Cover

Eine ganz neue Amara

Es tat nur halb so weh, als wie ich es mir in meiner Vorstellung ausgemalt hatte. Ruhig beobachtete ich die Nadel und lauschte dem zierenden Geräusch. Nach und nach verschmierte sich die schwarze Tinte mit dem austretenden Blut. Die Farbe unter meiner Haut wurde sekündlich dunkler, sodass ich schon bald die drei kleinen Vögel in voller Pracht an meinem Handgelenk sehen konnte.

"Ist nicht so schlimm oder?", fragte mich Matt, als er mir mit einem Tuch die überschüssige Tinte wegwischte und die Nadel wieder ansetzte.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich dachte, es wäre schlimmer."

Matt grinste zufrieden: "Braves Mädchen."

So sah ich zu, wie Matt das Kunstwerk an meiner Haut fertigstellte. Stich für Stich kam das Kunstwerk an meiner Haut zum Leben. Ich musste lange mit mir Ringen. Ich hatte schiss vor den Schmerzen und weniger davor, dass es für immer war. Aber als ich Matts volle Arme sah, den Totenkopf an seiner Brust und die neue Joker Karte an seinen Rückenblatt, war es um mich geschehen. Den Gedanken an eines hatte ich außerdem schon länger. Und was hielt mich auf es nicht zu tun?

Ich wollte das und ich brauchte es. Einfach etwas das für mich bildlich eine veränderung von mir selbst darstellte. Die alte Amara hätte sich das nicht getraut. Die Neue war anders, sie war mutiger.

"Deine Mutter wird dich vermutlichen killen", meinte Matt beiläufig.

"Vielen Dank, dass du mich daran erinnern musstest." Ich biss mir auf die Lippe und versuchte nicht zu lachen. Ein verstochenens Tattoo würde ihr Gemüt nur noch schlechter Stimmen. Aber eigentlich konnte mit das ja egal sein. Schließlich war ich kein kleines Mädchen mehr. 

Nachdem Stechen und Säubern der Wunde trug er mir eine kühlende Salbe auf. Die Stelle, an der ich soeben mein erstes Tattoo bekommen hatte, schwoll an. Es brennte etwas, aber ich glaubte, dass die Salbe tatsächlich etwas half.

"Die Folie solltest du später runternehmen. Deine Haut muss atmen. Okay?", sagte Matt belehrend. Ich freute mich, dass er diesen Job wirklich machen durfte. Ich konnte mich noch genau erinnern, wie er mir von seiner Idee erzählte in einem solchem Studio zu arbeiten. 

"Okay und vielen Dank. Es sieht super aus. Ich bin froh, dass ich mich wirklich getraut habe." Ich stieg vom Stuhl runter und hob meine kleine Handtasche vom Boden auf.

Matt zog sich die Handschuhe aus und entsorgte sie in einem kleinen Kübel neben seinem Bein. Er rutschte mit dem Stuhl nach hinten und stand auf. "Hey, bei mir musst du dich nicht bedanken. Ich versuche bei jedem Kunden das beste Ergebnis zu erzielen. Immerhin hält diese Kunst für immer. Und ... ich werde bezahlt."

"Danke trotzdem." Matt schmunzelte und begleitete mich zur Kasse. Ich gab ihm mehr Trinkgeld als ich es normalerweise tat. Er hatte wirklich tolle Arbeit geleistet und das sollte belohnt werden. Das Geld für dieses Tattoo hatte ich mir außerdem schon etwas länger zur Seite gelegt, weil ich dachte, dass es teurer sein würde.

"Wann sehen wir uns später?" Ich steckte meine Geldbörse zurück in meine Tasche.

"Ich habe hier noch eine Weile zu tun." Er sah hinter mir vorbei auf die wartenden Kunden. "Aber um vier möchte ich spätestens versuchen mich vom Acker zu machen. Geht das klar?"

"Okay. Bis später Matt." Ich verabschiedete mich mit einem Küsschen auf die Wange. Dann verließ ich das Tattoo-Studio, in dem Matt seit knapp vier Jahren arbeitete und ging auf den Parkplatz zu meinen blauen VW. Ich schmiss meine Tasche auf den Beifahrersitz und gurtete mich an. Von der Ablage kramte ich meine schwarze Sonnenbrille. Heute schien die Sonne wieder besonders hell und die Straße blendete, da es erst kurz zuvor zum Regnen aufgehört hatte. Einmal noch starrte ich auf mein Handgelenk, bevor ich den Motor startete und aus Dublin hinausfuhr. Ich brauchte eine Stunde, bis ich in Mullingar ankam. Auf der Straße war es wie üblich ruhig. In der Einfahrt von Mums und Bobbys Haus stand ein weiterer Wagen, bei dem es sich um das Auto von Denise und Gregor handelte. Ich wusste nicht, dass auch die Beiden heute hier sein würden.

Ich parkte meinen Wagen ab und richtete mir mit Hilfe des Rückspiegels mein schulterlanges Haar. Meine neue Frisur fühlte sich noch etwas unangenehm an, aber es hatte auch gute Seiten. Meine Haare waren zum Beispiel schneller trocken, ich verbrauchte weniger Shampoo und es war deutlich kühler. Mit meinem Bein drückte ich die Tür meines Wagens auf, rekelte mich noch einmal hinein und nahm meine Tasche vom Beifahrersitz. Ich strich mein hellblaues Kleid glatt, das sich dadurch zerknittert hatte. Man konnte wirklich behaupten, dass ich heute jemand komplett anderes war. Damals war ich eine zwanzigjährige naive junge Frau, die irgendwie versuchte Fuß in der Welt zu fassen und in ein Fettnäpfchen nach dem anderen trat. Heute zog ich, obwohl ich eigentlich immer strikt dagegen war, Kleider an. Ich musste zugeben, dass ich es im Sommer eigentlich angenehm fand und außerdem war man schneller beim An- und Ausziehen. Mein langes Haar ließ ich mir erst vor zwei Wochen kürzen. So kurzes Haar hatte ich zuletzt als kleines Mädchen. Ich liebte meine langen Haare einfach über alles, aber ich war bereit für eine Veränderung. Das einzige an dem ich noch arbeiten musste war meine berufliche Laufbahn, denn da lief es alles andere als gut.

Insgesamt klingelte ich genau zweimal, bis mir von einem kleinen Jungen mit roten Bäckchen die Tür geöffnet wurde.

"Tante Amara!" Theo schlug die Tür weit auf und umarmte mich. Ich wuschelte ihm durch sein helles Haar. "Hallo, mein Kleiner. Wie geht es dir?"

"Gut, aber Schule nervt. Ich habe immer so viele Hausaufgaben. Mum lässt mich auch erst raus, wenn ich sie gemacht habe." Schmollend verschränkte er die Arme. "Jake darf den ganzen Tag spielen. Das ist unfair!" Er schob die Unterlippe vor.

"Jake ist aber auch fünf Jahre junger als du. Irgendwann muss er auch in die Schule gehen und lernen."

Theo trat einen Schritt zurück. "Hm, ich weiß nicht. Es ist trotzdem unfair."

"Lass uns doch mal hineingehen, Theo." Sanft schob ich ihn mit der Hand zurück ins Haus und schloss hinter uns die Tür. Theo lief voraus in die Richtung des Gartens. Ich zog den weißen Vorhang zur Seite und trat auf die Terrasse hinaus. Auf dem großen Gartentisch unter einem Sonnenschirm saß meine Familie.

"Hey", grüßte ich in die Runde. Denise stand auf und zog mich in eine Umarmung, die mit Küsschen rechts und links endete. Gregor umarmte mich zum Gruß ebenfalls und Bobby drückte mir einen Kuss auf die Wange. Meine Mutter war die letzte die mich begrüßte, da sie etwas abseits mit Jake Erdbeeren pflückte.

"Amara, mein Schatz!", rief sie winkend.

"Hallo Mum." Ich winkte ihr ebenfalls. Und auch der kleine Jake drehte sich um, um mir zu winken. Dann streckte er die Hand aus, um mir von der Ferne die Erdbeere zu zeigen, die er in der Hand hielt.

"Amara was möchtest du trinken?", fragte mich Bobby. Ich setzte mich auf den freien Stuhl rechts von Gregor.

"Irgendetwas Kaltes. Wasser würde mir schon reichen."

Bobby nickte und stand auf um mir mein Getränk zu holen. Ich hätte es mir auch selber holen können, aber ich wusste, dass Bobby nicht lange mit mir darüber diskutieren würde. Von meinem Platz aus hatte ich den Garten gut in Übersicht. Mum und Jake standen noch bei den Erdbeeren und Theo zog sich gerade seine Kleidung aus. Er schmiss sie achtlos auf den Boden, nahm Anlauf und sprang in den Pool. Und am Rasen flitzte Flash, der drei Monate alte Golden Retriever Welpe, herum. Er wälzte sich im Gras und verfolgte einen Schmetterling.

"Amara hast du da etwa ... ein Tattoo?" Denises Stimme riss mich aus den Gedanken. Ich hob meinen Arm hoch und streckte ihn ihr zu. "Ähm ja. Ich habe es mir heute stechen lassen. Matt hat es mir gemacht."

"Wow, das sieht sehr schön aus", meinte sie lächelnd.

"Dankeschön." Ich zog meinen Arm zurück und nahm Bobby mein Glas ab, da er gerade zurückkam. Auch er sah die schwarze Tinte an meinem Handgelenk.

"Das geht nie wieder weg, das weißt du, oder?"

Ich lachte ein bisschen. "Ja, natürlich weiß ich das." Dachte er wirklich ich ließ mir einfach ein Tattoo stechen, ohne zu wissen, dass es für immer war?

Bobby setzte sich gegenüber von mir nieder und zuckte mit der Schulter. "Ich wollte es nur erwähnt haben."

Hand in Hand kam Mum mit Jake zurück an den Tisch. Jake ist sehr schüchtern, deshalb wunderte es mich nicht, dass er sich hinter dem Bein meiner Mutter versteckte und mir von weiter weg die geöffnete Hand mit der roten Frucht anbot. Er erinnerte mich sehr an Theo in seinem Alter. Unsere erste Begegnung verlief auch so.

"Ist die Erdbeere etwa für mich?"

Er nickte und beobachtete mich skeptisch. Ich streckte meiner Hand nach seiner und nahm ihn dankend die Beere ab. "Die schaut wirklich lecker aus." Ich zupfte den Stiel und die grünen Blätter vom Ende und nahm sie in den Mund. Die Beere war nicht so süß, wie ich gehofft hatte. Aber ich aß sie trotzdem und tat, als wäre es die Beste und süßeste Erdbeere, die ich jemals gegessen hatte. "Das war sehr lecker. Dankeschön."

Jake lächelte zufrieden und lief anschließend hinter unseren Stühlen in die Arme seiner Mutter Denise. Sie nahm ihm auf den Schoss hoch und gab ihn etwas zum Trinken. Mir bliebt auch nichts anderes übrig, als mein Kunstwerk noch meiner Mutter vorzuführen. Ganz anders als erwartete, meinte sie, dass es ihr gefiel und sie mir nicht zugetraut hätte ein Tattoo zu bekommen. Ich dachte eher, sie würde mir eine Predigt vorhalten. Mit meinen fünfundzwanzig Jahren sollte ich mir darüber eigentlich keine Gedanken mehr machen müssen, aber bei ihr war ich mir da einfach nie sicher. Wie schon erwähnt, ich war alt genug, meine eigenen Entscheindungen zu treffen und ihre Meinung sollte mich nicht kümmern, aber schlussendlich blieb sie doch meine Mutter und ihre Meinung wird leider immer zählen.

Mum saß gegenüber von mir. Sie nippte an ihrem Sektglas und schnitt Grimassen in Jakes Richtung. Ihm gefiel es, denn sein Lachen war laut und fröhlich. Dann wurde sie wieder etwas ernster und sprach mich direkt an: "Wann lädst du uns endlich zu dir nach Hause ein, Amara? Ich konnte verstehen, dass du nach dem Studium nicht wieder hier einziehen wolltest, aber du weißt, du hättest hier immer einen Platz am Tisch."

"Ja, das weiß ich. Und danke, aber ich möchte dich und Bobby nicht belästigen. Ihr wollt doch bestimmt auch eure Ruhe haben", erwiderte ich und hoffte, sie würde das Thema fallen lassen.

Mum lehnte sich mit dem Ellbogen am Tisch ab. Verträumt seufzte sie vor sich hin. "Ich hätte dir wirklich gerne über die Schultern geschaut, wenn du das erste Mal die Arbeiten deiner Klasse korrigiert hättest. Ah herrje, ich kann mich noch ganz genau an deinen ersten Schultag erinnern ... Ich habe dir ein süßes rotes Marienkäfer Kleid angezogen. Auf deiner Schultasche war Minnie Mouse aufgedruckt und die Schultüte war fast so groß wie du. Irgendwo habe ich noch ein Foto davon ..."

Sie meinte das Foto, das gemacht wurde, bevor Grandma mir die Schultüte wegnahm und mir aus gesunderer Variante einen Obstkorb schenkte. Ja, auch ich konnte mich noch daran erinnern, als meine Schokolade gegen Mangos, Avocados und Bananen getauscht wurde. Ein Traum für jedes Kind in diesem Alter.

"So interessant wäre das auch wieder nicht", tat ich die Sache ab. "Außerdem bräuchte ich dazu erstmals einen Platz an einer Schule. Eine gute Stelle zu finden, ist hier nicht sonderlich leicht."

Bobby klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. "Wir glauben an dich. Du bekommst das bestimmt hin."

Na, wenn die nur wüssten.

Greg und Denise machten sich mit den Kindern schon etwas früher auf den Weg nach Hause. Ich half Mum und Bobby beim Wegräumen und ging anschließend mit Flash spazieren. Um kurz nach vier brach ich nach Hause auf.

Kinnegad, die Landstadt knapp zwanzig Kilometer von Mullingar entfernt, war mein neues Zuhause. Die Stadt war überörtlich ohne viel Bedeutung. Die Einwohnerzahl betrug um die vierhundert. Sie bot aber eine gute Autobahnauffahrt, an der man rasch nach Mullingar oder Dublin kam. Die Wohnung im zweiten Stock eines Mehrparteienhaus, war klein und fein und ... gehörte nicht mir.

Die Tür zwickte etwas, sodass man beim Aufsperren immer erst etwas daran ruckeln musste, bis sie aufging. Schnaufend, da mich die Hitze in diesem Kessel immer wieder auf das neue überraschte, wedelte ich mir mit der Hand Luft zu und drückte dabei die Wohnungstür mit dem Fuß zu.

"Du bist schon da?", stellte ich fest. Matt kam mit kurzer Sporthose und ohne Shirt aus dem Badezimmer. Dann schnappte er sich ein rotes ärmelloses Shirt, dass auf der Couch lag. Inzwischen hatte ich mich bereits an den göttlichen Anblick gewöhnt, den mir dieser Typ jedes Mal wieder bat.

Matt nickte, drehte sich zum Kühlschrank und nahm zwei kleine Wasserflaschen heraus. "Ja, ich habe doch gesagt um vier Uhr will ich abhauen. Und jetzt husch", er deutete auf die Badezimmertür. "Zieh dich um. Wir wollen doch los."

Männer, Dates und Bettgeschichten

 

Ich war mir nicht sicher, wie lange ich schon gelaufen war, aber das Stechen in meiner linken Seite wurde immer mehr. Schließlich musste ich anhalten, um am heißen Beton in die Knie zu gehen und durchzuatmen.

"Pause!", rief ich und wedelte mit Hand. 
Ein lautes Schnaufen ließ sich dabei nicht unterdrücken.

Matt drehte sich schmunzelnd zu mir um. Ihm sah man nicht an, wie lange wir schon gelaufen waren. Er lief noch im Stand, um seinen Körper weiterhin auf Trab zu halten.

Blöde Sportskanone!

"Eine Pause? Jetzt schon? Ich bin echt enttäuscht von dir, Julien."

Ich sah ihm böse an, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. "Ja, ja. Spotte nur über mich. Eigentlich müsstest du mich loben. Ich halte jeden Tag länger durch."

Matt kam näher zu mir und verschränkte die Arme am Nacken. "Ich bin stolz auf dich, Amara." Er grinste mir übertrieben zu. "Bist du jetzt zufrieden?"

Ich stand auf und nahm mir aus meinem Turnbeutel meine Wasserflasche heraus. Als hätte ich Matt an das Trinken erinnert, tat er es mir gleich. Das Wasser war schon warm, aber durch die Hitze schwitzte die Flasche. Die Feuchtigkeit an meinen Fingern tat gut. Es erfrischte mich etwas und ich freute mich schon auf eine kalte Dusche.

Nach der kurzen Pause liefen wir wieder in einem angenehmen Tempo den Weg zwischen den Feldern entlang. Hin und wieder kamen uns auch andere Jogger entgegen oder Fahrradfahrer.

"Und? Wann wirst du heute abgeholt?", fragte Matt.

Ich strich mir den Schweiß von der Stirn. "Um neun. So habe ich noch genug Zeit mich frisch zu machen."

"Wisst ihr auch schon, was ihr macht? Oder ist das wieder so eine spontane Aktion?" Matt sah mich aus dem Augenwinkel an.

"Wir gehen etwas trinken. Wir wollten es langsam angehen lassen."

Wir bogen ab und liefen jetzt zwischen einem Feld und einem Waldrand entlang. Eine junge Frau und ein Mann im vermutlich selben Alter überholten uns gerade mit Fahrrädern.

"Ich glaube, ich mache mir mehr Sorgen um dich, als du selbst", sagte Matt seufzend. "Hast du keine Angst, wenn du dich mit wildfremden Typen aus dem Internet triffst?"

"So fremd sind sie mir ja nicht", erwiderte ich. "Ich schreibe doch vorher mit denen."

"Der kann dir doch genau das Schreiben, was du hören möchtest. Ich mache mir immer Sorgen, sobald du das Haus verlässt. Mir wäre es lieber, wenn du dich mit jemanden aus der Umgebung anfreunden würdest."

"Matt, du hörst dich an wie meine Mutter."

Er grinste mich an. "Deine Mutter ist eine schlaue Frau, die weiß was gut für dich ist."

Als wir zu Hause ankommen, drängte ich mich vor Matt ins Badezimmer. Ich zog mich aus und öffnete meinen kurzen Pferdezopf. Und weil ich gerade daran dachte, wog ich mich an der Waage ab. Seit meiner letzten Abwägung hatte ich etwas mehr als zwei Kilo abgenommen. Nach ihm hatte ich den Kummer mit Essen ertränkt. Dabei hatte ich satte vierzehn Kilo zugenommen. Ich hasste mich, hasste mein Aussehen und spürte die Blicke an mir, die mich in den Wahnsinn trieben. Heute war es anders. Mit Matts hilfe, der mich zum Sport antrieb, meiner eingeschränkten Ernährung und dem Kalorienzählen, hatte ich es wieder auf mein Ursprungsgewicht geschafft.

Ich stieg unter die Dusche und genoss die Erfrischung und den Geruch von Kokosnuss. Erst als Matt an die Tür klopfte und mich fragte, wie lange ich noch vorhatte das Wasser zu verbrauchen, stieg ich aus der Dusche heraus. Meine Haare wickelte ich in ein kleines Handtuch. Mit einem anderen bedeckt ich meinen Körper.

Matt stand ohne Shirt und völlig verschwitzt vor der Tür, als ich im Handtuch bekleidet herauskam. Er sah mich nicht komisch an, machte keinen Kommentar, sondern stieß mich schon beinahe zur Seite. Ich weiß, eigentlich gehörte es sich nicht, so aus dem Bad zu kommen, aber was sollte ich schon sagen? Ich war es einfach von meiner Wohnung in London gewohnt. Sie war schön, geräumig, hatte einen Aufzug und sprengte mein Budget. Wohnung in dieser Stadt waren für mich nicht mehr erschwinglich. Das Geld, das ich von Connor vor fünf Jahren bekommen hatte, ging für die Uni drauf. Nebenbei müsste ich auch die Miete für meine Wohnung stemmen, die ich genommen hatte, weil ich nicht mehr mit ihm zusammenwohnen wollte beziehungsweise konnte. Ich konnte es einfach nicht. Nach Mullingar war einfach alles ... anders.

Von meinem früheren Wohlstand war nichts mehr da. Ich war so arm wie eine Kirchenmaus. Was wohl klar war, wenn man dachte, dass ich schon seit drei Monaten Matts Couch als mein Bett bezeichnete. Eigentlich hätte ich noch ein Semester beenden müssen, um die Universität erfolgreich abgeschlossen zu haben, aber die Kosten erdrückten mich. Den einzigen, den ich von meinen Sorgen erzählt hatte, war Matt. Einmal wäre ich beinahe eingenickt und hätte Connor um Geld gebeten, aber ich kam dann zu dem Entschluss, dass ich selbst schuld war. Ich hatte genügend Geld, um auszukommen. Es hätte locker gereicht für meine fixen Kosten und die Uni. Aber der Teufel und die Rabatte schlafen leider nicht. Ich hatte mir ein Auto zugelegte, das ständig kaputt war. Eine kleinere Wohnung, ohne den ganzen Schnickschnack, hätte es sicher auch getan und die vielen Klamotten und die teuren Bio-Lebensmittel, wären auch nicht notwendig gewesen. Heute würde ich vieles anderes machen. Vielleicht würde ich Nia- ähm ihm eine weitere Chance geben. Vielleicht hätte ich nach den drei Monaten, in denen ich probiert hatte sein und ihr Kind nicht zu hassen, es irgendwann geschafft. Ja, vielleicht wäre dann alles anderes. Eventuell wäre ich jetzt verheiratet mit Ehemann und eigenen Kind.

Na ja, nun werde ich es nie erfahren.

Bevor Matt wieder aus dem Bad kam, zog ich mich um. Meine Klamotten hatte ich in meinen Koffern in Matts Zimmer gelagert. Mehrere Male hatte er mir bereist angeboten, dass er mir ein Fach in seinen Kleiderschrank zur Verfügung stellen wollte, aber ich schlug ab. Das hier sollte keine permanente Lösung sein. Ich wollte so schnell wie möglich wieder auf meinen eigenen Beinen stehen. Angefangen mit einem Job. Es war mir total egal was ich machen müsste, Hauptsache ich bekam Geld um Matts Couch nicht länger zu besetzten.

Neu eingekleidet holte ich mir einen Kaffee. Hinter mir ging die Badezimmertür auf. Matt hustete und verschwand in seinem Schlafzimmer. Ich kippte mir einen Schuss Rum in die Tasse, um mir etwas Mut anzutrinken. Den kubanischen Kaffee hatte mir Valerie gezeigt. Seitdem trank ich ihn gerne so, aber nur, wenn ich wusste, dass ich nicht mehr in mein Auto steigen musste. Nebenbei gönnte ich mir noch ein paar Erdbeeren. Danach huschte ich ins Badezimmer um mein Gesicht und meine Haare auf Vordermann zu bringen.

„Hier deine Post."

Ich sah Matt im Spiegel wie er einen Brief auf die Ablage hinter mir legte. Er lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und beobachtete mich.

„Ist was?" Ich legte das Glätteisen ab und sah in durch den Spiegle an.

Matt schüttelte den Kopf. „Ne, es ist nichts. Du weißt doch, wie ich über dein Vorhaben denke."

„Dir wäre es lieber, wenn ich hierbleibe. Schon klar, Matt. Mach dir mal nicht ins Hemd. Ich bin ein großes Mädchen, ich kann schon selbst auf mich aufpassen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen." Ich räumte meine Chaos zusammen und wickelte das Kabel um das Glätteisen, um es danach in den Schrank stopfen zu können. Als ich mich an Matt vorbei quetschte, angelte ich noch nach dem Brief. Ich legte ihn zu meiner Handtasche auf die Couch.

Zu meiner Hotpants und einem rotem Croptop zog ich mir Chucks an. Heute sollte schließlich keines dieser gezwungenen edlen Dates wären. Ich und wie-hieß-er-noch wollten es ruhig angehen lassen. Während ich mir meine Schnurrsenkel band, spürte ich deutlich Matts Präsents hinter mir. Er wollte mich immer davor abhalten auf eines dieser Internetdates zu gehen. Aber hier in seinen vier Wänden und in dieser winzigen Ortschaft konnte man keinen Mann kennenlernen und ich hatte es schon lange satt alleine zu sein. Von ihm hatte ich mich vor fünf Jahren und zwei Monaten getrennt. Es war eine harte Zeit, in der ich niemanden an mich heranließ. Heute fühlte ich mich bereit dazu. Ich wollte jemanden an meiner Seite wissen. Irgendwo auf dieser Welt musste doch noch jemand sein, der mich genauso lieben konnte wie er.

„Warum machst du dir nicht ein paar Dates klar?", fragte ich Matt. „Du bist immerhin schon Neunundzwanzig. Findest du nicht, dass es Zeit wird dir eine Frau zu angeln? Ich meine, du wirst nicht jünger ..."

Matts verdutzter Gesichtsausdruck ließ mich schmunzeln. „Ja und? Das Alter spielt doch keine Sache. Die Richtige war eben noch nicht dabei. Ich habe es nicht so gnädig wie du. Und wenn ich jemanden für Sex brauchte, gehen ich in die Disco oder in eine Bar. Da findet sich immer jemand der an mich ran will."

Ich hob eine Augenbrauche. „Ich wohne seit zwei Monaten hier, aber bis jetzt, habe ich dich noch nie eine Frau mit nach Hause bringen sehen."

„Weil das auch gut kommen würde, wenn wir hier reinsparzieren und du auf der Couch liegst. Die denkt dann ich habe eine Freundin und haut ab. Außerdem ... willst du alles mitanhören? Schließlich bin ich mega gut im Bett. Du würdest kein Auge zubekommen ...", Matt grinste über beide Ohren wie ein selbstverliebter Arsch.

Ich schüttelte lachend den Kopf. „Du scheinst ja ganz schön eingenommen zu sein. Die, die immer behaupten, sie seien die besten im Bett, sind in Wahrheit keine Granaten. Vermutlich bekommst du deshalb keine ab."

Matt setzte sich auf die Couch und streckte die Arme aus. „Ach ja? Als wir damals im Haus meiner Eltern rumgemacht haben, hast du dich nicht beschwert. Wenn ich mich recht erinnere hast du sogar gestöhnt. Und das nur von meinen Lippen." Er zwinkerte mir frech zu. „Nun stell dir mal vor, was ich mit vollem Körpereinsatz bewerkstelligen kann ..."

Ich verdrehte die Augen. „Bitte, das ist sechs Jahre her. Ich hatte meinen ersten Rausch und du warst da."

Gespielt verletzte fasste er sich auf sein Herz. „Das heißt, du hast mich damals nur benutzt?"

Ich erwiderte nichts und er lachte.

„Ich muss jetzt los. Er ist bestimmt schon da." Ich nahm mir meine Tasche und verabschiedete mich von Matt. Er gab mir nur ein halbherziges lächeln zurück.

Vor einem weißen Auto hin und her gehen, sah ich den Typen aus dem Netz. Als er mich sah, blieb er stehen und begann breit zu lächeln. Er trug eine schlichte dunkle Jeans, ein ACDC Shirt und Sneakers. Seine Haare waren schwarz und oben etwas länger als an den Seiten. Es sah weich und gepflegt aus.

„Hallo", grüßte ich.

„Hey. Schön dich mal persönlich zu treffen, Amara." Er reichte mir eine Hand. Auch seine Handflächen waren genau so weich, wie seine Haare aussahen. Aus unserem Chat wusste ich, dass er bei der Bank arbeitete, was wohl zu seinem übertrieben gepflegten Aussehen passte.

„Dich auch", sagte ich nur, weil ich vergessen hatte, nochmal zu schauen wie er hieß. In den letzten vier Wochen hatte ich mich schon mit vier anderen Typen getroffen. So verlor ich leicht die Übersicht. Ich versuchte es immer so hinzubiegen, dass wir irgendwo hingingen, wo mehrere Menschen waren. Ich wollte nicht mit einen wildfremden alleine bei ihm zu Hause sein. Dazu fehlte mir der Mumm und mein Schutz zum Selbsterhalt meldete sich.

Er öffnete mir die Tür seines Wagens und schloss sie wieder, als ich mich setzte. Während ich den Gurt um mich legte, stieg auch er ein. Ein letztes Mal, sah ich hoch an unser Wohnungsfenster hoch, an dem ich Matt sah, der uns beobachtete.

Wir fuhren die Landstraße entlang, auf der man geradewegs nach Mullingar kam. Ich hatte schon angenommen, dass es und hierher verschlagen würde, da es in meinem Kaff nichts gab, außer Wohnhäuser und einen kleinen Kreisler.

„Ich habe ein bisschen gegoogelt, weil ich mich hier nicht recht auskenne. ‚Marlon's' hatte recht viele positive Anmerkungen."

Wir standen vor der Bar, in der ich mich vor fünf Jahren und fünf Monaten volllaufen hatte lassen. Marlon, den Inhaber selbst, hatte ich dabei vollgekotzt. Seitdem war ich mit keinen Fuß mehr über die Schwelle getreten. Mir war das einfach nur mega unangenehm.

Hier willst du etwas trinken?", fragte ich, obwohl die Antwort klar war. Natürlich wollte er hier etwas trinken. Weshalb sonst, würde er wohl vor der Bar parken.

„Stimmt etwas nicht damit? Willst du da nichts trinken? Wir können auch weiterfahren. Das wäre kein Problem." Er lächelte mich nett an.

„Nein, schon gut." Es war fünf Jahre her, an meinen peinlichen Zwischenfall erinnerte sich sicher niemand mehr. Außerdem kannte ich mich hier aus. Die letzten Dates die ich hatte, fanden immer irgendwo außerhalb der Stadt statt. Ich hatte keine Angst, und würde es nie zugeben, aber wo mit einem Fremden zu sein, wo man sich auskannte und eventuell Leute kannte, hatte schon etwas Sicherheit an sich.

Wir gurteten uns ab und ich folgte meinem Datedurch ein Dickicht aus Rauch und Qualm in das Innere der Bar. 

 

Niall und Holly

 

Nialls Sicht

Der fast leere Raum machte mir erst bewusst, was wir hier taten. Es war endlich an der Zeit meinen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen. Die Regale waren leer, die Kartons gepackt und schon auf den Weg nach Irland. Zurück in die Heimat hieß es. Ich wusste nicht, wenn ich das nächste Mal vorhatte wieder hierherzukommen. Nach der Abschiedstour mit den Jungs letztes Jahr hatte ich endlich den Entschluss gefasst mehr Zeit mit meiner kleinen Familie verbringen zu wollen. Ich war mir sicher, dass ich es in der Zukunft bereuen würde, meine Kleine nicht beim Aufwachsen gesehen zu haben. Es war das Richtige das zu tun. Meine Familie war mir am wichtigen und das wollte ich sie spüren lassen. Ihr zeigen und beweisen.

"Daddy?" Mein Sonnenschein stand im Türrahmen. Mit dem Finger an ihren Lippen und dem süßen kleinen Zöpfchen, das ihr dünnes helles Haar zusammenhielt, sah sie aus wie Holly, als kleines Mädchen. Sechs Jahre alt wird sie nächsten Monat. Wo bleibt nur die Zeit?

Ich hob sie hoch und drückte ihre einen Kuss auf die weichen Wangen. Sie kicherte, weil mein Bart sie kitzelte.

"Ich hab' dich lieb", sagte sie zuckersüß und legte ihre Arme um meinen Nacken um mich zu umarmen.

"Ich dich auch, Prinzessin."

In Augenblicken wie diesen wusste ich, dass es die richtige Entscheidung war eine Pause von der Musik zu machen. Immerhin konnte man diese Zeit nie wieder nachholen und ich wollte nichts mehr verpassen. Keinen Augenblick, keinen einzigen.

"Niall, bist du endlich soweit? Wir sollten endlich los!"

Ich ließ Charlotte wieder auf den Boden hinunter. "Komme schon", rief ich, nahm mir meinen Rucksack und ging mit meiner Tochter an der Hand zur Wohnungstür, wo Holly schon stand und auf uns wartete. Sie schob ihre Brille mit den runden Gläsern an ihrer Nase nach oben. Ihr blondes Haar war zu einem Zopf gebunden.

Die Türen des Aufzuges gingen gerade auf, als wir ankamen. Ich gab ihr einen Kuss. Wir fuhren mit dem Lift hinunter in das Erdgeschoss. Ein Taxi stand schon vor der Eingangstür und wartete auf uns. Es war ein bittersüßer Abschied dieses Gebäude hinter mir zu lassen. Hier hatte ich so viel erlebt und durchgemacht, dass ich eigentlich überhaupt nicht glauben konnte, dass ich hier nicht mehr zurückkommen würde. Das nächste Mal, wenn ich in London sein werde, werde ich mir ein Hotelzimmer buchen müssen.

Ich nahm den Platz am Beifahrersitz, während Holly und Lotte sich hinten niederließen. Der Verkehr war heute wieder extrem schlimm und es dauerte nicht lange, bis meine Kleine hinten zu jammern begann.

"Wann sind wir endlich da? Fahren wir noch lange?" Schmollend verzog sie ihre dünnen Lippen.

"Bald, Schatz", antwortete Holly ihr.

Charlotte war kein Kind von Geduld. Wenn ihr etwas zu lange dauerte, begann sie gerne zu jammern und zu motzen. Sie schmollte öfter, als ich je zählen könnte.

Am Flughafen hielten wir sie mit einem Tablett mit Spielen und Videos in Schach. Ich hieß es nicht für gut, dass sie so viel Zeit an diesem Ding verbrachte, aber so blieb sie wenigstens still.

Der Flug verlief ohne Turbulenzen. Vor Ort in Dublin wurden wir bereits von Hollys Vater erwartet. Marvin Claint, ein Topanwalt mit eigener Kanzlei in Mullingar. Holly umarmte ihren Vater zur Begrüßung und Lotte sah ihn mit großen Augen von unten an. Er war kein Fremder für sie, aber sein streng aussehender Blick und der gestriegelte Anzug ließen ihn so wirken.

"Hattet ihr einen guten Flug?", fragte Marvin an seine Tochter gerichtet.

"Ja", sagte Holly und nahm dabei die Hand von Lotte. Marvin strich seiner Enkeltochter über den Kopf und anschließend reichte er mir die Hand zum Gruß.

"Heute ist es also endlich soweit. Ich bin froh, dass du dich richtig entschieden hast." Er drückte meine Hand kräftig.

Ich nickte Marvin auf seine Worte hin zu. Er hatte schon vor zwei Jahren versucht auf mich einzureden, mich für meine Familie zu entscheiden. Damals wollte ich die Musik nicht einfach ablegen. Es hatte mich so viel Aufwand gekostet überhaupt, das zu erreichen, dass ich heute hatte, dass mir die Entscheidung nicht leichtfiel. Und gerade damals war das Comeback von One Direction geplant. Ein Album schrieb sich nicht von alleine und die Promotour konnte wohl kaum ohne die Band stattfinden.

Dieses Mal saß ich mit Charlotte hinten. Holly und ihr Vater redeten die ganze Zeit über alles, das ihr in den Sinn kam, während ich Lotte übers Haar strich und ihr Lächeln entgegnete. Ihre blauen Augen leuchteten. Am Ende der Fahrt stiegen wir vor unserem neuen zu Hause aus. Ein Haus zwei Häuser entfernt von Hollys Elternhaus. Ich hätte gerne den freien Grund am Ende der Straße von Dads und Kates Haus gekauft, aber ich konnte ihr diese Bitte schlecht abschlagen. Es verging selten ein Tag, an dem ich Lotte nicht schuldbewusst ansehen konnte, und daran dachte, dass ich die ersten Wochen ihres Lebens nicht für sie da war. Es war nicht meine Schuld, das war mir klar, aber es reichte aus, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen.

Holly erneut lieben zu lernen, dauerte. Es war nicht geplant und traf mich völlig überraschend. Nach Amara war ich am Boden zerstört. Ich wollte mir einreden, dass sie wieder zurück zu mir kam, dass sie sich damit abfinden könnte, dass ich nun für ein Kind sorgen musste, das meine Gene besaß und leider nicht von ihr war.

Ich war Amara nicht böse. Sie hatte es wirklich versucht. Drei Monate lang, versuchte sie irgendwie damit klarzukommen. Doch jeder Blick von ihr, den sie Holly und der Kleinen zuwarf, war voll mit Schmerz und Wut. Es war ihr nicht fair gegenüber und es stand mir nicht zu etwas Derartiges von ihr zu verlangen. Jedoch hatte ich gehofft, dass ihr Ja mehr bedeutete. Dass sie so etwas für mich in den Kauf nehmen würde. Meine Angst, ihr davon zu erzählen war schlussendlich völlig berechtigt und mein bescheuerter Antrag eine absurde Idee. Generell war es vermutlich nicht die beste Idee sich in seine Stiefschwester zu verlieben. Ich hätte damals nicht so viel Zeit mit ihr verbringen sollen. Vielleicht hätte ich sie erst überhaupt nicht mit in die Bar schleppen sollen oder nach London einladen. Sie daheim am Fernseher kennenzulernen hätte ausreichen müssen. So wäre es nie so weit gekommen. Es war genau wie Kate es immer befürchtet hatte. Eine Beziehung von uns beiden könnte die Familie spalten.

Holly hob unsere Tochter hoch, die den Kopf an ihre Schulter lehnte und leise sagt: "Wer wohnt hier?"

"Wir. Das ist unser neues Zuhause. Es wird dir gefallen. Dad und ich haben es ausgesucht."

Ich legte eine Hand auf Holly Rücken. "Wollen wir hineingehen?"

Sie nickte und ging voraus.

Im langen und breiten Flur des Hauses, parkten unsere Umzugskartons. Hollys Eltern hatten während unserer Abwesenheit alles Pakete und auch die Autos angenommen. Unsere Möbel standen bereits und warteten nur darauf eingeräumt zu werden.

Das Haus war lichtdurchflutet. Durch das viele Glas fühlte man sich nicht wie in einem Betonklotz eingeschlossen. Das riesige Wohnzimmer mit der Terrassentür befand sich am Ende des Flurs, das ohne Wände an die freie Küche anschloss. Ein WC und ein separates Badezimmer befand sich zu meiner Linken Seite, wie auch ein Arbeitszimmer zu meiner rechten. Es war mein rückziehraum, der alle meine musikalischen Preise und Instrumente beherbergte. Es gab auch eine kleine Aufnahmekabine - auf die ich bestanden hatte.

Mit der Hilfe von Martin und Hollys Mutter Jane, stürzten wir uns zu viert auf die Kartons. Die Küche wurde zuerst eingeräumt, gefolgt von den Regalen im Wohnzimmer. Ich ließ dabei Holly entscheiden, wo sie gewisse Gegenstände haben wollte. Auch Charlotte half fleißig mit. Sie brachte uns eine Kaffeetasse und ein Glas nach dem anderen. Als es dämmerte beschlossen wir für heute Schluss zu machen. Marvin und Jane verabschiedeten sich und Holly schnappte sich unsere Tochter, die sie in die Badewanne setzte, während sie die Betten überzog und ich mich auf den Weg zu einer Pizzeria machte, um etwas zum Essen zu holen. Dabei machte ich einen kurzen Halt bei meinem Vater und Kate.

Dad hatte mir auf die Schulter geklopft und mir seine Freude mitgeteilt. Kate hingegen, sah mich etwas missmutig an. Seitdem damals klar wurde, dass ich eine Tochter mit Holly zusammen hatte und später die Beziehung zu Amara zerbrach, mochte sie mich, glaube ich, nicht mehr sonderlich gerne. Kate behandelte mich nicht abfällig so wie ihre Mutter, aber ich merkte, dass da etwas zwischen uns stand. Aber meinen Vater zuliebe versuchte sie sich nichts anmerken zu lassen.

Ich stattete Annabelle einen Besuch am Grab ab, so wie ich es immer tat, wenn ich nach Hause zurückkehrte. Es ist hart. Sie wäre heute genauso alt wie meine Tochter. Tante und Cousine. Oft spielen mir die Gedanken einen Streich und ich stelle mir vor, wie die Beiden zusammen auf der Wiese herumlaufen und fangen spielen.

Mein Besuch währte nicht lange, immerhin wollte ich meine Frauen nicht zu lange warten. Ohne Essen im Magen wurden beide unausstehlich.

Als ich wieder zu Hause ankam, lagen meine Mädchen bereits auf der Couch, die sie aus der Plastikverpackung befreit haben mussten. In Hollys Händen war ein Buch und Charlotte hörte den Worten ihrer Mutter zu. Schneewittchen, wie immer.

"Daddy!" Charlotte löste sich von Hollys Armen und lief auf mich zu. Sie klammerte sich wie ein Affe an mein Bein. Holly lächelte uns sanft zu. Dann stand sie auf und nahm mir die beiden Pizzakartons ab. Ich nahm unsere Tochter hoch und setzte sie auf einen der neuen Stühle in der Küche.

"Was möchtest du trinken, Niall? Meine Mutter hat uns ein paar Getränke in den Kühlschrank gestellt." Holly nahm eine Flasche Bier heraus und zeigte sie mir. Dankend nickte ich. Ich stieg über einen Umzugskarton und platzierte das Essen auf Tellern. Holly nahm derweil meine Flasche und ein Glas mit Saft für Lotte mit. Ich folgte ihr, stellte die Teller ab und nahm Platz. Charlotte zupfte bereits geschmolzenen Käse von ihrem Stück, als sich auch ihre Mutter mit etwas zu trinken setzte.

Exakt eine Stunde später fand ich mich in einer kurzen Pyjamahose in unserem neuen Bett wieder. Ich verfolgte die Nachrichten und Tweets auf Twitter, während sich Holly im Bad zurecht machte. Als die Tür aufging, drang der Duft von Zitrone in meine Nase. Sie band sich die Haare zusammen und ging in der knappen Shorst und dem Sport-BH an ihre Seite des Bettes. Holly kuschelte sich an mich und beobachtet das Display meines Telefons.

"Irgendetwas interessantes passiert?", fragte sie.

"Nein."

Ich legte mein Telefon auf den Schrank neben mir und betätigte den Schalter, der sich gleich daneben befand. Mit einem Schlag war das Licht im Raum erloschen. Ich rutschte unter die Decke und hielt sie in meinen Armen. Dieses klimatisierte Haus war der Wahnsinn. In meinem Elternhaus, würde ich heute sicher nicht, so ausgelassen mit einer Decke schlafen. Dazu war es einfach viel zu heiß.

"Jetzt wohnen wir also wirklich, so richtig, zusammen. Das ist so schön", murmelte Holly in die Dunkelheit. Die Matratze bewegte sich etwas, als sie sich in meinen Armen drehte, so dass sie mit dem Kopf in meine Richtung lag.

Ich nahm meine Arme von ihr und stützte meinen Kopf ab. Im Dunkeln sah ich nur ihren Gesichtsumriss. "Aber wir haben doch vorher auch schon zusammengelebt." Ich wusste nicht mehr, wie lange, aber über ein Jahr war es bestimmt schon. Zwei sogar vielleicht.

"Das mag schon sein, aber man kann doch die alte Wohnung nicht mit diesem Haus vergleichen."

Der Unterschied ergab sich mir nicht recht. Ob wir nun in einem Haus leben oder in einer Wohnung, sollte doch egal sein. Ich entschied mich aber meine Gedanken nicht zu teilen.

"Stimmt. Das Haus ist großartig", antwortet stattdessen.

Ihre Stimme klang voller Freude. "Ich kann es kaum erwarten, das Haus mit noch mehr Leben zu füllen. Es war das richtige hierherzuziehen, Niall."

Ihr Kopfumriss näherte sich meinem. Ihr warmer Atem, der nach Minze roch, schlug mir ins Gesicht, gefolgt von einem Paar Lippen, die meine suchten. Ihre Hand an meiner Wange war warm. Langsam drückte ich die mit meine Lippen nach unten, bis sie auf dem Polster lag. Ich verteilte kleine Küsse an ihrer Haut.

"Niall?" Ihre Stimme war höher, als sich meine Lippen den Weg mach unten bahnten. "Wie wäre es eigentlich mit einem Geschwisterchen für Lotte?"

Stars und Sternchen

 

Amaras Sicht 


„Wisst ihr schon, was ihr bekommt?", fragte uns ein junges Mädchen, das vermutlich gerade alt genug war um in einer Bar zu arbeiten. 
Ich schlug die Getränkekarte die, die ich eben still studiert hatte.

„Ein Glas Cola-rum für mich bitte."

Ich sah zu meinem Begleiter, der mich ansah und sich anschließend zur Kellnerin wandte. 
„Ich hätte gerne einen Cappuccino, bitte."
Die junge Frau tippte es in ihr Bestellgerät und dampfte ab.

„Ich dachte, wir wollten etwas trinken?", fragte ich. Ich dachte, er meinte Alkohol trinken.

Er lehnte sich am Tisch nach vorne und schmunzelte. „Und ich dachte, wir wollten es langsam angehen?" Dann verzog er die Lippen zu einem Schmunzeln. „Ich bin doch der Fahrer. Ich möchte dich auch wieder sicher nach Hause bringen. Später werde ich mir ein Getränk gönnen, okay?"
Irgendwie fühlte ich mich nun ein bisschen schlecht. Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Als unsere Getränke kamen, verschwand das Gewissen mit jedem Schluck mehr und mehr. Irgendwann hatte ich auch durch die Blume seinen Namen erfahren, als wir über unsere Eltern sprachen und er mir erzählte, dass er nach seinem verstorbenen Vater benannt würde. Er hieß Henry.

Wir sprachen über seinen öden Job als Bankangestellter und ich erzählte von der Universität und London. Er fragte nicht nach meinem Abschluss, bestimmt ging er davon aus, dass ich einen gemacht hatte. Bestimmt sogar.
Ich war eine Enttäuschung, nicht nur für mich selbst, sondern auch für meine Eltern, für deren Eltern und auch für jeden Typen der auch nur ansatzweise gefallen an mir zeigte. 
Kurz nach Mitternacht und einige Cola-rum später, bezahlte Henry die offene Rechnung. 
Er hielt mir die Wagentür auf und ich setzte mich. Leicht angeheitert wie ich war, dauerte es etwas länger als sonst. 
Henry stieg auf seiner Seite ein und zündete den Motor an. Er hatte wirklich nur ein Bier getrunken und sonst nur Cappuccino. 
Er fuhr mich wieder nach Hause und half mir aus dem Auto heraus. 
„Danke."
„Kein, Ding." Henry legte eine Hand an seinen Nacken. „Es war nett heute. Vielleicht kann man das mal in nächster Zeit wiederholen."
„Das würde mich freuen, Henry."
„Okay. Toll." Plötzlich schüchtern gab er mir einen kurzen Kuss auf die Wange. Wir verabschiedeten uns und er wartete, bis ich hinter der Haustür verschwunden war.

Mit einem ächzend drückte ich die verzogene Wohnungstür auf. Matt saß auf der Couch mit den Beinen bequem am Kaffeetisch liegen. Er grüßte mich mit einem einfachen Hey, während ich aus meinen Schuhen schlüpfte und beinahe über meine eigenen Beine stolperte.

