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Prolog

Seelengefährten war das wertvollste überhaupt in der Mythenwelt, wo Wesen lebten, die unsterblicher nicht sein konnten. Lebte man eine Ewigkeit, konnte es qualvoll und erdrückend werden. Vielleicht sogar auf ihre Art und Weise langweilig, wie ein mancher fühlte. Es konnte trostlos werden, irgendwas nicht zu besitzen, wofür es keinen Sinn in ihrem Leben gab. Auch ohne wirklich verrückt zu werden. Oder gar einsam.

Um all das zu umgehen, hatte das Schicksal, oder wer auch immer für dieses Phänomen in der Mythenwelt verantwortlich war, einen Gefährten fürs Leben zur Seite gestellt. Zwei die auf einer bestimmten Ebene zusammenpassten, wie kein anderes Paar. Egal welcher Art, sie gehörten zueinander. Egal zu welchem Volk, für sie war es bestimmt zusammen zu sein.

Es war ein heiliges Gesetz, was nicht gebrochen werden konnte. Und es war heilig, weil nie einer dagegen ankommen konnte, dieser Anziehung und Versuchung, die zwischen zwei Seelengefährten herrschte, zu widerstehen.

Niemand konnte sagen, woher dieser Drang kam und wer überhaupt dieses Gesetz, seinem Seelengefährten ewig treu und ergeben zu sein, stammte. Oder ob es auch nur einer gewissen Laune heraus kam, was die Natur ihnen aufdrängte.

Jedenfalls sah es nicht jeder als etwas heiliges und wertvolles an, seinen Gefährten fürs Leben zu finden, dass bis tief in die Seele ging. Viele betrachteten es als eine Art Last und Fluch. Oft kam es vor, bevor sie einen Bund unter Seelenverwandten eingingen, sich schlimme Dinge antaten. Oder sogar töteten. Nur um dieses Gesetz zu umgehen und auf ewig frei zu sein. Nicht jeder wollte sich auf solche Weise binden, wie ein Unsterblicher es konnte. Schließlich war es ein Bund für alle Ewigkeit und ging man einmal diese Bindung ein, konnte sie nie wieder voneinander gelöst werden. Nur der Tod vermochte es.

Sollte der geheiligte Gefährte auf einer gewissen Art und Weise sterben, war es unausweichlich, dass das Gegenstück, wer am Leben war, nach einer gewissen kurzen Zeit in den Tod folgte. Die Seelenqual würde so unerträglich und schmerzhaft werden, das niemand den Drang widerstehen konnte, sich selbst das Leben zu nehmen. Egal wie jemand umkam.

Für jedes Geschöpf in der Mythenwelt war nur ein Seelengefährten in ihrem unendlich Dasein vorherbestimmt. Manchmal war es fraglich, ob sie die je finden würden. Oder ob sie schon geboren worden waren. Oder gar vielleicht nicht mehr lebte. Es war eine grausame Welt unter furchteinflößenden und unterschiedlichen Wesen, welche ewig lebten.

Nicht jeder besaß das unendliche Glück sein Gegenstück überhaupt zu finden und aus diesem Grund wurde es als ein heiliges Gesetz eingeordnet, wer seinen Seelenpartner finden, ihn oder sie mit dem größten Respekt entgegenzutreten. So war es in den heiligsten und ältesten Schriften niedergeschrieben.

Oft kam auch vor, Mythenwesen fanden nie ihren Seelengefährten, worauf sie eine andere feste Bindung eingingen. Oft aus Liebe zueinander, oder gar für andere ihrer persönlichen Zwecke.

Denn noch ein heiliges Gesetz im Mythos besagte: Kein Unsterblicher war für die Ewigkeit geschaffen ewig alleine zu sein. Absolut niemand.

 

- Unbekannter Verfasser der heiligen Schrift -

1

 

„Bist du dir sicher, Darius?“, wollte die Frau überrascht vor ihm gegenüber wissen, die Darius als seine Seelengefährtin bezeichnete.

Saphira war eine wunderschöne Frau, mit ihren funkelnden azurblauen Augen, woher sie ihren Namen bekanntlich bekam. Ihr Haar glänzte Golden und sie hatte die Anmut einer Göttin, dem kein Mann widerstehen konnte. Eigentlich sollte er sich glücklich schätzen, solch eine Gefährtin zu bekommen. Aber anderseits konnte er sich nicht dagegen wehren, er empfand nichts für diese wunderschöne Frau. Auch wenn sie guten Herzens war und sich um alle kümmerte, die Leid in sich trugen.

Normalerweise würde es bedeuten, sie beide wären nicht füreinander bestimmt, aber er wusste es tief in sich drinnen, Saphira war seine Gefährtin fürs Leben. Auch sie spürte es. Selbst ihre Drachen fühlten es auf eine gewisse Art und Weise, das Schicksal hatte sie ausgewählt. Doch es wäre verkehrt, wenn sie nicht einander lieben würden und dann einen Seelenbund eingingen. Das würde selbst für die Drachin in Saphira nicht infrage kommen.

Anscheinend waren sie beide eines der seltenen Wesen in der Mythenwelt, die damit bestraft wurden, ewig aneinander gebunden zu sein, ohne jegliche Liebe. Aber sie konnten nie wirklich frei davon sein. Er würde nicht einmal auf den Gedanken kommen, ihr etwas anzutun, weil er sie als die Seine schätzte und auch mochte. Als eine gute Freundin in seinem Volk. Mehr würde es nie sein und reichen.

Mit einem Seufzen wandte Darius sich an Saphira, die von ihrem Sessel aufgesprungen war. Sie war von der östlichen Stadt Nascar hier zum Königsschloss gekommen, um ihn zu besuchen und als fungierendes Ratsmitglied. Was er ja auch einmal gewesen war, bevor Lucien, sein Neffe, ihn als Stratege und Ratgeber mit Rat und Tat zur Seite stand. Nur hatte sich einiges verändert. Vieles um genau zu sein.

„Ja, ich bin mir sicher, Saphira. Ich will und habe beschlossen, mich als Ratsmitglied zurückzuziehen und um als vollwertiges Mitglied dieses Hofes zu fungieren. Ich kann nicht gleichzeitig hier und in Nascar sein. Das weißt du“, fing Darius an. „Es mochte am Anfang noch gehen, aber es treten immer mehr Probleme auf, die meine volle Konzentration und Anwesenheit brauchen. Da bleibt mir keine Zeit, mich noch um die Angelegenheiten in Nascar zu kümmern. Auch wenn dies mal mein Zuhause gewesen war. Und wir wissen beide, alleine wirst du es nicht schaffen.“

Entsetzt schaute sie ihn mit ihren meerblauen Augen an. „Wie stellst du dir das vor? Vor allem mit wem?“

„Ich habe mir schon längere Zeit darüber Gedanken gemacht und du bist auch die Erste, mit der ich darüber spreche. Du weißt, ich würde keine Entscheidung treffen, ohne mit dir darüber gesprochen zu haben. Zumal mir auch keine andere Wahl bleibt. Du musst verstehen, wie wichtig das alles jetzt ist. Gerade jetzt“, betonte er das letzte Wort, weil es ein Nachdruck verleihen sollte.

„Ja, ich verstehe schon die ganze Lage, in der wir Drachen jetzt stecken. Es wird jetzt nicht einfach sein. Aber ich verstehe nicht, warum du gleich über einen Rücktritt deines Amtes nachdenkst. Geht das nicht etwas zu weit?“, wurde Saphira sachlich und ernst.

Darius schüttelte nur mit seinem Kopf. „Nein, es wird nie wieder so kommen, wie es einmal gewesen war und du weißt es genauso gut wie ich. Mache dir nichts vor, Saphira. Egal wie alles jetzt kommen oder gar passieren wird, ich kann nicht wieder nach Nascar zurückkehren. Dafür ist jetzt zu vieles passiert, seit diesem Vorfall vor acht Monaten.“

Acht Monate waren seither vergangen, als Emmanline verschwunden war und einen Verrat an den König und Seelengefährten begangen hatte, womit niemand gerechnet hätte. Geschweige, das sie dazu imstande war. Nie hatte die Elfe, indem ein solch seltenes Wesen steckte, nur die Vermutung gemacht, zu solch einer grausamen Tat fähig zu sein.

Doch wenn er es nicht selbst mit eigenen Augen gesehen hätte, würde er es niemals glauben. Nicht wenn er diese Kälte und Gnadenlosigkeit in ihrem Gesicht gesehen hätte. Geschweige ihre Worte, die schwach an seinem Ohr gedrungen waren, hätte er es niemals für möglich gehalten.

Genau vor acht Monaten hatte diese Frau, die eigentlich so lieb und sanft war, seinen Neffen einen Dolch ins Herz gestoßen. Ohne Erbarmen. Doch … warum sträubte sich alles in ihm, daran war etwas falsch?

Ein tiefes Knurren riss ihn aus seinen Gedanken. „Schon klar, niemand hätte damit gerechnet, sie könnte Lucien derart so was antun, weil sie eigentlich Seelengefährten waren. Dabei sahen sie glücklich und unzertrennlich aus. Aber es ist nicht zu ändern, dass dies nun einmal passiert ist. Wir müssen mit dieser Situation umgehen“, konnte er leichte Missbilligung aus ihrer Stimme wahrnehmen.

„Egal wie wütend oder erzürnt du über diese Lage bist und selbst andere. Aber ich glaube, etwas stimmt nicht. Darum muss ich hier bleiben und herausfinden, was es ist. Mein Drachen täuscht mich nie, wenn ich ihm folge“, knurrte er jetzt bedrohlich und er wollte auch keine Widerworte über seine Entscheidung hören, weil er seine Meinung nicht ändern würde.

Entsetzt schnappte Saphira nach Luft. „Du glaubst doch wohl nicht, diese Elfe wäre unschuldig, obwohl sie Verrat an unserem König begangen hatte?“

„Was ich glaube, denke oder sehe, lasse mal meine Sorge sein. Ich werde dich schon noch früh genug darüber informieren, wie es aussieht. Wenn ich etwas zu bedenken und zu erzählen habe, dann teile ich meine Meinung schon“, funkelten seine Augen etwas ermahnend und stand von seinem Stuhl auf, wo er die ganze Zeit gesessen hatte.

Seit Darius auf diesem Schloss lebte, hatte er neben seinen privaten Räumlichkeiten auch ein Arbeitszimmer bekommen, indem er sich ausbreiten konnte. Vor ihm lagen Unmengen an Landkarten und strategische Pläne, die er oft ausgearbeitet hatte. Oft saß er unzählige Stunden hier und arbeitete an seinen wohlüberlegten Werken. Es war nicht immer leicht, aber Darius wusste, er war gut in dem was er tat. Niemand würde ihm das streitig machen.

„Tue was du für richtig hältst, Darius“, war sie es jetzt, die etwas bedrohlich wirkte. „Aber lasse es mich ja wissen, bevor du jemand neues für deine Nachfolge ausgesucht hast. Egal was du vorhast, es ist falsch. Wenn du denkst, etwas Gutes steckt in dieser Frau, die einst hier gelebt hatte, dann hoffe ich für dich, du begehst keinen großen Fehler“, stand Saphira einfach auf und verließ sein Arbeitszimmer.

Es machte ihm nicht sonderlich etwas aus, wenn sie wütend auf ihn war. Sie beide hatten schon oft verschiedene Differenzen gehabt und waren unterschiedlicher Meinung. Aber es hinderte sie nicht daran, immer wieder auf gewisse Art und Weise zusammen zu kommen.

Kaum das Darius sich seufzend gesetzt hatte, klopfte es an seiner Tür. Er wusste, Saphira war es mit Sicherheit nicht. Darum bat er den unerwarteten Besuch herein. Überrascht schaute er auf, als plötzlich sein Neffe Raiden und seine Nichte Lya in seinem Arbeitszimmer traten.

„Wir müssen dringend miteinander reden“, war es Raiden, der darauf bestand.

„Es geht um Lucien“, sprach Lya weiter, die etwas bedrückt und traurig aussah.

Mit einem Nicken bedeutete er die zwei sich zu setzen. „Was hat er jetzt wieder angerichtet?“, wollte er wissen.

Ob jemand es glauben mochte oder nicht, aber Lucien war seit dem Vorfall, den Emmanline begangen hatte, noch immer am Leben. Niemand hätte damit gerechnet, dass er es überleben würde, obwohl der seltsame Dolch durch sein Herz ging. Eigentlich hätte sein Neffe tot sein müssen. Auch sein Herz hatte schon aufgehört zu schlagen. Aber aus einem unerfindlichen Grund lebte Lucien noch, was nicht nur ihm ein Rätsel aufgab.

Nur wenige wussten von Emmanlines Erscheinen und ihrem wahren Wesen als Einhorn. Doch jeder wusste, welche Tat sie begangen hatte. Jeder reagierte anders darauf, was seltsam erschien. Der eine wütend und erzürnt. Andere wiederum entsetzt und enttäuscht. Wenige aber auch zweifelnd.

Woran lag es dann? Etwas stimmte an der ganzen Sache nicht, wenn eigentlich sein Neffe hätte tot sein sollen. Dabei war sein Herz wirklich durchbohrt worden, nicht wie viele behaupteten, diese Frau mit dem schneeweißem Haar hätte es nur knapp verfehlt.

„Seit Lucien erwacht ist“, fing Lya an zu sprechen, woran man in ihren seltenen wunderschönen azurblauen Augen, mit grünen Sprenkeln, erkennen konnte, welcher Kummer in ihnen lagen. „Er verändert sich, Onkel. Er ist nicht mehr derselbe wie vorher.“

Ihm war selbst aufgefallen, wie sehr sich sein Neffe verändert hatte, seit der Dolch aus seiner Brust war. Viele gehen von der veränderten Gefühlsregung aus, weil er von seiner Seelengefährtin so schändlich verraten wurde. Das wäre ein guter Grund, so erzürnt und wütend zu sein. Niemand wollte das je erleben oder durchmachen müssen.

„Ja, ich weiß, Lya“, fuhr Darius sich mit seinen Fingern durch sein dunkles fast schwarzes Haar.

„Seit Emmanline vor einigen Monaten ihm das angetan hatte, verändert er sich immer mehr. Er wird gefühlloser und kaltherziger, als je zuvor. Er tut Dinge, die nicht zu ihm passen“, sprach seine Nichte weiter.

„Was vermutlich nicht das Einzige ist“, meinte Raiden. „Irgendwie habe ich auch das Gefühl, irgendwas an der Sache stinkt hier. Auch wenn Lucien und sie keinen Seelenbund eingegangen waren, zweifle ich an der ganzen Sache, dass er absolut nichts unternimmt. Er weigert sich regelrecht dagegen, dieser Elfe hinterher zu jagen.“

Genau dies war bisher immer sein Gedanke gewesen. Wahre Seelengefährten konnten nicht ohne dem anderen auskommen. Und wenn sie den erst einmal gefunden hatten, würden sie ewig hinter ihnen herjagen. Bis sie ihn oder sie hatten. So war es stets gewesen. Selbst bei Lucien. Was war also verkehrt?

„Mir ist auch schon aufgefallen, wie abweisend er über das Thema spricht oder reagiert“, lehnte Darius sich in seinem Stuhl zurück. „Er will auch absolut nicht über Emmanline reden. Einerseits konnte man am Anfang auch davon ausgehen, er wäre wütend über diesen Verrat von ihr. Aber etwas in mir sagt genau das Gleiche, hier stimmt etwas nicht. Schon oft habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was Lucien in diesen Zustand gebracht hat. Mir ist bisher immer nur eines eingefallen.“

„Und das wäre?“, wollte Lya unbedingt erfahren.

„Der Dolch, der sein Herz durchbohrte.“

Überraschte und entsetzte Blicke wurden ihm zugeworfen.

„Du glaubst, dieser Dolch wäre die Ursache dafür?“

„Vielleicht hat er Recht“, begann Raiden. „Sie ist zum Teil auch eine Elfe. Woher sollen wir nicht wissen, ob sie mit dem Dolch nicht irgendwas angestellt hat, bevor sie ihn benutzte. Zumal habe ich selbst gesehen, als ihr ihn zum Schloss zurückgebracht habt, wo und wie gut platziert er in seiner Brust gesteckt hatte. Normalerweise hätte Lucien tot sein müssen“, wandte Raiden sich an seine Schwester. „Etwas musste mit ihm passiert sein, was ihn plötzlich ins Leben zurückgerufen hatte.“

„Wenn Emmanline wirklich so bedacht gehandelt hatte, dann verstehe ich nicht, warum sie mit diesem Verräter mitgegangen war. Wir hätten sie doch beschützt“, klang Lyas Stimme so zweifelhaft.

„Genau das ist das Problem. Etwas muss passiert sein. Zwischen Culebra und ihr, wovon keiner was weiß. Was sie auch veranlasst hatte, zu solch einer Tat fähig zu sein, sie hatte es nicht grundlos getan“, zuckte Raiden mit seinen Schultern. „Ihr habt sie selbst oft genug gesehen, sie tat nie irgendwas, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. Jetzt wo wir wissen, in ihr steckt ein so seltenes Wesen, glaube ich noch weniger daran. Sie hatte stets versucht, es vor allem zu verbergen und keiner durfte je davon Wind bekommen. Vor allem Culebra nicht“, verfinsterte sich sein Gesicht immer bei diesem Namen.

Lya seufzte frustrierend auf. „Meint ihr, sie hat einen magischen Zauber gewirkt, um somit sein Leben zu schützen? Immerhin sind Elfen auch dazu imstande Magie anzuwenden.“

„Entweder so was in der Art. Oder wer weiß was. Doch egal wie sehr wir versuchen würden mit Lucien darüber zu sprechen, er würde uns nicht zuhören“, kam die wahre Erkenntnis immer mehr zum Vorschein, wenn Darius es laut aussprach.

„Ja, wir wissen was passiert. Sonst würde uns nur das Gleiche, wie mit Cyrill passieren, als er einfach verbannt wurde. Und ganz außer Acht können wir hier das Ganze nicht lassen“, wandte sich Raiden ein, was selbst an seine Grenzen ging.

„Mir tut es jetzt noch leid, wie er einfach verschwinden musste. Cyrill ist ein guter Krieger. Er war der Einzige, der sich wirklich gegen Lucien gestellt hatte“, sprach eindeutlich die Mütterliche aus seiner Nichte. „Als Emmanlines Leibwächter war er teilweise verantwortlich gewesen und ich will nicht wissen, was jetzt in ihm vorgeht.“

„Was auch immer es war, was Cyrill angetrieben hatte, selbst so zu handeln, verschafft uns vielleicht einen Vorteil“, meinte Darius. „Bevor er gegangen war, habe ich ihn damit beauftragt, er soll überall nach ihr suchen, wo er kann. Wir müssen den Grund herausfinden, warum Emmanline es getan hatte und was jetzt los ist. Wir können nicht weiter planlos herumirren. Zumal müssen wir uns auch noch Gedanken machen, das wir noch die Fae im Nacken haben. Keine Ahnung was sie vorhaben, aber laut guter Quellen, planen sie etwas. Und wir werden das Ziel sein.“

„Wenn das nicht auch unsere einzige Sorge ist, wenn wir noch den Fluch drauf rechnen, der auf unserem Volk lastet. Kein guter Zeitpunkt mit dem ganzen Scheiß“, knurrte Raiden bedrohlich auf, weil es verdammt düstere Zeiten waren.

Egal was jetzt kommen mag, aber sie mussten sich etwas einfallen lassen. Alle wussten, wie unberechenbar Lucien jetzt werden konnte. An guten Tagen war er noch human, aber an seinen schlechten, wurde er nur aufbrausend und wütend. Jeder hatte gewusst, sollte eines Tages Emmanline verschwinden, würde der König sich verändern. Aber niemand rechnet damit, der Herrscher würde gefühlskalt werden.

„Mir müssen noch ein wenig abwarten. Auch was Alastar jetzt anbringt“, teilte Darius seine Gedanken mit ihnen, weil er wusste, er konnte ihnen vertrauen.

„Was hat Alastar damit zu tun?“, horchte Lya auf.

„Alastar ist genauso auf der Suche nach Emmanline und Culebra“, beantwortete Raiden ihre Frage. „Als geborener Jäger hat er vielleicht bessere Möglichkeiten sie zu finden.“

Verstehen flackerte in Lyas wunderschönen Augen auf. „Habt ihr diese Vorkehrungen schon von Anfang an getroffen?“, wollte sie wissen.

„Das hatte er selbst beschlossen.“

„Doch nicht etwa, um seine Drohung wahr zu machen, weil er sie angeblich töten will, sollte sie je etwas falsches tun?“

„Nein“, schüttelte Darius mit seinem Kopf. „Er kam selbst zum Schloss. Ich weiß nicht was ihn dazu bewegte, aber er macht es aus freien Stücken. Langsam habe ich das Gefühl, jeder macht was er will, ohne darüber nachzudenken oder mal eine kleine Absprache zu halten.“

Dabei hatten sich zuvor Alastar und Emmanline überhaupt nicht verstanden. Selbst danach nicht sonderlich, als er von ihrem Geheimnis wusste. Wobei, Alastar war immer abweisend. Jedem gegenüber. Doch Darius verspürte etwas, zwischen Alastar und Emmanline gab es einen Teil, wovon niemand etwas weiß. Solange es etwas Gutes war, sollte es ihm genauso recht sein. Sie konnten jede Unterstützung außerhalb dieser Mauern gebrauchen. Auch wenn er ein erbarmungsloser Jäger war, was ihn von Geburt an in die Wiege gelegt wurde.

Jetzt konnten sie nur hoffen und darauf vertrauen.

 

Eine Ewigkeit, so fühlte es sich für Jade an, seit sie das letzte Mal wieder Zuhause gewesen war. Zumal sie ansonsten Jahre brauchte, um wieder in Schloss zurückzukehren. Oft mied sie es auch, aber hin und wieder kam sie gerne zurück. Auch wenn ihre ganzen Geschwister manchmal unerträglich waren.

„Mache hier mal nicht schlapp, Fenni. Dauernd muss ich auf dich warten“, wartete Jade auf einem kleinen Hügel auf ihn. Ihr kleiner Zwerg, den sie sich vor einer langen Zeit anlachte weil sie Erbarmen für ihn gezeigt hatte. Es kam nicht oft vor, dass sie andere Wesen vor ihrem Unglück rettete. Doch derweil verfolgte der Zwerg sie auf Schritt und Tritt. Tat sogar alles, was sie ihm befahl. Wie jetzt, als er ihre ganzen Sachen schleppen musste.

Sie wusste, sie war manchmal hart zu ihm und nicht gerade gerecht, aber so war sie nun einmal. Sie konnte nichts gegen ihren aufgeschlossenen und übermütigen Charakter tun.

Seufzend wartete sie auf Fenni, wobei sie hin und wieder ihre Geduld verlor. „Wurde auch Zeit. Du wirst ja wohl, seit wir die Hauptstadt Tarentea verlassen hatten, nicht aufgeben“, tadelte sie ihn. „So viel Gepäck ist das auch wieder nicht.“

Schon etwas genervt und ohne jegliche Geduld, wandte Jade sich einfach um und raffte ihr rotes langes Spitzenkleid am Saum. „Gut, ich kann einfach nicht länger warten und muss zum Schloss. Du wirst schon hinterher kommen“, sprach sie und ging voraus. Sie konnte es einfach nicht mehr abwarten. Sie war gespannt, was sie erwartete.

Im Schloss führte ihr Weg sie als erstes in die Halle, wo sich einige seiner Geschwister versammelten hatten. Sowie sein Onkel auch. Anscheinend hatten sie gerade gegessen. Nur Lucien fand sie hier nicht. Und irgendwie verspürte sie eine merkwürdige Stimmung.

„Na, wenn das nicht unsere verschollene Schwester ist“, knurrte Ysera und blickte zu ihr auf. „Wurde auch mal Zeit, das du dich hier blicken lässt. Du bist ja auch so nicht zu erreichen oder zu finden.“

Dieser Vorwurf von ihr, ließ ihre Stirn runzeln und sie schaute in die Gesichter der Anderen, die ziemlich bedrückt waren.

„Was zieht ihr denn alle für Mienen? Solltet ihr nicht alle freudiger Erwartungen sein?“, ließ Jade sich auf eines der freien Stühle am Esstisch fallen. „Und wo steckt überhaupt Lucien? Ich würde gerne mit ihm reden.“

„Er wird vermutlich, wie jeden Tag, in seinem Arbeitszimmer sitzen“, beantwortete Taran ihre Frage, der in einem Buch vertieft zu sein schien.

„Du wirst kein großes Glück haben, weil er zur Zeit kaum ansprechbar ist“, meinte Lodan, der ebenfalls seine Nase in ein Buch steckte.

Was war denn hier los? Fraglich hob sie eine Augenbraue. „Ok, dann wird Emmanline wohl irgendwo in seiner Nähe sein.“

Allein diese Grabstimmung, war mehr als merkwürdig und es reichte ihr jetzt vollkommen. Irgendwas verheimlichten sie ihr. „Was soll das Ganze? Was ist hier los und wieso ist unserer verehrter Bruder nicht ansprechbar?“, welche Fragen ihr Onkel Darius beantwortete, was bisher vorgefallen war und ihr blieb doch etwas die Luft weg. War das alles passiert? „Warum hat mir niemand vorher Bescheid gegeben?“

„Natürlich, weil wir ja immer alle wissen wo du steckst. Du treibst dich doch in allen Ecken der Welt herum und treibst sonst was“, machten sie ihr einen Vorwurf.

Sicher war sie oft nicht auffindbar, aber es hatte alles einen Sinn und Zweck. Doch es gab auch sichere Wege, wie sie sie erreichen konnten. Selbst wenn ihre ganzen Geschwister nichts von ihren Job als Spionin wussten, wusste es ihr Onkel allemal. Dafür schenkte sie ihm einen finsteren Blick, worauf er mit seinem Kopf schüttelte.

„Was ist jetzt mit Emmanline? Vor allem, wo steckt sie jetzt?“, kam Jade ein weiterer Gedanke, als sie bleich wurde. Was sie nie wurde.

„Wir wissen es nicht.“

„Heilige Scheiße, das darf doch wohl nicht wahr sein“, fluchte Jade lauthals, was die Wände der Halle gut wiedergab.

„Jade, ich dürfte dich doch wohl sehr bitten“, betrat ihre etwas ältere Schwester Lya den Saal mit ihrer kleinen Tochter Shay, die ihr die Ohren zugehalten hatte. „Keine Kraftausdrücke.“

Jade hatte nie das Vornehme und Anständige an Lya verstanden, aber gut, wenn Kinder in der Nähe waren, zügelte sie sich. Doch sie konnte es nicht unterdrücken, wie fassungslos sie darüber war.

„Wenn Emmanline wirklich bei diesem Wahnsinnigen ist und dann noch in dieser Lage ...“, unterbrach sie sich selbst, weil sie einfach diesen Gedanken nicht ausführen wollte. Doch im gleichen Augenblick kochte Wut in ihr hoch.

„In welcher Lage?“, horchte Darius auf. „Jade, was weißt du?“

„Oh, ich werde ihn so was von in den Ar...“

„Jade“, ermahnte ihre brave Schwester sie. „Was hatte ich dir gerade mit deiner Wortwahl gesagt?“

„Gut, dann trete ich meinen Bruder jetzt in den Hintern“, knurrte Jade und wandte sich von allen ab, um davon zu stürmen. Sie steuerte direkt auf Luciens Arbeitszimmer zu und ihr war es egal, wer sie alles verfolgte. Oder aufzuhalten versuchte. Wenn Lucien glaubte, er komme damit durch, hatte er sich bei ihr schief gewickelt.

Mit einem Ruck, riss sie die Tür auf und erkannte, wie Raiden und Lucien über etwas diskutierten. Nach ihren Mienen zu urteilen, gab es wieder eine Meinungsverschiedenheit, was bei ihnen öfters vorkam. Nichts ungewöhnliches.

„Jade, du bist wieder zurück?“, meinte Lucien zu ihr und etwas stimmte hier wirklich nicht. Er wirkte verändert und auch etwas abweisend.

Sie kniff leicht die Augen zusammen, als sie in der Mitte des Zimmers stand und ihre Hände in die Hüfte stemmte. Jeder konnte sehen wie wütend und aufgebracht sie war. Auch ihre Drachin war erzürnt. Es kam auch nicht all zu oft vor, dass sie ihren vollen Zorn freien Lauf ließ.

„Was soll das, Lucien? Eben gerade habe ich erfahren, Emmanline ist nicht an deiner Seite und du holst sie nicht zurück?“, flackerte ein böses Feuer in ihren Augen auf.

Auch Lucien schien über dieses Thema nicht begeistert zu sein und seine Miene verfinsterte sich. „Ich werde darüber nicht sprechen. Für mich ist die Sache erledigt, Jade, und es wird so bleiben.“

„Ach ja, indem du deine Seelengefährtin in Stich lässt?“, schnaubte sie abfällig. „Die beste Lösung aller Zeiten, deinen Problemen aus dem Weg zu gehen.“

„Was soll das werden?“, knurrte Lucien sie finster an. „Willst du, wie jeder andere hier auch, mir ins Gewissen reden, dass ich anscheinend was verkehrtes tue?“, machte er eine weite Armbewegung, damit er alles umfassende meinte. „Nur weil ich aus reinem Verstand weiß, was mir angetan wurde? Ich weiß was ich gesehen und gefühlt habe. Sie will anscheinend nicht, das man ihr hilft und ich werde es akzeptieren. Wenn sie glaubt, ich werde ihren Verrat an mir einfach so hinnehmen, dann habt ihr euch alle geirrt“, präsentierte Lucien ein Teil seiner Macht, dass selbst sie schlucken und zurückweichen musste.

„Du kannst sie aber nicht einfach so gehen lassen“, beharrte Jade weiter und wurde auch schon von Raiden an den Schulter gefasst, während er sie zurückdrängte.

„Lass es gut sein“, meinte ihr ältester Bruder.

„Nein, kann ich nicht“, schaute sie weiter fest auf Lucien. „Ich werde nicht ohne den Gedanken gehen, dass ich dir nicht ins Gesicht gesagt habe, wie sich unsere Eltern im Grabe umdrehen müssen und wie schändlich du dich hier verhältst.“

Ihr war es vollkommen egal, was es ihr einbringen würde. Oder wie zornig Lucien ihr gegenüber war. Hauptsache war, jemand sagte ihm wie falsch es war. Vor allem seiner Seelengefährtin gegenüber.

„Du treibst es entscheidend zu weit, Schwester“, knurrte Lucien sie wutentbrannt an.

„Ich wohl kaum, wenn man dir das direkt ins Gesicht sagen muss.“

„Jade“, packte weiter Hände sie an, um sie zurückzuziehen, aber sie war noch lange nicht fertig.

„Oder dir sagen muss, wie du deine eigene Gefährtin in Stich lässt, die für dein Leben bestimmt ist. Oder soll ich sagen, dass du deine schwangere Seelengefährtin einfach abweist und ihr nicht zur Seite stehst?“

Entsetzte Laute waren zu hören und plötzlich war es in dem Raum toten Still geworden. Selbst die Hände ließen von ihr ab, bei der Offenbarung. Selbst als sie in Luciens Gesicht schaute, stand Schock und Verwirrung geschrieben. Ja, er sollte schockiert sein, über das was sie erzählte.

„Ob du es nun glaubst oder nicht, Bruder, aber Emmanline ist schwanger. Bei meinem letzten Besuch und bevor ich abreiste, war sie es gewesen. Seit dem müssten an die acht Monate vergangen sein und bald soweit sein“, zuckte sie mit ihren Schultern.

„Das ist nicht wahr?“, verdunkelte sich Luciens Augen. „Das ist ein Trick.“

„Was für ein Trick?“, schnaubte Jade missbilligend darauf. „Ich habe es selbst an ihr gerochen, als ich sie zuletzt gesehen hatte. Ob du es nun glaubst oder nicht, sie trägt dein Kind in ihrem Leib. Verstoße sie nur weiterhin, wenn du dadurch so selbstzufrieden und glücklicher bist. Vater und Mutter hätten es sicher nicht gut geheißen, wenn du dich hier so feige verkriechst.“

„Du gehst jetzt wirklich zu weit“, war es Raiden, der ihr diese Worte sagte.

„Warum? Anscheinend weiß niemand davon, weil es keinen schert“, machte sich Jade von seinen Hände los und wandte sich ab. „Und eines will ich dir noch sagen, Bruder“, blickte sie ihn noch einmal über ihre Schultern an. „Ich zweifle nicht daran, was in deiner Gefährtin vorgeht. Ich habe sie gesehen, wie aufgebracht und aufgelöst sie gewesen war, als sie feststellen musste, sie erwartet ein Kind von dir. Sie hatte sich sogar verdammte Sorgen gemacht, du könntest negativ darauf reagieren. Ich hatte gewusst, du hättest dich über alles von ihr gefreut, aber wenn ich jetzt die Umstände betrachte, sehe ich dafür schwarz und das Emmanline ihrer Sorgen berechtigt gewesen war. Scheiß auf diesen Dolch in deiner Brust. Wir Drachen halten eine Menge aus. Warum stehst du dann noch hier und lebst?“, warf sie die Frage einfach in den Raum und verschwand einfach aus diesem Zimmer. Sie konnte es nicht mehr ertragen, noch länger zu bleiben. Ansonsten würde sie etwas ganz dummes tun, wobei es keinen Weg zurück gab.

 

Wie versteinert stand Lucien da und starrte auf die Stelle, wo Jade bis eben noch gestanden hatte. Es konnte nicht wahr sein. Emmanline konnte nicht schwanger sein. Oder etwa doch?

Als er vor acht Monaten zurückdachte, als er noch wusste, wie aufgebracht Emmanline gewesen war, musste er schlucken. Wollte sie ihm da sagen, sie erwartete ein Kind von ihm? Das konnte unmöglich sein. Nur verbundene Paare konnten von dem jeweiligen Gefährten schwanger werden. Und sie waren keinesfalls miteinander verbunden gewesen. Sie waren kein Seelenbund eingegangen. Er hätte es gewusst und gespürt. Trotzdem soll sie von ihm schwanger sein?

Zumal, wenn Emmanline vorher die Wahrheit gesprochen hätte, dürfte unter seinesgleichen keine Geburten mehr geben. Immerhin war ihre Rate von Kindern enorm zurückgegangen. Gegen den Nullpunkt sogar. Das konnte nur ein Trick sein. Nichts anderes. Egal was sie ihm sagen würden, aber er konnte dem kein Glauben schenken. Er hatte all die Zeit nichts gespürt.

Gefasst ballte Lucien neben seinem Körper seine Hände zu Fäuste, weil innerliche Wut über den Verrat in ihm hochkochte. Vielleicht war er früher anders gewesen, aber er konnte auf eine Gewisse Art und Weise nicht darüber hinwegsehen. Emmanline hatte ihm einen Dolch ins Herz gerammt. Und nicht nur irgendeiner. Es war der Kristalldolch gewesen, den er ihr geschenkt hatte. Den er damals selbst hergestellt hatte. Extra für seine Seelengefährtin.

Damals hatte er noch zu ihr gesagt, sie solle ihn verwenden, wenn sie in Gefahr war. Gerade weil sie sich nicht verteidigen konnte. Und er hätte niemals vermutet, sie würde ihn gegen ihn selbst einsetzen. Er war vollkommen schockiert und verwirrt darüber gewesen. Sogar zutiefst verletzt und verraten. Er hatte ihr vertraut und gegen jeden verteidigt, der ihr schaden wollte.

Jetzt fragte er sich, ob es der Dank dafür war, wie er sie behandelt hatte? Er konnte es einfach nicht akzeptieren.

„Lucien, wenn Jade wirklich die Wahrheit spricht und Emmanline ist...“

„Schluss“, brüllte Lucien laut. „Ich will davon nichts mehr hören. Versucht ihr mir noch immer einzureden, ich soll sie zurückholen? Das wird nicht passieren“, funkelte er jeden einzelnen finster an. „Und ich glaube nicht daran, was Jade sagt“ war für ihn die Sache einfach beendet. Danach wandte Lucien sich ab und wollte gehen, als eine Bedienstete hektisch angelaufen kam. Verwundert schaute er auf sie herab. Sie hob nicht den Blick und er wusste auch den Grund. Es ärgerte ihn, dass selbst seine eigenen Angestellten nicht einmal mehr den Blick hoben, um ihn anzuschauen. War er wirklich so furchteinflößend geworden?

„Was gibt es, Selina?“, wollte er von ihr wissen.

„Tut mir leid, wenn ich störe, mein König“, sprach sie mit gesenkten Kopf unsicher und nestelte an ihrer Kleidung herum. „Lady Malatya schickt mich zu Ihnen.“

Leicht runzelte er mit seiner Stirn. „Warum kommt meine Schwester nicht selbst zu mir?“

„Das ist so“, setzte Selina an. „Als wir unterwegs zur Küche waren und an Eurem Zimmer vorbei kamen, hörten wir erst seltsame Geräusche. Bis wir so eine Art Babygeschrei wahrnahmen.“

Verwundert schaute er auf und war ungewöhnlich ruhig geworden.

Babygeschrei?, ging es durch seinen Kopf und es konnte nicht das sein, was er vermutete. Doch, er verspürte den Drang nachzusehen und lief los. Natürlich wurde er von all den anderen verfolgt. Verfluchte Neugier.

Lucien Herz schlug ihm bis zum Hals, weil es nicht sein konnte. Es konnte nicht möglich sein, wie Jade es behauptete.

Trotzdem war das beklemmende Gefühl da, was tief in seiner Brust steckte und er nicht ignorieren konnte. Er musste sehen, wen und was er in seinen Räumlichkeiten vorfand. Mit seinen eigenen Augen. Sollte es wirklich stimmen, dann wüsste er nicht mehr, was richtig oder falsch war.

Angekommen, war er bei diesem kurzen Weg schon beinahe außer Atem und es hätte ihn nicht anstrengen dürfen. Seine Luft fehlte ihm, als er wirklich das Kindergeschrei hörte. Nicht nur von einem, sondern von gleich zwei.

Die Tür zu seinen Zimmer war offen und er sah seine kleine Schwester Malatya, wie sie über dem Bett gebeugt dastand und auf zwei winzige Babys herabschaute, um sie zu beruhigen. Sie hörten aber keinesfalls auf zu schreien.

„Lucien, da bist du ja endlich. Ich wollte nicht einfach so in dein Zimmer gehen, aber als ich das Weinen der Babys hörte, konnte ich nicht anders“, entschuldigte sich seine kleine Schwester und er konnte an ihrem Ausdruck erkennen, es war ihr ernst. Jetzt schon, in den jungen Jahren seiner kleinen Schwester, kam die Mütterliche in ihr zum Vorschein.

„Schon in Ordnung“, kam er zum Bett, wo die zwei Kleinkinder lagen. „Woher kommen die?“

„Ich weiß es nicht. Sie waren einfach da und ich habe niemanden gesehen“, zuckte sie mit ihren Schultern.

Fraglich schaute er auf die Babys herab und es war unverkennbar, woher sie kamen. Zwillinge. Ein kleines Mädchen und ein kleiner Junge lagen in zwei weiße Tücher eingewickelt auf dem Bett. Das Mädchen hatte weißes Haar, welches Emmanline so ähnlich war. Und der Junge eher dem seinen, was dunkel kastanienbraun wirkte.

Schreiend krampften sich ihre kleinen Körper zusammen und ihre winzigen Hände waren zu Fäusten geballt. Als würden sie nach ihrer Mutter, oder … eben den Vater rufen.

Hart schluckte Lucien seinen dicken Kloß im Hals runter und wandte sich von ihnen ab. Es konnte unmöglich seine eigenen Kinder sein. Vor allem, warum waren sie hier? Wieso?

 

Erleichtert seufzte Emmanline auf, als ihre zwei Kinder, kurz nach der Geburt, einfach verschwanden. Sie war zwar kraftlos, aber überglücklich. Auch wenn es ihr schier das Herz brach, sie nicht mehr in ihren Armen halten zu können. Dennoch musste es sein, weil ihr die Wichtigkeit und Sicherheit ihrer Babys mehr als alles andere den Vorrang hatten. Vor allem am Herzen.

Auch wenn es nicht fair war und ihre Kinder einfach fortschicken musste, wusste sie, es war das Richtige gewesen. Lucien würde es verstehen und selbst das Richtige tun. Auch wenn sie ihm gegenüber bösartig und unfair erschienen war. Sie verübelte ihm auch keinesfalls, dass er sie in der ganzen Zeit nicht holen gekommen war, weil sie es mehr als verdient hatte, so bestraft zu werden.

Ihre Worte, die sie zu ihm hatte sagen müssen, hatten wie Säure in ihrer Kehle gebrannt. Es war schwer genug gewesen, sie selbst auszusprechen. Doch sie hatte es tun müssen. Vor allem, als sie etwas hatte tun müssen, wovon sie nie in der Lage gewesen wäre. Und auch nie wieder drüber hinweg kommen würde.

Den Kristalldolch, welchen er ihr mit voller Stolz und Liebe geschenkt hatte, musste sie gegen denjenigen einsetzen, wofür sie alles hätte gegeben. Lucien war ein Punkt in ihrem Leben, den sie hatte beschützen müssen. Sogar wollen. Um jeden Preis. Auch wenn er sie dafür hassen würde. Dafür hatte sie gesorgt.

Emmanline wusste auch, selbst für ihre zweite Verfehlung, er würde ihr nie verzeihen. Selbst unter Seelengefährten wusste sie, gab es gewisse Grenzen, was es auszuhalten galt. Darum hegte sie auch keinerlei Hoffnung, sie würde ihn je wieder sehen. Es machte sie trotzdem glücklich, wenn sie wusste, all die sie liebte und lieben gelernt hatte, waren in Sicherheit. Sie waren dort, wo sie hingehörten. Schon immer hatte sie geahnt, sie würde niemals ein Teil davon sein und es machte ihr auch nichts mehr aus. Selbst als es einmal anders gewesen war.

Früher hatte sie sich vielleicht gewünscht, irgendwo gab es einen Ort, wo sie bleiben könnte. Glück zu finden, dort wo sie immer bleiben könnte.

Heute erkannte sie, diesen einen Ort gefunden zu haben. An der Seite von diesem Mann und Drachen, der ihr all das ermöglichte. Lucien war ihr persönliches Glück gewesen und es würde bis zu ihrem letzten Atemzug stets so bleiben. Mit ihm hatte sie eine schöne Zeit gehabt, der ihr so vieles gezeigt und gegeben hatte. Auch wenn er es niemals aus ihrem eigenen Mund hören würde. Selbst über ihre tiefsten Gefühle, die tief in ihrem Herzen schlummerten.

So war es besser, sprach sie zu sich selbst und eine einzelne Träne rollte ihre Wange hinab.

Sie würde nichts bereuen und denken, es wäre falsch an all dem, was sie tun musste. Es musste so kommen, denn sonst würde sie sich all das nie verzeihen können. Selbst das nicht, als sie ihrem Gefährten einen Dolch ins Herz stoßen musste.

Ihr Herz blutete jetzt noch von der Erinnerung, wie es sich angefühlt hatte. Auch als Lucien sie anklagend und verzweifelt angeschaute, welchen tiefen Verrat sie an ihm begangen hatte. Es war die größte Schande gewesen, als sie später das Blut von ihm an ihren Händen hatte kleben sehen müssen.

Das Blut mochte fort sein, aber sie sah es heute noch, wie es an ihr haftete. Und in ihrer Erinnerung verfolgte sie noch immer dieser enttäuschte und verletzte Blick, sollte sie ihre Augen schließen. Jedes Mal brach es ihr erneut das Herz und der Schmerz in ihrer Brust, war mächtiger denn je.

Dies soll ihre Bestrafung sein und ewig erhalten bleiben. Emmanline verlange nie etwas in ihrem Dasein, und Lucien würde ihr je verzeihen. Hauptsache er würde für die sorgen, die sein eigen Fleisch und Blut waren. Mehr wünschte sie sich nicht.

Mit einem Lächeln rollte Emmanline sich auf dem steinigen und kalten Boden zusammen. Mit dem Gedanken, ihren kleinen Babys würde es gut gehen und eine ganz andere Zukunft vor sich haben, als ihre es

gewesen war. Ihre Kinder hatten eine bessere Zukunft verdient, welches sie ihnen niemals geben könnte.

Voller Kummer und Verlust hatte Emmanline eine schwere Entscheidung getroffen. Die Zeit war dafür gekommen, seit sie in diesem Besitz von dem blutroten Rubin der Drachen war. Da sie ihn stets verborgen bei sich trug. Schon öfters hatte sie über dieses Unterfangen nachgedacht und darauf gewartet, dass der heutige Tag kommen würde. Niemals würde es einfach sein, aber sie musste Versprechungen nachgehen, welches sie gegeben hatte.

Sie würde alles erdenkliche tun, wenn es eine Möglichkeit gab, wie sie Luciens Volk helfen konnte.

Was nicht das Einzige war. Ein neues Abkommen. Der rote Stein aus Blut hatte ihre Bitte erhört und nun war sie dran. Sie musste ihren Anteil einlösen. Ihr Versprechen.

Langsam und mit ihrer letzten Kraft, hatte Emmanline sich aufgesetzt und lehnte sich an eine kalte Mauer. Schon lange hatte sie vergessen, wo sie sich befand und es erschien ihr auch nicht mehr wichtig. Zu lange kam es ihr vor, dass sie nur an diesem einen Ort war.

Seufzend betrachtete sie den roten Rubin in ihrer Hand, die die Größe ihrer Handfläche hatte. Schon viele Geheimnisse hatte sie über diesen Stein der Drachen herausgefunden. All das Schreckliche und doch vielleicht die Hoffnung, die Drachen könnten wieder ein befreites Leben führen. Auch wenn sie all das nicht ermöglichen konnte, so wusste sie, etwas anderes schaffte sie schon.

Emmanline konzentrierte sich nur auf den Stein selbst und auf nichts anderes mehr. Ihr war es vollkommen egal, sollte ihr irgendwas passieren. Sie vermutete, was sie erwartete und vorauf sie sich einließ. Auch wenn sie umgeben von dem schrecklichsten Drachen aller Zeiten war. Nach all dem würde er ihr nie wieder was antun können. Es war ein weiteres Versprechen, welches sie es befürwortete.

Ihre Konzentration auf den blutroten Rubin, drückte sie ihn gegen ihr Brust. Direkt über ihrem Herzen. Selbst ihre Augen schlossen sich bei dem Gedanken daran, was sie gleich tun würde. Automatisch kamen ihr die Worte über die Lippen, eine Art Zauberspruch. Keuchend, wie heiß der Rubin der Drachen wurde, wunderte es sich schon gar nicht mehr. Wie ein brennendes Feuer.

Kaum darauf verschwand dieser besondere und wohlbehütete Stein in ihrer Brust, als würde sie ihn einverleiben. Sie verschmolz regelrecht mit ihm, ohne auch nur die Nebenwirkungen zu kennen. Oder was es für sie bedeutete. Schließlich erwartete niemand etwas von ihr. Gar wartet jemand auf sie. Schließlich hatte sie vorher für alles gesorgt, was ihr lieb und teuer erschienen war.

Trotzdem überraschte es sie, ihr Innerstes erwärmte sich auf wohlige Weise, wie sie es bei Lucien empfunden hatte. Sie fühlte sich geborgen und beschützt. Dies war für sie selten und doch vertraute sie darauf. Auch als Emmanline ihre Augen weiterhin geschlossen hielt und nie wieder öffnen würde. Sie verfiel in einem tiefen Schlaf, aber sie spürte, sie hatte zu etwas wichtigem die Verbindung verloren.

Jetzt gab es kein zurück mehr, als ein warmer und wohliger Schleier sie in eine Welt zerrte, die sie zuvor nicht kannte.

 

Culebra riss sich aus seinem bequemen Sessel hoch, als ein derartiger Ruck durch seinen Körper ging. Wut wallte in ihm auf, denn irgendwas stimmte hier nicht. Ihm beschlich auch das Gefühl woher es kam. Es musste was mit dieser Elfe zu tun haben, die ein tiefes Geheimnis in sich barg, welches er noch immer zu lüften versuchte. Und weil sie sich anders benahm.

Seit sie wieder in seinen Fängen war, sprach sie kaum ein Wort. Er hatte absolut nichts aus ihr herausbekommen und es ärgerte ihn maßlos. Schon früher genoss er ihre Angst und wie sie sich vor ihm fürchtete. Doch sie hatte jegliche Furcht vor ihm verloren, was ihn noch zorniger machte, als je zuvor. Er hatte alles erdenkliche getan, um es zu ändern. Ihr Schmerzen zugefügt, die kaum jemand aushalten könnte. Normalerweise würde jeder, der Gefühle besaß, darum betteln, er möge aufhören. Trotzdem ignorierte sie seine Foltern und Qualen. Egal was er zu versuchen gedachte. Er bekam auch keine Informationen aus hier heraus, was ihn zur Weißglut brachte.

Wie konnte man nur so verdammt stur sein. Und so dumm.

Das einzige positive war, sie konnte nicht sterben, egal was er anstellte. Vielleicht war es genau das, wovor sie einfach keine Angst mehr verspürte. Oder es hatte was mit dem verfluchten Drachenkönig zu tun.

Nur viel später hatte Culebra herausgefunden, dieser Mistkerl war noch immer am Leben. Obwohl er es sichtlich genossen hatte, wie sein Leben aus seinem Körper schwand, als die Elfe ihm einen Dolch ins Herz gerammt hatte. Es war eine Genugtuung, die er dabei verspürte. Anscheinend musste diese kleine Elfe irgendeinen Zauber bewirkt haben, was ihn trügerisch täuschte.

Natürlich hatte er sie dafür bestraft und leiden lassen, weil sie ihn hereingelegt hatte. Er ließ nie jemand unbestraft, wer ihn hinterging. Sollte es selbst eine wehrlose Frau sein.

Jetzt stürmte Culebra durch die Gänge seines neuen Unterschlupfs, den er sich gesucht hatte. Es war eine weitere Höhle, die tief in den Bergen von Vesuf lag. Es befand sich im nördlich Reich der Drachen. Die nördliche Grenze und Stadt Tarascon war zwar nicht weit entfernt, aber es juckte ihn kaum. Er wusste sich zu verbergen. Niemand würde hier nach ihm suchen.

Wutentbrannt stürmte Culebra in den Höhlenraum, in dem er seine Gefangenen hielt und in den, wo er die Elfenfrau eingesperrt hatte. Sie konnte nicht fliehen, auch wenn die Eingänge offen waren. Zumal schien sie es auch nicht zu versuchen.

Kaum hatte er den Raum betreten, blieb er wie erstarrt stehen. Sie lag in einer Ecke und die Elfe sah so aus, als würde sie schlafen. Friedlich. Dabei schlief sie nie, so wie er es in Erinnerungen hatte. Oder er versetzte sie in einem tiefen Schlaf. Doch jetzt schien sie anderer Meinung zu sein.

Zornig ging Culebra auf sie zu und wollte sie packen, aber etwas hielt ihn davon ab. Seltsamerweise konnte er nicht nach ihr greifen, egal was er tat. Sie schien für ihn unerreichbar zu sein.

Stirnrunzelnd starrte er auf diese Frau herab und seine Wut stieg weiterhin an. Er wollte ihr wehtun und sie leiden lassen. Bedeutungslos was sie jetzt getan hatte. Darum brüllte er sie voller Zorn an, aber sie wachte, trotz seines Gebrülls, nicht auf, was jeden anderen aufgeweckt hätte und vor Angst erzittern lassen würde.

Das merkwürdigste jedoch war, er konnte ihr kein einziges Leid zufügen. Es ärgerte ihn ohne Maß und er könnte ein ganzes Dorf zerstören. Ihn interessierte es keinesfalls, wenn er das ganze Dorf mit all dessen Bewohnern auslöschte. Er wollte lediglich nur etwas zerstören und seinen ganzen Zorn freien Lauf lassen. Er wollte Blut fließen sehen.

Culebra fuhr seine scharfen Krallen aus und wollte es erneut versuchen, dieser miesen kleinen verräterischen Schlampe wehzutun, aber er vollbrachte nichts weiter, als die Wand hinter ihr zu zerstören. Tiefe Furchen zeichneten sich im festen Gestein und er keuchte schwer.

„Warum kann ich ihr nichts anhaben? Was hat sie getan?“, fluchte er zornig und seine Augen glühten voller Abscheu. „Warum nicht?“

Da kam ihm ein Gedanke, an wen er sich wenden konnte und machte eine scharfe Kehrtwendung und stürmte davon. Er musste dessen auf den Grund gehen.

 

Lucien hatte sich aus seinen Räumlichkeiten begeben, weil er es nicht mehr ertragen hatte, das Geschrei der kleinen Babys zu hören. Er konnte es einfach nicht. Wenn es wirklich stimmte, diese Kleinkinder waren von ihm und Emmanline, wusste er gar nicht mehr, wie er handeln sollte.

