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Prolog


Piep, piep, piep. Das monotone Geräusch wurde immer lauter und war deutlich zu hören. Er kannte dieses Geräusch. Sein Herz.
Immer wieder, durch sein gesamtes Leben, war er an diesem oder einem ähnlichem Gerät angeschlossen.
Es war ihm so vertraut wie anderen das Klingeln an der Haustüre.
Dieses Geräusch sagte ihm: Du bist noch am Leben!
Aber es erinnerte ihn auch daran, dass es jederzeit vorbei sein konnte.

Langsam vernahm er ein weiteres Geräusch. Zuerst ein undefinierbares Summen, dann wurde ihm bewusst, dass es sich um Stimmen handelte.
Nach einiger Zeit erkannte er auch eine davon.
Diese warme, gutmütige Stimme, die ihn seit seiner Geburt begleitete. Seine Mutter. Er liebte seine Mutter.
Obwohl sein Vater früh gestorben war, hatte sie ihm nie das Gefühl vermittelt etwas zu vermissen. Immer war sie für ihn da.
Hat darauf geachtet, dass er sich richtig ernährte, sich nicht überanstrengte, seine Tabletten nahm. Sogar als Erwachsener war sie immer in seiner Nähe. Sie war eine starke Frau.

Nie hatte er sie weinen sehen, auch nicht beim Tod seines Vaters. Erst als ihr seine Ärzte mitteilten, dass sein Herz nicht mehr lange schlagen und er ohne passendes Spenderherz bald sterben würde, brach sie zusammen.
Sie weinte tagelang und er konnte sie kaum beruhigen. Mittlerweile weinte sie nicht mehr so häufig und er tat auch alles, damit es so blieb.
Zumindest soweit es ihm möglich war.

Dann erkannte er auch die zweite Stimme. Priya. Sie war nicht nur seine Ärztin sondern auch seine Freundin.
In den letzten sechs Jahren war sie immer an seiner Seite, wenn er sie brauchte. Sie ist zu einem wichtigen Teil seines so zerbrechlichen Lebens geworden.
Medikamente, Therapien, alles hatte sie versucht um sein Leben zu retten oder wenigstens zu verlängern. Trotzdem hat sie den Kampf gegen sein krankes Herz verloren.

Er versuchte seine Augen zu öffnen, aber sie fühlten sich an wie Blei. Ihm kam es wie eine Ewigkeit vor, bis er sie schließlich endlich öffnen konnte.
Das grelle Licht schmerzte in seinen Augen und es dauerte etwas bis er sich daran gewöhnte.
Dann sah er seine Mutter und seine Freundin am Fenster stehen.
Das Letzte, an dass er sich erinnerte, war Naina. Naina, die ihn küssen wollte, was er verweigerte. Naina, die weinend aus dem Zimmer rannte.
Und an Rohit, wie er ihm versprach Naina in all seinen weiteren Leben zu überlassen.

Wie lange hatte er geschlafen? Nach mehrmaligen Versuchen zu sprechen brachte er ein leisen “Hey ihr.” heraus.
Schlagartig drehten sich die beiden Frauen um und gingen zu ihm an sein Bett.
“Aman! Wie fühlst du dich?” fragte ihn Priya. “Müde.” flüsterte dieser. Seine Mutter setzte sich zu ihm aufs Bett und hielt seine Hand. “Aman, es ist etwas wunderbares geschehen!”
Sie strahlte beinahe. Auch Priya schien überglücklich. Langsam sah Aman von Einer zur Anderen. “Was ist los?” Priya holte sich einen Stuhl und setzte sich zu ihm. “Die Operation ist gut verlaufen. Es sieht alles bestens aus!”

Aman verstand nicht. “Welche Operation?” Amans Mutter begann seine Hand zu streicheln. “Sie haben ein Spenderherz gefunden!”
Aman war fassungslos. Was? Ein Spenderherz? Er war verwirrt. “Ich verstehe nicht ganz.”
Seine Ärztin lachte. “Was gibt es daran nicht zu verstehen? Dir geht es gut! Du wirst wieder gesund!”
Gesund? “Ich… ich… werde… leben?” stammelte er. Beide Frauen nickten überglücklich. Leben. Ich werde leben! Ich kann ein ganz normales Leben führen. Aman lächelte. Ich werde eine Zukunft haben!

Seine Mutter beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann stand sie auf und wollte gehen.
“Wohin gehst du?” fragte sie ihr Sohn. “Ich möchte Jenny anrufen. Vor der Operation konnte ich niemanden erreichen und danach wollte ich dein Zimmer nicht verlassen bevor du aufwachst.”
“Sie wissen es also nicht?” Fragend sah sie ihn an. “Ich meine, Jenny, Naina, Rohit und die anderen! Sie wissen nicht, dass ich ein neues Herz habe? Sie denken immer noch, dass ich sterben werde?”