Ich ließ meine Tasche auf den Boden fallen und machte es mir neben Matt auf der Couch gemütlich. Er hielt mir eine Schale Popcorn vor die Nase, aber ich verneinte.

"War er eh anständig?"

Ich gähnte und streckte mich. "Ja, er war ein Gentleman." Müde lehnte ich meinen Kopf an Matts breiten Oberarm an. Der ganze Tag hatte mich ausgelaugt. Ich fühlte mich einfach nur hundemüde. Ich sehnte mich nach meinem weichen, riesigen Bett in London. Ich wünschte mir die übergroßen Kissen herbei und die Stille. In meiner Wohnung in London war es immer still. Die Nachbarn, gaben keinen Mucks von sich, was auch an den dicken Wänden lag. Die Fenster waren ebenso schalldicht. Vom starken Londoner Verkehr bekam man nichts mit.

Aber hier war es etwas anderes. Man konnte den Gesprächen von nebenan lauschen, konnte genau hören, wenn jemand etwas in eine Steckdose einsteckte, oder die Motoren der Autos die an uns vorbeifuhren. Dazu kam noch, dass man sich in diesen Wänden wie in einem Backofen fühlte. Im Moment war das Fenster geöffnet, was etwas frische Nachtluft hereinlies und die hohen Temperaturen etwas regelte. Aber nur etwas. Warm war es trotzdem noch.

Bevor ich hier in dieser Position einschlief, stand ich auf. Ich wollte mich noch umziehen. Eine kurze Hose, die knapp über den Hintern endete und ein Shirt mit dünnen Trägern taten es für mich.

Als ich aus dem Bad herauskam, hatte Matt die Couch geräumt. In der Küche brannte Licht, was zuvor noch nicht der Fall gewesen ist. Matt füllte sich ein Glas mit Wasser am Wasserhahn auf.

"Ich denke, ich werde mich aufs Ohr hauen."

Matt drehte den Wasserhahn zu und nickte. "Ich auch. Gute Nacht, Amara."

"Gute Nacht, Matt." Ich lächelte ihn zu und zog mich zurück ins Wohnzimmer, wo ich das Licht ausschaltete und mich mit einer dünnen Decke und einem quadratischen Kissen, die Matt mir beide zuvor schon zurechtgelegt haben musste, auf die Couch.

Ich schloss meine Augen erst, als auch der letzte Lichtstrahl aus der Küche der Dunkelheit wich und Matts Tür ins Schloss fiel.

Um kurz nach acht Uhr morgens öffnete ich das nächste Mal meine Augen. Ich raunte laut und warf die Decke zur Seite, die mich noch mehr schwitzen ließ. Mein erster Gedanke war es aufzustehen und duschen zu gehen, meinen zweiter mir einen kubanischen Kaffee zu machen und der dritte war es einfach liegenzubleiben. Ich war nun mal faul so früh am Morgen. Weitere zehn Minuten vergingen, in denen ich überlegte, was ich als Erstes tun sollte, aber meine Antwort wurde von jemand anderen beantwortet.

"Los, raus aus den Federn! Unser Training lässt nicht auf sich warten!" Matt stand schon fertig angezogen in seinen Sportklamotten vor der Couch und sah mich schief an.

Ich rieb mir meine verschlafenen Augen. "Gott! Wie kann man so früh morgens nur so motiviert sein?"

Matt zuckte mit der Schulter. "Keine Ahnung. Weil ich gut gelaunt bin?"

"Dann bist du jeden Morgen gut gelaunt", merkte ich an. Ich hatte bis jetzt noch keinen Morgen mit ihm erlebt, in dem er nicht hoch motiviert vor mir stand.

"Nicht jeder ist so ein Miesepeter wie du, Julien. Jetzt beeil dich!"

Murrend schaffte ich es vom Sofa hoch, um mir Sportklamotten zu holen und mich im Bad Tages tauglich zu machen. Die Dusche ließ ich gut sein. Nach unserem Lauf würde ich sowieso eine Dusche benötigen. Am Spülbecken packte Matt gerade zwei Flaschen Wasser in einen Rucksack ein.

"Kann es losgehen?"

Ich nickte. "Ich wäre dann soweit. Klar."

Wie immer liefen wir den Weg zu den Feldern, bis hinunter an den Rand des Waldes und an der anderen Seite wieder zurück nach Hause. Zu dieser Uhrzeit war es auch schon warm, aber nicht mehr so unerträglich wie gestern Nachmittag. Ich mochte es zu laufen, es war befreiend und wenn wir nicht über verschiedenste Themen sprachen, war es eine gute Möglichkeit seine Gedanken zu sammeln.

Nach über einer Stunde liefen wir den Weg hoch zur Haustür. Eine ältere Dame, die ebenfalls in unserem Haus lebte, keuchte wie verrückt, als sie schwere Tüten hochschleppen wollte.

Matt, mit seinem trainierten Körper, nahm ihr die Tüten ab und stellte sie vor ihrer Wohnungstür einen Stock unter uns ab. Matt war ein echter Gentleman. Ich schätzte ihn für solche Taten wirklich sehr. Auch ich wohnte auf seine Kosten auf seiner Couch. Er hatte mich ohne Wenn und Aber aufgenommen, als ich verheult bei ihm aufgetaucht war. Er ist wohl das einzige positive daran, dass ich Niall kennengelernt hatte.

Mit etwas Gewalt drückten wir unsere Wohnungstür auf. Wir schlossen die Fenster und zogen die dicken Vorhänge zu, damit sich die Wohnung tagsüber nicht noch mehr aufheizte.

Dieses Mal ging Matt zuerst unter die Dusche. Er traf sich heute mit seiner Schwester Amber und seiner Mutter zum Mittagessen. Amber hatte ihre Kurse bereits abgeschlossen. Von Matt hatte ich erfahren, dass sie wieder zu Hause bei ihrer Mutter lebte und ein bezahltes Praktikum im Rathaus von Dublin nachging. Das Politikstudium schien sich für sie ausgezahlt zu haben. Eine hinterhältige verlogene Schlange war sie sowieso schon. Nun hatte sie ihr Handwerk perfektioniert. Dem Anschein nach, hatte sie wirklich jeglichen Kontakt zu Holly vermieden, seitdem Matt ihr damals gedroht hatte, nichts mehr mit ihr zu tun haben zu wollen.

Holly ...

Holly und Niall.

Niall und Holly.

Bis heute kann ich es nicht fassen, dass er sich wirklich wieder dazu breitgeschlagen hatte, mit ihr zusammenzugehen. Ihr Kind hatte sie wieder zusammengebracht. Solange er glücklich mit ihr war, war es okay für mich. Ändern konnte ich sowieso nichts mehr daran und wollte ich auch überhaupt nicht. Es war besser für unsere Familie, dass wir nicht zusammen waren. Das Einzige, das mich schon daran störte, waren ihre vielen Postkarten. Es gab ständig welche. Bedruckte Postkarten mit ihren glücklichen Gesichtern darauf. Zu Ostern, zu weihnachten, zu Geburtstagen, ... manchmal auch einfach nur so, um nette Grüße zu senden.

Ich ließ mich seufzend auf die Couch fallen, während Matt noch immer duschte. Da fiel mein Blick auf ein weißes Briefchen, das unter dem Kaffeetisch lag. Es war der Brief, den Matt mir gestern im Badezimmer gegeben hatte. Ja, ich hatte ihn nicht viel Beachtung geschenkt, weil ich durch das Material und den Verzierungen schon wusste, dass es wieder einer dieser besagten Grußsendungen war.

Ich streckte mich nach ihm und hob ihn auf. Ich musste zugeben, dass dieses Covert noch edler wirkte als sonst.

Absender: Holly Claint und Niall Horan

Oft fragte ich mich, ob sie mir diese Briefchen mit Absicht schickten, um mir ihr Glück unter die Nase zu reiben. Da aber auch Bobby und Mum solche Briefchen bekam, zerfiel mein Verdacht, das Holly noch immer ihre böse Ader an mir abließ, zu Asche.

Ich zerriss den Brief in der Mitte und warf ihn in den Mülleimer. Da klingelte auch schon plötzlich mein Telefon. Ein Foto von meiner Schwester Valerie leuchtete auf. Ich hob schnell ab, da ich mich immer sehr freute, wenn sie etwas Zeit für mich hatte. Nachdem sie das Modeln für den Moment aufgegeben hatte, um sich auf ihre Serie für Netflix zu konzentrieren, hatte sie nur selten Zeit für mich. Im Moment drehte sie in Kanada mit dem anderen Cast die zweite Staffel der "Whitwood Academy" Serie. Valerie hatte die Hauptrolle. Ihre Rolle heißt Blair Ravens und der zweite Hauptcharackter wird von Cody Christian verkörpert. Er spielt Kilian Whitewood. Die Fantasy Serie ist ein Hit auf Netflix und die zweite Staffel wird schon sehnlichst von allen erwartet - inklusive mir.

"Das sieht so echt aus", staunte ich, als ich eine klaffende Wunde an Valeries Wange wahrnahm, nachdem wir uns begrüßt hatten. Es war ein Videoanruf. Sie musste wohl ihr Telefon an irgendetwas angelehnt haben, da sie ihre Hand gerade benutzte um aus einen Starbucks Becher einen Shake zu schlürfen. Hinter ihr stand eine Frau, die ihr gerade die Haare machte.

"Ja, stimmt. Es ist immer wieder beeindruckend wie echt das alles wirkt. Aber reden wir nicht über mich, ich erzähle doch sowieso immer nur dasselbe. Wie geht es dir? Was machst du so?"

"Alles bestens. Matt und ich waren gerade eine Runde laufen. Ich warte gerade darauf, dass er mit duschen fertig ist. Sei froh, dass du mich nicht riechen kannst."

Valerie lachte. Dann sog sie wieder an ihrem Strohhalm und setzt ein ernsteres Gesicht auf. "Hast du Kate schon erzählt, dass du bei Matt wohnst und nicht alleine?"

Ich hatte meiner Schwester nichts davon erzählt. Aber vor einem Monat lief Matt beinahe halbnackt und nur in Unterwäsche hinter mir vorbei und Valerie fing sofort an zu glauben, dass wir etwas hatten. Also kläre ich sie über meine Wohnsituation auf. Aber meine kleine Lüge mit der Uni, glaubte auch sie noch. Sie war so erfolgreich, dass ich mich schäme, nichts erreicht zu haben. Manchmal fragte ich mich, was wohl gewesen wäre, wenn unsere Plätze vertauscht worden wären. Wenn ich bei Connor aufgewachsen wäre und sie bei Mum. Säße ich dann in diesen Stuhl und ließ mir die Haare machen?

"Habe ich noch nicht. Aber das werde ich noch, mach dir darum keine Sorgen."

Sie nickte. "Na gut. Ich möchte dir da natürlich nicht reinreden, also mach was du willst. Nur umso länger du sie belügst, umso wütender wird sie werden." Valerie zuckte mit der Schulter und wechselte das Thema. "Hast du die neuen Fotos von Sophie gesehen? Die, wo sie in London mit Harrys Styles essen ist. Man munkelt, dass die Zwei ein Paar sind."

Etwas geschockt lehnte ich mich zurück. "Was? Ist das dein Ernst?" Ich konnte nicht glauben, was sie mir da erzählte. "Sophie und Harry?"

Sophie hatte es in den letzten fünf Jahren wirklich weit geschafft. Wir redeten noch immer nicht miteinander. Wir teilten uns nur an Geburtstagen unsere Glückwünsche mit oder an Weihnachten und Neujahr. Sonst hatten wir keinen Kontakt zueinander. Das heutige Victoria Secret Model hatte eben keine Zeit mehr für mich oder einer einfachen Entschuldigung.

Mein Kontakt mit Tobi war dafür seit drei Jahren wieder aufrecht. Wir hatten ein langes Gespräch, wie es zu unserem Streit kam. Inzwischen hatten er und Peter sich das Ja-Wort gegeben. Ich war bei ihrer Hochzeit dabei und ich freute mich sehr für beide. Peter war wirklich ein sehr netter Mann und ich fragte mich heute, wie ich damals auf diese bescheuerten Anschuldigungen kam.

Ich wünschte wirklich, es wäre anders gelaufen.

 

Und plötzlich bist du da

Mein Videoanruf mit Valerie ist nun fünf Tage her. Wie jeden zweiten Freitag im Monat war ich heute wieder bei unserer Nachbarin einen Stock höher. Ich passte auf ihre Tochter auf. Es erinnerte mich stark daran, wie ich damals, um mir Konzertkarten leisten zu können oder neue Klamotten, ebenfalls immer meinen Service im Wohnhaus angeboten hatte, als Bobby und Mum sich noch nicht kannten. Mit Claire ist es aber viel einfach, als mit den kleinen Kindern von damals. Sie ist schon dreizehn. Ja, man sollte denken, dass man mit dreizehn Jahren keinen Babysitter mehr benötigte, aber ihre Mutter traute es dem jungen Teenager zu, eine große Party zu schmeißen oder Jungs einzuladen. Da sie ständig von ihrem Schwarm Josh, einen fünfzehnjährigen Knappen erzählte, konnte ich mir das gut vorstellen. Er war einer dieser "Bad Boys" mit Lederjacke und Kippe zwischen den Lippen. Für mich sah er aus, wie ein kleiner Lausbube der nur auf taff tat und bei Prügel heulend weglaufen würde. Die Hühnerbrust, die blasse Haut und die eingefallenen Augen, waren nicht das, was ich als attraktiv Kennzeichen würde. Was sie an diesem Kerl fand, konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen. Nun denn, ich weiß ja, dass man sich das mit der Liebe oder dem verliebt sein nicht selbst aussucht.

Claire saß bereits auf der Couch im Wohnzimmer. In der Mikrowelle ploppten gerade die Maiskörner auf, während ich zwei Schüsseln aus dem unteren Schrank nahm und das Salz bereit stelle. Als die Mikrowelle klingelte, nahm ich die heiße Papierpackung vorsichtig heraus und zog an den Enden, um die Verpackung zu öffnen. Heißer Dampf stieg auf und der köstliche Duft von Popcorn lag im Raum. Ich füllte die Schüsseln gleich voll auf und salzte ausgiebig nach.

Claires braune Locken hingen hinter ihr an der Rückenlehen der Couch hinab. Sie hatte es sich bereits mit ihrem Telefon in der Hand gemütlich gemacht. Eine kühle Brise des Ventilators traf mich, als ich ihr ihre Schüssel reichte und mich ebenfalls neben sie pflanzte. Ich schnappte mir die Fernbedienung und drückte auf Play.

"Jetzt siehst du mal einen ordentlichen Teenie Film", meinte ich.

Claire hob eine Augenbraue. "Der Film ist uralt. Ich bezweifle, dass er gut werden wird. Camp Rock, selbst der Titel hört sich nicht besonders einfallsreich an."

"Der Film ist zwar älter als du, aber dafür hervorragend. Den Soundtrack hatte ich damals wochenlang laufen, als der Film rauskam."

Der Film begann mit Demi Lovato als Mitchie, die mit einem übergroßen Grinsen auf den Lippen, die Decke beiseite wirft, sich umzieht und am Keyboard zu einem Song rockt. Claire sah mich daraufhin skeptisch an. Ich stopfte mir zufrieden eine Hand voll Popcorn in den Mund.

Ihr blieb sowieso nichts anders über, als sich meinen Film anzusehen. Wir hatten sozusagen einen kleinen Deal. Wir nannten unsere Abende nicht Babysitten, sondern Filmabende. Letztes Mal hatte sie sich für einen neuen Teenie Film entschieden, der meiner Meinung nach nicht hätte schlimmer sein können. Deshalb hatte ich heute Camp Rock mitgenommen. Eine DVD, die ich schon ewig besaß. Es war keine Blu-ray, keine 4K Version oder sonstiges einfach eine normale alte DVD mit Wendecover.

Jedes Mal, wenn Tess Tyler sprach verdrehte Claire ihre Augen. Nachdem Demi Lovato ihren Song "This is me" am Klavier angestimmt hatte, hatte auch Claire das Camp Rock Fieber erreicht.

"Dieses Lied hört sich echt gut! Wann hört man das ganze?"

Ich grinste nur zufrieden weiter und aß mein Popcorn. Den Film hatte ich mir selbst schon lange nicht mehr angeschaut, dafür wusste ich aber noch ganz genau, was wann passiert. Den Film hatten ich und Sophie früher immer laufen. Da ich ein großer Jonas Brothers Fan bin, musste ich das natürlich niemanden erklären. Nick Jonas war für mich meine Nummer eins, während Sophie sich in Joe verkuckt hatte. Kevin war der Nette und höfliche, aber ich denke, er hatte uns nie so angesprochen wie die anderen beiden, weil er doch noch etwas älter war, als seine Brüder.

Als der Film zu Ende war und der Abspann einsetzte, drehte sich Claire mit offenem Mund zu mir. "Die haben sich doch überhaupt nicht geküsst? Das kann doch nicht das Ende sein?! Ich hoffe, dass es einen zweiten Teil gibt ..."

Ich nahm meine ausgestreckten Beine vom Wohnzimmertisch. "Ja, gibt es. Ich habe ihn auch zu Hause."

"Warum hast du ihn nicht mitgenommen?" Sie machte eine fragende Geste mit der Hand.

Ich schmunzelte. "Er hat dir wohl doch gefallen, hm?"

"Ja, er war schon gut", erwiderte sie kleinlaut. "Schauen wir uns nächstes Mal den anderen Teil an? Ich möchte jetzt wirklich wissen, wie es weitergeht." Claire nahm ihr Telefon vom Tisch. "Muss gleich mal auf Spotify schauen, ob es eine Playliste zu diesem Film."

Ich nickte. "Gibt es."

Wir räumten unsere Schüsseln, die Gläser und leeren Flaschen weg. Und mit einem Fruchteis setzten wir uns wieder. Im Hintergrund ließ Claire die Camp Rock Playliste laufen.

"Sag mal Amara, ist dir das nicht langweilig, jeden zweiten Freitag im Monat deinen Abend mit mir zu verbringen? Immerhin könntest du in Clubs gehen oder mit Freunden abhängen."

"Ist das die nette Art mir zu sagen, dass du mich loswerden willst?", scherzte ich und in Gedanken fragte ich mich, welche Freunde sie meinte. Meine Freundesliste bestand aus zwei Namen. Matt und Tobi. Tobi, sah ich nur nie, weil er sich in London befand, so blieb ich bei einem Namen: Matt.

Claire zuckte mit den Schultern. "Ich will dich doch nicht loswerden, aber ich würde mich dennoch freuen, wenn meine Mutter mir endlich vertrauen würde. Ich bin doch kein kleines Mädchen mehr."

"Sie meint es bestimmt nur gut."

Ihr Blick auf meine Antwort schien nicht sehr überzeugt zu sein. Ein Piepsen von ihrem Telefon unterbrach unseren Blick. Augenblicklich zog sich ein breites Lächeln über ihr Gesicht. Ich lehnte mich einfach mal über das Fenster und war mir sicher, dass es von Josh war, ihren Schwarm. Meine Verliebtheit in Niall spiegelte sich in ihr wider. So sah wohl jedes verliebte Mädchen aus. Breites Lächeln und Herzaugen. Sicherlich schlug ihr, ihr Herz gerade bis zum Hals, ihre Handflächen wurden feucht und sie interpretierte die Worte der SMS in etwas, das es nicht war.

"Was schreibt er?", fragte ich neugierig. Es ging mich nichts an, aber ich wollte es trotzdem wissen.

Während sie an ihrem Bildschirm herumtippte sagte sie: "Er will sich morgen mit mir treffen. Wir fahren morgen zu Lough Owel baden."

"Alleine?", fragte ich augenblicklich nach. Sie war zwar schon dreizehn, und ich wusste, was ich damals alles angestellt hatte, aber es mit bildlich vorzustellen, was die Jugend von heute so treiben könnte, hinterließ ein unwohles Gefühl in mir.

"Nein, meine beste Freundin muss schon mitkommen und ein Kumpel von ihm auch. Ich fahre doch nicht alleine mit ihm weg! Alexandra muss mir doch helfen ... Bei ihm bekomme ich meistens kein Wort raus. Ohne ihre Hilfe wäre ich aufgeschmissen."

Das kannte ich nur zu gut.

Als um kurz vor halb elf Claires Mutter Margret nach Hause kam, bezahlte sie mich für meine Arbeit und ich verabschiedete mich für heute. Es war äußerst praktisch, dass ich nur ein Stockwerk nach unten gehen musste und schon zu Hause war. Wie erwartet war Matt vorm Fernseher. Er zockte Fifa. Eigentlich war das überhaupt nicht mein Spiel, aber seitdem ich hier bei ihm wohnte, griff ich immer wieder mal zum Controller um ihn herauszufordern. Wobei er mich manchmal absichtlich gewinnen ließ, weil ich so schlecht war.

"Du bist echt schlecht in diesem Spiel", neckte Matt mich, als er wiedermal gewonnen hatte.

Ich schlug spielerisch gegen seinen breiten Oberarm. "Sei nicht so gemein!"

Er grinste. "Ich bin nicht gemein, ich sage nur, was ich denke."

Die ganz Konversation atmete in einer Revanche aus ... und in eine nächste. Um vier Uhr morgens ließ er mich das letzte Spiel gewinnen und rieb es mir anschließend noch um die Nase. Müde schlief ich schließlich schneller ein, als mir lieb war.

Es war ein paar Minuten vor elf, als ich die müden Augen öffnete. In der gesamten Wohnung war es still und es schien, als würde auch Matt noch immer in den Federn liegen. Ich stand auf und warf einen kurzen Blick in sein Zimmer. Tatsächlich lag er noch immer in seinem Bett. Seine Decke lag am Boden und der Ventilator lief auf Hochtouren. Ich schloss die Tür wieder, da ich mir komisch dabei vorkam ihm in Schlaf zu beobachten, da er auch nur eine Boxershorts trug.

Ich verschwand im Bad, um meine Haare zu bürsten und meine Zähne zu putzen. Danach füllte mir ein Glas mit Orangensaft auf und aß ein Croissant dazu, als es an der Tür klingelte. Matt hatte mich bereist vorgewarnt, dass heute oder am Montag ein Paket für ihn ankommen könnte. Ich war froh, dass ich mich schon ein bisschen zurechtgemacht hatte, als es klingelte. Ich hasste nichts mehr, als die Tür öffnen zu müssen und noch verschlafen und in Nachtkleidung zu sein. Zwar sah er Postbote solche Anblicke jeden Tag, aber mich sollte er nicht so sehen müssen.

Ich zupfte mein Shirt zurecht, rieb mir mit meinem Handrücken vermeintliche Essensreste vom Mund und stapfte zur Tür hinüber. Zur selben Zeit betrat Matt Augen-reibend die Küche.

Ich kickte meine Schuhe von gestern Abend zur Seite und schloss die Tür auf, die ächzend aufging. Mein Blick glitt von den schwarzen Lederschuhen hoch. Es war nicht der Postbote.

"Niall?"

Dieses aufeinander treffen fühlte sich Déjà-vu artig an. Anscheinend hatte er einen Drang danach unangekündigt an meiner Tür aufzutauchen, wie auch damals schon in London. Nur heute ist es etwas anders. Ich hegte keine Wut auf ihn. Wir hatten uns auseinandergelebt und verfolgten unterschiedliche Ziele. Die einzige Person die ich aus tiefsten Inneren hasste ist seine Freundin.

"Hey, Amara."

Meinen Namen nach so langer Zeit aus seinem Mund zu hören, fühlte sich komisch an. Er sah, wie immer, gut aus. Eben typisch Niall. Ihm fehlte nichts, wie könnte es ihm da auch schlecht gehen?

Ich kniff die Augen zusammen. "Was willst du hier?"

Niall versteckte die Hände in den Taschen seiner Jeanshose. "Also, deine Mutter hat mir deine Adresse geben. Ich hoffe, dass macht dir nichts aus."

Als Antwort zuckte ich mit der Schulter. Ich mochte diese unaufgeforderten Besuche absolut nicht.

Er lächelte leicht. Dieses Wiedersehen schien auch für ihn komisch zu sein. "Deine neue Frisur steht dir gut."

Ich schüttelte irritiert den Kopf. "Niall? Warum bist du hier? Du bist doch sicher nicht gekommen, um zu sehen wie es mir geht."

Niall nickte und rieb sich mit einer Hand seinen Nacken. Eine Geste die ich nur zu gut von ihm kannte. "Ich-", er verstummt plötzlich.

Ich spürte eine Hand an meiner Schulter. Es war Matt, der sich mit einer Tasse Kaffee und noch immer nur in Boxershorts bekleidet neben mich stellte.

"Alter! Hey, was geht ab?!", fragte Matt freudig über unseren Besuch. Er stellte die Tasse an der Ablage neben uns ab und zog Niall in eine freundschaftliche Umarmung. Unbeholfen trat ich zur Seite. "Wie geht es der Kleinen?"

Sie lösten sich voneinander und Matt bat Niall in die Wohnung herein. Mein Blick glitt zur Couch, die ich zuvor schon abgeräumt hatte.

"Sie isst viel, wächst und redete wie ein Wasserfall. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob sie nicht einen Radio verschluckt hat." Niall lächelte stolz als er von seiner Tochter sprach.

Dann sah er zu mir und wieder zu Matt. "So also, ihr beide wohnt hier? Das wusste ich nicht. Deine Mum hat nichts davon erzählt, Amara."

"Es sind erst ein paar Monate", erwiderte Matt für mich, wobei ich über seine Wortwahl verblüfft war. Es war schon die Wahrheit, aber eben nur ein Hauch davon. Die perfekte Portion für Niall, der sich dadurch etwas zusammenreimen konnte, das nicht stimmte.

"Ich bin hier, weil ich gerade in der Nähe war und wir haben von euch beiden noch keine Antwort erhalten. Kommt ihr oder nicht? Ihr habt doch die Briefe bekommen, oder?"

Matt und ich tauschten einen Blick aus. Wovon sprach er? Meinte er den Brief der im Müll gelandet ist? Oh.

"Falls du das Briefchen von letzter Woche meintest, das ist im Müll gelandet. Ich kann eure Grußkarten einfach nicht leiden."

Niall blinzelte mit geöffneten Lippen.

Matt kicherte neben mir. "Ja, Mann. Mein Brief ist nicht im Müll gelandet, aber geöffnet habe ich ihn auch noch nicht. Mit euren Karten übertreibt ihr es wirklich."

"Wenn sie euch nicht gefallen, werde ich Holly sagen, dass sie euch von der Liste nehmen soll", er räusperte sich. "Es waren Einladungen. Alle unsere Familien und Freunde sind eingeladen in unser neues Haus in Mullingar. Das Essen ist Übermorgen. Kommt ihr?"

"Ich gehe nur, wenn Amara auch geht", sagte Matt, der mich danach ansah. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Dachte er wirklich ich wollte in sein neues Haus? Das Haus in dem er mit seiner Freundin wohnt und glückliche Familie spielt?

Ich biss mir auf die Lippe. "Ich möchte nicht, Niall. Nicht weil ich noch sauer bin. Ich bin nicht sauer. Es sind fünf Jahre vergangen, ich habe es akzeptiert und habe weitergemacht mit meinem Leben."

"Und das bezweifle ich auch nicht, Amara", sagte Niall ruhig. Wir sahen uns an. Instinktiv sah ich seine Lippen an. Ich wendete den Blick ab.

"Du bist meine Schwester und du einer meiner besten Freunde. Ihr würdet mir beide fehlen. Es ist mir wichtig, dass ihr kommt. Weshalb sonst, bin ich extra hierhergefahren?"

"Ich dachte du warst in der Nähe?" Ich hob eine Augenbraue.

Niall schmunzelte. "Ach komm, was würde jemand in diesem Dorf wollen?"

 

3 Monate Part 1

 

Flashback

"Was zum Teufel ist hier los?", fragte meine Großmutter aufgebracht, die sich vor mich gestellt hatte. "Verschwinden Sie! Hier ist schon genug los! Beileidswünsche sind hier nicht mehr willkommen!"

Holly schenkte Großmutters Worte keine Beachtung. Sie übergab Niall das schreiende Kind, der sich Hilfesuchend umsah. Seine Augen streiften mich und ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschah. Mir wurde schwindelig, übel und mein Kopf drohte zu platzen.

"Niall! Sagen Sie mir sofort wer diese Leute sind! Ich rufe sonst die Polizei, wenn Sie nicht verschwinden!", drohte meine Großmutter mit erhobenem Finger.

"Aber, aber!", sagte der Mann hinter Holly. Er war sicher ihr Vater, der Anwalt. "Wir haben jedes Recht hier zu sein. Der Vater des Kindes, muss sich ebenso sehr um das Kind kümmern, wie die Mutter."

Ich sah auf den Säugling in Nialls Armen, der sich langsam beruhigte. Mein Gesicht verzog keine Miene, verriet nicht von meinen überforderten Emotionen.

Aber meine Tränen sagten alles. Der Druck in meiner Kehle und die unbedingte Wut, die in mir hochkroch, wurde immer größer.

Das wollte er mir sagen.

*****

Die Fakten sprachen für sich. Ich war nicht dumm, konnte eins und eins zusammenzählen. Es tat weh. Niall wiegte das Baby in seinen Armen hin und her um es zu beruhigen. Es nuckelte an seinem Daumen und klimperte mit den Wimpern. Meine Großmutter stand neben mir mit geöffnetem Mund. Sie sah sich den Säugling an und verstand wie ich, was hier abging.

"Amara, Mutter? Was soll das Theater hier?" Die kraftlose Stimme meiner Mutter erklang hinter uns. Sie sah schrecklich aus.

"Kate geh bitte wieder zurück in die Küche. Wir klären das hier."

Ich sah zu Grandma, die eine Hand auf meine Schulter legte, während sie meine Mutter ansah. Diese rührte sich nicht von der Stelle und starrte Holly und ihre Eltern an. Als ihr Blick starrer wurde, wusste ich, dass sie das Baby ansah, das Niall noch immer hielt.

"Wem gehört das Kind?", fragte sie erneut mit kraftloser Stimme.

Niall sah mich an und ich ihn. Er biss sich auf die Lippe, formte Wörter, die nicht ausgesprochen werden wollten.

Ein Räuspern unterbrach unseren Blickkontakt. "Das ist Charlotte meine und Nialls Tochter."

Grandmas Hand drückte mich an der Schulter. Ich schloss die Augen, zog die Lippen ein und merkte, wie meine Gedanken blank wurden. Als Bobby mit meinem Großvater ebenfalls den Flur betrat, war das Chaos perfekt.

"Was habe ich da gerade gehört? Niall? Stimmt das?" Bobby kam zu seinem Sohn an die Tür. Ich roch seinen Mief nach Alkohol. Er packte Niall am Oberarm. "Niall?!"

Niall war wie erstarrt. Er blinzelte wild und brachte erneut kein Wort über die Lippen. "Ich ähm ..."

"Hey!" Jetzt mischte sich auch noch mein Großvater ein. "Warum besprechen wir das nicht in Ruhe im Wohnzimmer. Es ist kalt und wir heizen nicht für draußen."

Bobby ließ Nialls Arm los. Er nickte. Wir machten einen Schritt zur Seite und die Familie trat ein, zog sich auch die Stiefel aus um den Schlamm nicht im Haus zu verteilen. Geistesgegenwärtig, wartete ich, bis alle ins Wohnzimmer gingen. Alle, bis auf mich und Niall. Er versuchte auf mich einzureden, aber ich blockte ab, verschränkte die Arme vor der Brust und marschierte vor ihm ins Wohnzimmer.

Ich fühlte mich erniedrigt und dumm. Dumm, weil ich es war, die ihm es mir nicht erzählen lassen hat. Dumm, weil ich dachte, egal was auch immer er vor mir verheimliche, ich darüber hinwegschauen könnte. Erniedrigt, weil es Holly war, die sein Kind geboren hatte. Aber nun war es hier. Ein Kind. Für immer. Wie oft hatte ich mir schon Gedanken gemacht, was wäre, wenn ...

Verdammt, warum musste es ausgerechnet ein Kind sein? Und dann auch noch mit ihr! Hätten sie die Zwei nicht einfach einen Hund kaufen können?

Der Anwalt und seine Gattin sowie die Tochter hatten es sich schon auf der Couch gemütlich gemacht, während Bobby sich auf den gepolsterten Stuhl rechts davon niederließ und sich meine Großmutter und meine Mutter sich einen Stuhl aus der Küche geholt hatten. Ich stellte mich etwas abseits hin, als gehörte ich nicht dazu, als wäre ich nur Deko in diesen Raum. Eine Art stille Beobachterin. Was hätte ich schon sagen sollen? Mein Impuls wollte der blonden Ziege an die Kehle springen, ein weiterer wollte einfach nur verbittert in Tränen ausbrechen, während der Nächste, Niall den Ring nachschießen wollte.

Niall betrat still den Raum. Seine Augen suchten mich, aber ich drehte meinen Kopf weg. Ich war fest der Überzeugung, dass wenn ich ihn nicht sah, er mich auch nicht sehen könnte, weil ich mit der Wand hinter mir verschmelzen konnte. Aber das war natürlich absoluter Blödsinn. Natürlich sah er mich und meine abgeneigte Haltung. Er wusste, dass ich gerade alles infrage stellte. Ich hörte seine Absätze auf den Boden, als er sich setzte. Leises schnarchen erfüllte den Raum. Die Nase der Kleinen war verstopft.

"Könnte bitte jemand erklären, was hier los ist?" Meine Mutter warf die Hände frustriert hoch.

"Amara, können wir bitte reden?", fragte Niall wehmütig über die Frage meiner Mutter hinweg. Ich sah den Schmerz und die Verzweiflung in seinem Gesicht.

"Ich kann nicht." Ich rieb mir mein Gesicht. Die Blicke lagen auf uns. Mir war das alles für diesen Moment zu viel. Zuerst die Beerdigung, dann die Sorge um meine Mutter und nun das ...

"Was? Nein! Das wird hier geklärt! Du hast meine Enkelin schon genug verletzt! Ich wusste es ..., dass konnte nicht gutgehen!", fuhr Grandma Niall an. Sie mochte Niall sowieso nicht und mit dieser Sache hier, bekam sie nur noch mehr Futter für ihren Hass.

"Jetzt beruhigen Sie sich mal", meinte Hollys Vater diplomatisch. Dann richtete er sich in den Kreis. "Die Sache ist ganz einfach. Meine Tochter und Ihr Sohn Bobby haben eine Tochter gezeugt. Es ist egal, wie es dazu kam. Der Punkt ist, da ist ein Kind. Wir haben uns die letzten Monate rund um die Uhr und die Kleine gekümmert, während der feine Herr um die Welt gezogen ist. Es wird Zeit, dass er sich seiner Rolle endlich bewusst wird."

Valerie trat von neben mir, näher an den Tisch heran. "Und da mussten sie ausgerechnet heute auftauchen? Wir haben eben erst unsere Schwester beerdigt. Wo ist ihr Taktgefühl?!" Meine Zwillingsschwester verschränkte die Arme vor der Brust. "Schauen Sie sich das Baby doch mal an! Das ist doch nicht erst zwei Wochen alt! Wieso hat niemand eher etwas gesagt?"

Holly sah auf ihr Kind in Nialls Armen. "Brüll nicht so! Du weckst sie noch!"

"Ich brülle, wenn ich will! Das ist nicht dein Haus, Schnepfe!"

"Wie nennst du mich?!" Holly sprang von der Couch auf.

Beide kamen sich gefährlich nahe. "Du hast mich schon gehört, Schnepfe."

Man konnte förmlich die Funken zwischen ihnen sehen. Eine weitere Beleidigung und sie würden sich an die Gurgel gehen.

Hollys Mutter zog an ihrem Arm. "Holly! Setz dich. Du bist mit diesem Getue kein Stück besser als diese junge Dame."

Holly sah von ihrer Mutter zurück zu Valerie, dann streifte ihr Blick kurz mich und anschließend setzte sie sich wieder schnaufend neben Niall.

Die Spannung im Raum war zum Greifen nahe.

Mir wurde schwindelig und warm. Ich rieb mir die Augen. Das war eine einzige Katastrophe. Das neue Jahr war nach diesen wenigen Tagen schon eines der schlimmsten, das ich jemals erleben durfte. Gerne würde ich die Zeit zurückdrehen, muss die schönen Momente nochmal erleben zu dürfen, um diesem Chaos zu entfliehen.

Wie konnte sich alles nur so schnell und in wenigen Augenblicken so zum Schlechten wenden?

Während erneut eine Diskussion im Wohnzimmer entflammte, verzog es mich nach draußen. Ich verließ den Raum, ohne Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Im Garten war es kalt. Ich legte meine Arme um mich und stampfte durch den Neuschnee zum Grab, während nur noch mehr Schnee vom Himmel fiel und mich bedeckte.

Mehrere Kerzen brannten in einer Laterne. Das warme Licht strahlte auf den Engel aus Stein, der wachend über dem Grab lag.

Wie würde es nun wohl weitergehen? Im Moment wusste ich nicht, was ich empfinden sollte. In mir kochte es, aber dennoch wollte ich nicht mit Niall streiten. Ich liebe ihn doch.

Das Baby war schon mehrere Monate alt, dann kamen noch die neun Monate Schwangerschaft hinzu. Das hieß, die beiden mussten miteinander geschlafen haben, nachdem wir von London nach Hause gekommen waren. Es war sicher, dass es war, als wir nicht miteinander gesprochen hatten, als unsere Eltern uns von ihrer Verlobung erzählt hatten. Es musste so gewesen sein ... Anders würde es sich nicht ausgehen. Was hieß, dass ich kein recht hatte wütend zu sein. Wir waren damals kein Paar.

Eine spürte eine Hand auf meiner Schulter und erschrak.

"Alles okay, Kleines?" Mein Großvater sah mich mitfühlend an. Ich hatte ihn nicht kommen hören. Meine eigenen Gedanken schienen zu laut gewesen.

Ich schüttelte den Kopf und senkte den Blick auf das Grab. "Grandpa, was habe ich in meinem Leben falsch gemacht, dass ich so bestraft werde?"

Er legte seinen Kopf zur Seite. "Du hast nichts falsch gemacht. Alles passiert aus einem Grund und ich bin mir sicher, dass Niall dich damit nicht verletzten wollte. Dazu liebt er dich zu sehr."

Ich biss mir in die Innenseite meiner Wange und nickte leicht. "Dennoch tut es weh."

"Zu lieben ist auch immer mit Schmerz verbunden, Kleines. Auch in einer Ehe kommt immer wieder etwas, bei dem man denken, dass es einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Aber man verzeiht, geht Kompromisse ein und liebt weiterhin." Er setzte ein leichtes Lächeln auf. "Das alles aber natürlich nur in einem gewissen Grad. Wenn es zu schlimm wird, zu heftig oder man nicht vergeben kann, sollte man seine Situation vielleicht überdenken. Die einzige Person, an die du denken solltest, bist du selbst. Sei glücklich."

Ich seufzte. "Ich bin glücklich mit Niall, aber manchmal treib er mich in den Wahnsinn. Ich mache bestimmt dasselbe mit ihm. Aber ich will ihn nicht aufgeben. Nicht so."

Nun lächelte er noch breiter. "Dann weißt du, was du zu tun hast. Bist du noch immer glücklich, dann kannst du vergeben. Es wird nicht einfach werden für euch Beide, aber ich bin mir sicher, dass ihr das schaffen könnt. Ich kenne dich. Du bist eine starke junge Frau, wie deine Mutter und deine Großmutter. Du wirst dich durchsetzen und dieser Zicke zeigen, wo der Hammer hängt."

 

3 Monate Part 2

 

Wir sprachen nicht, weder im Flugzeug, noch im Taxi am Weg zurück in Nialls Wohnung. Unsere Wohnung, wie er mich immer in den letzten Wochen ausbesserte. Ich schob meinen Koffer in das Schlafzimmer und räumte ihn aus. Während ich von unserem Zimmer hinüber in das Bad lief, sah ich am Ende des Flurs, wie Niall starr im Wohnzimmer auf dem Sofa saß.

Schnaufend stopfte ich die Schmutzwäsche in den Wäschekorb. Ich sah mich in den Spiegel über der Spüle. Ich war etwas bleich und meine Augen zu rot. Mir ging es überhaupt nicht gut und ich fühlte mich, als ob ich etwas ausbrüten würde. Krank zu werden stand nicht auf meiner Wunschliste, deshalb kramte ich im Medizinschrank nach Aspirin C. In der Küche füllte ich mir ein Glas mit Wasser auf, in das ich die Brausetablette fallen ließ. Während sich die Tablette auflöste, lehnte ich mich mit den Rücken an die Küchentheke. Ich beobachtete Niall, der sich müde die Schläfen rieb.

"Möchtest du etwas trinken?", bot ich an. Irgendwie mussten wir die Wand, die sich zwischen uns gezogen hatte, wieder einreißen.

Er nickte schwach. "Ja, das werde nett."

Ich füllte ihm ein Glas mit Mineralwasser auf und brachte es ihm an das Sofa. In der anderen Hand hielt ich meines, wo sich nur noch ein kleines Stück von der Tablette befand. Ich ließ mich neben ihm nieder und nippte an meinem Glas. Auch er nahm einen Schluck. Ich nahm einen weiteren und stellte das Glas danach am Wohnzimmertisch vor uns ab.

Mit meiner Hand stützte ich meinen Kopf ab. Langsam malte ich kleine Kreise auf seine warme Haut. Er beobachtet meinen Finger, biss sich dabei auf die Lippe.

Ich hörte ihn laut ausatmen. "Von einer Skala von eins bis zehn, wie böse bist du auf mich?"

Ich nahm meinen Finger von seiner Haut und legte sie an sein Gesicht. Er sollte mich ansehen. Seine sonst so schönen hellen blauen Augen, waren dunkel und so rot wie meine.

"Niall ...", sagte ich sanft. "Ich bin nicht erfreut, über die Neuigkeiten, aber ich liebe dich. Du wolltest es mir sagen, deshalb versuche ich ruhig zu bleiben. Klar, im ersten Moment fühlte ich mich überrumpelt, weil ich nicht mit so etwas gerechnet hatte. Erkläre mir doch, wie das alles passiert ist."

Niall legte eine Hand auf meine, die noch immer an seiner Wange lag. Er schmiegte sein Gesicht in meine Handfläche. Seine Lider flatterten und mein Herz wurde warm. "Ich wollte das doch nicht", schluchzte er weinerlich.

Mir brach es das Herz ihn so zu sehen. Ein Glos bildete sich in meiner Kehle und ich wusste, wenn er nicht aufhören würde, mich mit diesem Gesichtsausdruck anzusehen und er seine Tränen nicht mehr zurückhalten könnte, würde ich mitweinen.

"Ich war betrunken ...", japste er. Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel. Ich rutschte näher an ihm und hielt ihn fest. Ich erwiderte nichts, wollte ihm erzählen lassen. Mit meinem Kopf an seiner Brust und seinen Armen um mich sprach er weiter.

"Ich habe nicht mit dir gesprochen. Ich wollte nicht, dass wir mit unserem Verliebtsein, die Verlobung unserer Eltern ruinierten." Er schniefte laut. "Du weißt doch, wenn ich traurig bin, trinke ich und dann gehen meistens meine Gefühle mit mir durch. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich dich nicht haben durfte. Ein paar Bierchen zu viel und Holly, die mich zuerst genervt und später angemacht hat, war keine gute Kombination. Wir sind bei ihr im Bett gelandete. Es war vor Weihnachten, sechs Wochen bevor deine Großmutter bei uns aufgekreuzt ist." Er machte eine Pause. Eine seiner Hände spielte mit meinen Fingern. Vermutlich wartete er, dass ich ihn unterbrach. Aber das tat ich nicht.

"Holly hatte mir nach ihrem Verdacht versichert, dass sie nicht schwanger war. Davon habe ich dir nach der Hochzeit erzählt. Unser Streit, weißt du noch?"

Natürlich wusste ich das noch. Wie sollte ich das nur vergessen?

"Ja."

"Jedenfalls habe ich ihr geglaubt. Warum sollte man da auch Lügen?"

Ich reckte meinen Kopf hoch, um ihn aufmunternd anzusehen. "Hat sie dir jemals gesagte, warum sie gelogen hat?"

Er nickte. "Sie hatte Angst. Sie hatte Angst davor, dass ich sie zu einer Abtreibung zwingen würde, weil ich kein Kind mit ihr wollte."

Ich setzte mich auf. Meine Stirn runzelte sich, ohne dass ich es wollte. "Das hat sie dir gesagt? Wie lächerlich ist das denn? Du würdest sie doch nie zwingen. Klar, das stand sicher nicht auf deiner Liste mit ihr ein Baby zu bekommen ... aber so bist du nicht, Niall."

Niall sah auf seinen Schoss. "Sie hat es bekommen, ohne mir ein Wort zu sagen. Als wir hier waren, um den Geburtstag deiner Mutter zu feiern und ihr und Holly über den Weg gelaufen sind, war das ihr erstes Wochenende nach der Geburt der Kleinen. Ihre Eltern sind mit der Kleinen zu ihren Großeltern gefahren, damit sie Spaß haben konnte."

Er tat mir so leid. Holly hatte ihn die ganze Zeit über belogen und ausgetrickst. Ihm nichts zu sagen und erst dann mit Wahrheit herauszurücken, wenn man nichts mehr tun konnte, war eine bodenlose Frechheit.

"Sie stand plötzlich mit Charlotte vor meiner Tür in London und hat gefordert, bei mir einzuziehen, weil ich der Vater bin. Ich war total perplex. Wir haben gestritten und richtig angebrüllt. Ich hatte ich klargemacht, dass sie sicher nicht bei mir einziehen konnte. Außerdem hatte ich einen Vaterschaftstest verlangt. Während wir auf das Ergebnis warteten, hatte sie sich ein Zimmer in einem Hotel genommen. Der Test war positiv und mein erster Gedanke warst du."

Ein nahm mein Gesicht in seine Hände, legte seine Stirn an meine. Er schluckte und schluchze. Seine Wangen waren feucht. "Was wird Amara sagen? Sie wird mich verlassen!", sprach er seine Gedanken von damals aus. "Sie hasst Holly und sie wird mich hassen, wenn ich es ihr erzähle."

"Es lief so gut zwischen uns, Amara. Ich wollte es nicht zerstören, dazu liebe ich dich zu sehr. Du sollst meine Frau werden. Ich will nichts von Holly!"

Ich stimmte mit ein in seine Tränen. Jede weitere Träne ließ mein Herz nur noch mehr brechen.

"Ich liebe dich auch, Niall."

Wir umarmten uns fest. Dann drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange, ehe wir uns wieder lösten und ich mich auf seinen Schoss wiederfand. Er zog an den dünnen Goldkettchen, an dem mein Verlobungsring baumelte. Er nahm ihm zwischen die Finger und küsste den Diamanten. Ich suchte den Verschluss und öffnete die Kette. Ich legte sie hinter mich auf den Tisch und drehte mich wieder zu Niall, der meine Hand nahm und den Ring an den richtigen Finger steckte. 