Sie hatte ihn verraten und war mit diesem Bastard fortgegangen. Sie hätte sich damals nur einmal umdrehen müssen und er wäre ihr vermutlich überallhin gefolgt. Vielleicht sogar, wenn sein Herz jetzt nicht so leer und verletzt gewesen wäre.

Dennoch konnte er diese Kleinen nicht einfach aussetzen und Emmanline musste sich was dabei gedacht haben. Je weiter er darüber nachdachte, umso weniger kam er darauf. Etwas schien seine Gedanken zu blockieren, um es richtig zu verstehen. Was war mit ihm los?

Im Gang hatte er mehrmals gegen die Wand geschlagen, die zu bröckeln begann, aber er verspürte nicht diesen besagten Schmerz. Er wollte es spüren.

„Lucien, hör auf damit“, hörte er hinter sich Lyas sanfte Stimme.

„Lass mich in Ruhe!“, knurrte er bedrohlich, aber drehte sich nicht zu ihr um. Alleine wollte er gelassen werden, nichts weiter.

Sie knurrte zurück, und das tat sie selten. „Nein, das werde ich nicht. Nicht bevor wir die Angelegenheit in deinem Zimmer geklärt haben. Es ist unverkennbar, dass es deine Kinder und die von Emmanline sind. Etwas muss passiert sein, warum sie ohne ein Seelenbund schwanger geworden war. Das weißt du. Du musst dich dem stellen, oder wir lösen es auf eigene Weise“, schien sie ihm zu drohen.

Mit wütenden Augen wandte er sich zu seiner Schwester um. „Drohe mir nicht. Und was willst du mir damit sagen? Das sie vor mir etwas zu befürchten haben? Oder das ich eine Gefahr für sie wäre?“

„Genau das meine ich, Lucien“, reckte sie trotzig ihr Kinn nach oben. „Du bist schon seit längerer Zeit nicht mehr du selbst. Seit Emmanline verschwunden ist und jeder kann es hier bezeugen. Darum weiß ich nicht, ob die Zwei sicher in deiner Nähe wären.“

„Wage es ja nicht, Lya“, fauchte er sie zwischen zusammengebissenen Zähnen an. „Auch wenn ich so erscheine, würde ich niemals wehrlose Junge angreifen. Es ist ein heiliges Gesetz, woran ich mich halte. Es würde gegen meine Ehre und Stolz gehen.“

„Nicht wenn du so aufgebracht bist.“

Lucien konnte es nicht fassen, das seine sanftmütige Schwester solche Zweifel an ihm hegte. Selbst all die Anderen. Wie konnten sie es wagen?

Er spürte ja selbst die unglaubliche Wut in sich, aber er würde niemals den Kindern etwas antun. Geschweige irgendwem anderes, die unschuldig waren. Es würde alles gegen ihn gehen. Lieber würde er sich selbst verletzen, als das zuzulassen.

Als Lucien weiter dagegen protestieren wollte, ging ein eigenartiger Ruck durch seinen Körper, als würde etwas erbeben. Entsetzt schaute er seine Schwester an, die es anscheinend auch gespürt haben musste.

„Was war das gewesen?“, sprach sie atemlos, als sie sich an der Wand festhielt und kaum Luft bekam.

Er konnte es nicht sagen. Sobald dieses plötzliche Gefühl verschwunden war, machte sich etwas anderes in Lucien breit. Ein unsagbarer Schmerz und Verlust übermannte ihn urplötzlich. Es war so unerträglich, das er aufstöhnen musste. So unerträglich, das er beinahe schrie.

Lucien wankte leicht und musste sich nun selbst an der Mauer abstützen. „Nein“, keuchte Lucien schwer. „Das kann nicht sein. Was habe ich getan?“, kam Panik aus seiner tiefen Stimme.

Schon einmal hatte Lucien ein ähnliches Gefühl, wie dieses empfunden. Nur das es diesmal um weiten schlimmer war, als jemals zuvor. Damals hatte Emmanline tot in seinen Armen gelegen. Tage lang und er wäre beinahe nicht über den Schmerz des Verlustes seiner Seelengefährtin drüber hinweg gekommen. Diesmal war es um weiten schlimmer.

Die Frau die er liebte und mehr als alles andere schätzte, sogar respektierte, würde für ihn immer verloren bleiben. Lucien hatte das Gefühl, als hätte er Emmanline aus dieser Welt verloren. Für immer.

Er bekam kaum noch Luft und das entsetzen, sowie sein Seelenschmerz, waren ihm anzusehen. Es spiegelte sich in seinem Gesicht wieder und sein Herz brach in zwei Stücke. Auch sein Drache brüllte voller Pein. Ihm wurde unbewusst seine Seelengefährtin, sein zweites Herzstück beraubt.

„Emmanline“, atmete er schwer, denn langsam dämmerte es ihm, was hier passiert war. Was Emmanline getan hatte. „Wie konnte sie nur so was tun?“, klang großes Entsetzen aus seiner Stimme.

Doch was am meisten auf ihm lastete, war, dass er machtlos dagegen gewesen war. Er hatte nichts dagegen machen können, obwohl er wusste, etwas war falsch gewesen. Ein unbekannter Zwang hatte ihn dazu gedrängt, all das zu tun, was er nie hatte sein wollen. Was er hätte niemals getan.

Der Nebel hatte sich vor seinen Augen gelichtet und Lucien sah alles wieder klar und deutlich. All das, was er angerichtet hatte und was er nicht getan hätte.

Sein Herz fühlte sich so schwer wie Blei an, weil er ganz genau wusste, wie Recht Jade damit hatte. Ihre Worte fielen wie schwere Steine auf ihn und ihm wurde übel dabei.

Mit schnellen Schritten ging Lucien zu seinen Gemächern zurück und ignorierte Lyas Anwesenheit und Versuche, ihn anzusprechen. Seine Gedanken waren jetzt vollkommen woanders. Selbst als er die Tür erreichte und noch immer die schreienden Babys hörte. Seine Kinder.

Klar und deutlich lag es vor ihm und er spürte es tief in sich drinnen, die Zwillinge gehörten zu ihm. Sein Drache brüllte voller Stolz und auch dessen Verlust er nicht entkommen konnte. Er hatte seine Seelengefährtin in Stich gelassen. All die Monate. Sein ein und alles, die Frau die er so sehr liebte.

„RAUS! ALLE!“, befahl Lucien atemlos, während er zum Bett zu seinen beiden Neugeborenen ging.

Lucien starrte sie beide im ersten Augenblick nur an und als er merkte, keiner rührte sich. Alle blickten ihn nur an. „Ich sagte, ihr sollt gehen und mich alleine lassen.“

Anscheinend mussten sie von irgendwas überzeugt sein, bevor sie gingen. Erst als er alleine mit den Kleinen war, wandte er sich ihnen wieder zu. Noch immer weinten sie, wie es Neugeborene taten. Die Babys lagen in weißen Stoff eingehüllt und Lucien konnte immer noch die Anzeichen der kürzlichen Geburt an ihnen erkennen.

Er ließ sich vor dem Bett auf seine Knie sinken, weil er seinen Blick nicht von ihnen abwenden konnte.

„Ich bin hier“, sprach Lucien sanft auf seine Kinder ein, was er noch nicht recht glauben konnte, er wäre Vater. „Ihr seid in Sicherheit“, lächelte er und legte seine beiden Hände jeweils auf ihre kleinen Körper. Unter seinen großen und groben Händen versanken ihre winzigen Körper, aber sie hörten sofort auf zu weinen, während sie ihre winzigen Augen öffneten.

Als seine Tochter ihn erblickte, lachte sie ihn augenblicklich an. Es brauchte keine Millisekunde und er verliebte sich in dieses bezaubernde Mädchen, die ihn so anstrahlte. Dabei strahlten ihre silbernen Augen, welche sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Sowie ihr weißes Haar, das sie schon auf ihrem Haupt trug. Sie sah Emmanline so ähnlich.

Sein Sohn sah ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Ihn nur in einer jüngeren Version. Es war erstaunlich, wie sehr ein Kind der leiblichen Eltern so gleichermaßen gleichen konnte. Sein Haar war genauso dunkel und kastanienbraun. Und seine Augen erst, sie leuchteten in einem goldenen Ton, wie die seine, wenn sein Drache sich zeigte. Sie waren wie flüssiges Gold.

Der Anblick der Kleinen rührte ihn zutiefst und vor Kummer senkte er seinen Kopf auf sie. „Was habe ich nur getan?“, sprach er voller Wehmut, Emmanline für so ein kostbares Geschenk nicht danken zu können. Oder sogar in die Arme zu reißen. Doch jetzt hatte er sie verloren und er konnte sie nicht mehr spüren. Als wäre sie aus seinem Leben und Herzen gerissen.

Kleine Hände ergriffen sein Haar und zogen daran. Seine Zwillinge wollten Aufmerksamkeit und er sollte sie als ihr Vater schenken. Das hatte Emmanline doch bezweckt, damit er für die Kleinen am Leben blieb. Sie opferte sich für die Seinen.

Niemals hätte Lucien an seiner Seelengefährtin gezweifelt, wenn sie diesen Kristalldolch, den er ihr als Geschenkt gemacht hatte, nicht in sein Herz gestoßen hätte. Er hatte es genau gespürt, wie etwas eigenartiges und mächtiges sein Herz überschattete. Wie ein dunkler Schatten.

Am Anfang hatte er sich noch dagegen gewehrt, aber war doch machtlos gewesen. Er kam sich schwach und unfähig vor, dass er nicht hatte für seine Liebe kämpfen können.

„Ihr braucht einen Namen“, kam seine Stimme erstickt hervor und er fühlte den dicken Kloß in seinem Hals. Selbst gegen die Trauer und Tränen musste er ankämpfte. Er konnte sich nicht gehen lassen. Nicht vor seinen eigenen Kindern, die jetzt seine Hilfe brauchten. Er musste stark sein.

Kaum das Lucien wieder in ihre Augen schaute, traf es ihn wie ein Blitz. Es schockierte ihn, was er in ihnen sah. „Heilige Götter, ihr besitzt schon längst einen Namen“, klang er heiser und entsetzt.

Sowie es aussah, musste Emmanline ihnen nach der Geburt, bevor sie die beiden weggeben hatte, einen Namen gegeben haben. Und was er jetzt sah und wusste, bestätigte nur, seine Gefährtin seiner Seele hatte ihn in all der Zeit nie verlassen. Sie war stets an seiner Seite gewesen. Es rührte ihn zu tiefst und er konnte seinen unterdrückten Tränen keinen Halt mehr bieten, die nun seinen Wangen hinabliefen.

Raziz und Adriana, ja so heißt ihr“, sprudelte die Worte einfach aus ihm heraus.

Emmanline hatte seinen Sohn nach seinem Vater und ehemaligen König benannt, den er einst so liebte und wertschätzte. Und seine Tochter trug den Namen von Emmanlines Mutter, die sie so sehr geliebt hatte und nie vergessen konnte.

Was konnte es noch für einen besseren Beweis geben, wie sehr seine Frau, welche er für sich auserkoren hatte, ihn liebte?

All die Zeit hätte er es eher sehen sollen und sie noch besser beschützen müssen. Er hätte sie nie aus den Augen lassen sollen.

„Keine Sorge“, schlang er seine Hände und Arme unter ihre kleinen Leiber, damit er sie hochheben konnte. „Ich werde euch beschützen und ich verspreche bei dem heiligen Gesetz, ich werde eure Mutter rächen. Solange, bis ich das Übel vernichtet habe. Niemand wird euch schaden, solange ich lebe“, nahm er seinen Sohn und seine Tochter, die er an sich drückte. An seine warme Brust.

 

„Kaum zu glauben, Jade hatte wirklich Recht behalten“, hauchte Lya atemlos, als alle im großen Saal saßen. „Emmanline war wirklich schwanger gewesen und das sogar mit Zwillingen. Wie konnte das nur geschehen?“

„Fraglich ist nur, wie kommen diese beiden Kinder unbemerkt in Luciens Zimmer?“, warf Raiden ein.

„Oder die Frage, wie ließ Culebra es überhaupt zu?“, wandte sich Darius ein. „Solch eine Schwangerschaft bleibt nicht unübersehbar und es wäre für diesen Verräter ein gefundenes Fressen.“

„Vielleicht hatte sie es verborgen gehalten.“

„Verborgen?“, meinte Ysera skeptisch. „Wie soll so was verborgen bleiben? Erstens riecht ein jeder Drache, wenn jemand ein Kind erwartet. Ihr Duft verändert sich. Zumal macht die Äußerlichkeit alles deutlich. So einen Bauch kann man nicht verstecken.“

„Möglich kann auch sein, sie könnte einen Zauber angewendet haben, damit niemand es bemerkt.“

„Besitzt sie so große Macht, dass sie derartige Zauber anwenden kann?“

„Kann gut möglich sein. Woher sollen wir wissen, was in ihr steckt, wenn sie ein so seltenes Wesen ist? Wir wissen kaum etwas von ihrer Art. Eine Kombination zwischen beiden Arten kann etwas interessantes hervorbringen. Mischwesen waren schon immer einzigartig“, deutete Darius sie alle darauf hin.

Es erstaunte Darius, wie viele Dinge hier auf einmal geschahen. Damit hätte er wahrhaftig nicht gerechnet, aber so stand es nun einmal. Sein Neffe und König war Vater von Zwillingen, die urplötzlich aufgetaucht waren. Wer hatte sie gebracht? Vor allem, von woher kamen sie?

Lange diskutierten sie alle darüber, aber es würde keine ehrbare Lösung geben. Die einzige Person, die ihnen vermutlich Antworten liefern könnte, war Emmanline selbst.

Plötzlich hatte es an der großen Tür zum Saal geklopft und einer seiner Nichten bat dessen Person herein. Es war eine Bedienstete.

„Tut mir leid für die Störung“, verbeugte sie sich.

„Was gibt es Alina?“, fragte Lya sanft und lächelte dabei.

„Unser König hatte mich beauftragt, ich solle euch alle zu ihm bitten. Er erwartet euch in seinem Arbeitszimmer, um mit euch allen zu reden“, sprach sie und blieb weiterhin nach vorne gebeugt.

„Danke, du hast deine Aufgabe erfüllt und kannst wieder gehen“, meinte Raiden etwas zu ernst, worauf das arme Mädchen sofort verschwand. Wer würde bei solch einen strengen Ton nicht gleich die Flucht ergreifen?

„Was unser Bruder wohl möchte?“, gab Ysera von sich.

„Das werden wir jetzt herausfinden“, stand Darius auf und blickte alle an, damit sie ihm folgen. Es dauerte auch keine fünf Minuten und alle standen versammelt in Luciens Arbeitszimmer. Sein Neffe saß in seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch, aber Darius konnte nur die Rückenlehne sehen, als würde er die Aussicht von draußen genießen. Wie zu oft.

„Ich weiß, ich war die letzten Monate nicht gerade vernünftig und gerecht zu euch allen gewesen“, sprach Lucien in die Stille, die entstanden war.

Jeder dachte vermutlich das Gleiche, dass was er sagte ziemlich übertrieben war, aber keiner antwortete darauf.

„Deswegen entschuldige ich mich. Auch wenn ich es vielleicht nicht verdient habe“, redete er weiter. „Ich werde es ...“

„Nun hör aber auf. Bei dem ganzen Gelaber bekomme ich bald Ohrenschmerzen“, kam Jade gerade ins Zimmer, die bisher noch nicht anwesend gewesen war. „Ja, du hast Scheiße gebaut, aber nicht mehr abänderbar. Dann ändere es eben. Du weißt selbst, wir Drachen sind nicht sonderlich nachtragend. Nur wenn wir weiterhin so genervt werden.“

„Also du nimmst wahrhaftig kein Blatt vor dem Mund“, schüttelte Lodan seinen Kopf.

Jade zuckte mit ihren Schultern. „Na und, ist eben mein Job.“

„Einfach unfassbar“, seufzte Ysera auf und schüttelte mit ihren Kopf.

 

Lucien fing leicht an zu lachen, weil er es wirklich amüsant fand und bemerkte, wie sehr er diese Konversationen zwischen seinen Geschwistern vermisst hatte. Dies war der lebendige Teil und wie wichtig für ihn.

„Was gibt es da zu lachen, Bruder? Ich meine das vollkommen ernst“, beschwerte sich Jade und er wusste, sie meinte es kein bisschen ernsthaft.

„Ja natürlich. Darum geht es“, drehte er sich endlich zu allen um, die er sehen wollte. Auch wenn Charia, Alastar und Cyrill nicht dabei waren, so waren es die meisten. „Ich freue mich auch euch zu sehen. Euch alle“, gestand er und ließ ein Blick frei, den er zu Anfang nicht gewagt hatte zu erträumen.

In seinen Armen hielt er seine beiden schlafenden Kinder. Sie waren in eine warme Decke eingehüllt und schienen zufrieden zu sein. Seine Tochter gluckste selbst im Schlaf hin und wieder, was er für ein Baby zu hinreißend fand. Sie würde ihn mehr zu einem herzerweichenden Drachen mutieren lassen, wie es keiner vermochte. Er war seinem kleinen Mädchen vollkommen verfallen.

Was seinem Sohn anging, er verzog keine Miene. Aber er nahm hin und wieder seine winzige Faust in den Mund, wozu er imstande war, ihn genauso zu lieben, wie seine kleine Schwester.

„Oh, wie bezaubernd“, jauchzte seine kleine verrückte Schwester leise. „Da sind sie ja.“

„Darf ich euch vorstellen, das ist mein Sohn Raziz und meine Tochter Adriana“, stellte er sie ihnen allen vor.

Entsetztes und drückendes Schweigen entstand.

„Du hast deinen Sohn nach unserem Vater benannt?“, war es Raiden, der diese Frage stellte.

„Nein, ich war es nicht gewesen, sondern Emmanline“, korrigierte Lucien ihn. „Die beiden hatten schon den Namen in sich getragen, bevor sie hierher kamen. Ich hatte es nicht einmal gewusst und doch macht es mich stolz. Adriana war der Name von Emmanlines Mutter. Beide Namen sollen ein Teil von uns sein, sowie es die Zwillinge sind“, blickte er traurig auf seine schlafenden Kinder. „Es ist ein weiterer Beweis, wie wichtig das Ganze ist. Ich weiß was geschehen ist und was Emmanline getan hat. Sowie, was sie opferte.“

„Wie meinst du das?“

Auf seinem Gesicht erschien ein gezwungenes Lächeln. „Seit dem Tag, als meine Gefährtin mir diesen Dolch ins Herz gestoßen hatte, entfernte sie sich zwar von mir, aber um mich zu beschützen. Nicht weil ich für sie am Leben bleiben sollte, sondern für die Kinder. Emmanline hatte damals schon gewusst, welches Schicksal für sie in diesen einen Augenblick bereit stand, als Culebra hier auftauchte und sie hatte es immer gewusst, er würde sie holen kommen. Ich hatte damals nur geglaubt, ich würde sie vor ihm und allen beschützen können. Aber ich konnte sie nicht davor bewahren, für das was sie hatte tun müssen.“

Es war nicht leicht darüber zu sprechen, aber Lucien musste es tun. Für sie und seine Kinder.

„Emmanline wollte nicht das gleiche Schicksal für ihre Kinder, was sie hatte durchmachen müssen. Darum musste ich all die Zeit hier bleiben und darauf warten. Ich hatte nicht einmal gewusst oder je davon geahnt, dass sie schwanger war“, musste er die traurige Erkenntnis selbst machen, weil er damals blind gewesen war vor Glück. „Ich hatte mich verändert und bin grausamer geworden. Dunkler und herzloser. Man hätte es mir darauf zuschieben können, weil ich von meiner Seelengefährtin verraten wurde. Aber das tut es nicht. Nichts von all dem fühlt sich wie ein Verrat an, seit sich dieser Nebel vor meinen Augen und Herzen gelichtet hatte.“

„Worauf ...“, setzte sein Onkel an. „Worauf willst du hinaus, Lucien?“

„Darauf, das Emmanline uns alle bewusst hinters Licht geführt hatte, nur um Culebra etwas vorzutäuschen, damit ich Zeit bekomme. Sie hatte meinen Tod nur vorgetäuscht“, war es grausam und schmerzhaft, weil er es nie hatte so kommen lassen wollen. „Ja, ich hätte durch so eine Verletzung sterben müssen, weil dieser Dolch besonders war, aber Emmanline hatte den Kristalldolch vorher mit zwei Zaubersprüchen belegt.“

„Zwei Zaubersprüche?“, sagte Darius. „Ich hatte so was als Vermutung, aber wie vollbringt man so etwas? Sie wusste doch sonst nichts von ihrer Magie, oder wie man sie anwendet.“

„Nein, das stimmt“, antwortete Lucien bewusst. „Doch wenn es darum geht, das zu beschützen, was ihr lieb und teuer ist, dann schaltet sich bewusst ihr Instinkt ein und kann Dinge tun, wozu sie sonst nicht fähig ist. Das hatte sie mir einmal erzählt und den Rest auch, bevor sie fortging.“

„Warte mal“, unterbrach Raiden ihn brüsk. „Darius und ich haben mitbekommen, welche letzten Worte sie zu dir gesagt hatte, bevor sie verschwand und es waren keinesfalls die Worte, was du bisher erzählt hast.“

„Stimmt, das hatte sie nicht, aber per unserer mentalen Verbindung schon. Parallel zu dem, was sie meinte.“

„Dann meinst du also, es sollte als eine Art Ablenkung gewesen sein? Oder so aussehen, als würde sie dich verraten?“, reagierte Lya schockiert darauf und hielt sich eine Hand vor dem Mund, während sich ihre Augen weiteten.

„Ja, um mich zu beschützen, damit ich nicht in Gefahr gerate. All das war bewusst. Mein Tod sollte die benötigte Zeit geben und Culebra denken lassen, ich wäre keine Bedrohung mehr für ihn. Was vermutlich jetzt hinfällig ist und er schon längst darüber Bescheid weiß, das ich noch am Leben bin. Das sollte der erste Zauber sein“, kam nun der schwierige Teil. „Der zweite Zauber beinhaltete, das es mich davon abhalten sollte, Emmanline nach zu laufen. Ich hätte sie nie ihrem Schicksal überlassen und das ihr das Gleiche widerfährt, wie beim ersten Mal. Sie ist meine Seelengefährtin. Jeder verda …“, unterbrach er sich selbst, weil er keine unnötigen Kraftausdrücke gegenüber seinen Kindern verwenden wollte. Auch wenn seine Eltern das nie gekümmert hatte. „Emmanline war ein Teil von mir und mein Drache hätte es niemals zugelassen, sie gehen zu lassen. Ich wäre ihr definitiv gefolgt.“

„Emmanline hatte das gewusst, du würdest das tun und sie wollte das verhindern“, meinte Ysera.

„Wollte sie und auch geschafft, indem sie mich mit diesen Zauber belegte, der mein Herz und Verstand mit einem dunkeln Schatten überdeckte. Ich war nicht mehr der, der ich eigentlich war. Für den Zweck, weil ich hierbleiben sollte. Wo ich sicher sein sollte, sobald meine Kinder hier erscheinen. Für die zwei sollte ich eher sorgen, als um meine eigene Gefährtin, die in Gefahr ist. Emmanline dachte nur um die Sorge von uns und nahm das Leid eher auf sich alleine. Sie opferte sich für all das.

Lucien hatte die ganze Zeit auf seine Kinder geschaut und ihnen dabei zugeschaut, wie sie schliefen, als er sprach. Erst als er aufschaute, bemerkte er die verschiedenen Gesichtsausdrücke seiner Familie. Es gab wenig was sie schockieren könnte, aber dennoch herrschte drückendes Schweigen. Alle verarbeiteten sie das, was er eben gesagt hatte. Kaum vorstellbar. Selbst noch für ihn.

„Dann wird es Zeit, dass wir Emmanline finden. Oder etwa nicht?“, wandte Lya sich an ihn.

Er seufzte und schloss einen Moment lang die Augen. „Ich weiß nicht, ob das jetzt so einfach ist. Oder ob es dafür nicht zu spät ist.“

„Wie bitte? Was soll das denn jetzt heißen, ob es dafür nicht zu spät ist?“

„Weil ich Emmanline nicht mehr spüren kann. Es fühlt sich genauso an wie damals, als Emmanline tot in meinen Armen gelegen hatte. Nur noch hundert Mal schlimmer. Es ist so, als wäre sie verschwunden“, schüttelte er seinen Kopf vor Sorge und Kummer.

„Kann es aber nicht sein, ihr passiert das Gleiche wie beim letzten Mal und sie wird wieder lebendig. Schließlich kann sie ja nicht sterben“, meldete sich einer der Zwillinge, Taran.

„Nein, diesmal ist es irgendwie anders. Habt ihr nicht alle den Ruck bemerkt, der durch unsere Körper ging?“, blickte Lucien jeden einzelnen an. „Irgendwas hat Emmanline angestellt, was uns etwas besser und lebendiger fühlen lässt. Es wird jeden einzelnen Drachen so ergangen sein, der irgendwo existiert. Ich weiß, sie ist daran Schuld und nichts wird sie zu mir zurückbringen. Egal was sie getan hat“, senkte er wieder seinen Kopf und gerade in diesem Augenblick regte sich Adriana in seinen Armen, die seiner Seelengefährtin am ähnlichsten sah. Noch mehr schmiegte seine Tochter sich an ihn. Es sollte ihm wehtun, weil sie ihr so ähnlich war, aber so war es dennoch nicht. Er genoss es eher. „Auch mein Drache sagt mir, ich habe sie an irgendetwas verloren. Ich werde aber herausfinden, an was, und werde auch nicht eher ruhen, bis ich den Verräter gefunden habe, der mir die Mutter meiner Kinder entrissen hatte. Ich will ihn. Sowohl auch vernichtet sehen, damit er keinem mehr ein Leid zufügen kann. Das verspreche ich beim heiligen Gesetz“, schaute Lucien jetzt wieder auf und seine Augen glühten wie heißes Gold.

Alle blickten ihn entsetzt an und ihm war es egal, denn er würde nicht eher Ruhen, bis der vernichtet war, der seiner Familie bedrohte und schadete . Geschweige ihm wegnimmt. Dies verzeiht er nie.

„Ist das wirklich dein ernst?“, wirkte seine Schwester Lya verwirrt. „Wir wissen überhaupt nicht, wo dieser Verräter sich aufhält und versteckt.“

„Und wenn du schon sagst, du spürst Emmanline nicht mehr, kann man nicht wissen, was ihr widerfahren ist. Wir wissen gar nichts.“

„Das wird sich ändern“, beschloss Lucien. „Cyrill ist fort, weil ich bei ihm Dinge gesagt habe, die ich bereue. Er ist ein guter Drache und ich habe ihn verstoßen.“

„Wenn du sagst, auf dir hatte ein Zauber gelegen, dann wird er dir sicherlich verzeihen. Was auch immer zwischen euch vorgefallen war, er wird es verstehen“, meinte Lya.

Ein kleines Lächeln entstand auf Luciens Gesicht. „Das wird er vermutlich tun, sowie ich Cyrill kenne. Doch,...“, entstand eine kurze Pause. „... er wird nicht zurückkommen.“

 

Wie meinst du das, Lucien?“, fragte Cyrill, der verwirrt in seinem Arbeitszimmer stand und ihn auch so anschaute.

Du hast schon richtig verstanden, alter Freund“, klang Luciens Stimme total ernst, während er sich vom Fenster abwandte und ihn anschaute. „Da du Emmanlines Leibwächter bist, liegt es in deiner Aufgabe. Egal was geschehen mag, selbst mit mir, wirst du sie immer beschützen. In jeder Lage. Dies ist meine höchste Priorität. Emmanline darf nichts geschehen und du wirst ihr überallhin folgen, was auch immer du für Befehle erhalten wirst. Hast du mich verstanden, Cyrill?“

Sein Freund stand wie eine Salzsäule erstarrt da und er schien versuchen, all das zu begreifen. Das konnte er auch tun, wenn er dem folgte, was sein König ihm befahl.

Du meinst, ich sollte selbst deine Befehle missachten, sollte je etwas passieren?“, stellte Cyrill diese Frage.

Lucien nickte darauf. „Selbst meinen. Ich weiß, ich stelle dich vor einer großen Bürde und verlange viel von dir, mein Freund“, kam er um seinen Schreibtisch herum. „Doch für mich ist es ein großes Anliegen, wenn es um den Schutz meiner Seelengefährtin geht. Sie soll sich sicher fühlen und ich traue dem Ganzen nicht. Dinge können sich verändern und ich will da kein Risiko eingehen. Ich vertraue dir auch mehr in der Hinsicht, als jeden anderen. Ich würde sonst nicht fragen, wenn ich dem nicht überzeugt bin, du bist der Richtige dafür.“

Bei den heiligen Göttern, Lucien“, klang er atemlos. „Ich schätze Emmanline sehr und habe ihr auch meine Treue geschworen, weil sie zu dir gehört. Ich würde sie auch mit meinem Leben beschützen. Das steht außer Frage“, hielt sein Freund kurz inne. „Du verlangst von mir, ich soll dich unterordnen, obwohl ich dir einen heiligen Schwur geleistet habe. Zwei Mal sogar. Das könnte mich selbst ihn ungeahnte Schwierigkeiten bringen.“

Fraglich hob Lucien eine Augenbraue. „Meinst du damit deine Familie?“

Was?“, schaute Cyrill ihn mit einem verzogen Gesichtsausdruck an. „Das ist mir vollkommen egal und das weißt du. Meine Familie ist mir schon längst entglitten und ich will nicht auf das aus, was meine sogenannte Mutter von mir erhofft. Ich kann meinen eigenen Weg gehen“, verneinte er es mit einem Kopfschütteln. „Es geht mir um den Schwur, den ich vor dir und den heiligen Göttern geleistet habe.“

Lucien stellte sich vor Cyrill und legte seine rechte Hand auf dessen linke Schulter von seinem Freund, damit er sie drücken konnte. „Ich kann es verstehen und ich weiß auch, welche Worte du mir gegenüber geleistet hast. Sowohl zu den Göttern. Du hast auch deiner Königin diesen Eid geschworen, um sie zu beschützen. Wie der deinen, sollten sie in Gefahr sein. Ich bitte dich lediglich nur darum, dass du sie in allem beschützt. Egal was kommen mag. Mehr will ich nicht.“

Lange Zeit schaute Cyrill ihm tief in die Augen und seufzte dann, als er die Augen schloss. „Du musst dir keine Sorgen machen, ich werde ihr jederzeit folgen, sollte etwas geschehen.“

 

„Das war schon vorausgeplant gewesen?“, fragte Darius überrascht, als er Lucien von seiner Erzählung unterbrochen wurde. „Oder hast du schon so was geahnt, das dies passieren würde?“

„Nein, keineswegs habe ich das gewusst. Ich rechne doch nicht damit, meine eigene Gefährtin stößt mir einen Dolch mitten ins Herz. Es war lediglich eine reine Vormaßnahme gewesen“, meinte er.

„Mmh“, machte Jade ein überdachtes Geräusch. „Dann solltest du es Cyrill auch vermitteln, das du wieder bei klaren Verstand bist.“

„Jade“, ermahnte Lya sie. „Musst du immer so dermaßen direkt sein.“

„Ja, was denn? Es ist doch so.“

„Jade hat Recht, es war so geschehen und ich stehe auch dazu, ich war nicht bei klaren Verstand. Ich habe schon einmal versucht mit Cyrill in Kontakt zu treten, aber ich komme nicht zu ihm durch. Doch ich werde es weiterhin versuchen“, bestätigte Lucien das.

„Dann verstehe ich, warum Cyrill am Ende so entschlossen war, Emmanline suchen zu gehen“, grübelte und redete sein Onkel gleichzeitig. „Du hattest ihn zuvor schon damit beauftragt, beim Äußersten, er soll sie verfolgen.“

Lucien dachte über die Worte von Darius nach. „Vielleicht, aber ich glaube, sowie ich das letzte Gespräch von mir und ihm in Erinnerung habe, steckt mehr dahinter. Cyrill wäre Emmanline suchen gegangen, auch wenn ich diesen Befehl nicht gegeben hätte. Ich weiß, er hegt eine gewisse Sympathie ihr gegenüber. Nicht nur seinem Pflichtgefühl, sie als Leibwächter beschützen zu wollen.“

„Du meinst, Cyrill hegt gewisse Gefühle für deine Gefährtin? Und das lässt du zu?“

„Nein“; schüttelte Lucien mit seinem Kopf. „Wäre es so, hätte ich es niemals zugelassen, er hielte sich solange bei ihr auf. Das würde mein Instinkt nicht zulassen. Cyrill schätzt sie mehr als einen Freund und nicht eine Frau, die er liebt. Er respektiert Emmanline und sieht sie als seine Königin an, die eines Tages an meiner Seite steht. So ähnlich hatte er es auch gedeutet, bevor er verschwand“, erzählte er weiter und dachte an den Streit zurück.

 

Du kannst sie nicht einfach in Stich lassen, Lucien“, wurde Cyrills Stimme etwas lauter.

In Stich lassen? Sie hat mir einen verdammten Dolch in mein Herz gerammt. Was glaubst du, wie ich mich da fühle und denken soll?“, knurrte Lucien zurück und ihm passte es nicht, wie sich sein Freund gerade verhielt. „Emmanline hat nur so getan und uns die ganze Zeit nur getäuscht.“

Vielleicht hatte sie auch einen Grund gehabt, das sie so handeln musste“, beharrte sein alter Freund weiter darauf. „Sie ist deine vorherbestimmte Seelengefährtin. Du kannst sie nicht einfach so gehen lassen.“

Luciens Blick verfinsterte sich drohend. „Sie hatte mir klar und deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr sie uns alle verabscheut. Und wenn sie es so will, soll sie halt gehen. Nach diesem Verrat von ihr, verzichte ich auf meine Seelengefährtin. So eine wie sie kann ich nicht gebrauchen“, klang seine Stimme tödlich und ernst.

Entsetzt schaute Cyrill ihn an, wobei seine Augen sich etwas geweitet hatten. „Das ist nicht dein ernst? Was ist nur los mit dir?“, wirkte der Mann vor ihm fassungslos. „So warst du früher nicht gewesen. Du hättest sie niemals gehen gelassen. Egal was passieren würde.“

Wie du es so schön sagst, früher wäre es so gewesen, aber einige Umstände ändern sich. Und wenn du es nicht akzeptierst oder wahrhaben willst, kannst du auch gerne gehen. Anscheinend ist dir das wichtiger, was mit ihr ist, als wie mit deinem König. Schließlich bin ich der Hintergangene“, meinte Lucien.

Und was ist mit ihrem Geheimnis, was sie uns allen anvertraut hatte? Du hast ihr geschworen, sie für immer zu beschützen und davor zu bewahren, niemand würde davon etwas erfahren? Oder gar ihr das gleiche Schicksal, wie zuvor, ersparen zu wollen?“

Ist damit hinfällig geworden, als sie mich verlassen hat und etwas scharfes in meiner Brust steckte“, war dies seine Meinung und endgültige Entscheidung.

Sein Freund, der sonst stets treu an seiner Seite stand, bemerkte es anhand seines Gesichtsausdruckes und schüttelte nur mit seinem Kopf, weil er anscheinend ziemlich enttäuscht wirkte.

Niemals hätte ich geahnt, dass es einmal soweit kommen würde, Lucien“, klang Cyrill wirklich enttäuscht. „Du begehst einen großen Fehler und ich will nicht dabei sein, sollte es eines Tages soweit sein, wenn du aufwachst und feststellen musst, du hast alles verloren, was dir je einmal wichtig gewesen war. Vor allem, wie blind du dich jetzt gibst. Ich will nicht dabei zuschauen, wie mein mein bester Freund dumm genug sein kann, alles aufzugeben, was die Götter ihm geschenkt haben“, reckte Cyrill seinen Kinn nach oben. Ihm war es anscheinend egal, welche Konsequenzen es für ihn hatte.

Wut schäumte in Lucien auf, seine Hände ballten sich zu harte Fäusten und seine Augen glühten vor Zorn. „Verschwinde, Cyrill. Wenn du von all dem so wenig hältst und diese Frau weiterhin verteidigst, hast du hier nichts mehr verloren“, zischte Lucien zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Wenn du nicht ein alter Freund gewesen wärst, hätte ich dich schon längst bestraft. Doch jetzt will ich dich einfach aus meinem Blickfeld und Schloss haben. Trete mir nie wieder unter die Augen“, zeigte Lucien mit dem Finger zur Tür und sein ganzer Körper bebte vor Aggression.

Cyrills Körper hingegen war starr geworden, aber er konnte aus seinem Blick nichts deuten, was für eine Gefühlsregung in ihm vorging. Er stand einfach nur da und starrte ihn an.

Gut, wenn du das unbedingt willst, verschwinde ich“, wandte Cyrill sich einfach von ihm ab und ging zur Tür hinaus. Ohne noch ein Wort zu ihm gesagt zu haben.

 

Seit diesem Tag hatte Lucien nichts mehr von Cyrill gehört oder gesehen. Seitdem er aus seiner Tür verschwunden war. Im nach hinein taten ihm seine Worte leid und sein Freund hatte Recht behalten, er hatte einen großen Fehler begangen. Mehrere sogar. Und er wusste nicht, ob er sie je wieder gut machen könnte.

Cyrill war einer seiner besten Freunde, aber er wusste nicht, ob er ihn dadurch verloren. Nur weil er ihn wachrufen wollte, was er bei klaren Verstand ohnehin getan hätte.

Warum hast du das nur getan, Emmanline? Warum hast du mir nicht vertraut? Ich wäre dir überallhin gefolgt.

Bei seinem Gedanken schaute Lucien auf seine Kinder hinab, als er feststellte, ihre kleinen winzigen Äuglein waren offen und beobachteten ihn aufmerksam. Lucien bekam stets das Gefühl, die beiden waren jetzt schon neugieriger und offener, was er es nicht unter Babys kannte. Sie wirkten klüger, was die Welt für ihnen bereit hielt. Und sie sahen mehr, als das sie zu sehen bekamen. Dabei waren Raziz und Adriana nur kleine Wesen, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten.

Adriana fing quietschend an zu lachen und ihre Arme streckten sich in die Höhe, um ihn zu berühren. Es war atemberaubend ihr dabei zu zuschauen und er hätte niemals für möglich gehalten, wie wundervoll so ein Gefühl zu haben, Vater zu sein.

„Oh du meine Güte, wie goldig sie sind“, klang Jade hellauf begeistert und klatschte in ihre Hände. „Ich muss sie einmal halten“, kam seine Schwester um den Schreibtisch herum und streckte die Arme nach seiner Tochter aus, bis Jade sie aus seinen Armen genommen hatte.

„Sie sind wirklich bezaubernd, Lucien“, meldete sich Lya und nahm Raziz auf dem Arm.

Manche Drachen konnten nicht anders, wenn sie Kleinkinder sahen und mussten mit ihnen körperlichen Kontakt aufbauen. Für viele war es ein gewisser Zwang. Ihn wunderte es auch nicht, denn Drachen gehörten zu den einzelnen Völkern, die körperliche Privilegien brauchten. Ohne diese würden sie nicht leben können. Sie brauchten Zuneigung und Nähe.

„Wie süß und hübsch du bist“, lachte Jade und Adriana spielte lachend mit den feuerroten Haaren seiner Schwester. „Du wirst einmal eine richtige Schönheit werden und ich werde dir so vieles beibringen.“

„Du wirst ihr gar nichts beibringen, Jade. Das kann nur schädlich für die Kleine werden“, mischte sich Ysera ein.

„Was? Warum das denn? Ich werde eine tolle Tante sein.“

„Sowie du es bei meiner Tochter versucht hast, Schwester?“, meinte Lya belustigend. „Ich glaube, dies ist keine gute Idee. Du hast Shay einmal mit zu den Sylphen genommen. Sie mögen harmlos sein, aber die Naturgeister wollten meine Tochter fast nicht mehr rausrücken. Ian wäre damals beinahe ausgerastet, weil niemand seinen kleinen Liebling behalten durfte, außer er selbst“, lachte Lya leicht, bei der Erinnerung.

Jeder kannte diese Geschichte mit den Sylphen und Shay. Sylphen waren ein spirituelles Volk, welche auf die Luft zugreifen konnten. Sie bestanden nur aus Frauen. Eine schöner als die Andere.

„Dein Gefährte ist ja auch wahnsinnig vernarrt in seine Tochter. Jetzt darf ich sie kaum noch sehen“, beschwerte sich Jade.

Raiden schnaubte. „Warum wohl? Jeder vernünftige Vater, der seine Kinder liebt, würde sie vor dir in Sicherheit bringen.“

„Das war jetzt sehr herzlos von dir, Bruder“, jammerte Jade leicht, als würde es sie treffen.

„Lass es sein, Jade. Als wenn es dich treffen würde.“

„Natürlich trifft mich das zutiefst, wenn ihr so gemein zu mir seid. Habe ich nicht Recht, meine Kleine“, stupste seine Schwester Adrianas kleine Nase, was sie zum glucksen brachte. „Ein wahrer lachender Sonnenschein.“

Lucien beobachtete das ganze Geschehen um sich herum und wie all seine Geschwister miteinander stritten. Alles wirkte real und es gehörte genau an dem Platz, wo es sein sollte. Vollkommen normal. Er hatte es auf unbewusste Art und Weise vermisst. Auch wenn er zuvor nicht wusste, was ihm so sehr gefehlt hatte. Aber alles war ein Teil von ihm und dies gehörte zu seinem Leben. Selbst seine Gefährtin, die er aber für immer verloren hatte.

Das Einzige was ihm von Emmanline geblieben war, waren seine Zwillingskinder.

„Lasst Jade in Ruhe“, stand Lucien von seinem Stuhl auf und er musste sich seinen angespannten Nacken massieren. „Sie erledigt ihre Aufgaben genauso gut und gewissenhaft, wie ihr alle.“

„Welche Aufgaben?“, fragte Ysera abfällig. „Meinst du die, indem sie sich amüsiert und herumtreibt?“

„Lass es sein, Bruder“, wedelte Jade mit ihrer freien Hand, während sie immer noch ihre Tochter hielt. „Außerdem ist das verdammt anstrengend, mich zu amüsieren und herumzutreiben. Das wirst du niemals verstehen, liebe Schwester.“

„Nein, weil ...“

„Schluss jetzt“, unterbracht Lucien sie streng. „Sie werden dich auch nie verstehen, Jade, wenn du ihnen nie erzählst, was du wirklich tust. Ich glaube, es ist auch an der Zeit, dass du es wenigstens deiner Familie erklärst. Sie hätten es vielleicht verdient. Auch wenn du stets dein Geheimnis für dich behältst und dir anderer Meinungen egal sind. Aber es wäre schon praktisch, wenn deine eigene Familie nicht so schlecht über dich denkt, wie du es eigentlich verdienst.“

Jades Augen verdunkelten sich in ein dunkleres Grün und funkelte ihn finster an. „Warum fängst du jetzt damit an? Ja, es soll, wie du es so schön erwähnst, ein Geheimnis bleiben. Mich juckt es absolut nicht, wie andere über mich denken oder reden. Sollen sie doch ihr Maul über mich zerreißen, wenn sie für ihre Langeweile ein Gesprächsthema brauchen.“

„Mir ist es aber nicht egal“, funkelte er jetzt seine Schwester düster an. „Vergiss nicht, wohin du gehörst und das du ein Mitglied des Königshauses bist. Ich verstehe deine Methoden und was du treibst, aber du bist immer noch die Schwester des Drachenkönigs. Ich stelle deine Handlungen nicht infrage und akzeptiere, du riskierst vieles. Normalerweise müsste ich es verbieten, aber ich weiß auch, dies ist deine Bestimmung, der du folgst. Dafür bist du geboren.“

Leicht knurrte seine kleine Schwester mit ihrem rötlichen Haar. Lucien konnte verstehen, sie war jetzt wütend auf ihn. Aber es musste ein Ende haben, wie alle auf Jade herunterblickten, als wäre sie etwas schlechtes.

„Kann mir mal jemand sagen, worum es hier eigentlich geht?“, verlangte Raiden zu wissen. „Was treibst du, Jade?“

„Eure Schwester …“, drang Darius Stimme durch den Raum, während er sich in eines der bequemen Sessel fallen ließ. „Sie ist eine ausgezeichnete Spionin unseres Volkes. Schon seit sehr langer Zeit, wenn man es so betrachtet“, lächelte er bewusst verschmitzt.

„Onkel“, ermahnte Jade ihn und nach ihrem Blick zu urteilen, wäre sie ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen.

„Was? Jade soll eine Spionin sein?“, blinzelte Raiden verwirrt und ungläubig, während er sie anschaute.

„Unmöglich“, erwiderte Ysera fassungslos.

Selbst Lodan und Taran ließen ihre Bücher sinken, worin sie ständig ihre Nase steckten.

„Oh Schwester, ist das wahr?“, fragte Lya nach.

„Herr Gott nochmal“, fluchte sie und drückte Adriana in Luciens Arme, damit sie ihre Hände in die Luft werfen konnte. „Könnt ihr damit aufhören, als wäre es so was von unrealistisch.“

„Um ehrlich zu sein“, meldete sich Lodan. „Es wirkt bei dir sehr unrealistisch.“

„Wobei, ich könnte es mir schon vorstellen, von all ihrer Art her, sie als eine Spionin zu betrachten“, sprach Taran. „Stets ist sie lange Zeit verschwunden und niemand weiß wo sie sich herumtreibt. Ihre Unbekümmertheit kann vermutlich viele täuschen. Selbst ihr Aussehen könnte sie in der Tat weiterbringen.“

„Soll ich das jetzt als ein Kompliment betrachten?“, wollte Jade missmutig wissen.

Lucien seufzte genervt auf, als er kurz seine Augen schloss und dann seine kleine Tochter betrachtete, die jetzt endlich wieder in seinen Armen lag. Anscheinend genoss auch sie es in seinen Armen zu liegen. Er schenkte ihr ein herzliches Lächeln, aber wandte sich dann wieder an seine Familie. „Fakt ist, egal wie Jade es anstellt, bringt sie stets die Informationen für uns. Unsere Schwester behält die Sache mit den Fae im Auge und all das stammt von ihr. Alles was wir von ihnen wissen und sie vorhaben, kommt von ihr. Jade macht ihre Sache gut und ich denke, keiner sollte sie respektlos behandeln.“

„ Jade, ich hatte ja keine Ahnung“ sprach Lya, die noch immer seinen Sohn in den Armen hielt.

Sie hingegen knurrte. „So sollte es ja auch sein und bleiben. Ich mache aus meiner Sache keine Wichtigkeit und es ist auch nicht meine Art, es an die große Glocke zu hängen“, zuckte Jade mit ihren Schultern. „Ok, wenn andere denken, ich wäre eine Schlampe, die sich nur herumtreibt und amüsiert, ist es eben so. Sollen sie doch reden, denn das lenkt sie vom wesentlichen ab. Ich mache das alles nicht umsonst, nur um mich hinterher zu verkriechen und zu heulen, wie ein kleines Mädchen, weil sie mich auf schändliche Weise gedemütigt oder beleidigt haben. Ich gebe nichts auf das Geschwätz und deren hohen Meinungen. Mir macht meine Sache Spaß und ich liebe das, was ich tue. Vor allem komme ich überallhin und kann alles ansehen. Wenn ich daran denke, die ganze Zeit hier auf dem Schloss zu sein, würde mir sterbenslangweilig werden und ich würde nur darauf warten, bis mich einer von meinem Elend erlöst. Hin und wieder komme ich gerne zurück, nur um euch alle zu sehen, oder wenn ich eine Dringlichkeit habe. Ansonsten bleibe ich doch lieber fern.“

„Das sieht dir wahrhaftig ähnlich, Schwester“, verschränkte Raiden seine Arme vor der Brust und sein Blick wirkte grimmig. „Jetzt wenn ich dich so betrachte und darüber nachdenke, kann ich es mir ebenfalls gut vorstellen. Du wirkst zwar unbekümmert und völlig gedankenverloren, aber anders.“

Jade ließ ein unwissendes Grinsen zeigen, welche ihre reinweißen scharfen Zähne zeigten. „Ist das etwa ein weiteres Kompliment an mich? Ich fühle mich wahrhaftig geehrt, Bruder.“

Die Furchen zwischen Raidens Augen vertieften sich. „Lass den Unsinn und die Spielchen.“

„Was für Unsinn und Spielchen?“

Diese Diskussion zwischen seinen Geschwistern ging fortlaufend und Lucien bekam das Gefühl, irgendwann würde das aus dem Ruder laufen. Auch wenn er eigentlich dazwischen gehen müsste und all das schlichten, bevor es noch wirklich ausarten würde. Trotzdem genoss er diese Konversation zwischen ihnen. Er hatte es wahrhaftig vermisst.

Aber Lucien Herz schmerzte und er wünschte sich, seine Seelengefährtin wieder bei sich zu haben. An seiner Seite. Er vermisste sie.

Überwiegend Emmanlines Stimme, weil Lucien ihren Klang liebte. Er vermisste auch ihren scharfen Verstand und die Ideen, die in ihr vorgingen. Ihm fehlte ihre Nähe und Liebenswürdigkeit, wovon sie kaum etwas gewusst hatte. Es war komplett ihre Art und Anwesenheit.

Wie sollte er seinen Verlust und Schmerz beschreiben? Außer, das sein Herz blutete und in tausende von Stücke gerissen wurde. Genau so konnte man es beschreiben. Genau so …

Nebenbei steckte in ihm eine unendliche Wut. Auf denjenigen, der ihm seine Seelengefährtin weggenommen hatte. Und er würde diesen Verräter dafür büßen lassen.

Im Unterbewusstsein und zwischen seinen gemischten Gedanken, vernahm er ein leises Wimmern. Lucien horchte auf und blickte in die winzigen Augen seiner Tochter, die ihm aufmerksam und traurig anschauten. Anscheinend hatte Adriana sein verwirrtes Gefühlschaos gespürt. Sie hatte ein starkes Empfinden und ihm war aufgefallen, auch wenn er seine Kinder erst seit dem Abend zuvor hatte, seine Tochter reagierte auf Gefühle. Adriana war ein freudiges Kind, aber es könnte auch schnell umschwenken.

Er war so gespannt, wie sich seine Kinder entwickeln würden und hatte das Glück sie aufwachsen zu sehen. Wenn Emmanline das beabsichtigt hatte, dann würde er dieses Versprechen eingehen. Selbst wenn es seine Seele und Herz kosten würde, aber er würde sie als glückliche Kinder in die Welt entlassen. So wie Emmanline es für sich selbst gewünscht und dennoch nie bekommen hatte.

Das schwor er sich hoch und heilig, … um ihr danach zu folgen.

2

Cyrill spürte, wie oft Lucien, sein König, Kontakt zu ihm aufnehmen wollte. Aber er weigerte sich dagegen. Er wollte nicht mit ihm sprechen oder gar jetzt begegnen.

Seit dem Vorfall waren acht Monate vergangen und als Lucien ihn verstoßen hatte. Natürlich hatte es ihn getroffen, aber er würde darüber hinwegsehen. Sowie er es versprochen hatte, besaß er eine Aufgabe, die es zu erfüllen galt, und die er zu lösen gedachte. Noch wusste er nicht wie, aber es würde ihm gelingen.

Sein alter Freund hatte zwar den Verstand verloren, weil er einfach nicht dem folgte, was seine Bestimmung war. Sein König war ein Narr, um es kurz zu beschreiben. Eines Tages würde Lucien es bereuen, überhaupt nichts getan zu haben. Darum tat er in der Zwischenzeit genau das, was eigentlich hätte seine Aufgabe sein müssen.

Seiner Seelengefährtin zu folgen.

Normalerweise war Cyrill Emmanlines Leibwächter und er hätte sie beschützen müssen. Er war an dem Tag dabei gewesen, als sie sich schlagartig veränderte. Zu Anfang war er wirklich und wahrhaftig schockiert gewesen. Er hätte ihr so was niemals zugetraut, aber Cyrill wusste auch, je länger er mit Emmanline zusammen gewesen war und ihr Verhalten beobachten konnte, sie tat es aus einem bestimmten Grund. Davon war er felsenfest überzeugt.

Viele mochten jetzt geteilter Meinung sein, aber er war der festen Überzeugung, es steckte mehr dahinter. Emmanline war ein Wesen, das nicht falsch sein konnte. In ihr steckte so was einzigartiges, was er zuvor noch nie gesehen hatte. Sie war so selten, das diese Wesen schon vor sehr langer Zeit aus dieser Welt verschwanden. Er wollte und konnte nicht daran zweifeln, alles passierte aus einem gewissen Grund.