Priya blickte zu seiner Mutter, die ihm fragend ansah und nickte. “Dann lasst es dabei!” sagte Aman mit so fester Stimme, wie es ihm möglich war.
Fassungslos starrten die Beiden ihn an. “Was redest du da, mein Sohn?”
“Ich will, dass ihr sie glauben lasst, ich wäre nicht mehr am Leben!” Kopfschüttelnd kam seine Mutter wieder zurück ans Krankenbett.
“Wieso, Aman? Sie sind doch deine Freunde!
Sie haben ein Recht darauf zu wissen, dass es dir gut geht! Sie werden für dich da sein wollen! Mit dir zusammen sein!
Die neue Zeit, die dir geschenkt wurde, gemeinsam mit dir verbringen! Dir geht es gut, Aman! Hörst du! Du wirst weiterleben! Du wirst glücklich werden! Und du willst nicht, dass deine Freund es erfahren?”

Aman schloss die Augen und holte tief Luft. Dann sah er fest ihn die Augen seiner Mutter. “Glücklich? Wie sollte ich glücklich werden, wenn meine Freunde um mich herum sind?”
Die beiden Frauen sahen sich sprachlos an, als Aman fortfuhr. “Wie soll ich hier, hier in New York glücklich werden? Die einzige Frau, die ich jemals liebte, hat einen anderen geheiratet! Ich habe sie dazu gebracht. Wie könnte ich glücklich werden, wenn ich die beiden zusammen sehe?
Und Naina! Was ist mit ihr? Sie hat Rohit mit dem Wissen geheiratet, dass ich sterben werde!”

Tränen bildeten sich in seinen Augenwinkeln und seine Augen wurden feucht. “Ich hab sie dazu gebracht, einen anderen zu heiraten obwohl sie mich liebte, weil ich dachte ich würde sterben! Sie könnte niemals glücklich werden, wenn sie wüsste, dass ich lebe! Und ich will, dass sie glücklich ist!
Naina soll glücklich werden! Naina muss glücklich werden!
Und dass kann sie nicht, wenn sie es erfährt! Versteht ihr? Sie darf es nicht erfahren. Niemand darf es!”

“Was willst du tun?” fragte Priya leise. “Bringt mich weg von hier! Verlegt mich in ein anders Krankenhaus! Wenn mein Bett leer ist, werden sie denken, es sei vorbei. Und du wirst sie in dem Glauben lassen, hörst du Priya? Versprich es mir!”
Die Angesprochene nickte. Aman sah wieder seine Mutter an. “Sobald es möglich ist, werden wir diese Stadt verlassen! Wir gehen nach Washington, Los Angeles, zurück nach Indien oder sonst wo hin!
Aber wir werden gehen! Weit weg, ein neues Leben beginnen.“ Aman starrte aus dem Fenster und fügte leise hinzu: “Vielleicht, vielleicht kann ich dann dort glücklich werden. Irgendwann.”

Zehn Jahre später...


Mumbai war die größte Hafenstadt Indiens. Kaum sonst wo lagen Armut und Reichtum so nah beieinander. Anders als in den meisten Städten lagen hier die Armenviertel nicht außerhalb sondern in Stadtmitte.
Weit von diesem Teil der Stadt entfernt, in einem Apartmenthaus mit Blick auf den “Sahjay Gandhi National Park”, ging im vierzehnten Stock die Tür einer Wohnung auf.
Eine Frau mittleren Alters betrat diese und rief: “Hallo, mein Sohn! Ich hab dir etwas zu Essen mitgebracht! Ich weiß ja, dass du sonst wieder nichts isst und fünf Tassen Kaffee ersetzen das Frühstück nicht!”
Sie öffnete eine große Tüte und stellte eine Plastikdose auf den Tisch, ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank und beäugte ihn kritisch.
Nachdem sie alles, was sie für ungenießbar hielt entsorgte, füllte sie ihn mit frischen Produkten aus ihrer Tüte. Mit einem schrägen Blick zur Kaffeemaschine meinte sie: “Du trinkst sowieso zuviel von dem Zeug!”

Der Koffeinkonsum ihres Sohnes gefiel ihr gar nicht. Es war ungesund und könnte sich negativ auf sein Herz auswirken.
Früher hatte er nie Kaffee getrunken. Langsam ging sie zu einer Kommode, die sich unter einem der vielen Fenstern befand und nahm ein Bild, welches darauf stand, in ihre Hand.
Es zeigte zwei Frauen. Eine Ältere im hellen Sari, daneben eine Frau mit warmherzigem Lächeln. Davor auf einer Treppenstufe saßen zwei Kinder, ein

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Patrick Klink
Tag der Veröffentlichung: 29.12.2012
ISBN: 978-3-7309-0500-5

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