchen. Bevor sie aber die Suche beenden konnten begann es zu regnen. Es regnete immer stärker bis der Boden in den Bergen das Wasser nicht mehr halten konnte und die Bäche anschwollen. Die Bächte nährten den Fluß und innerhalb weniger Stunden begann er schneller und wilder zu fließen. Bald schon wurde die Strömung zu stark für die Kräfte der Kinder, der Boden wurde aufgewühlt und es war nichts mehr zu sehen als strömendes, braunes Wasser. Lale das Mädchen zog Yuta mit sich an Land, denn noch immer wollte er nicht aufgeben. Da begann Yuta zu weinen, denn er wußt daß er seinen Freund nun nicht mehr finden konnte, denn das Wasser trägt alles fort. Er weinte und weinte und die Tränen strömten wie ein zweiter Fluß. Lale tröstete ihren Freund, denn die gemeinsame Suche hatte sie näher zusammengeführt. Erschöpft un verzweifelt ging Yuta zu Bett.
In der Nacht hatte er wieder einen Traum. Wieder war da eine Träne aus Silber, doch sie benetzte Lales schönes Gesicht. Die Träne fiel und die drei Eier brachen wie zuvor. Doch diesmal floß nicht schwarzer Tinte sondern schimmerndes Gold aus dem Ersten der Drei. Das war die Freundschaft die ihm die Kinder und vor allem Lale bewiesen. Aus dem zweiten floß Silber, das war sein Verzeihen. Aus dem dritten aber schlüpfte wieder das Küken und wuchs in Windeseile zum Vogel heran um alsbald fortzufliegen. Jetzt aber erkannte Yuta den Vogel und lachend wachte er auf. Er erinnerte sich wieder an den ersten Traum, warum nur war ihm damals nicht das weiß-schwarze Gefieder des Vogels aufgefallen? Die Elster mußte den funkelnden Stein davongetragen haben.
Am Morgen erzählte er Lale davon, und diese brachte ihn zu ihrem Vater, dem Medizinmann. Denn er war der Weiseste im Dorf und kannte die Tiere des Flusses und des Waldes und wußte viel von ihnen. Der Medizinmann hörte Yutas Erzählung schweigend an, überlegte eine Weile und nickte dann kurz, als hätte er eine Entscheidung getroffen. Er sprach: „Dein Freund, der gute Geist des Steines, ruft Dich. Er erzählt eine Geschichte der Du folgen mußt um ihn zu finden. Mein Herz sagt mir daß Lale dich dabei begleiten soll, denn von ihrem Gesicht fällt die Träne aus Silber die die Eier zerspringen läßt. Und Silber steht für das Verzeihen, das Du den anderen Kindern entgegenbringst.“ Er erklärte auch daß Elstern funkelnde Gegenstände sammeln würden, sie trugen dies in ihr Nest um sie zu behalten. In der Nähe des Dorfes gab es aber nur ein Brutpaar dieser Vögel, einige Stunden zu Fuß in östlicher Richtung.
Gemeinsam machten sich Yuta und Lale auf den Weg um das Nest der Elstern aufzuspüren. Ihr Weg führte sie nahe am Fluß entlang durch die Auen und dann in die sanften Hügel dahinter. Im Umkreis des Dorfes kannten sie jeden Baum und jeden Strauch. Mit der Zeit wurde ihnen die Gegend aber immer fremder bis sie schließlich zu den ersten Felsen kamen. Diese kennzeichneten den äußeren Rand des Flußtales in welchem ihr Stamm lebte. Darüberhinaus waren weder Yuta noch Lale je gegangen. Sie wußten von Lales Vater daß entlang dieses Kammes ausgedehnte Haine von Eichen und Ulmen standen. Dort hatten die Vögel im letzten Jahr ihr Nest gebaut. Nachdem sie im Morgengrauen aufgebrochen waren erreichten sie das abgelegene Waldstück noch bevor die Mittagshitze einsetze und sie begannen nach den Vögeln Ausschau zu halten.
Der Wald war hier jedoch dicht und dunkel und schien undurchdringlich. Darin einige Vögel aufzuspüren stellte sich bald als schwierige Aufgabe heraus. Auch hörte Yuta immer wieder Knacken im Unterholz, wie von großen Tieren. Wenn er sich jedoch umdrehte war nie etwas zu sehen. Sicher hielten sich Rehe oder Wildschweine im Wald auf die argwöhnisch in sicherer Entfernung zu den jungen Menschen blieben. Auf der Suche nach einem besseren Platz um Ausschau halten zu können stieß Lale plötzlich einen spitzen Schrei aus. Yuta fuhr herum und sah einen Puma sprungbereit auf einem Felsen über ihm. Der Junge warf sich zur Seite als das Tier mit einem mächtigen Satz landete wo er eben noch gestanden hatte. Noch bevor er sich aber aufrichten konnte begann heftiges Schreien im Wald aus der Richtung aus welcher sie gekommen waren. Der Puma war offensichtlich hungrig gewesen, doch das war zu viel. Mit einem weiteren Satz verschwand er in Unterholz und suchte das Weite. Dafür trat der Junge welcher Yutas Stein in den Fluß geschleudert hatte aus dem Wald, ein schiefes Grinsen im Gesicht. Ihm folgten viele der anderen Kinder. „Wir dachten Du könntest vielleicht unsere Hilfe brauchen. Ein schmächtiger Junge und ein Mädchen ganz allein im Wald.“ Yuta war zuerst zu erstaunt um antworten zu können, sprang dann aber auf und bedankte sich herzlich bei seinen Freunden. Er erkannte daß er auf dem rechten Weg sein mußte. Denn die Rettung vor dem Puma war das erste, goldene Ei in seinem Traum gewesen, welches für die Freundschaft der Kinder stand. Ohne diese wiedergewonnene Freundschaft wäre er alleine im Wald und von der hungrigen Katze überwältigt worden. Wieder bedankte er sich, bat dann aber die Anderen nach Hause zurückzukehren. Das letzte Stück des Weges mochte noch eine weitere Prüfung nur für ihn und Lale bereithalten, wie es der Medizinmann gesagt hatte.