Um all die Fragen zu lüften, die nicht nur in ihm wohnten, musste er Emmanline finden. Egal was er daran setzen oder opfern müsste. Er würde einen Weg finden.

Seit Cyrill verbannt wurde, konnte er über vieles nachdenken. Über alles, was in letzter Zeit passiert war. Die Sache mit seinen Eltern, die auch ihn ständig versuchten zu kontaktieren. Doch er wollte lieber alleine sein. Und, er gestand es sich auch ehrlich ein, diese einsame Zeit genoss er, ohne das ihn einer sagte, was er zu tun hatte. Nicht das es ihn gestört hatte, wenn Lucien irgendwas mitteilte, oder damals Emmanline. Es war nur so, er konnte es nicht mehr ertragen, wenn jemand ihm Vorschriften machte, wie er sein Leben zu führen hatte. Genau das passierte ihm zurzeit ständig.

Auf der Suche nach Emmanline, durchstreifte Cyrill ein dicht bewaldetes Gebiet. Durch eine kleine Information wurde er darauf gebracht, hier seine Suche fortzusetzen. Doch seit zwei Tagen durchwanderte er schon diesen düsteren Wald. Viele mieden dieses Gebiet, weil viele kuriose Gestalten hier ihr Unwesen trieben. Er vermutete zwar nicht, dass sich Culebra hier aufhielt, aber vielleicht bekam er anderweitige Quellen, wie er diesen Verräter finden konnte. Oder besser noch, Emmanline selbst.

Die Baumkronenschicht war so dicht bewuchert, dass er noch nicht einmal den blauen Himmel erblicken konnte. Seit er diesen Wald betreten hatte, hatte er kein einziges Mal den Himmelkörper gesehen und es machte ihn beinahe verrückt. Sein Drache bekam nicht diese Freiheiten, die er eigentlich brauchte.

Der einzige Vorteil war der, wie gut er in der Finsternis sehen konnte. Seine gute Sicht machte es ihn erst möglich, er konnte sich hier sicher und frei bewegen. Ansonsten wäre er all den dunklen Kreaturen des Waldes ausgeliefert. Schon die ganze Zeit verspürte Cyrill das Gefühl, er wurde verfolgt. Solange er in Ruhe gelassen wurde, interessierte es ihn nicht. Dennoch schien es ihn langsam zu nerven.

Frustriert seufzte Cyrill auf, als er neben einem schmalen Bach stehen blieb. Verwunderlich, wie so klares Wasser durch solch einen düsteren Wald fließen konnte. Fragliche und unnatürliche Dinge passierten immer wieder.

„Warum kommst du nicht einfach raus und stellst dich mir?“, sprach Cyrill laut und es schien, als verschluckte das dichte Haine seine Worte. Sein Blick war auf den fließenden Bach gerichtet, der leise vor sich hin plätscherte. Trotz der Dunkelheit konnte er auf der Wasseroberfläche eine leichte Spieglung sehen und bemerkte, eine Gestalt versteckte sich oberhalb in den Bäumen.

Die ganze Zeit hatte er schon geahnt, beobachtet zu werden. Würde er endlich denjenigen sehen, der ihn verfolgte?

„Was ist nun? Oder bist du zu feige dafür, dich mir zu stellen?“, klang seine Stimme monoton.

Cyrill konnte eine kleine Regung zwischen den Bäumen erkennen, wobei sich seine Augen leicht verengten, damit er besser sehen konnte. Die Statur schien von hagerer Natur zu sein und von größerer Gestalt. Ein Geruch von Zitrone und frischen Frühlingswind stieg ihm in die Nase. Jetzt wo er die Gestalt etwas genauer erkennen konnte, fiel ihm auf, immer mehr weiblichere Merkmale waren zu sehen. Es war eine Frau, was jetzt unverkennbar war. Selbst an ihren Rundungen, die nun langsam, aber stetig sichtbar wurden.

Als Cyrill die Frau beobachtete und bedacht war, sah er, welche Züge sie an ihr waren. Sie hatte kurzgeschnittenes pechschwarzes Haar, das sich gut in der Dunkelheit des Waldes anpasste. Ihre Augen wirkten dunkel und grau, was er nicht genau benennen konnte. Ihre Statur war recht schlank und für eine Frau Frau sehr hochgewachsen.

Er forschte weiter, während sie einige Schritte vor ihm stehen blieb. Sie war hübsch, keine frage, mit ihren zarten Gesichtszügen und ihren hohen Wangenknochen. Das verlieh ihr eine elegante Ausstrahlung. Lange schlanke Beine und ein wohlgeformten Körper. Ihr Duft noch dazu, machte sie zu einer sinnlichen Frau, was er nicht bestreiten wollte. Sein Drache gefiel es sichtlich und er reagierte darauf mit einen anerkennenden inneren Grollen.

Doch Cyrill wusste ganz genau, welche Art von weiblichen Wesen er vor sich hatte. Diese Frau war eine Fae. Alle Alarmglocken schrillten in ihm auf und er würde sich bereit machen anzugreifen, sollte sie etwas dummes tun.

Was wollte eine Fae von ihm? Obwohl sie ein hinterlistiges Volk waren und mit ihnen im Krieg lagen? War sie so todesmutig? Oder wollte sie gar sterben?

„Was willst du?“, knurrte Cyrill und veränderte seine Position.

Doch die Frau schien ihn für den ersten Augenblick nur zu beobachten, als versuche sie seine Gestalt aufzunehmen. Es behagte ihn nicht, aber sein Körper reagierte auf die Liebkosung ihres Blickes.

Bei diesem Gefühl verengten sich seine Augen weiterhin und fingen an golden zu leuchten. Ein Merkmal, wie aufgebracht er war.

„Sprich, oder verschwinde“, wirkte seine Stimme streng. „Oder bist du hierher gekommen, damit du mich angreifen kannst? Schließlich bist du diejenige, die mich die ganze Zeit verfolgt.“

„Nein“, klang ihre Stimme zart, sowie ihr Körper es war.

„Nein, was?“

„Nein, ich bin nicht hier um dich anzugreifen“, seufzte sie einmal auf und wandte ihren Blick von ihm ab. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit in die Dunkelheit des Waldes.

Sie schien wachsam und vorsichtig zu sein. Er konnte in ihr eine Jägerin erkennen. Es war selten für eine Frau in dem Volk der Fae. Diese Wesen waren zwar feindlich und kriegerisch gesinnt, aber sie machten sich nicht gerne die Hände selbst schmutzig. Weibliche Fae waren eher dafür da, um Nachwuchs zur Welt zu bringen, anstatt in einen Krieg zu ziehen. Oder sich gar woanders herumzutreiben. Ihre Männer achteten oft streng darauf, ihre Frauen nicht weit fort zu lassen.

„Was willst du dann?“, wollte er nun wirklich wissen. Er wollte wissen, warum sich ein weibliches Wesen ihrer Art sich hier befand. Anscheinend soweit von ihrer eigentlichen Heimat entfernt.

Erneut schaute sie ihn an, aber diesmal direkt in seine Augen. Sie wirkten regungslos. „Ich bin nicht hier, um zu schaden. Sondern um eine alte Schuld zu begleichen“, erklärte sie jetzt.

Verwundert schaute Cyrill sie an. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir uns schon einmal begegnet sind und du somit in meiner Schuld stehst.“

„Wie?“, verengten sich jetzt ihre Augen verwirrt. „Nicht in deiner Schuld, Drache“, schüttelte sie leicht ihren Kopf. „Es geht um die Frau mit dem schneeweißem Haar. Ihr schulde ich etwas.“

Überrascht horchte er auf. Diese Fae stand in Emmanlines Schuld? „Dir ist bewusst, dass die sogenannte Frau mit dem schneeweißen Haar, eine Elfe ist und ihr nicht gerade sonderlich gut miteinander auskommt. Ihr wart diejenigen gewesen, die einen Krieg mit den Elfen angefangen hatten.“

Die Augen von der Fae glommen wütend auf. „Ich bin nicht Schuld daran, was damals alles passierte. Und ich war nicht daran beteiligt gewesen, als das Massaker geschah. Ich werde es mir nicht annehmen und mir vorwerfen lassen, was damals geschehen war“, schien sie darüber aufgebracht zu sein.

Verblüfft und irritiert schaute Cyrill sie weiterhin an. Die Frau war regelrecht empört und er konnte nicht einmal verstehen, warum.

„Ich bin heute nicht hierher gekommen, um darüber zu diskutieren, was vor langer Zeit geschehen war. Es stimmt, ich beobachte dich seit geraumer Zeit und weiß, du suchst nach ihr“, versuchte sie sich wieder zu beruhigen. „Ich dürfte nicht hier sein, aber ich verdanke dieser Elfe so vieles. Darum will ich dir sagen, wo sie sich befindet.“

„Du …“, klang seine Stimme leicht erstickt. „Du weißt wo sie sich befindet? Wo?“

Könnte es so einfach sein? Konnte er dieser Frau und Fae vertrauen? Immerhin waren sie Feinde und es könnte eine Falle sein. Vielleicht lockte sie ihn wirklich nur in eine Falle.

„Woher soll ich wissen, wenn du es mir verrätst, das es keine Falle ist?“, war Cyrill wieder gefasst und beobachtete die Frau mit ihren eisgrauen Augen genau.

Sie betrachtete ihn eine ganze Weile, bevor sie antwortete: „Gar nicht. Ich kann dich nicht vom Gegenteil überzeugen. Ich weiß, wie viel Grausamkeit unter unseren Völkern geschehen ist und kann dies auch nicht wieder gut machen“, trübten sich ihre Augen und ein wehmütiger Glanz erschien in ihnen.

Dies war die erste Gefühlsregung, die Cyrill an ihr erkennen konnte.

„Auch wenn wir Feinde sind, stehe ich hier und riskiere damit selbst mein Leben. Ich versuche im geheimen zu helfen, damit …“, unterbrach sie sich selbst und schaute über ihre Schulter. „Die Elfe befindet sich Nahe von eurer Stadt Tarascon, an eurer nördlichen Grenze. Irgendwo in den Bergen von Vesuf. Mehr kann ich nicht sagen.“

Nach diesen Worten verschwand sie wieder in der Dunkelheit und er konnte sie nicht mehr spüren. Sie war verschwunden und dieses Gespräch mit dieser Fae irritierte ihn. Was wollte sie ihm noch sagen, bevor sie sich selbst unterbrochen hatte? Wer war sie überhaupt? Vor allem, warum half sie ihm wirklich?

Es konnte doch nicht der alleinige Grund sein, nur weil diese Frau Emmanline etwas schuldete. Sie war ein Rätsel und er hätte es gerne gelöst. Die Frau, die einen bezaubernden Duft von Zitrone in einem frischen Frühlingswind besaß. Sein Drache mochte es.

Nur wusste Cyrill nicht, worüber er fassungsloser sein sollte. Eher, das Emmanline vermutlich nahe an dem Ort war, wo er sich stets aufgehalten hatte, um die Grenze zu bewachen? Oder, welche anziehende Reaktion er gegenüber dieser Fae verspürte, obwohl sie sein Feind war und hätte töten müssen?

Was auch immer diese Gefühlsregung war, er würde sie ohnehin nie wieder sehen und hoffte, diese Empfindung möge dadurch verschwinden. Er konnte sich so etwas nicht leisten und gebrauchen.

Mit einem Kopfschütteln machte sich Cyrill von diesen unsinnigen Gedanken frei. Er hatte wahrhaft besseres zu tun, als sich über so was Gedanken zu machen. Stattdessen begab er sich auf den Weg zur nördlichen Grenze. Die Stadt Tarascon war nicht sonderlich groß, aber ein wichtiger Stützpunkt. Sollte Culebra sich direkt vor seinen Augen befinden, war es raffiniert von ihm. Um das herauszufinden, ob die Worte der Fae stimmten, musste er erst einmal überprüfen, bevor er weitere Informationen weiter leiten konnte.

Einfach die Lage auskundschaften.

 

Evanna wusste überhaupt nicht, warum sie das wirklich getan hatte. Sie wusste, welches Risiko sie damit einging, wenn sie sich diesem Drachen, mit langen pechschwarzen Haar und den sanften braunen Augen, zeigte. An ihren Kräften als ein Sleeper und Killerin zweifelte sie keinesfalls, aber niemals hätte sie gegen diesen Drachen eine Chance gehabt. Das hatte sie vornherein gewusst. Er wäre ihr kräftemäßig überlegen gewesen.

Doch aus einem Gefühl heraus verspürte sie eine gewisse Anziehung zu ihm. Sie hatte alles darauf angesetzt, er würde ihr nichts tun. Darum überraschte es sie, wie vernünftig er gewartet hatte, damit sie zu Ende erzählte. Vermutlich hätte fast jeder andere Drache sie gleich getötet, weil sie so unvorsichtig gewesen war. Doch er war anders, genau das hatte sie gespürt.

Ihr Herz schlug jetzt immer noch schneller in der Brust, welches sich nicht wirklich beruhigen wollte. Was löste dieser Drache in ihr aus, was sie unsicher machte?

Seufzend wandte sich Evanna weiter in die schützende Dunkelheit. Sie wusste, er folgte ihr nicht, womit sie vielleicht gerechnet hätte. Er war ein eigenartiger Mann.

Trotz allem konnte sie sich all das nicht leisten, wenn sie sich ihren Gefühlen hingab, und sie musste so oft schon verbergen, was tief in ihr verborgen lag. Sie bereute es keinesfalls anders als alle anderen Fae zu sein. Doch sie durfte sich keine Schwäche und Fehler leisten. Vieles hing davon ab, wie sie sich gab oder handelte. Nicht nur für sie alleine. Sie musste stets bedenken, sie lebte nicht nur für sich alleine. Tag ein und Tag aus wurde sie daran erinnert.

 

Drei Tage war es her, als Lucien unerwartet seine Zwillingskinder bekommen hatte. Einerseits konnte er Emmanline verstehen, warum sie so gehandelt hatte. Aber er verstand nicht, warum sie ihm nicht vertraute. Das lag ihm schwer auf dem Herzen, als alles andere. Natürlich auch ihren immensen Verlust. Aber er hätte alles für sie getan. Wirklich alles.

Jetzt waren ihm nur noch seine beiden Kinder geblieben, die Lucien in so kurzer Zeit mehr in sein Herz geschlossen hatte, als irgendjemand. Er liebte sie jetzt schon über alle Maßen. Es war eine Freude für ihn, sie beide zu beobachten und ihre jetzigen Verhaltensweisen zu erfahren. Sie wirkten auf ihn selbst nach diesen paar Tagen hellwach und aufmerksam.

Gerade klopfte es an seiner Zimmertür, während er seinen Sohn ins Bett legte, die er hatte hier aufstellen lassen, sodass seine Zwillinge einen Platz zum schlafen hatten. Direkt neben seinem, damit sie in seiner Nähe waren. Raziz war in seinen Armen eingeschlafen und es erweckte eine weitere große Freude in ihm, die er zuvor nicht gekannt hatte. Tiefe Zufriedenheit.

„Herein“, bat Lucien die Person ins Zimmer zu treten. Es war seine Schwester Jade, als er sich umwandte und sie überrascht anschaute. „Seit wann klopfst du an, Schwester?“

„Tue ich das nicht immer?“, wirkte sie gespielt irritiert.

Das ließ Lucien schmunzeln, weil es ihn immer wieder faszinierte, wie belanglos seine kleine Schwester alles hinnahm. Sie wirkte sorglos, aber er wusste, in ihr schien es manchmal anders auszusehen. Des Öfteren beneidete er ihre Sorglosigkeit. Anderseits wollte er auch nicht mit ihr tauschen. Es war nur ein winziger Funke, der in ihm wohnte. Nicht mehr oder weniger.

„Was kann ich für dich tun, Jade?“, wollte er von ihr wissen.

Jade war an das Bettchen zu Adriana hingegangen, die noch immer putzmunter zu sein schien. Wohingegen Raziz schon längst schlief.

„Oh, ich wollte dir nur mitteilen, das unsere Großtante endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist“, sagte sie belanglos und lächelte auf seine kleine Tochter hinab. „Na, wer ist meine Süße? Ja, das bist du“, sprach sie kindlich und stupste ihre kleine Nase mit dem Finger dabei.

„Wie bitte, Havanna ist wach? Seit wann?“, wirkte er fassungslos und ignorierte ihr irrsinniges Verhalten seinem Kind gegenüber.

„Ungefähr solange, dass sie ihr ganzes Zimmer verwüsten konnte“, lachte sie herzhaft auf. „Wenn du dich beeilst, kannst du sie vielleicht noch erwischen, bevor sie verschwindet. Sie redet die ganze Zeit davon, sie will jemanden umbringen. Sehr dramatisch.“

Wie angewurzelt stand Lucien da und starrte seine Schwester weiterhin konfus an. Hatte er das gerade richtig verstanden? Havanna zerstört gerade ein ganzes Zimmer und wollte dann verschwinden?

„Kannst du einen Augenblick auf meine Kinder aufpassen?“, fragte er Jade ernst.

Verwirrt schaute sie ihn an. „Tue ich das nicht bereits?“

Mit einem missmutigen Knurren schaute Lucien sie finster an, worauf er mit zwei Fingern seine Nasenwurzel massierte. „Kannst du mir das nicht gleich sagen?“

Bald würde er an Kopfschmerzen leiden, was für Drachen kein typisches Leid war. Doch so wie in letzter Zeit alles lag, wäre alles möglich.

„Habe ich das etwa nicht getan? Dir es gesagt?“, schien sie weiterhin durcheinander zu sein.

Lucien rollte mit seinen Augen und wollte darauf kein Kommentar abgeben. „Pass einfach auf meine Kinder auf. Und versuche einigermaßen normal zu sein und stelle mit ihnen nichts an. Ich will sie lebend wiedersehen“, ermahnte er sie.

„Oh, natürlich. Du bekommst mein Wort“, legte sie schwörend eine Hand auf ihre linke Brust, direkt über ihr Herz, als würde sie einen heiligen Eid ablegen.

Kopfschüttelnd verließ er das Zimmer und betete darauf, sie möge nicht in Versuchung kommen irgendwas dummes anzustellen, wie er es von Jade kannte. Sie hatte eine ungewöhnliche Art und Weise Zuneigung jemanden gegenüber zu zeigen. Am Ende kam nur Chaos heraus.

Mit schnellen Schritten war Lucien an dem Zimmer seiner Großtante angekommen. Er konnte Geräusche von drinnen vernehmen und lautes Gebrüll. Jade hatte sich nicht geirrt, sie verwüstete alles, als er gerade die Tür öffnete und eine Vase ihm entgegen geflogen kam. In letzter Sekunde konnte er noch der Vase ausweichen, die nun an der Wand hinter ihm in tausende Scherben zersplitterte.

Das Schauspiel was er jetzt zu Gesicht bekam, war tausend Mal lustiger, als alles andere. Ysera versuchte sie festzuhalten, damit Havanna den Stuhl nicht durch das Fenster warf, welchen sie gerade ergriffen hatte. Lya redete ununterbrochen auf ihre Großtante ein, aber es wirkte so, als steckte sie in eine wütende Raserei und das man bei ihr auf taube Ohren stieß. Gerade gesellten sich Raiden und Darius zu ihm, die anscheinend auch die gleiche Information bekommen hatten.

„Glaubst du, wir sollten sie gleich unterbrechen?“, fand selbst sein Onkel es belustigend.

Lucien räusperte sich, damit er sich etwas ernst anhörte. „Nach Lyas Gesichtsausdruck zu urteilen, sieht sie schon sehr verzweifelt aus. Ich denke, wir sollten ihnen helfen“, trat er ein paar Schritte ins Zimmer und sandte seine mächtige Präsenz aus. Sofort hörten alle in dem Raum auf und blickten ihn an. „Es freut mich wirklich zu sehen, dass du erwacht bist, Großtante Havanna.“

Havannas Augen formten sich zu Schlitzen. „Warum bin ich hier?“, knurrte sie wütend.

„Als wir dich fanden, haben wir dich aus dem Eis befreit, indem du gefangen warst. Du bist nicht gleich erwacht und wir hätten dich kaum dort zurückgelassen können“, antwortete Lucien ihr wahrheitsgemäß.

„Dies war unsere Höhle gewesen“, klang ihre Stimme voller Zorn.

„Ysera, lass sie los“, befahl er seiner Schwester, worauf sie sofort gehorchte. „Was ist passiert? Und wie bist du überhaupt in dieses Eis gelangt?“

Langsam senkte sich der Stuhl, den Havanna in die Luft gehoben hatte und stellte ihn ab. „Seena und ich waren nur für kurze Zeit auf Wanderschaft gewesen, wobei dieser verdammte Drachenarsch sich in unserer Höhle breit gemacht hatte und mit Abschaum alles verpesten musste. Am liebsten hätten wir ja was gegen sie unternommen und die Höhle von dem ganzen Ungeziefer frei gemacht. Aber...“, schien sie in Gedanken zu schweifen.

„Ihr habt Emmanline gesehen, nicht wahr? Und was sie ist?“, konnte Lucien beinahe schon die Gedanken von seiner Großtante lesen.

„Ihr wisst von ihr?“, schien ihr Blick etwas überrascht zu sein.

Ein trauriges Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht und der Schmerz stand in seinen dunklen Augen. „Sie ist meine vorherbestimmte Seelengefährtin und Mutter meiner beiden Kinder.“

„Kinder?“, wurden die Augen von Havanna groß.

„Ja“, antwortete er ihr. „In der ganzen Zeit ist viel passiert und es hat sich auch einiges geändert. Sie hat sich verändert.“

Stirnrunzelnd schaute seine Großtante ihn an. „Solltest du, da wo du Kinder hast und deine Seelengefährtin, nicht glücklicher aussehen?“

„Havanna, du musst es so sehen …“, war es Darius der sprach und die Tür zum Zimmer schloss.

„Oh, wenn das nicht Darius der Taktiker ist“, klang sie halb ironisch.

„Denke was du willst, Drachenhexe, aber die Zeiten haben sich geändert“, verengten sich Darius Augen und er Begann zu erzählen, was zuvor geschehen war.

Auch Lucien berichtete von seiner Sichtweise und den Zusammenstoß mit seiner Großmutter Araveena, die vor sehr langer Zeit gestorben war. Vor allem, wie sie dazu gekommen waren, dass sie nach seinen Großtanten suchen sollten.

Die Augen seiner Großtante verdunkelten sich. „Ich verstehe. Meine Schwester hatte also schon alles eingefädelt, damit wir ja nicht verschwinden“, knurrte sie leicht. „Sie wusste schon immer was in uns vorgeht. Und so wie die Lage jetzt ist, wird uns auch nichts anderes übrig bleiben, als zurückzukommen.“

„Wo ist deine Schwester eigentlich? Sollte sie nicht bei dir sein“, fragte Darius.

„Wenn ich sie gefunden habe, wird sie einiges von mir zu hören bekommen, bevor ich sie umbringe“, zischte sie wütend. „Seena war es gewesen, die mich in das Eis eingeschlossen hatte.“

Überrascht schauten alle in den Raum Havanna an. „Es war nicht Culebra gewesen, der dich ins Eis eingeschlossen hatte?“, war es Lucien gewesen, der fragte.

Sie schnaubte abfällig. „Als wenn dieser Hurensohn eine mächtige Drachenhexe in Eis einschließen könnte. Dazu wäre er nicht fähig. Selbst nicht einmal mit seinen ganzen Abschaum, den er um sich scharrt. Nein, es war meine verfluchte Schwester gewesen, die mich unbedingt beschützen wollte, weil ich mich gegen etwas gewehrt habe, was sie nicht wollte. Wir hatten uns gestritten und da ist die Höhle ganz schön in Mitleidenschaft gezogen worden“, zuckte sie mit ihren Schultern.

„Aus welchen Grund hat Seena dich beschützt?“, erklang Raidens ernste Stimme, der sich die ganze Zeit zurückgehalten hatte.

„Lag vermutlich daran, das ich die jüngste Schwester bin und eine Dummheit begehen wollte“, antwortete Havanna und blickte aus dem Fenster. „Hier hat sich absolut nichts verändert und es ist noch immer eine Einöde, wie meine Nichte und ihr Gefährte es hinterlassen haben.“

Lucien knurrte. „Ich habe auch nicht vor, es sonderlich vom Aussehen zu verändern.“

„Natürlich nicht, da du jetzt König über uns Drachen bist und alles in deiner Hand hast“, wirkte sie belustigt. „Aber mein Beileid, dass eure Mutter ihrem Gefährten in den Tod gefolgt ist. Das ist wirklich das Einzige was ich bei ihr bewunderte, welche Verbundenheit eure Eltern miteinander gehabt hatten. Sehr selten.“

„Willst du uns wütend machen, Großtante?“, brummte Ysera leicht aufgebracht.

Havanna lachte leicht. „Oh, keinesfalls, meine Liebe. Nimm es mir nicht übel, aber wir stecken in einer riesigen Scheiße. Nicht das ich je vorhabe Kinder zu bekommen, aber es betrifft alle. Zumal ist meine Schwester verschwunden und ich weiß nicht einmal wo sie steckt. So wie du, Lucien, der seinen Arsch bewegen und nach seiner Gefährtin suchen sollte.“

Als wenn Lucien es nicht schon längst getan hätte, wenn er Emmanline gespürt hätte. Doch er spürte rein gar nichts. Keine Verbindung, die er zuvor mit ihr gehabt hatte. Es war eine vollkommene Leere die ihn umgab. Die letzten Nächte waren für ihn die Hölle gewesen und er hatte kein Auge zu bekommen, egal was er getan hätte. Dieses Gefühl brachte ihn beinahe um und keiner hier in den Raum würde ihn je verstehen können. Nicht einmal seine Großtante, die weit älter war, als alle hier.

„Lucien, es gibt Neuigkeiten“, warf sein Onkel Darius aufgebracht in den Raum. „Sie wurde gefunden. Emmanline. Wir wissen wo sie ist.“

Blitzartig wandte Lucien sich an seinen Onkel und sah ihn mit geweiteten Augen an. Sein Blick sagte alles.

„Ich kann nicht sagen, wie es ihr geht, aber Cyrill hatte eben mit mir Kontakt aufgenommen. Sie wird in den Bergen von Vesuf festgehalten“, berichtete Darius weiter.

„Das liegt in der Nähe von der nördlichen Grenze von Tarascon“, wirkte Ysera überrascht. „Der Verräter würde doch wohl nicht so nahe an uns dran sein und wir bemerken es nicht einmal.“

„Immer zwei Schritte voraus“, flüsterte Lucien vor sich hin und seine Gedanken rasten regelrecht. „Emmanline hatte Recht behalten.“

„Wie meinst du das?“

„Direkt vor unserer Nase“, wurde Luciens Blick immer klarer. „Das ist es. Darius, bereite alles für einen schnellen Aufbruch vor und bringe so viele Drachen wie möglich zusammen. Jeder soll wissen, dass wir einen Frontalangriff starten. Jeder der sich uns dort widersetzt, wird mit seinem Leben bezahlen. Es werden keine Gefangene gemacht“, glühten seine Augen voller Euphorie, endlich einen Anhaltspunkt bekommen zu haben seine Wut freien Lauf zu lassen. Seine Hoffnung bestand jetzt darin, Emmanline zurück zu bekommen, egal wie, und Rache an diesen miesen Verräter zunehmen. Ihm all das heimzuzahlen, was Culebra ihm und seiner Gefährtin angetan hatte. Selbst seinem Volk.

„Also das gefällt mir“, blitzen die Augen seiner Großtante begeisternd auf.

Wütend starrte Lucien sie an. „Lass den Blödsinn, Havanna. Du kannst gerne hier bleiben und du wirst alles bekommen, was du benötigst“, sagte er nichts weiter und verschwand aus dem Zimmer seiner Großtante. Er musste sich vorbereiten, bevor sie aufbrachen und seine zwei Kinder noch einmal sehen. Immerhin wollte er noch ein wenig Zeit mit ihnen verbringen und er wusste nicht einmal, ob er unbeschadet Heim kehren würde.

 

„Ist er immer so?“, seufzte Havanna auf, als ihr Großneffe verschwunden war. Sie wusste, sie hatte es etwas zu weit getrieben, aber konnte es sich nicht verkneifen. In ihr brodelte eine Menge Energie, die sich während des Schlafes angestaut haben musste.

„Vielleicht liegt es daran, dass er seine vorherbestimmte Seelengefährtin verloren hat und er nicht genau weiß, was er jetzt tun soll. Vor allem mit seinen Kindern, fühlt er sich hin und her gerissen“, antwortete Darius ihr. „Er steckt in einer ziemlichen Zwickmühle. Also verärgere ihn nicht absichtlich.“

Lange blickte Havanna Darius an, den sie vor einer langen Zeit gut gekannt hatte. In all der Zeit, während sie und ihre Schwester Seena im Exil gewesen waren, hatte sich einiges verändert. Sogar Personen veränderten sich. Wie sie selbst.

„Mag sein, das ich es nicht ganz nachvollziehen kann, aber ich bin nicht hier, um zuckersüße Worte von mir zu geben. Ich bin nicht mehr die Frau, die ich einst gewesen war, Darius. Wenn meine Schwester wirklich wollte, das wir wieder zurückkehren, dann aus tiefgründigeren Sachen. Ich werde diese Entscheidung akzeptieren“, blickte sie ihn starr an.

„Mach was du willst, aber halte dich ein wenig zurück“, verließ auch Darius das Zimmer.

Havanna ließ sich auf den Stuhl fallen, den sie zuvor aus dem Fenster schmeißen wollte. „Was ist nur aus der Zeit geworden?“, seufzte sie resigniert.

„Nicht die Zeit ist es, was sich verändert hat, sondern die Umstände. Wir kämpfen mit vielen Mitteln, damit wir in dieser Zeit bleiben, aber einige mögen es nicht verstehen. Mag vielleicht sein, das es hart klingt, dennoch verschwinden wir nicht einfach von der Bildfläche und lassen alle in Stich.“

„Raiden“, schnappte neben ihr die hübsche Drachin mit ihren sanften blauen Augen nach Luft. „Das ist unhöflich.“

Seit dem Verschwinden von ihr und Seena, veränderte sich wirklich vieles und sie hatte auch keine wirkliche Ahnung, welche neuen Verhältnisse entstanden waren. Vor allem, wer zu wem gehört. Doch sie konnte noch immer gut einordnen und spüren, wer zur Familie gehörte. Havanna kannte zwar keine Namen von ihnen, aber es war ihr auch nicht sonderlich wichtig.

Herzhaft lachte Havanna auf. „Mir ist es vollkommen egal, was ihr sagt. Viele waren noch nicht einmal geboren, als wir verschwanden. Von daher interessiert es mich nicht, weil niemand hier eine Ahnung hat“, glühten ihre Augen auf.

Die Augen des Drachens, namens Raiden, verengen sich. „Wir haben nur keine Ahnung, weil wir nicht solange gelebt und gesehen haben, wie ihr?“

„Nein“, schnaubte Havanna abfällig und machte eine abwerfende Handbewegung. „Zu viel wissen, kann manchmal zu vieles von einem selbst opfern. Auch das ewige Leben. Das müsstest du doch am besten wissen, nicht wahr, Raiden?“, betonte sie seinen Namen extra und schaute ihn mit einem wissenden Lächeln an. „Oder glaubst du etwa, wir haben keine Ahnung, was wirklich passiert? Sicher denken viele, wir wären durch unserer Verschwinden von allem abgeschnitten. Oder vielleicht gar irgendwo tot, weil wir unsere Anwesenheit so gut verbergen können. Wir sind mächtige Drachenhexen und es ist uns ein leichtes, so viele zu täuschen, oder eben einmal irgendwo zu verschwinden, wo uns niemand findet. Trotzdem heißt es noch lange nicht, das wir nichts für unser Volk tun oder in Stich lassen. Alles was wir tun, selbst unser Handeln, hat einen Hintergrund, was uns zu viele Wege leitet. Egal was wir am Ende tun. Egal ob es zu einem schlechten oder guten Ende führt. Wer weiß das schon. Das Wichtigste ist doch wirklich, was wir dazwischen tun, und nicht der Anfang oder das Ende“, zuckte sie mit ihren Schultern und klatschte dann in die Hände. „So, genug geredet. Ich habe tierischen Hunger. Ich könnte glatt zwanzig Rinder verdrücken“, knurrte sie missmutig.

 

Lucien betrat wieder sein Zimmer und erwischte Jade dabei, wie sie seiner Tochter unmögliche Dinge erzählte. Dabei konnte er nur mit dem Kopf schütteln. Seine Schwester hatte Adriana in die Arme genommen, während sie im Schaukelstuhl saß, den er extra für sich zugelegt hatte, seit er seine Kinder hatte. Doch jetzt saß Jade darin und erzählte seiner kleinen Tochter unmögliche Geschichten von ihren unsinnigen Reisen.

„Und du glaubst nicht, wie er dann reagiert hatte. Dein Papa kann ganz schön gefährlich werden, wenn er einmal wütend und stur ist“, grinste Jade schelmisch und zeigte ihr weißen perfekten Zähne.

„Ich habe dich doch vorgewarnt, du sollst meinen Kindern keinen Blödsinn erzählen“, knurrte Lucien und funkelte sie finster an, wobei er nicht verhindern konnte, das ein belustigendes Funkeln in seinen Augen zu sehen war.

„Oh, Bruder“, tat sie so, als wäre sie erwischt worden. Dabei hatte sie seine Anwesenheit schon längst gespürt. „Ich weiß gar nicht was du meinst. Ich habe mich nur unschuldig mit deiner kleinen süßen Tochter unterhalten, weil sie einfach nicht einschlafen will. Dabei scheint Raziz wie ein Stein zu schlafen.“

Unschuldig, dachte er innerlich in sich hinein. Warum glaubte er ihr nur nicht?

„Gib mir meine Tochter, ich werde mich darum kümmern“, streckte Lucien seine Arme aus und nahm sie ihr aus den Armen. Adriana strahlte ihn an und er lächelte zurück. „Danke, dass du auf sie aufgepasst hast. Ich würde gerne einen Augenblick alleine sein“, was nicht unbedingt eine Bitte war.

Mehr als einen Augenblick schaute seine Schwester ihn an. „Irgendwas ist passiert“, meinte sie etwas skeptisch. „Ich kann in deinen Augen sehen, du planst irgendwas.“

„Das tue ich auch“, sagte er direkt. „Wir haben eben die Information erhalten, wo sich Emmanline befindet.“

Jade machte einen überraschten Laut. „Dann stehst du noch hier und redest noch seelenruhig darüber?“

Luciens Augen glühten vor regelrechter Ungeduld. „Seelenruhig?“, schaute er seine kleine Schwester an. „So fühle ich mich im Moment überhaupt nicht. Ich würde am liebsten losstürmen und nach Emmanline suchen. Ich will mich davon überzeugen, ob es ihr gut geht und was die Ursache dafür ist, warum ich darunter leide und sie nicht mehr in mir fühlen kann. Es macht mich beinahe wahnsinnig. Schon seit Tagen bringt es mich fast um. Es treibt mich soweit, dass ich aus der Haut fahren könnte, aber was ich schier vermeide. Alleine meinen Kindern zuliebe, versuche ich mich zu beherrschen. Also sag mir, liebe Schwester, was an mir könnte so seelenruhig sein?“

Zum ersten Mal schien es seiner gesprächigen und schwatzhaften Schwester die Sprache verschlagen zu haben, als sie ihn anstarrte und noch immer in dem Schaukelstuhl saß. Es gab wenig, dass sie in solch eine Lage versetzte.

„Tja“, strich Jade ein paar Mal über ihr feuerrotes Kleid, was ihr Haar glich und ihre Figur mehr als betonte. Mit all den Spitzen und Rüschen. „Wenn das so ist, dann sollte ich unbedingt auch ein paar Vorbereitungen treffen. Ich will ja das alles nicht verpassen“, stand sie damenhaft auf und räusperte sich. „Ich vermute mal, es wird so schnell wie möglich losgehen.“

Damit hatte sie vollkommen Recht und er musste es auch nicht beantworten. Sie war im nächsten Moment auch schon verschwunden. Mit einem Kopfschütteln ignorierte er ihr ungewöhnliches Verhalten. Er wollte es auch nicht wissen, denn Jade heckte mit Sicherheit irgendwas aus, womit er absolut nichts zu tun haben wollte.

Gerade hatte Lucien geglaubt, er habe ein paar ruhige Minuten mit seinen Kindern, klopfte es an seiner Tür erneut. Mit einem wütenden Knurren bat er diese Person herein und war überrascht darüber, wer eintrat. Er hätte mit jeden gerechnet, aber nicht mit seiner Großtante.

„Da hier alle voller Begeisterung über die Zwillingskinder von dir reden, wollte ich mich einmal selbst davon überzeugen“, meinte sie sachlich. Dabei ging Havanna auf das Bettchen zu seinem Sohn hin, der friedlich schlief und nichts davon mitbekam. „Oh, er sieht ja genauso aus wie du“, klang sie überrascht, aber ihn nervte es.

„Aus welchem Grund bist du wirklich hier, Havanna?“

„Aus keinen bestimmten Grund. Ich habe nur große magische Schwingungen gespürt und als ich dem auf den Grund gehen wollte, bin ich genau vor deiner Tür gelandet. Anscheinend gehen starke magische Wellen von deinen Zwillingen aus. Das ist höchst interessant“, machte sie ein Geräusch der Begeisterung.

Luciens Augen verengten sich finster. „Was willst du damit sagen?“

„Nichts konkretes, weil ich dazu noch nicht viel sagen kann. Sie sind zu jung. Aber ich kann eines sagen, in ihnen schlummert etwas ganz Großes“, fuhr sie sanft mit den Fingern über die Stirn seines Sohnes.

„Bedeutet das, sie werden irgendwann Kräfte entwickeln, wovon noch keiner weiß?“

„Kann gut möglich sein. Deine Gefährtin ist ein geheimnisvolles Wesen und durchaus in Vergessenheit geraten. Es gibt keine Überlieferungen mehr über ihr Volk. Zumal ist sie auch noch ein Mischwesen aus zwei magischen Völkern. Wer weiß welche Macht in ihr schlummert.“

Da hatte seine Großtante in der Tat Recht und keiner wusste, was in Emmanline wirklich steckte. Sie hatte zwar viel Mut und auch oft ihre Fähigkeiten bewiesen. Aber Lucien hatte auch das Gefühl, nie hatte seine Seelengefährtin ihre wahre Kraft gezeigt. Vermutlich wusste Emmanline es selbst nicht einmal. Doch eines wusste er ganz genau, sie war eine starke Frau und das wunderbarste Wesen, das er je zu Gesicht gekommen hatte. Er würde sie immer wieder erwählen. Sowie sein Drache es tun würde.

„Warum gibt es keine Überlieferungen mehr über die Wesen der Einhörner? Man glaubt nur, sie seien ein erfundener Mythos, was selbst uns Wesen in der Mythenwelt es glauben lässt. Sie sind vollkommen in Vergessenheit geraten“, würde Lucien es so gerne wissen, aber er erhielt nie eine Antwort darauf. Selbst Emmanline konnte ihm nie eine wirkliche Antwort darauf geben, da sie nie mit ihrem eigenen Volk etwas zu tun gehabt hatte. „Ich verstehe nicht, wie ein solches Volk in Vergessenheit geraten konnte.“

„Ganz einfach, sie können alles überdauern“, lächelte Havanna und ihr Blick schweifte in eine Zeit zurück, wovon er keine Ahnung hatte. Wovon niemand eine Ahnung hatte. „Die Einhörner sind ein Volk der wahren Unsterblichkeit. Woher glaubst du wohl, stammt unsere Unsterblichkeit? Sie ist uns sicherlich nicht zugeflogen oder aus großer Güte geschenkt worden.“

Schockiert riss Lucien die Augen auf, als sein Gehirn das zu verarbeiten versuchte, was seine Großtante ihm da erzählte. „Heißt das, sie gaben uns Mythenwesen die Unsterblichkeit?“

„Irgendwo muss es ja ein Anfang geben, oder nicht? Ich vermute mal, du wirst schon längst mitbekommen haben, das deine Seelengefährtin nicht tot zu kriegen ist. Das liegt daran, weil in ihr noch immer das Erbe ihres Volkes steckt. Ich glaube, wenn du auch so ihr Geheimnis schon kennst, wirst du auch das andere kennen, warum sie so verbissen darauf sind, es geheim zu halten.“

„Emmanline erklärte mir, würde je jemand ihr Geheimnis der wahren Unsterblichkeit kennen, würde derjenige selbst über diese Macht verfügen. Ihre Mutter hatte ihr stets vermittelt, nie darüber zu sprechen oder es zu verraten“, erzähle Lucien.

„So ungefähr. Niemand weiß wirklich, wie das von statten geht. Es würde äußerst schwierig werden. Nicht einmal die Götter wissen es. Vermutlich ist es auch besser so, dass das Volk der Einhörner vor Jahrtausenden verschwunden sind und dieses Geheimnis mit sich nahmen. Niemand sollte über das Wissen der wahren Unsterblichkeit verfügen. Die Welt ist auch schon so grausam genug und die Schlacht eines üblen Chaos. Wer sich das auch immer ausgedacht hatte, hat nicht an das wirkliche Gleichgewicht der Kompensation gedacht. Wirklich irre. Wer will denn schon wahre Unsterblichkeit besitzen, ohne eine Aussicht oder einen Ausweg zu bekommen, den wahren Tod zu erwählen?“

Zum ersten Mal verstand Lucien wirklich, was Emmanline in all ihrer Zeit hatte durchmachen müssen. Zumal gefühlt haben musste. Die wahre Unsterblichkeit beinhaltete ein schweres Laster, welches nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte. Er erinnerte sich auch daran, wie oft Emmanline ihn beteuert hatte, sterben zu wollen. Stets war er wütend darüber gewesen, weil er das nicht von ihr hören wollte. Kein einziges Mal. Doch jetzt kam er nicht drumherum, es zu verstehen, als würde sich ein dicker Nebel vor seinen Augen lichten. Als würde er endlich Klarheit bekommen.

Emmanline hatte immer nur wie alle anderen sein wollen und einem Ende zustreben wollen, welches sie gehen wollte. Einen Weg einschlagen, der für sie ein Ausgang bedeutete.

„Dein Blick, mein Großneffe, sagt mir, du versuchst das Unbegreifliche zu verstehen. Aber es ist zwecklos, niemand wird es jemals können. Keiner kann alles im mindesten verstehen. Ich bin ein uralter Drache, die nach Wissen dürstet und nicht einmal ich habe es je geschafft. Es gibt so vieles auf dieser Welt, was unerklärlich ist und vermutlich auch bleiben wird. Es gibt höhere Mächte, wovon wir keine Ahnung haben. Solange sie im Schatten verborgen bleiben, soll es mir recht sein. Jeder hat eine Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Wir sind nur kleine Schachfiguren vom Ganzen. Das habe ich mehr als einmal lernen müssen“, klang ihre Stimme so rational, was zu ihm durchdrang.

Lucien schüttelte mit seinem Kopf, damit er im Kopf wieder klar wurde. „Ich will auch nicht wirklich alles verstehen, aber ich werde nicht aufhören nach einem Grund zu suchen, wenn es um meine Seelengefährtin geht. Ich würde für sie alles tun. Auch wenn es mich alles kosten würde“, war er entschlossen.

„Ich habe befürchtet, das du das sagst. Keine Macht dieser Welt vermag wahre Seelengefährten zu trennen. Das hatte ich stets bei deinen Eltern bewundert“; lächelte sie leicht, was ihre Augen auch erreichte. „Es wird ein harter und weiter Weg sein, der dir bevor steht.“

„Ich habe auch niemals behauptet, das es einfach sein würde. Ich bin mir vollsten bewusst, was mich erwartet. Außerdem, auch wenn ich Emmanline dort nicht finde, oder die Chancen schlecht sind, wenn mit ihr etwas geschehen ist, kann ich solch einen miesen Verräter, der keine Gnade kennt, entkommen lassen. Allein, da ich jetzt selbst Vater bin“, schaute er auf Adriana herab, die endlich eingeschlafen war. In ihm steckte so viel Wut und Zorn, welche er kaum bändigen konnte, aber seine kleine Tochter schlief friedlich und vertrauensvoll in seinen Armen.

„Nun gut“, schnalzte seine Großtante mit ihrer Zunge. „Da ich davon ausgehe, das meine Schwester irgendwo in Gefangenschaft gehalten wird, werde ich meine Suche bei dem miesen Abschaum anfangen“, lächelte sie boshaft, was selbst Lucien eine leichten Schauer über den Rücken laufen ließ.

Sanft bettete Lucien Adriana in ihr kleines Bett und deckte sie sorgsam zu. Leicht lächelte er, weil seine Tochter beim Schlafen die Angewohnheit hatte, vor sich hin zu glucksen. Als er sich versichert hatte, das sie gut lag und schlief, ging er zu seinem Sohn, um nach ihm zu sehen.

„Verdammt fürsorglich.“

„So ist das nun einmal, wenn man Vater geworden ist“, kommentierte Lucien ihre Worte und deckte Raziz zu, der seine Decke weg gestrampelt hatte.

„Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, einmal selbst Kinder zu bekommen“, klang sie monoton.

Normalerweise interessierte es Lucien nicht, aber er musste trotzdem fragen. „Nicht einmal mit dem Ratsmitglied Darco?“, schaute er ihr bei dieser Frage in die Augen.

Lucien konnte ein überraschtes Blitzen in ihren Augen erkennen. „Woher weißt du davon?“, fragte sie nach einigem Zögern.

„Weil er ein paar Tage an deinem Bett Wache geschoben hatte, bevor ich ihn wieder nach Hause zurück schicken musste. Er war ziemlich von dir eingenommen und ich rede nicht einfach nur so. Er erzählte mir auch, was für eine Beziehung ihr damals miteinander geführt hattet.“

„Das hat er getan?“, glomm Wut in ihren braunen Augen auf. „Schön für ihn, aber das hat längst keine Bedeutung mehr“, knurrte sie.

„Nach deiner Reaktion zu urteilen, scheint es genau das Gegenteil zu bedeuten.“

„Tss“, zischte Havanna abfällig. „Nichts was diesen Mann und Drachen betrifft, wird je Platz bei mir finden. Von mir aus kann er sich zum Teufel scheren und mich würde es dann nicht mehr interessieren“, wandte sie sich ab und ging einfach.

Allein schon die starke Reaktion darauf und wie sie sich verhielt, sprachen ganz andere Sprachen, wohingegen er ihren Worten kein Glauben schenken konnte. Ihm sollte es auch egal sein, was zwischen ihnen war und es interessierte ihn auch nicht. Zumal ging es ihm auch nichts an, denn er hatte genug eigene Probleme, um die er sich zu kümmern hatte. Sie waren alle erwachsen und konnten für sich selbst sorgen.

Apropos erwachsen, seit er wieder bei Verstand war, wo steckte der kleine Schneeleopard? Seit dem hatte er den jungen Gestaltenwandler nicht mehr gesehen. Er wird doch wohl nicht abgehauen sein? Später musste Lucien überall nachfragen, ob jemand ihn gesehen hatte, denn sonst besaß er ein kleines Problem. Selbst wenn Emmanline nicht bei ihm war, würde sie es ihm nicht verzeihen, sollte Audray etwas zugestoßen sein. Nicht einmal jetzt konnte er ihre Bitten abschlagen oder missachten.

Diese Frau war in ihm einfach zu tief verwurzelt.

Wieder machte sich ein wehmütiger und schwerer Schmerz in ihm breit, den er kaum ertragen konnte. Es war eindeutig hundert Mal schlimmer, als die Verluste zuvor. Würde es denn noch unerträglicher werden? Gewiss fühlte Lucien sich jetzt schon wie ein Häufchen Elend. Unsagbare Schuldgefühle nagten an ihm, was ihn beinahe auseinander riss.

Auch seine Gedanken waren nicht besser dran, die sich kreuz und quer vermischten. Er fühlte Angst und gleichzeitig war er wütend. Auf sich selbst, wie dumm er doch gewesen war.

Gleichzeitig dachte Lucien an Emmanlines letzte Worte, bevor sie für immer aus seinem Leben verschwunden war. Nicht die Worte, die über ihre Lippen kamen, sondern aus ihrem tiefsten Inneren. Er hatte seiner Familie nicht alles erzählt und er wollte es auch nicht, denn für die Anderen waren nicht alle Worte bestimmt. Dies war nur für ihn und sein Herz, woran er sich immer erinnern würde.

 

Wie sehr würde ich dir jetzt sagen, das es mir furchtbar leid tut, aber ich kann es nicht. Genauso wenig kann ich von dir verlangen, dich um Verzeihung zu bitten. Verrat ist Verrat. Ich habe zu allem kein Anrecht mehr, seit der Dolch dein Herz durchbohrt hat, welches ich versucht habe zu beschützen. Immer habe ich gewusst, das dieser Tag eines Tages kommen würde, aber insgeheim habe ich gehofft, es würde anders kommen. Mittlerweile weiß ich, du würdest mich nie gehen lassen und du würdest mich jederzeit holen kommen. Nur damit ich bei dir bin. Du hast etwas in mir erweckt, was sich unglaublich anfühlt. Zum ersten Mal in meinem Leben durfte ich erfahren, was es heißt geliebt zu werden und wo ich das Gefühl bekam, Zuhause zu sein. Dafür danke ich dir sehr und all das wird in meinem Herzen sein, egal wie lange ich lebe. Doch du darfst mir nicht folgen und dein Leben riskieren, weil dein Leben soll jemand anderen gehören. Es soll deinen Kindern gelten. Sie werden dich brauchen, sollte ich nicht mehr da sein und da ich weiß, du würdest mir folgen, musste ich diesen Zauber auf dein Herz legen, der dich an mir zweifeln lässt. Sei wütend und zornig auf mich, weil ich es verdiene. Hasse mich sogar, solange du in Sicherheit bleibst. Und du darfst mir niemals verzeihen. Lebewohl …“

 

Wie eine Dauerschleife wanderten ihre Worte durch seinen Kopf und nichts davon hörte sich in seinen Ohren, wie ein Verrat an. Er wusste, ihr Herz war größer als alles andere und doch akzeptierte er ihre Entscheidung nicht. Er konnte es nicht.

Schon seit längerem hatte Lucien gewusst, Emmanline besaß sein Herz und seine Seele, sein ganzes Leben. Zu gerne hätte er ihr alles gegeben und sogar ihr zu Füßen gelegt. Keinesfalls hatte sie es mit ihren Füßen getreten, sondern stets darauf geachtet behutsam damit umzugehen. Jetzt wusste er mit großer Wahrscheinlichkeit, er bedeutete ihr auch etwas. Sonst hätte sie sich nicht die große Mühe gemacht, auf ihn zu achten. Natürlich war sie zu allen hilfsbereit und fürsorglich, aber bei ihm war es etwas anderes. Er wusste es einfach.

Entschlossenheit und ein wildes Feuer loderte in seinen Augen auf, als Luciens ans Fenster trat und hinaus in den Nachthimmel blickte. Der Mond wirkte größer und schien heller als sonst. Er war entschlossen, egal was ihn erwartete, er würde sie finden. Selbst wenn sein Gefühl ihm etwas anderes sagte. Schon immer konnte die Hoffnung Berge versetzen und er würde sie nicht ohne einen Kampf aufgeben, was auch kommen mag. Auch die Liebe zu jemanden konnte Wunder bewirken und selbst daran wollte er glauben. Wenigsten einmal in seinem Leben wollte er an etwas glauben, was ihm mehr am Herzen lag, als alles andere in seinem unendlichen Dasein.

 

Früh am nächsten Morgen, bevor die Sonne aufging, übergab Lucien seiner Schwester Lya seine kleine Tochter. Sie war putzmunter und er konnte nicht einmal verstehen warum. Normalerweise sollte sie genauso tief und fest schlafen, wie sein Sohn. Ihm kam der Gedanke, womöglich brauchte Adriana genauso wenig Schlaf, wie ihre Mutter es nicht brauchte. Er hatte schnell bemerkt, das Emmanline es aus gutem Willen tat und weil es ein großes Vertrauen zu ihm hinwies. Bei seiner Kleinen schien es nicht anders zu sein.

Lucien hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, um sich darauf vorzubereiten, was ihn erwartete. Nichts würde ihn aufhalten und er würde seinen Drachen freien Lauf lassen, sollte sich etwas zwischen die Mutter seiner Kinder und Seelengefährtin stellen. Alles würde er in einem rasenden Tempo vernichten.

„Pass gut auf sie auf“, wollte Lucien sich überhaupt nicht von seinen Kindern trennen, aber er musste es tun. Wie schwer es für ihn auch war.

„Natürlich, Lucien. Ich werde sie hüten, wie meine eigenen“, lächelte sie ihn warmherzig an. „Doch du passe auch auf dich auf und komm ja wieder zurück.“

„Das werde ich“, und hoffte, Emmanline wäre dann bei ihm.