"Er ist wunderschön", hauchte ich.

"Du bist schöner", erwiderte Niall. Er zog mich an sich, küsste mich leidenschaftlich. Zuerst vorsichtig, als würde er austesten, wie weit er gehen durfte. Mit meinen Zähnen biss ich leicht in seine Unterlippe, dann leckte ich mit meiner Zunge darüber um ihn einzuladen. Ich legte eine Hand an seine Wange und die andere um seinen Nacken. Ich spielte mit seinen Haaren, dich sich flauschig zwischen meinen Fingern anfühlten.

Ein tiefes Keuchen drang aus seiner Kehle. Seien Hände zogen meinen Körper nach. Ich schob mich gegen ihn, ohne nachzudenken, ließ meine Lippen an seinen Hals wandern. Wieder hörte ich ihn keuchen. Er packte mich, legte mich mit den Rücken auf das Sofa. Eines seiner Beine lag zwischen meinen Beinen, während er über mir lag und Küsse auf meiner Haut verteilte. Ich schob den Kopf zurück, genoss das Prickeln auf meiner Haut. Mir wurde heiß.

Ein schrilles Klingeln ertönte.

Niall machte weiter, ließ seine Hände unter den Saum meines Oberteils wandern. Ich biss mir in die Lippen.

Wieder klingele es.

Niall seufzte und küsste meine Wange. "Warte hier. Wir machen gleich weiter."

Ich nickte ihn lächelnd an. Er stieg von mir und ging in den Vorraum, wo die Tür zum Aufzug war.

Warum musste uns ausgerechnet jetzt jemand stören?

Ich stützte mich mit den Ellbogen etwas auf, um über das Sofa zu sehen, als hörte, wie Niall mit jemanden sprach.

Niall trat in meine Sicht. Er sah nicht in meine Richtung, sondern, in die des Aufzuges. Er rieb sich den Nacken. "Muss das echt jetzt sein?", fragte er.

"Ja, wann sonst?", fragte jemand anderes. Es war Holly.

Nun stand ich auf. Mit verschränkten Armen beobachtete ich, wie Holly die drei Treppen ins Wohnzimmer hinunter trat uns sich im Raum umsah. In ihren Armen hielt sie Charlotte, die schon brav selbst den Kopf hielt und ebenfalls neugierig in alle Richtungen sah.

Niall kam hinter ihr mit einer Tasche nach. Er stellte sie an einem Regal ab.

Holly sah von links nach rechts, bis sie mich sah. Sie setzte ihr bestes falsches Lächeln auf. "Amara, dich hätte ich hier nicht erwartet. Hallo."

Ich kniff die Augen zusammen. "Warum hast du mich hier nicht erwartet? Denkst du, du wirst mich so einfach los?", sagte ich sauer.

"Ach, so habe ich das nicht gemeint", lächelte sie wieder falsch.

Ich sah über die dumme Kuh hinweg. "Was macht sie hier Niall? Sag mir nicht, das hier einziehen!"

Niall hob eine Hand. "Was? Nein. Sie hat nur ein paar Sachen für die Kleine vorbeigebracht. Wir haben abgemacht, dass ich Lotte auch ab und zu, zu mir nehmen muss."

"Okay."

Was hatte ich anderes erwartet? War doch klar, dass er sich nun auch kümmern musste. Wenn ich weiterhin mit Niall zusammenblieb, würde ich an Holly nicht vorbeikommen. Sie wird ab jetzt immer ein Teil seines Lebens sein. Egal ob es mir gefiel oder nicht. 

 

Es sich eingestehen

 

Heute

Matt schloss die Tür hinter Niall.

Ich konnte nur den Kopf schütteln. Das war doch alles nur ein dummer Scherz, oder? Zuvor redeten wir nichts miteinander, gingen uns damit praktisch aus dem Weg und plötzlich stand er wieder einmal vor meiner Tür, nur um mich und Matt zu sich einzuladen.

Weil ich seine Schwester bin ...

Dieses eine Wort hatte sich noch nie gut in meinen Ohren angehört. Schwester. Wir könnten nie Geschwister sein. Dazu waren wir viel zu sehr ineinander verliebt gewesen. Nun war das Gefühl von Liebe und Familie fort.

Mit Daumen und Zeigefinger hielt ich mir meinen Nasenrücken.

"Alles klar, Mara?", fragte Matt mitfühlend. Seit neuesten nannte er mich wie Valerie, nachdem er uns bei einem Videochat beobachtet hatte.

Ich nickte leicht, aber vermutlich kaum sichtbar. Das nächste, dass ich spürte, waren zwei starke Arme, die mich in eine Umarmung zogen. Matts Kinn ruhte auf meinen Kopf, während er mich hielt.

"Warum ist das alles so gekommen, Matt?", nuschelte ich die Wörter an Matts Brust.

"Ich weiß es nicht, Kleines."

Er hielt mich noch eine Weile so fest. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen einen so guten Freund, wie Matt haben zu dürfen.

Ich löste meinen Kopf von seiner Brust und sah hoch in sein Gesicht. Er setzte ein Lächeln auf. "Danke, dass ich hier wohnen darf, Matt."

"Nichts zu danken." Matt leckte sich über die Lippen. "Ich schätze, ich sollte mir mal etwas anziehen."

Ich ließ ihn los. Jetzt wo er es sagte, wurden meine Wangen warm. Ich hörte Matt leise lachen, als er sich umdrehte, und in sein Zimmer ging.

In der Küchennische nahm ich mir eine Tasse und schaltete die Kaffeemaschine ein. Während ich wartete, bis das Wasser warm war, nippte ich an der Rumflasche. Ohne Kaffee brannte er mir in der Speiseröhre, während er mit im Kaffee eher wie Karamell schmeckte. Das Wasser war nun warm und ich drückte den Knopf, damit der Kaffee in meine Tasse floss. Wieder nippte ich an der Flasche und leerte danach etwas davon in mein Getränk. Ich wollte gerade den Verschluss auf die Flasche drehen, aber entschied mich dagegen und leerte noch mehr davon in meinen Kaffee. Hinter einer Packung Haferflocken, die nur ich aß, weil Matt sie nicht mochte, stellte ich die Flasche im oberen Schrank ab.

Ich setzte mich wieder zurück an den Tisch und aß mein Stück Croissant fertig, da kam auch Matt angezogen wieder zu mir in die Küche. Er setzte sich mir gegenüber und schob mir mit der flachen Hand ein Stück Papier zu.

Ich kniff fragend die Augenbrauen zusammen.

"Was soll das sein?"

"Meine Einladung", antwortete er mich und lehnte sich dabei zurück in seinen Stuhl.

Seufzend faltete ich es auf. Ganz oben am Briefkopf stand in geschwungener Schrift der Name von Niall und Holly. Darunter etwas kleiner der von Charlotte.

Ich senkte meine Hand, in der ich den Brief hielt und nahm einen Schluck von meinem Kaffee.

Ich las mir die Einladung, schnaubte dabei oft und rollte mit den Augen. Jedes einzelne Wort auf diesem Papier stamme aus Hollys Mund. Niall würde nie sein zu Hause als "getrautes Heim" bezeichnen oder "mit Höflichkeit erbitten wie Sie in Abendkleidung zu kommen". Ich kannte ihn, daher wusste ich, dass es ihre Idee war. Sie wollte mich foltern. Ganz klar!

"Ehepartner, Kinder oder auch Lebensgefährten sind herzlich willkommen", las ich laut vor. "Für Snacks und Getränke sind gesorgt. Einzig alleine gute Laune ist mitzubringen."

Klar, gute Laune. Wie könnte man nicht gut aufgelegt sein, wenn man zum Ex und seiner Freundin eingeladen wird.

"Zum Schluss möchten wir Sie bitten uns Rückmeldung zu Ihren verbleibt zu geben. Wir freuen uns sehr!"

Ich verdrehte abermals die Augen und legte die Einladung ab.

Matt legte die Arme auf den Tisch. "Was denkst du, willst du hin?"

"Nicht dein Ernst, oder?" Ich seufzte. Meine Finger umklammerten meine Tasse. "Was soll ich da? Soll ich mir ansehen wie Holly das Leben lebt, das jetzt sicher meines wäre? Darauf habe ich keine Lust."

"Ich weiß, du denkst, dass sie nach all diesen Jahren noch immer darauf aus ist, dir dein Leben zur Hölle zu machen", sagte Matt.

Ich unterbrach ihn. "Ist auch so."

Matt seufzte und rieb sich über sein Gesicht. "Jedenfalls ... hast du schon daran gedacht, dass wenn du recht hast, du ihr damit einen Gefallen tust. Ich meine, wenn du nicht erscheinst?"

Mit starrem Blick sah ich Matt an, während seine Worte in mich drangen. Er hatte schon recht, aber es konnte mir egal sein, was sie dachte. Sie hatte dieses Spiel gegen mich gewonnen. Andererseits habe ich Niall wirklich geliebt und er wollte mich als seine Schwester dabeihaben. Wir sind nicht zusammen glücklich geworden, was aber nicht hieß, dass wir keine Familie sind. Es mag sich zwar nicht mehr so anfühlen, aber unsere Eltern waren noch immer verheiratet, was uns miteinander verband.

Matt und seine blöden manipulativen Worte ...

"Und auch wenn ich hingehen möchte, wäre mir das zu peinlich." Ich biss mir auf die Lippe und sah auf meine Finger hinab, dabei konnte ich förmlich hören, wie sich Matts Stirn runzelte.

"Was soll dir bitteschön peinlich sein?"

Mein gesamtes Leben, antwortete ich in Gedanken.

Es war die Wahrheit, der ich schon seit Monaten ins Auge blicken musste. Ohne jemanden der mir half, war ich aufgeschmissen. An den Tag, an dem ich Niall verlassen hatte, ging es für mich nur noch bergab. Mit fast sechsundzwanzig besaß ich nur die Dinge, die sich im Koffer ein paar Meter von mir entfernt befanden. Ich konnte keinen Uniabschluss vorlegen oder sonstige Berufsabschlüsse. Ich sah es schon vor mir, wie ich bald hinter einer Theke in einer Spelunke arbeitete und die Kotze von Betrunkenen wegwischen durfte. Und das alles alleine, ohne Familie und Freunde.

Ich drückte ein Schluchzen zurück. In den letzten Wochen war das Weinen eine der Dinge, die ich oft tat. Öfter als mir eigentlich lieb war. Früher war ich immer stolz darauf nicht wie ein kleines Mädchen zu weinen. Wenn Grandpa wüsste, was ich alles falsch gemacht habe in den letzten Jahren, würde er sich in seinem Grab umdrehen.

"Schau mich doch an, Matt!" Sagte ich aufgebracht, stand auf und zeige auf mich. "Ich bin doch ein einziger Witz! Ich werde sechsundzwanzig und schlafe auf einer alten Couch! Mein Leben ist mir komplett entglitten! Meine Mum wird so enttäuscht von mir sein, wenn sie erfährt, was ich gemacht habe." Nun weinte ich bitterlich. "Ich wollte doch nie etwas anderes, als an dieser Uni zu studieren ... Ich habe doch nicht mal Freunde. Ich werde alleine unter einer Brücke sterben."

Matt hob eine Hand. "Hey, sagt das nicht, Amara. Das stimmt nicht und das weißt du."

Widerwillig schüttelte ich den Kopf. Dann ließ ich mich an der Wand nach unten rutschen bis ich am Boden saß. Meine Beine winkelte ich an und umarmte sie mit meinen Armen. Ich saß da wie das Häufchen elend das ich war.

Der Stuhl von Matt quietschte am Boden, als er aufstand und sich danach vor mich in einen Schneidersitz setzte. Er fasst mich nicht an und ließ mir genug Raum.

Genüsslich zündete er sich eine Zigarette an, die zuvor hinter seinem Ohr klemmte. Die Glut leuchte hellrot auf, als er seinen ersten Zug machte. Matt drehte sich zur Seite und ließ den Rauch als seiner Lunge.

"Als ich so alt war wie, habe ich Ziegel geschleppt und Fische verkauft. Habe auf Anglerboten das Deck geschruppt. Denkst du, es war mein Wunsch das zu tun?"

Ich erwiderte nicht, schüttelte aber leicht den Kopf.

Matt zog wieder an der Zigarette.

"Als ich ein kleiner Junge war, wollte ich immer meinen eigenen Comic zeichnen und damit berühmt werden." Er lächelte, bestimmt mit einer schönen Erinnerung vor den Augen. "Mein erster Versuch, war eine kurze Geschichte über einen kleinen Jungen, der mithilfe seiner Fantasy seine Heimatstadt retten konnte. Alles, was er tun musste, war seine Hilfsmittel zu zeichnen. Schon konnte er sie auf magischerweise aus dem Papier ziehen. So hat er mit einer Zahnbürste, die einen eingebauten Laserstrahl besaß, seine Familie gerettet. Meine Mum fand den ersten Versuch selbstverständlich toll. Mein Dad interessierte sich nicht für mein neues Hobby und Amber zerriss es und sagte mir, dass ich kein Talent hatte."

"Sie hat es zerrissen? Was für ein Miststück." Mit meinen Handrücken, wischte ich mir meine feuchten Wangen ab. Ich verstand Matts versuch mich nicht so elendig zu fühlen.

Matt gluckste. "Amber war schon immer so. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn jemand in etwas besser war als sie. Ihre Zeichnungen waren im Gegensatz zu meinen richtig schlecht. Sahen aus als wurden sie von einem Baby gezeichnet. Auch heute kann sie es noch immer nicht."

Ich stützte meinen Kopf auf meinen Knien ab. "Was ist dann passiert?"

Asche fiel zu Boden.

"Umso älter ich wurde, umso weniger hatte ich die Zeit zu zeichnen. Ich musste Dad oft helfen und als sich unsere Eltern immer mehr stritten musste ich für Amber da sein. Die Trennung war hart und ich habe lange darüber nachgedacht, warum sich meine Eltern scheiden mussten. In dieser Zeit habe ich wieder etwas mehr gezeichnet und habe mir meine Kunstwerke auf meine Haut stehen lassen." Demonstrativ schob Matt sein Shirt hoch, um mir seine Tattoos zu zeigen. "Meine Mutter hatte einen halben Herzinfarkt bekommen, als ich mit dem Totenkopf nach Hause gekommen bin."

Den Totenkopf hatte ich schon so viel Male gesehen, dass ich mir nie gedacht hatte, dass dahinter mehr stecken könnte. Ich hatte immer angenommen, dass er nach dem Gefühl der Nadel süchtig war - was ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Es tat weh.

"Was für eine Bedeutung hat der Totenkopf mit den Rosen in den Augenhöhlen für dich?"

Matt sah mich an. "Ich mag zwar außen Tod gewirkt haben, war aber innen lebendig."

"Das klingt traurig."

Matt ließ sein Shirt los und es fiel ihm wieder über den Bauch. Er zuckte mit der Schulter. "Das war ich mal, aber jetzt nicht mehr. Ich nehme das Leben, wie es ist."

"Zeichnest du jetzt auch wieder Comics oder nur noch Tattoos für deine Kunden?"

Ich hatte ihn noch nie beim Zeichnen gesehen. Eigentlich wunderte es mich, dass er mir von diesem Hobby noch nie etwas erzählt hatte. Hatte er etwa Angst, dass ich mich wie seine Schwester darüber lustig machen würde?

"Im Moment nicht, aber vielleicht fange ich wieder damit an, wenn du unbedingt etwas von mir sehen möchtest."

Ich lächelte. "Das würde ich gerne."

Während Matt vor mir ausrauchte, lehnte ich mich zurück an die kahle Wand. Ich dachte nach.

"Matt, denkst du, dass es je wieder bergauf für mich gehen wird?"

"Das wird es."

Vielleicht hatte er recht. Ich befand mich in einem momentanen tief, das sicherlich verschwand, wenn ich endlich eine Beichte, bei meiner Familie ablegte. Wäre ich nicht zu stolz, würde Connor mir vielleicht finanziell helfen.

Ich wollte das doch so gerne alleine schaffen ...

Aber ich sehe es ein. Ich gestehe keinen Plan zu haben, was ich wollte. Meine Hauptfach Englisch hate ich gewählt, weil ich nach England wollte. London war schon so lange ich denken konnte meine Traumstadt. Keine Ahnung warum, aber so war es einfach. Geschichte fand ich einfach interessant. Es war immer aufregend, irgendwo zu sein und den Hintergrund zu Gebäuden, Straßen, Namen oder Staturen zu erfahren.

Nun ja, meine Traumstadt hat mir leider überhaupt kein Glück gebracht. Alles was schief gehen konnte, nahm ihren Anfang dort. Der Kuss in London hatte alles verändert. 

 

A wie Amara

 

"Du kommst doch nächsten Monat zur Eröffnung, oder?"

Ich nickte in den Bildschirm. "Ja, das habe ich dir doch versprochen. Die Eröffnung in Atlanta werde ich mir sicher nicht entgehen lassen."

"Ich freue mich schon dich endlich wiederzusehen." Mein Vater lächelte in die Kamera seiner Webcam. Er sprach von wirklich nicht anderem mehr, als dem neuen Standort seiner Firma. Davis Photographics hatte früherer mehrere Büroräume gemietet, aber da das Geschäft immer besser lief und Davina sehr viel Zeit in den USA verbrachte, ließ Connor dort ein neues Gebäude bauen und kaufte nur wenige Kilometer davon entfernt eine Villa für die Familie. Er nannte es nett "Ferienhäuschen".

"Ich mich auch. Außerdem kann ich dann endlich Valerie am Set besuchen. Das wird bestimmt aufregend."

Connor schmunzelte. "Klar. Na gut Amara, ich muss jetzt Schluss machen. Du weißt doch ... die Arbeit ruft."

"Natürlich. Bis bald."

"Bist bald, Amara. Ich bin stolz auf dich."

Wir lächelten uns an. Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Mit schlechtem Gefühl klappte ich meinen Laptop zu.

Er war stolz auf mich, weil er dachte, ich hätte den Abschluss in der Tasche. Irgendwann müsste ich wohl endlich mit der Wahrheit rausrücken. Umso länger ich alle um mich belog, umso wütender würden sie auf mich sein. Ich schämte mich einfach zu sehr.

Mir fehlt nur ein Semester und vielleicht ergab sich für mich irgendwann die Möglichkeit dieses eine nachzuholen. Aber im Moment fehlen mir die Mittel dazu. Genau wie mir das Geld fehlt um mir ordentlich Kleidung für den Besuch bei Niall und Holly zu kaufen. In meinen Koffer fand sich leider nichts, das auch nur ansatzweise dem entsprach, was auf der Einladung stand. Eigentlich könnte ich mir einen Spaß erlauben und mich mit Absicht schlecht kleiden. Diesen Vorschlag hatte ich auch Matt unterbreitet der mich mit runzelnder Stirn ansah und mich fragte, ob das mein Ernst war. Er meinte, dass ich diese Einladung nutzen konnte, um endlich Frieden zu schließen. Er verstand, dass das mit uns nicht einfach war und ich mir lieber die Augen auskratzte, als auch nur Holly um Waffenstillstand zu fragen. Schlussendlich kam ich zu der Überzeugung, dass ich es nicht für Holly tat. Ich tat es für unsere Familie. Für Mum, Bobby, Greg, Denise, Theo, Jake, Niall und der kleinen Charlotte. Sie konnte nichts für ihre Mutter und ich wollte keine Abneigung gegen sie fühlen. Irgendwie war ich doch eigentlich ihre Tante. 

Es war also beschlossene Sache. Ich ging zu dieser dämlichen Feier. Nun brauchte ich nur noch Geld für ein Kleid.

Auf Google fand ich einen Pfandleiher, der Schmuck zurücknahm. Ich musste etwa zwanzig Minuten mit dem Wagen fahren, bis ich den kleinen Laden fand. Hinter einem Tresen saß ein älterer Herr auf einem Hocker. Seine Brille saß auf seiner Nasenspitze, während er mit einem Werkzeug etwas an einer Uhr reparierte.

"Guten Morgen", grüßte ich.

Er sah mich über die Ränder seiner Brille an.

"Hallo, Mädchen. Was kann ich für dich tun?" Er legte die Uhr ab.

Aus meiner Handtasche zog ich eine kleine schwarze Box. Ich lehnte mich an dem Tresen vor mir, unter dessen Glas verschiedenster Schmuck, wie Ketten, Ringe und Ohrringe angeboten wurden.

Ich klappte den Deckel auf. In der Mitte des Stoffes glänzte mein ehemaliger Verlobungsring. Der Edelstein glitzerte in bunten Farben. Aber es war nicht der Ring, den ich eintauschen wollte, es war die Kette, die rundherum lag. Die Kette mit dem "A" Anhänger, auf dessen Rückseite "Niall" eingraviert war. Beide Schmuckstücke nach unserer Trennung abzulegen, war hart. Es war der endgültige Beweis dafür, dass alles vorbei war. Hin und wieder, wenn ich mich einsam fühlte, warf ich einen Blick auf meinen Schmuck. Erinnerte mich an die Fahrt mit dem Ballon oder Nialls Antrag. Er erinnerte mich daran, was ich einmal hatte.

Wehmütig übergab ich meine Kette.

"Wie viel würden sie mir dafür geben?"

Der Händler nahm sie und hielt sie unter eine Lampe auf einen anderen Tisch. Er murmelte etwas, drehte den Anhänger hin und her.

"Nun ja, auf der Rückseite steht ein Name eingraviert. Zum Wiederverkauf ist das nicht so gut. Ich könnte es einschmelzen lassen, nur kostet mich das wieder etwas." Er knirschte mit den Zähnen.

Bei dem Wort "Einschmelzen" zog sich mein Magen zusammen. Mag sein, dass ich die Kette schon ewig nicht mehr getragen hatte, aber sie bedeutete mir etwas. Wäre ich nicht in Geldnöten, würde ich sie nicht hergeben.

"Ich würde dir neunzig Euro dafür geben."

Verdutzt trat ich einen Schritt vor. "Neunzig Euro? Das ist doch viel zu wenig. Ich weiß, dass diese Kette deutlich mehr Wert ist."

Ich war mir sicher, dass Niall mir keinen Schmuck um 90 Euro gekauft hätte. Selbstverständlich wusste ich es nicht direkt, aber ich war davon überzeugt, dass er nicht gespart hatte.

Der Händler schob seine Brille hoch und widmete der Kette noch einmal einen langen Blick.

"Na gut. Einhundert-dreißig. Aber das ist mein letztes Angebot. Vergiss nicht, dass ich noch Arbeit damit habe."

Einhundert-dreißig Euro für eine Kette die mindestens dreimal so viel wert war. Das war echt bitter. Aber ein vernünftiges Kleid und ein Paar Schuhe könnte ich mir damit sicher holen. Und aus Niall und mir wird kein Paar mehr, daher musste ich mir keine Gedanken. Die Kette würde in dieser Box nur verstauben und vor sich hingammeln.

"Okay. Es ist nicht so viel, wie ich erhofft habe, aber ich nehme es."

"Gut", erwiderte der Mann, der die Kette in einen Plastikbeutel verpackte. Dann sah er mich erneut an und deutete auf die schwarze Box, die ich noch immer in meinen Händen hielt. "Wenn du willst, schaue ich mir auch gerne den Ring an. Er sah hochwertig aus."

Ich schüttelte perplex den Kopf. "Nein! Den verkaufe ich nicht."

"Wie du willst." Er kramte einen Zettel hervor, den er ausfüllte. Ich musste meinen Namen einsetzten und unten unterschrieben. Vom letzten Ende schnitt er ein Stück mit einer Nummer und einem Datum ab.

"Hier. Du hast zwei Wochen Zeit die Kette wieder abzuholen, falls du es dir anders überlegst."

Ich nickte und nahm das Stück Papier entgegen. Mit meiner Barlosung legte ich es in meine Geldbörse. Danach verließ ich den Laden.

Ein paar Minuten saß ich vor meinem Lenkrad, während ich gerade nachdachte, was ich getan hatte. Die Kette war nun weg. Ein Stück mehr an Erinnerung an meine Zeit mit Niall. Ich redete mir schon so lange ein, dass ich über ihn hinweg war, aber dennoch saß ich hier, fast am Weinen, weil ich seine Kette weggegeben hatte.

Es wurde endlich Zeit auch diesen letzten Schritt zu gehen. Niall wollte den Ring damals nicht zurück. Er meinte, ich sollte ihn für den Tag behalten, an dem wir wieder zusammenkommen. Aber nach all dieser Zeit und der Tatsache, dass er eine neue Freundin hatte, schien es unnötig weiter an so etwas festzuhalten. Bei dieser Feier in seinem neuen Haus werde ich ihm diesen Ring zurückgeben. Egal ob er ihn zurückmöchte oder nicht.

Nach mehreren tiefen Atemzügen fuhr ich zurück nach Hause, aber ich entschied mich kurz, bevor ich ankam, weiterzufahren und meiner Mutter einen Besuch abzustatten. Ich trank einen Kaffee, spielte mit Flash und erzählte von Nialls plötzlichen Besuch und seiner Einladung.

Gegen Abend brach ich auf. Ich traf am Eingang auf Claire, die Nachbarstochter, die nicht aufhören konnte mir ein Ohr über ihr Date mit ihrem Schwarm zu berichten. Nur schwer wurde ich sie wieder los. Normalerweise hätte ich mich vielleicht mehr auf ihr Gespräch eingelassen, aber ich wollte einfach nur noch hoch und Matt sehen.

Schon beim Eintreten in die Wohnung, sah er mir an, dass etwas nicht stimmte. Er legte seine Hantel ab und wischte sich den Schweiß mit einem Handtuch von der Stirn.

"Was ist los, Amara?"

Ich legte meine Handtasche ab.

"Nichts. Es ist alles Okay. Ich habe heute nur Nialls Kette weggegeben."

Matt runzelte die Stirn. Er sah verblüfft aus. "Wie meinst du das? Wo hast du sie weggegeben?"

Ich nahm meine Geldbörse und nahm den Abschnitt des Pfandleihers heraus. "Ich habe sie eingetauscht. Ich brauchte Geld für ein passendes Kleid."

Er nahm mir den Zettel ab. "Bist du sicher, dass du das wolltest? Ich hätte dir auch Geld borgen können, das weißt du doch."

Ich schüttelte den Kopf. "Matt ... du bist wirklich der beste Freund, den man haben kann, aber ich kann dir doch nicht auf der Tasche liegen. Außerdem wird des nach fünf Jahren endlich Zeit loszulassen, deshalb werde ich auch Henry bitten mich zu der Feier zu begleiten."

Matt raufte sich sein Haar. Es stand ihm wild zu Berge.

"Ich muss ehrlich zu dir sein. Ich denke nicht, dass du ihn mitnehmen solltest. Denn wenn Niall alle seine Freunde einladen hat, dann sind dort sicher viele Promis."

Ich stutze. Es war mir komplett egal, wen auch immer die Zwei eingeladen haben. Ich wusste nur, dass ich nicht alleine dort aufkreuzen wollte.

"Matt, ich möchte nicht alleine hingehen. Und wen außer Henry sollte ich sonst fragen? Ihn kenne ich zumindest schon ein bisschen. Es könnte unser zweites Date werden und wir hatten gesagt, dass wir es wiederholen wollten. Das ist doch die perfekte Gelegenheit."

"Also eigentlich ...", er fuhr sich mit der Hand abermals durch seine schwarzen Haare, "... dachte ich, wir könnten zusammen hingehen." Er räusperte sich.

Ich legte den Kopf zu Seite.

"Er hat uns hier zusammen gesehen. Niall muss vermutlich denken, dass wir zusammen sind." Ich zeigte mit dem Finger zwischen uns hin und her. Es konnte gut möglich sein, dass er das dachte. Aber weswegen sollte ich ihm etwas vorlügen? Ich wollte ihn nicht eifersüchtig machen. Warum sollte er überhaupt eifersüchtig auf Matt und mich Zusammensein? Wenn er es sein würde, würde es bedeuten, dass er mich noch immer mochte, und zwar mehr als nur eine Schwester. Aber es war dumm überhaupt daran zu denken. Ich war doch gerade dabei abzuschließen.

Ich klopfte Matt auf die Schulter. "Das ist echt eine süße Idee von dir, aber ich möchte Niall nicht eifersüchtig machen. Noch mehr Lügen ertrage ich einfach nicht. Irgendwann sollte es gut sein."

Ich nahm mein Handy aus meiner Tasche und suchte Henrys Telefonnummer.

"Amara, bist du dir sicher, dass du Niall nicht eifersüchtig machen willst?"

Ich machte kehrt und zog eine Augenbraue hoch. Hatte ich das nicht vorhin schon beantwortet? "Ja, Matt. Ich bin mir sicher."

"Warum brauchst du dann unbedingt ein Date für diese Feier?"

Ich biss mir auf die Lippe. Was sollten diese ganzen Fragen? "Weil ich nicht alleine dort aufkreuzen möchte?"

"Aha." Er trat näher an mich heran. "Was wäre so schlimm daran als Single die Feier seines Ex-Freundes zu besuchen? Die er zufällig mit seiner neuen Freundin schmeißt."

Ich blieb still und wartete darauf, dass Matt sich seine Frage selbst beantwortete.

Matt legte mir seine Hände auf die Schultern. Ich musste zu ihm hochschauen. "..., weil der Ex denken könnte, dass man noch immer an ihn hängt. Stimmts?"

"Ich hänge nicht mehr an Niall", versuchte ich mich zu rechtfertigen. Es war auch so, ich war fest davon überzeugt, egal ob ich dieser dämlichen Kette nachweinte oder nicht.

"Du lügst", sagte er, mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen.

"Tue ich nicht!"

"Doch."

"Nein!" Verärgert riss ich mich von ihm los. Ich drehte Matt den Rücken zu und rieb mir über mein Gesicht.

"Hört bitte auf damit", sagte ich nun etwas ruhiger. "Du bringst mich durcheinander."

"Aber ich habe doch recht oder Amara? Du sagst doch, dass ich dein bester Freund bin. Du kannst mit mir darüber reden. Ich werde dich nicht verurteilen oder was auch immer. Ich liebe dich und ich werde dir bei allem helfen. Aber du musst mit mir reden."

Ich drehte mich wieder zu Matt und abermals fragte ich mich, was ich getan hatte, um ihn zu verdienen.

"Ich weiß es nicht", gestand ich. "Ich rede mir immer ein, dass ich nicht mehr an ihm hänge, aber dann gibt es immer wieder Momente, an denen mich meine Gefühle überrennen. Und dieses Gespräch mach es nicht besser."

Matt setzte sich auf die Couch und deutete mir mich ebenfalls zu setzte. "Niall hat damals fast nur über dich gesprochen. Es gab beinahe kein Thema wo dein Name nicht gefallen ist. Im Moment haben wir nicht mehr so viel Kontakt wie früher, aber ich kenne Niall. Er fühlt sich verpflichtet gegenüber Holly wegen Charlotte. Vermutlich liebt er dich noch immer, sonst wäre es ihm nicht so wichtig, dich bei dieser Feier dabei zu haben."

Ich zuckte mit der Schulter. Ob er damit recht hatte wusste ich nicht. Vielleicht wollte er wirklich auch nur seine Schwester dabei habe.

"Das heißt, um herauszufinden, ob er mich noch immer will, sollte ich sogar mit einem Typen bei seiner Party aufkreuzen, um ihn eifersüchtig zu machen."

Matt nickte. "Ja, das wäre eine Idee. Aber Henry sehen ich dazu nicht als gute Wahl. Es wäre besser jemanden zu wählen, den man einweihen kann."

"Wie dich", unterbrach ich ihn grinsend.

Matt wog den Kopf hin und her. "Zum Beispiel. Stell dir vor, wie verletzt Henry wäre, wenn er wüsste, dass du ihn nur benutzt."

Da hatte er einen sehr guten Standpunkt.

Dylan kreuzte in meinen Gedanken auf. Ich hatte wirklich keine Lust dieses Chaos nochmals zu erleben.

Warum sind Beziehung immer so kompliziert?

Ich seufzte. "Sind wir nicht schon zu alt für diese Spielchen?"

"Niemals."

 

Detailbesprechnung

 

Sein Arm streifte meinen. Matt und ich gingen im Einkaufszentrum von Dublin entlang, vorbei an einem Elektrogeschäft und einem Funkanbieter. Gestern Nacht lag ich noch Stundenlang wach und starrte die schwarze Decke über mir an. Ich sortierte mich innerlich und versuchte zu verstehen, wie ich an diesen Punkt gelandet war, meinen ehemaligen Freund, mit dessen besten Freund - von dem die ganze Idee kam, eifersüchtig zu machen. Für diese Art von Verhalten waren wir beide eigentlich schon deutlich zu alt. Es fühlte sich kindisch und dumm an, dennoch gab ich dem ganzen eine Chance. Was wohl auch für mein geistiges Alter sprechen musste.

Wie kann eine einzige Begegnung einen solchen Rausch auslösen? Kann ein Mann eine Droge sein? Denn es fühlte sich verdammt nochmal so an.

Wie oft musste ich mir noch in Gedächtnis rufen, dass ich über ihn hinweg war? Mein Leben hatte seinen Lauf ohne Niall genommen und ich hatte es akzeptiert. Aber kaum steht er vor mir, fühle ich mich wieder wie neunzehn. Wie mein damaliges Ich, die sich langsam in ihren Stiefbruder mit den meerblauen Augen verliebte und der wunderschönen Stimme lauschte, mit der er Lieder über mich schrieb.

Da PRIMARK ursprünglich aus Irland stammte, wunderte es mich nicht eine noch größere Filiale hier zu finden, als in London oder Wien. Es gab gefühlt zwanzig Kassen an der linken Seite des Geschäftes. Galileo, die TV Sendung, würde die Größe wieder mit Fußballplätzen beschreiben.

"Mara, Schau mal!" Matt ging an mir vorbei. An einer Reihe von Kleiderständer hingen an den Wänden One-Piece Anzüge mit Tiermustern. Von Elefanten, über Zebras, Löwen und Giraffen war alles vertreten.

Matt wackelte mit den Brauen. "So müssten wir auf der Feier aufkreuzen."

Ich konnte nur schmunzeln und den Kopf schütteln. "Wir würden aussehen wie Affen!"

"Affen gibt es auch", witzelte Matt und zeigte auf einen dieser Anzüge in Form eines schwarzen Affen. Er nahm ein One-Piece in Form eines Löwen von der Stange und hielt es mir an den Körper.

"Ich habe kein gutes Auge was Größen betrifft, aber ich denke, dieser würde dir passen." Matt nickte mir zu. "Hier nimm schon!"

Halb kichernd nahm ich es ihm ab. Von den neunundzwanzigjährigen Matt nahm ich in diesen Moment nicht viel wahr.

Das Kunstfell war flauschig, wie das meiner Kuscheldecke. Ich vergrub meine Finger darin, während Matt an den Stangen nach seiner Größe suchte. Erst bei den Flamingos wurde er fündig. Er war sich nicht zu gut um grinsend mit dem pinken Teil in der Hand zu mir zu kommen und mich zu fragen, wie ihm das stehen würde. Ich konnte nur lachen.

"Also von mir aus, könnten wir so im Partnerlook gehen. Wir wären der Hingucker schlechthin!"

Meine Augen wurden groß. "So werde ich garantiert nicht gehen."

"Du bist ein Spaßverderber, Julien!" Spielend tupfte mir Matt in die Wange. Er zog eine Schnute.

Warum auch immer. Es stand fest, dass Matt anscheinend Gefallen an diesen Klamotten gefunden hatte. Also gab ich nach und sagte, dass ich seinetwillen hineinschlüpfen würde, um es zu probieren. Mir war klar, dass ich dafür kein Geld ausgeben würde, aber ich dachte, es würde Matt zum Lachen bringen und ich mochte es ihn lachen zu hören.

Ich suchte mir keine Umkleidekabine, sondern stieg direkt vor Matt in meinen kurzen Klamotten in das warme Teil, das er mir aufgedrängt hatte. Ich zog den Reißverschluss hoch bis zu meinem Hals und zog mir die Kapuze mit den Löwenohren über den Kopf. Vor seinen Augen machte ich eine ungeschickte Drehung, um mich ihn zu präsentieren.

"Und? Wie sehe ich aus?"

"Zum Brüllen komisch", kicherte Matt. Er biss sich auf die Lippen, sah mich an und stieg ebenfalls in sein Flamingo Teil.

Ich fing mehrere Blicke von anderen Kunden auf und ignorierte sie.

Matt stellte sich auf ein Bein und versuchte einen Flamingo nachzumachen. Wieder konnte ich nur lachend den Kopf schütteln.

Etwas weiter weg neben uns, war eine Schütte mit vergünstigen Sonnenbrillen, in der Matt uns zwei heraussuchte und mir eine davon auf die Nase setzte.

"Jetzt lass und ein Foto schießen", meinte Matt belustigt.

Er legte einen Arm um meine Schulter und ich schlang einen um Matt und drehte mich mit dem Körper zu ihm. Mit seinem iPhone schoss er mehrere Schnappschüsse von uns.

Als Verkäufer begannen uns intensiv anzustarren, schlüpften wir wieder aus den Kleidungsstücken und legten die Sonnenbrillen zurück. Augenblicklich fühlte ich mich erfrischt. Unter dem Kunstfell hatte es gefühlte tausend Grad. Ich konnte mir gut vorstellen, dass es im Winter angenehm war, aber nicht im Sommer.

"... Hashtag Lover, Hashtag Girlfriend, ..."

"Was murmelst du da?", fragte ich Matt, der an seinem Telefon herumtippte.

"Senden", sagte er, bevor er sich zu mir drehte. "Ich habe ein Foto von uns auf Insta gepostet. Wir wollen doch glaubwürdig wirken, oder?"

Er zeigte mir den Bildschirm. Es war eines der ersten Bilder. Ich strahle schüchtern in die Kamera und er sah zu mir. Wenn man die Wahrheit nicht kannte, würde man die Lügen in den Hashtags glauben, die er versuchte der Welt zu verkaufen.

Ich nickte und lächelte schmal. Es fühlte sich noch immer wie ein großer Fehler an.

Sein iPhones verschwand wieder in seiner Hosentasche. Matt sah sich suchend um.

"Und wo finden wir so einen feinen Fummel für dich?"

Ich schmunzelte. "Also ich würde sagen in der Damenabteilung."

Matt warf mir einen Blick zu, der heißen sollte: "Ach ne, wirklich?"

Wir gingen zwischen den Kleiderständern und Regalen entlang. Neben einer Schaufensterpuppe, die nur Unterwäsche trug, befand sich die Damenabteilung. Mehrere Tische mit gefalteten T-Shirts standen nebeneinander. Frauen waren an den Tischen zu schaffen, die auf der suche nach passenden Stücken waren. An der dahinterliegenden Wand hing Unterwäschen. Matts Blick blieb daran kleben.

Ich zwickte ihn leicht in den Arm. "Starr da nicht so hin! Das wirkt komisch."

"Was?" Er hob fragend eine Hand. "Ich bin nun mal ein Mann. Und so Reizwäsche, wie die da hinten turnen mich an."

Wie war. Typisch Mann. Beinahe aus Reflex schon verdrehte ich die Augen. "Ja gut. Also wenn du hier stehen bleiben willst und den Frauen beim Unterwäsche shoppen zuschauen willst, ist das deine Sache. Ich werde mir mein Kleid suchen." Ich zeigte mit dem Zeigefinger auf Matt. "Aber eines sage ich dir, falls sie dich wegen Spannens hinauswerfen, kenne ich dich nicht."

Seine Antwort wartete ich nicht ab, sondern drehe mich auf meinem Absatz und machte mich auf die Suche nach einem feinen Fummel - so wie es Matt eben genannt hatte.

Höhe Ansprüche hier etwas Tolles zu finden hatte ich nicht. Ich brauchte nur etwas, dass möglichst hochwertig aussah, es aber nicht war. Während ich die Kleider begutachtete, fragte ich mich, weshalb ich mir das alles eigentlich antat.

Was er es wirklich wert?

Und wenn ich Holly Niall nun ausspannte, war ich dann nicht genauso mies wie sie es immer war?

Aber eigentlich konnte es mir egal sein. Bestimmt plagte Holly damals kein schlechtes Gewissen. So etwas besaß sie sicher nicht mal.

"Schon was gefunden?", fragte Matt, der plötzlich hinter mir stand.

"Noch nicht", seufzte ich und nahm ein Kleid vom Kleiderständer. Ich rümpfte die Nase. Wo sollte ich hier etwas Tolles finden? Ich ging weiter und machte mich am nächsten Kleiderständer an die Arbeit.

Matt stand wieder hinter mir und sah mir über die Schulter.

Ich zog ein sehr helles Kleid zwischen den Kleidungsstücken heraus und betrachtete es. Der Ausschnitt war rund und mit spitzen. Die Taille schmal.

"Das ist hässlich. Such weiter."

Ich sah zu Matt, der gelangweilt in der Gegend herum sah.

"Hast du eben was gesagt?", fragte ich.

Er sah mich an. Er nickte mit dem Kinn auf das Kleid in meiner Hand. "Das Ding da ist hässlich. Außerdem ist das Ding so weiß, es könnte auch gut als Sabberlappen für ein Kleinkind dienen. Es schreit doch förmlich", Matt hob die Hände hoch. "Mach mich schmutzig!"

In etwa so ging es die nächste halbe Stunde weiter. Matt nörgelte an jedem Kleid herum. Es war äußerst interessant zu sehen, wie Matt sich wirklich über jedes Kleid Gedanken machte. Ich verglich ihm mit Tobi und Niall beim Kleiderkauf. Tobi hatte Geschmack und half mir bei der Suche. Er wusste, was gut aussah und was mir stand. Niall hingegen ließ mich alleine suchen. Er saß lieber am Sessel und beobachtete mich, bis ich etwas fand, dass mir stand. Aber dafür bekam ich alles von ihm, egal wie teuer es war. Wenn es mir gefiel, bekam ich es, egal ob ich ihm sagte, dass ich nicht wollte, dass er es mir kauft.

"Das ist doch viel zu kurz! Du kannst deine schönen Beine schon zeigen, aber der Stoff muss dadurch nicht knapp über deinen Hintern enden! Bitte Amara! Es reicht doch auch, wenn es über den Knien endet." Matt schüttelte den Kopf, nach mir den Kleiderbügel ab und steckte das Kleid zurück an den Platz, von dem ich es genommen hatte.

Ich musste mir auf die Zunge beißen. Irgendwie hatte das alles etwas von einem großen Bruder, der mit seiner kleinen Schwester ein Kleid suchte. Und mal ehrlich, wenn ich mir einen großen Bruder wünschen könnte, dann wäre es Matt. Amber hatte ihn nicht verdient!

Nach über zwei Stunden verließen wir endlich mit einem Kleid das Geschäft. Es war, wie Matt es unbedingt wollte, ein fast Knielanges Kleid aus Seide. Dünne Träger hielten es. Die Farbe war ein sehr helles, aber dezentes rosa mit mehreren Blütenköpfen.

Da ich endlich ein Kleid gefunden hatte, fehlte mir nur noch ein Paar Schuhe. High Heels wollte ich für diese Party nur ungern tragen, deshalb hatte ich schon beschlossen nach flachen Schuhen Ausschau zu halten. Als ich plötzlich etwas fühlte.

Ich sah an meine Hand hinab. Sah wie Matt seine Finger mit meinen verkreutzte. Meine Augen wanderten hoch an sein Gesicht. Lässig wie immer, sah er nach vorne, während seine andere Hand meine Einkaufstasche trug. Er kaute an einem Kaugummi herum.

"Wir sollten proben, um am Wochenende abzuliefern. Denkst du nicht?", sagte er plötzlich.

"Ähm, ja. Ich schätze schon", meinte ich etwas verlegen. Es fühlte sich merkwürdig an so Hand in Hand mit Matt zu gehen. Klar, hatte ich bestimmt schon irgendwann mal seine Hand in irgendeinem Content gehalten, aber nicht so. Diese Art von Händchenhalten war für mich die, die man nur Tat, wenn man in einer Beziehung war - und eben das wollten wir alle glauben lassen.

Seine Hand war groß und warm, aber sein Griff um meine Finger war sanft, beinahe luftig.

Ich schüttelte sämtliche Gedanken ab und lenkte das Geschehen auf das nächste Schuhgeschäft, in dem wir wieder eine gute Stunde verbrachten, bis ich mit Ballerinas, in derselben Farbe wie die Blütenköpfe auf dem Kleid, Hand in Hand, mit Matt das Geschäft verließ. In der Mitte der Mal befand sich ein Café, wo wir eine Pause einlegten. Matt bestellte sich eine Cola und ich eine Limo. Er saß neben mir und hielt weiterhin meine Hand fest.

"Matt?", fragte ich unsicher.

"Ja?"

Etwas unbehaglich biss ich auf meiner Lippe herum. "Ich ähm ... ich denke, wir sollten das", ich deutete auf unsere Hände. "... etwas genauer besprechen."

Augenblicklich ließ er meine Hand frei. So hatte ich das eigentlich nicht gemeint. Ich wollte ihn nicht denken lassen, dass ich etwas gegen seine Idee hatte, es zu proben, um es echter wirken zu lassen.

"Warum hast du nicht gesagt, dass es dich stört?"

Ich schüttelte den Kopf und setzte mich etwas mehr auf. "Nein! So hatte ich das nicht gemeint." Meine Hand nahm seine wieder, so wie er sie zuvor gehalten hatte. "Ich wollte über das kommende Wochenende reden. Wir sollten einige Detail besprechen. Denkst du nicht?"

Ich sah wie er überlegte. Dann nickte er.

"Meine Mutter wird da sein und sie wird mir eine Millionen Fragen stellen. Wie, seit wann, warum ich ihr nichts erzählte habe .... und so weiter. Außerdem sollten wir darüber sprechen, wie weit wir gehen."

"Wie weit wir gehen?", wiederholte Matt meine Worte. Er zog die Augen zusammen.

"Ja. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass wir uns küssen."

Matts Gesichtsausdruck wurde ernst. "Ich werde dich nicht küssen Amara. Das hatte ich nie vor."

Was? Er wollte mich sowieso nicht küssen? Fand er mich nicht attracktiv genug? ... Wieso fragte ich mich das gerade?

"Natürlich nicht", fuhr er fort. "Gerade da läuft man Gefahr etwas zu empfinden, oder Gefühle falsch zu interpretieren."

Ich ließ Matts Hand los und nahm mein Glas Limonade in beide Hände.

"Dann ist ja gut. Denn das wollte ich auch nicht."

Matt nickte. Er lehnte sich zurück an seinem Stuhl, ebenfalls mit seinem Glas in beiden Händen und sah in Gedanken verloren in die Ferne.

"Ja. Es ist alles gut."

 

Kein Start, sondern das Ende

 

Der Flur war hell und lichtdurchflutet. Eine Vase, die schien, als wäre sie handbemalt ruhte, auf einem schmalen Regal über dem ein gerahmtes Foto hing. Drei Gesichter lächelten mir entgegen.