Nachdem sie sich von ihren Freunden verabschiedet hatten machten sich Yuta und Lale wieder auf den Weg. Schon bald erreichten sie den Rand des Wäldchens wo etwas abseits ein einzelner alter Baum stand. Froh den dichten Wald hinter sich lassen zu können setzten sich die Kinder in den Schatten der mächtigen Ulme um zu rasten. Es war mittlerweile Nachmittag geworden und noch kein Hinweis auf die Vögel in Sicht. Yuta's Hoffnung begann zu schwinden als er plötzlich neben sich am Boden eine weiße Feder entdeckte. Ein Vogel mußte sie dort oder Baum darüber verloren haben. Aufgeregt betrachteten die beiden Kinder ihren Fund und beschlossen den Baum zu untersuchen, denn wenige Vögel außer Elstern haben weiße Federn dieser Art. Eilig kletterten sie am borkigen Stamm hoch hinauf in die Arme und Zweige des Baumes. Und wirklich, schon nach kurzem Suchen entdeckten sie ein Vogelnest oben in den höchsten Zweigen der Ulme. Voller Eile kletterten die Kinder höher bis hinauf in die luftigen und höchsten Äste wo das Nest aus Ästen und Gras geflochten war. Darin lagen drei kleine Eier, nicht unähnlich jenen aus Yuta's Traum. Von ihrem eigenen Ast aus konnten Yuta und Lale nur schlecht in as Nest sehen, getrauten sich aber auch nicht höher zu klettern da die Baumkrone über ihnen schon zu dünn schien. Also faßte Yuta Mut, hielt sich mit der Rechten an einem dicken Ast fest, ließ sich über den Abgrund hängen und reichte mit der Linken soweit er konnte in das Nest. Vorsichtig tastete er nach dem Stein um weder die Eier noch das Nest zu beschädigen. Sosehrt er sich aber bemühte, er konnte nur die drei Eier, Gras und Zweige fühlen. Enttäuscht zog er die Hand zurück als ihm plötzlich etwas gefiedertes ins Gesicht fuhr. Vor Schreck verlor er den Halt und begann vorwärts zu stürzen, mit beiden Händen ins Leere greifend. Da packte ihn jemand am Saum seines Gewandes und zog ihn zurück an den sicheren Stamm. Lale hatte die Situation schnell erkannt und ihren Freund gerettet als die Elster zurückkam um ihr Nest zu verteidigen. Schnell begaben sie sich wieder auf feste Erde um den wütenden Angriffen des kleinen Vogels zu entgehen. Unten angekommen umarmten sie sich, wegen der gemeinsam überwundenen Gefahr, aber auch weil beide sehr froh waren im anderen einen guten Freund gefunden zu haben. Da erkannte Yuta daß diese erneute Rettung das zweite, silberne Ei aus seinem Traum gewesen war. Es stand für seine Vergeben. Denn hätte er Lale und den Anderen ihren Fehler weiter nachgetragen, er wäre nicht mit ihr auf diesen Baum geklettert. Er wäre alleine gewesen und tief gefallen.
Und doch hatte sich der Taum nicht erfüllt, denn der Stein war nicht im Nest gewesen und er war ihm nicht näher als zuvor. Traurig verließen beiden den kleinen Wald und gingen den Weg zurück den sie gekommen waren. Da lag der Fluß im Tal unter ihnen wie ein goldenes Band in der Sonne. Dieser Anblick gab Yuta Frieden und beide entschlossen sich nicht den kürzeren Weg durch die Auwälder zu nehmen sondern dem gewundenen Fluß zurück zu ihrem Dorf zu folgen. Am Fluß angekommen tranken sie von dem kühlen Wasser, denn sie waren von der langen Wanderung durstig. Weiter watetet sie durch das sanft fließende Gewässer, hörten das Flüstern der kleinen Wasserfälle und bewunderten die Schönheit ihrer Welt. Vor der letzten Kehre, gerade als die Nacht begann hereinzubrechen, setzten sie sich an das Ufer um zu rasten. Da landete ein Vogel keine drei Meter von ihnen entfernt auf einem Fels im Wasser. Es war eine der Elstern und sie blickte zu ihnen, legte den Kopf schief und erhob sich erneut in die Luft um im Unterholz zu verschwinden. Einer inneren Stimme folgend stand Yuta auf und watete zu dem Felsen. In dessen Schatten hatte sich nach dem Hochwasser eine kleine Sandbank geformt. Und dort, als hätte er auf ihn gewartet, lag sein Stein. Die Elster hatte den Stein also nicht fortgetragen, doch sie zeigte ihm wo er lag. Voller Glück hob er ihn auf und betrachtete sein Funkeln in den letzten Strahlen des Lichts. Lale lachte mit ihm, und als sie zusammen in das Dorf zurückkehrten feierten alle Kinder. Denn nun, da ihre Herzen in Freundschaft verbunden waren konnten alle die Geschichten des weisen Steines hören. Und niemals wieder sollte sie der Neid auseinanderbringen.


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Bildmaterialien: www.ancient-guardian.com
Tag der Veröffentlichung: 31.03.2012

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