Bevor Lucien ging, strich er sanft über den Kopf seines schlafenden Sohnes, das ihn nicht zu stören schien. Eindeutig hatte Raziz einen gesunden Schlaf, was ihn zum lächeln brachte. Es erfüllte sein Herz, schon dabei zuzusehen, wie sie einfache Dinge taten und er vollkommen davon eingenommen war. Ja, er würde zurück kommen, und sei es nur für seine Kinder.

Lucien gab Adriana einen sanften Kuss auf die kleine Stirn, die gluckste und die Chance ergriff, an seinen dunkel braunen Haaren zu ziehen. Einen Augenblick gewährte er ihr, bevor er sich von ihren winzigen Fingern befreite. Sie war wahrhaftig bezaubernd und noch einmal bekräftigte es ihn, er würde zurückkehren. Schließlich wollte er noch mehr von ihnen sehen und erleben. Noch mehr Erinnerungen an sie sammeln. Auch wenn es womöglich ohne Emmanline sein würde.

Ohne zurück zu blicken, verließ er sein Zimmer, denn sonst würde er sich umentscheiden, sollte er noch einmal einen Blick auf seine Zwillinge richten. Jetzt erst verstand Lucien alle anderen, wenn sie Kinder bekommen hatten und von dem Glück sprachen, davon gesegnet zu sein. Und wenn sie davon sprachen, von ihnen in absoluter Macht angetan zu sein. Stets hatte er es als Unsinn und Vernarrtheit angesehen, aber er steckte jetzt selbst in dieser Situation, dass er davon sprechen konnte, die Kinder besaßen ein großes Talent dafür, Eltern in ihren Bann zu ziehen, dass sie nicht mehr aufhören ließe, vor Stolz zu platzen. Genau das tat er, seine Brust quellt über davon.

Keine Sekunde wollte er davon vergeuden, etwas von ihrem Leben zu verpassen und er freute sich jetzt schon, zu ihnen zurück zu kehren.

Draußen auf dem großen Platz schienen alle versammelt zu sein und er nickte seinem Onkel dankend zu, wie schnell er er alles organisieren konnte. Doch Lucien schien überrascht zu sein, als er Saphira an Darius Seite stehen sah. Sie wirkte kampfbereit und entschlossen. Mit einem Blickwechsel seines Onkels verzog er leicht das Gesicht, als hätten sie ein ernstes Gespräch gehabt, wobei sie gewonnen hatte und er den Rückzug angetreten musste. Saphira zog mit in die Schlacht.

Mit einem Kopfschütteln wandte Lucien sich ab und bemerkte erneut, Männer waren nicht immer das stärkere Geschlecht. Frauen konnten verdammt stur und überzeugend sein.

Lucien bedurfte keine vielen Worte und verwandelte sich gleich in seine Drachengestalt, als er ein tiefes und lautes Brüllen von sich gab. Es war ein Schlachtruf, der alle davon überzeugte, mit ihm zu ziehen. Nicht weil er es von ihnen verlangte, sondern weil sie es freiwillig taten. Er erkannte alle Gesichter, die er erblickte und sich auf dem Vorhof seines Schlosses versammelt hatten. Sowohl Frauen und Männern. Sie waren hier, weil sie es für Emmanline taten und es rührte ihn zutiefst, welche tiefe Verankerung seine Seelengefährtin in seinem Volk hatte.

An die Hunderte von Drachen versammelten sich auf dem Boden und am Himmel, die in ihrer Drachengestalt und in ihrer menschlichen Form waren, was er zuvor noch nie gesehen hatte. Alle waren sie bereit in einen ausweglosen Kampf zu ziehen, nur um seine Gefährtin zu rächen oder womöglich zu finden und zu retten. Das machte ihn unsagbar mutig und entschlossener. Emmanline hatte eine tiefe Verankerung in ihnen hinterlassen, obwohl er gedacht hatte, sein Volk würde sie als eine Verräterin abtun, weil er ihn hintergangen hatte. Wie sehr er sich doch geirrt hatte.

In sein lautes Brüllen stimmten viele Drachen mit ein und Lucien hob sich dem Himmel empor. Er wollte keine Sekunde mehr verlieren, so sehr drängte es ihn in den Kampf zu ziehen.

Wie hast du es so schnell geschafft, so viele Drachen zu versammeln?“, stellte Lucien die Frage seines Onkels geistig, der neben ihm flog.

Gute Frage“, meinte er. „Als ich den Befehl gegeben hatte, dass alle Krieger sich bereit machen sollten, in die Schlacht zu ziehen, verbreitete sich das wie ein Lauffeuer. Voller Eifer und Euphorie strömten unzählige Drachen aus allen Himmelsrichtungen. Sie wollen für ihre Königin in die Schlacht ziehen.“

Lucien schaute Darius von der Seite an, als er die Ungläubigkeit in seiner gedanklichen Stimme vernahm. „Du wirkst so überrascht, dass es so ist, sie kämpfen für ihre Königin.“

Ein wenig schon. Seit du die letzten Monate dem Zauber erlegen warst, schienen einige gespalteter Meinungen gewesen zu sein, was deine Seelengefährtin betrifft. Viele waren voller Zorn und Wut, über ihren Verrat. Doch ich sehe viele Drachen hier, die nun für sie sterben würden.“

Am liebsten hätte Lucien gelächelt. „Kannst du dich daran erinnern, als eine Art Ruck durch unsere Körper ging?“, fragte er, aber wartete nicht auf seine Bestätigung ab. „Emmanline hat irgendwas getan, was vieles verändert hat. Ich kann es spüren, wie frei und leicht ich mich fühle, als wäre eine riesen Last von mir gefallen. Zuvor habe ich das noch nie gespürt. Vor allem diese tiefe Verbundenheit zu allen, jetzt wo ich es genauer fühle. Ich spüre jeden einzelnen von euch.“

Darius schien darüber nachzudenken und brummte zustimmend. „Vielen ergeht es so und es fühlt sich schon wahnsinnig an. Hat es was mit diesen blutroten Rubin zu tun? Bedeutet es, sie hat es geschafft, den Fluch von uns zu lösen?“

Ich weiß es nicht, Onkel, aber wir werden herausfinden, was es bedeutet“, woran Lucien nicht wirklich glaubte. Immerhin hatte Emmanline einmal gesagt, sie könne diesen Fluch nicht brechen, nur derjenige, der ihn ausgesprochen hatte. Er glaubte ihr. Was auch immer sie getan hatte, es fühlte sich wunderbar an. Er hatte nicht einmal gewusst, wie sehr er eingeschränkt davon war, wobei er stets das Gefühl der Freiheit genossen hatte und wusste, was es bedeutete. Er hatte nicht einmal geahnt, welchen Druck er hatte mit sich rumschleppen müssen, bevor diese von ihm gefallen war. Sein Drache brüllte voller Glücksgefühle laut auf, weil er es nicht unterdrücken konnte. So viele stimmten in seinem markerschütternden Gebrüll mit ein.

Sein glühenden Drachenaugen blickten sich um und Lucien war immer noch total überwältigt, wie viele sich der Sache angeschlossen hatten. Unzählige Drachen flogen in einem formatierten Schwarm hinter und neben ihm. Es musste ein unglaubliches Bild abgeben, wenn jemand sie von der Erde aus sahen. Diesmal wollte er sich nicht verstecken, sondern er wollte die Feinde wie eine Flutwelle des Unheils überrollen. Ohne jegliches Erbarmen.

Seine Flügel trugen ihn schnell an sein Ziel, als er die nördlichen Gipfel vom Vesuf erblickte. Ein tiefes kampfbereites Knurren kam aus seiner Kehle, was ihn schlagartig wach rief, bald war es soweit. Er würde hoffentlich diesen miesen Verräter in seine Klauen bekommen, der so viel Unheil in sein Volk gebracht hatte. Schon oft hatte Lucien sich ausgemalt, welche Folter er Culebra antun würde. Die würden genauso grausam sein, die er Emmanline hatte zuteil werden lassen. Wenn jemand denen bedrohte oder Schmerzen zufügte, die er liebte, würde er grausamer, als jede Bestie in der Mythenwelt werden. Sollten alle wissen, wie gerecht er seinen Titel werden konnte. Nicht umsonst war er Lucien der Zerstörer.

Absolut jeden würde er auf seinen Weg zerschmettern, der ihm das liebste nahm und genau das hatte der Hurensohn Culebra getan. Oh, sein Feuer des Hasses und Zornes brannte wie heiße Kohlen in ihm, was ihn schier antrieb. Noch mehr, weil sie, Emmanline, die Seine war. Und Drachen reagierten echt angepisst auf das, wenn man ihr Eigentum wegnahm.

Kaum merklich bemerkte Lucien einen Schatten, nein mehrere, die sich aus dem dichten Wald erhoben und erkannte den braunen Drachen an vorderster Front sofort, der sich zu ihnen gesellte. Er war kein Feind, sondern Cyrill. Anscheinend hatte er darauf gewartet, sich ihnen anzuschließen. Und das mit einer ganzen Schar von Drachen. Er war absolut nicht untätig gewesen.

Mit einem kurzen Nicken flog Cyrill auf der anderen Seite von ihm und Lucien dankte nickend zurück, als er ihn anblickte. Am liebsten hätte er ihm ein paar Worte gesandt, bis auf einmal die Hölle losbrach. Sie wurden entdeckt, was nicht schwer war und auch nicht vorgehabt hatte, sich zu verbergen.

Ein Schwarm Drachen und geflügelter Dämonen kamen aus den Bergen geströmt, um sie anzugreifen.

Ausschwärmen. Alle die sich gegen uns stellen, zeigt kein Erbarmen. Wir müssen zu den Bergen gelangen“, sandte er es an alle Drache, die ihm gefolgt waren und noch nie zuvor in seinem Leben, hatte er mental eine Nachricht an so viele versandt. Es kostete ihm nicht einmal mühe und jeder erreichte sie. Als Bestätigung, bekam Lucien ein Strom von zornigen Kampfgebrüll, dass die Erde und Himmel erzittern ließ. Einmalig wie sich das anfühlte. Es brachte sein Blut regelrecht zum kochen und es war verdammt lange her, seit er einen letzten blutigen Kampf bestritten hatte. Es dürstete ihn schon beinahe danach.

Als Lucien sich im Flug einen Dämon ergriff, der verflucht hässlich war und bestialisch stank, zerriss er ihn in seinen Klauen in Einzelteile. Ihm war es vollkommen egal, wie grausam und blutig das erschien. Dennoch verkündete er damit, die Schlacht hatte begonnen.

 

3

Luciens Drachenkörper war vollkommen mit Blut benetzt. Egal ob es sein eigenes war oder das von anderen. Es machte langsam keinen Unterschied mehr und der wahllose Kampf, wenn er einen Kopf nach dem anderen abtrennte, machte das absolut keinen Unterschied. Wie sollte es auch anders sein, denn er bekam das Gefühl, der unendliche Strom von Feinden nahm kein Ende.

Gerade ließ Lucien seine Schwanzspitze so schnell durch die Luft sausen, der einen Samos-Dämon den Kopf kostete. Seine groteske Gestalt, die nichts weiter war, als ein skelettartiges Wesen an dem Fetzen von stinkenden faulem Fleisch hing. Sie waren nicht sonderlich stark, aber sie waren finstere Gestalten, die gerne ihre Wesen auf unnatürliche Arten und Weisen quälten. Was vermutlich viele Dämonen taten, um ihre Befriedigungen zu stillen. Viele waren widerwärtiger als andere, was ihn anwiderte.

Für ein paar Sekunden bekam Lucien einen kurzen Überblick über das Schlachtfeld und es war nichts anders als grausam. Überall lagen Tote und zerstückelte Körperteile herum, welche manche nicht mehr wiederzuerkennen waren. Die Mythenwelt war ein grausamer Ort, wo es nur darum ging, sich gegeneinander zu messen oder abzuschlachten. Es wurde kein Halt gemacht, ob derjenige zu schwach war. Es ging allein um die Stärke, nur so hatte man eine Chance zu überleben, wenn keiner seine Stärke bewies.

Kämpfe wie diese waren absolut keine Seltenheit und oft war es so, je blutiger und brutaler er war, umso besser war er. Bewohner der Mythenwelt verspürten in solch einer Schlacht einen gewissen Nervenkitzel, den sie nicht mehr so schnell ablegen konnten. Es war die pure Euphorie und das Adrenalin, was in ihren Adern strömte.

Vielleicht war dies auch ein gewisser Fluch, die auf alle Mythenbewohner lastete, weil sie ein unsterbliches Leben besaßen. Oder es lag wirklich alleine nur daran, weil sie eine tief verankerte Langeweile verspürten. Niemand wusste es so recht, außer das es zu einem gutem Zweck diente, das sie überhaupt kämpften.

Ein regelmäßiger Ausgleich.

Es wunderte Lucien nicht im geringsten, das der Hurensohn von Culebra so viele Anhänger hatte bekommen können. Er brauchte vielen nur eine solch blutige und wahnsinnige Schlacht versprechen, und schon waren viele auf seiner Seite. Manche Beweggründe waren nebensächlich. Wie leicht gestrickt manche doch waren und doch so großen Schaden anrichten konnten.

Seufzend richtete Lucien seinen Blick auf dem Berg, den er schon seit Stunden versuchte näher zu kommen. Ihm schien der Weg noch weit zu sein, aber er wollte da hinein und er sollte verflucht sein, wenn er es nicht schaffen würde. Keiner guten Herausforderung würde er trotzen, sei es noch so unmöglich.

Eine neue Welle von Feinden stürmten aus den Bergen und er fragte sich wirklich insgeheim, wie viele sich da drinnen überhaupt verbargen. Würde der miese Verräter auch noch dort sein?

Bestärkt es zu versuchen, sammelte Lucien sein inneres Feuer und spie es seinen Feinden entgegen, die sich auf ihn stürzen wollten. Qualvolle Schreie drangen an sein Ohr, wie sie von seinem Feuer niedergebrannt wurden, aber andere kümmerte es recht wenig und rannten einfach weiter auf ihn zu. Er war bereit und würde jeden einzelnen auslöschen, der sich ihm und Emmanline in den Weg stellte. Sofern sie hier war.

 

„Verfluchte Scheiße, nimmt das denn gar kein Ende“, keuchte Jade grummelig auf. Sie war in ihrer menschlichen Gestalt und hatte gerade einer Hexe eine Klinge ins Herz gestoßen. Mit einem letzten Zucken sackte sie vor ihren Füßen zusammen und endete in einer Blutlache. Das ganze Schlachtfeld war ein reines Blutmeer. „Ich konnte diese Schlampen noch nie leiden. So falsch und sooo zerbrechlich, trotz ihrer hohen Mächte“, zuckte sie unbekümmert mit ihren Schultern, was sie wenig kümmerte.

„Gibt es je irgendwas, was nicht auf deiner Nicht-Leiden-Liste steht?“, fragte Rennie sie, die anscheinend eine riesige Freude am abschlachten empfand. Sie metzelte jeden nieder und machte den Drachen alle Ehre, welch große Kriegerin sie doch war. Selbst in ihrer Menschengestalt und dieses viele Blut, das an ihrem Körper klebte. Fast so, als würde sie darin baden.

Leicht verzog Jade ihr Gesicht dabei. Cyrills Mutter hatte eine abartige Vorliebe, die sie absolut nicht mit ihr teilen konnte. Doch sie war durch und durch eine fantastische Kriegerin, mit der sie sich niemals anlegen würde. Nicht einmal wollte. Verdammt erbarmungslos, aber niemals anlegen.

„Oh, in der Tat gibt es Dinge, die ich durchaus leiden kann“, machte sie einen nächsten Hieb und trennte einer Sukkubus nur halb den Kopf ab. So eine verdammte Scheiße, wie konnte an einem Tag alles nur so ruiniert sein? „Nicht persönlich nehmen“, sagte Jade zu der Sexdämonin. „Du kämpfst eben auf der falschen Seite“, und ließ ihr Schwert niedersausen, damit ihr ganzer Kopf abgetrennt wurde. Nur ein kopfloser Unsterblicher, war ein toter Unsterblicher. Reine Vorsichtmaßnahme.

Gerade noch konnte sie das Kopfschütteln ihrer Schwester Ysera bemerken, die ebenfalls an ihrer Seite kämpfe. „Du bist manchmal wirklich ein großes Miststück und liebst es echt, andere zu verhöhnen, während sie dir ins Gesicht schauen.“

„Was soll ich machen, es ist eben fast wie ein Fluch, der auf mir lastet. Ich bin praktisch dazu gezwungen es zu tun.“

„Natürlich“, schüttelte Ysera wieder mit ihren Kopf und stürmte vor, um einem Drachen, der sich ihnen in den Weg stellte, in Einzelteile zu zerlegen. Und Jade musste feststellen, ihre Schwester machte das sehr gut. Kein Wunder, sie war eine ausgezeichnete Wächterin. Nicht umsonst verdiente jemand Ränge und Titel.

Aber was tat sie hier eigentlich? Normalerweise war sie nicht hierher gekommen, um so sehr am töten involviert zu werden. Sie hatte keine Probleme am töten und mit all dem Blut, aber sie war eben nicht wie die Anderen. Sie war keine Kriegerin. Sie hielt sich mehr im Hintergrund, was ihr oft ein Vorteil einbrachte. Also verzog Jade sich vom wesentlichen Schlachtfeld und versuchte einen Weg zu finden, wie sie all das umgehen konnte, um in diesen Berg zu kommen. Immerhin war sie nicht auf dem Kopf gefallen. Sie hatte schon schlimmere Situationen erlebt.

Hin und wieder musste Jade stehen bleiben, weil sie einen hässlichen Dämon oder was sonst für abstrakte Gestalten, vernichten musste. Aus irgendeinem Grund wurden die Dämonen nicht weniger, sondern mehr. Normalerweise brauchte es große Macht, solch einen Haufen von diesen Wesen zu kontrollieren. Kein Problem diese Viecher zu rufen, die eigentlich irgendwo in einem Höllenloch schmoren sollten, aber sie in Schach halten und zu lenken, war eine andere Geschichte. Darum kostete es eine Menge Zeit, diese Höhlen zu erreichen, indem sie vermuteten, wo Emmanline steckte.

Es war nicht gelogen, als sie meinte, es gäbe Dinge, die sie leiden könne. Es war zwar nicht viel, aber Emmanline gehörte irgendwie zu diesen Dingen. Jade mochte sie, was selten bei ihr der Fall war. Sie zeigte nicht oft ihre Zuneigung, aber wenn sie es tat, arbeite sie daran, diese Dinge auch zu behalten. Darum war sie auch so verflucht sauer auf ihren Bruder gewesen, als Lucien noch nichts unternommen hatte, Emmanline zurück zu holen.

Etwas weiter stieß Jade auf einen REGM-Dämon. Erstarrt blieb sie stehen und den Namen den sie trugen, war mehr eine Abkürzung, als ein Name. Das REGM bedeutete nichts weiter, als Riesige - Ekelhafte - Gehirnlose - Mistviecher. Keiner weiß, wer überhaupt auf diesen Namen gekommen war, aber dieser Name machten dem riesigen Vieh alle Ehre. Sie war nie einem REGM-Dämon begegnet und jetzt wusste sie auch warum sie es nie gewollt hatte. Sie sahen abscheulich aus, wobei sich ihr Gesicht vor Abscheu verzog.

Dieser Dämon war wirklich gigantisch. Vielleicht noch ein gutes Stück größer, als ein gut ausgewachsener Drache und seine abartige verzerrte Gestalt machte es nicht schöner, nur ekelhafter. Er massakrierte alles mit seinen scharfen Klauen nieder, der vor ihm stand, als hätte er kein eigenständiges Handeln. Daher also Gehirnlose.

Als der REGM-Dämon Jade erblickte, kam er wie eine bizarre Marionette zu ihr gesteuert. Es kam ihr fast so vor, als würde er an unsichtbaren Ketten hängen und Jade versuchte durch ihren Schleier der Panik zu denken. Sie wusste vornherein schon, sie hatte selbst in ihrer Drachenform keine Chance, dieses hässliche Ding zu töten. Also würde abhauen der einzige und kluge Weg sein.

Kaum hatte sie sich umgedreht, prallte sie gegen etwas hartes und als Jade aufblickte, erstarrte sie erneut. Diesmal stand ein riesiger Drache vor ihr.

Gigantomanisch. Heute war wirklich der Tag, der monströsen Kreaturen.

Doch jetzt konnte Jade erleichtert aufatmen, als sie diesen Drachen erkannte. Schon öfters war sie ihm in einigen Städten begegnet. Auch wenn ihre Treffen nicht immer freundlich und harmonisch gewesen waren.

„Schön dich zu sehen, Nathan. Wusste gar nicht, dass du dich auch hier amüsierst“, lächelte sie zu ihm rauf, während sie wieder auf die Beine kam, um möglichst schnell die Flucht zu ergreifen.

Ein tiefes Knurren kam tief aus seiner Kehle und sie konnte seine finsteren Blicke auf ihr spüren, wie Nadelstiche. Es versetze ihr eine Gänsehaut. Jedes Mal, wenn sie ihm begegnete und normalerweise versuchte sie ihm aus dem Weg zu gehen. Nathan war ein schwieriger und unzugänglicher Drache, der es nicht wirklich verstand, in Gesellschaft zu leben. Verflucht tragisch, weil sie ihn wirklich als anziehend empfunden hatte. Zu Anfang. Bevor sie ihn richtig kannte.

Was. Tust. Du. Hier?“, konnte sie seine wütende und grollende Stimme in ihrem Kopf hören.

„Ach weißt du, mein Lieber“, tätschelte sie kurz sein mit Schuppen bedecktes Vorderbein. „Ich bin auf der Suche nach etwas, was ich unglücklicher Weise hier irgendwo verloren habe. Mir passiert das ständig. Vermutlich würde ich meinen eigenen Kopf verlieren, wenn er nicht so festsitzen würde.“

Wenn du so weitermachst, wird dein Kopf nicht mehr so festsitzen, wie du es behauptest. Und hör auf mit diesem Scheiß, ich hasse das, wenn du das tust“, warnte Nathan sie wütend.

Anscheinend war er nicht für Späße aufgelegt, aber da fragte sie sich gleich, wann er das jemals gewesen war? Nie, im wahrsten Sinne.

„Sei doch nicht immer so knurrig. Es würde dir viel besser stehen, wenn du hin und wieder etwas weniger griesgrämig wärst. Was glaubst du, wie viele Frauen dann ihre Finger nicht mehr von dir lassen würden. Du kannst es echt gebrauchen. Vielleicht auch mal flachgelegt zu werden“, wollte sie ihn nur aufziehen, aber konnte sich gerade noch so auf dem Boden schmeißen, als Nathan mit seinem Schwanz ausholte und kurz darauf ein kleines Beben auslöste.

Verfluchte Scheiße, klopfte ihr Herz wie wild.

Als Jade ihren Kopf wandte, sah sie den REGM-Dämon auf dem Boden liegen, was die Ursache für das kleine Beben war. Welche enorme Kraft das bedeuten musste, so ein riesen Vieh mit nur einem Schlag umzuhauen. Kurz darauf stürzten unzählige Drachen auf dem Dämon ein, um es zu töten. Es war ein Vorteil, wenn er am Boden lag und sie sollte gewiss nicht weiter auf dem Boden liegen bleiben.

Schnell rappelte Jade sich wieder auf und wollte zwischen den Bäumen verschwinden. Sie schaffte es auch ein gutes Stück, als starke Arme aus Stahl sie festhielten. Sie versuchte sich nach allen Regeln der Kunst daraus zu befreien, indem sie ihren Kopf nach hinten schlug. Sie sah zwar ein paar Sterne, weil selbst ihr harter Dickschädel nicht für so eine Härte gemacht war, war dennoch zufrieden, als sie ein leises unzufriedenes Grunzen hörte.

„Bei allem was mir heilig ist, verflucht, jetzt hör verdammt noch einmal auf“, war es Nathans Stimme, die hinter ihr erklang und sie dann los ließ.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen. Selbst Schuld“, rieb sie sich die Beule an ihrem Hinterkopf und trat ein paar Schritte zurück. Dabei vermied sie es, seine ganze Nacktheit wahrzunehmen. Nicht das sie prüde war, aber bei diesem Drachen machte es ihr schon etwas aus, dass sie sich unwohl fühlte.

Schon immer empfand Jade ihn als einen gutaussehenden Mann, mit stahlharten Muskeln, die ihm perfekt standen. Seine leicht gebräunte Haut umspielten seine Muskeln meisterhaft. Nathan war groß und gut gebaut. Kräftige Beine und muskelbepackte Arme. Sie liebte das an Männern. Es zeigte an Stärke und Kraft. Dieser Mann besaß alles davon.

„Kannst du mir jetzt einmal die Wahrheit verraten, was du hier zu suchen hast?“, verschränkte Nathan seine Arme vor der Brust und auch wenn er sie wütend anschaute, wusste sie, er ließ niemals seine Umgebung aus den Augen.

Eine kleine Handbewegung tat sie seine Frage ab. „Habe ich dir doch schon gesagt, ich habe etwas verloren.“

Nathans Augen verengten sich. „Ich hasse diese Spielchen von dir und ich wusste schon, als ich dich das erste Mal gesehen habe, dass du nie etwas Gutes im Schilde führst. Du bist die Art von Frau, die solche durchtriebenen Spielchen gerne spielt und irgendwann ihr hübsches Köpfchen verlieren. So eine wie Du, hat hier nichts zu suchen.“

Autsch. Jade wusste, manchmal trieb sie es zu weit, aber sie konnte nichts gegen ihre Art tun. So war sie nun einmal. Egal wer etwas zu ihr sagte, denn niemand hatte eine Ahnung wer sie wirklich war. Einfach niemand. Und sollte jemand ein Urteil über sie erlauben, zuckte sie eben mit ihren Schultern.

„Schön, dann dürfte es dich nicht interessieren, was mit meinem hübschen Köpfchen passiert. Gehe einfach deiner Wege und ich meiner“, forderte sie ihn regelrecht heraus.

Mächtig und kraftvoll konnte sie seine Wut in der Luft spüren. Sie wusste ganz genau, er hasste es wirklich, wenn sie so mit ihm umging, als wäre alles weniger Wert, außer sie selbst. Doch dann erinnerte sie sich daran, niemand hatte eine Ahnung von allem.

Mit einem wutverzerrten Blick wandte Nathan sich einfach von ihr ab und verwandelte sich erneut in seinen Drachen, damit er sich in die Schlacht stürzen konnte. Kurz schaute sie ihm nach und bemerkte nicht einmal, wie schwer es in ihrer Brust geworden war. Wie eng sich auf einmal alles anfühlte. Sie wusste selbstverständlich, Nathan wollte nur einmal etwas nett sein. Doch all das konnte Jade sich nicht leisten und wandte sich einfach ab, um in den Wald zu stürzen. In kurzer Zeit würden diese Gefühle ohnehin verschwunden sein. Was soll's.

 

Nathan wandte sich noch einmal zu Jade um, die jetzt in den Wald stürmte. Diesmal trug sie nicht eins dieser albernen und teuren Kleider, worauf sie immer großen Wert legte. Sie trug ein enges rotes Top, was ihre Figur regelrecht betonte. Zumal der kleine schwarze Rock auch nicht wirklich was von ihren langen schlanken Beinen verbarg. Egal was sie anzog oder tat, sie spielte in jeder Hinsicht ihre Reize aus.

Es machte ihn rasend vor Wut, wenn er sie stets zu Gesicht bekam. Er konnte Jade absolut nicht ausstehen und er mochte auch nicht diese Art von Frauen, die sich jeden an den Hals warfen. Er verabscheute es sogar. Doch diese Frau spielte auf einer Ebene, welche ihr Handwerk beherrschte. Gelogen war es nicht, als Nathan meinte, eines Tages würde sie ihren Kopf mit ihren Spielchen verlieren.

Eben wäre es beinahe passiert, wenn er sie zuvor nicht erblickt und vor dem REGM-Dämon gerettet hätte. Ihn hatte es wirklich überrascht sie hier zu entdecken, während sie mit Dreck und Blut bedeckt war und ein scharfes Schwert schwang. Sonst achtete Jade stets darauf, wie sie in Erscheinung trat und das niemand sie mit irgendwas verunreinigte. Ausgenommen von ihrem Ruf, den sie mit sich schleifte, wie ein Schleier.

Trotzdem musste er sich eingestehen, heute war sie besonders anziehend gewesen. Ihr feuerrotes Haar hatte im Wind des tosenden Kampfes um ihr zartes Gesicht geweht, während sie zuvor einem unbedeutenden Dämon den Kopf abgeschlagen hatte. Noch nie war ihm so was reizvolleres unter die Augen gekommen, als dieses Bild.

Und als Nathan vorhin bemerkte hatte, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte, wäre ihm beinahe eine Sicherung durchgebrannt und hatte rot gesehen. Sein Tier in ihm hatte regelrecht vor Zorn geschrien und das er unbedingt beschützen musste.

Das er sie beschützen musste.

Dabei wollte Nathan das nicht einmal wirklich tun und verspürte doch den zwanghaften Drang dazu. Er hasste es, was diese Frau betraf. In jeglicher Hinsicht. Er fand Jade einfach als ungenießbar und unausstehlich, trotz ihrer wunderbaren Reizen.

Doch was ihm merkwürdig vorkam, als er sie berührt und gepackt hatte, war ihre Haut kalt gewesen. Nathan empfand es als ungewöhnlich, dabei gehörte Jade zu den Feuerdrachen und in ihnen loderte ein heißes Feuer. Selbst durch den Kampf und ihren enormen Bewegungen, müsste sie aufgeheizt sein, aber es entsprach dem Gegenteil.

Je weiter Nathan sich hineinsteigerte und den Kopf über diese Frau zerbrach, umso wütender machte es ihn und diese zügellose Wut ließ er jetzt an seinen Feinden aus, die auf ihn zu gestürmt kamen. Er musste was dagegen tun und was gab es nichts besseres, als einen blutigen Kampf.

 

Lucien, der Weg ist frei“, drang Cyrills Stimme durch das ganze Schlachtgetümmel in seinen Kopf, der sich vor einiger Zeit ihm angeschlossen hatte. Cyrill war wie aus dem Nichts aufgetaucht und Lucien war dankbar für seine Hilfe.

Noch immer konnte er seinem besten Freund nicht dafür danken, wie sehr er ihm in der Lage geholfen hatte. Jetzt und auch damals. Er wusste nicht einmal, wie er es wieder gut machen sollte. Er verdankte Cyrill unendlich viel und doch könnte er seine Schuld niemals begleichen.

Mit einem tiefen Knurren stürmte Lucien in den Höhleneingang, der in den Berg führte. Alle kämpften schon seit unzähligen Stunden und die Nacht war über sie hereingebrochen. Die Dunkelheit machte ihnen nichts aus, weil Drachen in der Nacht besonders gut sahen. Aber er zweifelte nicht daran, irgendwann zerrte die Erschöpfung an ihren Kräften.

Aus unerklärlichen Gründen hatte der Strom von Dämonen aufgehört, die den Berg verlassen hatten. Lucien hoffte nur, es würde so bleiben und sie hatten viele Anhänger von Culebra vernichtet, sodass sie freie Bahn in die Höhle bekamen. Zwischenzeitlich hatte er auch mitbekommen, wie seine Schwester Charia unerwartet mit ihrer Garnison dazugestoßen war. Selbst Alastar hatte er wie einen Berserker auf dem Schlachtfeld herum wüten sehen. Absolut angsteinflößend und er wollte ihm nicht im Weg stehen.

Auch seine Großtante Havanna war wie eine Furie und setzte all ihre Macht ein, die sie aufbringen konnte. Sie war eine wahrhaftige und mächtige Drachenhexe, ihre grenzenlose Magie erbarmungslos.

Doch trotz all der guten und kräftigen Unterstützungen, hatte er oft bedenken gehabt, sein Ziel jemals zu erreichen. Aber jetzt … wurde sein Blick voller Entschlossenheit überschattet, stürmte Lucien weiter in den Berg hinein. Jeder der ihm in den Weg kam, metzelte er nieder, ohne jegliches Erbarmen. Dabei erinnerte sich Lucien daran, was Emmanline ihm alles über Culebra erzählt hatte und welche heimtückischen Tricks er anwendete. Er versuchte so wenig wie möglich die Höhlenwände zu berühren, weil er befürchtete, dort versteckten sich unsichtbare Fallen. Er wollte nicht das gleiche Schicksal wie Aiden erleiden, weil er es sich jetzt nicht leisten konnte, ausgeschaltet zu werden.

Vor seinen Augen zeigten sich nur zwei Ziele die er erreichen wollte. Erstens, Culebra einen qualvollen Tod bescheren, und zweitens wollte er Emmanline finden. Seine Sehnsucht war so stark, dass er nicht zu bremsen war.

Luciens monströses Brüllen ließ die Steinwände der Höhle erzittern, während er vorstürmte. Es sollte eine laute Ankündigung des Todes sein.

 

Culebra wandte sich um, als er das lautstarke Brüllen in seiner Höhle vernahm. Viele hätte das in Angst und Schrecken versetzt, aber ihn nicht. Sicher, sein System war so dafür geschaffen, dass es nur einen Ausweg nach draußen gab, dennoch hatte er genug Trümpfe im Ärmel, bevor seine Feinde überhaupt in seine Nähe kamen. Er war voller Zuversicht, auch wenn sie ihm gefunden haben mochten.

Als Culebra den ganzen Schwarm von Drachen am Himmel entdeckt hatte, wusste er, jemand musste ihn verraten haben. Noch wusste er nicht, wer es gewesen war, aber er schwor sich bei allem, wenn derjenige noch nicht tot war, würde er es Gott verdammt nochmal tun. Er würde demjenigen einen qualvollen Tod bescheren, dass er sich wirklich wünschte, ein anderer hätte es vor ihm getan. Er war erbarmungslos und grausam. In jeglicher Hinsicht und schon immer hatte er seine Macht über alle hinweg rollen lassen.

Natürlich würde Culebra heute einige Verluste hinnehmen müssen, aber es würde seine Pläne nicht durchkreuzen. Noch immer hatte er einige Asse im Ärmel, die er gut ausspielen konnte.

Ein leichtes Lächeln der Grausamkeit und Überlegenheit umspielte seine Lippen. Sollen sie alle kommen, er war bereit. Sollten sie wissen, welche Macht Culebra jetzt besaß. Ein ehemaliges Ratsmitglied des Königshauses. Er würde es allen beweisen.

Das donnernde Brüllen kam jede Sekunde immer näher und draußen vernahm er das ununterbrochene Beben der Kämpfe. Teils war es wie Musik in seinen Ohren, weil er den Klang einer guten Schlacht liebte. Es brannte selbst in seinen Adern, wie heiße Kohlen, und wie gerne er dabei sein würde. Doch er konnte nicht fort, weil er genau wusste, weswegen alle hier waren.

Mit einem finsteren und wissenden Blick schaute Culebra in die Ecke, wo die kleine Elfe bewusstlos dalag. Durch eine seiner verbündeten Hexen, hatte er herausbekommen, auf ihr lag ein Zauber. Nicht nur einer. Zuvor hatte er erfahren müssen, diese Frau war schwanger gewesen und von dem Neugeborenen war keine Spur zu finden.

Wie hatte sie das angestellt? Vor allem, in all den Monaten ihre Schwangerschaft vor ihm und all den anderen mit magischen Kräften geheim zu halten?

Es musste eine menge Energie kosten, solch einen Zauber aufrecht zu erhalten und die hatte Culebra ihr stets geraubt, indem er sie gefoltert hatte. Woher hatte sie also diese Kräfte?

Es juckte ihm so sehr in den Fingern Antworten auf seine Fragen zu bekommen und dennoch bekam er keine. Für seine Geduld war Culebra nicht sonderlich bekannt und es machte ihn wütend, dass niemand ihm Antworten liefern konnte. Verdammt ärgerlich wie viele Köpfe da rollen mussten.

„Was bist du?“, murmelte Culebra vor sich hin, als er die tiefen Kerben in den Wänden betrachtete, die er verursacht hatte, während er vor rasender Wut getobt hatte. Keinen einzigen Kratzer hatte die Elfe abbekommen und doch lebt sie. Als würde sie tief und fest schlafen. „Wie ein beschissener Dornröschenschlaf“, knurrte er.

„Meister, wir sitzen in der Falle. Sie sind hier eingedrungen“, meldete sich eine piepsigen Stimme vor seinen Füßen und er hatte es so was von satt. Als wenn ihm nicht schon längst aufgefallen wäre, dass seine Feinde hier waren.

„Verschwinde“, ließ Culebra wütend seine Macht ausströmen und zerschmetterte das minderwertige Wesen an der nächsten Wand. Es weckte eine kleine Euphorie in ihm, endlich an jemanden seinen Zorn auszulassen. Doch seine Vorfreude hielt nicht lange an, als er sich um andere Dinge kümmern musste.

 

Lucien stürmte weiter vor und tötete jeden, der ihm in den Weg kam. Seine Wut und der Zorn seines Drachen leitete ihn. Er fühlte sich stark und unbezwingbar. Auch wenn er stets auf der Hut sein musste, weil er es mit einem heimtückischen Gegner zu tun hatte. Doch er ließ sich nicht aufhalten, denn Lucien konnte es fühlen und sogar den leichten Duft von etwas sonnigen wahrnehmen.

Emmanline war hier.

Noch einmal brüllte sein Drache vor Wut auf und machte seine Anwesenheit kund. Culebra sollte erfahren, dass er hier war. Er wollte seine Seelengefährtin zurück, die ihm einfach genommen wurde. Keiner würde sich ihm in den Weg stellen, weil er das größte Recht dazu hatte, Rache zu nehmen. Nicht nur weil er der König der Drachen war.

„Oh Bruderherz“, summte Jade heiter, als Lucien an einem Höhlenkammer vorbei sauste. Sie war in ihrer Menschengestalt.

Schlitternd kam Lucien zum stehen und traute seinen Augen nicht. „Jade?“, war er vollkommen irritiert. „Was tust du denn hier?“

„Das siehst du doch. Ich mache ein paar Feinde platt“, ließ seine Schwester gerade eine halbtote Hexe ohnmächtig zu Boden fallen. „Das hat aber gedauert, bis du kommst. In der Zwischenzeit habe ich schon den Zauberer ein Kopf kürzer gemacht, der ständig diese unwürdigen Dämonen heraufbeschwörte. Der hatte gar nicht mehr aufgehört. Sah aus wie eine Plage von Heuschrecken, die aus ihm herauskamen. Voll ekelhaft“, verzog sie leicht das Gesicht, aber gleichzeitig verdrehte sie ihre Augen dabei.

Noch immer fassungslos starrte er seine kleine Schwester an und schüttelte mit seinen großen Kopf. Es war besser überhaupt nicht nachzufragen, aus welchen Gründen sie wirklich hier war. Und er fragte sich, wie sie hier reingekommen war, wobei sie größere Schwierigkeiten hatten. Beinahe wäre es ihnen gar nicht gelungen. Jade war immer wieder für Überraschungen gut.

Wieder setzte Lucien seinen massigen Drachenkörper in Bewegung und seine Schwester folgte ihm mit Leichtigkeit, was erstaunlich war.

„Ich konnte von einem Dämon herausbekommen, wo genau Emmanline sich befindet. Sie ist hier und auch Culebra hält sich hier noch auf. Du solltest dich in acht nehmen, Lucien. Irgendwas stimmt hier nicht und mich würde es nicht wundern, wenn wir direkt in eine Falle laufen. Das ist viel zu ruhig hier“, schien Jade unauffällig ernst zu sein.

Lucien knurrte finster. „Mir ist vollkommen bewusst mit welchen hinterlistigen Mittel dieser Verräter arbeitet. Emmanline hat genug über ihn erzählt, um zu wissen, was aus ihm geworden ist. Schlimm genug, dass Aiden eines der Opfer von seinen heimtückischen Fallen geworden war“, sprach er mental zu ihr. „Ich kann den leichten Geruch von Emmanline wahr nehmen. Ich weiß wo sie sich befindet.“

„Oh, perfekt“, quietschte Jade heiter und motiviert auf. „Dann lass uns doch keine Zeit verlieren.“

Eigentlich hätte Lucien sagen sollen, er würde alleine gehen und weil er ihr Leben nicht aufs Spiel setzen wollte. Dann würde er vermutlich ein dummen Kommentar von ihr ernten oder furchtbare Blicke würden ihn strafen. Jade konnte eine der stursten Drachinnen sein, die er wirklich kannte. Und sie hatte das Talent, alles zu ignorieren, was sie nicht hören wollte.

 

Darius stützte sich kurz auf seinem Schwert ab und überblickte das Schlachtfeld. Seine Erschöpfung zerrte schon an seinen Kraftreserven, je länger er sich auf den Beinen hielt. Seit vielen Stunden standen sie ohne Pause auf dem Kampfplatz und töteten in einer Tour.

Schon in vielen Schlachten hatte Darius mitgekämpft und er wusste, wie lange solch ein Krieg dauern konnte. Unter Mythenbewohner konnte es schon einmal brutaler und rabiater zugehen, als normale Kriege unter Sterbliche. Entweder stehst du noch bis zum Ende auf deinen zwei Beinen und kämpfst bis zur Erschöpfung, oder du liegst zerstückelt auf dem Boden. Eine Lektion, die einer schnell in der Mythenwelt lernen und meistern sollte.

Es gab keine Regeln und Gesetze, an die sich jemand hielt. Selbst gemeine Tricks waren keine Seltenheit, wo Ehre nicht immer einen Platz fand.

Aus dem Augenwinkel erblickte Darius seine Gefährtin Saphira. Er war eigentlich nicht begeistert darüber gewesen, dass sie mitkam. Aber Saphira hatte absolut auf stur gestellt, egal was er getan und gesagt hatte. Sie war nicht umzustimmen gewesen. Es machte ihn immer noch etwas nervös, sie auf dem Schlachtfeld kämpfen zu sehen, auch wenn sie sich wacker schlug. Auch wenn er sie nicht das erste Mal hatte kämpfen sehen, so wollte er es doch nicht.

Darius versuchte immer in ihrer Nähe zu bleiben, damit er jederzeit seiner Gefährtin zur Hilfe eilen konnte. Selbst wenn sie beide keine innige Bindung zueinander hatten, hieß es nicht, dass er seine Seelengefährtin einfach so verlieren wollte. Nur einmal im Leben bekam man das Glück sein wahres Gegenstück zu begegnen. Wenn überhaupt.

Gerade erhob Darius sein Schwert wieder, als ein Inkubus auf ihn zu gestürmt kam. Inkuben waren das männliche Gegenstück von Sukkuben. Sie verursachten Alpträume und kamen dann nur nachts, wenn sie sich mit einer Frau paaren wollten, ohne das sie was davon bemerkten.
Er selbst konnte davon nichts abgewinnen und mit welchen Tricks sie arbeiteten.

Mit Leichtigkeit tötete Darius den Inkubus, selbst wenn seine Kräfte fast am Ende waren. Es folgten noch ein paar Dämonen, die zu leichtsinnig waren und ihren Gegner eindeutig unterschätzten. Einerseits gut für ihn,aber tödlich für sie. Für ihn war es uninteressant und verspürte keinesfalls ein schlechtes Gewissen dabei.

Plötzlich verspürte Darius ein eisigen Schauer im Nacken und er wusste sofort, etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Langsam wandte er sich um und schaute zu Saphira hinüber, wobei ihm fast das Herz stehen blieb. Ein große schwarze Gestalt hatte sie von hinten im Würgegriff, während sie versuchte sich aus diesen Griff zu befreien. Darius wusste, sie würde sich daraus nicht freikämpfen können, denn je weiter Saphira sich wehrte, umso stärker spannten sich die Arme um ihren Hals an.

„Lass sie los“, knurrte Darius finster auf und er erkannte die dunkle Gestalt. Er war ein Vampir und nicht nur irgendeiner. George Koenig war einer der gefürchtetsten und gemeinsten, die existierten. Sein Ruf war in jeder Hinsicht grausam, der kein Erbarmen kannte. Niemand wusste wirklich, woher er kam. Gerüchte sagten, George habe seinen eigenen Erschaffer getötet und somit seine Stärke und Standpunkt klargemacht, er duldet niemand über sich.

„Oder was?“, lachte George überlegen auf. „Hast du etwa Angst um sie? Würde ich an deiner Stelle haben, Drache. So eine hübsche Gefährtin ist eindeutig nicht zu verachten und sollte nicht aus den Augen gelassen werden“, roch er genüsslich an ihrem goldenen Haar.

Unermessliche Wut stieg in ihm auf, aber als Darius in Saphiras Augen blickte, erkannte er furchtbare Angst. Als würde er in ihnen etwas bekanntes wieder erkennen. Was war das? Was hatte sie?

„Saphira?“, fragte Darius etwas verwirrt.

Um ihn herum verstummte alles. Das war eines der kuriosen Phänomene in einer Schlacht, die um einen herum zum Stillstand kamen und keiner wagte es, sie anzugreifen. Als würde niemand sie sehen oder beachten. Es war einfach merkwürdig und während Darius Saphira beobachtete, erkannte er, etwas musste einmal vor einiger Zeit geschehen sein.

Der Vampir schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Sag bloß, du hast deinem heißgeliebten Gefährten nie was von uns erzählt? Wirklich böse“, zog der Vampir das letzte Wort höhnisch in die Länge und lachte amüsiert auf.

„Was erzählt?“, wurden die Furchen zwischen seinen Augen tiefer, je mehr Darius versuchte das zu verstehen.

„Ja, was ist es nur?“, zog George eine kleine Klinge unter seinem dunklen langen Mantel hervor.

Darius wusste auf Anhieb, was für eine Klinge das war. Eine Titan beschichtete und für Drachen war es wie das reinste Gift. Sogar tödlich, ohne ihren Kopf von den Schultern trennen zu müssen. Es gab nicht vieles, was Unsterbliche töten könnte, aber gewisse Dinge gab es schon und keines war auf angenehme Weise, die man sich wünschte.

„Deine heißgeliebte Gefährtin hatte einmal eine sehr große Schwäche für böse Jungs, bevor sie dich als ihren Seelengefährten erkannt hatte. Selbst einmal für mich, doch...“, hielt George eine kleine Pause, um die beschichtete Titanklinge an Saphiras Hals zu legen, damit er leicht über ihre Haut schaben konnte. Saphira versteifte sich noch mehr, als durch einen kleinen Schnitt ein wenig Blut ihren Hals hinablief. „...wenn einmal jemand mir verfällt, wird es auf ewig sein. Ich habe zwar ein wenig gebraucht, um dich zu finden, meine Süße, aber niemand wird mir je entkommen. Nicht einmal du, wo wir doch so viel Spaß miteinander gehabt hatten“, leckte George das Blut von Saphiras Hals und Darius wurde bei dem Anblick schlecht, während seine Wut sich ins unermessliche steigerte.

Nicht ein einziges Wort verstand Darius aus dieser Situation und doch konnte er daraus schlussfolgern, diese Beiden hatten eine gemeinsame Vergangenheit. Er wusste, es war nicht in der Zeit, während sie zusammen gewesen waren, denn Seelengefährten konnten nicht einander betrügen. Niemals. Nicht einmal wenn sie eine richtige Seelenbindung miteinander hatten.

Darius hatte nie nach Saphiras Vergangenheit gefragt, sowie sie es umgekehrt auch nie getan hatte. Jeder hatte seine Geheimnisse und er war froh darüber, nicht über seine Schattenseiten sprechen zu müssen. Er war nicht sonderlich dazu geneigt über sich selbst zu reden.

Und er schätzte es sehr das Saphira genauso dachte. Auch sie hatte niemals nach seiner Vergangenheit gefragt und aus diesem Grund harmonierten sie miteinander. Selbst ohne diesen Seelenbund.

„Mmmh, du bist so verflucht sprachlos. So kennen wir dich gar nicht, meine schöne Saphira“, schmiegte der Vampir sein Gesicht in ihr goldenes Haar, als würde er jeden Atemzug ihres Duftes genießen, den er von ihr bekam.

Gerade wollte Darius einen Schritt nach vorne wagen, aber George warnte ihn zunehmend es nicht zu tun. Sofort glaubte er ihm in der Hinsicht, er würde ihr alles antun, sogar töten. So kalt und erbarmungslos waren seine Augen als Vampir. Skrupellos durch und durch.

„Hast du überhaupt nichts zu sagen, meine Liebe?“

„Es … es tut mir leid“, sah Saphira Darius schuldbewusst an. „Ich wollte das nicht. Nicht so“, sah er eine winzige Träne ihrer Wange hinab laufen.

Ab da wusste Darius, etwas unwiderrufliches würde passieren und er konnte nichts dagegen tun, wenn er nicht wollte, Saphira leidet unsagbare Qualen. Sie war seine Seelengefährtin und er wollte ihr so viel wie möglich ersparen. Doch je weiter er das Geschehene erfasste, umso bewusster wurde ihm, heute würde Saphira vor seinen Augen und in dieser Schlacht sterben. Sie würde den Tod finden.

Jetzt schon empfand Darius einen unendlichen Verlust in sich, den er nicht beschreiben konnte. Dabei war noch nicht einmal das eingetroffen, was zu gedenken er nicht wagte. Sein Herz raste schnell in seiner Brust und sein Gedanke galt einzig und allein Saphira. Er wollte sie retten und es versuchen, aber solange der tödliche Dolch an ihre Kehle lag, war er schier machtlos.

„Ist es das Einzige, was du sagen willst?“, schnalzte der Vampir mit der Zunge und Darius verspürte noch einen größeren Drang, ihm das Herz aus der Brust zu reißen.

Je mehr Darius Zorn anstieg, umso mehr spannte sich sein ganzer Körper an. „Ich schwöre beim Mythos, ich werde dich jagen, bis ich dein verfluchtes Herz aus der Brust und deinen Kopf von den Schultern gerissen habe“, drohte er und seine Augen glühten golden auf.

Ein leises Lachen drang aus der Kehle des Vampirs und seine Augen verwandelten sich von Belustigung in puren Hass um. „Soll das eine Herausforderung sein? Du hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst.“

„Und du hast keine Ahnung, mit wem DU dich anlegst“, warnte er ihn und er konnte noch nicht einmal sagen, warum er noch tatenlos hier herum stand. Er sollte alles mögliche versuchen, um seiner Seelengefährtin zu helfen, auch wenn es nichts bringen würde.

„Ich kann deine Gedanken schon lesen, Drache. Versuche es nicht einmal, oder deine geliebte Gefährtin ist praktisch tot“, knurrte George Darius an und seine Augen funkelten vor Hass ihm gegenüber, den er eigentlich nicht verstand.

Doch Darius konnte nicht anders, weil seine Wut sich allein gegen ihn richtete und stürmte voran. Er hatte Saphiras Worte wahrgenommen und ihr stummes Einverständnis, er solle ihn endlich töten, egal was es kosten möge. Auch wenn es ihr eigenes Leben bedeutete. Darius hasste es solche Entscheidungen treffen zu müssen, aber sie hatte Recht. Er musste es tun, auch wenn es am Ende sein Tod bedeuten würde, wenn Saphira starb.

Mit einem wütenden Brüllen stürzte Darius vorwärts, aber im gleichen Augenblick erhob George seinen Titan beschichteten Dolch und stieß ihn mitten in Saphiras Herz. Darius hatte es im tiefsten Inneren gewusst und Schuldgefühle plagten ihn sofort, doch er durfte nicht zurückweichen. Auch nicht, als er Saphiras markerschütternden Schmerzensschrei hörte, den ihn zutiefst traf und nie in seinem Leben vergessen würde.

Bevor Darius den Vampir erreichte, ließ er seine Gefährtin los und verschwand mit einem amüsierten Lachen in dem Getose der Schlacht, die trotz allem immer noch tobte. Blitzartig fing er Saphira auf und sank mit ihr zu Boden. Noch lebte sie, aber die Hoffnung stand nicht gut, dass sie es schaffte.

„Darius, was war das eben gerade gewesen? Du hast hier gestanden, aber ich konnte dich nicht erreichen“, kam sein Neffe Raiden zu ihm gestoßen, der selbst vollkommen mit Blut beschmiert war.

Abwesend starrte Darius Raiden an und wusste erst nicht, was er darauf antworten konnte, da er wie gelähmt war. „Vampir …“, brachte er knurrend und heiser heraus.

Raiden blickte sich um und Darius konnte an seiner Haltung erkennen, wie kampfbereit sein Neffe war. Er hingegen schaute auf Saphira hinab, die ihre Augen geschlossen hatte.