"Wir bekommen das hin", versuchte Matt mich aufzumuntern.

Ich drehte mich um und lächelte halbherzig. "Klar."

Matt presste die Lippen aufeinander und nickte. Dann sah er am Flur nach vorne. Ein runder Bogen führte in das Wohnzimmer und von da aus nach draußen in den Garten. Man hörte Leute durcheinanderreden und Musik im Hintergrund. Geschnatter von Leuten, die Spaß hatten und sich freuten hier zu sein.

Matt bot mir seinen Arm an und ich hackte meinen ein. Wir tauschten einen Blick aus und traten hinaus zu den anderen.

Auf dem Rasen, etwas abseits des verdeckten Pools, standen zwei längliche gedeckte Tische. Auf den hinteren von beiden gab es Speisen, während gleich daneben eine Bar stand, hinter der ein Mann gerade einen Martini servierte.

Meine Mutter und Bobby hielten bereits Getränke in der Hand und unterhielten sich mit Greg und Denise. Weder Niall noch Holly konnte ich zu diesem Zeitpunkt ausmachen, dafür aber Hollys Eltern, deren Gesichter ich mir nach ihrem Besuch vor fünf Jahren gemerkt hatte.

Ich wollte gerade etwas zu Matt sagen, als sich zwei kleine Gestalten zwischen uns beiden durchdrängten. Etwas erschrocken sah ich den Kindern nach. Theo ließ sich von seinem jüngeren Bruder Jake jagen. Er lachte, weil Jake ihm nicht fangen konnte. Doch dann zwickte sich wieder etwas zwischen mir und Matt hindurch. Ein kleines Mädchen mit hellen Haaren die mit einem Haarband hochgebunden waren. Sie trug ein hellblaues Kleidchen und passende Schuhe.

Theo blieb stehen und wartete auf seinen Bruder. Jake hingegen drehte den Kopf während des Laufes nach hinten und schrie laut, als Charlotte ihn eingeholt hatte.

Ich sah den Kindern nach und zwang mich, ein Lächeln auf die Lippen zu setzten. Da lief das Kind von Niall und tollte mit seinen Cousins herum.

Matts Arm um meinen wurde locker. Ich spürte seine Haut an meiner, als er die Hand nach unten gleiten ließ und meine Hand drückte.

Mit etwas mehr Selbstbewusstsein stieg ich mit Matt die Stufen hinunter und betraten den grünen Rasen. Ohne mich von Fremden Blicken ablenken zu lassen, marschierte ich zu meiner Mutter und meinen Stiefvater hinüber. Ich wollte es einzig alleine über mich bringen und meiner Mutter von Matts und meiner Beziehung erzählen. Gestern hatten wir noch viele Kleinigkeiten besprochen. Die gesamte Nacht über übte ich die Worte, die ich an meine Familie richten wollte, um alles so glaubwürdig wie möglich zu performen.

Die Augen meiner Mutter hafteten auf unseren Händen, dann sah sie mich übertrieben glücklich an. Es war aber deutlich zu sehen, wie sich Fragezeichen auf ihrer Stirn bildeten.

"Amara, das Kleid steht dir außerordentlich gut", komplimentierte sie mein aussehen. Auch Bobby nickte.

"Ja, da gebe ich deiner Mutter recht. Beide seht ihr gut aus."

"Danke, Bobby."

Ich nickte Bobby zu. Denise zog mich in eine Umarmung und auch ich konnte mir ein Kompliment nicht verkneifen. Sie sah wie immer hübsch aus und auch Greg hatte sich herausgeputzt.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Matt lässig den Blicken meiner Mutter standhielt. Mit einem verschmitzten Grinsen und den Händen in seiner Hosentasche seiner schwarzen Jeans sah er aus wie ein Bad Boy höchstpersönlich. Er trug ein weißes Hemd, durch das man seine Tattoos sah. Leugnen konnte ich es dabei nicht. Mein fake Freund sah echt heißt aus. Matt sah generell schon immer gut aus. Ich hatte noch nie gedacht, dass er nicht gut aussah.

Ich wendete mich nach der Umarmung wieder Matt zu und ergriff gezwungenermaßen seine Hand. Die Nervosität schluckte ich hinunter. Jetzt hieß es ruhig zu bleiben und die Lüge wieder einmal so glaubhaft wie möglich auszusprechen.

Ich sah nochmals jeden in der Runde an. Angefangen bei Matt, dann Denise, Greg, Bobby und schließlich meine Mutter.

Ich räusperte mich. "Mum, ich muss dir da noch etwas sagen", ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange. Als wäre es nicht schon offensichtlich, was ich ihr zu sagen hatte. Ihr Blick lag abermals auf unseren Händen und danach auf mir.

"Matt und ich sind zusammen. Schon seit einigen Wochen. Ich wollte noch nichts sagen, da ich zu Beginn noch damit gerauft habe unsere Freundschaft zu riskieren. Du weißt schon - er ist mein bester Freund."

Matt drückte meine Hand leicht. Anschließend sahen wir uns verliebt an. Für außenstehende musste das alles wohl verdammt echt wirken.

"Ich freue mich für euch beide", unterbrach meine Mutter unsere Blicke. "Meine restliche Frage, darfst du mir am Sonntag bei einem Kaffee beantworten."

Wieder konnte ich nur lächeln. "Geht klar, Mum."

Ich wusste natürlich, dass es sich hierbei nicht um eine Einladung aus Nettigkeit handelte.

"Ich werde uns mal etwas zu trinken holen. Willst du etwas Bestimmtes? Babe?", fragte Matt mich. Er ließ meine Hand los.

Das Wort "Babe" aus seinem Mund zu hören und dabei zu wissen, dass er mich meinte, fühlte sich merkwürdig an.

Ich wog den Kopf nachdenklich hin und her. "Ähm ... ich nehme dasselbe wie du."

Er beugte sich zu mir und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

"Gut, bin gleich wieder da."

Ich sah Matt hinterher, als er sich seinen Weg durch die Menschen bahnte. Mein Unterbewusstsein schrie mich noch immer lauthals an. Das war alles ein großer Fehler und ich konnte nur hoffen, dass wir das bald lassen konnten.

"Hey Greg. Bobby, wie gehts?", fragte plötzlich eine neue Stimme neben mir.

Schnell drehte ich mich um. Braune Locken hüpften hin und her, als er den beiden Horan Männern die Arme reichte. Auch Denise und Mum wurden begrüßt. Dann drehte sich der Lockenschopf zu mir. Seine grünen Augen glänzten, wie auch sein Lächeln. Grübchen zeigten sich an seinen Wangen.

"Amara, es ist lange her", meinte er.

"Das stimmt, Harry."

Ich streckte ihm meine Hand aus, die er gekonnt ignorierte und mich stattdessen umarmte. Er roch gut und ich hätte zu gerne gewusst mit was er sich eingesprüht hatte. Als er mich wieder losließ, musterte ich sein Outfit. Er trug eine schreiend gelbe Hose und ein geblümtes Hemd, dessen Ärmel hochgeschoben waren.

Doch dann bemerkte ich noch jemanden neben Harry.

Mir blieb die Spucke weg.

Sie sah mich genauso verdutzt an wie ich sie. Ich war mir nicht sicher wie ich reagieren sollte. Zu lange war das alles schon her. Ich fühlte mich nicht sauer, aber ich fühlte auch kein verlangen danach ihr in die Arme zu springen und sie zu fragen, wie es ihr in den letzten Jahren ergangen war. Mir fiel das Gespräch mit Valerie wieder ein. Meine Schwester hatte erwähnte, dass Harry immer öfter mit Sophie erwischt wurde. Man sagte ihnen eine Beziehung nach. Und da er einen Schritt nach hinten trat und einen Arm um ihre schmale Schulter legte, bestätigte das den Verdacht.

Sophie schob eine Locke ihres Haars hinter ihr rechtes Ohr. Unbehagen spiegelte sich an ihrem Gesicht wider.

"Hey."

"Hey", wiederholte ich ihren Grüß. Ich sah sie an, als würde ich sie zum ersten Mal sehen. Sophie hatte sich vom Aussehen her kein Stück verändert. Das einzige, was mir sofort auffiel, war, dass sie die Fase mit den bunten Haaren hinter sich gelassen hatte. Ihr Haare waren kastanienbraun gefärbt.

Eine unangenehme Stille breitete sich in der Gruppe aus. Ich drehte mich zu meiner Mutter und sah hinter sie. Ich hoffte, dass Matt gleich hier auftauchen würde, um mich vor dieser Situation zu retten. Wohl fühlte ich mich nicht hier. Ich wartete nur noch auf das Loch unter meinen Füßen, dass mich von hier befreien würde.

Leider tat sich kein Abgrund unter mir auf und ich war das Freiwild für sämtliche Blicke.

Greg und Denise entschuldigend sich. Jake hatte zu weinen begonnen, weil er ausgerutscht war. Sie verschwanden mit den Kindern im Haus.

"Wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen, Sophie?", fragte meine Mutter.

Sophie lächelte.

"Wirklich gut. Danke, Kate. Vor allem seitdem ich Harry an meiner Seite habe. Er macht mich so glücklich. Mein Leben hätte nicht besser laufen können."

Der letzte Satz verpasste mir einen Stich.

Das Geräusch eines Sektglases, das mit einem Löffel geschlagen wurde kam hinter uns auf.

Ich drehte mich um. Auf den obersten Stufen standen sie: Niall und Holly, unsere Gastgeber. Ihre Tochter Charlotte lief die Stufen hoch und nahm die freie Hand von Niall.

"Hallo und herzlich willkommen in unserem neuen zu Hause!", ergriff Holly das Wort. "Niall und ich freuen uns, dass beinahe alle unsere Freunde und Verwandten es geschafft haben heute hier zu sein."

Ich rollte genervt mit den Augen. Hollys übertriebene Freundlichkeit löste bei mir Brechreiz aus. Alles, was ich beim Angesicht ihrer Visage wollte, war Alkohol. Am besten pur und hochprozentig.

Nialls Gesicht hingegen, löste wieder eine Welle von Fragen in mir aus. Er sah gut aus in seinem schicken Anzug und seiner typischen Frisur. Seine Gesichtszüge strahlte Glück aus und Liebe. Früher sah er mich immer so an.

Ich verschränkte meine Arme vor der Brust.

So komisch musste sich Holly wohl auch gefühlt haben, als sie mich neben Niall sah und seine Blicke mir galten.

Wenn ich so darüber nachdachte, verblüffte es mich, wie Niall gefallen an mir gefunden hatte. Sein Typ schien schon immer Holly gewesen zu sein. Und wenn wir uns ehrlich sind, könnten zwei Menschen nicht unterschiedlicher sein als Ms Perfekt und Ich.

Ich drehte mich wieder um, während Holly weitersprach, wie glücklich sie nicht sei Niall zu haben und dass er das Beste in ihrem Leben sein - neben ihrer Tochter natürlich. Von Matt sah ich weit und breit nichts. Vermutlich stand er hinter den Leuten, die mir die Sicht auf die Bar versperrten.

Leise seufzte ich vor mich hin. Da oben stand die Frau die ich am meisten hasste, mit dem Mann den ich am meisten geliebt hatte. Neben mir befand sich meine ehemals beste Freundin, die mich hintergangen hatte. Ihr Verhalten von damals, Fotos von mir und Niall an eine Zeitschrift zu verkaufen und uns auflaufen zu lassen, verstand ich noch immer nicht. Es mag sein, dass ich damals zu schnell vergeben hatte, aber das schien in meiner Natur zu liegen. Ausgerechnet sie hatte mich derart hintergangen. Der Verrat einer besten Freundin ist immer schlimmer als alles andere. Es hatte mich mehr verletzt, als Niall es je getan hatte.

Abermals drehte ich mich, um Matt zu suchen. Ich wollte hier nicht alleine stehen, deshalb drängte ich mich durch die Menschen durch. Meine Mutter hatte mir noch einen fragenden Blick zugeworfen, den ich keine Beachtung schenkte.

An der Bar angekommen sah ich nicht schlecht. Amber, Matts Schwester stand bei ihm. Sie führten eine stille aber hitzige Diskussion.

Nach meinem Wissen nach und dem Versprechen, dass Amber Matt vor langer Zeit gegeben hatte, hatte sie keinen Kontakt mehr mit Holly.

Weil Holly noch immer ihre Ansprach hielt, erntete das Geschwisterpaar scharfe Blicke.

Ich war mir nicht sicher, ob ich einschreiten sollte, da ich keine Lust hatte mich einzumischen. Der Tag heute war sowieso schon für die Tonne. Diese Feier war eher ein Treffen meiner Feinde, als ein friedliches zusammen sein, um Nialls und Hollys neues zu Hause zu feiern.

"Ich würde eingeladen! Und ich kann hingehen wo ich will!", konterte Amber zornig. Mehrere Falten lagen auf ihrer Stirn.

"Du hast gesagt, du hast nichts mehr mit ihr zu tun!" Matt zeigte auf Holly, die hin und wieder auf die Szene sah, aber so tat, als würde hier ein Streit entstanden sein.

Bevor das alles noch eskalierte, entschloss ich einzuschreiten. Da Matt mir mit dem Rücken zugedreht stand, tupfte ich ihn mehrere Mal von hinten an. Zuerst schien er mich nicht bemerkt zu haben, da wiederholte ich mich wieder. Er fuhr erzürnt herum, öffnete seinen Mund, als wollte er mich gleich anschreien, aber da sah er das ich es war. Seine Gesichtszüge wurden weich und er legte den Kopf entschuldigend zur Seite.

"Amara ...", er strich sich durch sein schwarzes Haar. "Ich wollte dich nicht warten lassen."

"Schon gut, Matt. Ich wollte nur, dass ihr euch beruhigt. Die Leute schauen schon."

Matt sah hinter mich und fing die Blicke der anderen auf. Er sie bedacht an. Auch Holly hörte ich nicht mehr sprechen.

Ich nahm Matts Hand, um ihn zu beruhigen. Und es half. 

 

Sein Gesicht leuchtete noch immer rot, als wir am Buffet standen und uns Essen auf den Teller luden. Die übergroße Portion Fleisch kommentierte Matt mit einem einfachen Wort.

"Eiweiß."

Ich hingegen bediente mich am gegarten Gemüse, Reis und einem gewürzten Stück Fleisch. Während auch die anderen Gäste das Buffet plünderten, setzte ich mich mit Matt im Schlepptau wieder auf meinen zugeordneten Platz. Wir saßen sehr abseits meiner Familie. Am vorderen Ende saßen Niall und Holly. Mum und Bobby mit Denise und Gregor saßen auch auf Nialls Seite, sowie auch seine Mutter Maura und ihr Mann. So saß auch Hollys Familie neben ihr und zu Matts Unmut auch Amber. Die Kinder saßen auf einen eigenen Tisch. Sogar eine eigene Nanny hatten Holly und Niall für die Kleinen organisiert. Während sämtliche andere Gäste, von denen mir nur ein oder zwei bekannt vorkamen, die Plätze zwischen uns füllten. Es mussten irgendwelche Freunde von Holly und ihrer Familie gewesen sein, den Nialls Familie kannte ich bis auch zwei oder drei Cousinen.

Die Enttäuschung stand Matt ins Gesicht geschrieben. Amber hatte ihm versprochen sich nicht mehr mit Holly einzulassen, da Holly sie nur auf den schiefen Weg brachte mit ihrer falschen Art. Und was tat Amber? Sie log ihren eigenen Bruder ins Gesicht, um weiterhin die beste Freundin der falschen Schlange zu sein.

Ich hätte Matt gerne gut zugesprochen, aber was hätte ich schon sagen können? Eigentlich ging ich davon aus, dass auch ihm bewusste war, wie seine Schwester war. Es war keine große Überraschung warum sich diese zwei Frauen so gut verstanden.

Wir saßen am letzten Ende des Tisches. Direkt vor mir saß Sophie. Neben ihr verschlang Harry gerade ein Stück Hühnchen. Es juckte mich in den Fingern zu wissen, wie aus ihnen ein Paar wurde. Fragen konnte ich aber nicht. Sophie und ich waren keine Freunde mehr, deshalb stand mir eine solche Frage nicht zu. Was aber nicht hieß, dass ich Harry nicht fragen konnten.

Ich beschloss schlussendlich das es mich nichts anging. Vielleicht erzählte Harry es, wenn er mehr getrunken hatte. Von Nialls Geburtstagsparty, die ich mit den Jungs vor Jahren auf die Beine gestellt hatte, wusste ich, was für eine Labertasche er sein konnte. Damals hatte er noch von seiner Verflossenen gesprochen. Die Schönheit mit dem blonden Haar und den roten Lippen.

Ab und an spähte ich an Matt vorbei, hinüber an den anderen Gästen und direkt auf Niall. Ein einziges Mal trafen sich unsere Blicke, jedoch unterbrach er den Blickkontakt nach wenigen Sekunden wieder. Der Moment dauerte gefühlt einen Wimpernschlag lange.

Seit der förmlichen Begrüßung von dem Paar, hatte ich sonst nichts mit ihnen zu tun gehabt. Holly und Niall hatten sofort angewiesen, dass wir alle an unseren zugeordneten Plätzen Platz nehmen sollen.

Bobby unterhielt sich mit seinen Söhnen, während Denise und Mum, versuchten aus dem Gespräch mit Holly zu entfliehen. Meine Mum warf mir immer wieder einen Blick zu. Natürlich wusste sie, was dazwischen Holly und mir war. Und alleine die Tatsache, dass mich dieses Biest an das andere Ende des Tisches verbannte, musste ihr zu wissen geben, dass die Rivalität zwischen uns nie ein Ende nahm.

Ziemlich traurig, wenn ich so darüber nachdachte.

Harry und Sophie flüsterten sich gegenseitig etwas in die Ohren. Mein Date und ich stocherten stattdessen in unserem Essen herum.

"Nah? Keinen Hunger?", fragte mich Matt, mit einem schmalen Lächeln von der Seite aus.

Ich beantwortete seine Frage mit einer Gegenfrage. "Und du?"

Er zog die Augenbrauen hoch und seufzte leise. Dann sah er nach vorne, wo seine Schwester saß.

Ich konnte mir einen mitfühlenden Blick nicht verkneife. Ich beugte mich etwas näher an ihn und sagte: "Lass es gut sein, Matt. Sie wieder schon aus ihren Fehlern lernen. Irgendwann kommt das gute alte Karma und überrollt sie."

"Hoffen wir es", hörte ich ihn erwidern.

Bedrückt schob ich meinen Teller von mir weg und lehnt mich nach hinten in an die Rückenlehen. Das alles hier fühlte sich wie eine einzige Katastrophe an. Warum nochmal hatte ich doch zugesagt?

Auch Matt hatte genug gegessen und schob seinen Teller etwas von sich. Kurz darauf kam eine Frau und nahm unsere leeren Teller mit.

Matt legte seinen Arm auf meine Rückenlehne. Abermals starr er nach vorne zu seiner Schwester. Diese Sache mit ihr schien in keine Ruhe zu lassen.

"Hey, Amara ...", eine unbeholfene Stimme sprach mich an.

Ich kniff die Augen zusammen und sah Sophie an. Sie biss sich auf die Lippen, sah von mir zu Harry, der ihr zu nickte und wendete sich schließlich wieder zu mir.

"Ich ähm ... habe mich gefragt, wie es dir in den letzten Jahren ergangen ist."

"Mal besser, mal schlechter", antwortet ich schlicht.

Sophie nickte und lächelte schmal. Ich konnte es deutlich von ihrem Gesicht ablesen. Es fiel ihr schwer mich anzusprechen. Und verdammt, das sollte es auch.

"Ich ... ich wollte dich anrufen als ...", Sophie wog den Kopf hin und her, als sie nach dem richtigen Wort suchte, "als ich, dass von deiner Schwester erfahren habe. Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich an euch gedacht habe. Bitte entschuldige, Amara."

"Ach ja?", zischte Matt schroff. "Wenn du dich wirklich bei mir melden wolltest, dann hättest du es auch getan!" Matt schüttelte den Kopf. "Ich hatte dich damals nicht so egoistisch eingeschätzt. Gerade zu dieser Zeit, hätte sie dich brauchen können."

"Glaubst du nicht, dass ich das nicht weiß?", zischte Sophie über den Tisch zurück. "Warum denkst du, versuche ich mich gerade zu entschuldigen?!"

Ich sah zu Matt, der mit den Augen rollte. "Wow! Nach fünf Jahren. Du bist ja 'ne ganz tolle Freundin."

"Hey! Jetzt mach mal halblang." Harry mischte sich nun auch ein.

Gerade als Matt wieder ansetzten wollte, unterbrach ich ihn. Ich legte eine Hand auf seine Schulter. Ich wollte nicht, dass ein Streit entstand, wegen etwas das fünf Jahre her war.

"Matt, lass es gut sein. Ich möchte nicht, dass du dich noch mehr aufregen musst heute."

"Aber, Mara sie ..."

Ich zuckte mit den Schultern. "Ist schon gut. Danke dir."

Kurz warf ich einen Blick nach vorne. Niemand der anderen Anwesenden beachtete und am Ende des Tisches. Niemand bis auf Niall. Es schien mir, als hätte er den kurzen Zwischenfall genau beobachtet.

"Sophie, ich hatte damals wirklich darauf gewartet, dass du dich melden würdest und ich war enttäuscht, als du es nicht getan hast. Aber wir waren im Streit und habe beide etwas getan, dass den Anderen verärgert hat."

Sophie nickte wissend. "Ja und das tut mir leid, Amara. Später dachte ich mir, dass es komisch wäre dich einfach anzurufen und dich zu fragen wie es dir geht. Du verstehst mich doch, oder?"

"Ja, natürlich."

"Wir sind morgen noch hier. Wie wäre es, wenn ihr morgen etwas zusammen unternehmt. Da spricht es sich sicherlich besser aus, als hier", meldet sich Harry zu Wort.

Er hatte recht. Und vielleicht würde es eine Chance sein um unseren Konflikt beizulegen. Es würde nicht von heute auf morgen gehen, um wieder da zu sein, wo wir früher waren, aber es war ein Anfang.

Ich stimmte Harry zu. "Die Idee gefällt mir."

"Mir auch." Sophie nickte eifrig. Dann bekam Harry als Belohnung einen Kuss auf die Lippen. Die beiden so innig zu sehen, war schon seltsam. Ich konnte mich noch genau an ihr erstes Treffen erinnern. Da lag Taylor Swift noch in den Armen des Lockenschopfes.

Ohne etwaige weitere nennenswerte Momente zog das Abendessen an uns vorbei. Mehr Sekt, Wein und Bier wurden stattdessen serviert. Kuchen, Torten und Eis folgten, während über unseren Köpfen das Blau des Himmels einer dunkelblauen Mischung aus roten und violetten Wolken Platz machte.

"Heute ist ein aufregender Tag für beide von uns", sagte Niall. Er und Holly standen am Tischende. Sein Arm lag auf ihren Rücken und sie lehnte sich mit ihrem Kopf an seinem Arm an. Er erzählte die Geschichte, wie sie sich damals im Kindergarten kennengelernt hatten. Ein anderer Junge schoss sie im Sandkasten mit Sand ab. Doch dann kam Niall und verteidigte sie vor dem älteren Knaben. Weitere Geschichten von ihrer Kindheit folgten, von einem Familienausflug bis hin zu ihrem ersten Date auf dem Weihnachtsmarkt und dem ersten Kuss auf der Eislaufbahn.

Niall strahlte vor Glück und ich brach innerlich zu einem Meer aus Scheiben. Ich war dankbar, dass Matt hier war und mich hielt.

"Heute ist nicht nur der Tag, an dem wir unser Haus für unsere Freunde geöffnet haben. Nein. Es ist der Tag, an dem wir endlich die Neuigkeiten mit euch teilen können." Niall warf einen Blick durch die Runde, sah dann aber zu Holly wo sein Blick hängen blieb. "Unsere Familie ist uns heilig. Und es mag zwar etwas gedauert haben, bis wir uns wiederfanden, aber heute stehen wir hier und wissen was wir wollen. Wir wollen für immer zusammen sein."

Holly grinste übertrieben breit und Niall sah wieder zu uns.

"Holly und ich sind verlobt. Wir werden im September heiraten. Ihr seid natürlich alle eingeladen."

In mir stieg die Galle hoch.

Geschockt sahen Matt und ich uns an.

Ich hörte das Rauschen meines Puls in meinen Ohren.

Schlagartig fühlte ich mich, als würde man mir die Luft zum Atmen nehmen, während neben mir gejubelt und geklatschte wurde. Man beglückwünschte das frisch verlobte Paar mit Umarmungen und Küsschen auf die Wange. Ich sah Maura vor Freude weinen. Auch Bobby sah geschockt aus und gratulierte seinen Sohn, sowie auch Greg. Meine Mutter schüttelte den Kopf. 

"Amara ...", flüsterte Matt mir zu. "Alles okay?"

"Ich brauche einen Moment für mich."

Ich stand auf und verließ den Tisch. Aufgebracht stieß ich die Glastür auf und torkele den dunklen Flur entlang. Meine Augen brannten höllisch, da ich die Tränen zurückdrängte.

Nur nicht weinen. Man würde es sehen. Und ich wollte meine Schwäche für Niall nicht preisgeben. Nicht hier. Nicht vor ihr oder den anderen. 

Ist das eben wirklich passiert?

Ich hielt inne und schloss meine Augen, während ich mich mit einer Hand an einer der Wände abstürzte. Meine Hand ballte sich zu einer Faust und ich hätte mir nichts sehnlicher gewünscht, als in etwas zu boxen.

In Gedanken verloren setzte ich einen Fuß nach den anderen nach vorne und ging die Treppe hoch. Gleich die erste Tür stand weit und breit offen. Eine kleine runde Lampe auf einem Kästchen erhellte den Raum ein bisschen. Rosa Wände mit beklebten Einkörnern kamen in meine Sicht.

Es war das Zimmer von Charlotte. Das Zimmer war ordentlich zusammengeräumt. Man nahm überhaupt nicht an, dass ein Kind hier hauste.

Ob Holly hier ständig zusammenräumte? Oder hatten sie dafür Personal? Bestimmt.

Ich ging weiter und stand vor einer verschlossenen Tür. Eine Stimme in meinen Kopf mahnte mich, hier nicht herumzuschnüffeln, aber die andere meinte das Gegenteil. Und letztere gewann.

Das Zimmer war deutlich großer als das des Kindes. Ich knipste das Licht an und taumelte wie benebelt in den Raum. Als wäre es mein Bett setzte ich mich auf die rechte Seite des Doppelbettes. Zuerst fuhr ich mit den Fingern über den Stoffbezug, fuhr die Streifen nach. Ich nahm das Kissen und roch daran. Hier schlief Niall, ganz eindeutig. Die rechte Seite war schon immer seine gewesen. Ich sah auf das Kissen auf meinen Schoss. Die Erkenntnis was die Hochzeit zu bedeuten hatte traf mich hart. Niall liebte Holly. Er liebte sie. Ich war nur die Ablenkung. In Zukunft würde er mich wohl als Lückenbüßerin bezeichnen. Die, die ihm davon abhielt wieder zu ihr zu finden. Zu seiner wahren großen Liebe.

.... und es fühlte sich scheiße an die Lückenbüßerin zu sein.

"Amara?"

Ich erschrak, als ich meinen Namen hörte. Prompt legte ich das Kissen zurück und sprang vom Bett auf. Doch da mustere mich bereits ein Augenpaar mit gerunzelter Stirn.

Er kam herein und schloss die Tür hinter sich.

"Was machst du hier?", hakte er nach, aber nicht vorwurfsvoll.

Ich konnte Nialls Blick nicht standhalten und sah auf den Platz, an dem die Decke von meinem Gewicht zerknittert war.

Schnaufend zuckte ich mit den Schultern. "Ich weiß es nicht."

Ich sah ihn nicht an, aber ich wusste und fühlte wie er näherkam. Und da kam sie. Die Wut und die Enttäuschung. Der Schmerz füllte jeden Zentimeters meines Körpers.

"Warum hast du mich zu euch eingeladen? Dachtest du, dass ich unbedingt dabei sein wollte, wenn ihr eure 'Ankündigung' macht?"

Jetzt sah ich ihn an. Mit angespanntem Kiefer und verschränkten Armen.

Niall blieb stehen.

"Ich wollte meine Familie hier habe. Und du bist noch immer ein Teil davon. Das hat rein nichts mit unserer Vergangenheit zu tun Amara. Nimm es nicht persönlich."

"Ich soll es nicht persönlich nehmen?!" Meine Stimme wurde lauter. "Sag mal, willst du mich verarschen!"

"Amara hör auf!" Niall hob beide Hände abwehrend hoch. "Ich habe das hier nie böse gemeint. Und verdammt, bitte. Lass mich endlich los. Du tust dir damit nur selbst weh ... und mir auch."

Ein Schauer fuhr mir über den Rücken. "Was ... was meinst du?"

Meine Kehle brannte. Es war nichts daran zu rütteln. Wenn es so weiterging, würde ich wie ein Wrack hier stehen und heulen.

Niall atmete tief ein und aus. "Du liebst mich nach all diesen Jahren noch immer. Das solltest du nicht mehr. Hör einfach auf damit!"

Ertappt biss ich mir auf die Lippen. Ich sah auf den Boden, als ich spürte wie mir sie Tränen in die Augen stiegen.

"Ich weiß, ich habe gesagt, dass wir wieder zusammenkommen, aber ich war dumm das zu denken. Ich habe eine Familie und muss mich um sie kümmern. Du und Holly, ihre beide. Das hätte nie funktioniert", sprach er weiter auf mich ein. "Bitte versuch meine Schwester zu sein. Vergiss was wir hatten. Es wird dir helfen. Und sei endlich frei. Such dir jemanden der dich so liebt, wie ich es immer wollte. Denn du hast nichts anderes verdient."

Ich sah auf. Heiße Tränen liefen über meine Wangen. Dieser Augenblick fühlte sich an, als würde er wieder mit mir Schluss machen. Als würden wir es wieder beenden. Genau wie damals. Nur mit dem Unterschied, dass er mir damals Hoffnungen machte, dass wir wieder zu einem Wir werden würde.

Einige Male musste ich ein und ausatmen. Anders wäre es mir nicht möglich gewesen zu reden. Er hatte mich zerstört und er wusste es.

"Ich ... ich habe etwas für dich", schniefte ich. Ich zog an der Kette, die ich den gesamten Tag über schon trug. Der Anhänger hing tief in meinen Ausschnitt hinein. So war er perfekt versteckt gewesen. Das dünne Kettchen riss an meinen Nacken. Der Anhänger war in meiner Hand verschwunden.

"Gibt mir deine Hand", befahl ich und Niall gehorchte. Ich legte die Kette an seiner Handfläche ab.

Er zog scharf die Luft ein.

"Du ... du musst ihn mir nicht zurückgeben. Der Ring gehört dir."

Widerwillig schüttelte ich den Kopf. "Ich will ich ihn aber nicht. Es ist mir egal was du damit machts. Verkauf ihn, hebe ihn auf für deine Tochter oder schmeiß ihn weg. Nur gib ihn mir nicht wieder zurück. Das Ding bereitet mir nicht mehr als Kummer."

Niall presste die Lippen zusammen. Seine Augen glänzten. "Amara ich ... ich habe es ernst mit dir gemein." Seine Stimme klang weinerlich. "Das alles" er machte einen Kreis in die Luft, "das hätte ich mit dir gewollt."

Vorsichtig legte er seine freie Hand auf meine Wange. Ich hatte befürchtet, dass es mir wehtun würde, dass seine Berührung brennen würde, aber in mir flogen Schmetterlinge durch rosa Wolken. Meine Liebe war großer als meine Wut und Enttäuschung.

"Ich muss meiner Verpflichtung gegenüber meiner Familie nachgehen. Auch wenn ich es mir anders wünsche."

Nickend sagte ich: "Ich habe mir auch immer etwas anderes für uns gewünscht."

Wir sahen uns an. Beide mit Tränen in den Augen und Schmetterlingen im Herzen. Niall lehnte sich etwas nach vorne. Seine Stirn lag auf meiner. Genau wie früher. Das hier, war kein Start, das hier war das Ende, das wir mit einem letzten Kuss besiegelten. Es war der Abschied von Namara. 

 

*****

Ich hielt ein Sektglas in meiner Hand und kreiste es in meinen Fingern. Die Hälfte der gesamten Gäste lag sich in diesen Augenblick tanzend in den Armen. Auch Niall forderte seine Angebetete bei ihrem Lieblingslied auf. Woher ich wusste, dass es ihr Lieblingslied ist? Weil sie es lauthals hinausgerufen hatte.

Lover von Taylor Swift lief. Es war ein ruhiger Song, der mir bei den Ohren raushing. So oft wie sie den Song bei seinem Release gespielt hatten, war einfach nicht mehr normal.

Matt sah mich hin und wieder von der Seite an. Ich spürte seinen Blick auf mir. Nur sah ich nicht ihn an, sondern wünschte mir, dass mein Blick des Todes endlich seine Wirkung entfachen würde.

Ich biss auf meiner Unterlippe herum. Strich mit meinen Daumen über die feine Haut der Lippen, mit denen Niall und ich unser Ende besiegelten. Er musste seiner Pflicht als Familienvater nachgehen. Da war kein Platz für mich.

"Mara?", hörte ich Matt sanft fragen.

Blinzelnd wendete ich den Blick ab. "Was?"

"Wir sollten auch tanzen. Alle Paare tanzen."

Ich warf einen weiteren Blick zu Niall.

"Keine Lust", erwiderte ich darauf. Mein Kopfkino war eindeutig schöner.

Matt seufzte und drehte sich auf seinen Stuhl zu mir. Gereizt hob er eine Augenbraue.

"Du hast keine Lust? Wofür spielen wir das", er zeigte zwischen uns hin und her. "So sieht es aus, als würde unsere Beziehung bereits kriseln."

Matt stand auf und bot mir seine Hand an. "Heb deinen Arsch und Tanz mit mir." Es war keine Bitte, schon eher ein Befehl.

Genervt nippte ich an meinem Glas, stellte es ab und nahm seine Hand. Meine Stimmung war im Keller und es fiel mir schwer, niemanden von der Seite anzumachen. Matt hatte ja recht. Trotzdem schmerzte mich das alles hier. Alte Wunden rissen auf und der Schmerz von damals fühlte sich so frisch wie schon lange nicht mehr an.

Ich folgte Matt die Steintreppen hoch auf die Terrasse, die als Tanzfläche hinhalten musste. Lichterketten und Ballons gaben den ganzen den richtigen Touch.

Er zog mich an sich und ganz automatisch wanderten meine Hände um seinen Nacken. Seine fanden ihren Weg um meine Taille. Mein Kopf ruhte auf Matts Brust und ich konnte sein Kinn auf meinen Kopf spüren, während wir in kleinen Schritten hin und her stiegen und mir abermals die Tränen in die Augen stiegen.

3 Monate Part 3

 

Flashback

Es gibt Tage, an denen läuft alles glatt. Egal was, alles funktioniert und macht, was es soll. Aber heute war keiner dieser Tage. Heute war ein scheiß Tag, genau wie der Tag zuvor auch.

Sie machte sich bereits breit ins Nialls Apartment. Der Ort, den ich auch als mein zu Hause bezeichnete. Diese Frau war verdammt anstrengend, genau wie das Geschrei ihres Kindes.

Ich saß auf der Couch mit einer Schüssel Popcorn auf dem Schoss. Eigentlich stand für heute ein Filmabend für Niall und mich an. Stattdessen teilte ich mir die Couch mit Charlotte. Das Baby lag neben mir auf dem Rücken und strampelte herum, als würde es im Liegen gehen.

Diese ganze Situation machte es mir nicht einfach an meine neue Realität zu gewöhnen. Tut mir ja leid, wenn ich von heute auf morgen damit klarkommen soll, dass mein verlobter ein Baby mit meiner Erzfeindin hat.

Ich stopfte mir eine gute Hand voll Popcorn in den Mund und wartete auf Niall. Zuvor hatte ich auf Netflix eine romantische Komödie herausgesucht. Ich wartete nur noch, dass Holly endlich abhaute und Niall sich zu mir setzten würde, damit ich mich an ihn kuscheln konnte. Immer wieder mal warf ich einen kurzen Blick auf Charlotte. Ich schob sie auch weiter nach hinten, da sie durch ihr strampeln sonst auf den Boden fiel, weil sie nach vorne rutschte. Schließlich war ich kein Unmensch und ließ ein Baby nicht auf den Boden fallen. Das kleine Knäuel konnte ja nichts für seine Mutter und ein Teil von Niall steckte auch in ihr.

Hinter mir tanzte Holly mit einer Tasse in ihrer Hand an. Wie selbstverständlich setzte sie sich ebenfalls auf die Couch und streckte ihre Füße aus.

Ich starrte sie bitter an.

Hatte sie vor hier zu bleiben?

Dann hörte ich Schritte hinter mir und später lag eine Hand auf meiner Schulter. Als ich aufsah, sah ich in Nialls Gesicht.

"Ich dachte Holly geht jetzt", sagte ich durch zusammengebissene Zähne.

Niall lächelte mich schwach an. "Ja, aber ich habe sie gefragt, ob sie uns noch Gesellschaft leisten möchte. Das ist doch kein Problem, oder? Wir werden in Zukunft öfter zusammen Zeit verbringen. Ihr solltet versuchen miteinander auszukommen. Und so ein Filmabend kann Wunder wirken."

Das war jetzt nicht sein Ernst!

Ich atmete laut ein und aus und stellte dabei die Schüssel auf den Tisch vor mir. Dann stand ich auf und setzte das Beste lächeln auf, das ich auch nur ansatzweise zusammenbrachte.

"Klar. Überhaupt kein Problem. Mach es dir nur auf der Couch gemütlich und starte schon mal den Film. Ich bin gleich wieder da."

Ich schob mich ohne weiteres an Niall vorbei und ging in unserem Schlafzimmer. Dort tauschte ich meine Jogginghose gegen eine Jeans und wechselte den Pullover. Ich hatte die Schnauze sowas von voll. Ich wollte hier nur noch raus. Egal wohin einfach nur raus. Babyklamotten, Schnuller, Windeln ... das alles hing mir zum Hals raus. Einen ganzen Monat waren wir nun wieder in London und einen ganzen Monat ertrug ich das alles nun.

Ich verstand nicht, wie er so gelassen bleiben konnte. Es schien mir, als würde er alles so hinnehmen wie es jetzt war. Aber das konnte ich nicht. Ich dachte immer wieder an Annabelle, wenn ich Charlotte sah. Ich musste an meine Mum und Bobby denken und an meine gemeinsame Zukunft mit Niall. Wie sollte das alles für uns enden? Dazwischen hatte ich auch noch genug Zeit, mir Gedanken über Tobi und Sophie zu machen. Ob sie mich wohl schon gegen eine neue Mitbewohnerin oder einen Mitbewohner ausgetauscht hatten?

Wann war mir mein Leben derart aus den Händen geglitten?

An den Tag, an dem du dich in Niall Horan verliebt hast, antwortete mir eine innere Stimme.

Soviel war in so wenig Zeit passiert. Mein Verstand brauchte aber Zeit um zu heilen und zu verstehen. Ein einziges Mal hätte ich gerne die Gelegenheit mein versautes Leben gegen das eines normalen zu tauschen. Eigentlich würde ich gerne in der Zeit zurückreisen und gewissen Dinge anders machen.

Ich schlich mich aus dem Apartment, tapste leise zum Aufzug und verschwand. Niall hätte mich aufgehalten. Aber ich brauchte Luft. Vielleicht tat mir auch etwas Abstand zu alldem gut. Zeit für mich alleine. Das war es, was ich brauchte. Seitdem ich hier wohnte, hatte ich das nicht mehr. Niall war hier und das würde er auch noch einen weiteren Monat sein. Erst dann begann die große Welttournee. Seine Flicker Sessions waren nur ein kleiner Bruchteil davon, was ihn danach erwartete.

Tag täglich gammelte ich hier herum, wenn ich nicht gerade in der Uni war, wo ich darauf achtete Tobi und Amber nicht zu begegnen. Gelegentlich trag ich mich noch mit Lilly. Aber auch die verbrachte die meiste Zeit mit Stephen. Seit neuestem waren die zwei, ganz offiziell, Freund und Freundin. Da kam ich mir wie das fünfte Rad am Wagen vor, wenn ich bei ihnen war.

Meine Beine trugen mich zur Bushaltestelle, die etwa fünf Gehminuten entfernt lag. Bis auf zwei ältere Personen, einer Familie und einer Gruppe von Jugendlichen, die nur auf ihr Smartphones starrten, war der Bus leer.

Ich ließ mich in einer der letzten Reihen nieder und lehnte den Kopf gegen die Scheibe. Mein Telefon schaltete ich zuvor noch auf Stumm. Er hatte noch nicht gemerkt, dass ich weg war. Keine Nachricht und kein Anruf. Ich schrieb Valerie eine Nachricht, in der ich sie fragte, ob ich sie besuchen kommen könnte, falls sie zu Hause sein sollte.

Es war bereits dunkel, als ich vor dem alten Backsteingebäude ausstieg. Erst vor kurzem nannte ich dieses Gebäude noch mein zu Hause und betrachtete meine Mitbewohner als meine besten Freunde.

Im dritten Stock flackerten Lichter im Fenster. Sie waren zu Hause. Wie würden wohl Sophie und Tobi reagieren, wenn ich an der Tür klopfen würde? Würden sie mich wegschicken? Mich sogar in die Wohnung bitten?

Jemand kam aus dem Wohnhaus heraus und ehe ich mich versah, fing ich die Tür noch auf, bevor sie ins Schloss fiel. Danach fand ich mich vor meiner ehemaligen Wohnungstür wieder. Durch die geschlossene Tür hallten Stimmen. Die Stimmen von Tobi und Peter. Sophie hörte ich nicht. Vielleicht war sie in ihrem Zimmer oder unterwegs.

Ich stand mehrere Minuten da und haderte mit mir selbst, bis ich mich entschied, das zufiel passiert war und ich nicht bereit war, den ersten Schritt zu machen. Im selben Augenblick öffnete sich eine Tür.

Dylan sah mich überrascht an. In der Hand hielt er einen blauen Wäschekorb, der bis oben hin voll war.

"A - Amara? Was tust du denn hier?"

Ich zuckte mit der Schulter und lachte die komische Situation leise weg. "Wenn ich das nur wüsste."

"Hast du schon geklopft?" Er nickte auf die Tür.

Ich schüttelte den Kopf.

"Und wirst du klopfen?"

Erneut schüttelte ich den Kopf.

Dylan sah auf den Boden und dann in seine Wohnung hinein. Er biss sich auf die Lippe. "Willst du etwas trinken? Ich könnte dir eine heiße Schokolade machen."

Müde nickte ich. Was sollte ich sonst tun? Nach Hause wollte ich nicht und Valerie hatte noch nicht auf meine Nachricht reagiert.

Ich folgte Dylan nach drinnen in die Wohnung, wo er den Wäschekorb im Badezimmer abstellte und mich bat an dem Esstisch Platz zu nehmen. Er lächelte mir schmal zu. Ohne mich zu fragen, was ich hier eigentlich tat, drehte er mir den Rücken zu und befüllte einen kleinen Topf mit Milch und später kam Kakaopulver dazu, sowie Zucker.

Dylan stellte mir eine Tasse dampfender heißer Schokolade hin, die ich sofort umklammerte. Er schmunzelte und nahm ebenfalls mit einer eigenen Tasse Platz.

Der Geruch von Schokolade lag mir in der Nase und ich hätte gerne davon getrunken. Anderenfalls wusste ich, dass ich mir die Lippen verbrennen würde.

"Danke für den Kakao."

"Immer gerne", erwiderte Dylan.

Während ich seinen Blick auf mir spürte, rührte ich in meiner Tasse herum. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Was würde wohl Niall davon halten, dass ich von zu Hause geflüchtet war und nun an einem Tisch mit Dylan saß? Sicherlich wäre er nicht begeistert. Aber es gab keinen Grund das hier komisch sein zu lassen. Dylan und ich sind Freunde und aus irgendeinen Grund musste mich mir diese Tatsache immer wieder in den Kopf rufen. Freunde.

Ich sah auf und merkte, wie sein Blick sekundenlang auf meinen Verlobungsring ruhte. Vermutlich konnte er sich denken, was dieser Klunker zu bedeuten hatte.

Augenblicklich ließ ich die Tasse los und nahm die Hände vom Tisch.

Niall und ich hatten die Neuigkeiten noch immer nicht geteilt. Bis auf Grandpa und Valerie wusste noch immer niemand davon. Wir hatten uns doch ausgemacht es erst im richtigen Moment mit der restlichen Familie zu teilen - wenn alles besser war. Aber wann würde das sein?

"Wie geht es dir, Amara?", fragte Dylan und lenkte mich so von meinen Gedanken ab.

"Gut", antwortete ich standartgemäß. 

Er seufzte laut und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

"Nein, das tut es nicht. Wie geht es dir wirklich?"

Nichtssagend starrte ich ihn für eine Minute lang an. Sah ich so schrecklich und fertig aus, dass man mir ein Einfaches Gut nicht mehr abkaufen konnte?

"Manchmal fühle ich mich besser, manchmal schlechter. Heute ist ein schlechter Tag." 

Als ich nicht weiter darauf einging, nickte Dylan verständlich. Ich war dankbar, dass er keine weiteren Details hören wollte. 

"Und wo wohnst du jetzt?", fragte er stattdessen.

Ich nahm die Tasse wieder in die Hand und pustetet einige Male hinein. Vorsichtig nippte ich daran. Erst danach antwortete ich.

"Bei Niall. In seinem Apartment."

Er fuhr sich mit der flachen Hand durch seine dunklen Haare.

"Das bedeutet, ihr lebt jetzt zusammen. Klingt gut."

Die ganze Konversation zwischen uns fühlte sich fremd an. Sollte ich ausgerechnet mit ihm über meine Wohnsituation sprechen oder wie es mir ging. Also wie es mir wirklich ging? Normalerweise behauptete ein jeder Mensch, dass es ihm gut ging und niemand will freiwillig offen über seine Probleme reden und eben gestehen, dass es einen nicht gut ging.

"Wo ist eigentlich Enrico?", fragte ich, als ich mich dazu entschlossen hatte, dass ich meine Probleme noch nicht mit der Welt teilen wollte. Ebenso fragte ich mich, was ich hier eigentlich machte? Ich sollte bei Niall sein. Ich sollte bei meinem Verlobten sein und mit ihm darüber sprechen wie es mir wirklich ging.

Ich nahm mein Smartphone aus der Tasche während Dylan meinte, dass er selbst nicht wüsste, wo Enrico im Moment war.

Valerie hatte mir geantwortet:

"Bin eben nach Hause gekommen. Klar, komm vorbei :)"

Darunter leuchtete eine andere Benachrichtigung auf: Dreiundzwanzig verpasste Anrufe von Niall.

Mein Herz zog sich in meiner Brust zusammen, als ich die Nachrichten sah, die er mir ebenfalls geschrieben hatte:

"Amara?! Wo bist du? Warum bist du einfach gegangen?"

"Ist dir etwas passiert? Ich mache mir Sorgen!"

"Sag mir doch bitte einfach, ob alles okay ist"

"WO BIST DU?!"

"AMARA?!"

"Ich habe Holly weggeschickt."

Ich fühlte mich schäbig. Warum hatte ich es in mir ständig wegzulaufen? Egal welches Problem sich mit stellte, ich lief immer davon. Niall machte sich bestimmt riesige Sorgen um mich, denn andersherum würde es nicht anders sein. Würde Niall einfach gehen, ohne mir zusagen, wohin oder was zur Hölle überhaupt los ist, würde ich durchdrehen. Und das war bestimmt, was er gerade tat.

Scheiße.

Wieder einmal hatte ich bewiesen die schlechteste Freundin beziehungsweise Verlobte zu sein, die man nur haben konnte. Die Liste meiner schlechten Momente war bestimmt endlos. 

"Stimmt etwas nicht?", hörte ich Dylan fragen. Er runzelte die Stirn.

Ich schob mein Handy zurück in meine Tasche. Dann nippte ich ein weiteres Mal hastig an meiner heißen Schokolade und stand auf, um mir meine Jacke zu packen.

"Es tut mir leid Dylan. Ich sollte eigentlich nicht hier sein."

Gott, das hörte sich wieder falsch an.

"Das hat nichts mit dir zu tun. Wir sind Freunde, aber ich bin einfach zu Hause abgehauen und Niall macht sich fürchterliche Sorgen um mich. Ich sollte besser wieder nach Hause gehen."

Auch Dylan stand auf. "Okay. Verstehe ich, aber willst du nicht noch deinen Kakao austrinken? Ich rufe dir ein Taxi an."

"Nein, aber danke. Entschuldige bitte, Dylan." Ich biss mir auf die Lippe. Er hatte extra heiße Schokolade für mich gemacht und ich ließ die fast volle Tasse einfach stehen. Jetzt nagte auch deshalb noch das schlechte Gewissen an mir. "Ich werde mich für den Kakao revanchieren. Versprochen. Vielleicht hast du mal Zeit und wir könnten etwas Mittagessen gehen? Vielleicht in der Mittagspause an der Uni nächste Woche."

"Sicher. Ich würde mich freuen."

"Okay. Toll." Ich zog meinen Reisverschluss zu und nahm meine Tasche. Ich warf Dylan ein dankbares Lächeln zu und verabschiedete mich bei ihm.

Mit schnellen Schritten eilte ich zur Bushaltestation. Ich wollte nur noch nach Hause. Fünf Minuten vergingen bis ich endlich im Bus saß und mich auf einen freien Platz niederließ. Auf meinen Handydisplay leuchtete sechs neue Nachrichten von Niall auf. Meine Hände zitterten zu sehr und ich hatte Angst ihn anzurufen.

Wie wütend wird er wohl auf mich sein?

Ob er enttäuscht von mir ist?

"Ich bin auf dem Heimweg. Mach dir keine Sorgen." Mehr als diese Worte konnte ich nicht tippen. Mehr wollte ich auch nicht tippen. Wie sollte ich mein Verhalten in einer Textnachricht auch nur ansatzweise entschuldigen?

Mein Handy leuchtete auf. Eine neue Nachricht von Niall.

"Bitte beeile dich. Ich war krank vor sorge."

*

Als ich den Lift in das achte Stockwerk hochfuhr, konnte ich nicht still stehen bleiben. Ich trat von einem Bein auf das andere. Die Angst hatte mich gepackt. Ich fürchtete mich vor einen weiteren Streit mit Niall, denn ich hatte es satt.

Es war an der Zeit die Veränderung in unserem Leben anzunehmen und mit ihr zu leben. Egal wie viel Schmerz es mir bereitet, aus Liebe zu Niall wurde ich es alles hinnehmen.

Die schweren Türen schoben sich vor mir auf. Kaum hatte ich den Vorraum betreten stand auch schon Niall vor mir. Ich sah wie die Sorgen von seinem Gesicht wichen und Erleichterung sich darauf breit machte. Er stürzte auf mich und umarmte fest.

"Weißt du eigentlich welche verdammten Sorgen ich mir gemacht habe?", hauchte er an mein Ohr.

"Entschuldige", presste ich weinerlich in seine Halsbeuge.

Niall lehnte sich zurück und nahm mein Gesicht in seine Hände. Traurig sah er mich an. Es versetzte mir einen Stich.

"Bitte, tue mir das nie wieder an." Er sprach leise, gebrochen und heiser. Ich sah keinen einzigen Züg in seinem Gesicht, das mich spüren ließ, dass er wütenden auf mich war. Er war einfach nur erleichtert, dass ich wieder da war. 

Schluchzend versuchte ich zu nicken, während er mein Gesicht noch immer festhielt. Doch das weinen eines Baby unterbrach unseren Moment.

"Ich dachte sie ist weg?"

Niall nickte. "Das ist sie auch. Nur Charlotte ist noch hier. Wir werden die Nacht über auf sie aufpassen."

Ich wollte die Augen verdrehen, doch dann erinnerte ich mich an meine Gedanken von heute. Für Niall wollte ich die Veränderung hinnehmen. Zumindest musste ich mich heute nicht mehr mit Holly abgeben. Doch Nialls Tochter kennenzulernen war der erste Schritt meine Gedanken wahr zu machen.

Ich hing meinen Mantel auf einen Hacken und zog meine Schuhe aus. Niall nahm mich an der Hand zog mich mit ins Wohnzimmer, wo Charlotte auf einem Hochstuhl saß und mit den Fingern in einem Teller rührte, in dem ein Babybrei war.

"Verdammt", fluchte Niall neben mir, als er was die Kleine angerichtet hatte, als er mich in die Arme schloss. Charlotte hatten den Brei schön brav auf der gesamten Ablage des Hochstuhles verteilt, sowie in ihrem Gesicht, den feinen hellen Haaren und dem blauen T-Shirt, das sie trug.

Niall nahm ihr das Teller weg und nahm ein Tuch, mit dem er ihr die Finger abwischte.

"Es wäre wohl besser sie zu baden. Lass ihr Wasser ein. Ich werde derweil auf sie aufpassen", schlug ich Niall vor.

Er sah mich dankbar an und huschte ins Badezimmer. Als Niall weg war, sah mich Charlotte mit ihren großen blauen Augen an. Mir reichte ein Blick, um zu wissen, dass sie eine Schönheit werden wird. Ihr Mund stand offen, dann schlug sie etwas mit den Armen um sich und begann zu brabbeln. Es war süß. Sie war süß. Und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, könnte ich sie irgendwann in mein Herz schließen. Für Niall, nur für Niall. 

Die Liebe ist nur Kummer und Schmerz

 

Dicke Regentropfen patschten gegen die Windschutzscheibe des Wagens. Das miese Wetter spiegelte meine Gefühlswelt wider. Die Uhr schlug bereits Mitternacht, als wir das Haus von Niall und Holly, als einer der ersten, verließen.

Ich war es müde und ich war es leid, mitansehen zu müssen wie sich Niall und Holly bestens amüsierten. Zudem kam die Sache mit dem Kuss dazu. Es war sein Abschied an mich und trotzdem fühlte ich seine weichen Lippen noch immer auf meinen, sehnte mich zurück um mehr von ihm zu bekommen.

Es war das Ende und ich wollte es so nicht hinnehmen.

Der Kuss dauerte nicht lang, sprach aber Bände. Noch immer sehe ich Niall vor mir, als er seine Augen danach öffnete und mir sagte, dass ich immer eine der wichtigsten Menschen für ihn bleiben werde. Dann lächelte er mir ein letztes Mal nett zu und bat mich mit ihm nach unten zu gehen, wo ich als erstes zu Bar ging und mir ein Bacardi Cola machen ließ und in einem Schluck austrank.

Im Radio lief eine Liveübertragung aus einem Club in Dublin. Heute gab es eine spezielle Aktion. Frauen zahlten pro Drink nur einen Euro.

Ich sah zu Matt, der mit dem Kopf wippte und auf die Straße sah.

"Von einer Skala von ein bis fünf. Wie müde bist du?"

Auch im Dunkeln sah ich, wie er die Stirn runzelte.

"Eine solide fünf, würde ich mal behaupten. Warum?" Matt warf mir einen kurzen Blick zu und ich rutschte in meinem Sitz herum.

"Ich hätte Lust auf einen Drink."

Deutlich nahm ich wahr, wie er über meine verschlüsselte Idee nachdachte. Lässig saß er da und hielt das Lenkrad mit einer Hand fest, während die andere eine Zigarette aus der Schachtel, die auf der Ablage zwischen unseren Sitzen lag, fischte. Er legte sie zwischen die Lippen, kramte nach einem Feuerzeug und nahm einen tiefen Zug, als die Zigarette zum Glühen begann. Dann öffnete Matt das Fenster neben sich einen Spalt und der Rauch wich nach draußen.

"Wir könnten auch zu Hause etwas trinken. Bier müsste noch im Kühlschrank sein."

"Ich wollte aber auch tanzen", schmollte ich und schürzte die Lippen. Eigentlich wollte ich mich schlicht von der Abfuhr ablenken, die ich heute bekommen hatte.

"Bitte ... Matt", setzte ich schnell nach. Ich versuchte so süß, wie nur möglich zu klingen.

Er sah mich genervt an. Doch er nickte und seufzte laut. "Na gut. Aber nur kurz."

Grinsend freute ich mich und drehte das Radio laut. Wieder einmal hatte ich meinen Kopf bekommen.

Wir erreichten das Pub in Mullingar und parkten etwas abseits davon. Der Weg hierher war ein einziger Umweg, da wir schon aus der Stadt raus waren, und uns kurz vor Kinnegard befanden. Matt musste deshalb extra wenden.

Wie gewöhnlich war das Pub von Marlon gut besucht. An der Bar waren eben zwei Hocker freigeworden, weshalb wir uns durch die Menge schoben und dort Platz nahmen. Als ich Marlon, den Inhaber sah, rutschte mir etwas das Herz in die Hose.

Ob er sich noch immer an mich erinnern konnte? Oder wurde er ständig von besoffenen liebeskranken jungen Frauen angekotzt?

Obwohl ich gehofft hatte, dass die junge Frau, die den Typen neben uns bediente auch uns bedienen würde, kam leider Marlon zu uns rüber. Sein Haar war inzwischen mehr weiß als Grau, auch der Umfang seines Bauches war in den letzten Jahren gewachsen.

"Was kann ich euch beiden bringen?", fragte er Matt und mich. Dabei lehnte er sich an seiner Arbeitsfläche ab und sah uns abwechselnd an. Er schien sich nicht mehr an mich zu erinnern. Gut.

Matt ergriff das Wort. "Für mich ein alkoholfreies Bier und für sie eine Cola, bitte."

Marlon nickte und machte sich an die Arbeit.

"Eine Cola?", zischte ich empört. Eine Cola, war bestimmt nicht das, was ich unter einem Drink verstand.

Matt stand von seinem Hocker auf und lehnte sich an die Tischplatte der Bar an. Er legte den Kopf zur Seite und grinste mich schief an. Dabei öffnete er die oberen Knöpfte seines Hemds. Ich sah Haut und schwarze Tinte. 

"Ja, warum nicht? Ich dachte, dir würde das bekannt vorkommen?"

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Was sollte mir daran bekannt vorkommen?

Er ließ den Kopf fallen, raffte ihn aber nach kurzem wieder hoch. "Kannst du dich nicht mehr an unser erstes Treffen erinnern?"

Doch natürlich konnte ich mich daran noch erinnern. Wie sollte ich auch nicht?

"Was ist das für eine Frage? Klar, weiß ich das noch. Ich bin mit Niall hergekommen."

"Ja und ich habe Bier getrunken mit Sean und Leon", unterbrach mich Matt. "Wir haben auf euch gewartet, dabei haben Sean und Leon darüber gewettet, wie lange du es wohl aushalten würdest mit uns. Vor allem wollte Sean dich abfüllen, falls er dich für heiß gehalten hätte. Aber das war ja sowieso kein Thema. Du wolltest nichts trinken außer deiner Cola." Matt lächelte und ich musste automatisch Mitlächeln. Mir gefiel zwar der Gedanke nicht, dass Sean mich abgefüllt hatte, aber dass Matt sich an solche Kleinigkeiten wie meiner Cola erinnerte, war süß.

Wir bekamen unsere Getränke, da wurde Matt plötzlich wieder ernster.

"Was ist eigentlich im Haus passiert? Niall ist dir gefolgt, das habe ich sofort gewusst, als ich gesehen habe, wie er sich von den Gästen entschuldigt hatte und ins Haus ging."

Ich nahm meine Cola und hielt das Glas in meine Hände fest. "Ja, er ist mir nachgegangen", erzählte ich deutlich bedrückt. Ich hielt Matts mitleidenden Blick nicht lange stand und wich ihm deshalb aus. Mein Glas wurde immer interessanter in meinen Augen. "Er hat dich mit keinem Wort erwähnt. Wir sind wohl zusammen nicht aufgefallen. Jedenfalls ... hat er sich bei mir verabschiedet. Er hat mir klargemacht, dass er für seine Familie da sein muss und ich ihn endlich vergessen soll."

In diesem Moment wünschte ich mir etwas anderes, als eine Cola trinken zu können.

"Und wirst du das? Ihn vergessen?", fragte er vorsichtig nach. Ich sah ihn an, traurig und schluckend. Es fiel mir schwer diese Frage mit Ja zu beantworten, da ich noch nicht bereit war. 

"Wie kann man Gefühle für jemanden von heute auf morgen vergessen?" Ich schüttelte den Kopf. "Falls du diesen Trick kennst, dann zeig ihn mir bitte, Matt."

Aufmunternd legte er einen Arm auf meine Schulter. "Amara ... ihr hattet fast fünf Jahre keinen Kontakt. Hätte das nicht reichen müssen, um zu vergessen?"

Wieder füllte ich, wie meinen Hals zu kratzen begann. Mein Körper versuchte verzweifelt meine Tränen in mir zu behalten und mich nicht zu einem Staubkorn zerfallen zu lassen.

"Sag das bitte meinem Herz." Meine Stimme war nicht mehr fest. Sie stand kurz vorm Bruch.

"Und was genau macht dein Herz derart verrückt nach ihm? Was ist so besonders an Niall?" Matt sah mich genau an. Es war mir, als würde er versuchen meine Körpersprache zu deuten. Aber außer zu blinzeln und das Glas wieder abzustellen, tat ich nichts.

"Er liebt mich."

"Er hat dich geliebt", korrigierte Matt mich mit solch einer härte, dass ich ihn wie erstarrt ansah.

"Niall hat mich immer gut behandelt und nicht wie manch andere Kerle."

Unverzüglich musste ich an Lucas Janisch denken. Auch jetzt noch erzürnte mich der Gedanke daran, wie er die Dreistigkeit besaß uns beim Sex zu filmen. Dieser Scheißkerl! Hoffentlich schmort er in der Hölle!

Matt antwortete mir lässig. "Das musste er auch. Das war immerhin sein Job, als dein Freund. Aber wenn wir uns ehrlich sind, hat er ihn leider nicht mit Bravour absolviert, sonst hätte er heute nicht ein Kind von einer anderen. Außerdem sind die Typen, sie ihre Freundinnen wie Mist behandeln Arschlöcher, denen man die Eier abschneiden sollte."

Ich konnte nicht anders als zu lachen. Er hatte ja auf eine gewisse weiße recht. Doch trotzdem änderte das nichts an meiner Einstellung. Dinge waren schiefgelaufen, aber nicht nur er hatte Mist gebaut, auch ich. Ich hätte mich damals nicht so einfach von ihm abspeisen lassen dürfen, als unsere Eltern und von ihrer Verlobung erzählt hatten. Vielleicht wäre es anderes gelaufen. Aber vielleicht auch nicht.

An der Bar stand eine kleine Schale mit Erdnüssen, an denen ich mich frei bediente. Ich leckte das Salz von meinen Lippen und versuchte Matts Blick auszuweichen.

Ich wollte schon aufhören Matt davon zu überzeugen, dass Niall und ich für einander bestimmt sind, als er erneut davon anfing.

"Nein, aber ohne Witz jetzt. Was findest du an ihn? Sein Aussehen? Seinen Charakter, der oft mürrischer und launischer ist, als wenn Frauen ihre Tage haben? Sein Geld? Was ist es, Amara?"

Sein Geld? Wie konnte Matt das nur denken.

"Sein Geld hat für mich noch nie eine Rolle gespielt", stellte ich eisern fest. "Ich habe ihn nie dazu gezwungen mir irgendetwas zu kaufen oder habe mich durch seinen Status profiliert. Zwischen uns hat es einfach gefunkt. Es hat gepasst."

Matt trank sein alkoholfreies Bier aus und bestellte sich ein neues.

"Bitte versteht meine Fragen nicht falsch, Amara. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Das ist alles. Ich will nicht, dass du an etwas glaubst und hoffst, was dich nicht glücklich machen wird." Wir sahen uns an und ich wusste, dass er es absolut ernst meinte. Aber waren seine Sorgen berechtigt? Immerhin gehörten Niall und ich zusammen. Es war ... Schicksal. Es musste Schicksal sein.

"Es gibt noch genügend andere Fische im Meer. Vielleicht ist dir dein Mr Right schon über den Weg gelaufen und du hast noch keine Ahnung. Oder ihr müsst euch noch finden. Das beste Beispiel dafür sind deine Mutter und Bobby."

Ja, Mum musste durch viele gescheiterte Beziehungen gehen, bevor sie ihn fand. Bevor sie ihren liebenden Mann fand.

"Aber ich bin nicht meine Mutter." Ich kam mir wie ein kleines Kind vor, dass sich versuchte aus der Affäre zu ziehen und kein Nein akzeptieren wollte.

Matt schüttelte verzweifelt den Kopf und ich fragte mich, weshalb er mir gerade so auf die Nerven ging. Er wollte doch mir helfen Niall wiederzubekommen. Oder hatte er geahnt, wie das alles verlaufen würde? Er kannte Niall, kannte ihn schon sehr viel länger als ich. Niall ist pflichtbewusst, das hatte er mir schonmal gesagt. Und Niall sah seine Familie, als seine Pflicht an.

Nachdenklich sah ich mich im Pub um. Alle wirkten ausgelassen, feierten und lachten mit ihren Freunden. Warum waren die alle so sorgenfrei? Ich konnte doch unmöglich der einzige Mensch hier sein, mit solchen Problemen. Vielleicht lag es auch einfach nur an meiner Cola.

Mein Glas war leer, wie auch die Schale mit Erdnüssen.

"Was denkst du eigentlich wirklich Matt? Haben Niall und ich noch eine Chance? Würde er Holly und Charlotte für mich verlassen?"

Matt sah mich an und verzog keine Miene. Dann schüttelte er den Kopf leicht.

Ich atmete aus und schloss die Augen für einen Moment. Und wieder hätte ich einfach losheulen können. Warum tat die Liebe nur so weh? Auf einer Seite war sie das schönste Gefühl, doch zur anderen konnte sie den größten Kummer und Schmerz bereiten.

"Es wird besser, Mara. Glaub mir. Ich weiß, wie es ist zu lieben, obwohl die Liebe nicht erwidert wird. Der Schmerz wird besser und du hast Niall dadurch nicht verloren. Er bleibt dein Stiefbruder. Werdet Freunde dann ist es einfacher."

Matt hatte recht. Niall war nicht aus der Welt. Er bliebt der Sohn von Bobby und damit mein Stiefbruder. Jetzt ist es so wie es immer hätte sein sollen. Es war nie richtig so zu fühlen wie wir es taten. 

Ich rutschte von meinem Stuhl und strich mein Kleid glatt. Mit meinen Fingern versuchte ich irgendwie meine Frisur ohne Spiegel zu retten.

Matt runzelte die Stirn. Er hob eine Hand fragend: "Was hast du vor?"

Ohne Matt anzusehen, da mein Blick die Männer in diesen Pub inspizierte, sagte ich: "Ich suche mir einen Kerl der heute mit mir schlafen soll. Mein letzter Sex ist eindeutig zu lange her."

Niall war mein letzter, was die ganze Sache noch schlimmer machte. Keines meiner Internetdates ging weiter hinaus, als eine Knutscherei mit etwas Fummeln.

Traurig. Echt traurig.

 

Küsse sind gefährlich, weil sie süchtig machen

 

"Hey!" Matt packte mich am Oberarm und zog mich zu sich zurück. "So verzweifelt kannst du aber nicht sein. Setz dich. Ich bestelle dir noch eine Cola."

Entrüstet schüttelte ich seinen Arm ab. "Doch kann man. Vielleicht würde dir diese Art von Sport auch mal wieder guttun. Von dem, was du mir erzählt hast, läuft es bei dir auch nicht gerade rosig."

Matt zog die Augenbrauen zusammen. "Ich habe es eben nicht so nötig wie du. Wenn ich wollte, könnte ich mit drei Frauen an meinem Arm nach Hause fahren. Nur wo würdest du dann schlafen? Wenn ich erstmal anfange, kann mich niemand stoppen. Es würde dir den Schlaf rauben."

Ich winkte ab. Heute hatte er wieder eine extra Portion Macho gefrühstückt. "Ach, um mich brauchst du dir keine Gedanken machen. Ich werde bei dem glücklichen Typen sein, den ich mir hier angeln werde."

Selbstsicher ließ ich Matt an der Bar zurück. Sollte er doch machen, was er wollte. Ich wäre es ihm sogar vergönnt, endlich mal wieder mit einer Frau etwas Zeit zu verbringen, die nicht gerade ich war. Ich weiß, dass er es immer sagte, dass er im Moment keine Frau brauchte, aber er war und blieb ein Mann. Und wir wissen Männer und auch Frauen haben Bedürfnisse nach Nähe zu jemanden.

Ich hatte einen jungen Mann ins Visier genommen. Er stand bei einem der besetzten Billardtischen und sah den Spielern dabei zu, wie sie die Kugeln in die Löcher kickten - oder es zumindest versuchten. Sein helles längeres Haar war zu einem Männerdutt gebunden. Von der Statur her glich er der von Niall. Und bevor ich mich versah, rempelte ich den Kerl an, verschüttete sein Bier und war patsch nass.

"Oh verdammt!", stöhnte ich.

Keine Ahnung was mein Plan war, aber die Aufmerksam des Typens hatte ich mir gesichert. Die feine Seide meines Kleides klebte förmlich an meiner Brust. Es war mir leid um mein neues Kleid, aber wenn ich hier etwas erreichen wollte, musste ich auch ein Opfer bringen können.

Mein Auserwählter nahm eine Packung Taschentücher aus einer seiner Hosentaschen heraus und überreichte es mir. "Echt schade um das hübsche Kleid."

"Ja, das finde ich auch. Es war ganz neu." Ich zupfte zwei Taschentücher heraus und tupfte damit auf den Bierfleck herum - was genau null Komma nichts half.

Dann sah ich auf und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. "Tut mir leid. Ich habe nicht auf meine Umgebung geachtet. Kann ich mich irgendwie revanchieren? Ein neues Bier vielleicht?"

Er lächelte, sah auf meine nasse Brust und nickte. "Ja, da würde ich nicht Nein sagen."

Ich sah noch, wie er einem der Kerle am Billardtisch zuzwinkerte, bevor er mir an die Bar folgte. Wir standen etwas abseits von Matt. Mehrere Hocker trennten uns. Sein alkoholfreies Bier war leer. Nun stand eine Flasche normales neben seinem Glas.

Marlon brachte mir und meinem Auserwählen zwei Flaschen Bier und füllte damit zwei Gläser zur Hälfe für uns auf.

"Wie heißt du eigentlich?"

"Tut das was zur Sache?", fragte ich mit einem Schultern zucken und einem verführerischen lächeln.

Er schmunzelte schief. "Kommt darauf an auf was das hier hinauslaufen soll. "

Als Antwort zwinkerte ich ihm zu. Ob ich mich gut anstellte oder nicht konnte ich nicht beurteilen, aber seine Hand an meiner Taille gab mir ein zuversichtliches Gefühl, dass er meine Botschaft verstand.

Ich nahm einen großen Schluck von meinem Bier. Mein Auserwählter trank ebenfalls, seine Augen wanderten dabei meinen Körper entlang, wie auch seine Hand, die von meiner Taille abwärts an meinen Oberschenkel glitt.

"Wohnst du in der Nähe?", fragte ich, meine Stimme war dabei nicht lauter als ein Flüstern. Aber er verstand mich, da er näher an mich herangerückt war.

Er nickte. "Im Gebäude auf der anderen Straßenseite."

Das hier war so einfach, dass es mir schon zu einfach vorkam. Aber Gott schien mir auch mal etwas vergönnt zu sein.

Ich hörte, wie etwas neben uns leicht auf den Tisch knallte. Es war seine freie Hand, die genügend Geld auf den Tresen legte, um unsere Rechnung zu begleichen.

Ich lehnte mich etwas zurück und trank den Rest meines Getränks aus. Kurz sah ich an den Platz an dem ich und Matt vorhin noch gesessen hatten, doch Matt saß nicht mehr da. Mr Männerdutt ließ sein Bier fast unberührt stehen, nahm meine Hand und zog mich zum Ausgang. Man könnte meinen, dass auch er es fast nicht mehr erwarten konnte, dabei sah er mir nicht wie ein Aufreißer aus. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass ich es ihm so leicht machte. Männer waren einfach immer willig.

Neben der Eingangstür im freien standen ein paar Leute, die rauchten und sich unterhielten. Aber ich hatte nur Augen für das Gebäude über der Straße und dabei verdrängte ich letzte Zweifel. Das war eine gute Idee.

Das war es.

Doch plötzlich stellte sich jemand uns in den Weg.

Matt. Er sah wütend aus und seine Hände waren zu Fäusten geballt.

"Los, Hände weg von ihr!" Sein Blick war eiskalt. Er galt aber nicht mir, sondern ganz alleine meiner Eroberung.

Mein Auserwählter kniff die Augen zusammen. Er ließ meine Hand aber nicht los.

"Alter? Was willst du? Was ist dein Problem?"

Matt baute sich gefährlich auf und ich würde wetten, dass Matt, der beinahe täglich trainierte, meinen Auserwählen zu Brei verarbeiten würde, wenn er es darauf auslegte.

"Ich. Sagte. Hände. Weg." Matt presste die Worte durch seine Zähne. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte, dass er sich so für mich einsetzte oder sauer sein wollte, weil er mir meine Tour vermasselte. Ich hatte ihm doch gesagt, was ich vorhatte! Was sollte das nun?

"Matt, was soll das ganze?", mischte ich mich ein. Mit großen Augen wollte ich ihm deuten, dass alles okay war und er verschwinden sollte.

Matts Blick glitt zu mir. Mich sah er nicht so ernst an. "Du machst einen Fehler. Und ich möchte dich davon bewahren. Du tust in diesem Moment genau dasselbe, was er damals getan hat."

Er?

Er meinte Niall, nicht wahr? Niall hatte es mir doch erzählt. Genau in diesem Pub hier war er in Holly gelaufen, als wir von der Verlobung erfuhren. Genau hier hatte sie ihn aufgerissen und mit nach Hause gekommen. Das Endergebnis war Charlotte.

Augenblicklich ließ ich den Fremden los. Er hingegen sah mich verblüfft an.

"Willst du wegen diesem Arschloch da doch nicht mehr oder was soll das ganze hier?" Männerdutt schüttelte den Kopf genervt. "Ach vergiss es! Das ist doch Kindertheater hier!" Er drehte sich um und verschwand wieder im Pub ohne mir einen letzten Blick zuzuwerfen.

Tja. Zumindest gab es ein gratis Bier für mich.

Ich stemmte wütend die Arme an meine Hüfte und drehte mich zu Matt. "Du hast mir meine Tour vermasselt! Ich hoffe du weißt das! ... Aber trotzdem danke." Den letzten Teil sagte ich seufzend, dann umarmte ich meinen Freund. Auch Matt schlang seine Arme um mich.

"Ich denke, wir hatten genug für heute. Wir sollten nach Hause fahren. Außerdem brauchst du eine Dusche. Du stinkst nach Bier und sexueller Verzweiflung."

Ich sah hoch zu ihm und verpasste ihm einen leichten Schlag gegen seine harte Brust. Aber - was ich nicht zugeben wollte - er hatte recht.

Die Fahrt verlief still - zumindest zwischen mir und Matt. In mir herrschte alles andere, als ruhe. Ich kam mir bescheuert vor, weil diese Art von heute nicht zu mir gepasst hatte, aber eigentlich wollte ich es. Ich wollte mir diesen Kerl für eine Stunde meine Probleme vergessen und mich in einem wunderschönen und unbeschreiblichen Gefühl verlieren. Zulange, hatte ich mich dagegen gewährt. Niemand kam an Niall heran und genau er war es, auf den ich alle diese Jahre gewartet hatte. Auch, wenn ich mir eingeredet hatte ihn nicht mehr zu brauchen oder zu lieben. Es war alles eine Lüge.

Und was sollte ich jetzt tun? Schon wieder warten? Worauf und wie lange noch?

Ich wollte Niall nicht aufgeben. Niemals. Aber er hatte sich schon lange für Holly entschieden. Eines war mir zumindest klar. Bevor er ihr seinen Nachnamen schenkt, musste zwischen uns noch einmal ein Gespräch stattfinden, denn das kurze in seinem Schlafzimmer, dass in einem Kuss geendet hatte, war mir zu wenig.

Oben in der Wohnung schlüpfte ich aus meinen Schuhen. Matt knipste das Licht im Wohnzimmer an und ich folgte ihm.

Er sah meinen leidenden Gesichtsausdruck. Nach heute konnte ich mir kein Lächeln mehr auf die Lippen setzen und zumindest zu Hause wollte ich meinen Frust zeigen können.

"Bist du frustriert, wegen Niall, oder wegen diesem Typen?"

"Beides", seufzte ich leise. Ich drehte Matt den Rücken zu, damit er mir den Reißverschluss meines Kleides öffnete. Ich spürte seine Finger an meinen Rücken und hörte, wie er den Verschluss langsam nach unten zog.

"Weißt du, ich denke, ich komme gerade zur Besinnung. Es wird Zeit weiterzumachen." Ich drehte mich zu Matt um, als der Reißverschluss komplett geöffnet war und ich fühlte wie der Stoff links und rechts zur Seite hing. Dabei musste ich das Kleid festhalten, damit es mir nicht von den Schultern rutschte.

"Ich habe mir all diese Jahre eingeredet, dass ich super ohne ihn zurechtkomme. Aber das stimmt nicht. Ich habe nur die ganze Zeit gewartet, bis er endlich sein Versprechen einlöst und zu mir zurückkommt. Aber das ist vorbei. Ich werde nicht länger warten, denn ich möchte wieder Lieben und das werde ich auch. Ich möchte wieder Nähe zulassen. Ich will meine beste Freundin zurück, meinen Abschluss machen und einen Job finden. Aber vor allem will ich endlich mal wieder Sex haben. Fünf Jahre ohne die Berührungen eines Mannes, vor allem wenn man sehnsüchtig darauf wartet, ist reine Folter."

Ich biss mir nach dem letzten Satz auf die Lippe. Denn so peinlich es auch war, es laut auszusprechen, es stimmte. Inzwischen kam ich mir wie eine Nonne vor. Es war viel zu lange her. Und ich würde es nicht abstreiten. Ich vermisste das Gefühl von Zuneigung und begehrt zu werden. Den Blick eines Mannes, der es kaum erwarten konnte meine Haut zu sehen und berühren zu dürfen.

Matt konnte nicht anders, als zu lachen. "Ähm ja ... das habe ich dir heute angemerkt. Wie schon gesagt, du scheinst es wirklich nötig zu haben."

Er machte sich über mich lustig. Und sein Lachen ließ mich erröten, deshalb drehte ich mich um. Ich setzte zum ersten Schritt an, um mich im Badezimmer zu verstecken und endlich den miesen Duft von Bier loszuwerden, da hielt mich Matt aber hinten an einem Ende des geöffneten Kleides fest.

"Hey", sagte er sanft. "Wo willst du hin?"

"Duschen", erwiderte ich mit einem Blick über meine Schulter. "Schon vergessen? Ich rieche nach Bier und sexueller Verzweiflung."

Matt biss sich auf die Unterlippe. "Stimmt. Und bei dem ersten kann ich dir nicht helfen, aber ...", seine Hand rutschte an meine Hüfte und drückte mich zu sich herum. Er legte auch die zweite Hand an meine Hüfte und führt mich mit zur Couch, wo er breitbeinig Platz nahm und mich zwischen seine Beine stehen ließ.

Sprachlos konnte ich überhaupt nicht regieren, als er mich auf seinen Schoss zog und seine Lippen auf meinen Hals lagen. Mir wurde heiß, nein, schwindelig. Mein Kopf war leer.

Was geschah hier gerade?

"... aber bei dem zweiten Punkt kann ich dir helfen", hauchte er leise an die empfindliche Stelle an meinen Hals. Sein Atem war warm, kitzelte mich. Mein Herz begann wieder schneller zu rasen. Meine Finger fühlen sich kalt und taub an, jedoch fanden sie ganz alleine den Weg an Matts Schultern.

Ganz vorsichtig streifte er mit den Lippen meinen Hals entlang.

"Matt ...", meine Stimme war leiser, als geplant. Sie hätte stark sein sollen. Ein lauter Vorwurf und eine Warnung, aber sie war nicht lauter, als ein Flüstern. "Wir sind Freunde", fügte ich hinzu.

"Mhm, sind wird", antwortete er im selben Tonfall. Dann küsste er meinen Hals. Automatisch reckte ich den Kopf nach hinten. Mein Körper tat es von ganz alleine.

Ich schluckte. "Das ist keine ... keine gute Idee."

"Stimmt."

Ich spürte, wie einer seiner Hände an der nackten Haut meines Beines auf und ab streichelte, bis hinauf an meinen Oberschekel, der unter dem Stück Stoff meines Kleides lag.

Alles prickelte. Mein Körper war in Flammen und brauchte dringend eine kalte Dusche. Die Alarmglocken in meinen Kopf begannen zu schrillen. Sie schrien mich an.

Das ist Matt!

Das ist verdammt nochmal Matt!

Er ist dein verdammt bester und im Moment einziger richtiger Freund!

Stopp!

Matt setzte sich etwas mehr auf um mit den Lippen einen Punkt direkt unter meinem Ohr zu erreichen. "Nur einmal. Damit du deine Verzweiflung loswirst. Immerhin habe ich es dir heute versaut."

Ich kaute auf meiner Unterlippe herum.

"Ja, das hast du."

Ich zog den Kopf von seinem weg und sah ihn fest an. Wir atmeten beide schnell. Seine Augen klebten an meinen Lippen und meine an seinen. Ich ließ seine Schulter los und machte mich an dem noch nicht geöffneten Knöpfen seines Hemdes zu schaffen.

"Nur einmal. Und alles bleibt beim Alten. Wir sind Freunde, beste Freunde. Nur einmal." Ich sprach mehr zu mir selbst, als zu Matt, denn ich konnte nicht glauben was hier gerade geschah.

Nur einmal.

"Ja, Freunde", keuchte Matt im selben Tonfall.

Ich sah auf meine Finger hinab, die einen Knopf nach dem anderen lösten. Da nahm Matt beide meiner Hände und stoppte sie. Er legte sie um seinen Nacken, ließ sie los und zog mich anschließend an der Taille näher an ihm heran. Unsere Nasenspitzen berührten sich. Er legte den Kopf schief und ich vergrub meine Finger in seinen schwarzen Haaren, als sich unsere Lippen zum ersten Mal berührten. 

Für eine Millisekunde hörte mein Herz auf zu schlagen. Der zarte Kuss den Matt mir gab, passt überhaupt nicht zur Situation. Es fühlte sich eher an, als würde eine Feder meine Lippen streifen. Ich wusste nicht recht, wie ich handeln sollte, immerhin wollte ich ihn nicht küssen.

Ich wollte etwas anderes.

Seine Augen waren geschlossen, was ich nur sah, weil meine geöffnet waren. Geschlossene Augen waren nie gut.

"Matt", hauchte ich an seine Lippen.

Ich wiederholte seinen Namen und erst dann ließ er von meinen Lippen ab. Er neigte den Kopf etwas zurück, um mich anzusehen.

Ich legte seine Hand auf seine Wange und streichelte sie mit meinen Daumen. Seine Wangen waren gerötet und warm.

"Du wolltest mich doch nicht küssen. Vergessen?"

Auf Matts Gesicht breitete sich ein großes schiefes Grinsen aus.

"Das war wohl im Aspekt des Moments."

Ich antwortete mit einem knappen nicken. Seine Augen leuchteten und ich erwischte ihn, wie er mehrmals auf meine Lippen starrte.

"Wir sollten wohl unsere Klamotten loswerden", flüsterte ich. Matt nickte schluckend. Dabei wurde seine Atmung schneller. Ich biss mir auf die Lippe, setzte mich gerade auf und schob seine Hände von mir.

Jetzt stand ich zwischen seinen Beinen mit seinem Blick direkt auf mir. Ich ließ das Kleid los, das von meinen Schultern rutschte und zu Boden fiel.

Mein erstes Gefühl hätte wohl sein müssen, mich mit den Händen abzudecken, aber das Gefühl kam nicht. Stattdessen beobachtete ich, wie Matt mich musterte und seine Wangen noch dunkler wurden, als sie ohnehin schon waren. Er rutschte nach vorne an die Kante der Couch, sodass er mit dem Gesicht in der Höhe meines Bauches war. Er küsste ihn und eine seiner Hände zog eine feine Spur von meinem Knöchel hoch und meinen Oberschenkel. 

Jede Berührung kribbelte als wäre es meines erste. 

Ich hielt mich an seinen Schultern fest, um nicht umzufallen, als er langsam aufstand und seine Küsse nach oben wanderten, bis an meinen Hals.

Als er stand, sah er mich an. Es war mir, als würde er mein Gesicht nach Zweifeln absuchen. Aber da gab es keine. Mein Hirn hatte den Verstand längst abgeschaltet.

Matt knöpfte sich die restlichen Knöpfe auf und schlüpfte aus seinem Hemd, das er zu meinem Kleid auf den Boden fallen ließ. Der Anblick war mir nicht neu. Ich hatte ihn schon unzählige Mal nur in Boxershorts gesehen, aber nun die Möglichkeit zu haben, eine Hand auf seine Brust zu legen und die schwarze Tinte auf seiner Haut nachzumalen, ohne dass es schräg rüberkam, war schön und gleichzeitig aufregend.

Mein Finger folgte der Tinte bis hinunter an seinen Hosenbund. Um ihn zu öffnen, nahm ich meine zweite Hand dazu.

"Willst du die nicht auch ausziehen?", fragte ich Matt. ich versuchte dabei so verführerisch wie möglich zu klingen.

Ohne zu zögern, zog er sich die Jeans aus und ich musste kichern, weil es mir schien, als könnte er es nicht mehr erwarten. Ohne eine Warnung hob er mich im Brautstyle hoch und trug mich hinüber in sein Schlafzimmer, wo er mich vorsichtig auf seinem Bett ablegte.

Ich rutschte nach oben und ließ meinen Kopf in eines seiner Kissen sinken. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal auf einem Bett gelegen hatte. Mein Rücken war die Härte der Couch bereits gewöhnt. Deshalb kam es mir vor, als würde ich auf einer Wolke liegen.

Matt rutschte zu mir hoch, platzierte ein Bein zwischen meinen Füßen und stemmte sich mit einer Hand in der Matratze neben meinen Kopf ab um mich nicht zu erdrücken. Er gab mir einen Kuss auf meinen Mundwinkel, dann einen auf die Nase. Weitere folgten an meiner Wange, unterhalb meines Ohrs, mein Hals, mein Schlüsselbein und an der Haut oberhalb meines BHs.

Er sah von meiner Brust aus hoch und ich verstand den qlue.

Ich beugte mich etwas vor und ließ meine Hände nach unten zu dem Verschluss verschwinden. Als ich ihn geöffnet hatte, rutschte er von seiner Position. Matt ließ es sich nicht nehmen mich von meiner Bekleidung zu befreien.

Ich sank zur in das Kissen, das so sehr nach Matt roch, während er meine Brust liebkoste. Jede einzelne Berührung, egal ob mit Lippen oder Händen war so zärtlich, dass ich ihn am liebsten geschlagen hätte. Ich wollte jetzt nichts Zärtliches. Ich wollte einfach nur zur Sache kommen und dennoch fühlte es sich so gut an, dass ich nicht anders konnte, als den Moment zu genießen.

Seine Lippen hingen noch an meiner Brust, als seine Hand schon an meiner Unterwäsche spielte. Er rieb mit seine Hand über meine empfindliche Stelle. Mir wurde heiß und mein Atem schneller. Ich biss mir auf die Lippe, vergrub Fingern in seinem schwarzen Haar und schloss die Augen. Matt wechselte mit den Lippen auf die andere Brust. Seine Hand, die unten mit meiner Unterwäsche spielte und mich ins Unermessliche trieb, fand seinen Weg unter den Stoff.

Ich stöhnte auf.

Matt ließ sich nicht anmerken wie erregt er war, aber ich fühle ihm an meinem Bein.

Wie lange wurde er den Moment wohl noch hinauszögern?

Mein Becken bewegte sich mit, nachdem Matt zwei Finger in mich gestoßen hatte. Immer und immer wieder. Und als er auch mit dem Gesicht zwischen meinen Schenkeln verschwand und ich nur noch seine dunklen Haare sah, musste er mich festhalten.

Die Intensität von seiner weichen feuchten Zunge, war einfach eine ganz andere als seine Finger. Er trieb mich an den Abgrund zu. Ich fühle einen Rausch an Gefühlen in mir hochsteigen und das einzige, was ich wollte, war Befreiung. Als meine Beine zu zittern begannen und ich fühlte, wie das Laken unter mir feucht wurde, war es um mich geschehen. 

Ich atmete mehrere Male tief ein und aus. Mit meiner Hand rieb ich mir über das Gesicht. Ich sah nach unten zu Matt und mir blieb mein Herz stehen. Er lag noch immer in derselben Position, jedoch hatte er den Kopf schief gelegt, um mich von unten zu beobachten. Er grinste schief, sicherlich zufrienden mit dem was er gerade getan hatte. 

Ich grinste ihm ebenfalls etwas verlegen an.

"Alles klar?", fragte er belustigt.

Für die Frage hätte ich ihm am liebsten geschlagen.

Mehr als ein nickten, brachte ich nicht zustande.

Ich stemmte mich an den Ellbogen hoch. Ich wollte ihm Platz machen, damit er sich hinlegen konnte, um ihn den Gefallen zu erwidern. Aber er schüttelte den Kopf.

"Bleib liegen, Mara. Ich mach' das schon."

Bevor er aufstand, küsste er die Innenseite meines Oberschenkels. Er zog sich seine Socken aus und anschließend seine Boxershorts. Keine zwei Sekunden später lag er schon über mir. Er hatte mir nicht mal genügend Zeit gelassen, um einen guten Blick auf sein bestes Stück zu werfen. Also ist er wohl doch ungeduldiger als gedacht ...

Seine Arme drückte er gegen die Matratze links und rechts neben mein Gesicht. Schwer atmend sah er auf mich hinab. Er wollte es. Ich wollte es. Worauf wartete er?

"Matt", seufzte ich ungeduldig. Daraufhin senkte er sich auf mich hinab, legte seine Stirn an meine.

Er drang ein.

Ich schloss stöhnend die Augen. Vorsichtig schob er sein Glied Stück für Stück weiter in mich. Langsam um den Moment zu genießen und mir nicht weh zu tun.

Matt vergrub sein Gesicht in meinen Nacken, als aus langsam schneller wurde. Bei jedem Stoß quietschte der Lattenrost, sodass die Nachbarn vermutlich hörten, was hier gerade geschah. Aber es war egal, denn umso mehr Stöße folgten, umso weniger hörte ich es. Ich hörte nur noch Matts schweren Atem an meinen Hals, das leise Klatschen als sich unsere Körpermitten vollständig berührten und mein Herz, das mir bis zum Hals hinauf schlug.

Ungewollt hatte ich ein Bein um seine Hüften geschlagen, meine Hände lagen auf seinen Rücken und zog eine Reihe von spüren seinen Rücken entlang. Matt wechselte auf die andere Seite meines Halses. Küsste ihn, verwöhnte mich und bedeckte meine Haut beinahe mit Küssen. Bis seine Lippen mein Kinn streiften und sich auf meine Lippen legten. Aber dieses Mal war es anders. Fester und fordernder. Dem Rausch entsprechend wild.

Ich küsste ihn zurück,ließ mich fallen, um dem unbeschreibliche Gefühl nachzugeben, das ich so lange vermisste hatte. Niall hatte mir zuletzt solche Gefühle ermöglicht.

Niall ...

Und plötzlich fühlte sich der Kuss nicht mehr so rosig an. Der gesamte Akt wirkte wie aus einem schlechten Film.

Matt küsste mich weiterhin, keuchte an meine Lippen. Er war so versunken, dass er meine Zweifel nicht spürte.

Niall ...

Ich verkrampfte mich und meine Augen wurden feucht. Matt löste seine Lippen von meinen, um Luft zu holen. Er blieb ruhig auf mir liegen. Mit halb geschlossenen Augen sah er mich zwischen seinen langen Wimpern an.

"Was ist los? Habe ich ... tue ich dir weh?" Matt sah mich besorgt und vollkommen außer Atem an. Seine Frisur war eine stehende Katastrophe, die ich zu verschulden hatte.

"Nein, Matt." Er strich mir lose Haarsträhnen aus dem Gesicht. Die Geste war so simple und dennoch so schön. "Alles okay."

"Bist du sicher?"

Ich nickte. "Ja."

Nur langsam setzte er sich wieder in Bewegung. Aufmerksam beobachtete er mich und sein Blick tat mir weh. Ich fühlte mich schon schrecklich genug, dass ich ausgerechnet jetzt an Niall denken musste, da wollte ich nicht noch in sein verängstigtes Gesicht schauen müssen, weil er dachte, dass er mir weh tat.

Ich zog ihn an den Schultern hinunter zu mir, wollte das er seinen Kopf wieder in meiner Halsbeuge versteckte und meinen Hals küsste. Was er auch tat. Es dauerte, aber er verlor sich wieder in mir, stieß wieder stärker und schneller zu.

Sein Atem wurde schneller.

Mein Atem wurde schneller.

Nicht lange darauf spannte er sich an, ächzte und kam zum Höhepunkt. Er zog sich aus mir und rollte sich von mir ab. 

Ich hörte ihn laut neben mir atmen. Irgendwie traute ich mich nicht zur Seite zu schauen. Er schnaufte laut und ich wollte einfach nur zur Toilette gehen, um mich abzuwischen. Eine Dusche wäre mir sogar noch lieber gewesen. Was ich auch beschloss zu tun.