„Es tut mir so leid, dass ich dich nicht beschützen konnte“, bat Darius sie um Vergebung. „Ich wollte nicht …“

Genau in diesem Augenblick öffneten sich Saphiras Augen ein wenig und blickten ihn schmerzerfüllt an. „Nein …“, schien ihr das Sprechen schwer zu fallen. „Es …ist meine Schuld. Ich hätte davon erzählen sollen …meinen Verfehlungen …Ich wollte es …so. Du hast das …“, hustete Saphira vor Anstrengung, aber Darius konnte ihr nicht verwehren zu sprechen. „…Du hast richtig gehandelt. Ich würde … dir für das keine Schuld zutragen“, wurden ihre Worte immer heiserer, je mehr sie sprach.

Am liebsten würde Darius ihr das Sprechen verbieten, damit sie eine höhere Chance hatte zu überleben, aber er wusste, Saphira sprach ihre letzten Worte. Ihm schnürte es die Kehle zu, je stärker ihre Anstrengungen waren.

„Schon in Ordnung“, sprach Darius flüsternd und sanft, während er ihr goldenes Haar aus dem Gesicht strich.

„Schluss … ich habe es so … gewollt“, schluckte sie schwer. „Mache es uns nicht schwerer … Darius. Wir wissen beide … ich werde sterben und ich habe es so kommen sehen. Eines Tages. Wir sind zwar …“, wurde ihr Husten immer stärker. „ …vom Schicksal füreinander bestimmt …aber es sollte nie sein. Ich war nicht die Seelengefährtin, die …du dir so sehnlichst gewünschst hast. Das tut mir …leid. Ich hatte es versucht …Wirklich. Darum vergebe ich dir und …du bist frei …“, fielen Saphira langsam die Augen zu.

Darius konnte genau spüren, wie ihre Lebenskraft aus ihr gesaugt wurde. Solange, bis sie letztendlich in seinen Armen starb. Es schmerzte ihn zu tiefst, auch wenn seine Liebe nie so tief ging, war ihre Verbindung doch etwas besonderes gewesen. Sie hatten immer aufeinander aufgepasst, egal was zwischen ihnen stand.

Saphira hatte diese Art von Tod nicht verdient und es machte ihn unsagbar wütend. Er spürte diese tiefe Wut wie heiße Lava in sich hochsteigen und es drohte ihn zu übermannen. Schon seit einer halben Ewigkeit hatte er keinen solch unsäglichen Zorn verspürt, der ihn zu verschlingen drohte. Gerade wurde vor seinen Augen seine vorherbestimmte Seelengefährtin mit einem Dolch erstochen und er konnte es nicht einfach so hinnehmen.

Tiefe Rache brodelte in ihm, die zum Ausbruch kam.

 

Raiden hatte die ganze Umgebung abgesucht und verteidigte seinen Onkel, so gut er vermochte. Einer der Wächter war zu ihnen gestoßen, denn es nahm kein Ende. Glaubte er, es gab etwas Luft, kamen die nächsten Angreifer.

Er konnte gut verstehen, Darius stand in einer Schockstarre, während er Saphira in seinen Armen hielt. Jeder der die Szene gesehen hatte, wusste, dies war ihr Tod. Jeder spürte das und es tat ihm wirklich für seinen Onkel leid. Das hatte er sich für die Beiden nicht gewünscht.

Kaum das Saphira wirklich den Tod fand, schreckte jedes Wesen in unmittelbarer nähe zurück. Selbst Raiden musste einige Schritte zurück tun, als er das schmerzerfüllte Brüllen seines Onkels hörte, der sich nun in einen riesigen Drachen verwandelte. Doch die Verwandlung war es nicht gewesen, die ihn in leichte Panik versetzte, sondern eher die Ausstrahlung die voller Zorn und unbändiger Wut war. Es strömte wie pures Gift von ihm aus und Raiden befürchtete, etwas hatte Kontrolle über seinen Onkel genommen, woraus er nicht mehr selbst heraus kam.

„Verfluchte Scheiße …“, konnte er Flüche um sich hören und sehen, wie viele die Flucht ergriffen.

Jeder, der jetzt noch hier in der Nähe blieb, ob Feind oder Freund, würde angegriffen werden. Darius Augen beschrieben einen Zorn, der keinen wachen Zustand mehr zulassen würde.

Raiden krallte sich einen Wächter am Kragen, da er gerade flüchten wollte. „Lauf schnell zu meinem Bruder Lucien, er soll so schnell wie möglich hierher kommen. Sage ihm, ich habe dich geschickt und berichte, was hier passiert ist. Er wird kommen“, befahl er ihm, zog ihn dicht an sich heran und knurrte drohend. „Befolgst du nicht meinen Befehl, werde ich das Letzte sein, was du wirklich sehen willst.“

„Jawohl“, stotterte sein Gegenüber und rannte sofort los, als er ihn los ließ.

Jetzt gab es nur einen, wer Darius aus diesem Zustand und der Raserei befreien konnte, ohne das er sich darin verlor. Niemand konnte ihm jetzt helfen. Nicht nachdem er gerade seine Seelengefährtin verloren hatte und das war verdammt beschissen.

 

Ihr Geruch wird hier stärker. Wir kommen näher“, sprach Lucien zu Jade, die noch immer gut mit ihm Schritt hielt.

„Ich verstehe schon“, damit verschwand seine kleine Schwester von seiner Seite. Sie war wirklich schnell und Jade war in der Tat gut, in ihrem Handwerk. Sie wusste was sie tun musste.

Eigentlich wollte Jade Lucien bei seiner Mission, Emmanline zu befreien, unterstützen, aber er gab ihr einen anderen Auftrag. Immerhin war ihre andere Großtante Seena noch verschwunden und sie vermuteten, Culebra hielt sie ebenso gefangen. Wenn dies der Fall war, dann sollte kein Versuch unversucht gelassen werden, solange sie hier waren.

Mit höchster Konzentration und Aufmerksamkeit stürmte Lucien weiter vor. Kein weiterer Feind kam ihm entgegen, was ihn noch mehr zur Vorsicht rief. Er wusste, es musste eine Falle sein, je weiter er ins innere der Höhle vordrang, aber er konnte nicht anders, als Emmanlines Geruch zu folgen. Er musste zu ihr gelangen.

Obwohl Drachen eine perfekte Sicht in der Dunkelheit hatten, hingen trotzdem Fackeln an den Höhlenwänden. Lucien kam es fast so vor, als wäre es ein Wegweiser, anstatt nur Feuer, der den Weg erleuchtete.

Dieser Mistkerl will spielen? Gut, dann spielen wir.

Knurrend stürzt Lucien in eine größere Höhlenkammer, der voll von Emmanlines herrlichen Duft nach den ersten Sonnenstrahlen am Morgen war. Er liebte diesen Geruch, aber er wollte ihn nicht mit etwas verdorbenen vermischt haben.

Lucien erblickte Emmanline sofort in einer Ecke, die einfach nur dalag. Sein erster Eindruck, sie lebte noch, aber dieses schreckliche Gefühl sie verloren zu haben, hielt dennoch an.

„Sieh einer an, unser König beehrt meine bescheidene Behausung“, klang eine Stimme aus der Dunkelheit der Höhle. Pure Verspottung triefte aus Culebras Stimme und Lucien musste sich beherrschen nicht gleich seiner ganzen Wut freien Lauf zu lassen. Es loderte schon wie ein heißer Feuersturm in ihm, der losbrechen wollte.

Du hast dir etwas genommen, was mir gehört“, knurrte Lucien voller Zorn und seine Augen glühten golden in seiner Wut.

Ein verachtendes Schnauben hallte leise durch den Raum, als die menschliche Gestalt von diesem Verräter aus den Schatten trat. „Etwas genommen?“, verhöhnte Culebra. „Von Anfang an war sie mein Eigentum.“

Nicht wenn es um die Seelengefährtin geht. Ab da sind alle Rechte und Gesetze hinfällig. Zumal würde ich sie dir nicht einmal überlassen, wenn das nicht der Fall wäre. Du hast ohnehin viele anderen Gesetze unseres Volkes gebrochen. Hast andere Drachen für deine Zwecke und Launen missbraucht und getötet.“

„Als würdest du andere nicht für deine Zwecke und Launen missbrauchen“, lachte Culebra spottend auf. „Was du tust ist nichts anderes, was ich tue. Du beherrschst ein Volk und gibst Befehle von deinem hohen Thron aus. Glaubst du wirklich, nur weil du der König bist, wäre es was selbstverständliches? Als wäre es dein gutes Recht über andere zu bestimmen?“

Nein, dieses Recht hatte Lucien nicht und das wusste er. Und er hatte auch nie ein Angehöriger seines Volkes je so betrachtet, als wäre er selbstverständlich. Vor allem nicht, wenn es um ihr Leben ging. Jeder hatte seine freie Wahl, egal für was sie sich entscheiden.

Genauso wie in diesem Krieg. Jeder wollte Culebra tot sehen und sie kämpften gemeinsam gegen den Feind, der nicht vor seine eigenen Leute zurückschreckte. Für diesen verdammten Verräter war kein Leben etwas wert, außer sein eigenes. Lucien war nicht Ansatzweise wie er und er würde sich nicht auf sein Niveau herablassen.

Gut, wenn das der Fall ist und ich missbrauche mein Volk genauso wie du, dann frage ich dich, warum kommen Drachen von allen Seiten herbei und wollen dich bekämpfen? Dabei habe ich ihnen nicht diesen Befehl erteilt, sondern sie tun es aus freien Willen. Sie tun es für ihr Volk und nicht für mich. Sie tun es für diejenigen, die sie lieben und beschützen wollen“, behielt Lucien Culebra genau im Auge. Er verspürte, als würde er nur die Zeit hinaus schinden. Dies konnte Lucien genauso gut, denn für sein Vorhaben brauchte er auch etwas Zeit.

Langsam ging Lucien in seiner Drachengestalt ein paar Schritte in Emmanlines Richtung, falls es nötig wurde sie mit seinem Körper zu beschützen. Sie sollte nicht noch mehr leiden, was sie zuvor nicht alles hatte erleiden müssen. Es schmerzte jetzt schon tief in seiner Brust, dass er erneut versagt hatte. Erneut konnte er seine Seelengefährtin nicht den Schutz gewähren, den sie verdiente. Es bohrte sich wie ein heißer Stachel in sein Herz.

Amüsiert lachte Culebra auf. „Wirklich bedacht, wie du dich gibst. Wie ein wahrer König sprechen würde, aber soll ich dir was sagen?“, wurde sein Gesichtsausdruck immer wutverzerrter und wahnsinniger. „Mich interessiert das einen Scheißdreck, denn nur meine Visionen bringen unser Volk zur wahren Stärke zurück. Alles andere ist unakzeptabel“, fauchte und knurrte er auf, während Culebra sich immer weiter in einen Drachen verwandelte.

Jetzt wurde es schwieriger und Lucien wusste, aus einem blutigen Kampf würde er nicht mehr heraus kommen. Wenn er das so wollte, dann konnte er das gerne haben.

Lucien brachte sich in eine andere Position, damit er jederzeit angreifen konnte. Sein ganzer mächtiger Drachenkörper spannte sich an und war bereit für einen Angriff. Er konnte es kaum erwarten diesem Verräter in einzelne Stücke zu zerreißen. Darauf wartete Lucien schon solange und endlich war dieser Augenblick gekommen. Endlich konnte er seinen Zorn und seine ganze Wut freien Lauf lassen.

Versuche es doch“, provozierte Lucien ihn mit Absicht und er hätte nicht damit gerechnet, dass Culebra in diesem Moment wirklich angreifen würde.

Seine ganze massige Gestalt warf sich auf ihn und Lucien setzte seine ganze Energie frei, die er zur Verfügung hatte. Das brachte den ganzen Berg zum beben und es stürzten immer wieder große Brocken Steine zu Boden. Kein Fels oder Gestein war solch einer großen Macht fähig standzuhalten und je mehr Lucien freisetzte, dann würde bald die ganze Höhle zusammenstürzen. Er musste diesen Kampf schnell beenden, bevor er sie alle lebendig begraben würde. Vor allem Emmanline sollte nicht in so einem Grab landen.

Lucien machte mit seinem Kopf eine schnelle Bewegung und erwischte den Hals von Culebra. Fest biss er sich in sein tiefes Fleisch, was ihn zum aufbrüllen brachte, aber sein Feind versetzte mit seinen scharfen Klauen eine tiefe Kratzwunde, als er durch die Luft hievte. Es traf ihn an der linken Flanke, das er willkürlich durch den Schmerz loslassen musst. Doch Lucien gab ihm keine Zeit, damit er einen tödlichen Schlag vollziehen konnte.

Sein scharfer Drachenschwanz sauste direkt bei einer Drehung gegen den Kopf von Culebra und schmetterte ihn zu Boden.

Nur noch einen Augenblick.

Die Vorderkrallen von Lucien bohrten sich augenblicklich durch die Schuppen von diesem Verräter und hielten ihn damit fest, während er seinen Schwanz erneut erhob und mit seiner Spitze auf seine Brust zielte. Er zögerte keine Sekunde und sie bohrte sich in Culebras Brust. Sein schmerzerfülltes Brüllen war unbeschreiblich, was er sich oft ausgemalt hatte. Lucien wollte ihn leiden sehen und Culebra sollte den gleichen Schmerz empfinden, den seine geliebte Gefährtin hatte erleiden müssen. Ihr ganzes Leben lang ertragen musste.

Durch Luciens rote Schuppen, war kaum das spritzende Blut seines Feindes zu erkennen, den er zu Tode quälte. Nur zu gerne bohrte er seine scharfe Spitze seines Schwanzes, wie ein Dolch in die Brust seines Gegners. Lucien genoss es schon fast.

Warum glaubte, dass dieser Verräter eine Chance gegen ihn hatte? Er hatte wissen müssen, er war stärker und er war der König unter den Drachen, der nehmen konnte. Nicht das Leben, aber er würde etwas weitaus schlimmeres tun. Lucien wollte den verzweifelten und entsetzten Gesichtsausdruck von diesem Verräter sehen.

Endlich ist es soweit, sprach Lucien innerlich mit sich selbst.

Mehr als Culebra jetzt festhalten brauchte Lucien jetzt nicht mehr, während er die Macht seines Drachen aus seinem Körper zog. Als König verbannte er den Drachen von Culebra und bestrafte ihn in seine menschliche Gestalt. Nie wieder würde er Kontakt mit seinen Drachen bekommen und er würde nie wieder erfahren, wie es ist, solche eine Macht zu besitzen. Er würde nie wieder durch die Lüfte fliegen und sein eigentliches Wesen verspüren. All das nahm Lucien ihm jetzt. Egal wie sehr Culebra sich jetzt zur Wehr setze und dagegen ankämpfte.

„NEIN“, brüllte Culebra wutverzerrt auf und wehrte sich mit seiner ganzen Kraft, doch Luciens Krallen bohrten sich nur noch tiefer in sein verdorbenes Fleisch.

Das wird deine lebenslange Strafe sein, bis dich der Tod ereilt. Du bist ein Verräter und wirst hiermit verstoßen“, entzog Lucien mehr seiner Kraft, bis sein Feind unter ihm immer mehr die Gestalt eines Menschen annahm.

„Dafür werde ich dich töten“, fluchte Culebra hasserfüllt. „Das schwöre ich und dieser Tag wird kommen.“

Lucien ignorierte die Worte von ihm und vollendete die Verbannung seines Drachens. Er wollte das hier so schnell wie möglich beenden, damit er endlich zu seiner Gefährtin kommen konnte.

Gerade als Culebra seine menschliche Gestalt angenommen hatte, kamen Cyrill und seine Schwester Charia in den Höhlenraum gestürmt. Beide waren mit Blut besudelt und trugen auch einige Verletzungen an sich. Keine war schwerwiegend und er war froh darüber.

Setzt ihn außer Gefecht und legt ihm die dicksten Ketten um, damit er keine Chance hat zu entkommen“, verwandelte Lucien sich beim Sprechen und drehte sich sofort zu Emmanline um, die noch immer so dalag, wie er sie zuvor entdeckt hatte.

Seine Seelengefährtin lebte und es schnitt ihm ins Herz, als er jetzt vor ihr hockte und ihr weiches Haar berührte, dass voller Staub und Dreck war. Selbst ihre Haut war schmutzig und er wollte sie so nicht mehr sehen. Es schmerzte ihn zutiefst.

Über neun Monate war Emmanline erneut diesem Wahnsinnigen ausgeliefert gewesen und er hatte nichts dagegen getan. Er hasste sich selbst dafür.

Verzweifelt vergrub Lucien sein Gesicht in Emmanlines Haar, weil er ihre Nähe spüren wollte. Aber nichts was er tat, gab ihm das Gefühl zurück, sie war am Leben oder in seiner Nähe. Es gab keine Verbundenheit zwischen ihnen und es nagte schwer an ihm. Seine Gefährtin lebte, aber er konnte keinen Funken von ihrem Wesen spüren. Sie war fort und er wusste nicht einmal, ob es für immer war. Das würde er nicht ertragen. Nicht auf ewiger Zeit. Er liebte sie doch und sie hatte es gewusst.

„Es tut mir so leid“, flüsterte Lucien erstickt in ihr Haar und wiegte sie in seinen Armen. „Ich hatte dir versprochen dich zu beschützen. Ich konnte es nicht.“

Eine Hand legte sich auf seine rechte Schulter. „Es tut mir leid, Bruder, aber wir müssen unbedingt hier raus. Diese Höhle wird bald einstürzen“, sprach Charia in einem mitfühlenden Ton. „Bringen wir Emmanline nach Hause.“

Nach Hause?

Genau das hatte Lucien sich für Emmanline immer gewünscht. Ein Zuhause, wo er war. Dort sollte sie sich wohlfühlen. Sicher und geborgen. Jetzt da auch ihre Zwillinge auf eine Rückkehr warteten. Er konnte die Anwesenheit von Adriana und Raziz spüren.

„Ja“, antwortete er knapp, nahm Emmanline auf seine Arme und verließ schweigend die Höhle. Was seine Schwester Charia und sein bester Freund Cyrill mit Culebra getan hatten, interessierte ihn gerade am wenigsten. Sein einziges Ziel war mit seiner Seelengefährtin nach Hause zu seinen Kindern zu kommen. Dort gehörte sie hin und an keinen anderen Ort.

 

4

„Du wirst nicht fangen mich“, lachte Adriana erfreut und spielerisch auf, als sie durch die Gänge des Schlosses stürmte.

„Das sehen wir“, stürmte Raziz hinter ihr her und rannte in eine der Bediensteten rein, die gerade den Flur fegte und nun zu Boden stürzte.

Doch bevor Raziz irgendwas machen konnte, wurde er am Kragen gepackt und hochgehoben. Kaum das er sich versah, blickte er in die Augen seines Onkels Raiden, der ihn grimmig anschaute.

„Was habe ich euch gesagt, wenn ihr durch die Flure rennt?“, knurrte Raiden mahnend.

„Aufpassen“, kicherte Adriana lachend und hing kopfüber über die breite Schultern ihres Onkels.

„Genau, ihr sollt aufpassen“, schimpfte er weiter. „Seid brav und haltet euch daran. Oder muss ich erst euren Onkel Alastar holen müssen?“

Adriana quiekte herzhaft auf. „Nein, Onkel Alastar hat tun. Ganz beschäftigt“, verhaspelte sie sich immer beim Sprechen, was viele zum Schmunzeln brachte.

Selbst für Raiden war es nicht immer leicht ernst zu bleiben, wenn seine kleinste Nichte derart redete und herzlich dabei lächelte. Das erweichte selbst ihn, als alten hartgesottenen Drachen.

„Gut, dann seid lieb.“

„Sind wir“, antwortete Raziz, der ernster für sein jungenhaftes Alter aussah.

Die Zwillinge waren gerade einmal vier Jahre alt und sie entwickelten sich rasend schnell. Sie lernten schnell das Sprechen und waren durchaus klüger Dinge besser zu verstehen, wen n man es ihnen erklärte. Ein Drachenkind war nicht in ihrer Entwicklungszeit so weit, wie diese Beiden.

Dadurch das sie alle nicht viel von Emmanlines Herkunft und ihrem Wesen wussten, gingen sie davon aus, die zwei wären normal. Vielleicht war der Wachstum von Emmanlines Volk anders und ging schneller von statten. Alles war ein größeres Geheimnis und Mysterium. Und genau das musste es auch bleiben. Niemand durfte von ihrer Herkunft wissen und was sie in Wirklichkeit waren.

Bisher hatte sich noch keiner der beiden Zwillinge verwandelt und keiner konnte von daher genau bestimmen, was genau in ihnen steckte. Seena hatte durchaus Recht, in ihnen steckte eine unbekannte Kraft und doch konnten sie es nicht richtig bestimmen. Das Einzige positive war, sie hatten ihre Kräfte noch nicht missbraucht oder aus versehen eingesetzt.

Jeder gab deshalb auch ihr bestes um genau das zu vermeiden. Sie sollten lernen bewusst mit ihrer Stärke umzugehen und das es nicht richtig war, irgendjemanden zu verletzen. Fast erschien es ihnen, als würden die zwei Kleinen auf etwas warten, die jetzt wild in seinen Armen zappelten.

„Runter, Onkel Rai“, bat Adriana und sie schaffte es nicht seinen ganzen Namen auszusprechen. Er hatte sich daran gewöhnt und gestattete es ihr zu ihn so zu nennen.

Raiden setzte die Zwillinge vor sich ab und ging vor ihnen in die Hocke. „Merkt euch gut, ihr dürft niemanden ausversehen verletzen oder wehtun. Nur wenn ihr irgendwann einmal in Gefahr seid. Also entschuldigt euch jetzt bei Melina“, befahl er den Kleinen.

Etwas bedrückt drehten sie sich zu der Drachin um, die gestürzt und wieder aufgestanden war.

„Es tut uns leid“, entschuldigte sich Raziz bei ihr.

„Auch mir. Nicht wieder vorkommt“, lächelte Adriana entschuldigend.

Verwirrt und nicht wissend was Melina tun sollte, blickte sie zu Raiden auf. Sie gehörte zu den zurückhaltenden Drachen und doch gab es Situationen, indem ein Drache etwas durchgreifen musste, damit die Kinder verstanden, was richtig und falsch war.

„Danke. Auch ich passe das nächste Mal besser auf“, antwortete Melina etwas zurückhaltend.

Plötzlich machte Raziz einen Schritt auf Melina zu und berührte sie am Bein. „Du hast dir wehgetan. Momma hätte das nicht gefallen“, klang sein Neffe wirklich schuldbewusst und da sah er zum ersten Mal etwas, womit Raiden nicht gerechnet hätte. Raziz setzte seine verborgene Kraft ein und seine Hand fing an zu leuchten.

Öfters hatte er dieses Licht bei Emmanline beobachten können und wusste, dass es nichts schlechtes war. Jedes Mal wenn sie leuchtete, hatte sie geheilt und genau das tat Raziz jetzt auch. Die Sturzverletzung von Melina war in Sekunden geheilt und er war sichtlich überrascht. Anscheinend hatte Raziz Emmanlines Fähigkeit geerbt. Auch wenn er vom Aussehen mehr nach Lucien kam.

„Du meine Güte“, stotterte Melina leicht erschrocken.

„Wieder heil“, warf Adriana lachend ihre Arme in die Luft und stürmte davon. „Du mich fangen, Bruder“, schrie sie gackernd.

„Das ist unfair“, stürmte auch Raziz an ihm vorbei.

Kopfschüttelnd blickte Raiden hinter ihnen her, die um eine Ecke verschwanden. Das Einzige was er noch vernahm, war das kindliche und freudige Lachen.

„Es tut mir leid, Melina“, entschuldigte sich Raiden noch einmal bei ihr.

„Schon in Ordnung, wirklich. Sie sind sehr aufgeweckt und ich hätte wirklich mehr aufpassen sollen. Doch ich war sehr über die Heilung überrascht“, schluckte sie etwas.

Kurz schaute er die Drachin an. „Ja, darüber bin ich auch sehr überrascht. Sie wollten dir nicht wehtun.“

„Ja, ich weiß. Es sind liebe Kinder und so freudiger Energie“, senkte sie den Kopf.

Das waren sie in der Tat und auch oft zu stürmisch. Einerseits taten die Beiden ihm auch leid, wenn er daran dachte, in welchem Zustand sich ihre Mutter befand. So jung wuchsen sie mit diesem Bild auf, dass ihre Mutter zwar da war, aber nie so sein würde, wie andere Mütter. Jedes andere Kind wäre traurig gewesen und doch lachten sie jeden Tag. Es war schon fast unglaubwürdig und doch waren die Zwillinge noch zu jung, um irgendwas zu verstehen. Auch wenn sie vieles verstanden.

Wer wusste schon was genau passieren würde. Mehr als abwarten und hoffen konnten sie nicht. Vielleicht würde doch noch ein Wunder geschehen.

Seufzend begab sich Raiden in seinen alltäglichen Fluss und ging in sein Arbeitszimmer.

 

„Nein, ich keine Lust mehr hab“, zog Adriana leicht ihr Gesicht zu einer Schnute. „Du gewinnen immer. Du zu schnell.“

„Dann lass uns zu Poppa gehen“, ging Raziz zu seiner Schwester und nahm ihre Hand in seine. „Er wird bestimmt bei Momma sein“, lächelte er sie leicht an.

Sofort hellte sich das Gesicht von Adriana auf. „Ja, das wir tun.“

Raziz verstand noch nicht viele Dinge, aber er wusste, er wollte seine Schwester nicht traurig sehen. Tief aus ihm entsprang stets ein Gefühl, dass ihn daran hinderte. Adriana fühlte genauso und sie beide passten immer aufeinander auf. Darum waren sie ununterbrochen zusammen und wollten kein einziges Mal getrennt voneinander sein. Sie waren unzertrennlich.

„Dann komm, Adriana“, zog Raziz leicht an ihrer Hand und sie folgte ihm ohne zu zögern.

 

Müde und erschöpft blickte Lucien aus dem Fenster. So unglaublich viel Zeit war bisher vergangen und es hatte sich nichts getan. Keine neuen Ergebnisse, worauf er jeden Tag hoffte. Ununterbrochen wartete er.

Seufzend wandte Lucien sich um und schaute auf das Bett, worin Emmanline schlief. Das schon mehr als vier Jahre und es nagte von Tag zu Tag mehr an ihm. Es zerrte an seinen Kräften und an seinem Herzen. Kein einziges Mal, seit sie zurück gekehrt waren, war seine Gefährtin erwacht. Sie bewegte sich in einem Zustand, der unerklärlich war. Nicht einmal seine Großtanten konnten helfen und hatten schon vieles versucht, aber alles war bisher erfolglos gewesen.

Diese vier Jahre kam ihn wie vier Jahrhunderte vor, obwohl es nur ein kleiner Wimpernschlag für ihn als Drachen vorkommen müsste. Doch er wollte nicht aufgeben. Nicht solange ihr Herz noch in der Brust schlug, denn er wollte alles versuchen, was er nur konnte. Auch wenn es bedeuten würde, Lucien musste eine Ewigkeit darauf warten. Sicher war es eine Folter für ihn, seine geliebte Gefährtin so zu sehen. Das Tag für Tag, aber er wollte nicht aufgeben. Nicht einmal daran denken.

Selbst Adriana und Raziz sollten ihre Mutter einmal kennenlernen und mit ihr sprechen. Mit ihr spielen und die Dinge tun, die sie sich so sehnlichst wünschten. All das wünschte er sich von ganzen Herzen. Möge es alles kosten, dann würde er diesen Preis eben bezahlen.

Mit schweren Schritten ging Lucien zu Emmanline zurück und setzte sich auf ihr gemeinsames Bett. Wie er es immer tat, strich er zart mit seiner Hand über ihr schneeweißes Haar, dass wieder vollkommen rein war. Als er damals von der Schlacht zurückgekehrt war, hatte Lucien sie als erstes gewaschen und von all dem Schmutz, Blut und Dreck befreit. So mochte er sie am liebsten und wenn er ihren Duft in einem frisch und reinen Zustand einatmen konnte. Dies war seine wahre Gefährtin und was sie auch verdiente.

Erst viel später hatte Lucien Emmanline in ihr bequemes Bett gelegt, damit sie es gemütlich hatte. Jeden Tag hatte er mit ihr gesprochen, auf der Hoffnung, sie würde auf seine Stimme reagieren. Doch auch das war bisher vergebens. Auf nichts und niemanden reagierte sie, egal um welche Anwendungen Lucien sich bemühte.

„Ach Liebste, wenn ich doch nur wüsste, wie ich dich zurückholen könnte, ich würde alles dafür tun“, flüsterte er rau und nahm liebevoll die Hand von Emmanline in seine und küsste ihre Handinnenfläche.

Wie immer liebkoste Lucien Emmanline mit schönen Worten und Berührungen. Selbst wenn sie ihn nicht hören konnte, wollte er wenigstens die Hoffnung hegen, sie möge seine zärtlichen Streicheleinheiten spüren. Irgendwas musste sie einfach fühlen, denn er wollte nicht von negativen Gedanken geplagt sein. Lucien wollte nicht hören, alles wäre vergebens.

Leise klopfte es an der Tür und Lucien bat die Person herein. Cyrill betrat das Zimmer und es tat wirklich gut, seinen besten Freund wieder unter sich zu haben. Kaum, dass sie von der Schlacht zurückgekehrt waren, hatte er sich aufrichtig bei ihm entschuldigt. Wie Cyrill eben war, hatte er ihm alles verziehen. Doch Lucien sollte nicht noch einmal auf den Gedanken kommen, solch eine Aktion zu starten.

Selbst er wusste, es war falsch gewesen und doch freute Lucien sich, wie sehr er es wertschätzte, alle um sich zu haben. Das hatte Lucien noch nie in diesem Ausmaß festgestellt und wie sehr er es doch brauchte. Schon eigenartig, wie schnell und in welche Richtung sich sein Leben verändert hatte. Eigentlich, seit Lucien Emmanline begegnet war.

„Ist alles in Ordnung, Cyrill?“, wollte Lucien von seinem Freund wissen, als er ihn dann anschaute, weil er ihm immer einen Bericht erstattete.

„Ja, soweit schon. Ich wollte dir nur mitteilen, es gibt keine Veränderungen, bevor ich gehe. Bis auf, ein seltsamer Brief ist eingetroffen“, antworte Cyrill und hielt den leicht gelblichen Brief nach oben.

Mit einem Ruck stand Lucien vom Bett auf und ging auf ihn zu. „Wann ist er eingetroffen?“, wollte er schlagartig wissen.

„Ich kann es nicht genau sagen, aber dieser Brief lag auf einmal auf deinem Schreibtisch, als ich dir ein paar Papiere, die ich abgearbeitet hatte, hinlegen wollte. Zuvor lag da noch keiner und ich dachte mir schon, irgendwas ist anders. Deswegen bringe ich ihn dir.“

„Das war sehr gut, danke“, entnahm Lucien ihm den Brief. Im ersten Moment wusste er nicht, ob er ihn ohne Emmanlines Einverständnis öffnen sollte, oder solange aufbewahren. Aber wenn er daran dachte, in welchem Zustand sie sich jetzt befand, riss Lucien doch die obere Lasche des Umschlags auf und überflog die Zeilen in Sekunden.

Luciens Augen weiteten sich schlagartig. „Sie wollen kommen“, brachte er als Einziges heraus.

„Wer will kommen?“, fragte Cyrill skeptisch nach.

„Dies ist ein Brief von Emmanlines Vater und er würde sie gerne richtig kennenlernen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass der König der Elfen sich wirklich aus seiner Deckung traut, aber er will sie sehen“, kam Fassungslosigkeit aus ihm heraus, weil er beim besten Willen nicht damit gerechnet hätte.

„Ist das nicht etwas Gutes?“, meinte Cyrill nach einem kleinen Zögern.

Ein paar Schritte lief Lucien im Zimmer auf und ab, als er dann am Fußende des Bettes stehen blieb, indem Emmanline schlief und sie anschaute. „Emmanline, dein Vater hat dir geantwortet. Er würde dich so gerne sehen und kennenlernen. Er will sich von dem überzeugen, was du ihm geschrieben hast. Das ist wunderbar.“

Emmanline mochte auf alles keine Reaktion zeigen, aber das war eine weitere Option, die in Vergessenheit geraten war. Warum war es ihm nicht eher eingefallen? Warum hatte er keinen Kontakt zu Emmanlines Vater aufgenommen? Der König der Elfen, der mit genauso einem Wesen zusammen gewesen war. Er hätte doch sicherlich bei weitem mehr Wissen über Emmanlines zweites Wesen. Zumal war sie auch eine halbe Elfe. Vielleicht kannte Alarion Fenegan, der König der Elfen, eine Möglichkeit, wie sie Emmanline aus diesem Zustand befreien konnten.

„Cyrill, ich möchte, dass du allen Bescheid gibst. Gib die Mitteilung raus, der Elfenkönig Alarion Fenegan, und wer auch immer ihn begleitet, hat freies Geleit. Egal wann sie eintreffen, niemand wird sie angreifen, sondern gleich zu mir führen“, befahl Lucien ihm und blickte weiter auf Emmanlines zartes Gesicht.

„Natürlich, ich werde es sofort weiterleiten“, war es fast eine Selbstverständlichkeit. „Doch, wie geht es ihr heute?“

Aufmerksam schaute Lucien seinen Freund an und dies tat Cyrill jeden Tag. Jeden Tag fragte er nach dem Wohlbefinden von Emmanline und obwohl es die gleiche Antwort war, änderte es nicht die tägliche Frage von ihm. Als der Leibwächter von Emmanline, war Cyrill stets bemüht und es freute Lucien wirklich, wie treu er in Wirklichkeit war. Sein Freund mochte seine Gefährtin auf eine gewisse Art und Weise, die Lucien akzeptierte. Sogar sein Drache in ihm.

„Es gibt keine Veränderungen und doch hoffe ich jeden Tag darauf, dass es sich ändert. Ich hoffe so sehr darauf, das sie irgendwann ihre Augen öffnet, oder wenigstens eine kleine Regung von ihr zu bemerken. Doch bisher tut sich bei ihr einfach gar nichts und ich versuche mich stets zu bemühen, nicht die Hoffnung zu verlieren. Auch nicht vor Adriana und Raziz. Gerade sie können es am wenigsten gebrauchen“, beantworte Lucien Cyrill seine tägliche Frage.

Cyrill trat an das Bett von Emmanline und betrachtete sie nachdenklich. „Ich kann verstehen, wie furchtbar es ist, jeden Tag an diesem Bett zu stehen und das man zusehen muss, wie sie einfach nicht reagiert. Doch du darfst die Hoffnung nicht verlieren, Lucien. Wir alle hegen große Hoffnung, Emmanline wird eines Tages erwachen. Selbst außenstehende Drachen, die nicht einmal mit Emmanline Kontakt hatten. Ich habe weitere Nachrichten rein bekommen, wie viele Angehörigen unseres Volkes darauf hoffen und darum beten.“

„Ich kann nicht einmal genau verstehen, warum urplötzlich so viele Drachen jetzt den Anschluss suchen“, sagte selbst Lucien nachdenklich. „Hal hegt eine kleine Vermutung, es könnte an dem blutroten Rubin liegen und einen Zusammenhang, als wir vor vier Jahren diesen Ruck verspürten. Es könnte eine Verbindung geben.“

„Vermutlich, aber egal wie viele Theorien wir aufstellen, nur Emmanline könnte sie beantworten. Also sollten wir wohl noch eine Weile warten.“

Genau das war das Schwierigste an der ganzen Sache, diese Warterei brachte einen fast um.

Wieder klopfte es an der Tür, doch diesmal wirkte es leiser und zögerlich. Sofort wusste Lucien wer vor der Tür stand und sein Gesicht hellte sich ein wenig auf. „Herein.“

Seine Tochter und sein Sohn hatten endlich gelernt, dass man vorher anklopfte und erst eintrat, sobald die Erlaubnis gegeben wurde.

„Poppa“, rief Adriana ihn freudig entgegen und stürmte in seine Arme. „Wir gewusst haben, du bist bei Momma“, gab sie ihm kichernd einen Kuss auf seine Wange.

„Hallo, Onkel Cyrill“, ging Raziz auf Cyrill zu. „Ich habe die Aufgabe gelöst, die du mir gegeben hast.“

Vor kurzem hatte Lucien mitbekommen, wie wissbegierig sein Sohn war und Cyrill gab ihm hin und wieder Rätsel auf. Wie viele andere auch. Erstaunlicherweise war er recht klug und schnell lernfähig. Ganz anders, als wie seine gleichaltrige Schwester, die ein wenig mehr Zeit für Dinge brauchte.

„Ach wirklich, dass musst du mir nachher verraten. Du hast ja nicht lange gebraucht, um die Lösung zu finden“, hockte sich Cyrill vor seinen vierjährigen Sohn.

„Nein, es war ganz einfach“, klang Raziz stolz auf das, was er schon konnte.

Mit einem Lächeln verfolgte Lucien diesen Augenblick und es faszinierte ihn jeden Tag mehr, wie lernfähig und schnell sie sich entwickelten.

„Poppa?“, umarmte Adriana ihn mit ihren kleinen Ärmchen um seinen Hals.

„Ja, mein Schatz?“, da bemerkte Lucien etwas eigenartiges an seiner Tochter. Ihre Augen leuchteten leicht silbern auf, was zuvor noch nicht vorgekommen war.

„Momma wird wieder kommen. Gerade ist sie noch weit fort, aber bald wird sie wieder da sein und dann sind wir wieder alle zusammen. Wie du es dir wünschst, Poppa“, lächelte Adriana ihn wissend an, aber in der nächsten Sekunde verschwand dieses Leuchten in ihren Augen.

Lucien wusste nicht, was ihn mehr überraschte. War es dieses außergewöhnliche und wissende Leuchten in ihren Augen? Oder doch eher, welche gut gesprochenen Worte sie von sich gegeben hatte?

Danach drückte Adriana ihn noch einmal ganz fest und wollte auch schon wieder runter. Überrascht setzte Lucien seine kleine Tochter ab und beobachtete sie jetzt, wie sie zu ihrer Mutter auf das Bett kletterte. Auch Raziz folgte ihr. Jeder der Beiden legte sich auf eine Seite und fingen ausgiebig an zu erzählen. Sie berichteten Emmanline alles, was sie am Tag erlebt hatten. Dies taten sie jeden Tag und es war immer ein toller Anblick, wie sie lachend und gackernd plauderten.

Selbst wenn die Zwillinge noch nie ein Wort mit ihrer Mutter gewechselt hatten, bestand trotzdem eine Verbindung zwischen ihnen, die unerklärlich war.

„Was war das gerade gewesen?“, wirkte selbst Cyrill überrascht, weil er es selbst gehört hatte.

„Ich weiß es nicht“, schüttelte Lucien leicht mit seinem Kopf. „Bisher hatte Adriana zuvor so etwas noch nicht gemacht. Mir ist es jedenfalls nicht aufgefallen, oder keiner hatte mich drauf angesprochen, etwas bemerkt zu haben. Aber anscheinend machen sich langsam gewisse Veränderungen in ihnen bemerkbar. Seena und Havanna meinten zwar einmal, sie würden gewisse Fähigkeiten entwickeln, aber sie konnten nichts genaueres bestimmen.“

Seit ihrer Rückkehr aus der Schlacht, hatte Jade ihre zweite vermisste Großtante gefunden und auch befreit, was ein Glück war. Später hatte sie ihm berichtet, unter welchen Bedingungen sie festgehalten wurde. Schwere magische Ketten verhinderten ihre Flucht und genau diese Fesseln hielten jetzt Culebra in den tiefsten und einsamsten Kerker seines Schlosses fest. Es gab keine Möglichkeit zu entkommen.

Seena und Havanna hatten sich dazu bereit erklärt, sie würden zurückkommen und einige Dinge mussten geklärt werden, wie es ihre Schwester und seine Großmutter Araveena aufgetragen hatte. Das akzeptierte Lucien und er könnte mit Sicherheit ihre Unterstützung gebrauchen, sobald sie erforderlich war.

„Denkst du, die Kleinen entwickeln neue Fähigkeiten?“

„Ich kann diese Fragen ehrlich nicht beantworten. Keine Frage, sie sind etwas anders als Drachenkinder. Selbst von ihrer Entwicklung her, aber bisher war noch nie etwas auffälliges passiert. Es könnte durchaus möglich sein. Immerhin stecken in ihn drei vereinte Wesen und niemand kann voraussehen, in welche Richtung sie einschlagen werden. Vielleicht entwickeln sie sich nur in eine Richtung, oder sie haben eine Tendenz von jeden etwas zu besitzen. Darum sind Mischwesen ja auch in ihrer Entwicklung und was ihre Fähigkeiten anbelangt, nicht bestimmbar“, redete Lucien in einer Lautstärke, das seine Kinder seine Worte nicht vernehmen konnten.

„Da gebe ich dir Recht. Aber oft kommt es jedenfalls nicht vor, dass viele Wesen beides verkörpern. Meistens kommt nur ein Wesen zum Vorschein, welches sich schneller und stärker durchsetzt.“

Kaum hörbar knurrte Lucien leise. „Ich hege aber auch einen anderen Verdacht. Bei Emmanline scheint es anders zu sein. Anscheinend ist ihre Hälfte als Einhorn vollkommen damit einverstanden, das die andere Hälfte eine Elfe ist. Sie harmonieren praktisch zusammen. Vermutlich aus dem Grund, da ihr Tierwesen Schutz sucht und braucht. Ansonsten bekämpfen sich zwei starke Gattungen miteinander“, beobachtete er seine schlafende Gefährtin und seine beiden Kinder, wie sie im Bett lagen. Sie wirkten müde und es würde nicht mehr lange dauern, bis ihre Augen zufallen würden. „Darum hoffe ich wirklich, dass bei ihnen keine derart starken Probleme auftreten. Wir Drachen sind eine dominante Spezies und es könnte durchaus ihre Entwicklung beeinträchtigen, wenn sie sich innerlich damit herumschlagen müssen.“

„Auf diese Idee bin ich zwar noch nicht gekommen, aber das könnte passieren. Wir hoffen einfach mal, sie harmonieren auch miteinander, oder ein Wesen übernimmt sofort die Führung“, verschränkte Cyrill nachdenklich seine Arme vor der Brust.

Lucien hoffte wirklich, dass es diesmal etwas einfacher und unkomplizierter sein würde. Wenigstens einmal wünschte er sich das und vor allem für seine eigenen Kinder. Doch wer wusste schon, was das Schicksal alles für sie vorher bestimmt hatte.

„Nun gut, ich werde mich jetzt um die letzte Angelegenheit kümmern, worum du mich gebeten hast. Wir sehen uns dann morgen“, schlug Cyrill Lucien mit seiner flachen Hand in freundlicher Geste auf seine Schulter.

„Ich danke dir, alter Freund“, nickte er ihm dankend zu und ging selbst zum Bett, wo jetzt alle darauf schliefen, die ihm mehr als alles andere auf dieser Welt bedeuteten. Alles würde Lucien dafür geben, dass sie genauso wie jetzt in Sicherheit und sorglos schlafen konnten. Nie wieder würde er seine Seelengefährtin aus den Augen lassen, sollte Emmanline je wieder ihre Augen öffnen.

Momma wird wieder kommen. Gerade ist sie noch weit fort, aber bald wird sie wieder da sein und dann sind wir wieder alle zusammen. Wie du es dir wünschst, Poppa.“

Erneut halten die Worte seiner kleinen Tochter in seinem Kopf nach. Adriana war gerade erst einmal vier Jahre alt und Kinder sprachen viele Dinge einfach so aus. Vor allem was sie dachten. Doch Lucien verspürte, dieses eine Mal war es anders und Adriana musste etwas spüren. Oder gar eine Fähigkeit besitzen, etwas voraus zusehen. Was immer es auch war, er wollte an ihren Worten festhalten.

 

Fast drei Monate vergingen, seit Lucien bei Adriana etwas seltsames vernommen hatte. Zwischenzeitlich kamen noch andere Eigenarten hinzu. Selbst berichtete Raiden ihm, wie Raziz vor einiger Zeit im Flur Melina durch einen Sturz geheilt hatte. Später entdeckte Lucien seinen Sohn, wie er über den Hof des Schlosses rannte. Eigentlich nichts ungewöhnliches, wenn er dieselbe Art nicht bei Emmanline wahrgenommen hätte. Diese besondere Eleganz und Wendigkeit.

Dann eines Nachts, als seine Kinder in ihren Betten schliefen, hörte Lucien Adriana leise wie ein Drachenkind knurren und sie fing an zu leuchten. Solch ein Licht, welches Emmanline umgab.

Langsam war er leicht überfordert und es schien fast so, als wirkten ihre Wesen in einen Konflikt, aber er konnte es nicht genau deuten. So was hatte Lucien zuvor noch nie gesehen und das es sich so stark ausprägte und sogar zeigte. Selbst Hal, der so viel Wissen in sich trug, hatte er ein ausgiebiges Gespräch geführt. Ihm war es selbst nicht bekannt, das Mischwesen so ein starken Gemisch einer Fehde ausharrten.

Etwas nachdenklich saß Lucien abends alleine in seinem Büro und schaute aus seinem Fenster, was reine Angewohnheit geworden war. Eigentlich wollte er Papierkram erledigen, aber seine Gedanken waren zu durcheinander, um überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Darum freute er sich, für einen Augenblick eine ruhige Minute zu haben. Auch wenn er wusste, dies würde nicht lange anhalten.

„Poppa?“, murmelte eine leise Stimme hinter ihm und Lucien drehte sich mit seinem Stuhl um und erblickte seine kleine Tochter.

„Mein Schatz, du solltest doch eigentlich schlafen. Was machst du hier?“, stand er auf und ging zu Adriana.

Lucien bemerkte, sein kleiner Sonnenschein wirkte etwas bedrückt und es kam selten vor, dass sie in solch einem Zustand war. Doch er hatte schnell gelernt, dass er seine Tochter nie danach fragen durfte, denn sie kam oft von ganz alleine zu ihm. Ansonsten würde sie sich nur in sich selbst vergraben.

Kurz rieb Adriana ihre kleinen Augen, ehe sie zu ihm aufschaute. „Ich ja wollte, Poppa, aber ich schlecht geträumt“, kam sie zu ihm und umarmte ihn.

Lucien schmolz regelrecht bei diesem Augenblick und der Geste dahin, dass seine kleine Tochter zu ihm kam. Sein Drache war gegen solch ein zartes kleines Geschöpf absolut machtlos.

„Schon in Ordnung, du bist in Sicherheit“, hob er sie hoch und drückte sie fest an sich, während er zu seinem Stuhl ging und sich hinsetzte. „Magst du vielleicht darüber reden, was du geträumt hast?“

Kurz nagte Adriana an ihrer Unterlippe, welche Eigenschaft sie von Emmanline geerbt hatte. Beinahe hätte Lucien gelacht, aber verkniff es sich augenblicklich. Dies war für seine Tochter eine ernste Situation. Sie sollte kein schlechtes Gefühl dafür empfinden, wenn sie einen Alptraum hatte und darüber redete. Geschweige würde seine Tochter irgendwann nicht mehr zu ihm kommen, da sie sich sonst nicht ernst genommen fühlte. Oder weil es ein Fehlverhalten war. Alles stimmte natürlich nicht.

„Poppa, sind wir wirklich so sehr anders, als andere Kinder? Oft sie lachen uns aus, dann Raziz wird wütend, weil ich traurig darüber bin. Ich nicht will, dass jemand ihm doll wehtut. Ich Raziz ganz doll lieb habe und niemand soll weh tuen ihm“, senkte Adriana betrübt den Kopf und Lucien konnte als Vater nicht anders, als sie noch fester an sich zu drücken.

„Ist es das was du geträumt hast, dass irgendjemand Raziz weh tun möchte?“, fragte er sie und er spürte ein leichtes Nicken an seinem Hals, während sich ihre kleinen Ärmchen fester um sein Hals schlangen. „Keine Sorge, wir werden alle auf ihn aufpassen. Ich, deine Tanten und Onkel, Großtanten, Großonkel, Freunde, Wächter und viele andere. Wir passen aufeinander auf, so auch auf dich.“

„Wirklich?“, drückte Adriana sich von ihm weg, damit sie ihn anschauen konnte.

Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab. „Ehrenwort und du weißt was das bedeutet.“

„Ja“, erhellten sich langsam die Züge seiner Tochter. „Ein Versprechen nicht kann und darf gebrochen werden.“

„Ganz recht. Du bist ein kluges Mädchen“, gab er ihr einen Kuss auf ihr schneeweißem Haar. „Aber jetzt wird wirklich geschlafen. Was würde deine Mutter dazu sagen, wenn sie wüsste, dass du noch so spät auf bist?“

Adriana kicherte leicht, als sie sich festhielt, während Lucien aufstand und zur Tür ging. „Momma schimpfen würde, aber wir nichts verraten“, flüsterte sie leise und hielt einen kleinen Finger an ihre Lippen.

„Ganz genau, das muss absolut unser Geheimnis bleiben“, schäkerte Lucien freudig mit seiner Tochter und konnte sie somit von ihren schlechten Gedanken ablenken.

In ihrem Zimmer angekommen, schloss Lucien die Tür hinter sich, während Adriana weiterhin munter vor sich hin erzählte. Obwohl sie eigentlich gleich schlafen sollte, wirkte sie vollkommen aufgeweckt.

„Oh, und Poppa, dann Tante Lya kam mit Shay vorbei. Wir gespielt haben viel“, kicherte sie aufgeregt, als sie von ihrem Tag erzählte, bis sie plötzlich verstummte.

Adriana machte einen kleinen Aufschrei, als sie plötzlich anfing wild herum zu zappeln und exzentrisch in seinen Armen wurde, dass Lucien keine Chance mehr hatte seine kleine Tochter festzuhalten. Ohne Probleme landete sie auf ihren zwei Beinen und rannte Richtung Bett, worin Emmanline lag.

Selbst Raziz war von dem Aufschrei seiner Schwester wach geworden und kletterte nun aus seinem Bett, um zu seiner Mutter zu gelangen.

Fragend wandte Lucien sich seiner Familie zu und verstand nicht, warum seine Kinder urplötzlich so aufgeregt waren, als er endlich verstand. Kaum waren die Zwillinge auf das Bett und neben Emmanline gekrabbelt, als sich jeweils ein Arm um die kleinen Körper legte.

Entsetzt machte Lucien einen Schritt zurück, weil er seinen Augen nicht trau te. Doch in dem Augenblick, während er nach ihrem Gesicht suchte, trafen sich ihre Blicke. Emmanlines Augen waren geöffnet und ihr silberner Blick schauten ihn direkt an. Vollkommen überfordert und kaum Luft bekommend, lehnte er sich an die Tür, um eine Stütze zu erhalten. Ansonsten wäre er gleich zusammengebrochen.

„Momma, Momma, endlich bist du wach“, war es Raziz Stimme, die er vernehmen konnte, während Adriana vor Freude leise an der Brust von ihrer Mutter weinte.

Nur ganz zögerlich wandte Emmanline ihren Blick von ihm ab und blickte zu ihren Kindern, die ihre volle Aufmerksamkeit wollten. „Ja“, krächzte sie leise, da sie ihre Stimme solange nicht mehr benutzt hatte. „Ich bin wieder da“, lächelte sie leicht.

Emmanline konnte nicht erahnen, wie sehr Lucien all das vermisst hatte. Ihre Stimme, ihre zarte und warme Stimme. Selbst ihre Anwesenheit und Verbundenheit in ihm. Zu lange war es her und doch kam es ihm wie eine halbe Ewigkeit vor. Deswegen konnte Lucien seine Tränen der Freude und Fassungslosigkeit nicht mehr unterdrücken.

„Poppa, schau nur“, krabbelte Adriana vom Bett und rannte zu ihm. „Ich dir gesagt haben, Momma kommen bald zurück. Nicht weinen“, krallte sie sich sorgenvoll an seiner Hose fest.

Lucien nahm seine Tochter erneut in seine Arme. „Ja, das hast du wirklich, mein Schatz.“

Mit ihr zusammen ging er zum Bett und setzte sich auf die Bettkante. Emmanline versuchte sich aufzusetzen, aber Lucien hinderte sie daran.

„Nein, bleib noch etwas liegen“, schluckte er seinen dicken Kloß im Hals runter. „Ich will erst sicher gehen, dass es dir vollkommen gut geht. Bitte.“

Leicht lächelte Emmanline ihn an. „Wie unfair“, leckte sie über ihre Lippen, um sie von ihrer Trockenheit zu befreien. „Du weißt ganz genau, wie schwach ich werde, wenn du Bitte sagst.“

Lachend und voller Freude beugte Lucien sich nach vorne und konnte endlich das tun, was er schon die ganze Zeit hatte tun wollen. Er gab seiner Gefährtin einen innigen Kuss, um ihre Lebendigkeit zu spüren.