"Ich gehe mich duschen", teilte ich Matt mit.

Ich wartete nicht auf seine Antwort, stattdessen nahm ich seine Decke, wickelte mich darin ein und verschwand ohne einen weiteren Blick auf Matt aus seinem Schlafzimmer. Beim Vorbeigehen an meinen Koffer, schnappte ich mir Schlafklamotten und sprintete ins Badezimmer. Matts Decke warf ich zuvor noch ins Wohnzimmer zurück.

Erst im Badezimmer bemerkte ich den Schmerz zwischen meinen Schenkel. Mein Spiegelbild sprach Bände. Ich sah aus wie eine Nutte vom Strich, mit dem verschmierten Make-Up und dem Vogelnest, das man als Haare bezeichnen würde. An meinem Hals waren mehrere dunkle Stellen.

Knutschflecken.

Ganz toll.

Irgendwie ganz schon Symbolisch. Meinen ersten Kuss und meinen ersten Knutschleck nach unseren Umzug nach Mullingar hatte ich ebenfalls von Matt bekommen. Nur heute war es weiter gegangen.

Wir hatten miteinander geschlafen.

Matt und ich haben ...

MATT UND ICH HATTEN GERADE SEX...

Ich schloss meine Augen und hielt mich am Waschbecken fest. Mir stieg die Galle hoch. Vorsichtshalber hockte ich mich vor die Toilette.

Ob Niall sich auch so schlecht gefühlt hatte, nachdem er und Holly dasselbe getan hatten? Hatte er dabei auch an mich gedacht?

Jetzt reiß dich doch endlich zusammen Mädchen!

Ich zwickte mich selbst in den Arm. So konnte es nicht weitergehen. Ich hatte doch erst vor einer Stunde beschlossen weiterzumachen. Aber von heute auf morgen schien das nicht zu gehen. Kleine Schritte. Schritt für Schritt. Und der erste Schritt war es, aufzustehen, zu duschen und Matt mit gutem Gewissen ins Gesicht schauen zu können. Das war eine einmalige Sache und hatte rein nichts zu bedeuten.

Einmal hatten wir gesagt. 

Nur. Einmal. 

Warmes Wasser prasselte auf mich hinab. Ein Hauch von Pfirsich lag in der Luft nachdem ich mich shampooniert hatte. Ich wusch mich gründlich, rasierte mich, obwohl ich das erst gestern getan hatte. Ich wollte nur noch ein bisschen mehr Zeit in diesem Badezimmer verbringen um mich nicht der nackten Tatsachen stellen zu müssen. Hinter dieser Tür war Matt, und ich hatte keine Ahnung was ihm gerade durch den Kopf ging. Ich hatte Angst was er wohl zu sagen hatte. Fürchtete um unsere Freundschaft.

Lange, wirklich lange, stand ich vor dem Spiegel. Doch ich wusste, dass ich hier nicht ewig bleiben konnte. Das Leben ging weiter.

Im Wohnzimmer fiel mir auf dass die Decke verschwunden war, die ich achtlos auf den Boden geworfen hatte. Auf der Couch lag bereits meine dünne Decke und mein Polster auf dem ich immer schlief.

Es stand also schon fest, dass ich weiterhin hier schlafen dürfte. Was für ein Glück. Die Tür zu Matts Zimmer stand offen. Ich sah etwas durch die Luft fliegen. Mit leisen Schritten stelle ich mich in den Türrahmen. Matt, der sich inzwischen auch eine kurze Hose und ein Shirt angezogen hatte, bezog das Bett neu. Die schmutzige Bettwäsche lag am Boden.

"Kann ... kann ich dir irgendwie helfen?" Ich rieb mir unbeholfen einen Arm.

"Oh hey, schon fertig?" Matt strahlte und sah verdammt gut gelaunt aus. Irgendwie das komplette Gegenteil zu mir. Ob er die gute Laune nur vortäuschte?

Ich nickte.

Matt zog den Reißverschluss seiner Bettdecke zu und warf die Bettdecke schlaffertig auf sein Bett. Dann nahm er sich den Berg an schmutziger Wäsche, ging a mir vorbei und warf sie in die Wäschetonne im Badezimmer.

Erneut ging er an mir vorbei. Dieses Mal war sein Ziel der Kühlschrank, wo er ausgiebig von einer Wasserflasche trank.

Nachdem er die Flasche wieder zurückgestellt hatte drehte Matt sich zu mir. Er fuhr sich mit der Hand über seine wild stehenden Haare. "Ich werde jetzt schlafen gehen."

"Ich auch", erwiderte ich und gähnte wie auf Kommando.

Er lächelte schmal, als er zu mir kam und mir wie bei einem Kleinkind in die Wange knief. Dann stemmte er die Hände an seine Hüfte. 

"Du kannst das Bett haben."

Irritiert runzelte ich die Stirn.

"Ähm, warum? Das ist doch dein Bett."

Ich wollte nicht, dass er dachte, er musste mir sein Bett freimachen nur weil wir gerade ... Sport ... gemacht hatten.

"Ja, aber ich finde du hast es verdient eine Nacht in einem echten Bett zu schlafen. Es wird dir guttun."

"Das ist wirklich nett von dir Matt, aber das ist nicht notwendig. Mein Rücken ist die Couch schon gewöhnt. Immerhin bist du viel größer als ich. Du wirst schlafen wie auf Nadeln."

Er hob eine Hand um mir das Wort anzuschneiden. "Hey. Es ist mein Bett und ich entscheide. Ich will kein Aber hören Mara. Geh und schlaf dich aus. Freunde tun so etwas füreinander."

Die wahre Bedeutung von Freundschaft

 

So gut wie heute hatte ich schon ewig nicht mehr geschlafen. Die weiche Bauchwolle des Bettbezuges roch nach Matt, obwohl es eine frische war. Der Duft erinnerte mich daran, was wir vor wenigen Stunden hier getrieben hatten. Das Schlimme daran war, dass ich mir nicht sicher war, ob es ein Fehler war oder eben nicht. Zum Glück musste ich mir dann nicht einreden, dass es alleine meine Schuld war, weil unsere Freundschaft das nicht aushielt. Es war Matts Idee. Ich selbst hatte noch nie daran gedacht, es mit Matt zu tun. Natürlich hatte ich Augen im Kopf und sah, wie gut er aussah. Dazu kam noch sein toller Charakter. Mit seinen vielen Tattoos sah er für Schwiegermütter sicherlich nicht aus, wie der Traumschwiegersohn, aber ich wusste es besser. Jede Frau konnte stolz sein so einen Mann wie ihm zu haben.

Zehn Uhr war es bereits, als ich mich aus dem Bett schälte. Ein Muskelkater zog sich durch meine Oberschenkel, der mich wünschen ließ, im Bett bleiben zu können.

Ich lauschte an der Tür, die ins Wohnzimmer führte. Alles war still. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Die erste war, dass Matt nach den nächtlichen Aktivitäten noch schlief oder er war im Bad.

Langsam drückte ich die Türklinge nach unten und zog die Tür einen Spalt auf. Die Couch war leer, die Decke zusammengelegt und der Polster lag darauf.

Ich tapste barfuß nach draußen und blieb mitten im Raum stehen, um zu lauschen. Noch immer war es still. Ich konnte kein Wasser prasseln hören. Nichts.

"Matt?", rief ich aus.

Keine Antwort.

"Matt, wo bist du?"

Und wieder bekam ich keine Antwort. Er war nicht da. Ich war alleine. Das war dann wohl Möglichkeit Nummer drei. Matt hatte die Flucht ergriffen.

Ich suchte nach meinem Telefon, das in meiner Handtasche war. Der Akku war fast leer, weshalb ich es am Ladekabel ansteckte. Ich hatte eine Nachricht von Sophie bekommen:

"Wann treffen wir uns? Soll ich dich wo abholen?"

Ich wischte die Benachrichtigung zur Seite, sah das ich eine Mail bekommen hatte. Der Absender war die E-Mail-Adresse von der Firma meiner Großeltern.

Auf der Betreff Zeile stand "Wichtig".

Ich las mir die Mail durch. Grandma wollte mich und meine Mutter in zwei Wochen bei ihr sehen. Es ging um rechtliches Zeug, von dem ich nichts verstand. Flugtickets waren inklusive. Seitdem mein Großvater vor rund zwei Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war, leitete sie alleine die Firma. Es gab zwar Geschäftsführer, aber Unterzeichen musste noch immer Grandma.

Ich habe noch das Geräusch eines dumpfen Aufschlagens im Kopf, als er zusammenbrach und ihre weinerliche Stimme im Gedächtnis, als wir Grandpa zu Grabe tragen mussten. Es war ein schlimmer Tag, der Narben aufriss. Meine Mutter war wieder ein einziges Wrack. Aber es wurde von Tag zu Tag leichter, wie auch bei Annabelle. Was blieb auch sonst übrig? Zumindest konnte ich vor seinem Tod noch etwas Zeit mit ihm verbringen.

Ich schrieb meiner Mutter eine Textnachricht, um ihr die Einzelheiten der Mail zu erzählen. Sicher hatte sie eine eigene Mail bekommen, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen, da ich genau wusste, wie selten meine Mutter ihre Emails checkte. Danach schrieb ich Sophie, was sie sich vorstellte, was wir tun wollten.

Dann legte ich das Telefon zur Seite und ging ins Badezimmer um mich zurechtzumachen. Matt war noch immer nicht zurück, als ich mich umgezogen hatte und Sophie meinte, sie wollte gerne nach Dublin fahren um zu shoppen. Wir machten uns aus, dass sie mich von zu Hause abholte, da sie und Harry in einem kleinen Hotel in Mullingar schliefen.

Egal wie oft ich daran denken musste, ich konnte einfach nicht glauben das Sophie sich tatsächlich Harry geangelt hatte. Mich würde gerne die Geschichte dahinter interessieren. Wie kam es wohl dazu? Ihr erstes Aufeinandertreffen damals ließ es nie vermuten, dass aus ihnen ein Paar werden würde. Ich hatte eher mehr Angst, dass Taylor Swift, die damals noch Harrys Freundin war, ihr einen nicht netten Song schreiben würde, weil sie ihnen so auf die Nerven ging.

Sophie und Matt hatten ebenfalls schon einmal - nein- sogar zweimal miteinander geschlafen.

Die Erinnerung daran schockierte mich etwas. Und, Schande über mein Haupt, ich wusste ganz genau wann diese zweimal waren. Nacht Nummer eins fand in London statt, in der Nacht, als Niall und ich uns das erste Mal geküsst hatten. Beischlaf Nummer zwei erfolge in einer Toilettenkabine, vor der Hochzeit von meiner Mum und Bobby. Daran hatte ich schon lange nicht mehr gedacht. War ich damals nicht davon überzeugt, dass die zwei gut zusammenpassten? Wow, wo war nur die Zeit geblieben?

Damals war ich noch hinter jemanden von One Direction her und sie hatte was, als reines Vergnügen, mit Matt am Laufen.

Heute war es umgekehrt.

War ich stolz darauf?

Nope, kein bisschen. Denn das hieß nur, dass ich es nun war die das Flittchen spielte und jeden die Beine breit machte. Himmel! Ich hätte beinahe mit einem wildfremden geschlafen!

Ich verließ die Wohnung und traf auf Claire und ihre Mutter. Claire fragte mich nach dem zweiten Teil von Camp Rock und ob ich eh nicht vergessen hätte ihn am Freitag mitzunehmen.

Auf die Kleine hatte in all den Geschehnissen den letzten Tagen komplett vergessen. Nur gut, dass ich nur jeden zweiten Freitag auf sie aufpassen musste. Ob ihr date mit ihrem Scharm wohl besser verlaufen ist, als mein Liebesleben?

Unten wartete Sophie bereits und erst auf den zweiten Blick sah ich, dass Harry am Steuer saß.

Ach herrje, ob seine Fahrkünste schon besser geworden waren nach all den Jahren? Als er mich das letzte Mal mit seinem Wagen mitgenommen hatte, dachte ich, ich würde die Fahrt nicht überstehen.

"Hallo", grüßte ich die Beiden und setzte mich auf die Rückbank. Sophie drehte sich am Beifahrersitz zu mir nach hinten.

"Hey, Amara. Ich hoffe, du hast Lust auf einen kleinen Shopping Trip." Sie lächelte breit, was ich erwiderte. Kaufen würde ich mir nichts können, aber es war eine Möglichkeit etwas mit Sophie zu unternehmen. Warum also nicht?

"Sicher."

"Und gut geschlafen, Amara?", fragte Harry mich von vorne aus. Mit einem Ruck fuhr er los.

Ich gurtete mich an.

"Ja, war ganz okay."

So konnte man das doch sagen, oder?

Während der einstündigen Fahrt nach Dublin, führten wir Smalltalk. Spätestens auf der Autobahn musste ich Harry für seine schlechten Fahrkünste rügen. Sophie lachte, meinte, dass er bis jetzt noch keinen Unfall gebaut hatte. Nur einmal beinahe und einmal war er nicht schuld.

Sehr beruhigend.

Harry ließ uns an der O'Connell-Street in Dublin aussteigen. Sophie und Harry verabschiedeten sich mit einem Kuss, bei dem ich wegschauen musste. Es war ein süßer niedlicher Kuss, mit denen auch Niall mich oft verabschiedet hatte. Der Kuss dauerte gerade so lange, dass man sich sehnsüchtig auf den nächsten freute.

Die O'Connell-Street ist die Haupteinkaufsstraße im Zentrum Dublins. Hier befinden sich die großen europäischen Einkaufsketten, aber auch einige typische irische. Doch die Hauptattraktion der Straße ist der Spire. Manche nennen ihn auch Spike. Er ist ein Monument und Wahrzeichen von Dublin. Ich konnte nicht sagen wie hoch, aber an die hundert Meter war die Edelstahlspitze bestimmt. Er erinnerte mich an eine übergroße Nadel.

Zu unserem Glück war es heute nicht zu heiß. Mit meiner kurzen Jeans und dem Tanktop fand ich es gerade angenehm. Sophie hingegen trug einen kurzen schwarzen Rock, eine weiße dünne Bluse und kombinierte ihr Outfit mit einem knallroten Lippenstift. Sie sah hübsch aus, wie immer, was ich von mir nicht behaupten konnte. Mit meinen Haaren versuchte ich noch irgendwie die Knutschlecke zu verbergen. Matt schien auf diese Art von Markierungen zu stehen. Das hatte er bei unserer ersten Knutscherei nämlich auch getan. Ich war nur dankbar, dass Sophie, die hin und wieder auf meinen Hals sah, mein Aussehen nicht kommentierte.

Wir mischten uns unter die Leute, um nicht sonderlich aufzufallen. Schließlich war Sophie in den letzten Jahren zu einem berühmten Model geworden und besaß nun zusätzlich den Titel als Harry Styles Freundin. Hin und wieder wurde sie von jungen Mädchen erkannt, die erst aufhören uns zu verfolgen, als wir kurz hielten und Sophie ein Selfie mit ihnen machte. Ab und zu hörte ich, wie jemand "Niall Ex", flüstere. Damit war klar ich gemeint. Das war mein Stempel.

"Deine Karriere scheint gut zu laufen", sagte ich, als wir in ein Geschäft einbogen.

"Ja, stimmt." Sie lächelte zufrieden. "Wer hätte gedacht, dass aus einer kleinen Büroangestellten mal ein Victoria-Secret-Model werden würde? Ich würde zu gern das Gesicht von Beate sehen, wenn sie mich auf Zeitschirftencovers wiederkennt."

"Du hast den Job immer gehasst", erinnerte ich mich laut.

Sie nickte schmunzelnd. "Ja, ich war aber auch nicht sonderlich gut darin und Beate hat mir das Leben dort zur Hölle gemacht. Die blöde Ziege."

Ich folgte ihr weiter in das Geschäft hinein. Sophie blieb vor einem Regal stehen, an dem mehrere Kleider hingen. Gleich nebenan waren dazu passende Handtaschen ausgestellt, deren Preisschilder mir Schnappatmung bereiteten. Das hier Geschäft entsprach nicht meiner Preisklasse.

Mit den Fingern berührte Sophie den Stoff eines schwarzen Kleides. Es war schlicht, mit einer schmalen Taille. "Stell dir vor, ich wäre nicht auf deinen Rat hin nach London gezogen. Dann wäre heute alles anders. Vermutlich säße ich noch immer in diesem Büro und würde mich über meine Kollegen ärgern." Sophie sah mich über ihre Schulter hinweg an. Sie wirkte bedrückt. "Dann hätte es diesen Streit zwischen uns sicherlich auch nie gegeben."

"Weißt du, Amara ...", sie drehte sich um und legte ihre Hände auf meine Schultern. "Das ist alles blöd gelaufen. Ich war eifersüchtig und hatte Angst dich zu verlieren und natürlich war es nicht korrekt von mir, etwas mit Jacob zu haben, während er mit Valerie zusammen war. Außerdem wollte ich nur das Beste für dich. Und anscheinend hatte ich ja recht, dass Niall nichts Gutes für dich bedeutet."

Ich seufzte genervt. "Bitte lass uns nicht über Niall reden."

Es nervte mich schon genug, dass er mir ständig im Kopf herum spuckte.

Sophie legte den Kopf schief. "Aber genau er war doch das Hauptproblem. Klar, ich verdankte ihm eigentlich meine Karriere und ich mochte ihn auch. Aber ... er war nicht gut für dich. Schau dich doch an. Du siehst vollkommen zerstört aus. So kenne ich dich überhaupt nicht."

"Kennst du mich denn überhaupt noch?" Ich sah sie fest an. "Wir haben uns fünf Jahre nicht mehr gesehen. Wir haben kein Wort miteinander gesprochen. Ich habe genügend schlechte Erfahrungen in den letzten Jahren gemacht. Klar, dass ich dann zerstört aussehe."

"Amara ..." Sophie sah mich entschuldigen an. "Dass mit deiner Schwester-"

"Nein, nicht nur das", unterbrach ich sie. "Auch genug anderes."

"Du kannst mit mir darüber reden. Vielleicht kann ich dir irgendwie helfen. Ich möchte dir auch helfen, immerhin muss ich einiges gut machen. Freunde für immer, weißt du noch?"

Und genau da. In diesem Augenblick wirkte sie wieder wie das junge Mädchen von zu Hause auf mich. Das Mädchen, das ich im Kindergarten kennengelernt hatte, das von einer Hochzeit mit einem Jungen schwärmte, der sie mit Süßigkeiten verköstigte.

"Mein Großvater ist auch gestorben."

Erschrocken schlug sie eine Hand vor ihren Mund. Sie blinzele einige Male.

"Dein Großvater? John ist tot?" Langsam schüttelte sie den Kopf, als könnte sie nicht glauben, was passiert war. "Aber wie? Ich hatte keine Ahnung."

Wie auch, du warst ja nicht da, sagte meine innere Stimme.

"Ihm ging es den ganzen Tag schon so schlecht, aber du kanntest ihm ja. Er wollte sich einfach nicht hinlegen. Wir hatten Mittag gegessen und er wollte gerade ausgehen um zu einem Termin zu fahren, als er vor der Haustür zusammengebrochen ist."

"Du warst dabei?", fragte Sophie schockiert.

Wieder konnte ich nur nicken. "Es passierte in den Ferien vor zwei Jahren. Ich war drei Wochen zu Besuch bei ihnen. Er hatte einen schweren Herzinfarkt. Die Ärzte führten es auf Stress zurück."

Ohne etwas zu sagen, zog mich Sophie in ihre Arme. Ich brauchte etwas, bis ich mich durchringen konnte, sie ebenfalls zu umarmen, aber als ich es tat, fiel eine große Last von mir. Sie gab mir halt. Jahrelange Freundschaft verschwand also nicht einfach. Auch nach fünf Jahren und einen großen Streit nicht.

"Es tut mir so leid, Amara."

Wir fanden uns, nach unserer innigen Umarmung, in einem Lokal wieder. Tranken süße Getränke und kosteten uns durch das Kuckensortiment. Ausführlich erzählte ich ihr von allem, dass seit dem Tag passiert war, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Sophie hörte mir aufmerksam zu, dabei unterbrach sie mich nur selten. Nickte, wenn sie mir zustimme oder sah mich mitfühlend an. Es fühlte sich gut an, sich alles von der Seele reden zu können. Vor allem war es noch besser, weil Sophie Holly genauso wenig ausstehen konnte wie ich und sie mich vollends verstand. Ich sprach über meine Gefühle von damals, erzählte ihr, wie Niall und ich uns getrennt hatten, da wir eine Pause machen wollten und von seinem Versprechen, dass wir wieder zusammenkommen und alles besser wird. Von unserer Verlobung und wie es geschehen war. Ich zeigte ihr Fotos von meinem teuren Apartment, erzählte ihr von der Uni und wie ich mein gesamtes Geld verschleudert hatte. Und schließlich erzählte ich ihr von gestern. Nicht die Sache, dass ich und Matt miteinander geschlafen hatten, nein, ich erzählte ihr von dem Kuss mit dem Niall uns ein Ende gesetzt hatte.

Eigentlich hätte ich ihr sicher nicht alles erzählen sollen. Vor alledem aus dem Grund wie wir auseinander gegangen waren. Aber jetzt wo sie hier bei mir war, war es wieder wie früher, wo wir uns hin und wieder zankten, aber es nie eine große Sache war, weil im Endeffekt immer einer Nachgab.

Ich könnte sie nie so hassen wie Holly. Hatte ich auch nicht. Ich war einfach nur enttäuscht von ihr und diese Enttäuschung schmerzte am meisten.

Sophie lehnte sich zurück und musterte mich. "Ihr habt euch gestern, während wir alle unten im Garten zusammensaßen in seinem und ihrem Schlafzimmer geküsst? Und wirklich nur geküsst? Weil dein Hals aussieht als hätte dich ein Vampir in der Nacht besucht."

Mir war schon klar was sie wohl gerade dachte.

Die Hitze stieg mir in die Wangen.

"Nein. Da ähm-"

"Erzähl mir jetzt blos nicht, dass du dich mit einem Glätteisen verbrennt hast. Diese Lüge zieht bei mir nicht", unterbrach sie mich mitten im Gebrabbel. Sophie zwinkerte mir zu. "Moment! Du und Matt ihr seid doch ... also ich glaube da gestern etwas aufgeschnappt zu haben. Seid ihr nicht ... zusammen?" Sie schüttelte den Kopf. "Jetzt bin ich etwas verwirrt. Hat Niall dann mit dir Holly betrogen und du Matt mit ihm?"

"Nein", wiederholte ich. "Da ist nichts mit Niall gelaufen. Es war wirklich nur ein Kuss. Danach hat er mich praktisch aus dem Haus geworfen und zu euch hinunter in den Garten geschickt. Und Matt und ich ... da ist nichts. Wir sind Freunde. Wir hatten nur eine bescheuerte Idee. Also vergiss das gleich wieder."

Sophie nickte. "Okay, ich schätze, ich möchte dann überhaupt nicht wissen was eure Idee war. Und deshalb hast du so viel getrunken. Ich dachte schon, du und Matt hattet Streit, weil ihr so distanziert wart und überhaupt nicht wie ein Paar gewirkt habt. Ihr seid auch relativ früh gegangen. Jetzt verstehe ich warum. Ich würde da auch nicht herumsitzen wollen. Niall und Holly. Ich hätte ja nie gedacht, dass die sich mal verloben würden. Sie hat es endlich geschafft."

Eine Kellnerin brachte uns, den von vorhin bestellten Kaffee. Ich nahm mit den verpackten Keks und riss die Packung an der Seite auf.

Ich seufzte. "Ja, sie hat es geschafft." Ich stopfte mir den Keks in den Mund und legte die leere Verpackung neben meine Tasse.

"Und was ist dann passiert?", fragte mich Sophie, dabei schob sie mir ihren verpackten Keks zu. Ich nahm im und riss auch diesen auf.

"Ich wollte was trinken gehen und Matt wollte nach Hause. Aber er hat nachgegeben und wir sind ins Pub gefahren."

Da ihr mir nicht sicher war, ob sie wusste in welchen, sagte ich ihr, dass sie mit mir schon mal dort war, als sie mich hier besuchte hatte.

Ich fuhr fort: "Okay. Ich werde jetzt nicht ganz ins Detail gehen, aber grob gesagt, ich war verärgert und fühlte mich alleine. Seit Niall hatte ich keinen Mann mehr, wenn du verstehst was ich meine. Ich habe gewartet, darauf, dass er sein Versprechen einlöst."

Sophie stützte ihren Kopf mit einer Hand. Sie sah mich an, als wäre ich ein kleines Mädchen, dass gerade irgendetwas niedliches getan hatte.

"Ich unterstützte es war nicht, weil er dich nur verletzt hat, aber das ist süß gewesen von dir", meinte sie lächelnd.

Ich tat so, als hätte ich ihre Bemerkung nicht gehört. Es war nicht süß, es war dämlich von mir an sein Versprechen zu glauben.

"Um es kurz zu fassen: Matt und ich haben miteinander geschlafen. Es war eine einmalige Sache ohne Gefühle. Der Sex diente rein nur der Befriedigung."

Mein Gesicht glühte inzwischen.

Erstaunt starrte mich Sophie mit geöffnetem Mund an. Ihre Augen würden größer, dann blinzelte sie einige Male. "Ich hätte nie gedacht, dass so etwas in dir steckt, Amara. Wirklich nie!"

Da waren wir schon zwei.

"Wie war es heute Morgen zwischen euch? War es komisch? Was hat er zu dir gesagt?"

"Er hat nichts gesagt", sagte ich und zuckte mir den Schultern. "Er war überhaupt nicht da. Ich weiß nicht, wo er steckt."

Sophie zog scharf die Luft ein. "Oh. Das hört sich nicht gut. Du wohnst auch noch bei ihm, das macht es noch schlimmer. Was hast du jetzt vor?"

Ich sah mich hilfesuchend im Lokal um, als könnte mir irgendetwas hier aus meiner Situation helfen. Ja, was hatte ich jetzt eigentlich vor?

"Da er gestern danach noch normal mit mir gesprochen hat, nachdem ich ins Badezimmer geflüchtet bin, war er eigentlich wie immer. Das heißt, wenn ich später nach Hause komme, hoffe ich, dass er da ist und alles beim Alten ist. Ich möchte es nicht kompliziert zwischen uns haben. Ich habe schon genügend auf der Schippe, um das ich mir ständig den Kopf zerbreche. Da will ich mit nicht sorgen um unsere Freundschaft machen müssen."

Sophie löffelte den Schaum von ihrem Kaffee ab. "Weiß du was ich denke, du sollest etwas Abstand zu der Situation bekommen. Das gesamte Chaos spielt sich doch ihr ab. Warum begleitest du mich und Harry nicht zurück nach London?"

"Nach London?", wiederholte ich überrascht. Sie wollte, dass ich zurück nach London kam. Mit ihr und Harry?

Sie nickte aufgeregt. "Ja, warum nicht? Ich meine natürlich nicht, dass du wieder zurückziehen sollst, aber verbring doch ein paar Tage mit uns. Ich würde mich freuen und ich bin mir sicher Harry würde es auch nichts ausmachen. Wir wohnen seit einem Monat zusammen. Es wäre genügend Platz für dich."

"Musst du nicht arbeiten?" ich runzelte die Stirn.

"Ja, aber ich muss erst in zehn Tagen wieder in New York sein. Die Tage davor habe ich frei." Sie streckte eine Hand aus und legte sie auf meine. "Komm schon, Amara. Das wird bestimmt lustig. Wie in alte Zeiten."

"Aber ich kann nicht, Sophie."

Schon alleine das Flugticket würde mich ein vermögen kosten. Ganz geschweige davon, dass ich mir fest vorgenommen hatte mit Niall zu reden, damit das alles hier endlich ein Ende fand. Und am Freitag war ich zum Aufpassen für Claire eingeteilt. Es ging nicht.

"Du denkst doch nicht gerade darüber nach, wie viel der Flug kosten würde, oder?", fragte sie stutzig. "Das lass ruhig mal meine Sorge sein, immerhin habe ich dich eingeladen."

"Aber Sophie, das ist wirklich nicht nötig. Es stört mich schon genug, dass ich wie eine Oberdachlose bei Matt zu Hause auf der Couch schlafe. Ich will niemanden auf der Tasche liegen."

"Du liegst mir doch nicht auf der Tasche. Glaub mir, das tust du definitiv nicht."

Ich seufzte. "Wie du meinst, aber ich kann dennoch nicht. Ich muss am Freitag auf Claire aufpassen. Da bekomme ich Geld und eigentlich hatte ich mir vorgenommen in den Tagen mit Niall zu reden und mir endlich einen Job zu suchen. So könnte ich Geld sparen, um mein letztes Semester nachzuholen."

"Dann sprich doch heute mit Niall und melde dich für Freitag bei dieser Familie ab. Du kannst halt mal nicht, na und?" Fragend hob sie eine Hand. "Vielleicht finde ich sogar einen Job für dich. "

Mit Niall sprechen? Und zwar heute noch?

Nein, auf keinen Fall! Ich musste mir doch zuerst in Ruhe zurechtlegen, was ich ihm überhaupt sagen wollte.

"Du könntest ja auch mit Niall sprechen, wenn du wieder zurück bist. Ist das eigentlich nicht egal?", fuhr sie fort.

Ich biss mir auf die Unterlippe. "Ja, könnte ich schon, aber wie könnte ich dann Spaß haben in London? Alles erinnert mich an Niall. Es ist egal, ob ich bei Mum und Bobby zu Besuch bin, im Pub und sogar bei meiner Großmutter. Er ist überall, wie ein Gespenst das mich verfolgt."

"Das hört sich schrecklich an! Du sollest mit ihm reden. Am besten heute noch ... dann könntest du morgen mit uns zurückfliegen und dein Schreckgespenst würde sich in Luft auflösen."

Sophie deutete der Kellnerin von der sie die Rechnung verlangt. Dann sah sie zu mir. "Los trink aus. Ich werde Harry rufen, damit er uns abholt. Er soll uns zu Nialls Haus fahren."

"Was?", entfuhr es mir etwas zu lauf. Ich mäßigte meine Stimme. "Bist du völlig bescheuert! Das will ich nicht!"

"Und wie du das wirst." Sie sah mich genauso ernst an, wie ich sie. "Wäre ich hier bei dir gewesen und hätte dich damals nicht hintergangen, dann säßest du jetzt nicht hier und würdest deinen Ex-Freund nachtrauern. Ich werde dir helfen und du wirst meine Hilfe annehmen."

Eine Stunde später blieben wir vor dem Wohnhaus von Matt und mir stehen. Ich konnte Sophie und Harry davon überzeugen, dass ich, wenn ich schon zu Niall fahren musste, es wenigstens selbst machen wollte. Etwas stolz steckte wohl doch noch in mir. Die Idee, dass ich mit ihnen flog, konnte ich Sophie leider nicht mehr ausreden. Harry schien es auch nichts auszumachen, er war keine große Hilfe dabei Argumente zu finden, warum ich nicht mitkommen konnte.

Sophie rief mir nach, dass sie mich morgen um sieben Uhr abholen würden, da wir den Flug um kurz nach neun nahmen. Zumindest konnte ich so die Einladung meiner Mutter zum Frühstück mit Matt absagen und Claire musste auch mal ohne mich auskommen. Vielleicht sah ihre Mutter endlich ein, dass sie alt genug war auch ohne einen Aufpasser auszukommen.

Mit einem ächzend stieß ich die Wohnungstür auf. Ich war erleichtert, als ich Matt im Wohnzimmer stehen sah. Er überzog gerade eine Bettdecke.

Die Tür fiel hinter mir ins Schloss.

"Matt, wo-"

Mir blieb das Wort im Hals stecken. Da genau hinter ihm an der Wand stand ein Bett. Ein neues Einzelbett. Dieses Bett sah ich zum ersten Mal.

Matt schlug die Bettdecke zusammen und legte sie auf die Matratze. Er lächelte verlegen und kratzte sich am Nacken. "Wie konntest du nur so lange auf der Couch schlafen? Ich bin halb gestorben in dieser Nacht."

Ich konnte gar nichts darauf sagen, konnte nur fühlen wie meine Augen wieder feucht wurde. Warum hat er das getan?

"Du ... du hast mir ein ... ein Bett gekauft?"

Seine Wangen wurden rot. "Ähm ... ja. Ist das schräg?"

Ich schüttelte den Kopf lächelnd. "Nein, nur etwas verrückt. Du bist verrückt."

Matt leckte sich über die Lippen. "Dann nenn' mich verrückt."

Das Licht in der Dunkelheit

 

Nialls Sicht

Warum habe ich das getan?

Ich konnte Holly kaum in die Augen schauen, was ihr natürlich gestern Abend schon aufgefallen war. Zudem kam noch, dass ich ihr erklären musste, warum ich meiner Ex nachgelaufen war.

"Ich musste auf die Toilette. Es war nicht so, als wäre ich ihr mit Absicht nachgelaufen."

Die Wahrheit war, dass ihr sehr wohl mit Absicht nachgelaufen war. Ich kannte sie. Und ich wusste, dass wir ihr mit den Neuigkeiten weh getan hatten. Aber ich wollte sie dabeihaben. Sie sollte nicht denken, dass ich sie außen vorließ.

Amara musste denken, dass ich sie all die Jahre lang ignoriert hatte. Derweil sorgte ich mich Tag täglich um ihr wohlergehen. Damals nach unserer Trennung hatte ich hin und wieder meinen Wagen auf den Parkplatz ihrer Universität geparkt und sie beobachtet, wie sie sich mit ihrer Freundin Lilly traf oder mit gesenktem Kopf den Heimweg antrat. Es war nicht leicht für mich sie gehen zu lassen. Nicht nur einmal war ich aus meinen Wagen ausgestiegen und machte mehrere Schritte auf sie zu. Nach und nach hörte ich aber damit auf, bis ich auf Tour ging und mich in meinen Song und den Erinnerungen verlor.

Holly besuchte mich mit unserer Tochter und folgte mir von einem Land ins nächste. Es dauerte nicht lange, bis die Neuigkeiten meiner Tochter sich im Netz verbreiteten und das es zwischen mir und Amara aus war. Sofort hieß es, ich hätte sie für Holly fallen lassen. Was anfangs wirklich nichts so war. Ich hatte gesehen, wie sehr sich Amara bemüht hatte, sie wollte, dass es funktioniert und ich wollte es auch. Aber die Streitereien mit Holly nahmen ständig zu, was sich zunehmen auf mein gemuht drückte. Es war schwer für mich die Schweiz zu mimen und mich neutral zu verhalten. Holly passte es nicht, wenn Amara Charlotte wie Gift behandelte, aber ihr passte es auch nicht, wenn sie sich um sie kümmerte.

"Du bist nicht ihre Mutter! Das wirst du nie sein. Lass deine Finger von meinem Kind!"

Die Aussage hörte ich so oft, dass ich sie heute noch manchmal in meinen Träumen hörte.

Und auch wenn Amara es mir gegenüber nie sagte, wusste ich und hörte ich es, wie sie sich oft leise in den Schlaf weinte.

Irgendwann musste ich die Reißleine ziehen. Es war genug. Ich wollte sie mit meinem Problem nicht zerstören.

Ewig hatte ich darüber nachgedacht, was ich machen sollte. Und die einzige richtige Antwort war es unsere Beziehung zu beenden. Mir war bewusst, dass es nicht einfach werden würde. Ich hatte einen Tag ausgesucht, wo wir alleine waren. Ich lenkte das Gespräch so, wie ich es haben wollte. In meinen Kopf war ich dieses Gespräch so oft durchgegangen, dass es für mich selbst wie einstudiert wirkte.

So gut wie es eben ging, versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen. Für sie sollte es so wirken, als wäre unsere Pause gerade eben erst eine Idee geworden.

"Wir werden wieder zusammenfinden, Amara. Ich verspreche es dir. Alles wird besser und wir werden heiraten."

Noch immer fragte ich mich, wie ich das damals so einfach sagen konnte. Schließlich war ich davon überzeugt, dass wir keine Zukunft mehr haben würden. Wie auch? Ich hatte mir mein eigenes Glück mit ihr zerstört.

Ich ließ nach ihr sehen, rief Tobi an, als ich ein Foto von ihnen auf Twitter sah, nachdem sie sich anscheinend wieder vertragen hatten, und fragte ihn über Amara aus. Nebenbei beendete ich meine Tour. Charlotte wuchs und wuchs und Holly verbrachte immer mehr Zeit bei mir.

Holly ließ die Einsamkeit in mir verschwinden, die ich nach Amara fühlte. Ihre Besuche bei mir, wurden länger und inniger. Filmabende mit Holly und Charlotte fühlten sich familiär und schön an. Und ehe ich mich versah, regte sich etwas in meiner Brust und ich kostete von ihren zarten Lippen.

Während all dieser Zeit verdrängte ich das Versprechen immer weiter nach hinten. Mein Gewissen schaltete sich ein. Ich wollte ein guter Vater für meine Tochter sein. Sie sollte nicht mit getrennten Eltern aufwachsen müssen, wie ich gemusst hatte. Und was war falsch daran? Holly war meine erste große Liebe und die Mutter meiner Tochter. Beide füllten die Einsamkeit in meinen Herzen.

Alles, was ich je getan hatte, war Amara zu verletzten und wütend zu machen. Sie verdiente das nicht. Sie verdiente genau das Gegenteil.

Als ich gehört hatte, dass sie wieder in Mullingar war, war ich etwas verwundert. Ich hatte nicht angenommen, dass sie zurückgehen würde, vor allem, weil sie London immer so zu lieben schien. Umso mehr hatte es mich überrascht, als ich sie in einer Wohnung mit Matt zusammen aufgefunden hatte. Kate meinte, sie wohnte in einer eigenen Wohnung und Matt selbst hatte mir gegenüber nie erwähnt, dass er und Amara zusammenlebten. Mir war schon immer klar, dass die Beiden eine feste Freundschaft teilen, aber dass er mir so etwas verschweigen würde, hätte ich nie gedacht.

"Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst? Schließlich würde meine Oma sicherlich erfreut sein, wenn mein Verlobter dabei ist, wenn ich ihr die Neuigkeiten erzähle."

Ich küsste Hollys Wange. "Ich bin mir auch sicher, dass du das alleine schaffst. Und ich fühle mich nicht so gut."

"Du hättest gestern weniger trinken sollen." Sie tippte mir auf die Brust.

Ich seufzte. "Du hast ja recht."

Holly sah sich um und entdeckte Charlotte, die auf der ersten Stufe saß und mit einer ihrer Puppen spielte. "Charlotte, verabschiedest du dich noch von deinen Dad."

Lotte legte die Puppe beiseite und stürmte breit lächelnd auf mich zu. Ich nahm sie hoch und küsste sie, während sie ihre dünnen Hände um meinen Nacken legte und mich fest umarmte.

"Warum kommst du nicht mit, Daddy?" Sie sah mich traurig mit ihrem Schmollmund an. Mit diesem Gesichtsausdruck wird sie als Teenager und Erwachsene wohl alles bekommen. Ich möchte gar nicht daran denken, wenn sie das erste Mal einen Freund mit nach Hause bring ...

Meine Kleine ...

"Ich fühle mich nicht so gut. Richte deiner Uroma schöne Grüße von mir aus und wenn es geht, nimm mir ein paar Kekse mit."

Sie nickte eifrig. "Mache ich."

Ich setzte sie am Boden ab und sah zu, wie sie das Haus verließen und kurze Zeit später die Straße entlangfuhren und ich endlich alleine war, denn eigentlich ging es mir gut. Ich wollte nur etwas Zeit für mich haben.

Hollys Großmutter war fast neunzig Jahre alt und verließ nur selten das Haus, was auch der Grund war, warum sie gestern nicht da war. Dass sie das Haus nicht verließ, hieß aber nicht, dass sie nicht aktiv und so fit war, wie man in ihrem Alter eben sein konnte. Sie backte leidenschaftlich gerne und ihre Gebäckstücke waren einfach nur ein Traum.

Ich setzte mich auf die Couch und legte die Beine hoch. Für eine Weile schloss ich meine Augen. Die Stille tat gut war aber vermutlich genau das falsche was ich gerade brauchte. So konnte ich meine Gedanken noch viel klarer hören.

Du hättest sie nicht zum Abschied küssen dürfen.

Mit Sie, war Amara gemeint. Wer weiß, was ich damit angerichtet hatte. Sie hing ja nach all den Jahren noch immer an mir. Ich dachte wirklich, die fünf Jahre wären genug gewesen. Schlimmer jedoch war, dass mein Kopf in Gedanken ganz andere Dinge mit ihr angestellt hätte, als sie nur zu küssen. Amara war und blieb wunderschön. Egal ob mit langen Haaren oder kurzen, mit Jeans oder einem Kleid, geschminkt oder ganz natürlich.

Wie es ihr wohl ging?

Sollte ich sie anrufen?

Ich schüttelte den Kopf. Sie anzurufen wäre eine ganz schlechte Idee. Aber ich konnte Matt anrufen. Er würde mir sicher Auskunft geben.

Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwänden, wählte ich Matts Telefonnummer. Es klingelte dreimal bis Matt mich mit einem "Hey", grüßte.

Ich zupfte an dem Kissen herum, das neben mir lag und versuchte so neutral wie möglich zu klingen. "Hey, Matt. Hast du Zeit? Kommst du auf ein Bier vorbei?"

"Ist gerade etwas ungelegen. Ich bin auf den Weg ins nächste Möbelgeschäft. Muss mir da was besorgen."

"Und was?", hakte ich nach. Es war nicht so, dass es mir interessierte, ob er sich einen neuen Tisch kaufte, immerhin wollte ich etwas ganz anderes wissen.

Hat Amara ihm etwas von gestern erzählt? Es würde mich zu sehr interessieren.

Er räusperte sich. "Nur ein neues Bett."

"Brauchst du Hilfe? Ich kann dir beim Tragen helfen."

Oder besser gesagt, so könnten wir ins Gespräch kommen.

"Ähm ... klar. Wenn, du unbedingt helfen willst. Ich muss aber zuerst mal eines kaufen", meinte Matt. Ich hörte ihn regelrecht an, wie die Stirn runzelte.

"Du bist du schon dort oder holst du mich ab? Dann brauchen wir nicht zwei Wagen?" Ich stand auf und gingen in den Flur zum Schuhregal.

Zwanzig Minuten später saß ich in Matts Wagen. Matt sah auf die Straße und hielt sich so fest am Lenkrad fest, dass seine Knöchel weiß wurden. Er biss sich nervös auf der Unterlippe herum.

"Ist irgendwas?", fragte ich vorsichtig. Er verhielt sich seltsam.

"Nein, was soll sein?"

Ich hob eine Augenbraue fragend und zuckte mit der Schulter. "Keine Ahnung. Sag du es mir."

Er lachte auffällig falsch. "Wie gesagt, es ist nichts."

Ich beließ es dabei und drehte das Radio lauter.

Wir kamen an dem Möbelhaus an. Der Parkplatz war nicht allzu voll, weshalb wir einen Platz in der Nähe des Einganges fanden.

"Was ist eigentlich mit deinem Bett? Du wohnst doch noch überhaupt nicht lange in der Wohnung. Ein halbes Jahr höchstens."

Wir betraten das Geschäft und folgten den Weg zu den Aufzügen.

"Stimmt, ja. Ich brauche aber ein neues."

Im dritten Stock gingen wir an den Doppelbetten vorbei und weiter nach hinten wo nur Einzelbetten standen. Keine Ahnung warum, aber irgendwie fiel mir ein Stein vom Herzen, weil mir ein Bild von Matt und Amara zusammen in einem dieser großen Betten in Gedanken herum spuckte.

"Warum ist Amara nicht hier mit dir?", fragte ich, um somit endlich das eigentliche Thema anzuschneiden.

"Sie hat noch geschlafen."

Ich nickte und stoppte prompt, als Matt vor mir stehen blieb, um sich ein Bett näher anzusehen.

"Wie geht es ihr?"

Matt hielt inne in seiner Bewegung, ließ das Preisschild fallen und warf mir einen kalten Blick zu. "Wie es ihr geht? Dein Ernst?"

Ich versuchte den unschuldigen zu mimen. Was auch immer Amara gesagt hatte, es schien nicht gut für mich zu sein.

"Was meinst du?"

Er seufzte genervt und rollte mit den Augen. "Nichts."

Wir gingen weiter. Wieder blieb er bei einem Bett stehen. Er setzte sich darauf und testete die Matratze. Ich setzte mich ebenfalls, während Matt sich auf den Rücken legte und die Arme hinter den Kopf legte.

Ich sah gerade aus und fragte leise: "Wie hat sie die Nachricht aufgenommen?"

"Nicht gut." Matt schnaufte laut und wischte sich danach mit seiner Hand über sein Gesicht. Irgendwie wirkte er müde auf mich, als hätte er nicht lange geschlafen.

Ich schluckte. Ich wusste es ja, dass es ihr nicht gutging. "Was hat sie gesagt?"

Wieder schnaufte er. "Glaub mir, das willst du nicht wissen."

Doch, doch ich wollte es wissen.

"Matt kannst du-"

"Niall!", unterbrach er mich gereizt. Er setzte sich auf und stützte sich mit den Ellbogen ab. "Hör endlich auf mich über sie auszufragen! Du hast es dir versaut! Selbst schuld! Lass sie in Ruhe, küsse sie nicht und verwirre sie nicht mehr! Du tust ihr nur weh. Wie solls sie sonst je glücklich werden? Ich weiß, dass du-"

"Matt lass mich doch mal was dazu sagen." Ich sah ihn ernst an.

"Nein!", er stand auf. "Jetzt hör du mir mal zu. Ich habe sie verdammt gern und ich werde nicht mehr dabei zusehen, wie sie dir hinterhertrauert. Geh deiner Pflicht nach und bleib bei Holly und der Kleinen, so wie du es sowieso tun wirst." Er seufzte, seine Stimme wurde sanfter. "Hör auf mit ihr zu spielen."

Ich stand ebenfalls auf. "Ich spiele nicht mit ihr!"

"Und was ist das denn sonst?"

Ich gab ihn keine Antwort, da ich mir selbst nicht sicher war, warum ich mich gerade so verhielt.

"Wen liebst du Niall? Holly oder Amara? Die Mutter deiner Tochter oder das Mädchen, dass dich nach all den Mist noch immer nicht aus dem Kopf bekommen kann?"

"Beide", und das war die Wahrheit. Warum sonst, würde ich Holly heiraten? Und wie er gesagt hat, sie ist die Mutter meiner kleinen Tochter. Und Amara auf der anderen Seite ist meine Seelenverwandte, das Licht in meiner Dunkelheit.

Matt lachte höhnisch. "Du bist unmöglich!"

 

Gerade so noch, schafften wir es zusammen die lange Verpackung des Bettes hoch in Matts Wohnung zu hieven. Im verlassenen Wohnzimmer legten wir es ab. Ich sah mich um und hoffte irgendwie auf Amara zu treffen, von der aber jede Spur fehlte.

Matt sah meinen suchenden Blick und stöhnte.

"Alter, mach dir keine Hoffnungen. Sie ist nicht da."

Ich ließ mich auf die Couch fallen und sah mich um. "Und wo soll sie sonst sein?" Da sie sich hier im Grunde nur mit mir und Matt verstanden hatte, konnte ich mir nicht vorstellen, wo sie sonst war.

Ich entdecke ein braunes Haar am Kissen neben mir. Das war von Amara. Dann sah ich Matt nach, der zum Kühlschrank ging und zwei Bier herausholte und mir eines davon reichte.

"Sophie und sie sind unterwegs."

Ich kniff die Brauen zusammen. "Seit wann reden die Zwei wieder miteinander?"

Sophie kam mit Harry gestern zu uns nach Hause. Ich hatte am Sitzplan gesehen, dass Holly die beiden zusammengesetzt hatte, aber dass sie dadurch wieder ins Gespräch kamen, hatte ich mir nicht gedacht.

Matt setzte sich zu mir und sagte: "Das ist neu."

Wir stießen die Flaschen aneinander und tranken. Ich atmete scharf ein. Das Bier war mir etwas zu kalt. Ich stellte die Flasche vor mich auf den Tisch.

"Willst du es heute noch aufbauen?", fragte ich Matt und nickte dabei auf das noch verpackte Bett.

"Ja, unbedingt sogar." Er setzte die Flasche erneut an seinen Lippen an und trank.

"Na gut", ich stand auf und wischte meine Hände an meiner Jeans ab. "Fangen wir mal an."

"Du musst mir nicht helfen. Ich schaffe das schon allein", meinte Matt plötzlich.

Ich kniete mich nach unten, nahm einen Schlüssel aus meiner Hosentasche heraus und öffnete so, die zugeklebten Öffnungen. "Schon gut, ich habe nichts weiter vor."

Holly kam sowieso sicher erst wieder am Abend nach Hause. Und es reichte vollkommen aus, kurz vor ihr zu Hause zu sein. Sie musste ja nichts von meinem Ausflug erfahren.

Ich öffnete den Karton und legte die Einzelteile auseinander. Matt rieb sich neben mir den Nacken. Ich stand auf, nahm meine Flasche und nahm einen Schluck. Dann stellte ich sie wieder ab und ging zur Schlafzimmertür, die einen Spalt offenstand. Matts Bett stand noch da. Die Decke lag unordentlich am Bett und der Polster schlug Falten. Eine solche Unordnung war ich von ihm nicht gewohnt. "Du hast dein altes Bett noch überhaupt nicht abgebaut. Wäre das nicht zuvor sinnvoller gewesen? Wo willst du denn das neue Bett hinstellen? Auf das Alte drauf?"

Er mied meinen Blick. Und dann fiel auch bei mir der Groschen.

"Das Bett ist nicht für dich, nehme ich mal an."

Matt schüttelte den Kopf.

"Hat sie die ganze Zeit auf der Couch geschlafen?" Ich sah auf die Couch und stellte mir vor, wie sie sich darauf den Rücken kaputt machte. Warum schlief sie auf dieser Couch, wenn sie eine eigene Wohnung haben könnte? Oder zumindest das alte Zimmer bei unseren Eltern beziehen könnte.

Gestern hatte ich gesehen, wie sie mit Matt Arm in Arm zu mir nach Hause kamen. Ein Gerücht, dass sie zusammen waren, hatte ich ebenfalls gehört, nur konnte ich es nicht glauben. Nichts von dem was die Beiden zusammen gemacht hatten, weder noch Hand in Hand dazustehen oder später am Abend zu tanzen gab mir einen Grund das zu glauben. Außerdem hatte ich sie gestern geküsst und sie hatte mich nicht aufgehalten. Sie küsste mich zurück. Schon alleine wie sie weggelaufen war, als wir von unserer Verlobung erzählen ... sie hing an mir. Noch immer und nach alledem was passiert war. Ich bin ihre erste große Liebe und an der hing am ewig. Ich musste nur an mich selbst denken, auch Jahre später hatte ich an Holly gedacht und erst als Amara in mein Leben trat, hatte ich losgelassen. Bis etwas zum anderen führte und ich heute wieder bei ihr war. Wäre es anderes gelaufen und Holly wäre nicht schwanger geworden, wären Amara und ich noch zusammen. Ich bin mir ganz sicher. Und wir hätten geheiratet und unser erster gemeinsamer Tanz wäre zu einem Song von Ed Sheeran gewesen, der höchstpersönlich für uns gesungen hätte. Wir hätten ein Haus in London bezogen, ihrer Lieblingsstadt, vielleicht hätten wir schon ein Kind, wer weiß. Kate hätte mich endlich als ihren Schwiegersohn anerkannt und auch ihre Mutter Elisabeth hätte mich endlich akzeptiert und nicht mehr als Straßenmusiker abgestempelt der ihre Koffer tragen sollte. Um John tat es mir leid. Es hatte mich tief getroffen, als ich von seinem Tod erfahren hatte. Er hatte Amara genau so sehr geliebt wie ich. Ich werde ihm nie vergessen, dass er einer der ersten war, der mich an Amaras Seite akzeptiert hatte.

Im Endeffekt haben Amara und ich viel Schlimmes erlebt, aber ebenso genau auch das Gegenteil und die schönen Momente, werde ich genauso wenig vergessen wie sie. Jeden Kuss, jede Berührung und jedes Ich liebe dich. Und vorallem ihr erstes Ich liebe dich an mich. Es war so unerwartete gekommen, als wir nackt unter der Dusche standen, dass ich mir damals dachte, mich verhört zuhaben.

Deswegen drehte sich mein Magen um, bei der Vorstellung von Matt und ihr zusammen. Das war einfach etwas, dass ich mir nicht vorstellen konnte und wollte. Amara konnte hinterlistig sein und die gesamte Aktion von Matt und ihr zusammen konnte ein abgekartetes Spiel sein, um mich eifersüchtig zu machen. Sie wollte mir zeigen, was mir entging und was ich hätte haben können. Das Schlachtfeld der Liebe und ihre beste und effektivste Waffe ist und bleibt eben die Eifersucht und genau die, machte sich Amara zu nutzen. Blöd nur, dass ich mich anscheinend wirklich darauf ein ließ.

"Sag mal", begann ich und zog die Worte in die Länge. "Warum schläft sie hier bei dir? Warum wohnt sie nicht alleine? Ihr beiden seid doch nur befreundet, oder?"

"Wir sind nur Freunde. Mach dir mal nicht ins Hemd." Er sah mich nicht mal an, als er mir antwortete. Lügt er mich gerade an?

Wir bauten den Rahmen zusammen und schraubten ihn mit einem Akkuschrauber fest. Danach folgte die Schublade, die das Bett hatte, dann legten wir den Lattenrost ein und schmissen die ausgepackte Matratze darauf.

Während unserer Arbeit sah ich ihn öfter an und fragte mich, wie sehr er sie mögen, muss, um ihr ein eigenes Bett zu kaufen. Dazukam, dass es für seine Verhältnisse sicher nicht gerade günstig war. Eigentlich verhielt er sich generell viel zu beschützerisch ihr gegenüber. Sollte ich da nachbohren?

Während ich mich wieder setzte, holte er aus seinem Schlafzimmer eine ungezogene Decke und einem Polster, die er auf das Bett legte.

Ich erinnerte mich an den Zustand seines Bettes zurück und wie er gesagt hatte, Amara schlief noch, als er losfuhr. Ich kannte Amara. Sie mochte zwar Ordnung, aber nicht so wie Matt. Nur selten machte sie ihr Bett nach dem Schlafen, denn ich hatte das immer übernommen, wenn es mich gerade freute. Sie störte es nicht, wenn die Decke nicht gemacht war, was bei Holly schon wieder einen Anfall auslöste, wenn ich es einmal vergaß.

Selbstsicher stelle ich eine Vermutung fest, die Matt bleich werden ließ: "Amara hat heute in deinem Bett geschlafen."

An seiner Reaktion erkannte ich, dass ich recht hatte und irgendwie ärgerte es mich. Ich setzte mich aufrecht hin und verengte meine Augen. "Ist da was zwischen euch gelaufen?" Die Frage kam mir durchaus berechtigt vor.

"Was?", fragte er mich etwas zu laut. "Nein."

Ich drehte mich ihn vollkommen zu verschränkte die Arme vor der Brust. "Wie sehr magst du sie eigentlich? So wie du sie mögen, solltest, als mein Freund?"

"Alter...", er seufzte wieder und breitete seine Arme auf der Couch aus. "Und auch wenn ich sie mehr mögen würde, als es dir passt, dann ginge dich das nichts an. Du bist verlobt. Mit Holly, mach dir lieber darüber sorgen und nicht mit wem deine Ex schläft."

Was? Was hatte er da gerade gesagt? Wer schläft mit Amara?

"Wer hat hier etwas von schlafen gesagt? Ich habe dich nur gefragt, wie gern du sie hast." Mein Kiefer zuckte. "Mit wem schläft sie? Mit dir? Willst du mir das sagen?"

Matt hielt abwehrend die Hände hoch. "Hey! Jetzt dreh mir nicht das Wort im Mund um und beruhige dich. Was ist los mit dir?"

Ich ignorierte seine Antwort. "Was heißt, es ginge mich nichts an, wenn du sie mehr mögen würdest? Du würdest es mir doch sagen, oder? Sie ist immerhin meine Stiefschwester und meine Ex-Freundin, korrigiere - meine Ex-Verlobte. Und du als mein Kumpel hättest sie dann erst recht nicht anzugraben!"

"Boah, jetzt hör dir doch mal zu!", konterte er frostig. "Du benimmst dich total daneben! Mit dir kann man nicht über Amara reden! Und wie gesagt: Es geht dich nichts mehr an."

Wir sahen uns gegenseitig an, als würden wir uns am liebsten gegenseitig eine reinhauen.

Provozierend setzte ich ein Lächeln auf. "Was würdest du eigentlich sagen, wenn ich mich von Holly trenne und Amara bitte mir noch eine Chance zu geben? Sie hängt doch noch immer an mir, immerhin hat sie sich gestern von mir küssen lassen."

Matt stand auf und sah mich böse an. "Ich möchte, dass du jetzt meine Wohnung verlässt."

Er formulierte es zwar als Bitte, aber wir wussten beide, dass es eine ernst gemeinte Aufforderung war. Deshalb folgte ich seiner Aufforderung und ging zur Wohnungstür.

"Willst du mich nicht nach Hause fahren? Immerhin habe ich dir beim Aufbauen geholfen."

Ich hörte ihn noch "Ruf dir ein Taxi", sagen, bevor er mir die Tür hinter mir ins Schloss knallte.

Arschloch.

Hastig nahm ich drei Stufen auf einmal. Ich wollte hier nur noch weg. Mir war ganz klar, dass mich gerade die Eifersucht überkam und ich Matt am liebsten ihn Gesicht geschlagen hätte. Ich wollte nicht streiten, aber das war wohl nach hinten losgegangen. Zumindest wusste ich durch das Gespräch mit Matt, dass sie kein Paar waren und Amara zu haben war.

Aber verdammt nochmal, warum interessierte mich das überhaupt?

Holly ist meine Verlobt und deswegen, sollte ich keinen Gedanken an Amara verschwänden. Außerdem stand es mir nicht zu, jetzt über sie zu grübeln. Ich hatte ihr doch gestern klargemacht, dass sie mich loslassen sollte. Warum konnte ich das also nicht?

Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen auf Holly zu hören und sie nicht einzuladen.

Während ich vor dem Haus stand und auf das Taxi wartete, dass ich vor kurzem geordert hatte, schwirrten meine Gedanken laut in meinen Kopf herum. Ich war so versunken, dass ich erst das Taxi bemerkte, als der Fahrer auf die Hupe drückte und ich einen Satz nach hinten machte.

Am späten Nachmittag lag ich bereits wieder auf der Couch in meinem Wohnzimmer. Mein Finger schwebte öfter als ich zählen konnte über Amaras Namen in meinem Telefon. Ich wollte sie fragen, ob sie vorbeikommen wollte, um zu reden. Jetzt gerade hielt ich es für äußert passend. Holly war nicht da und auch sonst niemand. Es war die perfekte Gelegenheit offen zu sprechen. Dabei wusste ich nicht mal was ich ihr hätte sagen sollen.

Was war mein Plan?

Holly zu verlassen ... und meine Tochter? Meine eigene kleine Familie?

Erst gestern hatten wir unsere Verlobung bekanntgegeben und eine Woche davor hatten wir dieses Haus bezogen. Und eigentlich hatte ich mich doch schon damit abgefunden. Auch wenn sie nicht die Frau meiner Träume ist, empfinde ich etwas für Holly.

Warum ist die Liebe nur so kompliziert und schmerzhaft?

Abermals fuhr ich mir frustriert mit der Hand durch meine Haare. Durch das ständige Denken bekam ich langsam aber doch Kopfschmerzen. Ich rieb mir schmerzverzehrt die Schläfen, als es plötzlich an der Tür schellte.

Stirnrunzelnd stand ich von der Couch auf. Ich erwartete keinen Besuch.

Neugierig sah ich durch den Spion. Es schellte wieder, als ich überrascht einen Schritt von der Tür wegmachte.

Warum war sie hier?

Das Herz schlug mit schlagartig bis zum Hals hinauf und ich wog ab, ob ich die Tür öffnen sollte oder nicht. Wie ging das wohl aus, wenn ich sie hereinlassen würde?

Ich weiß, ich wollte sie selbst anrufen, aber ich hatte es nicht getan. Warum also, stand Amara plötzlich vor der Tür?

Es schellte erneut.

Ich atmete tief durch und öffnete mit zitternden Händen die Tür. 

Mach bloß keinen blödsinn, Niall.

Salz und Eisen

 

Amaras Sicht

„Matt, du weißt hoffentlich, dass das wirklich nicht notwendig gewesen wäre", sagte ich und zeigte auf das Bett, das er mir gekauft hatte. Ich konnte nicht glauben, was er für mich getan hatte. Er ist der Beste und dennoch wäre es nicht notwendig gewesen. Was wird er damit tun, wenn ich ausziehe?

„Ja, das ist mir durchaus bewusst. Mach dir einfach keine Gedanken darum. Okay?" Er legte eine Hand auf meine Wange. Sein Daumen malte kleine Kreise auf meinen Wangenknochen.

Meine Hände lagen auf seiner Brust. Ich biss mir in die Wange. „Du ... du hast es aber nicht gekauft, weil du gestern bereust, oder?"

Der Gedanke, dass das Bett als eine Art Reueaktion gedacht war, kam mir plötzlich. Vielleicht versuchte er so abzulenken.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, das hat damit nichts zu tun. Ich bereue nichts und ich hoffe, du auch nicht. Es war doch nur eine einmalige Sache. Oder?"

„Ja, sicher."

Matt ließ mich los und ging zur Küchentheke hinüber. Ich folgte ihm still.

Er drehte sich zu mir. „Hast du Hunger?"

„Nein, ich bin satt. Danke trotzdem." Sophie und ich hatten so viel Kuchen gegessen, dass ich nur bei den Gedanken an Essen hätte würgen können.

Matt nahm eine Pfanne aus einem der unteren Schränke und stelle sie auf die Herdplatte.

„Warum bist du schon so früh zurück? Lief es nicht gut mit Sophie?"

Ich lehnte mich mit den Rücken an einer der Theken an. „Doch. Wir haben geredet."

Er legte die Zutaten, die er eben aus dem Kühlschrank genommen hatte auf die freie Arbeitsfläche neben dem Herd ab. Dann drehte er sich zu mir und sah mich an. „Und über was?"

„Über alles. Sie hat mir alles erzählt und ich ihr." Bei dem Wort alles sah er mich etwas verdutzt an. Sicherlich fragte er sich, weshalb ich mir ihr so schnell geöffnet hatte und ob ich das von uns erwähnt hatte.

„Sie hat mir geraten am besten heute noch mit Niall zu sprechen und ich werde das auch tun." Entschlossen nickte ich.

Matt runzelte die Stirn. „Was willst du ihm sagen? Das, was du mir gesagt hast, dass du weitermachst, dass du eigenständig sein willst und all das?"

„Ja, genau das, was ich dir auch gesagt hatte. Ich werde ihm auch sagen, was für ein Mistkerl er ist, weil er mich die ganze Zeit über belogen hat. Sein scheiß Versprechen kann er sich sonst wo hinschieben. Und wenn er mich noch mal küsst, knalle ich ihm eine und sage es seiner Verlobten. Auch wenn es nur zum Abschied war, es war falsch und das werde ich ihm heute klarmachen. Ich kann nicht ewig auf ihn warten. Das Warten hat jetzt ein Ende."

Matt kam auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter. Sein Blick war intensiv und der Muskel an seinem Kiefer zuckte.

„Halte bloß an diese Worte fest, wenn du mit ihm sprichst. Lass dich nicht von ihm und Finger wickeln."

„Das werde ich", sagte ich mit fester und überzeugter Stimme. Ich hatte nicht vor einzuknicken. „Und Matt ... damit du es weißt, ich werde morgen mit Sophie und Harry zurück nach London fliegen."

Matt erstarrte förmlich. „Was?" Jetzt legte er auch die zweite Hand auf meine andere Schulter. „Aber du ... du kommst doch wieder zurück zu mir, oder?"

Seine plötzliche Angst, ich könnte ihm verlassen war irgendwie ... niedlich. „Natürlich komme ich wieder. Es ist nur für ein paar Tage. Ich möchte gerne wieder Tobi treffen und bei Lydia und Martin im Café würde ich auch gerne vorbeischauen. Und mit ein bisschen Glück ist Connor auch in der Stadt. Ich habe meinen Dad schon eine Weile nicht mehr gesehen. Ganz geschweige von Valerie, die, seitdem sie bei dieser Serie mitmacht, wie vom Erdboden verschluckt ist. Vielleicht treffe ich sogar Dylan."

Er atmete tief durch. „Wenn ich nicht arbeiten müsste, würde ich dich begleiten. Ich lasse dich nur ungern allein."

„Ich bin ja zum Glück nicht alleine. Sophie und Harry sind ja für mich da."

Sein Griff auf meinen Schultern wurde etwas fester. „Lass dich bloß nicht von ihr verarschen, Mara. Bist du dir sicher, dass sie es ernst meint?"

„Ja, sie will es wiedergutmachen."

Er zögerte kurz. „Okay." Mit einer seiner Hände strich er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die zarte Berührung seiner Fingerspitzen entflammte meine Haut an der Stelle, wo er mich berührt hatte.

Was war das für ein merkwürdiges Gefühl?

Bevor ich mehr darüber nachdenken konnte, schälte ich mich aus seinen Händen und packte meine Tasche, um mich auf den Weg zu machen.

„Ich gehe jetzt", verkündete ich, obwohl das offensichtlich war.

„Pass auf dich auf, Amara."

*

Viel zu schnell bliebt mein Wagen vor Nialls Haus stehen. Keine Ahnung, ob das ein guter Plan war, aber ich wollte es einfach hinter mich bringen. Holly würde sicher nicht begeistert davon sein, dass ich hier ohne Einladung auftauchte, aber warum sollte mich das interessieren?

Sie hasste mich und ich sie. So war es und so wird es auch immer bleiben. Und es war ja auch nicht so, als hätte sie damals eine Einladung gebraucht um unaufgefordert vor Nialls uns meiner Tür aufzutauchen.

Länger als es mir lieb war, starrte ich die Klingel an.

Bring es endlich hinter dich, sagte eine Stimme in meinen Kopf. Und genau der folgte ich.

Ich klingelte einmal, kurz darauf ein zweites Mal und als auch hier niemand öffnete, klingelte ich ein letztes Mal, bevor mich sämtlicher Mut verlassen konnte.

Eine Minute und wenn man mir dann nicht die Tür geöffnet hatte, würde ich gehen.

Zu meiner Überraschung würde mir kurz darauf wirklich die Tür geöffnet.

Niall spähte durch den geöffneten Spalt. Sein Haar war zerzaust seine Hautfarbe blasser als sonst.

"Amara? Was willst du hier?" Sein kalter Ton ließ mir einen Schauer über den Rücken jagen.

Ich versteckte meine zitternden Hände hinter meinen Rücken und stieg von einem Bein auf das andere. "Ich bin gekommen, um mit dir zu reden."

"Reden?" Er runzelte die Stirn. "Über was?"

Ich seufzte. War das nicht offensichtlich? "Na über uns. Dich und mich und über gestern."

Niall biss sich auf die Lippe, dann öffnete er die Tür ganz, sodass er mir gegenüberstand. "Was war den gestern so unklar?"

Schnaubend zog ich die Augenbrauen hoch. "Das ist doch nicht dein Ernst?"

Er erwiderte nichts, sondern zuckte nur mit einer Schulter. Sein Verhalten passte so gar nicht zu ihm. Sein Blick glitt von meinem Gesicht hinunter an meinen Hals. Vermutlich hatte er einen der Flecken gesehen, die mir Matt verpasst hatte.

Mir doch egal. Sollte er halt sehen, dass ich auch ohne ihn auskam. Mit Absicht strich ich meine Haare zur Seite, damit er sie noch besser sehen konnte.

Er knirschte leise mit den Zähnen.

"Willst du mich nicht hereinlassen? Oder willst du dieses Gespräch zwischen Tür und Türangel führen?"

Wieder ohne ein Wort zu verlieren, gab er mir eine Antwort, in dem er die Tür noch mehr aufmachte und zur Seite trat, um mir Platz zu machen.

Als ich eintrat, bemerkte ich die Stille im Haus.

"Es ist niemand hier", sagte Niall, als hätte er meine Gedanken gehört.

Er lotste mich in die Küche, wo wir am Tisch Platz nahmen. Der Tisch war eine gute Barriere, die uns voneinander fernhielt. Abstand war vermutlich genau das, was wir brauchten.

Nialls Hände lagen zusammengefaltete auf den Tisch, während ich meine unter dem Tisch versteckte. Wir tauschten Blicke aus. Ich konnte nicht anders, als mich an das Gefühl zu erinnern, dass diese blauen Augen in mir ausgelöste hatten. Glück, Liebe, Geborgenheit. Alles strömte auf mich ein, aber eben auch Lügen, Schmerz, Verrat.

Ich erinnerte mich an Matts Worte. Ich musste an die Worte festhalten, die ich sagen wollte. Nichts konnte mich hier noch abbringen. Niall musste hören, was er mit meinem Herzen gemacht hat, ansonsten könnte ich wohl nie damit abschließen.

"Du bist ein verdammtes Arschloch." Meine Stimme blieb ruhig und beständig. "Du hast mir ein Versprechen gegeben, dass du nie halten wolltest. Ich weiß nicht, was es bei dir ist, aber du scheinst mich regelrecht gerne zu verletzten."

"Amara ...", Niall streckte einen Arm nach mir aus, aber ich wehrte ihn ab. "Ich rede jetzt. Hör mir einfach zu und fass' mich nicht an."

Niall öffnete den Mund, schloss ihn aber schnell wieder, als er meinen bösen Blick auffing. "Die letzten fünf Jahre habe ich darauf gewartet, dass du wieder zu mir zurückkommst. Jeder Geburtstag und jedes Weihnachtsfest, an dem du mich ignoriert hast, hat sich wie eine tiefe Wunde in mich gebrannt. Denn ich-", ich schluckte den Klos in meinen Hals hinunter. "Denn ich habe immer an dein Versprechen gedacht." Tränen schossen mir in die Augen. Ich senkte meinen Kopf, weil ich ihm meine Schwäche nicht zeigen wollte. Es tat so verdammt weh.

"Du hast es mir versprochen." Meine Wiederholung war nicht lauter als ein Hauchen, gebrochen von Tränen und einer belegten Stimme.

Ich atmete tief durch und sagte es wieder. "Du ... hast es mir versprochen."

Wut stürmte durch mich hindurch. Unter dem Tisch ballten sich meine Hände zu Fäusten.

Ich hob meinen Blick. Er sollte es sehen. "Verdammt, Niall! Du hast es mir versprochen! Wie konntest du nur?!"

Niall hielt meinen Blick nicht stand. Er sah auf seine Hände hinab. Sein braunes Haar hing ihm in die Stirn.

"Das war nicht gut geplant von mir", murmelte er mit tiefer Stimme.

"Nicht gut geplant?", wiederholte ich unglaubwürdig. "Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?"

Er schwieg.

Mir schien das Blut in den Adern zu gefrieren. "Weißt du, wie sehr ich außer mir war? Ich war völlig verloren ohne dich ..."

"Das warst du nicht", unterbrach er mich. Sein eisiger Blick traf mich bis ins Mark. "Schau dich doch mal an! So verloren konntest du ja nicht gewesen sein, wenn ich mir deinen Hals anschaue!"

Ich schnappte empört nach Luft und konnte mich nicht länger auf den Stuhl halten. Abrupt stand ich auf und zeigte mit dem Finger auf ihn. "Hör bloß auf damit! Wer von uns beiden wird hier heiraten ... Das bist du! Du bist schuld an allem!"

Jetzt stand auch Niall auf. Sein Blick war genauso dunkel wie meiner. "Hast du schon mal daran gedacht, weshalb ich das getan habe? Weshalb ich dich von dieser dämlichen Pause überzeugt habe?"

Zu viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, um eine klare Antwort zu fassen.

"Nein?", fuhr er fort. Trat einen Schritt zu Seite und kam auf mich zu. Er atmete tief ein und aus, wobei sich seine Lider schlossen und wieder öffneten. "Weil ich genau wusste, dass wir das nicht aushalten werden. Ich wollte nicht, dass du bis an dein Lebensende unglücklich bist."

Ich konnte nur sprachlos den Kopf schütteln. "Wenn du nicht wolltest, dass ich unglücklich bin, dann hättest du mich nie verlassen dürfen. Denn ich war in den letzten Jahren alles andere als Glücklich."

Schmerz zischte über Nialls Gesicht. Er presste die Lippen zusammen und streckte wieder einen Arm nach mir aus. Dieses Mal ließ ich ihn meinen Arm berühren.

Es war falsch, weil seine Berührungen Erinnerung in mir auslösten von denen ich nicht mehr heimgesucht werden wollte.

"Ich habe das nie gewollt, Amara. Nie und du würdest mir vermutlich nicht glauben, wie gerne ich da weiter machen würde, wo wir aufgehört haben."

Ganz sanft ließ er seine Finger an meinen Arm bis hinunter an meine Finger gleiten. Die Haut, die er dabei berührte, glühte unter der Oberfläche.

Nur beiläufig bekam ich mit, wie er seine Geldbörse aus der hinteren Tasche seiner Jeans zog. Er klappte die Börse auf.

"Willst du mich jetzt mit Geld bestechen, damit ich wieder glücklich bin, denn das zieht bei mir nicht."

Niall schmunzelte. "Nein, ich gebe dir nur etwas zurück."

Und dann sah ich es. Sah ich ihn. Meinen Verlobungsring.

Niall nahm meine Hand und steckte den Ring an den Finger zurück, an dem er ihn damals in Bora Bora gesteckt hatte. Seine Finger verharrten auf meiner Hand. Er hob sie hoch und küsste meine Fingerknöchel. Bei dem Anblick wurden meine Knie weich.

Das hier war falsch. Ich zog meine Hand weg von seinen Lippen und drehte ihm den Rücken zu. "Niall ... was ... was soll das hier werden?"

Ich faltete meine Arme zusammen und rieb mir die Finger, an denen Nialls Lippen gelegen hatten. Warum verwirrte er mich nur so? Warum tat er das hier überhaupt?

Zwei Hände lagen plötzlich auf meiner Taille und eine harte Brust drückte sich an meinen Rücken. "Du weißt doch, was du mir bedeutest." Er flüsterte an mein Ohr.

Mit seiner rechten Hand schob er meine Haare zur Seite, so dass mein Hals frei lag. Der warme Hauch seines Atems stellte mir die Nackenhaare auf.

Scharf zog ich die Luft ein, als er seine Lippen auf meinen Hals legte. Meine Finger verkrampften sich und ich musste meinen Lippen festzusammenpressen, um keinen Mucks von mir zu geben.

Mein Körper machte sich selbstständig, kippte meinen Kopf zur Seite, um Niall mehr Platz zu machen.

Verdammt, wo blieben nur die Alarmglocken, die mich zur Vernunft bringen sollten?

"Amara." Er flüsterte meinen Namen an meinen Hals. Mit der Hand, mit der zuvor meine Hand gestreichelt hatte strich er über meinen Hals. Er berührte die Stellen, an dem Matt mich markiert hatte. "Wer war das?"

Ich öffnete meine geschlossenen Augen und zog mich aus seinem Armen. Jeden Schritt den och von ihm weg machte, ging er näher an mich heran, bis ich schlussendlich rücklings an der Wand ankam und nicht mehr flüchten konnte.

Niall stemmte seine Arme neben meinen Kopf an die Wand. So, dass es mir nicht möglich war zu flüchten.

"Wer war das?", wiederholte er, aber dieses Mal mit mehr Druck in der Stimme.

"Ist das nicht egal? Wir sind nicht zusammen."

Seine Nasenspitz berührte meine. Seine Augen zuckten zwischen meinen Lippen und meinen Augen hin und her. "Du weißt, dass es mir nicht egal ist."

"Sag mir wer, Amara."

"Es war ... ein Typ, den ich gestern zum ersten Mal gesehen habe. Es war eine einmalige Sache." Irgendwie kam es mir nicht richtig vor, Niall von Matt zu erzählen. Obwohl das der eigentliche Plan war. Aber Niall sollte nichts von Matts und meiner Nacht erfahren. 

"Es war nicht Matt?", er wirkte misstrauisch.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, Matt und ich sind nur Freunde."

"Und ... magst du Matt?"

Seine Frage verwunderte mich etwas. Er war mein bester Freund, war die Antwort da nicht klar?

"Natürlich mag ich Matt. Was soll die dumme Frage?"

Nialls Lippen zogen sich zu einem Grinsen. "Nein, Dummkopf. Ich meinte ob du ihn magst. So richtig."

Ich konnte nicht anders, als ihn komisch anzusehen. "Warum fragst du mich das? Wie kommst du auf sowas."

Das Grinsen wurde noch breiter. "Ach, nur so." Er beugte den Kopf näher an mich. Seine Lippen streiften meine.

Meine Finger wollten ihn berühren, wollten ihn an mich pressen, aber ich ließ meine Hände bei mir. Er hatte selbst gestern gesagt, dass ich ihn endlich vergessen soll, aber dennoch merkte ich ihn an, dass er mich küssen wollte und wie sehr er mich begehrte. 

"Niall." Meine Stimme klang belegt. "Was ... was machst du?"

"Ich will dich küssen. Darf ich?" Seine Lippen ruhten über meinen. Nur eine kleine Bewegung trennte uns voneinander.

Atemlos versuchte ich der Versuchung zu wiederstehen. "Ich ... ich habe zu Matt gesagt, wenn du mich nochmals küssen solltest, dann-" Ich unterbrach mich selbst mitten im Satz um zu schlucken. Meine Gedanken kreisten nur um Nialls Lippen und wie verdammt gut sie sich auf meinen anfühlten. Ich brauchte sie, wie Luft zum Atmen.

"Dann was?", hakte er zufrieden nach, als er meine Reaktion sah.

"Dann ... dann werde ich-"

Er flüsterte. "Dann wirst du was tun, Amara?"

"Ich verpasse dir eine ... eine Ohrfeige."

Das tiefe Kichern das seiner Kehle entsprang, war wie Musik ihn meinen Ohren. "Oh, das nehme ich gerne in Kauf."

Er legte die Hände um meinen Gesicht und zog mich an sich. Dann küsste er mich ohne Warnung. Es war die Art von Kuss, mit der man ein Herz brechen und wieder flicken konnte. Er war nicht leidenschaftlich, sondern fordernd und stürmisch. Tief stöhnte er auf als er an meiner Unterlippe knabberte.

Eine Welle aus Gefühlen überrollte mich. Ich stand in Flammen ... und zwischen zwei Stühlen. Wir konnten das nicht tun. Ich konnte nicht und er ebenfalls nicht.

Ich musste mich selbst zwingen ihn von mir wegzudrücken. Mit voller Kraft drückte ich meine Hände gegen seine Brust. Er sah mich entsetzt an, als würde er nicht verstehen, warum.

"Niall, wir ... wir können das nicht tun. Das ist falsch. Verstehst du? Falsch!"

Er atmete tief durch. "Aber das war es doch schon immer. Und es hat uns nie gestört."

"O Gott!", stöhnte ich. "Aber das hier, ist etwas anderes." Schnell atmete ich ein und aus und dabei erwischte ich mich selbst, wie ich seine Lippen fokussierte und mit dabei ausmalte, wie sie sich überall an meinen Körper angefühlt hatten.

Wie lange hatte ich auf diesen Augenblick gewartet. Niall wollte mich, er wollte mich noch immer. Nach all dieser Zeit, wollte er mich genauso sehr wie ich ihn.

Es war, als hätten wir den nächsten Schritt miteinander abgemacht. Beide machte wir einen Satz nach vorne und pressten unsere Lippen aufeinander. Er zog mich hoch, so dass ich meine Beine um seine Hüfte schlingen konnte. Mit seinen Händen um mich hob er mich hinüber zu der Kücheninsel, wo er mich absetzte.

Genau jetzt, in diesem Moment, konnte ich mir nicht mehr vorstellen wie ich es so lange ohne ihn aushalten konnte. Ich befand mich in einem Rausch.

Niall ließ seine Hände über meinen Rücken bis hinab zu meinen Hüften wandern.

Ich vergrub die Finger in seinen Haaren, zog an ihnen und spürte wie er gegen meine Lippen stöhnte.

Mit seinem Körper drückte er mich hinab, so dass ich mit dem Rücken auf der Inseltheke lag. Seine Lippen suchten sich ihren Weg hinab über den Stoff genau über meiner Brust.

Komplett im Moment verloren löste ich eine Hand aus Nialls Haare, streckte sie zur Seite und hörte, wie etwas klirrend neben mir zu Boden fiel. Es war die Obstschale. Ein Apfel rollte über den Boden und hinüber zu den Tisch an dem wir zuvor noch gesessen hatten.

Seine Hände berührten mich unter meinem Shirt, lagen auf meinen Rippen. Lippen küssten die zarte Haut über meinen Brüsten. Die Wände im Raum hallten leises stöhnen wider.

Niall packte mich an den Kniekehlen und schob mich weiter zu sich. Er drückte sein Becken gegen mich. Ein wohliger Schauer prickelte auf mir. Dann beugte er sich wieder über mein Gesicht, presste mir seine gierigen Lippen auf den Mund. Ich konnte sein Lächeln spüren.

Niall legte seine Hände zwischen uns und schlagartig fühlte ich, wie sich meine kurze Jeans lockerer anfühlte als zuvor.

Er hatte den Knopf geöffnet und zog den Reißverschluss auf.

Auch wenn meine empfindlichste Stelle bereits brannte und von ihm berührt werden wollte, hörte ich es endlich. Die Alarmglocken.

"St .. stopp", keuchte ich, während er seine Lippen noch immer auf meine drückte. Zitternd legte ich meine Hände auf seine Schulter, um ihn von mir zu schieben. Er war stark.

Niall legte seinen Kopf in meine Halsbeuge, sog an der feinen Haut.

"Niall ... bitte", ich wimmerte, weil es sich so gut anfühlte.

"Stopp ..."

Ich ballte eine Hand zur Faust und schlug auf seine Schulter ein. "Hör auf ..."

Er hielt in seiner Bewegung inne und stieß sich von mir hoch, dabei verpasste ich ihn einen starken Schuppser, so dass er gut zwei Meter nach hinten taumelte.

Hastig rutschte ich von der Kücheninsel herunter. Ich knöpfte meine Jeans zu und zog den Reißverschluss zu. Das ging zu weit!

Erschrocken von der Situation sah ich zu Niall hinüber. "Was sollte das?"

"Aber du wolltest es doch auch."

Ja, das wollte ich, aber verspürte er kein schlechtes Gewissen? Keine Schuld, dass das hier falsch war?

Abwehrend verschränkte ich die Arme vor der Brust. "Hast du für solche Dinge nicht deine Verlobte? Ich werde keine Affäre sein. Denn dann wäre ich nicht besser als Holly. Und außerdem habe ich definitiv Besseres verdient."

"Und damit eins klar ist,", ich ging näher zu ihm heran, "das war das letzte Mal, dass wir uns geküsst haben. Ich bin fertig mit diesem Scheiß! Ich bin nicht für das hergekommen. Der einzige Grund war, endlich mit dir abzuschließen. Und verdammt ...", ich atmete tief ein und aus. "...das sollte ich auch endlich! Du bist wie Gift für mich!"

"Gift?", wiederholte Niall leise. Sein Ausdruck war kalt. "Du ... du sagst, ich bin wie Gift für dich?"

"Ja!" Wütend breitete ich die Arme aus. Merkte er nicht, dass er mich krank machte?

Schnaubend ließ er sein Kinn auf seine Brust sinken. Sekunden vergingen, die mir wie Stunden vorkamen. Sein Blick hatte sich verändert, als er den Kopf wieder gehoben hatte. "Amara, du bist für mich keine Affäre. Und ich möchte auch nicht Gift für dich sein."

Mit Daumen und Zeigefinger kniff ich mir den Nasenrücken. Warum wollte er es nicht verstehen?

"Was sagst du dazu, wenn ich mich von Holly trenne und wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?" Niall sah mich todernst an.

Diese Frage brachte mich für eine Sekunde aus dem Konzept. Mein Herz wollte wirklich darüber nachdenken, aber mein Hirn ließ es zu meinem Glück nicht zu.

Ich schnappte erschrocken nach Luft. "Das ... das geht doch nicht."

Komplett emotionslos zuckte er mit einer Schulter. "Und warum nicht? Was hält uns davon auf?"

"Alles!", keifte ich ihn an. "Schau dich doch mal um, wo wir uns befinden. Wir sind in eurem Haus! Das von Holly und dir!"

Niall schob die Hände in seine Taschen. Er seufzte und sein Ausdruck wechselte wieder. "Hör zu", sagte er leise. "Ich wollte das nie. Ich wollte dich auch gestern nicht in die Schranken weißen, aber da hatte ich wirklich gedacht, es wäre das Beste. Natürlich war es das nicht. Ich weiß, ich werde es mein Leben lang bereuen, dass ich damals etwas mit Holly hatte und dich dadurch verloren habe. Du weißt doch, dass du eigentlich an meine Seite gehörst. Wir haben eine Verbindung miteinander, die nie jemand toppen kann. So werde ich nie für Holly fühlen oder für eine andere Frau. Nur für dich, Amara."

Seine Worte legten sich wie ein Schleier um mein Herz. Langsam nickte ich. Ich wusste wovon er sprach. Es war ein Band zwischen uns, dass uns nicht trennen konnte, egal wie lange wir uns nicht sahen, nicht miteinander sprachen oder wie weit wir entfernt waren. Es blieb bestehen.

Ich müsste mich dazu durchringen den Kopf zu schütteln. "Vielleicht treffen wir uns in unserem nächsten Leben wieder, Niall. Und dann machen wir alles richtig. Aber für den Moment, für diesen Augenblick und in dieser Zeit sind wir beide nicht gut füreinander. Ganz egal was zwischen uns ist, ganz egal wie stark die Gefühle sind oder die Anziehung, die wir zueinander empfinden. Wir sind nicht gut füreinander. Das würde nie gut enden." Ich zuckte mit einer Schulter. "Denk doch mal zurück, die Jahre wo wir nicht miteinander gesprochen hatte, liefen doch im Großen und Ganzen gut. Nicht alles, aber wir sind gesund und munter. Und du bist neu verliebt...", Ich hob eine Hand, als Niall die Lippen öffnete. "Bitte sag nicht, dass es nicht so ist. Nur weil du ein Kind mit ihr hast, heißt das noch lange nicht, dass du mit ihr zusammen sein musst. Du musst auch nicht in einem Haus mit ihr wohnen oder sie gar heiraten. Wir leben nicht mehr in der Zeit, zu der das nötig war um den Ruf der Familie und der Frau zu wahren."

Er schloss den Mund wieder und erwiderte nichts, was ich als Antwort auffing. Er wusste, dass ich recht hatte. Nichts von dem hier war notwendig.

Ich setzte fort: "Und dann haben wir uns gesehen. Du standest plötzlich vor unserer Tür und es war für mich der Augenblick in dem die verheilten Wunden brachen. All die Jahre zuvor hatte ich mir eingeredet dich hinter mir gelassen zu haben, obwohl dein Versprechen wie ein Fluch in meinem Kopf herumschwirrte. Nachdem du mir die Abfuhr erteilt hast, hatte ich es eingesehen. Ich werde nicht länger der Vergangenheit nachtrauen, sondern ich werde Leben. Ohne dich in meinen Herzen und sorgenfrei und das wollte ich dir heute sagen."

Ich lachte kurz auf und zeigte auf die Kücheninsel. "Für das, bin ich nicht gekommen."

"Das ... das war es dann also", sagte er. Sein Gesicht wirkte bleicher als zuvor. Der Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben, aber ich fühlte mich nicht schlecht deswegen, schließlich hatte er dasselbe mit mir gemacht.

"Ja."

Starr wendete er den Blick ab. Seine Lippen bildeten eine gerade Linie. Ich hätte ihn gerne umarmt und gesagt, dass ich es doch auch anderen haben wollte, aber so war es eben nun. Ich vermied den Körperkontakt zu ihm, da ich befürchtete, dass meine Gefühle Oberhand übernehmen würden und wir wieder da landeten, wo wir zuvor noch abrupt aufgehört hatten.

Das Geräusch einer geöffneten Tür, ließ uns beide aufblicken. Nur wenige Meter entfernt betrat Holly mit Charlotte an der Hand den Hausflur. Ihre kleine Tochter ließ sie los, die auf Niall zulief und ihm umarmte. Niall versuchte zu lächeln, um der kleinen keine Sorgen zu bereiten.

Holly sah mit zusammengezogenen Brauen zwischen uns hin und her.

Ich versuchte möglichst ihren Blick auszuweichen. Mir war im Vorhinein schon bewusst gewesen, dass ich ihr begegnen werden würde, aber ich hatte gehofft, dass es nicht so sein würde.

"Charlotte geh doch schon mal hoch in dein Zimmer. Ich bin gleich bei dir. Okay?", sagte Holly und stich ihr dabei über die Wange. Charlotte sah zwischen uns hin und her.

"Kommst du dann auch hoch, Daddy?"

Niall nickte. "Ja, ich komme gleich hoch zu dir."

Er bückte sich und küsste ihre Wange.

Charlotte musterte mich kurz, sah zu ihrer Mutter und polterte kurz darauf die Stufen hoch. Sie hatte zu mir keinen Bezug, weshalb ich es ihr nicht übel nach, dass sie mich nicht mal grüßte. Ich war laut des Standes unserer Familie ihre Tante, würde es aber nie wirklich sein. Kein Blut verband uns, keine Gefühle und noch weniger Erinnerungen. Für Niall zuliebe hätte ich es damals versucht und hätte er mir die Chance damals nicht genommen, könnte heute alles anders sein.

"Was tut sie hier!?", fuhr Holly wutentbrannt Niall an, nachdem wir hörten wie oben eine Tür geschlossen wurde. Dabei zeigte sie mit dem Finger auf mich, als würde ich nicht hören wie sie über mich sprach. Dabei kam ich mir vor wie ein Objekt das man kritisierte.

"Wir haben nur geredet", antwortete Niall schlicht.

"Ich will nicht, dass sie hier bei dir alleine ist! Du weißt das!"

Niall rollte mir den Augen. "Jetzt mach hier mal nicht so eine Szene. Es ist ja nichts passiert und sie ist immer noch meine Stiefschwester. Ich werde ja wohl noch mit meiner Familie reden dürfen."

Hollys blick würde immer wütender. "Sie ist deine Ex-Freundin. Steifschwester zählt schon lange nicht mehr!"

"Ex-Verlobte", rutschte mir leise heraus, aber natürlich musste Holly mich hören.

Ihr scharfer Blick traf mich. Wäre sie ein übernatürliches Wesen, hätte mich wohl jetzt der Blitz getroffen und ich wäre zu Asche zerfallen.

"Sei still auf den billigen Plätzen! Geh und Such dir jemand anderen den du ausnehmen kannst!" Vor Zorn färbten sich ihre Wangen rot. Ihr Kopf sah aus, als würde er gleich platzen.

"Was ist?", empört sah ich sie an. Sie hat sie doch nicht mehr alle!

"Du hast mich schon gehört! Verschwinde endlich! Warum bist du überhaupt noch hier?! Er ist mein Verlobter, er ist mein Mann! Du kannst ihn mir nicht wegnehmen!"

Ich sah zu Niall, der keine Anstalten machte, ihr das Wort abzuschneiden. Das war schon immer so. Vor Holly verteidigte er mich nie und er musste es jetzt auch nicht mehr, dennoch hätte ich es mir gewünscht. Aber wo stand geschrieben, dass ich mich hier blöd von ihr anmachen lassen musste? Ich hatte genauso meinen Stolz und den würde ich ihr jetzt unter die Nase reiben. Außerdem wusste ich, dass es besser ist niemanden zu haben, als mit jemanden zusammen zu sein, der nur zur Hälfte da ist, oder gar nicht für dich da sein möchte. Und er wollte es auch in diesem Augenblick nicht.

Mein finsterer Blick, würde zu einem höhnischen Grinsen. Ich legte den Kopf schief. Sollte sie doch mal hören, wie sehr sie ihr Mann liebt ...

"Dein Mann und dein Verlobter, also ...", ich biss mir in die Wange. Holly stutzte wegen meines plötzlichen Stimmungswechsels. "Und du denkst, ich könnte ihn dir nicht ausspannen, so wie du des bei mir gemacht hast? Willst du wissen, was er kurz, bevor du hier aufgekreuzt bist, mit mir getan hat? Was er mich gefragt hat? Er hat-"

"Amara!" Nialls fester Blick traf mich. Sein Kiefer zuckte.

Holly sah zu Niall, dann zu mir. Und so hatte sich Niall verraten. Holly würde mir nun glauben, ganz egal was ich sagte. Seine Reaktion auf meine Ankündigung verriet ihr, dass er wirklich etwas getan hatte.

Ich fuhr fort: "Er hat-"

"Hör auf!" Wieder unterbrach mich Niall. "Hör bitte auf."

"Was hat er?", wollte Holly dennoch wissen. Eine lange Falte schlich sich über ihre Stirn und ich merkte, wie ihr Blick an meinen mit Knutschflecken bedeckten Hals wanderte. "Sag es mir!"

Ich tat ihr diesen Gefallen nur zu gern. "Er hat mit mir auf eurer Kücheninsel rumgemacht und mich gefragt, ob ich ihn zurücknehmen würde, wenn er dich verlässt."

Keine zehn Sekunden später brannte meine linke Wange. Danach wurde ich zu Boden gerissen. Eine Faust traf mein Kiefer. Es passierte alles so plötzlich, dass ich überhaupt nicht wusste wie mir geschah. Holly saß auf mir, zerrte an meinen Haaren, fluchte und bohrte ihre Nägel in meine Haut.