„Iiiiih“, schrien Adriana und Raziz synchron und schlugen ihre Hände vor die Augen.

Jetzt lachte Lucien noch herzhafter und lauter auf. „Wenn ihr zwei uns nicht noch einmal küssen sehen wollt, dann rennt mal ganz schnell durch das Schloss und verbreitet allen, eure Momma ist wieder aufgewacht.“

„Oh ja“, sprang Adriana von seinem Schoß und Raziz krabbelte vom Bett runter, der beinahe eine Rolle nach vorne gemacht hätte. Die Beiden waren so schnell aus dem Zimmer verschwunden, als er schon das erste Schreien seiner Kinder vernahm.

„Lucien“, flüsterte Emmanline leise und er konnte in ihren Augen stumme Tränen erkennen.

„Nein, nicht weinen, meine Liebste. Alles ist gut“, beugte Lucien sich mit seinem Oberkörper nach vorne, stützte seine Unterarme auf beiden Seiten ihres Körpers des Bettes neben ihr ab, damit er seine Stirn auf der ihren legen konnte. „Ich habe solange darauf gewartet, dass du deine Augen öffnest und Tränen sind das Letzte, was ich jetzt sehen möchte.“

„Ich …ich habe dir so schrecklich wehgetan“, berührte Emmanline die Stelle über seinem Herzen mit ihrer Handfläche, wo sie vor einiger Zeit den Kristalldolch hinein gestoßen hatte.

Seufzend legte Lucien seine Hand auf der ihren. „Aus einem guten Grund.“

Weitere Tränen flossen über ihre Wangen. „Es tut mir so unendlich leid, Lucien. Ich hatte all das nicht gewollt“, schwor sie erstickt.

Ohne darüber nachzudenken, zog er sein dunkel braunes Shirt aus und zeigte seinen nackten Oberkörper. Eine weiße Narbe zeigte sich direkt über der Stelle, wo sein Herz schlug. In der Zeit hatte sich auch Emmanline aufgesetzt und sie wirkte vollkommen schockiert.

Lucien nahm Emmanlines Hand und legte sie auf seine Narbe. „Egal was andere denken oder glauben, aber ich sehe sie nicht als eine schlechte Erinnerung. Jedes Mal wenn ich sie anblicke, Emmanline, dann sehe ich darin nur, wie sehr du mich wirklich liebst. Wie sehr du mich beschützen wolltest und auch deine Kinder. Ich weiß was du riskiert und was es für dich gekostet haben musste. Wie sehr du hattest leiden müssen, obwohl ich dir helfen sollte. Ich bin meiner Pflicht nicht nachgekommen und habe versagt, aber es wird sich alles ändern“, umfasste Lucien mit einem ernsten Gesichtsausdruck ihr Gesicht. „Bitte, lass uns neu anfangen und mit dem beginnen, was wir jetzt haben. Diese Narbe soll ein Anfang für mich sein und ein Zeichen deiner Gefühle.“

 

Emmanline konnte ihre vielen Tränen nicht kontrollieren, je mehr sie in Luciens Augen blickte. Sie hatte ihm unendlich viel Leid angetan und sogar verletzt, dennoch wollte dieser unglaubliche Mann und Drache sie immer noch haben. Sie konnte es nicht recht glauben und doch wollte sie es. Sie wollte mit ihm ein Leben besitzen, weil er all das verkörperte, wonach sie sich verzerrte und sehnte.

„Ja“, schluckte Emmanline hart. „Ich will ein Leben an deiner Seite.“

Plötzlich pressten sich die festen Lippen von Lucien auf der ihren und sie erwiderte seinen gierigen Kuss. Egal wie lange sie fort gewesen war, aber sie wollte ihn genauso spüren. Ihre Sehnsucht war in all der Zeit so groß und stark geworden, dass sie es kaum noch ausgehalten hatte. Alles hatte Emmanline daran gesetzt wieder zu ihnen zurück zukehren, egal ob es gut oder schlecht geendet hätte.

„Genau das wollte ich hören, meine Liebste“, keuchte Lucien schwer an ihren Lippen. „Ich habe mich so sehr danach gesehnt, dich endlich wieder zu spüren. Es war so …“

Sanft legte Emmanline ihre Hände auf seine Wangen und blickte ihn liebevoll und entschuldigend an. „Ich weiß und es war genauso schwer, wie für mich. Doch ich musste es tun, wenn ich euch beschützen wollte.“

„Das wirst du mir ausgiebig erklären“, knurrte Lucien leise. „Doch jetzt will ich nachsehen, ob es dir wirklich gut geht und du nun endlich bei mir bleibst“, küsste Lucien sie wieder sofort und legte sich halb auf sie drauf.

Emmanline spürte, wie vorsichtig Lucien zu ihr war und sie schmolz regelrecht dahin. Sie konnte nicht anders, als diesem Mann und Drachen ihr Herz zu schenken.

„Oh ihr heiligen Götter, denkt man, es gibt eine erfreuliche Nachricht, dann bietet sich solch ein Anblick“, hörte Emmanline eine missbilligende Stimme, worin auch Humor mit schwang. „Ihr habt Kinder, also verschiebt das auf später.“

Errötend unterbrach Emmanline diesen sinnlichen Kuss und entdeckte Raiden an der Tür, der ihre beiden Kinder bei sich hatte. Wütend, aber mit blitzenden Augen blickte Luciens Bruder sie an und verdeckte den Zwillingen die Augen. Neben Raiden standen Lya, Cyrill, Malatya und die Zwillinge Taran und Lodan. Alle wirkten sie amüsiert, aber auch hocherfreut.

Ein freudiges Lächeln entstand auf Emmanlines Gesicht und sie wollte gerade aufstehen, als Lucien es ihr verbietet. Sie freute sich wahrhaftig auf alle, die ihr etwas bedeuteten. Doch fühlte sie sich auch gleichzeitig schuldig, welch Kummer und Leid sie gebracht hatte.

„Oh Emmanline“, kamen Lya und Malatya heulend zu ihr ans Bett und umarmten sie halb stürmisch, da Lucien noch immer liebevoll aufpasste.

Leider musste Emmanline feststellen, ihr Gefährte, was sich unglaublich für sie anfühlte, hatte sein Brust wieder mit einem Kleidungsstück verdeckt. Dabei hatte sie sich wahrhaftig nach ihm gesehnt. Sie sollte vor Scham vergehen, aber es fühlte sich richtig an.

Dennoch freute Emmanline sich auch auf diese herzliche und warme Begrüßung. Damit hätte sie wahrhaftig nicht gerechnet.

Adriana und Raziz kamen wieder auf das Bett geklettert, die sich jetzt in ihre Arme schmiegten. Am Anfang wirkte es eigenartig, aber sie verspürte ein freudiges Gefühl dabei. Es waren ihre Kinder, die nun Kontakt zu ihr suchten. Vieles hatte sich verändert. Sei es ihre Umgebung, ihr Wesen oder gar ihr ganzes Leben.

„Du hast uns ganz schön große Sorgen bereitet“, kam Raiden näher. „Aber schön, dass du wieder zurück bist“, lächelte er dann darauf, bevor er sich umdrehte und aus dem Zimmer verschwand.

Überrascht schaute sie ihm nach. „Danke.“

Verwirrt blickte sie zu Lucien, der nur leise lachend mit seinen Schultern zuckte. Emmanline kannte Luciens älteren Bruder nicht so heiter und erfreut.

„Raiden drückt es richtig aus“, meinte Lya. „Wir sind alle hoch erfreut, dich endlich wohlbehalten zurück zu haben. Wir haben uns wirkliche Sorgen um dich gemacht.“

„Es tut mir wirklich leid. Es war nicht meine Absicht gewesen“, antwortete Emmanline entschuldigend darauf.

„Und wie geht es dir?“, fragte Malatya, die wirklich erwachsen geworden war. „Du hast so viele Jahre geschlafen.“

Waren es wirklich Jahre gewesen? „Mir geht es wirklich gut. Und wenn ich euch alle so sehe“, begann Emmanline. „Keiner von euch hat sich verändert und doch spüre ich das Herzliche bei euch. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich das alles wieder gut machen soll“, senkte sie bedrückt den Kopf.

Taran schnaubte hinfällig. „Das ist vermutlich überflüssig. Du musst nur einmal aus dem Fester schauen.“

„Ja, und wenn du nicht langsam was dagegen unternimmst, werden wir noch alle verrückt“, sprach Lodan weiter.

Verwirrt schaute Emmanline zu Lucien, der noch immer auf der Bettkante saß und nun anfing laut zu lachen.

„Was ist hier los?“

Lucien musste sich zwingen mit dem Lachen aufzuhören, als er aufstand. „Hört jetzt auf. Emmanline ist gerade erst zu sich gekommen. Lasst sie für eine Weile in Ruhe“, scheuchte er sie alle aus dem Zimmer und schloss die Tür.

„Poppa ganz streng“, kicherte Adriana in Emmanlines Armen.

Eine Weile schaute Emmanline auf ihre Kinder und dachte einen Augenblick nach. Die ganze Zeit über hatte sie sich Gedanken gemacht, wie es wohl sein würde, wenn sie wieder zurück kehren würde. Viele Szenarien hatte sie sich ausgedacht, aber nicht solch eine, wo sie herzlich und willkommen aufgenommen wurde. Nicht einmal von ihren Kindern, die sie so ganz und gar nicht kannte. Trotzdem verspürte sie ein unzerstörbares Band zwischen ihnen, was sie mehr als verbindet. Emmanline konnte es deutlich sehen und es rührte sie fast zu Tränen.

„Wie sehr ich es vermisst habe“, erstickten Emmanline beinahe die Worte und nahm ihre Tochter und ihren Sohn jetzt richtig in den Arm. Wie oft wollte sie das schon tun? Unzählige Male hatte sie sich das erträumt und danach gesehnt.

„Willkommen Zuhause, meine Gefährtin“, sprach Lucien sanft und setzte sich wieder auf das Bett zurück.

Halb unter Tränen blickte sie zu dem wundervollen Mann auf, den sie zu lieben gelernt hatte. „Du hattest Recht, ich liebe dich wirklich“, brachte Emmanline zum ersten Mal die Worte ihrer Gefühle heraus. „Ich wollte es dir damals schon sagen, bevor alles schief gelaufen war. Seit ich bemerkte, dass ich schwanger war.“

„Nicht weinen“, rückte Lucien näher heran und nahm seine weinende Gefährtin und seine beiden Kinder in die Arme. „Ich habe es schon immer gespürt und ich hätte dir niemals einen Vorwurf gemacht. Wenn ich nur damals schon viel eher erfahren hätte, in welchen Zustand du gewesen warst, hätte ich ganz anders gehandelt. Ich trage genauso Schuld an allem und ich bereue es zutiefst. All die Monate musstest du alleine leiden und dann …“, unterbrach Lucien sich selbst.

Emmanline wusste sofort, worauf er hinaus wollte und das er von der Geburt ihrer Kinder sprach. Sicher war es all die Monate nie einfach gewesen, aber sie hatte immer gewusst, sie war nicht allein.

„Ich will nie wieder dorthin zurück.“

„Das wirst du auch nicht. Das werde ich nicht zulassen und auch kein weiterer Drache“, küsste Lucien sie liebevoll auf die Stirn. „Jeder würde dich mit deinem Leben beschützen.“

„Warum bist du dir da so sicher, nach allem was ich getan habe?“, wollte Emmanline wissen.

„Momma, schau aus dem Fenster“, antwortete Raziz.

Verwundert, warum alle davon sprachen, sie sollte aus dem Fenster schauen, löste sie sich von allen und stand von Bett auf. Zu Beginn war sie noch etwas wackelig auf ihren Beinen, aber gewöhnte sich schnell wieder an das Laufen. Selbst nach langer Zeit. Vorsichtig und langsam begab sie sich zum nächsten Fenster und blickte hinaus. Schockiert, was Emmanline dann da zu sehen bekam, stockte ihr der Atem. Ihre Augen wurden vor Staunen immer größer.

„W …was hat …das zu bedeuten?“, brachte sie gerade so noch heraus, während sie sich noch mehr aus dem Fenster beugte.

Überall wo Emmanline hinblickte und auch soweit das Auge reichte, tummelten Drachen in jeder Ecke. Auf jeden kleinen Hügel, freien Platz oder sogar auf Wiesen und in Wäldern. Wenn sie schätzen würden, müsste es an die tausende von Drachen sein. Selbst auf dem Vorhof des Schlosses war es befüllt.

Große starke Hände legten sich von hinten auf ihre Schultern. „Die sind alle deinetwegen hier, Emmanline. Seitdem wir dich gefunden haben, von da an versammeln sich Tag für Tag immer mehr Drachen hier um das Schloss. Nicht einmal ich bin bemächtigt sie fortzuschicken“, lachte Lucien leise darauf.

„Aber, ich verstehe nicht warum“, lehnte Emmanline sich wie selbstverständlich an Luciens Körper zurück.

„Du hast etwas bewirkt, was noch keiner geschafft hatte. Nicht einmal einer der mächtigsten Drachenkönige. Deine pure Anwesenheit lockt alle Drachen an und jeder einzelne von ihnen will dich beschützen. Ich kann dir nicht genau sagen, warum, aber du scheinst wie ein magnetisches Zentrum zu sein“, sprach Lucien weiter.

Da kam Emmanline auf eine Idee. „Es muss der Rubin sein“, wandte sie sich halb zu Lucien um. „Kurz bevor ich in diesen seltsamen Zustand geraten bin, habe ich den blutroten Rubin in mich aufgenommen. Ich bin mit ihm verschmolzen, da es eine Art Abkommen war.“

„Abkommen?“, schaute Lucien sie verwirrt an. „Ich verstehe jetzt vielleicht warum alle Drachen auf dich ansprechen, aber nicht diesen Teil.“

Kurz blickte Emmanline noch einmal aus dem Fenster, als sie ihren Gefährten wieder anschaute. „Als ich den Kristalldolch und dich mit einem Zauber belegt hatte, verbrauchte ich ein Großteil meiner Kraft. Darum hatte ich keine Energie mehr, um unsere Kinder in mir zu schützen, darum gab mir der Rubin die Kraft und deren inneren Leben. Sie alle halfen mir. Dafür habe ich beschlossen, sollte all das später vorbei sein, würde ich der Träger sein. Ich habe mich mit ihnen allen verbunden.“

„Dadurch das der Stein aus Drachenblut entstanden ist, bist du nun mit uns allen verbunden. Das wird vermutlich der Ruck verursacht haben“, redete Lucien halb flüsternd und nachdenkend vor sich hin.“Das erklärt einiges.“

„Was erklärt einiges?“, schaute sie ihn fragend an.

Jetzt war es an Lucien, der nachdenkend aus dem Fenster schaute. „Es erklärt, warum kein Drache dir etwas antun kann.“

Verwirrt blickte Emmanline ihren Gefährten an. „Wie, kein Drache kann mir etwas antun?“

„Seit wir dich aus den Fängen von diesem Verräter befreit haben, fanden wir heraus, egal wer böse Absichten dir gegenüber hegt, kann nicht in deine Nähe kommen. Es ist fast so, als hättest du eine unsichtbare Barriere um dich herum aufgebaut, der es jeden Drachen unmöglich macht, dir Schaden zuzufügen.“

Das klang in ihren Ohren fast bizarr, als Lucien ihr das so erklärte. Kein Drache könnte ihr je wieder schaden?

„Das würde auch erklären, wie ich dich in der Höhle vorgefunden habe. Als du einfach nur dagelegen hast, waren um dich herum tiefe Kratzer in den Wänden, aber du hattest keinen einzigen Kratzer an dir. Es hätte dich zerf …“, unterbrach Lucien sich selbst. „...verletzen müssen.“

Emmanline wandte ihren Blick von ihm ab und atmete einmal tief durch. „Wir reden später noch einmal darüber“, meinte sie und ging um ihren Gefährten herum und zu ihren Kindern, die geduldig auf dem Bett warteten. „Ich war solange fort, dass dies noch ein wenig warten kann. Ich möchte den Augenblick mit euch genießen“, lächelte sie Adriana und Raziz warmherzig an.

 

Eine Weile beobachtete Lucien Emmanline und die Zwillinge, wie sie auf dem Bett ausgiebig erzählten und miteinander spielten. So oft hatte er sich dieses Bild gewünscht und die letzten Jahre hätte er es auch nicht für möglich gehalten, das dieser Wunsch mit einer gemeinsamen Familie in Erfüllung gehen würde.

Lucien verspürte eine tiefsitzende Angst in sich, dass dieser Augenblick nur von kurzer Dauer war und doch sehnte er sich nach diesem fest anhaltenden Moment. Er wollte ihn nicht wieder verlieren und fragte sich, wie er es schaffen könnte, genau das zu erreichen. Das festzuhalten, was ihm lieb und teuer war.

Seine Familie …

„Lucien?“, vernahm Lucien Emmanlines Stimme in weiter Ferne und doch rüttelte es ihn wach.

Etwas überrascht schaute er seine über alles geliebte Gefährtin tief in ihre silbernen Augen und fragte sich erneut, wie er sie am besten halten konnte, ohne das sie eines Tages wieder verschwand.

Mit geschmeidigen Schritten kam sie auf ihm zu, da Lucien sich zwischenzeitlich in eines der bequemen Sessel gesetzt hatte, um die drei zu beobachten. Vor ihm blieb sie stehen und blickte ihn etwas besorgt an.

„Du bist so tief in Gedanken versunken, was beschäftigt dich?“, fragte sie einigen Sekunden ihrer Untersuchung nach.

„Dich“, antwortete Lucien ehrlich und zog sie in eine tiefe Umarmung, als verzweifelte er beinahe. „Du bist nach langer Zeit einfach so aufgewacht, dass ich befürchte, es gibt irgendeinen Haken dabei. Ich habe das Gefühl, jemand will dich mir wieder wegnehmen“, erzählte er offen heraus.

Emmanline stieß einen leichten Seufzer aus, als sie ihn jetzt selbst fest umarmte. „Ich werde nie wieder fortgehen, Lucien. Manchmal gibt es Augenblicke, die geschehen einfach und bleiben so, wie man sie erwartet. Doch…“, strich sie durch sein kurzes dunkles braunes Haar und sein Drache liebte ihre zärtlichen Berührungen. „…vermutlich ist es besser, wenn ich dir die ganze Geschichte erzähle und was mir in all den Jahren passiert ist. Wo ich gewesen war und wie ich überhaupt zu euch zurückkehren konnte. All das spielt eine wichtige Rolle, damit du mich und ich dich überhaupt fest in den Arm nehmen kann.“

„Wird es eine lange Geschichte?“

„Ich vermute schon“, gluckste Emmanline leise auf, wie er es schon so oft von Adriana vernommen hatte.

„Sehr gut, dann kann ich dich solange umarmt halten, bis du fertig bist. Die Kinder schlafen, wie ich höre und du hast jetzt Zeit für mich“, knurrte Lucien begierig auf, als seine Gefährtin nun vollkommen auf seinem Schoß saß.

Leise lachte Emmanline in seine Halsbeuge hinein und Lucien hatte wirklich diesen Klang ihres Lachen vermisst. Er konnte herrisch und besitzergreifend sein, aber er machte keinen Hehl daraus, wie sehr er seine Seelengefährtin vergötterte.

Wie füreinander geschaffen, schmiegte sich ihr schlanker Körper an seinen und es erregte Lucien ungemein, aber zügelte sein steigerndes Verlangen nach ihr. Wie sehr er sich jetzt eine heiße Nacht mit ihr wünschte, wollte er doch genauso erfahren, was in den letzten fünf Jahren ihrer Abwesenheit geschehen war.

 

5

Ihr Körper fühlte sich an, als würde er gleich von innen heraus verbrennen und Emmanline konnte nichts dagegen tun, um dieses Feuer in sich zu löschen. Es fühlte sich an, als würde heiße Lava durch ihren Körper strömen. Sie wusste, woher dieses Brennen in sich kam, aber konnte dagegen nichts unternehmen, seit sie diesen Rubin der Drachen in sich aufgenommen hatte. Die Hitze war unerträglich für sie und es raubte ihr schier den Atem.

Emmanline wusste auch, sie war in einen anderweitigen Zustand und trotzdem versuchte ihr Instinkt, den sie zum Überleben brauchte, gegen all das zu wehren. Gegen diese Hitze und das Feuer in ihr. Doch sie durfte nicht aufgeben, da sie ein Versprechen gegeben hatte. Sie musste es schaffen und ertragen. Egal wie sehr sie darunter leiden würde.
Ihr inneres Wesen, das Einhorn in ihr, versuchte Emmanline immer wieder zum Bewusstsein zurufen. Sie konnte ihr Wesen direkt unter ihrer Haut spüren und wie es wild um sich kämpfte. Trotzdem durfte sie dem nicht klein beigeben und musste vollkommen mit dem eins werden, was sie in sich aufgenommen hatte.
In sich zusammengekauert, erlag Emmanline der großen Macht dieses Rubins. Ohne jegliche Wehr ergab sie sich all dieser Energie und erkannte jetzt erst, wie groß das Herzblut dieses Rubins der Drachen war. Es war nicht wunderlich, da all das ursprüngliche Leben in ihnen wohnte. All die Seelen, die sich darin verbargen und kommen sollten.
Völlig erschöpft und all ihrer Kräfte beraubt, lag Emmanline noch immer in einen zusammengerollten Zustand, den sie nicht so schnell verlassen konnte. Daher beschloss sie für eine Weile in dieser Form zu bleiben, bis sie wieder etwas Kraft geschöpft hatte. Es könnte sich durchaus als schwierig erweisen, aber sie hatte in diesem Augenblick keine Reserven, um sich überhaupt zu bewegen oder irgendetwas zu tun. Sie war einfach nur ausgelaugt.
Hin und wieder versuchte, Emmanline ihre Augen zu öffnen, aber sie registrierte nur das Dunkle um sich, als würde sie es nicht schaffen ihre Lider heben zu können. Sie spürte nichts und manchmal erdrückte es sie beinahe, wenn nicht die Hoffnung in ihr tief verankert wäre, eines Tages wieder zu Lucien zurückzukehren und zu denen, die sie zu lieben gelernt hatte. Sie wollte alle wieder sehen, mit ihnen reden und alles um sich spüren. All nach dem sehnte sie sich und hielt ihren Willen fest darauf konzentriert, nicht aufzugeben.
Jedes Mal wenn die Verzweiflung Emmanline am Rang des Wahnsinns brachte und den Mut verlor, erinnerte Emmanline sich daran, welch schöne Erinnerungen sie erlebt hatte und noch auf sie zukommen könnten, beruhigte sich ihr inneres Wesen wieder. Doch sie wusste nicht, wie lange sie noch durchhalten würde, denn ihre größte Befürchtung war, dass es am Ende keinen Weg mehr zurückgeben würde.
Irgendwann, Emmanline wusste nicht, wie viel Zeit mittlerweile verflossen war, aber sie spürte etwas Warmes auf ihrer Haut. Als würden Sonnenstrahlen sie erwärmen und es fühlte sich unglaublich gut an. Ihre Energie kehrte mit einem Mal immer mehr zurück und sie konnte nicht den innerlichen wohligen Seufzer unterdrücken. Sie genoss es einfach und dachte nicht darüber nach, weil sie diesen Moment der Wohltat genoss und zu schätzen wusste.
Emmanline öffnete erst dann schlagartig ihre Augen, als sie eine leichte Berührung auf ihrem Oberarm spürte und eine warme weibliche Stimme ihr riet, sie könne ihre Augen öffnen.
„Du bist in Sicherheit“, erklang diese weibliche und warme Stimme erneut.
Das Erste, was Emmanline wahrnahm, als sie ihre Augen geöffnet hatte, war, sie lag auf einer weiten saftigen grünen Wiese und der strahlend blaue Himmel erstreckte sich über sie in weite Ferne. Noch immer lag sie seitwärts und doch konnte sie das weite grüne Land erkennen, das sich vor ihr ausdehnte. Alles wurde durch ein stetig warmes Sonnenlicht erleuchtet, welches sie wie weicher Samt auf ihrer Haut spürte.
Ihr Herz schlug von jeder Sekunde immer schneller und in ihr verspürte sie einen nichtsahnenden Drang aufzuspringen und sofort loszurennen. Nicht vor Angst und Furcht, vielmehr um das Weite und Freie zu genießen, was vor ihr lag. Emmanline wollte ihrem Wesen und dem Einhorn in sich die Freiheit lassen. Sich frei zu entfalten und das genießen, was vor ihr lag.
Dieses sonnige und grüne Land, indem sie sich gerade befand, dort verspürte sie etwas verbundenes und eine gewisse Zugehörigkeit. Sie fühlte sich fast, ... als wäre sie Zuhause.
Emmanline ignorierte fürs erste ihr großes Bedürfnis zu rennen und wandte sich der weiblichen Stimme zu, die hinter erklungen war. Mit einer einzigen Bewegung wandte sie sich um und erstarrte in ihrer Bewegung, als sie in das Gesicht dieser Frau blickte, die sie warmherzig und lächelnd anschaute. Es war nicht die Person, worüber sie so schockiert war, sondern vielmehr ihr Erscheinen.
Ihr Haar war schneeweiß, milchige Haut und ihre Augen in reines Silber getaucht. Ihre Statur war schlank und grazil. Als würde Emmanline sich glatt selbst erblicken. Doch, dies konnte unmöglich sein.
„Ich freue mich, dich endlich kennenzulernen, Emmanline. Mein Name ist Neria“, lächelte sie Emmanline warmherzig an und doch fühlte sie sich leicht damit überfordert.
Ruckartig sprang Emmanline auf ihre Füße und trat ein paar Schritte zurück. Unmengen von Gefühlen stürmten auf sie ein und sie blickte sich um, damit sie sicher sein konnte nicht noch mehr unvorbereitete Überraschungen zu bekommen.
„Ich kann dich verstehen, wie überraschend das jetzt für dich alles kommen mag, aber …“
„Nichts weißt du“, wehrte Emmanline die Worte der Frau ab, die ihr zwar zum verwechseln ähnlich sah, aber keineswegs kannte. „Was hat das alles zu bedeuten? Wo bin ich hier?“
Die ganze Zeit über blieb das Lächeln in dem Gesicht dieser Frau bestehen und sie schien eine unendliche Geduld aufbringen zu können. „Du bist hier auf einer Ebene, die sich Sunora nennt.“
„Von dieser Ebene habe ich noch nie etwas gehört“, obwohl Emmanline schon eine Menge gelernt hatte, um einen mindesten Anteil zu wissen, was irgendwo existierte.
Leise lachte die Frau. „Du kannst von ihr nie gehört haben, weil diese Welt praktisch nicht existiert. Nicht in der normalen Welt und auch in keiner anderen. Sunora existiert nur für uns und nicht für andere Lebewesen, da wir sie selbst erschaffen haben. Du bist ein Teil von ihr und hast somit zutritt zu ihr.“
Verwirrt schaute Emmanline sie an, je mehr sie ihr zuhörte. „Bedeutet es, es gibt noch mehr, die so sind wie ich?“
„Oh ja, Einhörner sind hier ein Bestandteil dieser Ebene. Dies ist unser Zuhause.“
Darum fühlte sie einen gewissen Teil einer Zugehörigkeit. Langsam schien Emmanline zu begreifen.
„Doch dazu später mehr. Wenn ich dich nicht hierher gerufen hätte, wärst du innerlich beinahe ausgebrannt. Ich konnte dein Einhorn rufen hören. Darum habe ich dich hierher geholt. Es war in großer Not gewesen“, kam Neria einige Schritte auf sie zu.
Von ihr ging keine Bedrohung aus, aber sie fühlte sich trotzdem nicht ganz wohl in ihrer Nähe. „Warum jetzt? Warum bin ich jetzt hier, wenn mein Wesen stets in einer Gefahr geschwebt hatte?“, konnte Emmanline diese Fragen nicht unterdrücken, da sie immer gedacht hatte, sie wäre die Einzige Überlebende ihrer Art.
Zumal hatte Emmanline gewusst, in welcher Not sie sich befunden hatte, aber sie wollte es durchstehen. Egal was es sie gekostet hätte. Doch wenn sie nur daran dachte, all die Zeit, in der sie Schmerz und Angst erleiden musste, waren sie nicht gekommen, um sie zu holen. Warum nicht? Oder bei ihrer Mutter? Sie war selbst ein Teil dieser Wesen. Noch mehr als sie selbst es je gewesen war.
Der Blick der Frau veränderte sich ein wenig und sie wirkte leicht bedrückt. „Wir konnten es nicht und was mit deiner Mutter geschehen ist …“, schien unendlicher Schmerz sich in den Augen von ihr widerzuspiegeln. „So hätte das niemals geschehen dürfen.“
„Dürfen?“, klang Emmanlines Stimme leicht entsetzt. „Was soll das? Ist das eine Art Vorherbestimmung?“
Neria schüttelte leicht ihren Kopf und in dem Augenblick wirkte sie unglaublich alt. „Dieses Leben hatte sich deine Mutter selbst ausgesucht und wir konnten da nicht eingreifen. Wir durften es nicht.“
„Welche Verbindung hast du zu meiner Mutter?“, wollte Emmanline unbedingt wissen. Sie musste es wissen.
Leicht verbittert blickte die Frau Emmanline an, als versuchte sie dieser Frage aus dem Weg gehen zu wollen. „Adriana war meine Tochter gewesen.“
Emmanline Herz blieb mit einem Mal stehen und sie schaute diese Frau schockiert an. „Oh mein Gott“, wurde ihr auf einmal schlecht und sie musste noch ein paar Schritte zurückweichen. Als wenn ihr das nicht schon zu viel gewesen war, dass sich ihr Vater, der Elfenkönig, zu erkennen gegeben hatte, kam nun das?
Vor ihr sollte ihre Großmutter stehen?
Ihr wurde wirklich übel und ihre Gedanken überschlugen sich in einem Chaos, den sie nicht zu beherrschen vermochte. War das eine Art Scherz und Bestrafung für sie, dass plötzlich sich ihre Familien zu erkennen gaben, wovon sie ihr ganzes Leben keine Ahnung gehabt hatte? Wenn ja, war es ein grausamer Scherz und nicht lustig.
Das waren zu viele Dinge auf einmal und Emmanline befürchtete, keine klaren Entscheidungen mehr treffen zu können, wenn alles auf einmal kam. Selbst ihre Worte.
„Warum ausgerechnet jetzt?“, erstickte Emmanline beinahe an ihren Worten, denn sie konnte es nicht akzeptieren, dass sie ihre Mutter und sie einfach im Stich gelassen hatten, obwohl sie die Fähigkeiten besaßen, ihnen zu helfen. Das machte für sie keinen logischen Grund, denn sie war es, die all die Jahre und ihr Leben darunter gelitten hatte.
Seufzend wandte Neria ihren Blick Richtung blauen Himmel. Anscheinend war es selbst für sie keine angenehme Situation. „Ich würde dir gerne die ganze Geschichte erzählen, aber nicht hier. Was damals geschehen war und aus welchem Grund wir nicht helfen konnten.“
Emmanline schüttelte mit ihrem Kopf. „Ich kann nicht“, machte sie noch mehrere Schritte zurück. „Gerade brauche ich kurz ein wenig Freiraum. Bitte“, wehrte sie die Frau ab, die näher treten wollte und Emmanline rannte einfach davon.

Neria schaute Emmanline hinterher und sie konnte verstehen, wie groß der Schock in ihr sein musste. Egal wie schmerzhaft die Wahrheit war, aber es war die richtige Entscheidung. Darum gab sie ihr den Augenblick der Freiheit, den sie forderte und sie konnte ohnehin nirgendwohin.
„Meinst du, es ist gut, wenn du sie einfach gehen lässt?“, hörte Neria eine männliche Stimme hinter sich, die sie ihr ganzes Leben schon kannte.
Seufzend drehte sie sich zu ihm um und blickte ebenso in silberne Augen und sein Haar war genauso schneeweiß wie ihres. Dies waren die äußeren Merkmale der Einhörner, wenn sie in menschlicher Gestalt waren. Genauso wie ihre helle Haut.
„Sie kann nirgendwohin, Nolan. Ich glaube, wir geben ihr erst einmal die Zeit um sich zu ordnen“, schaute sie ihren Mann und Gefährten an. „Sie war ihr ganzes Leben lang alleine und wenn sie genug hat, wird sie zurückkommen. Ihre Neugier wird sie wiederkehren lassen.“
„Ich befinde das noch immer nicht als eine gute Idee, dass du sie hierher geholt hast, Neria. Wir haben nicht umsonst diese Ebene für uns geschaffen. Nicht einmal, um Flüchtlinge aufzunehmen“, missbilligte Nolan ihre Entscheidung.
Etwas finster schaute sie ihren Gefährten an. „Du hast mir damals schon verwehrt meiner Tochter zu helfen, als sie in der Not war und sie hat es mit ihrem Leben bezahlt. Ich werde nicht noch einmal den Fehler machen und es bei ihrer Tochter tun, wenn sie es am dringendsten braucht. Gerade weil Adriana alles für sie geopfert hatte“, klang große Wehmut in ihrer Stimme und es zerriss ihr fast das Herz, wenn sie an den Tod ihrer Tochter zurückdachte. „Du kannst nicht von mir verlangen, all das noch einmal erneut durchzumachen.“
„Du warst damals der gleichen Meinung gewesen und es hatte nun einmal Opfer erfordert“, widersprach Nolan ihr. „Auch mein Herz hatte geblutet, Neria, aber wir alle wussten, welche Konsequenzen es mit sich bringt und Adriana hatte sich damals für einen anderen Weg entschieden, als den wir gegangen waren. Das mussten wir akzeptieren, sowie sie jetzt nicht mehr am Leben ist.“
„Trotzdem werde ich nicht noch einmal zusehen.“
Seufzend schüttelte Nolan mit seinem Kopf und schien aufzugeben. „Ich hoffe nur, du tust nichts Verkehrtes, meine Liebe. Wir können uns keine Verfehlungen leisten. Wir haben zu viel aufgegeben und geopfert, als das in einer kleinen Sachen alles kaputt zu machen. Ein ganzes Volk hängt davon ab.“
Traurig schaute Neria in die Richtung, wo ihre erst neugewonnene Enkelin verschwunden war. Sicher nagten große Zweifel in ihr, aber sie konnte nicht anders, als dem Hilferuf von ihr zu folgen. Ihr Einhorn drängte sie permanent dazu, dass es sie beinahe krank gemacht hatte.
Schon damals, als Adriana dem Tode geweiht war, durfte und konnte sie nichts tun. Egal wie sehr es sie zerrissen hätte und beinahe wäre sie an dem Tod ihrer Tochter zerbrochen. Jedes Leid was Adriana verspürte, hatte selbst sie gefühlt. Es war furchtbar und grausam gewesen.
Sooft hatte Neria qualvolle Tränen vergossen, bis es endgültig vorbei war und nur noch die Leere in ihrem Herzen zurückblieb. Ab da an war sie sich sicher gewesen, sie hatte ihre Tochter für immer verloren.

Emmanline wusste nicht wie lange sie über die große und weite grüne Wiese rannte. Doch sie verspürte den Drang einfach nur zu laufen. Einfach immer weiter und sie wusste nicht mehr, woher sie all diese Kraft hernahm, aber sie empfand keine Erschöpfung in sich. Sie fühlte sich sogar wunderbar dabei.
Erst einige Zeit später nahm Emmanline von ihrer Umgebung immer mehr wahr und prägte sich alles ein, was sie nur konnte. Das Erstaunlichste für sie war, alles wirkte recht normal und machte keinen besonderen Eindruck auf sie, würden nicht drei Sonnen am Himmel stehen, die alles in eine wohlige Wärme tauchten. Es war keineswegs heiß, sondern angenehm sommerlich, dass ihre Haut davon leicht prickelte. Sie mochte es und ihr inneres Wesen schien es zu lieben.
Seufzend blieb sie stehen und reckte ihr Gesicht mit geschlossenen Augen gegen das Sonnenlicht. Ein leichter Windzug kam auf und wehte ihr über Haut und durch ihr Haar, was sie regelrecht entzückte.
Zwar konnte Emmanline noch immer nicht glauben, wo sie sich befand und das sie eben erst die Mutter ihrer Mutter kennengelernt hatte, aber immerhin konnte sie ihre Gedanken etwas ordnen. Selbst einen klaren Gedanken fassen.
Ihr ganzes Leben hatte sie wirklich stets gedacht, sie wäre immer alleine und von ihrer Familie lebte niemand mehr. Jetzt wusste sie, wie sehr sie sich geirrt hatte. Sowohl ihr Vater lebte und ein Teil von ihrer Mutters Seite existierte ebenso. Sicher verwirrte es sie und machte sie zum Teil auch etwas wütend, wenn sie ehrlich war, aber niemand konnte noch etwas daran ändern, wie es jetzt war. Oder etwa nicht?
Langsam öffnete Emmanline wieder ihre Augen und senkte ihren Blick, als sie eine Herde Einhörner vor sich vorbeirennen sah. Es mussten an die dreißig sein und doch schockierte dieser Anblick sie.
So viele?
Stets hatte Emmanline gedacht, sie wäre das einzige Wesen ihrer Art und doch sah sie jetzt eine ganze Herde. Dies musste ein Traum sein und doch wurde der Gedanke wieder zunichtegemacht, als einer dieser Einhörner stehen blieb und sie anblickte. Einige Sekunden lang, bis es den anderen Einhörnern wieder hinterher stürmte.
Verwirrt schaute sie den Wesen nach und verspürte selbst einen leichten Drang, ihnen zu folgen und mit ihnen zu rennen. Einfach so und doch blieb Emmanline wie angewurzelt stehen. Etwas in ihr hinderte sie daran und es fühlte sich zum Teil doch falsch an. Richtig falsch, als wäre dieser Ort nicht der Richtige für sie.
Erst bei diesen Gedanken fühlte Emmanline eine hauchzarte Berührung auf ihrer Wange, als würde der Wind darüber hinwegstreichen, aber es ging in diesem Augenblick kein Wind. Leicht berührte sie diese Stelle an ihrer Wange. Ab da an wusste sie es und ihr Herz blieb fast vor Sehnsucht stehen.
Lucien, war es ihr einziger Gedanke und plötzlich verspürte sie ein entsetzliches Sehnen nach ihm, dass es sie schier zerreißt. Sie konnte ihn fühlen, sowie seinen unendlichen Kummer, der in plagte. Um sie und es bekümmerte sie. Lucien litt Qualen um sie, als wären es ihre eigenen.
Schmerzhaft legte Emmanline eine Hand auf ihr Herz und sie verspürte die Verbundenheit mit ihm. Trotz dieser Entfernung konnte sie seine Berührungen und Gefühle spüren. So intensiv und tief, dass sie sich vor Sehnsucht nach ihm sich verzerrte. Sie wollte wieder zu ihm zurück und das jetzt noch ehrgeiziger als zuvor.
Fragend und sich umschauend, fragte Emmanline sich, wie sie es schaffen könnte, von diesen besonderen Ort fortzukommen. Es war nichts weiter als grünes Land, soweit das Auge reichte. Da sie diese Welt nicht kannte, musste sie wieder zurückkehren. Zu ihrer Sogenannten ... Großmutter.
Der Rückweg dauerte länger, als Emmanline geahnt hätte. Es war nicht so, dass sie nicht den Weg zurück kannte, aber diesmal nahm sie sich eindeutig mehr Zeit. Nicht um die Landschaft und Schönheit zu betrachten, sondern viel mehr, wie sie einen Rückweg zu denen fand, die sie liebte. Ihre Gedanken kreisten nur darum, eine Lösung zu finden. Emmanline konnte es sich nicht so leicht vorstellen, wie sie eigentlich hierher gekommen war. Dieser Ort war etwas besonderes und einzigartiges, als das ein Entkommen so leicht wäre. Nicht umsonst existierte diese Welt im Verborgenen, ohne das jemand davon wusste.
Doch sie wäre, wie Neria es andeutete, nicht ein Teil davon, wenn sie keinen Weg finden würde. Immerhin war Emmanline fest entschlossen. So fest, dass sie nichts anderes akzeptieren würde. Wie schön diese Welt auch mit ihren vielen Besonderheiten und Vorteilen hatte, aber sie gehörte einfach nicht hierher. Dies war nicht ihr Ort und auch nicht ihr Leben, wo sie es verbringen wollte.
„Du bist wieder zurückgekehrt“, war es keine Frage von ihrer Großmutter, die ihr nun wieder gegenüber stand, als hätte sie auf sie gewartet und Emmanline schreckte aus ihren Gedanken auf.
„Du wusstest, das ich zurückkehren würde. Mir würde keine andere Wahl übrig bleiben, wenn ich wieder nach Hause zurückwill“, blickte Emmanline Neria mit festen Blick an.
Überrascht schaute die Frau sie an. „Du willst wieder zurück?“
„Natürlich. Ich möchte wieder dorthin, wo ich hingehöre“, atmete Emmanline tief ein und aus. „Dies ist ein schöner Ort, aber ich gehöre nicht hierher. Wie sehr ich mich bemühe oder versuchen würde, aber ich könnte es niemals als mein Zuhause betrachten.“
Gerade wollte Neria etwas darauf erwidern, aber jemand kam ihr zuvor.
„Niemand kann von Sunora weg.“
Überrascht schaute Emmanline über ihre Schulter und sah einen hochgewachsenen jungen Mann, der eine schmale Statur hatte. Silberne Augen und schneeweißes kurzes Haar. In seinem Blick erkannte sie, er war nicht jung vom Alter her, sondern nur vom äußeren Schein her. Seine Augen verrieten etwas ganz anderes.
„Inwiefern nicht weg?“, fragte Emmanline bedacht.
„Ganz einfach“, kam er näher und ging um sie herum, damit er sich neben Neria stellen konnte. „Dies ist ein Ort, einmal hier, gibt es kein Zurück mehr. Normalerweise nehmen wir keine Außenstehenden auf und doch ließ sich meine Gefährtin dazu erweichen, dich hierher zu holen, obwohl es strengstens verboten ist. Niemand darf das“, sagte der Mann es in einem gleichgültigen Ton, dass Emmanline sofort verstand.
„Nolan, bitte“, bat Neria ihn wehmütig.
„Nein, Neria, sie muss von Anfang an verstehen, was sie hier erwartet und wie ihre Aussichten sind. Es wird kein Ausweg von Sunora geben. Du hast sie hierher geholt und nun müssen wir damit umgehen und Verantwortung dafür tragen. Trotz des Verstoßes.“
Emmanline hörte einen Augenblick des Wortwechsels zwischen den beiden zu, solange, bis sie genug davon hatte. „Ich habe nie verlangt, dass ihr mich hierher holt. Ich habe nicht einmal gewusst, das aus meinem Volk noch irgendjemand existiert. Sowohl aus dem Volk der Einhörner, noch der Elfen. Alle sprechen davon, sie seien ausgelöscht worden oder verschwanden spurlos von der Welt“, schaute sie die beiden unbewegt an. „Meine Mutter lehrte mich vieles und doch sollte ich es verbergen. Wer ich wirklich bin und das habe ich stets getan. Mein zweites Ich tief in mir verborgen. Mein ganzes Leben lang habe ich mich versteckt und ich dachte, es würde für immer so sein. Jetzt wo ich weiß, es gibt einen anderen Weg, werde ich nicht eher aufgeben, bis ich diesen Weg gefunden habe. Egal wie lange ich dafür brauchen werde. Oder wie oft sich mir einer in den Weg stellt, ich werde von hier fortgehen.“
Lange blickten Neria und Nolan sie an und hielt auch ihre Blicke stand. Nolan war der Erste, der sein Gesicht von ihr abwandte und schweigend davon ging. Bis dann auch Neria ging.

Viele Tage vergingen. Vielleicht auch Monate. Emmanline wusste es nicht genau, da sie keine Berechnungen anstellen konnte. Die drei Sonnen gingen nie unter und es war stets hell erleuchtet. Es fühlte sich fast so an, als würde es keine Zeit geben. Für sie war es ungewöhnlich und oft starrte sie einfach nur in den Himmel, als wartete sie auf etwas. Das womöglich kommen würde. Oder auch nicht ...
„Gibst du die Hoffnung auf?“, war es Nolan, der seit dieser ganzen Zeit als Erstes zu ihr kam. „Du sitzt die ganze Zeit nur hier an einer Stelle.“
„Stört es, dass ich das tue?“, antwortete Emmanline stattdessen und blickte weiter in den strahlend blauen Himmel.
Es stimmte, was Nolan sagte. Seit er und Neria gegangen waren, war Emmanline kein Schritt mehr gegangen. Sie hatte sich einfach auf die Wiese gesetzt und darüber nachgedacht, wie sie von diesen Ort fortkam. Vielleicht hatte sie es sich einfacher vorgestellt, dennoch würde sie nicht die Hoffnung aufgeben, nach einer Lösung zu finden.
Nolan stieß hinter ihr ein schwaches Seufzen aus. „Du bist genau wie deine Mutter.“
Überrascht blickte Emmanline diesen Mann an, der mit ihr blutsverwandt zu sein schien, dennoch für sie fremd war.
„Schaue mich nicht so überrascht an. Ich habe meine Tochter geliebt, aber sie hatte ihren eigenen Kopf gehabt und dennoch konnte ich am Tag ihres Todes nichts für sie tun. Adriana hatte ihren Weg gewählt und sie hatte gewusst, welches Schicksal sie erwartet, wenn sie sich für deinen Vater entscheidet. Und doch ging sie, nur um ihr eigenes Glück zu erfahren“, erzählte Nolan ihr und dieses Mal wirkte er nicht abweisend und kühl.
Emmanline konnte auch sehen, wie sehr er auch seine Tochter geliebt hatte, bevor sie gegangen war. Seine Augen sprach in diesem Augenblick viel.
„Sie ist den Weg für die Liebe gegangen“, sagte Emmanline leise und blickte in die Ferne. Noch immer bewunderte sie die herrliche grüne Weite und Aussicht, sowohl den Himmel mit den drei Sonnen. Aber sie hatte stets das starke Gefühl, etwas fehlte ihr. Tief im Inneren vermisste sie etwas.
„Alarion, dein Vater, war ihr wahrer Seelengefährte und trotz der damaligen Umstände und Gefahren, die unserem Volk drohte, blieb sie bei ihm. Sie wäre niemals mit gekommen, egal wie sehr wir versucht hätten, sie umzustimmen. Doch du kannst hierbleiben, in Sicherheit und unter deinesgleichen.“
War Emmanline das wirklich? Unter ihresgleichen? Immerhin war sie zur Hälfte eine Elfe. War es dann so leicht, von allen akzeptiert zu werden?
Seufzend stand Emmanline auf und drehte sich zu Nolan um. „Wie wunderschön und einzigartig das hier alles ist, aber ich kann hier nicht bleiben. Jemand wartet auf mich und ich will zurück.“
„Auch wenn du weißt, was du dort für Schmerz und Leid erfahren hast?“
„Selbst dann“, gab sie ohne zögern zu. Lucien war ein Teil von ihr und sie konnte ohne ihn nicht mehr leben. Das wusste Emmanline schon längst, aber hatte es sich noch nie wirklich eingestanden, als wie es jetzt der Fall war. Sie vermisste ihn, sodass ihr Herz vor Sehnsucht wehtat. Sogar fast blutete.
Nolan blickte sie eindringlich an. „Du hast deinen Seelengefährten gefunden, nicht wahr? Es steht in deinen Augen, welche Sehnsucht dich vorantreibt.“
„Ja, ich habe ihn gefunden und doch ist es mehr als das. Ich will mich nicht verstecken. Wenn man mich vorher gefragt hätte, dann wäre ich ohne zu zögern geblieben, aber etwas hat mich verändert und ich muss dorthin zurück, wo ich Zuhause bin“, lächelte Emmanline fast schmerzhaft und doch liebevoll.
„Nolan, wir müssen es einsehen, wir werden sie hier nicht halten können“, kam Neria hinzu und stellte sich neben ihren Gefährten, wobei sie erfahren hatte, das er ihr Großvater war. Noch immer begriff Emmanline nicht, diese beiden waren ihre Großeltern und ein Teil ihrer Familie. „Wir müssen sie gehen lassen.“
Leicht horchte Emmanline auf und war es so einfach, dass sie hier fortkam? Immerhin hatten sie am Anfang ja beteuert, sie käme nicht mehr von diesem Ort fort. Und anscheinend bemerkten die Beiden ihren fragenden Gesichtsausdruck und kamen ihr zuvor.
Neria kam auf Emmanline zu und legte eine Hand sanft an ihre Wange, während sie sie liebevoll anblickte. „Eine Möglichkeit besteht, dass du wieder zurückkehren kannst, meine Liebe“, zog sich auch ein trauriger Zug über ihr Gesicht. „Eigentlich bist du nicht ganz hier. Nicht wirklich anwesend.“
Etwas verwirrt schaute Emmanline die Frau vor ihr an, die lieb und sanft war. Sie ließ alle ihre Berührungen zu, die sie ihr gab, wobei sie ihr aufmerksam zuhörte.
„Irgendwas musste bei dir passiert sein, bevor ich dich spüren konnte. Denn du bist nicht ganz anwesend hier auf Sunora. Nur dein Geist ist es. Irgendwo in einer anderen Welt befindet sich dein Körper. Wir hätten ihn herholen können, wenn du es gewollt hättest, aber deine Sehnsucht liegt wo ganz anders. Wir können dich hier nicht halten“, entstand ein trauriges Lächeln, auf dem Gesicht von Neria. „Du bist meiner Adriana so ähnlich, aber dennoch unterscheidet dich etwas. Nicht, weil in dir noch ein anderes Wesen innewohnt, sondern du hast dich zu etwas entwickelt, was dich unglaublich stark macht. Deine Mutter besaß auch eine solche Stärke, aber sie war anders. Vielleicht können wir eines Tages davon profitieren, wenn wir es dürfen.“
Emmanline war etwas sprachlos über die Worte ihrer Großmutter, aber lächelte dann und umarmte sie. „Natürlich“, konnte Emmanline es ohne bedenken sagen und blickte zu Nolan, der etwas abseits stand. War auch er damit einverstanden und ließ sie so einfach gehen? Genau in diesem Augenblick kreuzten sich ihre Blicke und sie konnte keine Missbilligungen in ihnen erkennen. Vielleicht hatte Emmanline in dieser Zeit hier, ihre Urteile zu schnell gepfählt. Vielleicht hatte sie einfach überreagiert und ihren Frust Luft gemacht. Eigentlich war das nicht ihre Art. All das, wo sie sich befand. In dieser schönen Welt und wo die Einhörner nun lebten. Dies war ihr neues Leben, ihre Zuflucht, wo sie sich vor allen Gefahren schützten. Dabei wusste Emmanline es besser. Sie wusste, wie gefährlich es war und welches Geheimnis sie in sich bargen und versuchten es zu schützen. Sie durfte es nicht einfach so abtun, denn irgendwo war sie ein Teil davon.
Dankend lächelte Emmanline ihren Großvater an, der nun etwas überrascht wirkte. „Danke, dass ihr mich gehen lässt“, rückte sie von Neria etwas ab. „Selbst wenn diese Welt verborgen und unerreichbar liegt, hoffe ich doch, dass wir uns eines Tages wiedersehen. Ich würde euch dann gerne etwas zeigen und euch einigen vorstellen. Ich würde euch auch gerne zeigen, dass sich etwas geändert hat“, hob sie leicht ihre Schultern, da sie wusste, wie unglaubwürdig es klingen mag. Dennoch waren Jahrtausende über Jahrtausende eine lange Zeit, indem sich Veränderungen bewegten.
Darum verabschiedete Emmanline sich mit keinem Lebwohl von ihnen, weil sie hoffte, ihre Großeltern wirklich irgendwann wiederzusehen. Und sie glaubte nicht, wie einfach es jetzt war. Einfach so verschwand die Welt vor ihr und kehrte in die Dunkelheit zurück. Doch sie währte nicht ewig, als sie mit mühe ihre Augen öffnete und die weinenden Gesichter, derer sah, die sie so sehr liebte.

 

„Bei den Göttern“, schaute Lucien Emmanline an und schien immer noch das zu verarbeiten, was sie ihm da gerade erzählt hatte. „Ich habe mir wirklich schon vieles überlegt, aber das übersteigt doch meine Grenzen“, hatte er sich zurückgelehnt und wirkte noch erstaunt darüber.
Emmanline lächelte ihn an. „Das war selbst ich und dachte, es wäre vielleicht nur ein Traum gewesen, aber tief in mir drinnen, weiß ich, es war real. Dabei dachte ich immer, ich wäre komplett alleine“, lachte sie kurz auf, als sie seinen trüben Gesichtsausdruck bemerkte. „Nicht einsam, Lucien. Ich meine alleine, von meiner Art. In dieser Welt waren so viele Einhörner und anfangs hatte ich wirklich das Bedürfnis gehabt, mit ihnen laufen zu wollen. Mich zu verwandeln und zu rennen.“
Sanft strich Lucien über ihre weiche Wange. „Ich verstehe dich schon, meine Liebste. Es ist wie bei uns. Wir Drachen mögen es zwar mal alleine zu sein, aber wir lieben das gemeinsame Fliegen miteinander. Ich verstehe deinen Drang darin und es tut mir lei...“, unterbrach Emmanline ihn, als sie einen Finger auf seine Lippen legte.
„Entschuldige dich nicht dafür. Ja, ich hatte ein starkes Bedürfnis danach, aber meine Sehnsucht wieder dorthin zu kommen, wo du und unsere Kinder waren, war noch größer als alles andere. Dies ist mein Zuhause. An deiner Seite, Lucien, und dahin würde ich gerne immer wieder zurückkehren, egal was es sein mag“, umarmte sie ihn so fest, dass Lucien beinahe die Luft wegblieb. Selbst sein Herz ging bei ihren Worten auf und machte ungeahnte Sprünge.
„Auch du bist mein Zuhause, Emmanline. Von daher würde ich mir immer wünschen, dass du nach Hause zurückkommst“, umarmte Lucien sie auch fest, aber Bedachte sie nicht zu erdrücken. Genau das hatte er schrecklich vermisst. Ihre Nähe, ihre Stimme und ihren Duft.

 

Am nächsten Morgen war Emmanline schon zeitig auf den Beinen, zumal sie überhaupt nicht mehr schlafen konnte. Sie war so lange weg gewesen und in ihr war das Bedürfnis sich nur zu bewegen. Einfach laufen, selbst wenn es nur auf dem Gelände war. Doch bevor sie das Zimmer verließ, schaute sie auf Lucien hinab, der noch immer im Bett schlief. Er war furchtbar müde gewesen, dass es ihr schon unheimlich leidgetan hatte, denn sie wusste, in all der Zeit, wo sie geschlafen hatte, hatte er kaum ein Auge zu getan. Das alles musste ihn entkräftet haben. Darum konnte sie das Zimmer noch immer nicht verlassen, denn wenn sie das tat, würde Lucien sofort wach werden und sich unheimliche Sorgen machen. Sie konnte es fühlen und spüren, wie stark sie miteinander verbunden waren.
Selbst das entlockte Emmanline ein zartes Lächeln, welches sie weicher werden ließ. Vor allem wie sich die Zwillinge an ihrem Vater schmiegten und ebenfalls friedlich dalagen. Es rührte sie beinahe zu Tränen und sie hatte zuvor nicht daran geglaubt, dass sie das jemals zu Gesicht bekommen würde. Doch sie war wieder Zuhause und an dem Ort, wo sie sein wollte. Davon hatte sie nicht einmal zu träumen gewagt, oder sogar sich eine Familie vorgestellt. Dennoch besaß sie jetzt genau das ... eine Familie.
Während Emmanline auf ihre schlafenden Liebsten schaute, erkannte sie sofort, wie sich Luciens Mundwinkel leicht nach oben bewegten.
„Du bist wach?“, wunderte sie sich etwas.
Jetzt erst öffnete Lucien seine Augen und schaute zu ihr vom Kopfende runter, aber blieb genauso liegen, damit er die Kinder nicht weckte. „Ich bin schon seit dem Zeitpunkt wach, als du aus diesem Bett gestiegen bist, meine Liebste.“
Irgendwie hätte Emmanline es sich denken können, aber hoffte, dass Lucien einmal durchschlafen würde, weil er es nötig hatte. Leicht lächelte sie ihn an und es fühlte sich großartig an. „Du bist unmöglich und doch habe ich genau das vermisst.“
„Wenn ich könnte, würde ich dich sofort in den Arm nehmen“, glaubte sie ihm seine Worte sofort und war ihm unsagbar dankbar, denn er vermittelte ihr stets das Gefühl, niemals alleine zu sein.
„Das musst du wohl verschieben“, lachte Emmanline leise.
„Sieht ganz danach aus“, als Lucien sich durch seine Kinder nicht rühren konnte.
Lucien und Emmanline hatten sich noch eine Weile leise unterhalten, als ihre Kinder nacheinander die Augen geöffnet hatte und Lucien sich endlich rühren konnte. Steif war er aufgestanden und nach seinem Stöhnen zu urteilen, schmerzhaft. Ein sanftes Lächeln stahl sich auf ihrem Gesicht, weil Lucien es ohne Beklagen hinnahm. Er war fürsorglich und aufmerksam. Dieses eigenartige Gefühl, was sich jetzt in ihrer Brust ausbreitete, war eindeutig Liebe.
Sie liebte ihn.
Emmanline liebte diesen großartigen Mann mit all seinen Facetten und Eigenschaften. All seiner Güte und Leidenschaft, die er in alles steckte, wenn er es in seine Hände nahm. Alles tat Lucien mit einer Aufmerksamkeit, die sie berührten und aus diesem Grund, wollte sie nicht mehr weg von diesem Mann. Sie wollte für immer bei ihm bleiben, egal was es selbst für sie kosten würde. Er hatte so viel für sie riskiert und getan, dass er nun ihre Seele besaß. Das sogar für alle Zeiten.
Lucien schien zu spüren, wie sie ihn die ganze Zeit angestarrt hatte, als sich nun sein Blick hob, während er zuvor seine Aufmerksamkeit seinen Kindern geschenkt hatte. Sie konnte in seinem Gesicht Besorgnis erkennen, aber darauf lächelte Emmanline mit solch einer Zärtlichkeit, was ihn veranlasste, das er auf sie zukam und sie fest in seine Arme schloss.
„Ich hatte dir doch gesagt, ich werde das tun“, flüsterte Lucien ihr leise ins Ohr, weil es nur für sie bestimmt war.
Leise lachte sie erstickt. „Ja, das hast du und ich finde das äußerst bezaubernd“, erwiderte Emmanline seine Umarmung.
„Bezaubernd?“, lachte Lucien leise darauf, als er sich von ihr trennte und sie anschaute. „Eine interessante Wortwahl, worüber wir noch einmal sprechen müssen, wenn wir alleine sind. Unter vier Augen natürlich“, blitzte etwas Lustvolles in seinen Augen auf, das Emmanline wohl bekannt war. Wie unanständig das auch war, aber sie freute sich darüber, wenn dieser Zeitpunkt eintraf. Sehr sogar.

 

Gemeinsam verließen sie das Zimmer und es kam Emmanline wirklich eigenartig vor. Lucien hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt, während Adriana und Raziz vor ihnen her liefen. Es war wie eine ... richtige Familie.
Seufzend lehnte Emmanline sich an Lucien an und sie genoss dieses Gefühl und das Bild, welches sich ihr bot und vor allem sich dieser Vorstellung hinzugeben, das im Augenblick alles perfekt war. Wirklich perfekt und sie war mehr als glücklich.
Unten in der Halle angekommen, stürmten die Zwillinge sofort zu ihren Tanten und Onkel, die sie herzlich begrüßten. Sowohl auch Emmanline musste einige Begrüßungen in Kauf nehmen, wobei sie jemanden vermisste. Sie konnte nirgendwo Darius erblicken. Luciens Onkel war sonst immer präsent und sie war fest entschlossen, ihren Gefährten nachher zu fragen, wo er steckte.
Ihren Gefährten, lächelte Emmanline in sich hinein. Dies war er wirklich und es erzeugte in ihr ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit.
„Emmanline, bitte“, jammerte Charia sie flehend an, was sie vor Entsetzen staunen ließ. Diese Frau und Drachin war eine der mutigsten und stärksten, die sie kannte. Sie jammerte nicht und vor allem nicht flehend.
„Bitte?“, fragte Emmanline irritiert.
„Mache endlich da draußen etwas, sonst verzweifeln wir hier alle“, sprach Charia weiter und deutete deprimiert auf den Ausgang, der zum Hof führte. „Sie alle treiben mich bald in den Wahnsinn.“
Emmanline erinnerte sich daran, dass Luciens Geschwister gestern etwas ähnliches angedeutet haben und als sie später aus dem Fenster geschaut hatte, war diese Gegend gefühlt von unzähligen Drachen gewesen.
„Nicht nur dich, Schwester“, legte Ysera erschöpft ihren Kopf auf eines der Esstische, die mitten in der Halle standen. „Sie wollen einfach nicht verschwindään ...“, jammerte selbst diese starke Frau vor Verzweiflung, indem sie das letzte Wort unnatürlich in die Länge zog.
„Also mich hatte es bisher nicht gestört“, wandte Lucien ein.
Sofort richteten sich viele tödliche Blicke auf Lucien.
„DU musstest dich ja nicht mit ihnen rumschlagen“, wandte Ysera und Charia gleichzeitig ein,
„Oder musstest sie versorgen und dich darum kümmern, wie sie versorgt werden“, meinte Lya.
„Oder darum kümmern, sie irgendwo unterzubringen“, war es Raiden, der brummig reagierte.
„Oder ...“
„Ja, ist ja gut, ich habe es verstanden“, knurrte Lucien mit erhoben Händen, als er es eingestand.
Wie versteinert stand Emmanline da und beobachtete das Geschehen von Luciens Geschwistern, die fast alle versammelt zu sein schienen. Jetzt wo Emmanline jeden Einzelnen beobachtete, bemerkte sie, wie angespannt jeder war. Jeder auf ihre eigene Art und Weise. Viele gereizt oder genervt. Wo andere erschöpft und müde wirkten.
„Lucien“, berührte Emmanline den Arm von ihm, damit sie seine Aufmerksamkeit bekam und somit die Diskussion unterbrach. „Dann lass mich raus gehen“, was auch immer sie dort erwartete.
Luciens Gesicht spannte sich etwas an und blickte ihr tief in die Augen, als er dann anfing zu nicken, aber sandte jeden seiner Geschwister noch einen finsteren Blick zu, bevor er Emmanlines Hand ergriff und sie langsam nach draußen führte.
„Egal was passiert, meine Liebe, ich bin bei dir“, knurrte er ihr flüsternd zu.
Leise kicherte Emmanline. „Oh, das weiß ich doch“, stimmte sie ihm bei. „Doch anscheinend muss das wirklich an den Nerven zerren und ich will versuchen etwas dagegen zu unternehmen. Zumal ich ja anscheinend Schuld daran bin, dass überhaupt alle hier sind und nicht wieder gehen wollen“, lächelte sie leicht schief, denn vor so vielen Drachen zu treten, bereitete doch ein mulmiges Gefühl in ihrer Magengegend aus. Selbst wenn Lucien behauptete, kein Drache könnte ihr je wieder einen Schaden zufügen.
Immer näher schritten sie beide den Ausgang zu, während Emmanline im Augenwinkel beobachtete, wie eine Drachenskulptur eine nach der anderen an ihr vorbei zog, die den langen Gang der Seite säumte. Welche die Aufgabe hatte, die Decke zu stützen. Ihr Herz schlug mit jedem Augenblick schneller und sie rüstete sich auf alles, was kommen sollte.
Erst mit Luciens sanften Händedruck lenkte Emmanline ihre Nervosität ab und blickte zu ihm rauf, der mit einem liebevollen Blick zu ihr herab sah. Nur gemächlich beruhigte sich ihr Herz etwas, denn sie spürte, Lucien war ihr Ruhepol, der immer für sie da war. Der an ihrer Seite stand und es immer sein würde. Leicht erwiderte Emmanline sein Lächeln und baute sich mit gestreckten Schultern auf, als sie nun durch den Torbogen schritten. Erst blendete die Sonne sie, woran sie sich erst an das grelle Licht gewöhnen musste. Aber sobald sie oben am Ansatz der Treppe aufgetaucht war, konnte sie ihren Blick nach unten auf den Hof richten und etwas weiter hinaus. Jeder Drache, der sich bewegt hatte, verharrte in ihrer Bewegung und wandte ihre ganze Aufmerksamkeit ihr zu. Emmanline, die nicht einmal zu ihrer Art gehörte.
Zittern holte Emmanline Luft, als sie diese auch wieder so ausstieß, aber es verging keine weitere Sekunde, nachdem eine Totenstille geherrschte hatte, nun ein Gebrüll der Begeisterung herrschte. Ihre Augen weiteten sich bei diesem Schauspiel und sie schnappte vor Begeisterung nach Luft. Emmanline wirkte sprachlos, wie nun dieser Sturm der Freude auf sie einstürmte, indem jeder Drache auf ihre Weise ihr Hochgefühl zeigte. Egal ob durch Flugkünste, Feuerspeien oder wie Eis und andere Naturgewalten.
„Ich schwöre dir, ich bin dermaßen eifersüchtig auf dich“, hörte Emmanline an ihrem Ohr ein Flüstern, als sie sich blinzeln umdrehte und in die schalkhaften Augen von Lucien blickte.
„Wie bitte?“, blinzelte sie mehrere Male ihre Benommenheit ab, während sie noch immer zu verstehen versuchte, was hier gerade passierte.
Lucien gluckste leise. „Ich bin der König der Drachen und sie haben mir sicherlich nicht in solch einem Ausmaß der Begeisterung gezeigt. Zumal sie sich hier alle versammelt haben, um mir ihre Anerkennung zu zollen“, erklärte er ihr.
Da dämmerte es langsam in ihrem vernebelten Kopf, was Lucien damit meinte. „Warum tun sie das?“
„Oh, mein Liebste, vermutlich liegt es daran, dass sie dich vergöttern, sowie ich es auch tue“, runzelte sich kurz Luciens Stirn dabei. „Nein, warte“, flüsterte Lucien ihr weiter ins Ohr, wobei seine Stimme rauer und sinnlicher wurde. „Während andere dich vielleicht vergöttern, liebe ich dich abgöttisch und nur mir ist das Recht vorbehalten, noch ganz andere Dinge mit dir zu tun.“
Entsetzt und mit hochrotem Kopf, schnappte Emmanline nach Luft und zuckte zurück. „Unterstehe dich“, krächzte sie beinahe, als er dann kehlig anfing zu lachen. Emmanline wusste, warum er das tat, damit sie sich abgelenkt und sich nicht mehr so steif fühlte. Dies hatte er wahrhaftig geschafft.
„Emmanline ...“, kam ihr Name schreiend aus der Menge und als sie sich umblickte, erkannte sie diese Person sofort.
„Mariah ...“, lief sie die Treppe sofort nach unten. Bei ihr angekommen, umarmte sie diese kräftige Frau, mit ihrem hellbraunen Haar, stürmisch.
„Bei den Göttern, als Segan mir alles erzählt hatte, habe ich mir fürchterliche Sorgen um dich gemacht“, seufzte Mariah bedrückt und zog sie in eine festere Umarmung, wobei Emmanline aufkeuchen musste.
„Wenn du meine Gefährtin weiterhin so fest drückst, muss ich mir über ganz andere Sachen Sorgen machen“, erklang Luciens belustigende Stimme hinter ihr auf.
Entsetzt löste Mariah ihre Umarmung und entschuldigte sich aufrichtig dafür. Aber Emmanline störte es keinesfalls, weil sie hatte diese Frau wirklich ins Herz geschlossen. Sie könnte ihr niemals böse sein, da ihr Herz genau am richtigen Fleck saß.
„Wir haben so viel zu reden“, meinte Emmanline.
„Oh aye, das haben wir“, stimmte Mariah ihr begkräftigend zu.
„Wie geht es deinen Kindern und vor allem ...“, blickte Emmaline an ihrer Freundin hinab, als sie bemerkte, sie hatte ihre Schwangerschaft gut überstanden.
„Es ist ein Mädchen“, wusste Mariah sofort, worauf Emmanline angesprochen hatte. „Sie heißt Alicia und ist schon im sechsten Lebensalter. So aufgeweckt und stürmisch wie ihre Mutter, während sie ihren Vater in den Wahnsinn treibt“, lachte sie leise auf und zwinkerte ihr zu, worauf Emmanline lachen musste.
„Ich würde sie gerne einmal kennenlernen. Eure Alicia“, meinte Emmanline aufrichtig.
Freudestrahlend blickte Mariah sie an und nickte, doch nun bemerkte sie, wie sie von anderen umringt wurde. Viele schauten sie mit Staunen und Begeisterung an. Diese Bewunderung erdrückte sie beinahe, was sie unbehaglich fühlen ließ.
„Aus dem Weg“, knurrte eine tiefe männliche Stimme, als sich jemand durch die Menge drängelte. „Stehe nicht so dumm da.“
Verwundert schaute Emmanline auf und blickte in die Richtung der Stimme. Irgendwoher hatte sie diese Stimme schon einmal gehört, aber wusste erst, zu wem die Stimme gehörte, als sie in das Gesicht dieser Person schaute.
Alastar ...
„Mache den Mund wieder zu“, knurrte Alastar missmutig, während er vor ihr stehen geblieben war und mit wütenden Blick auf sie herabschaute. Dabei bemerkte Emmanline wirklich, wie ihr Mund offen stand, und schloss ihn sofort bei seiner Bemerkung. Bedrohlich und tödlich wirkte dieser Mann noch immer, aber etwas hatte sich verändert. „Nicht zu fassen, wenn ich bedenke, wo ich dich das erste Mal gesehen habe und was sich ereignete. Ich gebe offen und ehrlich zu, ich mochte dich nicht. Eigentlich gar nicht“, runzelte Alastar bei seinen eigenen Worten seine Stirn. „Doch jetzt“, seufzte er resigniert auf, bückte sich und nahm sie in seine Arme und hob sie hoch.
Wie erstarrt verharrte Emmanline in dieser Umarmung, weil sie befürchtete, Alastar würde seine Meinung ändern und seine ganze Stärke einsetzten, um sie zu zerquetschen. Doch sein Flüstern an ihrem Ohr ließ sie entspannen.
„Danke“, hatte er ihr ins Ohr geflüstert.
Selbst wenn Emmanline darauf eine Antwort gehabt hätte, könnte sie nicht antworten, denn sofort ließ er sie los und ging vor ihr auf die Knie.
„Wenn niemand den Anfang macht, dann werde ich das tun“, blickte Alastar zu ihr rauf und zog seinen Dolch aus einem Halfter an seiner Seite und hielt ihn vor seine Brust. Den Griff nach oben gerichtet. „Ich Alastar De la Cruise schwöre hiermit, euch, meiner Königin, dem König, all die ich liebe und meinem Volk zu beschützen und jedes Unheil abzuwenden, das jene droht. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, die zu beschützen, die uns angehören. Ich werde mein Leben dafür geben. Sollte ich je meinen Schwur brechen, sollte mich das gleiche Todesurteil ereilen und diese Klinge zu Diensten sein. Alle Götter sollen Zeuge meiner Worte sein. Vor allem meine ewige Treue.“
Erneut sprachlos starrte Emmanline Alastar einfach nur an und wusste überhaupt nicht, wie sie reagieren sollte. Um sie herum war es erneut still geworden. Niemand sprach. Kein Rascheln der Kleider oder sonst eine Art Geräusche unterbrach diesen Augenblick.
„Sprich mir einfach nach“, hörte Emmanline Luciens Stimme in ihrem Kopf.
„Erhebe dich, Alastar De la Cruise, Beschützer aller Wehrlosen und Unschuldigen“, vernahm Emmanline die Worte von ihrem Gefährten, während sie diese Worte laut aussprach. „Dein Schwur soll tief in mir verankert sein und niemand wird deine Ehre infrage stellen. Die Götter waren deiner Worte Zeuge und sollte dein Schwur je gebrochen werden, erwartet dich deine angemessene Strafe. Besiegle den Schwur mit deinem und meinem Blut“, gab sie diese Verse nach Lucien einfach wieder und selbst sie spürte darin das Heilige. Das hatte sie schon einmal vernommen und je mehr Emmanline diese Worte wahrnahm, umso stärker wurden sie.
Gerade wollte Alastar sich mit seinem Dolch in die Hand ritzen, als Lucien seinen Bruder aufhielt. „Das ist nicht nötig, Bruder“, murmelte er zu ihm. „Wir alle sind auf eine gewisse Art mit Emmanline verbunden und müssen es nicht mit Blut bekräftigen“, beteuerte Lucien und wenn Emmanline nun bedachte, drängten sich nun andere Drachen hinter Alastar, selbst diesen heiligen Schwur abzulegen. Wenn sie jedes Mal sich in ihre Hand stechen müsste, nur um all das zu besiegeln, würde sie nie fertig werden. Zumal wurde ihr mulmig dabei. Sie war selbst jetzt noch überfordert, dass sie kaum zur Besinnung kam.
Was geschah hier gerade?

 

Emmanline konnte nicht mehr sagen, seit wie vielen Stunden sie jetzt schon hier auf dem Platz stand und immer wieder den gleichen Schwur hörte und diesen zu bekräftigen. Sie kannte diese Worte wirklich schon wie im Schlaf und wenn sie über die Gegend blickte, befürchtete sie, es wurde überhaupt nicht weniger. Innerlich seufzte sie zwar ermüdend auf, aber um nicht respektlos zu erscheinen, hielt sie es durch. Lucien stand stets an ihrer Seite und war ihr eine Stütze.
Du meine Güte, dachte Emmanline sich. Wenn jeder diesen Schwur ablegt, dann bräuchte ich Tage dafür, bis es ein Ende nimmt.
„Ich glaube, wir werden eine Pause machen, meine Liebe“, sagte schließlich Lucien zu ihr. „Du stehst schon fast sechs Stunden hier.“
Sechs Stunden?
Überrascht was für eine Ausdauer sie hier hingelegt hatte, nahm sie doch langsam eine Schwere in ihrem Körper wahr. Am Anfang empfand sie es noch als angemessen und es hatte ihr wirklich keine Probleme bereitet, aber jetzt wurde es anstrengender auf ihren Beinen zu stehen. Lucien schien das bemerkt zu haben, als er nun einen Arm um ihre Hüfte legte. Für viele mag es aussehen, dass er sie nur umarmen wollte, aber für sie war er im Augenblick eine unheimliche Stütze.
Selbst wenn Emmanline das erst einmal unterbrechen musste, um wieder zu Kräften zu kommen, so hatte sie eine Menge außergewöhnliche Drachen kennengelernt. Mit einigen hatte sie immer mal ein paar Gespräche geführt und Emmanline war überrascht darüber. Alle waren ihr gegenüber wohlgesonnen und es schien niemanden etwas auszumachen, diesen Schwur auszusprechen. Ohne jeglichen Zweifel und immer wieder hatte sie vernommen, wie stark sie für Emmanline, ihrer Königin, gekämpft haben, um sie aus Culebras Fängen zu befreien.
Diese Freundlichkeit und Zuneigung ihr gegenüber, brachte sie immer mehr an den Rand ihrer Tränen. Alle waren sehr herzlich und aufmerksam.
„Geht es dir gut?“, fragte Lucien sie besorgt, als er sie nach drinnen geführt hatte.
Mit einem verschleierten Blick schaute Emmanline zu ihm rauf und erst da schlang sie ihre Arme um seinen Hals, während sie ihren Kopf in seiner Halsbeuge legte. „Ja“, schluchzte sie einmal. „All das ist sehr überwältigend für mich. Ich habe damit einfach nicht gerechnet“, gestand sie.
Luciens Arme umfassten ihren Körper. „Ich, unsere Kinder und meine Geschwister, sowie gehört nun das ganze Volk zu dir. Wir sind nun deine Familie.“
„Ganz schön groß“, gestand sie, aber wollte Lucien noch nicht loslassen, so gut fühlte er sich an. „Vor nicht langer Zeit hatte ich nur meine Mutter, bevor ich sie verloren habe, und jetzt ist es so viel, dass es mich beinahe überschlägt. So viel hat sich verändert und ...“, rückte Emmanline von ihm ab, damit sie anschauen konnte. „...ich bin ... völlig überwältig. Ich habe eine ... gigantische Familie.“

 

Lucien stockte der Atem, als er nun in Emmanlines Augen blickte. Erst hatte er gedacht, sie würde sich durch all den Druck zurückziehen, aber nun entdeckte er in ihr ein Glitzern und Funkeln, was selbst ihn sprachlos machte. Sicher hatte sie sich bis jetzt tapfer gehalten, um nicht unter allem zusammenzubrechen, aber jetzt sah Lucien eine unglaubliche Stärke in ihnen.
Darum wirkte Lucien nun über ihre Reaktion überrascht, wie begeistert sie damit umzugehen schien. Seine Gefährtin küsste ihn jetzt inständig, welchen er ohne frage erwiderte. Er könnte ihr niemals widerstehen. Von daher wunderte es ihn nur, wie schnell sie von ihm abließ und sich aus seiner Umarmung löste. Sie ging um ihn herum und ging sofort wieder hinaus. Irritierend schaute er Emmanline nach und verstand nicht recht, als er ihr nachging. Während Lucien oben auf der Treppe ankam, war sie schon bereits unten an der Treppe angekommen und begrüßte sein Volk erneut, wobei sie verdeutlichte, dass es weiter gehen könnte.
Ihr Volk, musste Lucien sich korrigieren.
Mit einem Lächeln und Kopfschütteln beobachtete Lucien seine Gefährtin, die so viel Biss und Kampfgeist zeigte, der alles übersteigt. Er vergötterte sie wirklich.
Bis eben hatte Emmanline erschöpft ausgesehen, doch jetzt strotzte sie vor Energie, als würde sie der Welt sagen wollen, sie nehme es mit jedem auf. Er war ein verdammter Glückspilz diese Frau als seine Gefährtin zu bezeichnen. Sogar mit der er seelengebunden war. Vor Stolz quoll seine Brust über, während er sie einfach nur beobachtete. Diesmal wirkte sie ungezwungener und voller Heiterkeit, indem sie jeden begrüßte und freudig entgegenkam.
Selbst bei ihm hatte sich einiges geändert. Zuvor war bei ihm alles trostlos gewesen und jetzt wirkte seine Welt und sein Leben viel bunter und strahlender. Wer hätte gedacht, dass sein Leben solch eine Wendung nehmen konnte. Genau das war es, wie Lucien es beschreiben konnte, eine Wendung, die alles zu einem Guten gewendet hatte. Genau mit diesen Gedanken bewegte Lucien sich auf seine Gefährtin zu, damit er ihr stets zur Seite stehen konnte.
Wenn sie das schon überstehen musste, dann gemeinsam, dachte Lucien sich amüsiert.

6

Lucien saß in seinem Arbeitszimmer und war nicht gerade erfreut darüber, wenn er nur den Berg an Arbeit sah, der jetzt auf ihn wartete. In der Zeit, wo Emmanline gedankenfern war, hatte er kaum davon etwas verrichten können, weil seine Gedanken sich nur um seine Gefährtin gedreht hatten. Zumal er dann noch seine Kinder gehabt hatte. Selbst wenn seine Geschwister ihm einiges an Arbeit abgenommen hätten. Doch, als Emmanline dann erwacht war, wollte Lucien diese Zeit mit ihr auskosten und sich versichern, dass es wirklich so blieb und sie ihn nie wieder verließ. Erst, als er vollkommen sicher sein konnte, dass nichts mehr geschah, hatte er Platz für andere Dinge in seinem Kopf. Vorher wäre das erst gar nicht möglich gewesen.

Das Lucien nun hier in seinem Arbeitszimmer saß und noch einmal alles in Erinnerungen zurückholte, konnte er noch immer nicht glauben, wie sich sein Leben verändert hatte. Er besaß die klügste und schönste Gefährtin an seiner Seite, mit wirklich entzückenden Kindern. Dabei war er der König der Drachen, worin eine Menge Pflichten und Aufgaben bestanden. Zu Anfang hatte Lucien sich davor gedrückt und sich sogar geweigert, den Thron zu besteigen. Doch nun saß er hier und hatte all das, was er am Anfang nicht gewollt hatte, oder gar wovon er nicht geträumt hatte, es zu besitzen. All das überstieg seine Vorstellungskraft.
Das Schicksal spielte wirklich mit einem und es konnte wahrhaftig nicht vorausgesagt werden. Dennoch liebte Lucien sein jetziges Leben und würde es nicht eintauschen wollen. Mit nichts auf der Welt.
„Ich habe mir die Annehmlichkeiten der Drachen viel prunkvoller vorgestellt, wenn man bedenkt, wie habgierig sie auf Schätze sind“, erklang eine männliche gefühlsbetonte Stimme aus seinem Raum und riss Lucien sofort aus seinen Gedanken.
Luciens Kopf ruckte hoch und bemerkte drei männliche Gestalten vor sich. Sie waren hochgewachsen, hatten langes hell goldenes Haar, während ihre blauen Augen hervorstachen, wie blauer Saphir. Ihre Gesichter wirkten schmal und ätherisch, ihre Haut unnatürlich hell und ihre spitzen Ohren ... wobei es Lucien ab da dämmerte.
„Ich hatte schon viel eher mit Euch gerechnet“, sagte Lucien leicht, legte sein Schreibzeug zur Seite und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, der ächzend unter seinem Gewicht nachgab. „Zumal hängen wir auch an einigen Dingen, egal wie alt und abgenutzt sie sind“, machte Lucien mit einem leichten Grinsen eine spitze Bemerkung.
Die drei Elfen, die nun vor ihm standen, deuteten auf eine gewisse Art und Weise Ähnlichkeiten auf. Doch der mehr Präsent und Macht ausstrahlte, war der in der Mitte von ihnen, wovon Lucien ausgehen musste, er war der König der Elfen. Alarion Fenegan, sowie Emmanlines Vater.
„Ihr seid gut und geschickt an meinen Wachen vorbei gekommen“, bemerkte Lucien trocken.
„Sonst wären wir kaum in der Lage gewesen, Jahrhunderte unbemerkt zu leben“, konterte Alarion zurück, als sein Blick weiterhin auf ihn ruhte. „Wo ist sie?“
„In Sicherheit und wohlauf“, ließ selbst Lucien die Drei nicht aus den Augen.
„Wir wollen uns selbst davon überzeugen“, meinte jetzt der Mann rechts neben Alarion in einer schroffen Bemerkung.
Kurz richtete sich sein Augenmerk auf ihn. „Und du bist?“
„Verzeiht meinem Sohn, für diesen barschen Ton. Ich bin Alarion Fenegan. Das sind Liam, mein altester Sohn und Cian, mein jüngster Sohn. Sie sind genauso begierig, ihre Schwester wieder nach Hause zu holen, wie ich es bin“, sagte Alarion beschwichtigend.
Für einen Augenblick wirkte Lucien überrascht. Diese beiden Elfen, die dabei waren ... sie waren Emmanlines Brüder. Daher ihre gewisse Ähnlichkeit mit diesem Mann. Welch eine Überraschung. Seine Gefährtin würde außerordentlich ... überwältigt sein. „Wo Emmanline zu Hause ist, diese Entscheidung überlasse ich ihr.“
„Natürlich bei uns“, sprach Liam voller Überzeugung, als hätte er jedes Recht dazu. „Und redet nicht so vertraut von ihr, als würdet ihr sie richtig kennen, wenn ich bedenke, wie viel Leid sie unter euersgleichen erfahren hat.“
Wut flackerte in Luciens Augen auf. „Selbstverständlich, so gut, wie ihr eure Schwester kennt und schon gesehen habt?“, versuchte er sich wieder in den Griff zu bekommen. „Emmanline ist eine erwachsene Frau, die selbst Entscheidungen treffen kann. Wenn sie meint, sie will eines Tages nicht mehr hier sein, werde ich es respektieren, aber sie hat genauso hier ein Zuhause.“
„Warum sollte sie sich ...“, verzog Liam angewidert das Gesicht und Lucien hörte die Abscheu in seiner Stimme. „... für so was hier entscheiden, wenn sie bei ihrer Familie sein kann und ein Heim hat?“
Einmal atmete Lucien tief durch, um sich zu beruhigen. „Fragt sie selbst danach.“
„Wonach sollte man mich fragen?“, erklang eine Frauenstimme laut und Lucien erkannte sie sofort. Überall würde er sie heraushören und wiedererkennen.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sich aus seinem schweren Stuhl erhob. „Emmanline, meine Liebe, darf ich dir Alarion Fenegan, König der Elfen vorstellen. Sowohl seine Söhne Liam und Cian“, trat er um seinen Schreibtisch herum und ging auf die Frau zu, die sein Herz gehörte. Lucien schaute Emmanline direkt ins Gesicht und konnte keine Gefühlsregung darin erkennen, dennoch fühlte er, welches Chaos sich in ihr widerspiegelte. Sie war aufgewühlt. „Darf ich euch Emmanline vorstellen und wie ihr seht, sie ist bei bester Gesundheit“, richtete Lucien nun seine Aufmerksamkeit zu den drei Elfen hin, in denen Überraschung und Erschütterung stand.

 

„Ich habe Brüder?“, runzelte Emmanline ungläubig mit ihrer Stirn und wandte die Frage an Lucien, der neben ihr stand. Bis eben hatte Emmanline noch mit den Zwillingen zusammen draußen im Garten gesessen, als ihr Gefährte über mentaler Übertragung vermittelt hatte, dass soeben ihr Vater in seinem Arbeitszimmer eingetroffen war und sie sehen wollte. Zuerst wusste Emmanline nicht, was sie denken sollte, geschweige wie handeln, während sie starr auf der Bank gesessen hatte. Erst Luciens Anweisung, sie sollte tief durchatmen und zur Ruhe kommen, bevor sie beschloss, ihren Vater zu begegnen. Doch sie hatte nicht mit ... mehr gerechnet.
Emmanline hatte gewusst, dass irgendwann dieser Tag kam und sie Alarion Fenegan kennenlernen würde. Mit den Gedanken hatte sie sich derzeit schon angefreundet, aber ihn jetzt zu sehen, war doch etwas anderes. Zumal sie nun erfuhr, dass sie noch zusätzlich zwei Brüder hatte. Oder hatte sie vielleicht noch mehr?
„Ja, ich war auch überrascht, aber anscheinend ist es so“, antwortete Lucien darauf.
„Emmanline, ich ...“, fing Alarion an, aber Emmanline unterbrach ihn mit erhobener Hand.
„In den Briefen hat nichts davon gestanden“, wandte sie ihre Aufmerksamkeit nun dem Mann zu, der ihr Vater zu sein schien.
„Wir wollen dich nach Hause holen, Schwester“, war es einer ihrer Brüder, der sprach. Liam, wenn sie sich noch recht erinnerte.
„Nach Hause holen?“, fragte Emmanline skeptisch, während sie kurz schwieg. „Ich bin Zuhause. Hier und nirgendwo anders.“
„Natürlich nach Hause. Zu deiner Familie, wo du hingehörst“, entgegnete Liam weiterhin energisch.
„Wie kommst du darauf, dass ich das will?“
„Du hast so viel Leid und Schmerz durch die Drachen erfahren, wie willst du dann nicht von ihnen fortkommen? Wir wollen desw ...“, wurden Liams Reden von Emmanline unterbrochen.
„Nein“, wirkte dieses eine Wort von Emmanline streng und beherrschend. „Wenn ich jedes Mal, für diese Worte ein Goldstück bekommen würde, wäre ich heute vermutlich reich“, seufzte sie und hatte einmal tief durchgeatmet, bevor sie weitersprach. Lucien neben ihr lachte leise auf, während sie sich leicht über ihre Stirn rieb. „Aber ich akzeptiere nicht, dass ihr hierher kommt und bestimmt, wie es euch gefällt. Mir geht es gut hier und das ist mein Zuhause sowie meine Familie. Ich begegne euch heute zum ersten Mal und ich bin nicht gerade erpicht darauf mitzugehen, das gleiche Blut hin oder her“, runzelte Emmanline mit ihrer Stirn. „Ihr seid wirklich hierher gekommen und ihr seid willkommen. Ebenso dürft ihr hierbleiben, aber ich werde nicht weggehen.“
„Das verstehe ich“, sprach Alarion. „Ich entschuldige mich auch für Liam. Es ist unhöflich und wir nehmen dein Angebot an und werden hier eine Weile bleiben.“
Einen Augenblick starrte Emmanline den Elfenkönig an. „Ich ...“, versuchte sie ein paar Worte zu finden, weil sie mit dieser Antwort nicht gerechnet hätte, aber so recht fielen ihr keine ein. „Gut, dann ... ich bereite alles vor“, und so schnell, wie sie in dieses Zimmer gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. Sie brauchte Freiraum.
Irgendwie bekam Emmanline gerade keine Luft, denn das alles hatte sie ein wenig überfordert. Nicht das sie nie damit gerechnet hätte, dass ihr Vater kam. Doch, das hatte sie wirklich. Nur ihn jetzt vor sich zu sehen und was für ein Erscheinen und ein Bild er trug, war für sie eine Überforderung.
„Ich habe zwei Brüder“, hauchte Emmanline leise, als sie wie versteinert im Gang stehen blieb und nur die Wand anstarrte. Erst wollte sie in die eine Richtung laufen, aber lief dann in die Andere, so verwirrt war sie von dieser Neuigkeit.
Zumal war Emmanline auch ein wenig wütend gewesen, als sie davon gesprochen hatten, sie wollten sie von hier fortnehmen. Dabei war sie erst wieder angekommen, damit sie wieder Zuhause war. Sie hatten kein Recht dazu.
„Beruhige dich, Vahdin“, erklang Luciens Stimme in ihrem Kopf. „Du weißt, ich werde niemals zulassen, dass du fortgehst. Du gehörst zu mir.“
„Und ich zu dir“, antwortete Emmanline gedanklich und mit einem Lächeln auf ihren Lippen. Genau das hatte sie jetzt gebraucht, um ruhiger zu werden. Sie wusste, Lucien würde immer da sein und sie niemals gehen lassen. Genau das beruhigte sie.
Außerdem würde ich gerne jede Nacht mit dir anstellen, was ich letzte Nacht mit dir getan habe“, veränderte sich Luciens Stimme, die nun sinnlich und verheißungsvoll war.
Sofort kehrten Erinnerungen in Emmanlines Gedächtnis zurück, die sie weich werden ließen. Ihre Knie fühlten sich an, als würden sie sofort nachgeben, wenn sie nur an das Geschehen dachte. „Lucien,... bitte nicht“, keuchte sie innerlich.
„Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich dich langsam ausgezogen habe. Am liebsten hätte ich dich verschlungen, so appetitlich sahst du aus.“
„Das hast du ... doch ...“, war ihre gedankliche Stimme rau und erstickt. Selbst ihre Kehle war trocken, dass sie kaum schlucken konnte. Emmanline konnte keine richtigen Schritte mehr betätigen.
„Und wie ich das getan habe“, bestätigte Lucien ihr das. „Du hast so gut geschmeckt. Ich schmecke noch jetzt dein Aroma auf meiner Zunge. Wie ich von deiner Wade zu deinem Oberschenkel empor geleckt habe. Mmmh ...“, erinnerte Emmanline sich an Luciens heißer rauen Zunge auf ihrer Haut und seinem intensiven Blick. Diese goldglühenden und fesselnden Augen. „Ich konnte nicht anders, als in deine Innenschenkel zu beißen. Ich weiß, wie sehr du das liebst und es dich verrückt macht“, und wie es das tat, denn nun musste Emmanline sich an der Wand abstützen, da sie drohte vor Machtlosigkeit in die Knie zu gehen. Zumal die ganze Hitze in ihre Mitte nach unten wanderte, sodass sich Feuchtigkeit an den einem Zentrum sammelte. „Als ich erst von deinem leckeren Honig gekostet habe, war es ganz um mich geschehen. Ich musste viel mehr davon haben“, knurrte Lucien in ihrem Kopf, das durch ihren ganzen Körper vibrierte. Durch ihre intensive Gedankenübertragung spürte Emmanline jede sensible mentale Berührung von diesem Mann, als würde er vor ihr stehen und es tatsächlich tun. Es machte sie schier verrückt und erregte sie auf eine brennende Art und Weise. „Du hast mich angefleht, und das ich nicht aufhören soll. Du hast laut geschrien, während du gekommen bist, und ich habe weiter deinen Lustnektar aufgeleckt. So süß. So oft, dass du noch einmal gekommen bist. Ich spüre jetzt noch deine Vibration deines Höhepunktes an meinem Mund, dass ich jetzt erneut hart werde.“
„Lucien ...“, keuchte Emmanline schwer und Lust benebelte ihre Sinne. Wie stellte dieser Mann das nur an? Er war nicht hier und doch nahm er sie komplett ein. Wenn es darum ging, beherrschte er sein Handwerk perfekt und sie war wie Wachs in seinen Händen. Emmanline brach bald auf diesem Gang zusammen und Lucien hörte einfach nicht mit seiner verführerischen und sinnlichen Stimme auf, bei der sie nur schwach werden konnte.
„Ich würde so langsam mit meinem Schwanz in dich eindringen, dass du vor Lust vergehst. Allein dein Blick, wenn ich es sehe, wie verrückt ich dich damit mache, macht mich selbst verrückt. Ich will mich immer wieder tief in dir vergraben. Solange bis du kommst, und dann werde ich das Tempo antreiben, nur um zu sehen, dass du noch einmal den Höhepunkt erreicht hast, damit ich selbst mich in dir ergießen kann“, hörte Lucien einfach nicht mit seiner berauschenden Stimme auf, dass Emmanline wirklich den Halt verloren hatte und nun auf dem Boden saß, während sie ihre Schenkel fest aneinanderpresste. Sie schwor sich jetzt schon tief im Inneren, dies würde er büßen. Jedoch wusste sie, warum er das getan hatte. Er wollte sie nur vom Wesentlichen ablenken und dafür liebte sie ihn umso mehr. Dennoch würde Emmanline ihn das auch spüren lassen, da sie in diesem Augenblick keine Erlösung finden würde. Wenn Lucien spielen konnte, dann konnte sie es auch. Darum sendete Emmanline ihm jetzt ein Bild, wo sie sich genüsslich über die Lippen leckte und ihm einen Blick sendete, der nur nach Verführung schrie. Danach brach sie den Kontakt einfach ab, mit einem Grinsen auf den Lippen und stand mit wackeligen Beinen wieder auf, denn sein Fluch halte durch ihren Kopf. Dies war Genugtuung genug für sie. Damit konnte Emmanline durchaus leben. Selbst wenn Lucien sie nachher gehörig bestrafen würde. Diese würde eine süße und sinnliche Bestrafung sein, der sie mehr als entgegen strebte. Mit einem anzüglichen Lächeln schritt Emmanline nun voran, damit sie der Pflicht nachgehen konnte, was sie hatte tun wollen.

Diese Frau, knurrte Lucien innerlich vor Frust und Verlangen. Nachher wenn er Emmanline zwischen die Finger bekommen würde, dann würde er ihr zeigen, was es hieß mit ihm zu spielen. Sie machte ihn schier wahnsinnig und eben hatte sie einen gewaltigen Trumpf ausgespielt. Langsam wusste sie wirklich, wie sie ihn reizen konnte und das gefiel ihm außerordentlich gut. Lucien freute sich schon auf das baldige Wiedersehen mit ihr, was ihn ein Grinsen auf sein Gesicht zauberte.
„Ihr seid mit meiner Tochter verbunden“, riss Alarion Fenegan ihn aus seinen Gedanken, wie als wäre er mit eiskaltem Wasser übergossen worden. An Emmanlines Familie hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. Vollkommen vergessen, während er Kontakt mit ihr aufgenommen hatte.
Doch Lucien wusste, dies war keine Frage von Emmanlines Vater gewesen und warum sollte er es leugnen, oder gar lügen. „Ja, sie ist meine Seelengefährtin und wir sind miteinander verbunden“, brach unglaublicher Stolz aus Luciens Brust.
„Was?“, wirkte Liam entsetzt über diese Nachricht und blickte entsetzt zwischen seinem Vater und Lucien hin und her. „Niemals.“
„So ist es, Bruder“, meldete sich zum ersten Mal der zweite Sohn von Alarion, Cian Fenegan. Auf seinem Gesicht lag ein leichtes Grinsen. Warum auch immer er sich erst jetzt zu Wort meldete. „Jeder Blinde würde es sehen, Liam. Vor allem wie sie sich aneinander anschauen.“
„Vater, das kannst du niemals zulassen. Sie kann nicht bei ...“, verstummte Liam, während er nach einem passenden Ausdruck suchte, als er Lucien von oben bis unten mit einem angewiderten Blick betrachtete.
„Halte den Mund, Liam“ sandte Alarion seinem eigenen Sohn einen mahnenden Blick zu, dass es nun genug sei. „Wir befinden uns hier auf dem Land der Drachen und du beleidigst sie, sobald du deinen Mund aufmachst. Willst du, dass man dich einsperrt oder gar Schlimmeres? Du solltest klüger sein und reifer werden, denn Cian hat es verstanden“, rügte er seinen Sohn und ließ seinen älteren Sohn nicht aus den Augen, wobei Lucien fragend eine Augenbraue hob. Zumal Lucien so schnell nichts getan hätte, da sie Emmanlines Familie war. Doch es war recht amüsant dabei zuzusehen. Warum sollte er sie dann nicht in diesem Glauben lassen?
„Ich will nicht zwischen euch stehen“, stieß sich Lucien von seinem Schreibtisch ab, an dem er sich die ganze Zeit gelehnt hatte, als er das Schauspiel betrachtete. „Doch ihr solltet eines wissen, Emmanline ist nicht unbedingt die Person, die ihr euch vielleicht vorgestellt habt. Eine verwundene und verängstigte Frau. Oder die ihr in Nöten retten müsst. Sie trägt mehr Stolz und Mut in sich, wie manch ein Drache in uns. Wenn ihr etwas nicht gefällt, zeigt sie es durchaus und das ihr einfach hier aufgetaucht seid, hatte sie doch mehr überrascht, als alles andere. Dabei hatte sie zuvor immer den Gedanken gehabt, nie eine Familie zu besitzen“, starrte Lucien direkt in Alarions blaue Augen, die direkt auf ihn gerichtet waren. „Ihr dürft sie nicht gleich, wie irgendwelche Geier ihr Aas überfallen. Immerhin verändert sich ihre Welt immer ein Stück mehr, die sie kennenlernt“, seufzte er noch einmal, aber klatschte dann erfreut in die Hände und lachte auf. „Da das nun einmal der Fall ist, verspüre ich gerade einen riesigen Hunger. Ich habe den halben Tag gearbeitet und ich würde euch zu einem Mahl einladen, damit ihr eure Tochter, oder gar Schwester, besser kennenlernt. Zumal auch das Heim, indem sie jetzt lebt. Ihr werdet überrascht sein“, ging Lucien direkt an ihnen vorbei zur Tür, selbst wenn seine Sinne überaus geschärft waren. „Nur keine Scheu. Kein Drache wird euch fressen“, scherzte Lucien leicht.
Liam schien einen noch grimmigeren Ausdruck aufzusetzen, wobei Cian doch allem gegenüber offener war und bei Alarion konnte er noch gar nichts deuten. Nun, das würde sich vermutlich alles noch ergeben. Dennoch begleiteten sie ihn durch die Gänge in die große Halle, wo offenes Treiben herrschte. Anscheinend hatte Emmanline große Arbeit geleistet, bevor sie verschwunden war. Jeder war in ihrem Tun und viele Speisen standen in Türmen auf den Tischen, wobei sich wirklich sein Magen vor Hunger leicht zusammen zog. Selbst der Duft vom gebratenen Fleisch, wie das frischgebackene Brot und die wohlduftenden Gebäcke. Von all dem ganzen Obst und Gemüse konnte er noch einmal absehen, aber ansonsten sah alles appetitlich aus.
„Sehr beeindruckend“, meinte Alarion neben ihm, der selbst alles beobachtete. Wachsam und alles genau prüfend.
„Emmanlines Verdienst“, wobei Lucien seine Frau nicht entdecken konnte. Vermutlich war sie gerade bei den Kindern und würde bald kommen.
Wenn sie nur wüssten, schmunzelte Lucien innerlich in sich hinein.
Lucien führte sie zu einem der Ehrentische, wo er und seine Familie saßen, Sie würden hier Platz nehmen und heute mit ihnen speisen, während sich alle anderen an den anderen Tischen verteilten. Sie speisten jeden Tag zusammen. Sofern das oft möglich war und Emmanline bestand auch darauf. Da sie mehr Bezug zu allen haben wollte.
„Ihr esst zusammen?“, konnte Lucien nicht die Missbilligung von Liams Worten überhören.
„Ja, weil es Emmanline so will und mich stört es nicht“, zuckte er mit seinen Schultern und setzte sich auf seinen angestammten Platz, wobei er wusste, Emmanline würde sich zu seiner rechten Seite setzen. Die Zwillinge jeweils zu beiden Seiten von ihm und seiner Gefährtin.
Alarion betrachtete noch immer alles schweigend um sich und sagte kaum etwas, wobei Liam verdrossen aussah und Cian mit leuchtenden Augen dasaß. Er schien wirklich derjenige zu sein, der aufgeweckter und mehr zu beeindrucken war.
„Sagen sie mir, was bedeutet meine Tochter für sie?“, fing nach einem kurzen Stillschweigen der Elfenkönig an, Lucien zu fragen, während er ihn die ganze Zeit unverhohlen musterte. Ihn hatte es nicht gestört, als er alles andere beobachtete und mit ein paar seiner Leute gesprach.
„Alles“, wandte Lucien sich an Alarion und blickte ihm tief in die Augen, weil er wusste, dieser Mann suchte etwas in ihm. „Emmanline ist meine Seelengefährtin und ich würde alles für sie tun“, konnte Lucien einen kurzen Anflug von Erleichterung in seinem Blick sehen, aber war auch so schnell wieder verschwunden, wo er sich fragen musste, ob er es überhaupt gesehen hatte. Fraglich musterte er diesen Mann und Vater von Emmanline.
„Lucien“, erlang Emmanlines Stimme hinter ihm und er stand sofort auf, wobei er sich freudestrahlend umdrehte. Wie er es sich gedacht hatte, war sie gegangen, um die Zwillinge zu holen, die nun links und rechts neben ihr standen. Seine Gefährtin hatte mit mütterlicher Anmut jeweils eine Hand auf ihre Köpfe gelegt und es erwärmte sein Herz, während er zu ihr ging und sie in seine Arme schloss, damit er sie küssen konnte. Wie er es immer tat, wenn sie zum Essen kam. Das war sein persönliches Ritual, welches er sich von niemanden nehmen lassen würde. Nicht einmal von Emmanlines Vater oder Brüdern.
Leise lachte Emmanline an Luciens Lippen und streichelte ihn sanft über seine Wange. „Deine Kinder“, bemerkte sie nur und ihre Augen funkelten vor Glück und Zuneigung zu ihm, dass er sich zuerst nicht losreißen konnte.
„Ja sicher“, löste Lucien sich dann Schwerenherzens von ihr und beugte sich nach unten und nahm zu beiden Seiten seinen Sohn und Tochter auf den Arm. „Ich hoffe, ihr wart heute artig gewesen. Ich habe nämlich heute extra Samara Bescheid gegeben, sie soll euren Lieblingsnachtisch machen“, grinste Lucien seine Kinder an, weil ihre Augen plötzlich anfingen zu strahlen. Wie die von Emmanline. Das liebte er.
„Natürlich, ich ganz artig war“, nickte Adriana ganz eifrig.
„Ja, Hal hat mir heute was Neues beigebracht und er hat mich sehr gelobt“, sprach Raziz jetzt und dies brachte ihn zum Schmunzeln.
„Schön, dann habt ihr es verdient“, gab Lucien so leicht nach. „Hat eure Momma schon gesagt, wer heute zu Besuch ist?“, wollte Lucien von seinen beiden Kleinen wissen.
„Ja“, nickte sein Sohn ihm bestätigend zu.
„Granpoppa, Onkel Liam und Onkel Cian“, gluckste seine Tochter erfreut.
Seine Zwillinge waren unglaublich klug. Jeder auf ihre Art und Weise, was ihn stolz machte. „Genau. Würdet ihr sie begrüßen gehen? Seid aber vorsichtig und nicht zu stürmisch. Einverstanden?“, nickten dann beide, als er sie absetzte und sie dann um ihn herum stürmten und zu dem Tisch, wo sie saßen.
„Das zum Thema nicht stürmisch“, lächelte Emmanline leicht, aber konnte ihre Anspannung spüren.
„Keine Sorge, mein Liebe, du weißt, sie tun das immer auf ihre Art, dass man sie einfach ins Herz schließen muss“, grinste Lucien amüsiert.

 

Alarion, König der Elfen, wusste noch nicht ganz, was er alles von dem halten sollte. Zumal hätte er nicht damit gerechnet, dass er seine Zeit hier bei den Drachen noch verlängerte. Eigentlich wollte er nur seine Tochter holen und gleich wieder verschwinden. Seine beiden Söhne hatten darauf bestanden mitzukommen. Erstens, weil er nicht alleine gehen sollte. Niemals ungeschützt sein. Und zweitens, weil sie auch selbst ihre verloren gegangene Schwester nach Hause holen wollten. Alles gute Gründe, aber er wollte das alles einfach nur schnell durchziehen, damit seine Tochter in Sicherheit war. Doch ... wenn er das jetzt alles betrachtete, wusste Alarion, es war ganz anders.
Vom ersten Augenblick an, als Alarion in dem Arbeitszimmer vom Drachenkönig erschienen war, überkam ihm Zweifel uns Skepsis. Selbst, wenn er es sich nicht anmerken ließ. Dann aber tauchte sie auf.
Emmanline, seine Tochter.
Sie war genauso schön wie ihre Mutter. Die gleichen silbernen leuchtenden Augen, in der eine Stärke innewohnte, die alles in den Schatten stellte. Dieses schneeweiße Haar, das was zu leuchten anfing, wenn sich nur ein Lichtstrahl darin verfing. Und dann ihre helle Haut aus Porzellan, wo Alarion wusste, wie weich sie sein konnte. All das was Emmanline verkörperte, hatte sie von ihrer Mutter Adriana. Wie sehr er sie vermisste. Jeden Tag mehr, dass sein Herz stets aufs Neue blutete.
Adriana war die Liebe seines Lebens gewesen, Mutter seiner Kinder und seine vorherbestimmte Seelengefährtin. Für sie hatte er gelebt. Nur für sie allein. Als sie eines Tages entführt wurde, war für ihn eine Welt zusammen gebrochen. Alarion hatte sie überall gesucht, sowie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie zu finden, aber es gab keine einzige Spur. Frust, Schmerz und Einsamkeit war ihm überkommen, dass er es fast aufgegeben hätte. Selbst nach so langer Zeit, bis ein nächster herber Schlag kam, der ihn erschütterte. Durch die tiefe Verbundenheit zu Adriana hatte er immer gewusst, dass sie noch am Leben war. Sowie, welchen Schmerz und Leid sie ertragen musste, weil er dann nicht aufgeben konnte, um sie zu finden. Und dann plötzlich wurde ihm alles entrissen. Seine Seele und seine Liebste, die ihm mehr als sein Leben ... nein, die ihm mehr als alles wichtiger war in seinem Leben. Sie war ihm einfach entglitten und er hatte nichts tun können. Adriana war tot und das einfach so, ohne das er wusste wo und wie sie gestorben war.
Zuerst trauerte Alarion, bevor es sich in Frust und Wut verwandelte, als danach die Gleichgültigkeit kam. Adriana hatte seine Seele und sein Herz besessen, welches sie mit in den Tod genommen hatte. Er wollte ihr folgen, weil es keine andere Alternative für ihn gab. Die gab es nie unter wahren Seelengefährten. Bis er eine Nacht vor Erschöpfung und totaler Ermüdung eingeschlafen war, weil er schon eine sehr lange Zeit kein Auge hatte zutun können. Da war sie dann ... in seinen Träumen. Seine Liebste und ihr strahlendes Lächeln, welches sie immer auf dem Gesicht hatte, wenn sie nur ihn allein anschaute. Dies war nur ihm vorbehalten, als wäre er der Einzige auf der Welt. Nur er allein und alles um sie herum erblasste zu einem trostlosen Schein.
Selbst in seinen Träumen war sie die schönste Frau, die er je begegnet war, und würde es auch immer sein. Doch mit ihrem Tod hatte sich in Adriana eine Kraft freigesetzt, welche sie sich aufgehoben hatte, nur damit sie sich bei ihm verabschieden konnte. Das war ein harter Schlag gewesen und hatte sein Herz in tausende von Splittern zerbrechen lassen. Ab da an hatte Alarion ihr geschworen in den Tod zu folgen. Sofort würde er seiner Liebsten nachkommen, aber Adriana hatte es ihm verboten. Im ersten Augenblick war er schockiert gewesen, weil sie nicht wollte, dass er mit zu ihr ins Jenseits kam. Sein erster Gedanke, sie hasste ihn nun dafür, dass er sie nicht hatte beschützen können. Das konnte er ihr nicht verübeln, aber der Grund dafür, ging weiter, als er geahnt hätte. Adriana würde ihm nie im Weg stehen, wollte er mit ihr gehen, aber es ging um Emmanline, seine Tochter, wovon er all die Jahre nichts gewusst hatte. All die Jahre besaß Alarion eine Tochter, von deren Existenz er nichts ahnte. Darum hatte er auch persönlich und für sich beschlossen, seine Tochter als Erstes zu finden, damit sie Zuhause und in Sicherheit war, bevor er endlich Adriana folgen konnte.
Diese Jahrhunderte waren eine Qual gewesen, die ihm mehr Leid und Schmerz gebracht hatten, als jede Folter in seinem ganzen Leben zusammen. Verzweifelt hatte er oft vor Problemen gestanden, welche am Ende er selbst nicht lösen konnte. Bis eines Tages ein Drache auf seiner Türschwelle auftauchte und behauptete, er hätte etwas, was er vermutlich zurückhaben wollte. Doch dies stand alles in einem einzigen Brief geschrieben.
All das hatte sich nun verändert und zum ersten Mal sah er in allen einen Lichtblick, während er einen Augenblick gebraucht hatte, um all das zu realisieren. Und als er auch einen weiteren Brief von seiner Tochter persönlich bekam, musste er langsam handeln und Emmanline holen kommen. Immerhin sollte sie bei ihrer Familie sein.
Wirklich, absolut alles hatte Alarion, König der Elfen, sich ausgedacht, wie das hier sein würde. Aggressivität. Ungebändigte Wut. Zerstörung. Vielleicht sogar auch Unterdrückung. So stellte er sich das Drachenvolk vor, in ihrer ganzen Form und was sie ausmachte. Ein Chaos. Dennoch war es nicht bei weitem, was er heute hier sah. Sicher könnte er davon ausgehen, alles war nur gespielt und nicht real. Alles nicht der wahre Schein. Trotzdem traf es genau das, wenn jeder genau hinschaute. Hier herrschte unglaublicher Frieden und eine Harmonie, dass er noch jetzt verwirrt davon war. Jeder zeigte seine Zuneigung offen und ehrlich, egal wie sie ausfallen würde. Große Akzeptanz und Respekt verströmte jeder hier und er hatte keine Ahnung, wie das möglich war. Wie er selbst als König und auch zu Hofe wusste, spielten oft Intrigen, List und Trug eine große Rolle.
Darum konnte Alarion nur alles stillschweigend beobachten und warten, was als Nächstes passierte. Selbst wenn sein ältester Sohn neben ihm unruhig wurde, während sein Jüngster alles mit großer Begeisterung beobachtete. Seufzend starrte er auf das viele Essen vor sich und konnte sich den Reichtum vorstellen. Egal ob Gold oder die der Nährstoffe. Es mangelte den Drachen nicht an Rohstoffen, da sie gut ausgerüstet waren. Hatte er etwas verkehrt gemacht?
Gerade als Zweifel in Alarion aufgestiegen waren, erklang die Stimme seiner verschollenen Tochter, sodass er den Kopf heben musste. Seine Augen weiteten sich bei ihren Anblick, denn so wie sie jetzt dort am Eingang dastand, versetzte es in ihm einen unsagbaren Schmerz in der Brust. Kurz dachte er, Adriana stand dort, aber es änderte sich augenblicklich. Emmanline war etwas kleiner als ihre Mutter und graziler. Dies war eine Eigenschaft der Elfen. Sie war eine Mischung aus zwei Völkern. Es gab eine Verbindung, Alarion spürte es deutlich.
Erst als Alarion das überraschte und entsetzte Geräusch seiner beiden Söhne hörte, kehrte er wieder in die Realität zurück. Kurz blinzelte er, während er auf zwei kleine Kinder hinabschaute. Sie strahlten ihn an, als würden sie ihn schon ihr ganzes Leben kennen. Fragend blickte er auf und blickte zu seiner Tochter, die ihn lächelnd anschaute. Er musste nicht nachfragen, wem diese Kinder gehörten, denn sie waren unverkennbar. Ihre Ähnlichkeit glich der Eltern um ein vielfaches und etwas ganz anderes machte sich in seiner Brust breit.
„Granpoppa“, kicherte das kleine Mädchen vor ihm leicht hüpfend, als sie seine Hand nahm.
„Du sollst doch nicht so schnell machen“, tadelte der Junge neben ihr und Alarion konnte wirklich etwas Reue in den Augen des Mädchens sehen.
„Bei den heiligen Elfen, ich bin Onkel“, kam sein jüngster Sohn Cian zu ihm, wobei sein erfreuter Gesichtsausdruck unverkennbar war.
„Onkel Cian“, stürmte das Mädchen, welches mit Emmanline eine verblüffende Ähnlichkeit hatte, in seine Arme. Silberne Augen und dazu das schneeweiße Haar.
„Du weißt, wer ich bin?“, schien er verblüfft zu sein,
„Natürlich, Momma sagte zu uns, wir haben noch mehr Onkels“, beantwortete der Junge die Frage. „Und das unser Granpoppa da ist“, richtete sich sein Blick auf ihn.
Alarion wusste nicht, was er darauf antworten sollte, aber das überforderte all seine Vorstellungen. Damit hatte er absolut nicht gerechnet. Nicht mit einer Familie, die zu Emmanline gehörte. Dabei hatte er sich all das hier anders vorgestellt. Er müsste seine Tochter retten und um sie endlich nach Hause zu holen, aber anscheinend hatte sie hier ihr ganz eigenes Zuhause erschaffen, ohne das er daran beteiligt war. Oder das er nicht dabei gewesen war. Etwas stimmte ihn traurig.
„Nicht traurig sein, wir nun da sind“, gluckste das kleine Mädchen, kam auf ihn zu und umarmte ihn stattdessen. Alarion konnte sich dagegen nicht wehren und schloss selbst sie in seine Arme. Gerade da kam seine Tochter auf sie zu und blieb vor ihm stehen.
„Ich spüre die Verbindung zu euch und das ihr meine Familie seid, aber auch dies ist meine Familie“, ließ sie es unmissverständlich verlauten und es lag kein Zweifel mehr daran. „Jeder Einzelne hier.“
„Ich habe schon verstanden“, lächelte Alarion leicht und setzte das kleine Mädchen vor sich ab. „Ich bin also schon Großvater und wusste von dem allen noch nichts. Ich bin nur ziemlich ...“, blickte er in silberne Augen. „... überrascht. Wie heißt ihr denn?“, wollte er nun die Namen von ihnen wissen.
„Mein Name ist Raziz“, stellte sich der Junge als erstes vor und Alarion erkannte in ihm sofort seinen Vater wieder, mit seinem Aussehen, aber in seinen goldenen Augen schwang eine unheimliche Wissbegier mit.
„Ich heißen Adriana“, meldete sich voller Energie das Mädchen und es verschlug ihm erneut die Sprache, wobei er seine Tochter anschauen musste. Konnte es sein?
„Ja“, nickte Emmanline ihn leicht lächelnd an. „Sie ist nach ihr benannt, sowie Raziz nach Luciens Vater. Sie ist niemals fort, nicht wahr“, klang es wie eine Frage aus ihrem Mund, aber Alarion wusste es besser. Seine Gefährtin war stets da, selbst wenn er sie nie sehen konnte. Sein Herz gehörte dieser einen Frau.
„Ja, du hast Recht“, spürte er noch immer die gleiche Trauer in sich, als er Adriana damals verloren hatte. Doch wenn er nun in die Augen seiner Enkelin schaute, erkannte er es klar und deutlich. „Dieser Name passt zu dir. Auch deiner“, wandte er seine Aufmerksamkeit dem Jungen zu. Sie waren beide zauberhaft und er war froh, sie kennengelernt zu haben.
So verbrachten sie alle auch das gemeinsame Essen und es war völlig anders. Es wurde viel gelacht und die Herzlichkeit spürte Alarion tief in sich. Selbst als er Emmanline die ganze Zeit beobachtete. So gut er es konnte, denn seine neugewonnenen Enkelkinder lenkten ihn ab. Es war definitiv etwas vollkommen Neues. Cian ging in seiner Rolle als neuer Bruder und Onkel blühend auf, während Liam stur wie eine Salzsäule dasaß. Diese Sturheit besaß er eindeutig von ihm, was er ihm nicht verübeln konnte. Selbst wenn sich etwas in ihm persönlich geändert hatte, ließ Liam nichts so schnell an sich heran. Nicht einmal die lang geglaubte verschollene Schwester, sowie die bezaubernden Zwillinge. Doch bevor Alarion sich damit befassen würde, wollte er erst einmal diesen Augenblick genießen. Selbst mit einem kleinen Teil von Luciens Geschwister, die sich zum Essen dazugesellt hatten. Somit lernte er einiges und erfuhr eine Menge. Selbst über den sogenannten Drachenkönig selbst.

 

Emmanline konnte es nicht glauben, aber das Essen war erstaunlich gut verlaufen. Dabei hatte sie mehr mit Diskussionen und Streit gerechnet, aber sowie ihr jüngster Bruder Cian, war selbst ihr Vater sehr aufgeschlossen gewesen. Ihr Bruder vielleicht mehr, als er, aber es war ein Anfang. Auch wenn sie mehrere Versuche bei Liam versucht hatte, bekam sie ein Gefühl, er zog sich immer weiter zurück. Er zeigte nicht solch eine Akzeptanz zu all dem hier. Nicht einmal Verständnis. Leicht stimmte es sie schon traurig, denn immerhin gehörte auch er zu ihrer Familie, oder etwa nicht?
Familie, konnte sie es noch immer nicht fassen. Sie hatte nicht damit gerechnet, noch mehr zu besitzen, aber dennoch freute Emmanline sich darüber. Sowie von ihrer Mutter besaß sie auf väterlichen Seite auch noch ein Teil davon. Sie war nicht alleine. Plötzlich fühlte sich ihre Welt ganz anders an. Noch größer als je zuvor.
„Du lächelst“, gab Lucien ihr einen leichten Kuss seitlich auf ihre Stirn.
Lächeln blickte Emmanline zu ihrem Gefährten auf, während sie den Korridor entlang gingen. Die Zwillinge waren bei diesem Essen, was sich zu einem großen Fest entwickelt hatte, vor Müdigkeit eingeschlafen. Sie trug ihre Tochter und Lucien seinen schlafenden Sohn in den Armen. Es war ein tolles Bild und es herrschte eine familiäre Atmosphäre, welches sie gierig in sich aufsog. So dürfte es ewig sein.
„Natürlich, denn ich bin einfach nur glücklich“, strich Emmanline sanft über das weiße Haar ihrer Tochter, während sie ihren Kopf auf ihrer Schulter gebettet hatte und voller Vertrauen schlief. „Wie soll ich da nicht lächeln? Immerhin tust du es auch“, neckte sie ihn.
„Ich habe ja auch eine bezaubernde Gefährtin und die besten Kinder der Welt, da MUSS ich lächeln“, lachte Lucien.
„Du bist unmöglich“, konnte Emmanline nicht anders, als diesen Mann noch weiter in ihr Herz vordringen zu lassen. Sie wurde immer wieder schwach in seiner Gegenwart und es würde ewig so bleiben. Er war ihre Schwachstelle, sowie es ihre Kinder genauso sein würden.
Plötzlich entdeckte Emmanline einen Schatten im Garten, als sie kurz ihren Blick nach draußen aus dem Fenster gerichtet hatte. Fraglich hob sie eine Augenbraue und erkannte diese dunkle Gestalt. Durch den leichten Mondschein erkannte sie das glänzende blonde Haar. Es war ihr neu dazugewonnener Vater, der anscheinend einen nächtlichen Spaziergang machte. Bereits war es dunkel geworden und die Anderen feierten noch immer im Saal und das würde vermutlich noch eine Weile andauern. Drachen hatten, was das betraf, eine unglaubliche Ausdauer.
„Gehe ihm nach, ich bringe unsere Zwillinge ins Bett“, riss Luciens warme Stimme sie aus ihren Gedanken. „Ihr müsst ohnehin irgendwann miteinander reden. Lieber früher, als später.“
„Sieht man es mir so deutlich an?“, lächelte Emmanline ihren Gefährten an und legte Adriana in die Armbeuge von Luciens Arm.
„Etwas, aber ich spüre auch deine aufgewühlten Gefühle, meine Liebste“, rückte Luciens Adriana noch etwas zurecht und schaute auf Emmanline herab. „Ich werde da sein, solltest du mich brauchen“, beugte er sich noch einmal leicht zu ihr herab, um sie leicht auf die Lippen zu küssen. „Und ich werde auf dich warten“, zwickte er sie leicht in die Unterlippe und in seinen Worten klang ein verruchtes Versprechen.
„Unmöglich, wie ich es gesagt habe“, lachte Emmanline leise, küsste ihn noch einmal etwas fordernder und biss ihm ebenfalls in die Lippe. „Ich werde mir Zeit lassen“, lachte sie noch lauter, als sie ein tiefes Knurren von ihm wahrnahm und darauf den Flur entlang verschwand.
Draußen im Garten wurden Emmanlines Schritte erst langsamer und vielleicht auch zögernd. Wie sollte sie anfangen? Vor allem wo? Anscheinend ging ihr Vater in dem Bereich, den sie für sich beansprucht hatte. Ihr Herz fing etwas schneller an zu schlagen, je weiter sie in ihren Garten kam.
„Ich spüre die Elfenmagie, aber auch mit etwas anderen vermischt“, konnte Emmanline die Stimme des Elfenkönigs hören, blickte Emmanline sich trotzdem noch einmal um, damit sie sicher war, er redete mit ihr.
„Oh ja, vermutlich die Magie der Waldgeister“, antwortete sie ihrem Vater, der sich, während er sich umschaute, nun sie mit erhobenen Augenbrauen anblickte. „Eine sehr lange Geschichte“, lächelte sie zögernd darauf.
Wenn sie daran dachte, Lucien hatte vorher alles aus unbändiger Wut zerstört, bevor er seinen Fehler einsah, hatte er hier alles wieder zum neuen Leben erwachen lassen. Für sie.
„Bist du glücklich hier?“, wollte Alarion stattdessen wissen.
Kurz blinzelte Emmanline mit ihren Augen, weil das doch schneller ging, als gedacht. Sehr direkt. „Ja, ich bin glücklich hier. Selbst wenn es niemand glauben würde, da ich nun bei dem Volk lebe, dass zuvor für mein Leid verantwortlich war“, blickte Emmanline sich um und entdeckte die Vielzahl an unterschiedlichen Blumen und Pflanzen. Viele wirkten groß und einige leuchteten in der Nacht. Es hatte was Mystisches an diesem Ort zu sein. Als würde nur für einen Augenblick die Zeit still stehen bleiben. „Zeiten können sich ändern, und ich versuche mich an die Worte von meiner Mutter zu erinnern. An all das, was sie mir beigebracht hatte“, vermisste sie ihre Mutter noch immer schrecklich. Selbst wenn sie nie wieder kehren würde, so war sie nun glücklich.
„Deine Mutter war eine kluge Frau“, lächelte Alarion traurig darauf. Anscheinend erinnerte er sich an eine Zeit davor.
„Ja, das war sie und doch hatte sie nie ein Wort erwähnt, wer mein Vater war“, ging Emmanline zu einer Bank und setzte sich darauf. Das würde länger dauern, selbst als Emmanline den überraschten Blick von ihrem Vater sah. „Sie wollte mir nie verraten, wer er ist. Natürlich hatte all das einen guten Grund und ich bin ihr deswegen nicht böse. Aber ...“, unterbrach sie sich kurz selbst und verfolgte ein hellerleuchtetes Glühwürmchen, das vor ihr vorbei flog. „... ich glaube ...“, schüttelte sie dann mit ihren Kopf. „Nein, ich weiß es, sie hatte nie den Glauben daran verloren, dass du sie jemals finden würdest. Keinen einzigen Augenblick hatte sie Zweifel daran. Nicht einmal in diesem Moment, wo sie gestorben war.“
„Oh Adriana“, fuhr Alarion sich ermüdet mit einer Hand über das Gesicht und da sah Emmanline es, seine Erschöpfung. „Ich habe wirklich jeden Tag nach euch gesucht. Am Anfang erst deine Mutter, denn ich hatte all die Zeit nichts von dir gewusst, Emmanline. Viele Jahre später, nach einer erfolglosen Suche, wusste ich es dann. Sie war aus dieser Welt verschwunden“, blickte ihr Vater in den Stern besetzten Himmel mit dem halbförmigen Mond. „Nichts entschuldigt das, dass ich euch nicht beschützen konnte, aber es tut mir unendlich leid. Ich hatte all das nicht gewollt.“
„Das weiß ich“, deutete Emmanline ihren Vater sich neben sie zu setzen. Nach einem Zögern kam er ihrer handlichen Bitte nach. Sie gestattete sich ein Lächeln. „Alles was passiert ist, war nicht deine Schuld, auch wenn ich mir gerne oft ... wirklich sehr oft ... vorgestellt hatte, ich könnte jemanden die Schuld daran geben. Das kann ich nur denjenigen geben, die all das getan haben. Wobei ihr auch lernen müsst, alle Drachen sind nicht gleich. Darum müsst ihr verstehen, Lucien ist anders. Er würde nie ...“
„Ja, ich weiß“, lächelte Alarion sie warmherzig an und nahm ihre Hand in seine, während er sie unterbrochen hatte. „Während ich hierher kam, ging ich nur mit einer Denkweise voran, dich von hier fortzubringen, und in ein sicheres Heim zubringen. Ich habe mir nicht all das vorgestellt und das du dies als dein Zuhause betrachtest. Ich habe es verstanden und wenn ich sehe, wie Lucien dich anschaut, dann weiß ich es“, lachte ihr Vater leicht. „Er liebt dich mehr als alles andere, Emmanline. Er vergöttert dich und bewahre mich bei allen Elfengöttern, jeder einzelne Drache tut das. Du hast dir hier etwas Eigenständiges aufgebaut und ich freue mich für dich und das erfüllt mich mit Stolz. Selbst wenn es viele nicht so sehen, bewahre es dir.“
„Oh“, brachte Emmanline kein Wort heraus, als sie ihn mit offenen Augen und Mund anstarrte. Ihr sogenannter Vater war ziemlich aufgeschlossen. Zu empfänglich, wenn es nach ihr ging. Irgendwie war es unheimlich und zu einfach. „Das war ziemlich einfach.“
Alarion lachte leicht. „Was hast du erwartet? Das ich dir dein Glück verbiete, wenn ich doch sehe, wie glücklich du bist? Wie hast du mich denn dir vorgestellt?“
„Nun ja, ich hätte mit mehr Widerstand gerechnet und so ein Drama, ich zerre dich nach Hause, wenn es sein muss. Doch du bist sehr aufgeschlossen und nicht so ... stur, wie du zuerst den Anschein gemacht hast. Ich bekomme eine Gänsehaut“, zeigte Emmanline ihren Arm, wo sich ihre Haare aufgestellt hatten.
„Lucien hatte Recht gehabt, als er meinte, ich solle dich nicht mit einer Person in unserer Fantasie vergleichen, denn du bist nicht so verängstigt oder verwundet, wie wir es gedacht hatten“, schmunzelte der Elfenkönig und er schien eine anziehende Ausstrahlung zu haben. „Er meinte sogar, wir sollten dich nicht in Nöten retten, denn du trägst deinen Mut und Stolz noch höher als ein Drache.“
„Das klingt eindeutig nach Lucien“, wirkte Emmanline etwas peinlich berührt und wollte es schon abstreiten.
„Nein, er hat wirklich Recht, ich sehe es. Du zeigst durchaus, was du willst, und deine Stärke ist enorm. Das konnte deine Mutter auch immer. Sie besaß eine unglaubliche Autorität und ein Temperament, sodass niemand ihr widerstehen konnte. Das war damals wohl meine Schwäche gewesen und ich muss dir auch ein Geheimnis erzählen. Das ich dir dem Ganzen nicht im Weg stehe, liegt vielleicht daran, weil ich es selbst kenne. Adriana und ich waren in genauso einer Situation gewesen. Ich als Elfenkönig und sie als hochgeborenes Wesen, waren ihre Eltern nicht damit einverstanden gewesen, das wir uns liebten und zusammen waren. Sie weigerten sich gegen unsere Verbindung und doch hatte Adriana sich damals für mich entschieden und gegen ihre Familie. Es hatte mir damals unendlich leidgetan und versuchte sie zu überreden, das Ganze zu überdenken, aber sie würde nie ein Leben wollen, worin ich nicht existiere, egal was sie dafür opfern müsste. Nie hatte sie bereut, welche Entscheidungen sie treffen musste, selbst wenn sie ihre Familie oft vermisst hatte. Darum versuchte ich ihr ein Leben zu schenken, welches sie sich immer erhofft hatte. Eine eigene Familie“, konnte Alarion das Lächeln seiner Gefährtin noch immer sehen. In diesem Augenblick war es unbezahlbar, sowie seine Erinnerungen an ihr. „Bevor sich das wiederholt, Emmanline, müsste schon mehr passieren. Ich werde dir nicht im Weg stehen, wenn es dein Wunsch ist und du deinen eigenen Weg gehen willst. Schließlich will ich dich ja nicht verlieren, wo ich dich doch erst gerade gefunden habe.“
Emmanline musste den dicken Kloß erst herunterschlucken, bevor sie antworten konnte und sie war wirklich sprachlos. Sie musste sogar gegen ihre Tränen ankämpfen. „Das ...“, räusperte Emmanline sich. „Das kommt wirklich unerwartet und ich wusste, irgendwann würden wir uns gegenüberstehen, als ich erfahren hatte, das du existierst oder sogar noch lebst. Jeder sagte, das Elfenvolk gibt es nicht mehr, da war meine Hoffnung auf meine eigene Familie dahin. Sowie die andere Seite. Es ist erstaunlich, wie sich ein Leben so schnell drehen und verändern kann, und ich freue mich natürlich darüber. Ich entdecke und lerne so viele neue Dinge und empfinde Sachen, die ich zuvor noch nie gefühlt habe. Es ist wie, als wäre ich neu geboren“, blinzelte Emmanline ein paar Mal. „Dies ist wirklich mein Weg, den ich gehen will, und mein Platz ist an Luciens Seite. Egal wie schwer es sein würde, aber ich spüre die tiefe Verbindung zu ihm. Er ist mein Seelengefährte. Ich kann nicht ohne ihn leben.“
„Genau wie ich es mir gedacht habe“, drückte ihr Vater ihre Hand und blickte Emmanline warmherzig an. Hätte Emmanline sich diesen Augenblick so vorgestellt? Nein, das hatte sie nicht. All das verlief ganz anders und emotionaler. „Solch eine Verbindung ist etwas ganz Besonderes und die kann erst jemand verstehen, der sie schon einmal erlebt hat. Ich war genauso verbunden mit deiner Mutter und sie trägt mein Herz und meine Seele. Du weißt, was das bedeutet, nicht wahr?“
Warum verspürte Emmanline gerade ein Déjà-vu? Genau das war schon einmal passiert und vor nicht geraumer Zeit war es eine schmerzhafte Erfahrung gewesen. Luciens Mutter hatte sich jahrelang wie in Trance am Leben gehalten. Nur für ein Versprechen, das sie ihren Gefährten gegeben hatte. „Hast du meiner Mutter etwas versprochen?“
„Ja“, antwortete ihr Vater ohne Umschweife. „An dem Tag ihres Todes erschien sie mir ein letztes Mal im Traum. Sie erzählte mir von deiner Existenz und selbst wenn ich ihr gerne gefolgt wäre, wusste ich, ich musste es tun. Ich musste dich finden und nach Hause bringen. Egal was es mich abverlangen würde. Also versprach ich ihr, solange zu warten, bis ich weiß, dass du in Sicherheit bist.“
Eine kleine Träne rann Emmanline die Wange hinab. „Du hast all die Jahrhunderte eine Folter durchlebt, nur weil ich ...“
„Nein“, unterbrach ihr Vater sie sofort. „Ich bin dein Vater und ich bin mehr als stolz dich als meine Tochter bezeichnen zu dürfen, weil ich die Stärke und Schönheit deiner Mutter in dir sehe. Egal wie lange es gedauert hätte, ich hätte niemals aufgehört, dich zu suchen. Sicher würde ich gerne deiner Mutter folgen, aber noch wichtiger war es mir, dass du sicher und wohlbehalten Zuhause bist. Ich hätte alles getan.“
„Warum fühle ich mich dadurch nicht gerade besser?“, wischte Emmanline sich die vermehrenden Tränen von ihren Wangen, wobei sie leicht schniefte. „Immerhin bin ich der Grund, warum du aufgehalten wirst. Ich verstehe diese Situation und weiß, wie schrecklich das ist“, denn sie verspürte es in Luciens Gegenwart. Sie wollte nicht mehr ohne ihn sein. „Selbst wenn mich deine Worte freuen, so will ich dir deine Last nun nehmen. Unter einer Bedingung.“
Emmanline erkannte Überraschung in den Augen ihres Vaters, wobei sie leicht lächeln musste. Doch das musste sie tun, egal wie hart es werden würde.
„Die wäre?“, wollte er wissen.
„Ich verstehe deine Situation und ich werde dir nicht im Weg stehen, aber ich akzeptiere nicht, das ich erneut die Einzige in dem Wissen bleibe, wie sich kurz darauf jemand in den Tod stürzt. Du wirst Liam und Cian Bescheid geben. Das verursacht nur Probleme und weil sie ein Recht darauf haben“, stellte Emmanline ihren Standpunkt klar. Noch einmal wollte sie das Geschrei und diese Wut nicht erleben, die unter Luciens Geschwistern geherrscht hatten. Zumal wusste Emmanline, Liam und Cian liebten ihren Vater, der stets an ihrer Seite gewesen war und wenn er urplötzlich aus ihrem Leben verschwindet, würde es nur erneut auf sie zurückfallen.
Nicht noch einmal.
„Erneut?“, fragte Alarion etwas irritiert.
„Ja, erneut. Damals hatte Luciens Mutter ein Versprechen geben müssen und steckte genauso in einer Lage, wie deiner. Nur machte sie den Fehler und verabschiedete sich bei niemanden, außer bei mir. Das ist von einigen nicht gerade positiv aufgefasst worden, was ich durchaus verstehen kann. Also wirst du es tun?“, ließ Emmanline in dieser Beziehung nicht mit sich verhandeln. „Ansonsten werde ich das sofort tun.“
Leise lachte ihr Vater. „Genauso stur wie deine Mutter. Ja, ich werde vorher mit ihnen darüber sprechen.“
„Worüber willst du mit uns sprechen?“, kamen in diesem Augenblick, oder als hätte man sie gerufen, Liam und Cian aus dem Wald. Liam wirkte verschlossen und streng. Wohingegen Cian alles mit offenen Augen bewunderte. Die beiden waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht.
„Das ist sehr schnell“, meinte Emmanlines Vater neben ihr und blickte ihn einen Augenblick lang an. Sicher war das eine unangenehme Situation und nicht leicht zu erklären. Zumal sich die Spannung in der Luft aufzuladen drohte.
„Ich denke, ich sollte gehen“, erhob sich Emmanline von ihrem Platz, aber wurde von einer warmen Hand aufgehalten.
„Nein, dies ist kein Grund, warum du gehen solltest. Es betrifft dich genauso, weil du meine Tochter bist und ebenso zu der Familie gehörst“, klang es aus Alarions Mund so simpel und logisch. Schon lange hatte dieser Mann sie als ein Mitglied der ihren anerkannt, obwohl sie sich heute zum ersten Mal trafen. Es rührte Emmanline zutiefst. „Wie schwer sich das alles anhören muss,...“, nahm Alarion einen tiefen Atemzug. „... aber ich kann es nicht lange aufschieben“, blickte er seine Söhne an, die ihn erwartungsvoll anschauten.
Emmanline spürte die Anspannung ihres Vaters und wie schwer es ihm fiel, darüber zu sprechen. Geschweige merkte sie es auch, dass er versuchte, die richtigen Worte zu finden. Nur würde es die nicht geben, wenn es um den eigenen Tod ging. Sie hätte es übernehmen können, aber sie durfte sich nicht einmischen, weil es ein ernstes Thema war. Ab und an gab es Augenblicke, da durfte man nicht eingreifen.
„Ihr wisst, ich habe eure Mutter über alles geliebt und sie war meine vorherbestimmte Seelengefährtin gewesen. Ich muss ihr folgen“, platze Alarion einfach damit heraus, wo selbst Emmanline hart schlucken musste.
„Wie, ihr folgen?“, fragte Liam perplex nach.
„In den Tod. Ich habe schon zu lange darauf gewartet und nun ist der Augenblick gekommen.“
„Nein, das können wir nicht zulassen“, wurde Liam lauter und ging zwei Schritte auf seinen Vater zu, worauf Emmanline einen Schritt zurückwich, so aufgebracht schien ihr ältester Bruder zu sein. „Sag doch auch was dazu, Cian“, wandte er sich hilfesuchend an ihn. „Du kannst nicht einfach so gehen. Nicht jetzt.“
Cian schien seine Verwirrung abgeschüttelt zu haben und kam auch ein paar Schritte auf sie zu, aber er wirkte ruhiger. „Liam, du weißt, diese Zeit wäre eines Tages gekommen“, spiegelte sich Traurigkeit in seinen blauen Augen wieder. Ihn traf es zutiefst, aber in Cian konnte Emmanline eine große Akzeptanz erkennen. „Mutter und Vater sind miteinander verbunden.“
„Nein, ich akzeptiere das einfach nicht“, stieg die Wut von Liam stetig an, die Emmanline in der Luft greifen konnte. Es versetzte ihr einen unangenehmen Schauer und erst recht, als er sie nun zornig anfunkelte. „Das ist alles deine Schuld“, warf Liam mit ausgestreckten Finger ihr vor, worauf sie leicht zusammen zucken musste. „Wärst du nicht, wäre Mutter noch am Leben und Vater wäre nicht dazu gezwungen diese Entscheidung zu treffen“, schrie er sie wutentbrannt an.
„Liam, das reicht“, warnte Alarion seinen ältesten Sohn und wollte ihn somit zurückdrängen, aber vielleicht steckten in Liams Worten eine indirekte Wahrheit. „Emmanline ist an nichts Schuld.“
„Und was wenn doch?“, provozierte Liam es weiter. „Wenn ich all das hier nur sehe, wird mir einfach nur schlecht. Wie glücklich sie doch mit allem ist, wenn ich nur daran denke, das dieses gottverdammte Volk Schuld an den Tod von unserer geliebten Mutter ist. Sie verbindet sich mit einen dieser Kreaturen und zeugt mit ihnen auch noch Mischlinge ...“, befreite Liam sich ruckartig aus den Armen von seinem Vater und starrte Emmanline nur finster an, dass sie schockiert dastand. Sie war sprachlos und machtlos gegen diese Anschuldigungen. Körper und Verstand gehorchten ihr nicht mehr.
„Liam, so kannst du nicht mit unserer Schwester reden“, mischte sich nun auch Cian ein, der sich schützend vor sie stellte.
„War ja klar, dass du zu ihr hältst, Cian. Du denkst nicht darüber nach, was das alles bedeutet, nicht wahr?“, wandte Liam sich an seinen Bruder. „Ich akzeptiere das alles nicht, wenn ich nur daran denke, was Mutter alles hatte durchleiden müssen. Durch dieses Volk und doch bleibt ihr alle so ruhig. Sie können doch nicht einfach so davon kommen. Vor allem kannst du das nicht zulassen, Vater. Mutter war deine Seelengefährtin gewesen und doch bist du so ruhig und nimmst es einfach hin. Einfach so.“
„Halte jetzt endlich deinen Mund“, schrie Alarion Liam zornig an, der nun seine Geduld verloren hatte. „Was ich denke und fühle, geht dich nichts an. Das ist immer noch meine Entscheidung und wenn du dich nicht sofort bei deiner Schwester für deine Unhöflichkeit entschuldigst ...“
„Ja, was dann?“, provozierte Liam seinen Vater. „Werde ich dann ihre Gefühle verletzen oder sie sogar mit Füßen treten? Das hat sie bei uns schon bereits getan, als wir hier angekommen waren. Wir wollten sie nach Hause holen, wo sie hingehört, und du akzeptierst auch noch diese Verbindung zwischen ihnen, was ich einfach nicht verstehen kann. Vielleicht war es ein Fehler und wir hätten sie nicht retten sollen. Vielleicht ist es schon zu spät und meine geliebte Schwester ist schon längst verloren gegangen. An ein Volk, das nicht grausamer sein könnte“, machte Liam einige Schritte rückwärts, wobei er sie kein einziges Mal aus den Augen ließ, so viel Wut und Unverständnis stand in seinen Augen.
Emmanline war schockiert.
„Es tut mir nicht Leid, geliebte Schwester“, wandte Liam seine Worte weiterhin deutlich an sie, ohne Rücksicht zu nehmen. „In meinen Augen gehörst du nicht zu uns. Nicht zu uns Elfen“, waren das seine letzte Bekundung, bevor er einfach verschwand. Einfach so und Emmanline konnte noch immer das Echo in ihrem Kopf wahrnehmen, wie er meinte, sie gehörte nicht dazu.
„Höre nicht auf diesen Dummkopf“, wandte Alarion sich an sie, der vor Wut zu beben schien. „Ich werde ihn wieder zur Vernunft bringen“, war ihr Vater innerhalb einer Sekunde auch verschwunden.
Das Einzige was Emmanline nur noch hören und sehen konnte, war, wie ihr ganzes vorheriges Leben an ihr vorbei rauschte. Jede einzelne Sekunde und das Leid, welches sie hatte durchleiden müssen. Hatte Liam mit seiner Vermutung recht und sie war an allem Schuld? Wäre es vielleicht anders gekommen, wenn sie nicht geboren worden wäre? Sie erinnerte sich an so vieles und versuchte, eine Lösung dafür zu finden, was es sein könnte. Gab es je eine Möglichkeit, wie ihre Mutter hätte überleben können? Hätte Emmanline den Tod von ihr verhindern können, den sie hatte mit ansehen müssen?
Plötzlich vernahm Emmanline von weiter Ferne einen entsetzlichen Schrei und wandte sich dieser Quelle zu. Zu ihrer Überraschung erblickte sie ihren zweiten Bruder Cian vor sich, der auf den Knien zusammengekauert dasaß. Zitternd und voller Entsetzen. Seine Augen waren vor Schock weit aufgerissen und sein ganzes Wesen schien verstört zu sein.
Leichte Sorge machte sich in Emmanline breit und ging vor ihm auf die Knie. „Cian?“, sprach sie mit vorsichtiger Stimme. „Was ist mit dir?“, wobei sie sich selbst zusammenreißen musste.
Doch er schien sie nicht zu hören und starrte sie einfach nur an. So als würde er durch sie hindurch sehen. Gerade wollte Emmanline Cian berühren, als er zurückzuckte.
„Nicht anfassen. Bitte ...“, zitterte seine Stimme voller Panik.
Emmanline ließ ihre Hände wieder sinken. „Was ist passiert? Bist du verletzt?“, wanderte ihr Blick an ihm auf und ab, wobei sie immer wieder seine stark zitternden Hände wahrnahm. Etwas stimmte nicht mit ihm. „Rede mit mir.“
„Es tut mir ... leid“, wirkte Cian verstört und eine Träne lief seine Wange hinab. „Es war nicht meine ... Absicht ... wirklich. Ich wollte es nicht“, entschuldigte er sich mehrmals bei ihr.
„Was tut dir leid, Cian?“, wollte sie es genauer wissen, denn ihr schien das alles ein Rätsel zu sein. „Was wolltest du nicht?“
Jetzt erst konnte Emmanline Klarheit in den blauen Augen ihres Bruders sehen, als er sie intensiv anblickte. Sie wirkten unendlich traurig und leidvoll. „Ich habe es ... gesehen“, waren diese paar Worte so bedeutend, als könnten sie alles erklären. „Ich konnte es fühlen und sehen. Alles.“
Leicht zogen sich die Augenbrauen von ihr zusammen, während sie ausgiebig nachdachte und in seinen Augen einen logischen Grund zu finden versuchte, als es ihr dann klar wurde. Sie hatte es verstanden. „Du hast es gesehen“, antwortete Emmanline nur voller Mitgefühl. So hatte sie das alles nicht gewollt. „Kann es sein, dass du emphatische Fähigkeiten besitzt, Cian?“
„Es tut mir wirklich leid“, entschuldigte er sich erneut. „Jedes Mal, wenn jemand eine enorme Gefühlswallung hat und ich denjenigen berühre, überkommt es mich einfach. Ich fühle und sehe das, was der Andere in diesem Augenblick empfindet. Ich kann es einfach nicht kontrollieren“, erbebten seine Hände nur noch mehr, sodass sein ganzer Körper davon ergriffen wurde.
„Schon in Ordnung“, ergriff Emmanline mit sanften Händen die Seine. „Vielleicht habe ich mir das alles ganz anders vorgestellt, aber ich habe gewusst, eines Tages würde so ein Zeitpunkt kommen“, versuchte sie zu lächeln, was ihr nicht so recht gelang. Zu viele Gefühle beherrschten sie. „Vermutlich hast du das nicht mit Absicht getan, nicht wahr?“
Cians Kopf bewegte sich leicht in einer verneinenden Bewegung. „Liam war hart zu dir und ich habe gesehen, wie schockiert du darunter warst. Ich wollte dich nur ansprechen, aber als du nicht reagiert hast, musste ich dich berühren“, fing er hart zu schlucken an. „Ich hatte nicht gewusst ...“, konnte er nicht weitersprechen, da ihm seine Stimme brach.
„Wenn du diese Fähigkeit besitzt, hast du mit Sicherheit nicht gewusst, was du sehen und fühlen würdest, Cian“, versuchte Emmanline ihn etwas zu trösten, damit er sich beruhigte. Sie konnte sich vorstellen, solch eine Fähigkeit konnte eine enorme Belastung sein. Vor allen, wenn man sie nicht kontrollieren konnte. „Es stimmt, die Worte von Liam waren hart und haben mich tief getroffen“, verheimlichte Emmanline ihm das nicht. Wenn er ein Empath war, dann konnte er jede Kleinigkeit fühlen. Selbst wenn es eine Lüge war. „Vielleicht steckt auch ein Funken Wahrheit darin und Liam hat damit Recht.“
„Nein“, verneinte Cian das sofort und schaute sie voller Mitempfinden an. „Nachdem was ich alles gesehen habe, trägst du keinerlei Schuld daran. An gar nichts und dabei warst du selbst ... du warst die ganze Zeit ein Opfer gewesen. Jahrhunderte lang“, flüsterte Cian die letzten beiden Worte. Sein Kopf sank nach vorne und er lehnte sich gegen ihre Schulter. „Du warst all die Zeit alleine gewesen. Immer. Wir waren nicht für dich da, wo du uns so dringend gebraucht hast.“
Emmanline saß wie erstarrt da. „Nun ...“, räusperte sie sich einmal. „Das stimmt schon, aber ich war nicht alleine. Manchmal habe ich mich so gefühlt, aber ich war es nicht“, drückte sie ihren Bruder etwas von sich. „Selbst wenn Mutter früh gestorben war, so war sie immer bei mir. Ihr Wesen und ihre Stimme hatte mich stets begleitet. Sie wird es immer sein, Cian“, lächelte sie ihn traurig an. „Ich vermisse sie genauso, wie ihr es tut. Jeden Tag.“
„Wie schaffst du das alles nur? All dieser Schmerz und die Folter, die du hattest durch die Drachen erleiden müssen? Vor allem, da du nun unter ihnen lebst?“, schien Cian es wirklich wissen zu wollen und als verstände er es nicht ganz.
„Ganz einfach“, nahm Emmanline erneut die Hände von ihrem Bruder und legte sie in ihre Handflächen. „Sehe und fühle es selbst.“
Die Augen von ihrem Bruder wurden immer größer. Als würde er das Ganze nicht begreifen können. „Du hast sie ... lieben gelernt.“
„Nicht nur das, Cian“, hielt sie seine Hände weiterhin fest, damit er alles fühlen konnte, was in ihr vorging. „Sie waren für mich da, während ich Hilfe brauchte. Sie haben mich gerettet und das in vielerlei Hinsicht. Sie würden es wieder tun. Alle und diese Liebe, sowie Treue ist mehr als alles andere wert. Genau das ist, was mich und Lucien verbindet. Es ist mehr als das“, sprühte eine unglaubliche Freude in ihr, denn Emmanline hatte Lucien in dem Augenblick gespürt, als sie vorhin dem Abgrund nahe gewesen war. Er kam mit seiner Wärme und Liebe in ihr Unterbewusstsein, damit er ihr vermittelte, sie war nicht alleine. Immer würde er kommen und sie mit seinem inneren warmen Feuer umhüllen. Egal was passieren würde, ihre Seelen waren miteinander verflochten.
„Sie haben dich beschützt“, schluckte Cian. „Die ganze Zeit haben wir gedacht, du würdest noch immer in Gefangenschaft sein und sie lassen dich einfach nicht gehen.“
Leise lachte Emmanline und strich sanft eine goldene Strähne aus Cians Gesicht. „Am Anfang war es auch so gewesen, aber es hat sich etwas geändert. Alles. Auch ich war stur und blind für Dinge gewesen, die ich nicht sehen wollte. Irgendwann konnte ich meine Augen vor einer Wahrheit nicht mehr verschließen. Ich musste genauso Anläufe nehmen und nun bin ich an einen Punkt angelangt, dem ich nicht mehr verlassen kann. Ich habe etwas Eigenes aufgebaut. Egal was passieren würde. Lucien und seine Familie, dies ist mein Zuhause und meine Familie. Sowie es meine Kinder sind“, wichte sie ihm mit einem Daumen über seine leicht gerötete Wange. „Auch ihr tut es. Ihr gehört zu meiner Familie. Aber es liegt an euch, ob ihr dazu gehören wollt.“
Cian blickte sie einen Augenblick an, worauf seine Lippen sich leicht zu einem Lächeln verzogen. „Natürlich gehören wir dazu. Also, was mich und Vater betrifft. Liam ...“, erstarb sein Lächeln wieder. „Seit Mutter fort ist und sie dann auch von uns gegangen war ... er hat sich sehr verändert. Liam wurde verschlossen und kühler. Früher war er ganz anders gewesen“, erzähle ihr Bruder das und sie bemerkte, sie sollte Liam nicht gleich verurteilen.
„Es ist schon in Ordnung. Ich verstehe Liams innere Wut sehr gut. Selbst wenn ich es lange unterdrückt habe, so verstehe ich seine Lage. Lange Zeit hat er seinen Schmerz in sich hineingefressen und ich war nun einmal die letzte Person, die mit Mutter zusammen war. Ich verurteile ihn nicht“, richtete Emmanline ihren Blick gegen den dunklen Sternenhimmel und erkannte die Unendlichkeit darin. „Ich wollte nur, das es geregelt und fair zwischen uns ist, wenn wir uns schon wieder gefunden haben. Mehr wollte ich nicht, egal wie es ausgegangen wäre oder für welchen Weg ihr euch entscheidet. Ich wollte nur nichts bereuen.“
Cian lachte rücksichtsvoll auf. „Kein Wunder, warum ich mich zu dir sofort hingezogen fühle“, stand er wieder auf, klopfte sich seine Kleidung ab, die sehr edel an ihm aussahen. Eine Tunika, die in hellgrünen Tönen gehalten wurden und schöne goldene verzierte Stickereien besaß. Sobald er fertig war, reichte er ihr seine ausgestreckte Hand hin und in seinem Gesicht zeichneten sich freundliche und warme Züge aus. Vertrauensvoll legte sie ihre Hand in die Seine. „Du siehst Mutter zwar unglaublich ähnlich und ich fühle auch eine gewisse Präsenz von ihr an dir, aber du bist eigenständig. Doch besitzt du eine warme und magische Anziehungskraft, der sich niemand entziehen kann.“
„Du schmeichelst mir, Cian“, wirkte Emmanline leicht verlegen und durch seine Berührung, konnte ihr Bruder alles genau spüren.
„Ich meine es aber ernst, kleine Schwester. Du hast ein unglaublich großes Herz und vielleicht zeigst du zu viel große Güte und Verständnis, aber das macht wohl deine Fähigkeit aus. Ich kann es sehen und spüren“, lächelte Cian sie bewusst an.
„Ich denke, wir sollten etwas tun, was das Kontrollieren deiner Fähigkeit betrifft“, neckte sie ihn leicht. „Wenn du es willst, kannst du das wirklich, Cian. Du hast eine unglaubliche Gabe und wenn du sie erst einmal richtig beherrschst, kannst du unglaubliche Dinge damit vollbringen“, leuchteten Emmanlines Augen vor Freude dabei auf. In Cian schlummerten unglaubliche Kräfte.
„Bist du dir sicher?“, verzog Cian unglaubwürdig sein Gesicht dabei, als könnte er nicht zustimmen. „Schon oft habe ich anderen damit gegen den Kopf gestoßen und ich betrachte diese Fähigkeit mehr als ein Fluch, als etwas Besonderes.“
„Unsinn“, tat Emmanline seine Gedanken sofort ab. „In dir steckt nur mehr die Seite von unserer Mutter, als das du auf die Fähigkeiten der Elfen hoffst. Du besitzt das gleiche Aussehen, wie sie, aber fühlst du dich nicht oft anders? Oder, als würdest du nicht ganz dazu gehören?“, fragte sie ihn und konnte etwas Unbehagen in seinen Augen erkennen. „Es ist nichts Schlechtes, Cian. Auch ich habe mich das oft gefragt und wohin ich gehöre. Das bestimmst natürlich du selbst, aber leugne nicht das, was du bist, oder welche besonderen Gaben du hast. Auch ich besitze gewisse Eigenschaften sowie es die Zwillinge auch. Sie überraschen mich heute noch, aber ich werde sie niemals als minder erklären. Wir versuchen, damit umzugehen und eine Lösung zu finden.“
„Liegt es daran, warum ich mich mehr zu dir hingezogen fühle, als wie zu meinem eigenen Volk, bei denen ich mein ganzes Leben verbracht habe? Dabei kenne ich dich gerade erst einmal einen halben Tag lang“, wirkte Cian etwas geknickt.
„Nun, leider bin ich kein Empath und fühle oder sehe die Dinge nicht, wie du, aber ich spüre andere Sachen. Wie zum Beispiel, das in dir etwas schlummert, was du verborgen hältst. Ich weiß nicht, ob du es bewusst oder unbewusst tust, aber da ist etwas Großes und Leuchtendes. Mein Wesen spürt es tief in mir drinnen und es fühlt eine große Vorfreude dabei. Wenn du es willst, kann ich dir dabei helfen, genau das herauszufinden.“
Sekundenlang blickte Cian sie einfach nur an. „Das würdest du tun?“, wirkte er etwas verloren.
„Natürlich, ich bin deine kleine Schwester“, lächelte Emmanline ihn begeistert an und konnte noch immer nicht fassen, dass ihre Familie erneut gewachsen war.
„Dann will ich es tun. Ich will es sehen und lernen“, blickte Cian kurz zur Seite. „Dürfte ich vielleicht etwas hierbleiben? Ich weiß nicht, ob Liam mich jetzt Zuhause sehen will, nachdem was passiert ist. Zumal will ich ihm auch nicht begegnen. Und wenn Vater wirklich gehen will, dann möchte ich nicht alleine sein.“
„Du kannst solange bleiben, wie du willst“, lächelte Emmanline ihren Bruder warmherzig an.
„Du tust es schon wieder“, wurde Cian leicht rot im Gesicht und entzog sich ihren Händen, weil sie noch immer empathisch verbunden waren. Er hatte alles spüren und sehen können. „Ich würde auch etwas tun, wenn Hilfe notwendig ist.“
Emmanline gluckste einmal auf. „Sprich doch einmal mit Lucien darüber. Vielleicht kann er dir etwas geben und wir werden sehen, was wir für dich tun können. Du bist nicht allein, Cian. Das solltest du wissen. Egal was ist“, gab sie ihm zu verstehen.
„Kleine Schwester, du bist wirklich anders, als wie ich mir dich vorgestellt habe, aber so gefällst du mir viel besser“, wirkte Cian leicht verlegen und ab da konnte Emmanline nicht mehr und umarmte ihn in einer freundlichen Geste. Kurz versteifte er sich, aber erwiderte ihre Umarmung mit Nachdruck.
Heute war ein unglaublicher Tag, den Emmanline wohl nie vergessen würde. Sicher schmerzte ihr der Gedanke, ihr Vater würde in einem kurzen Zeitraum aus dieser Welt verschwinden und Liam war zornig auf sie. Doch so hatte sie einen kleinen Fortschritt getan und mit einen ihrer beiden Brüder einen Kontakt aufgebaut, der sie mehr als ein Blutsband verband. Alles andere würde sich ergeben und die Zeit mit sich bringen. Egal ob es gut oder schlecht war. Manche Dinge konnte niemand beeinflussen.

 

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Tag der Veröffentlichung: 04.09.2017

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