Ich stieß meine Hände gegen sie, um sie von mir runter zu bekommen, dabei schlug ich ihr auch mit der flachen Hand über ihr wütendes Gesicht.

Nur beiläufig sah ich, dass Niall sich einschaltete und Holly an den Schultern packte, um sie von mir weg zu bekommen. Aber sie war so aufgebracht, dass sie seine Hände wild abschüttelte und mir nochmal einen Schlag ins Gesicht verpasste, der so heftig war, dass ich für einen kurzen Augenblick Sternchen sah.

"Holly! Hör endlich auf!", hörte ich die verzerrte Stimme von Niall irgendwo sagen.

Ich spürte etwas an meinen Lippen. Etwas Flüssiges das nach Eisen schmeckte.

Blut.

Jetzt reichte es mir! Ich konnte mich doch nicht von Holly verprügeln lassen! Immerhin hatte ich nichts Falsches getan. Ja, ich hatte sie absichtlich provoziert, aber ich dachte doch nicht, dass sie gleich auf mich losgehen würde. Ich hätte sie mit meinen Worten viel lieber zum Weinen gebracht und hätte dabei zusehen wollen, wie ihr Herz in Stücke brach.

So fest ich konnte schlug ich auf sie ein, wobei sie für eine Sekunde zögerte, die ich nutze, um den Spieß umzudrehen, so dass ich nun über ihr saß. Ich setzte wieder zum Schlag an, aber da spürte ich zwei Arme um meine Taille, die mich mühelos hochhoben.

Ich keuchte, spuckte Holly das Blut entgegen.

"Schlampe! Du scheiß Hur-"

Niall presste mir eine Hand auf den Mund, um mich von weiterbrüllen zu stoppen. Dafür biss ich ihn in die Hand. Leise fluchend nahm er seine Hand weg. Ich stieß ihm den Ellbogen in den Bauch und befreite mich aus seinem Griff. Vor mir kauerte Holly am Boden. Sie strich sich heulend blonde Haarsträhnen aus dem Gesicht. Die Haut über ihrem rechten Auge verfärbte sich bereist leicht bläulich.

Meine Hände zitterten vor Zorn. Nur schwer konnte ich mich zusammenreißen, um nicht auf sie loszugehen. Ich malte mir aus, wie es sich anfühlen würde, ihr jede Haarsträhne einzeln auszureißen und sie anschließend Niall vor die Füße zu werfen.

Holly schluchzte und hielt sich den Kopf. Niall beugte sich zur ihr hinab und begutachtete ihre Verletzungen.

Arschloch!

Meine Hände ballten sich zu Fäusten, aber ich hielt mich zurück. Mit den Handrücken rieb ich mir über die schmerzende Lippe. Blut klebte an ihr.

Ich drehte mich um und ging zur Haustür. Doch dann hörte ich Holly noch etwas sagen: "Du ... du hast hoffentlich verstanden, dass das eine Ausladung von unserer Hochzeit war!"

Kochend stampfte ich zu meinen Wagen, wo ich die Tür zu knallte.

Glaubte sie wirklich, dass ich nach dieser Aktion auch nur einen weiteren Gedanken an deren Hochzeit verschwenden würde? Ich hatte besseres zu tun, als das!

Ich zitterte, als ich einen Blick in den Rückspiegel warf. Meine Lippe war aufgeplatzt, meine Nase blutete und ein dunkler Fleck prangte über meiner linken Wange. Die Knutschlecken an meinen Hals sahen dabei aus, als hätte mich jemand gewürgt.

Komplett aufgewühlt von allem, was in der letzten Stunde passiert war, musste ich mich erst mit mehreren tiefen Atemzügen beruhigen. Ich musste mich beherrschen, sonst wäre ich nicht nur eine Gefährdung für mich, sondern auch für den restlichen Verkehr. Zudem wäre ich am liebsten noch einmal in das Haus gegangen um ihr jeden Schlag heimzuzahlen.

Die heißen Tränen brannten wie Feuer, an der offenen Wunde an meiner Lippe.

Ich schmeckte Salz und Eisen. Eine widerliche Kombination, die mit meinem gebrochenen Herzen, das Chaos perfekt machte. 

 

Ein Traum von einer Frau

 

Noch während ich nach Hause fuhr, hörte ich, wie mein Telefon immer und immer wieder klingelte. Mein Gefühl alleine verriet mir, dass es Niall sein musste. Wenn er dachte, ich würde nach dieser Aktion auch nur darüber nachdenken abzuheben, hatte er sie nicht mehr alle.

Ich merkte regelrecht, wie in jeder Minute die verging, die Sicht meines linken Auges schwächer wurde. Es schwoll an.

Endlich hielt der Wagen vor dem Wohnhaus an, in dem ich mit Matt lebte, während ich den Klingelton meines Telefons hörte. Als ich es aus meiner Tasche fischte, verstummte es nur um gleich wieder zu klingeln zu beginnen.

Private Nummer.

Ich stutzte. Auf diesen Trick würde ich nicht hineinfallen. Nie und nimmer. Um nicht vielleicht doch abzuheben, schaltete ich mein Telefon aus. Stöhnend quälte ich mich aus den Wagen und warf die Tür mit einem lauten Knall zu.

Die Kopfschmerzen hatten bereits eingesetzt, meine Lippe brannte, mein Gesicht schmerzte. Ich hatte nie erwartet eines Tages von Holly verprügelt zu werden. Der Hass schien sich einfach schon zu lange angestaut zu haben. Diese Schläge waren lange überfällig gewesen.

Mit den Fingern tupfte ich auf meine Lippe. Schmerzverzerrt musste ich den Mund verziehen. Das gesamte Gespräch heute ging nach hinten los. Zumindest schien die Sache zwischen Niall und mir aber für allemal geklärt zu sein.

Schleppend langsam setzte ich ein Bein vor das andere und kam irgendwann an unserer Wohnungstür an.

Als ich eintrat und die Tür hinter mir wieder schloss, stand Matt in der Küche und hielt ein Glas Saft in der Hand. Genau jenes Glas, das er bei seinem ersten Blick auf mich, fallen ließ. Es zersprang in mehrere großen und kleinen Teile. Der gelbe Saft, von dem ich annahm, dass es Orangensaft war, klebte an den Regalen und hinterließ eine Pfütze am Boden. Doch das Chaos interessierte Matt nicht. Er stürmte auf mich zu, legte seine Hände an meine Wangen und mit einer ganz sanften Bewegung berührte sein Daumen meine aufgeplatzte Lippe.

"Amara", flüsterte er. "Dein ... dein Gesicht."

Ich legte meine Hand auf seine, die mich an der Wange hielt. Unsere Blicke trafen sich. "So schlimm ist es nicht. Holly und ich haben uns nur geprügelt."

"Ihr habt was?", fragte er verblüfft. Ungläubig schüttelte er den Kopf. "Komm, setz dich doch mal. Ich hole dir Eis, weil dein Auge anschwillt."

Matt schob mich zur Couch. Ich setzte mich und schob meine Beine hoch, um die ich meine Arme legte. Heute war nicht mein Tag. Wieder einmal. Gab es überhaupt Tage, die auch positiv für mich endeten?

Der besorgte Ausdruck auf Matts Gesicht ließ auch nicht nach, nachdem ich ihn versichert hatte, dass bis auf die paaren Schrammen alles okay war mit mir. Vorsichtig drückte er mir einen Beutel gefrorene Erben, die er in ein Tuch gewickelt hatte, gegen die linke Seite meines Gesichtes. Ich stöhnte auf. Es fühlte sich einigermaßen gut an und linderte den Schmerz ein wenig. Mit seiner anderen Hand begann Matt mein Gesicht von meinem Blut zu säubern.

"Matt, dass könnte ich auch selbst tun", meinte ich, da ich mir wie ein kleines Kind vorkam.

"Schon gut. Ich mache das schon." Während seine Berührungen sanft waren, als hätte er Angst mir noch mehr schmerzen zu bereiten, mahlte sein Kiffer. Die Lippen waren aneinandergepresst. Er war wütend.

Wieder legte ich eine Hand auf Matts Arm. Er hielt inne in der Bewegung und nahm das Tuch von meinen Lippen.

"Sei nicht wütend. Das musste doch irgendwann passieren." Ich zuckte mit den Schultern. "Außerdem habe ich das Fass zum Überlaufen gebracht. Hätte ich die eine Sache nicht erwähnt, wäre es sicher nicht so weit gekommen."

Matt legte den Kopf schief. Eine Braue rutschte hoch. "Welche Sache?"

"Na ja ...", ich wollte mir auf die Lippe beißen, bereute es aber sofort wieder. "Es kann möglich sein, dass ich für einen winzigen Augenblick vergessen habe, was ich eigentlich dort vorhatte."

Sein Blick wurde ausdruckslos. Der Druck auf die Packung Erbsen an meinem Gesicht wurde stärker.

"Du hast dich um den Finger wickeln lassen." Es war keine Frage von ihm, sondern eine Feststellung mit der er genau ins Schwarze traf. Matt schüttelte den Kopf. "Ich habe dir doch gesagt, dass du das nicht sollst. Warum hörst du nicht auf mich?"

"Es ist nichts passiert. Ich habe es beendet, bevor es zu weit ging."

Matt stöhnte und murmelte etwas das ich nicht verstand. Dann würde sein Druck auf die linke Seite meines Gesichtes wieder sanfter. "War Niall auch dabei als das passiert ist?"

Er zeigte auf mein Gesicht.

"Ja."

"Und er hat es nicht für nötig gehalten zwischen euch zu gehen? Ach, warum fragte ich überhaupt, ihn hat es vermutlich gefallen, dass sich zwei Frauen um ihn streiten", grummelte er.

"Er hat mich nie vor ihr verteidigt. Nicht als wir zusammen waren und natürlich auch nicht jetzt - kurz nachdem er mich gefragt hatte, was ich davon hielt, wenn er sie für mich verlassen würde."

Ich konnte noch immer nicht glauben, dass er das tatsächlich gefragt hatte. Vor allem, weil er doch einen Tag vorher noch bedauert hatte, dass er für seine Familie da sein musste. Dieser Typ war mir ein einziges Rätsel.

"Und so etwas hast du nicht verdient." Dann nahm Matt die kühle Packung von meinem Gesicht. Er strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Dabei berührte er mit den Fingerknöcheln meine schmerzende Wange.

Er drehte sich in die Richtung, in der den Saft fallengelassen hatte. Auch ich sah das Chaos, als hinter mich sah.

"Ich werde das mal sauber machen, bevor es zu trockenen beginnt und ich schrubben darf." Matts Kiefer zuckte. "Eigentlich wäre das die perfekte Möglichkeit meinen Ärger herauszulassen. Denn am liebsten würde ich jetzt zu Niall und seiner eingebildeten Holly fahren, um ihnen die Haut abzuziehen. Diese beiden passen wirklich wie Pech und Schwefel zusammen. Beide sind Arschlöcher, die sich verdient haben."

Matt drückte mir die Erbsen in die Hand, stand auf und begann das Chaos sauberzumachen. Ich kühlte mein Gesicht wieder und sah ihm zu. Er glühte regelrecht vor Ärger. Seine Wangen waren rot, die Stirn schlug Falten und er wirkte angespannt. Im Gegensatz zu Niall hätte Matt meine Ehre verteidigt. Ich sah es ihm an, er arbeitete gegen das Gefühl alles stehen und liegenzulassen, um nicht vor deren Haustür aufzukreuzen.

Er war immer für mich da. Das konnte ich nicht gerade von vielen Menschen behaupten. Manchmal fragte ich mich, wie ich für uns ausgegangen wäre, wenn ich mich nicht in Niall verliebt hätte.

Ich hatte unseren ersten Kuss vor Augen, damals auf der Party, die Amber geschmissen hatte. Der Kuss war wild, aufbrausend, getrieben von Lust und Alkohol. Hätte ich Matt damals gekannt, wie ich ihn heute kannte, dann ...

"Woran denkst du?", riss mich Matts Stimme aus den Gedanken.

Ich runzelte die Stirn. "Hm?"

Er lachte. "Woran du gerade denkst? Du lächelst so breit, dass es schon fast komisch wirkt, wenn ich dein ramponiertes Gesicht sehe."

Ich lächelte? Das hatte ich überhaupt nicht bemerkt.

Matt hatte den Boden und die Regale bereits gesäubert, als ich in Erinnerungen schwelge. Er ging um die Couch herum und nahm mir die Erbsen ab, um sie wieder zurück in den Tiefkühlschrank zu legen.

Mit meinen Fingern fuhr ich mir über mein angeschwollenes Auge. Die Kühlung hatte es etwas gelindert, aber dadurch war dennoch meine Sicht etwas eingeschränkt.

Matt setzte sich wieder zu mir und legte einen Arm auf die Rückenlehne. Er legte den Kopf schief. "Also? Woran hast du gedacht?"

"An unseren ersten Kuss. Auf dieser Party, die deine Schwester geschmissen hat." Er war mein bester Freund und das lag Jahre zurück - mit der Ausnahme von gestern Nacht. Es war mir nicht peinlich Matt von meinen Gedanken zu erzählen.

Jetzt musste er schmunzeln. "Und das bringt dich so zum Lächeln? Der Kuss musste wohl atemberaubend gewesen sein. Ich bin ja auch gut darin." Er zwinkerte mir zu und ich konnte nicht anders, als mich nach vorne zu lehnen und grinsend mit einem Arm nach ihm zu schlagen. Aber er fing meine Hand ab und zog mich daran zu sich.

"Kein Grund rot zu werden. Außerdem denke ich, dass du dich für heute schon genug geprügelt, Mara." Er inspizierte mein Gesicht, während ich mich an der Rückenlehne abstützen musste, um nicht auf ihn zu fallen. Sein Blick wanderte von meinem Auge, über meine schmerzende Wange, an meine Lippen und hinunter an meinen Hals. Mit der freien Hand, mit der mich nicht hielt, strich er ganz behutsam über die Knutschflecke, die ich ihm zu verdanken hatte. "Tut mir leid, dass ich mich nicht beherrschen konnte", hauchte er.

Eine Gänsehaut erschütterte meinen Körper. Er spürte es und sein gefälliges Grinsen bohrte sich in meine Haut.

Ich räusperte mich, um meine Stimme wiederzufinden. "Als ich bei Niall war und er meinen Hals gesehen hat, hat er gefragt, ob du das warst." Matts Blick glitt hoch in meine Augen. Ich runzelte die Stirn. "Wie kommt er darauf? Und er weiß, dass wir gestern nur so getan haben als ob. Das war eine dumme Idee außerdem."

Matt schloss die Augen und ließ meinen Arm los, woraufhin ich den Abstand zwischen uns vergrößerte und mich wieder auf meinen Platz setzte.

Er biss sich auf die Lippe. "Niall war heute da und hat mir geholfen." Er nickte hinter mich, wo mein neues Bett stand.

Meine Gedanken überschlugen sich. Niall war mit Matt unterwegs um mein Bett zu kaufen? Was?

Laut seufzend fuhr Matt fort: "Er liest aus mir wie aus einem offenen Buch. Er weiß, dass ich dich mag und es hat ihn überhaupt nicht gefallen."

"Wir sind beste Freunde. Natürlich magst du mich. Ich mag dich doch auch! Was passt ihm daran nicht?"

Matt schmunzelte wieder und schüttelte den Kopf. "Nein, Amara. Nicht so. Ich mag dich ... anders. Mehr. Viel mehr. Schon immer."

Fassungslos starrte ich meinen besten Freund an. Mein Herz setzte für eine Sekunde aus. Hatte er gerade wirklich zugegeben, was ich denke, was er hat?

"Matt, ich-"

"Nein, sag jetzt nichts", unterbrach er mich. Ich wusste sowieso nicht, was ich sagen wollte. Mein Kopf war gerade dezent überfordert mit der Neuigkeit. Stattdessen sprach er weiter, aber mit so eine Leichtigkeit, dass es mir vorkam, als würde er mir nur etwas beiläufig erzählen. "Du hast mir seitdem Augenblick gefallen, als du mit Niall zu uns an den Tisch gekommen bist. Deine schüchterne Art war so niedlich und süß, dass ich dachte ich würde Träumen. Und ab da an, hätte ich dich gerne besser kennengelernt, nur Niall hatte schon im Vorhinein klargemacht uns die Köpfe abzureißen, wenn wir auf blöde Gedanken kommen. Sean war das sichtlich egal, aber er konnte dich zum Glück sowieso nicht abfüllen".

Er lächelte und ich musste daran denken, dass er genau wusste, dass ich nur Cola getrunken hatte.

"Auf dieser Party, die Amber geschmissen hatte, war ich nur, weil ich Amber und Holly reden hörte, dass sie dich eingeladen hat. Ambers Freunde kann ich nämlich nicht ausstehen, aber ich wollte dich sehen. Ich habe dich eine Weile beobachtet, weil Nialls Warnung ziemlich ernst geklungen hatte. Im Gedanken bin ich einige Situationen durchgegangen, wie ich zufällig mit dir ins Gespräch kommen könnte, aber da ich sicher war, dass Niall es nicht für gut gefunden hätte, dass du dich betrinkst, bin eingeschritten."

Ich erinnerte mich an die Szene. Zum allerersten Mal hatte ich Bier probiert und später betrunken mit Matt getanzt, weil ich unbedingt tanzen wollte.

"Tja und als du später fast auf dem Sofa eingeschlafen wärst, dachte ich mir, ich legte dich oben ins Bett. So hätte ich gewusst, dass du in Sicherheit bist. Ich hätte ja nie ahnen können, dass du mich oben küssen würdest. Sagen wir so, meine Sinne sind an dem Moment durchgedreht, als du mich geküsst hast. Wie hätte ich da wiederstehen können? Ein Traum von einer Frau. Wer würde die nicht zurückküssen?"

Nur schwer konnte ich Matt anschauen. Wie sollte ich mich nun verhalten? Deshalb sah ich auf meine Hände hinab. "Ich habe Niall gestöhnt."

Vorsichtig linste ich ihn sein Gesicht. Ich wollte seine Reaktion sehen.

Matt nickte. "Das hast du. Man sagt betrunkene und wütende Menschen sagen immer die Wahrheit. Die Wahrheit war, dass du da schon an ihm interessiert warst ... und verdammt", er bohrte seine Fingernägel in die Couch, und ohne mich anzusehen sagte er: " ... das bist du bis heute noch." Er schloss die Augen und ließ den Kopf auf seine Brust fallen. "Ich werde nie eine Chance haben. Gestern war deshalb alles für mich und auch, wenn es nicht gut war, dass ich mich dazu angeboten habe, weil es mich innerlich zerreißt zu wissen, dass ich nie mehr sein werde als dein bester Freund, würde ich unsere Freundschaft nie aufgeben. Und deshalb, weil du mir so viel bedeutest und ich Sophie noch nicht richtig einschätzen kann, habe ich vorhin meinen Boss angerufen und ihm gesagt, dass ich die nächsten Tage nicht arbeiten kommen kann, weil ich meine kranke Oma pflegen muss."

"Du hast doch überhaupt keine Oma", sagte ich. Ich wusste es ganz genau. Sie war gestorben als er noch ein kleiner Junge war.

Matt verdrehte die Augen. "Ja, das weiß ich auch. Ich komme mit dir mit nach London. Ich lasse dich da nicht alleine. Außerdem will ich nicht, dass du dich dort in einen Tee trinkenden britischen Mann verliebst, der einen so starken Akzent hat, denn du nicht verstehst."

"Apropo ...", sagte er. "Du solltest deinen Koffer packen und deiner Mutter Bescheid geben, dass wir morgen nicht kommen. Denn wir fliegen zusammen nach London."

 

Von Vater zu Vater

 

Nialls Sicht

Ich dachte echt, es könnte nicht schlimmer werden. Aber da lag ich falsch. Holly musste nach Haus kommen. Doch die Situation wurde auch danach noch schlimmer. Amara musste Holly von uns erzählen. Am liebsten hätte ich mich selbst dafür geohrfeigt, dass es überhaupt dazu gekommen war. Mein Hitzkopf war wieder einmal mit mir durchgegangen. Am besten wäre es gewesen die Tür niemals zu öffnen. Ihre bloße Anwesenheit vernebelte mir mein Hirn.

Als Holly mit der Hand ausholte und Amara schlug, war ich wie erstarrt. Sie stürzten sich ohne Vorwarnung aufeinander und ich war überfordert. Beide prügelten sich meinetwegen. Für manche Männer sicherlich sehr antörnend aber nicht für mich.

Ich musste mich einschalten, um die Beiden sich davor zu schützten sich gegenseitig umzubringen. Deshalb packte ich Holly an den Schultern, da sie im Moment die Oberhand hatte. So wild wie sie war, schlug sie mit der Hand nach mir und kratzte mich. Nur widerwillig ließ ich von ihr ab. Erneut schlug Holly zu. Zu fest. Amara blinzelte, stöhnte vor Schmerz auf. Ihre Nase blutete.

Ich biss die Zähne zusammen. "Holly! Hör endlich auf!"

Ich griff gerade wieder nach Holly, doch da drehte Amara den Spieß um. Sie schlug mit aller Wucht um sich, dass es auch Holly für einen Moment überraschte. In der nächsten Sekunde saß Amara oben und holte zum Schlag aus. Da packte ich sie. Ihr zierlicher Körper war leicht, aber die Wut ließ sie stärker wiegen.

Aus meinem Augenwinkel aus sah ich das Charlotte die Treppen heruntergekommen war. Verängstigt hielt sie sich am Geländer fest.

"Schlampe! Du scheiß Hur-"

Ich musste Amara die Hand vor den Mund pressen. Charlotte sollte keine dieser Schimpfwörter hören müssen. Doch sie biss mir in die Hand, woraufhin ich sie wegzog. Dann stieß sie mir mit voller Wucht den Ellbogen in den Magen und entriss sich damit meinen Griff.

Holly schluchzte am Boden. Beide hatten einiges im Gesicht abbekommen. Ich stand zwischen den Stühlen. Entweder würde ich auf Amara zugehen und sie irgendwie um Verzeihung bitten oder ich kniete mich zu meiner Verlobten auf den Boden. Charlotte konnte ich auch nicht vergessen. Sie beobachtete sie Szene gerade. Was würde sie wohl denken, wenn ich ihre verletzte Mutter ignorieren würde?

Die Entscheidung fiel. 

Ich kniete mich zu Holly.

Amara setzte zum Gehen an. Dabei musste ich mich beherrschen sie nicht zurückzurufen. Aber das übernahm Holly für mich: "Du ... du hast hoffentlich verstanden, dass das eine Ausladung von unserer Hochzeit war!"

Ich verdrehte die Augen und schnaufte kaum hörbar. Musste das sein?

Amara verdrehte die Augen und verließ das Haus mit einem Knall. Einen lauten Knall. Ich konnte ihr ihre Wut nicht verübeln.

"Mama!", schluchzte Charlotte plötzlich los. Sie lief die Treppen hinunter und warf sich Holly um den Hals. Erschrocken warf mir Holly einen Blick zu. Klar, sie wollte nicht das Charlotte sie so sah. "Die Frau war so böse", schluchzte sie weiter mit dem Kopf in Hollys Halsbeuge.

Ich rieb Charlotte beruhigend den Rücken. Dann warf mir Holly einen Blick zu, der mir zu verstehen gab, dass ich die Kleine hochbringen sollte, weil sie vermutlich reden wollte.

Super. Ich bin am Arsch.

Nur widerwillig ließ Charlotte ihre Mutter los und ließ sich von mir hochtragen. Innerlich machte ich mich bereits auf einen gewaltigen Streit mit Holly bereit. Und es stand ihr natürlich alles recht der Welt zu, mich anzubrüllen.

Als ich die Treppen wieder hinunterging, rieb ich mir die Stelle an der Amara mit den Ellbogen in den Bauch gerammt hatte. Obwohl sie so klein und zierlich war, hatte sie einen ordentlichen Schlag draufgehabt.

In der Küche traf ich wieder auf Holly, die sich einen Beutel Eis an den Kopf drückte. Sie lehnte an der Arbeitsfläche und sah mich abfällig an.

Holly legte den freien Arm um ihren Bauch. Sie sah auf den Boden hinab. "Hat sie die Wahrheit gesagt?"

"Ja." Ich wollte garnicht erst versuchen um den heißen Brei herumzureden. Lügen hatten zu alldem geführt. 

"Du bist ein mieses Arschloch!"

Nickend stimmte ich ihr zu. "Du hast recht."

Aufgebracht drehte sie mir den Rücken zu. Ich fühlte mich schon schlimm genug, aber als ich sie dann noch schluchzen hörte, wusste ich, wie tief ich gefallen war. Ich näherte mich ihr vorsichtig und legte eine Hand auf ihre Schulter. Mich wunderte, dass sie sie nicht abschüttelte. Stattdessen drehte sie den Kopf in meine Richtung. Tränen liefen ihr über die geröteten Wangen.

"Niall, ich weiß, dass ich damals nicht besser als sie war. Und auch ich habe einiges falsch gemacht, aber siehst du denn nicht, wie sehr ich dich liebe?" Sie drehte sich mit ihrem gesamten Körper zu mir und legte den Beutel Eis ab. Eine Hand legte sie auf meine Brust. "Ich würde alles für dich tun. Ich liebte dich so sehr, dass mir der Gedanke wehtut, dich nicht als Mein bezeichnen zu dürfen. Bedeute ich dir denn überhaupt nichts? Du willst mich einfach so austauschen?"

Ihre Stimme brach.

"Holly das ich wollte ich nicht. Ich-"

"Nein, hör auf." Sie schnitt mir das Wort ab. "Sag nicht, du wolltest das nicht Denn du wolltest est! Wir waren die letzten Monate so glücklich. Das konnte doch nicht alles nur gespielt sein. Ich bin nicht blöd oder dumm. Du liebst Amara und das wirst du immer. So wie sie dich. Aber sei doch mal ehrlich. Ihr hattet doch nie eine wirkliche Chance."

"Ja, weil du es uns versaut hast." Die Worte waren schneller gesprochen, als ich denken konnte.

Die flache Hand auf meiner Brust ballte sich zur Faust. "Das hast du jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Ich alleine bin nicht an eurer gescheiterten Beziehung schuld. Du trägst mindestens genauso viel Schuld. Also schieb es nicht mir in die Schuhe."

Holly ging auf die andere Seite der Kücheninsel und betrachtete eines der gerahmten Bilder. Es waren Familienporträts.

"Ich hätte gerne, dass du das Haus verlässt. Ich kann dich nämlich kaum anschauen. Bekomm' deinen scheiß zusammen Niall. Wir haben eine Tochter und ich möchte nicht, dass sie unter uns leidet. Ich möchte eine ernstgemeinte Entscheidung von dir haben. Entweder bleibst du bei mir, weil du mich liebst und mich wirklich heiraten willst oder du verschwindest endlich und verarscht mich nicht mehr. Du musst nicht hier sein nur, weil du Charlottes Vater bist. Bei deinen Eltern hat das doch auch genauso funktioniert, obwohl sie nicht zusammen waren."

Ich stieg von einen Bein auf das andere. Was sollte ich darauf noch sagen? "Wenn es das ist, was du willst, werde ich das Haus verlassen."

Sie drehte sich zu mir. "Ja, das will ich. Denk darüber nach, was ich gesagt habe Niall."

Ich ging nach oben und packte mir eine kleine Tasche. Dann warf ich einen kurzen Blick zu Charlotte ins Zimmer. Sie lag auf ihrem Bauch am Boden und malte ein Bild. Als sie mich sah, sprang sie auf und lief zu mir. Sie runzelte die Stirn, als sie die Tasche in meiner Hand sah.

"Fahren wir fort?"

Ich strich ihr durch das Haar. "Nein, nur ich alleine. Sei brav, bis ich wieder zurückkomme. Versprichst du es mir?"

Sie nickte mit zusammengepressten Lippen. "Versprochen, Daddy."

"Braves Mädchen." Ich küsste ihre Stirn. "Ich habe dich lieb."

Mit der Tasche in meiner Hand ging ich nach unten. Holly saß auf der Couch im Wohnzimmer und hielt sich wieder den Beutel Eis ans Gesicht.

"Ich fahre zu meinem Vater. Wenn irgendetwas ist, ruf mich an."

Sie nickte kaum merkbar. Dann verließ ich das Haus. Mein Haus. Ich hätte nie gedacht das es jemals so weit kommen würde. So weit, dass sie mich aus dem Haus schmiss. Aber die Wahrheit ist, ich hatte es verdient. Selbst schuld.

Mein Vater war mehr als verblüfft, als ich mit gepackter Tasche vor der Türschwelle stand. Aber er hackte nicht weiter nach, ging zur Seite und meinte, dass ich oben mein altes Zimmer nehmen konnte, das jetzt ein Gästezimmer war. Flash, der junge Hund von Dad und Kate lief auf mich zu, um sie von mir das helle glänzte Fell streicheln zu lassen. Auch Kate hatte meinen Besuch bemerkt. Mit einem Buch in der Hand kam sie aus dem Wohnzimmer zum Flur getapst.

"Niall?", fragte sie. Dann sah sie zu meinem Vater. Doch der schüttelte den Kopf, da er auch nicht wusste, was ich plötzlich mit gepackter Tasche hier tat.

Laut seufzend drehte ich mich ihnen zu. "Holly und ich hatten einen kleinen Streit. Ich würde gerne eine Nacht hier schlafen. Ist das in Ordnung?"

"Natürlich", erwiderte mein Vater und auch Kate nickte. Sie klappte das Buch zusammen und zwickte es unter ihren Arm ein.

"Hast du Hunger oder willst du etwas trinken?"

"Nein, danke Kate."

Ich biss mir auf die Lippe. Ob Amara ihre Mutter schon in Kenntnis gesetzt hatte, was Holly mit ihrem Gesicht gemacht hatte? Immerhin war es kein Geheimnis, das Kate auch nicht gut auf Holly zu sprechen war. Sie war sehr angepisst, dass Amara abseits von der Familie sitzen musste. Verständlich.  

Ohne etwas Weiteres zu sagen oder zu fragen, ging ich nach oben. Mein Zimmer war anders. Alles, was es früher zu meinem Zimmer gemacht hatte, war weg. Alle Preise, Auszeichnungen, Instrumente, Plakate ... einfach alles. Sogar die Bettwäsche war neu.

Ich stellte die Tasche auf den abgeräumten Schreibtisch und warf mich auf den Rücken auf das Bett. Die Matratze war härter, als ich sie in Erinnerung hatte. Es war still und die Ruhe tat meinem Gemüt nicht sonderlich gut. Eigentlich war es sogar recht schlecht, da ich deshalb mit meinen Fehlern konfrontiert worden war.

Heute war so einiges schiefgegangen und nun hatte ich die Quittung dafür bekommen. Das Karma schlägt eben immer zurück.

Amara hatte recht und auch Holly hatte recht. Beide kannten mich. Beide wussten, was in mir vorging, nur ich war zu blind, um es zu sehen.

Amara hatte ich mit meinen Lügen zerstört und verloren und Holly liebte mich so sehr, um alles hinzunehmen, wie ich mit ihr umgegangen war. Eigentlich hatte ich keinen der beiden verdient. Weder die eine noch die andere. Was fanden sie nur an mir?

Früher hatte ich immer gedacht Amara war in unserer Beziehung die mit der aufbrausenden Art, die sofort an die Decke ging, aber ich war kein Stück besser. Der Gedanke, dass Matt etwas für sie empfand, von dem ich auch noch wüsste, dass er sie auf Händen tragen würde, machte mich krank vor Eifersucht. Sie ließ mich Dinge machen, die ich eigentlich nie tun würde. Ich betrüge nicht die, die ich liebe. Ich habe auch Amara damals nicht mit Holly betrogen. Ich hatte nur zu tief ins Glas geschaut und war verletzt. Und Holly war einfach da und scharf auf mich.

Wow, sehr gut ausrede, Niall. Du hast dich wirklich sehr gut unter Kontrolle ...

Ich rollte mich aus dem Bett um mir die Beine zu vertreten. Aus der Küche hörte ich die Stimmen von Kate und meinen Vater. Ich wollte sie nicht stören und schlich deshalb leise zur Hintertür um in den Garten zu gehen. Es war noch immer warm, aber nicht mehr zu heiß, dass man es nicht mehr in der Sonne aushielt. Das Wasser des Pools glitzerte einladend. Flash lag am Beckenrand und hielt eine Pfote ins Wasser. Dem Hund musste verdammt heiß unter dem Fell sein. 

Ich setzte mich auf die Bank die vor dem Apfelbaum stand. Eine Kerze flackerte in der schwarzen Laterne neben der Engelsstatue. Blumen blühten und nichts erinnerte daran, was wir vor über fünf Jahren hier durchgemacht hatten. Die Tränen waren versickert und die schmerzenden Herzen grob geflickt. Doch der Name, der in den Baum geritzt war, ließ noch immer schlechte Erinnerungen aufkeimen.

Annabelle.

Meine kleine Schwester, wäre im selben Alter wie meine Tochter. Tante und Nichte. Ich hätte sie gerne einmal zusammen spielen gesehen. Ich hätte so gerne Zeit mir ihr verbracht. Ob sie wohl gerade von oben auf mich hinuntersieht und den Kopf schüttelt, weil ihr Bruder so dumm und naiv ist? Oder wartete sie darauf, dass ich ihr wieder etwas vorlesen würde?

Sie ist bestimmt enttäuscht von mir. Sie musste es sein, denn ich war es doch selbst auch von mir.

Ich zog mein Handy aus der Hosentasche hervor. Holly, die Charlotte gehalten hatte und ihr einen Kuss auf die Schläfe drückte, während sie ein Stoffstier in der Hand hielt, war mein Hintergrunds Bild.

Im Internet suchte ich nach einem Märchen. Dornröschen. Ich begann die Geschichte laut vorzulesen und schon nach wenigen hundert Worten, tropfte etwas auf den Bildschirm meines Telefons. Ein Tropfen, dann ein weiterer. Doch es war kein Regen der auf mein Telefon niederging.

Es waren Tränen.

Meine Tränen.

Dieses Mal hatte ich den Bogen zu weitüberspannt. Ich legte mein Telefon zur Seite und vergrub mein feuchtes Gesicht in meinen Handflächen. Der Boden hätte sich unter mich auftun sollen, um mich zu verschlucken. Es wäre besser für diese Welt. Besser für Holly, Charlotte und auch für Amara. Ich bereite ihnen nichts weiter als Kummer. Warum ist Liebe nur so schmerzhaft und gleichzeitig so schön?

"Mein Junge. Was ist los?"

Ich nahm meine Hände von meinem Gesicht. Mein Vater stand besorgt neben mir. Ich rutschte zur Seite und er setzte sich. Mit den Handrücken wischte ich mir die Tränen weg. Den Kopf ließ ich hängen, die Arme baumelten schlaff hinunter.

Mein Dad legte einen Arm um meine Schulter. "Niall. Von Vater zu Vater. Was ist los? Du kannst mit mir über alles reden. Ich werde nicht urteilen, du kennst mich doch."

"Ich habe alles versaut Dad. Alles." Aufgebracht rieb ich mir über mein Gesicht und durch die Haare.

"Hey, so schlimm wird es schon nicht sein." Er lächelte mir leicht zu. Aber ich konnte es nicht erwidern. Ich konnte ihm kaum anschauen.

"Kannst du dich noch erinnern, dass ich dich vor ein paar Jahren um den Ring gebeten habe, denn du Mum damals zu eurer Verlobung gegeben hast?"

Er zog eine Braue hoch. "Natürlich kann ich mich daran erinnern. Für wie senil haltest du mich?" Mein Vater begann zu lachen und dieses Mal spiegelte sich auch ein kleines Lächeln auf meinen Lippen ab.

Als er sich wieder beruhigt hatte, sagte er: "Ich weiß bis heute nicht, was du mit dem Ring angestellt hast. Denn Holly trägt einen ganz anderen. Was ist mit ihm passiert?"

Mir wurde flau im Magen und ich begann an meinen Fingernägel herumzukauen. Ich holte tief Luft. "Als ich und Amara damals auf Bora Bora waren, habe ich ihn ihr gegeben. Ich hab's sie gefragt, ob sie mich heiraten will. Sie hat Ja gesagt."

Mein Vater nahm den Arm von meiner Schulter und runzelte die Stirn. "Das habt ihr uns nie gesagt", meinte er überrascht.

"Nein, haben wir nicht. Es war nicht die richtige Zeit." Ich sah auf den Engel vor mir in der Erde und mein Vater verstand.

Ich richtete mich auf und sah meinen Vater an. Meine Augen brannten und mir brach die Stimme. "Ich habe sie so sehr geliebt, Dad. Sie ... sie hätte meine Frau werden sollen", meine Hände begannen zu zittern. "Ich ... ich wollte nie mit ... mit Holly zusammen sein. Das war alles ein ... ein riesiger Fehler."

Er zog mich in seine Arme und klopfte mir sanft auf den Rücken. "Sh. Alles wird gut. Du bist noch jung und hast alle Zeit dieser Welt und niemand zwingt dich mit Holly zusammen zu sein."

Ich lehnte mich zurück. "Aber sie ist die Mutter meiner Tochter."

"Und?" Er zuckte mit der Schulter. "Sag mir nicht, dass das der Grund ist warum du noch bei ihr bist. Du bist ein Horan und mein Sohn. Steh zu dem was du willst. Kämpfe um die, die du willst."

Kopfschüttelnd rutschte ich etwas weg. "Nein, Dad. Kämpfen ist vorbei. Sie hat klargemacht was sie von mir hält und ich will nicht mehr." Ich presste die Lippen aufeinander. Das alles auszusprechen schmerzte mehr als alles andere. "Es ist wohl besser, wenn sie jemanden findet, der sie so behandelt, wie sie es verdient. Und ... und das bin nicht ich."

"Amara hat dich genauso sehr geliebt wie du sie. Da bin ich mir ganz sicher." Er drückte meine Hand. "Und ich hätte mich gefreut, sie als Schwiegertochter zu haben. Ich wünschte wirklich ihr hättet damals etwas gesagt. Vielleicht hätten wir euch helfen können."

Ich schluckte seine Worte hinunter. Vielleicht hätte es etwas geändert, aber wie sollte man sich da sicher sein. Zu diesen Zeitpunkt waren wir alle niedergeschlagen. Trauer lag über uns, wie eine dicke Wolke, die sich nicht auflösen wollte.

"Was soll ich jetzt tun, Dad? Hast du einen Rat für mich?" Ich hoffte eine Lösung zu meinem Problem von seinem Gesicht lesen zu können. Aber es verriet mir nichts.

"Ich habe dir bereits gesagt, was du hören willst, Niall."

Ein letztes Mal legte er kurz seine Hand auf meine Schulter. Dann stand er auf und ging. 

 

London

 

Amaras Sicht

London.

Wie sehr habe ich diese Stadt mal geliebt. Es war mein größter Traum hier zu studieren. Warum weiß ich nicht, ich weiß nur noch, dass ich das schon immer wollte. Immer wenn ich davon sprach zu studieren viel der Name dieser Stadt.

Meine Großeltern, vor allem meine Großmutter fand den Gedanken einfach nur hervorragen. Ganz klar, dass sie mir damals die Kosten übernehmen wollte. Nur meine Mutter hatte Angst um mich. Sie wusste, dass ich alleine klarkommen würde, aber sie war eben meine Mutter. Wenn sie keine Angst um mich hätte, dann wäre sie es nicht. Schließlich war ich ihre kleine Tochter und sie hatte nur mich. Valerie wurde ihr als Baby entrissen. Kaum vorstellbar, wie wohl das Leben gelaufen wäre, wenn auch Valerie bei uns gewesen wäre. Hätte Mum uns gleich angezogen? Hätten wir die Lehrer verarscht und so getan, als wären wir der jeweils andere? Hätten unsere Freunde uns auseinander gekannt? Interessant und anderes wäre es auf jeden Fall geworden.

Ab und an fühlte ich Matts Blick auf mir. Er hatte mich immer schon angeschaut, aber nun, da ich wusste, dass er tiefer Gefühle für mich hegte, machte es mich nervös. Auch Sophie und Harry waren mehr als überrascht davon, als Matt mit gepacktem Koffer neben mir stand und ihnen erklärte, dass er mich begleiten würde. Und muss ich überhaupt erwähnen, wie groß ihre Augen wurden, als sie mein Gesicht sahen? Eine Million Fragen und Antworten später, war Sophie kurz davor zum nächsten Taxi zu stürmen, um Holly den Gar auszumachen. Matt wollte sich ihr nur zu gern anschließen. Harry hingegen wollte mich ins nächste Krankenhaus schleifen, um mich untersuchen zu lassen.

Mum trauerte dem Frühstück mit Matt und mir nach, zudem sie uns eigentlich eingeladen hatte. Aber ich musste ihr Versprechen, wenn ich zurück bin, dieses Frühstück mit ihr nachzuholen. Von ihr hatte ich auch erfahren, dass Niall bei ihr und Bobby aufgetaucht war, weil er etwas Ruhe brauchte. Worum es bei dieser Ruhe wirklich ging, hatte er nicht erwähnt, aber ich konnte mir eins und eins zusammenreimen. Holly und er hatten Streit, bei dem er den Kürzeren gezogen hatte.

Gerne hätte ich nachgebohrt und gehofft, dass meine Mutter mir irgendwelche näheren Details zu ihrem Streit geben konnte, aber das konnte sie nicht. Und es war von mir nicht richtig danach zu fragen.

Ich hatte in der letzten Nacht genug Zeit damit verschwendet über ihn nachzudenken. Aber ich kam zu dem Entschluss, dass es gut war, so wie es jetzt war. Es nahm zwar kein gutes Ende mit uns, aber es war besser, als nie den Schlussstrich zu ziehen. Jetzt konnte ich mich endlich wieder auf etwas anderes konzentrieren. Und zwar auf mich. Ich wollte mein eigener Mittelpunkt sein. Der Weg zum inneren Frieden beginnt mit den drei magischen Worten: "Nicht mein Problem." Und genau das war er jetzt. Niall war nicht mehr mein Problem.

Selbstliebe, so wie es uns die starken Frauen aus unserer Generation vorlebten, die sich nicht um den Bullshit der Männer interessierten, war mein Ziel.

Aber da war dann das wieder mit Matt.

Er hatte mich in den letzten Stunden behandelt wie immer. Mich mit Frühstück und netten Worten und Gesten beruhigt. Nur musste ich jetzt immer daran denken, dass es ihm etwas ganz anderes bedeutete als mir. Insgeheim fragte ich mich, ob er sich damit nicht selbst nur strafte. Jemanden zu lieben, der einem nicht zurückliebt ist reine Folter. Nichts anderes. Ich kannte das. Niall und ich hatten dieses Spiel schon lange genug gespielt. Ein ständiges auf und ab das mir die letzten Nerven raubte.

Im Wagen war es still. Harry konzentrierte sich ausnahmsweise einmal auf die Straßen und ihre Verkehrsregeln. Sophie saß neben ihm am Beifahrersitz und tippte auf ihrem Telefon herum. Matt starrte mich von der Seite an und ich tat, als würde ich es nicht bemerken, während ich aus dem Fenster hinaussah und die Gegend betrachtete.

Harry bog in eine schmale Straße ab, mit mehreren Häusern. Allesamt besaßen sehr hohe Gartenzäune, die die Sicht abschirmten. Ich konnte mir gut vorstellen, dass hier Personen lebten, die in der Öffentlichkeit standen und wenigstens zu Hause ihre Ruhe haben wollten - was den hohen Zaun rechtfertigen würde.

Wir hielten vor einem Haus. Ich beobachtete Harry, wie er sein Telefon nahm, etwas herumtippte und woraufhin sich das Gartentor öffnete. Harry fuhr an und die Einfahrt hoch. Das Haus von Harry und Sophie war flach und besaß kein weiteres Stockwerk. Die Hecken und Blumen waren gepflegt, was sie sicher einen Gärtner zu verdanken hatten. Ich hörte Wasser platschen und Vögel zwitschern.

Matt hob meinen Koffer aus dem Kofferraum. Ich lächelte ihm schmal an und bedankte mich.

"Amara, Matt ... fühlt euch hier wie zu Hause", sagte Sophie und breitete dabei einladend die Arme aus. "Unser Haus ist auch euer Haus. Wir haben einen Pool im hinteren Teil des Gartens, den dürft ihr immer benutzen. Im Keller befindet sich auch eine Sauna, falls mal jemand Lust hat zu schwitzen."

"Das ist echt nett, danke", sagte Matt.

Harry hatte derweil schon die Haustür aufgeschlossen.

Sophie sah zu ihrem Freund und drehte sich anschließend wieder zu mir und Matt. Dann kratzte sie sich am Nacken. "Ich muss euch da noch was sagen, aber ich denke nicht, dass es euch etwas ausmachen wird." Sie schnalzte mit der Zunge und ihre Tonlage rutschte nach oben. "Wir haben nur ein Gästezimmer. Ihr müsst es euch teilen. Ich hatte ja eigentlich auch nur mit Amara gerechnet."

Matt zuckte mit einer Schulter. "Also, ich habe kein Problem auf der Couch zu schlafen. Ich würde mich Amara nie aufzwingen. Sie kann das Zimmer ruhig haben."

Überrascht sah ich zu Matt, der mich bereits ansah. "Du musst doch nicht auf der Couch schlafen, Matt. Das würde ich nicht von dir verlangen. Wir sind Freunde, beste Freunde. Da ist doch nichts dabei." Irgendwie war mir danach ihm nochmal daran zu erinnern, was wir waren, auch wenn es nicht nett von mir war und es mir durchaus bewusst war. Aber Matt wäre nicht er, wenn er nicht trotzdem total cool bleiben würde.

Er legte eine Hand auf meine Schulter. Es war eine einfache Geste, die er auch schon hundertmal gemacht hatte, aber dennoch fühlte es sich nun anders an. "Beste Freunde. Natürlich, Mara. Und trotzdem müssen wir uns kein Zimmer teilen. Das machen wir zu Hause doch auch nicht."

Ich zuckte mit der Schulter. "Ja, mag sein. Aber ich ... ich lasse dich nicht auf der Couch schlafen."

Und da war es wieder. Sein verschmitztes dämliches Grinsen. "Okay. Aber ich habe dir die Möglichkeit gegeben, alleine ein Zimmer zu haben. Behalte es im Kopf, wenn du Gewissensbisse bekommst, weil du von mir träumst."

Augenrollend nahm ich meinen Koffer und ging an Sophie vorbei, die mir zuzwinkerte. Hinter mir betraten kurz darauf auch Sophie und Matt das Haus. Während Matt und ich etwas unbeholfen dastanden, schob Sophie ihren Koffer zur Seite und legte ihre Handtasche ab.

"Folgt mir, ich zeige euch das Gästezimmer", sagte Sophie. Dann zeigte sie auf den rechten Raum, der durch einen Bogen zu sehen war. "Das ist das Wohnzimmer. Und da", sie zeigte nach links, wo ebenfalls ein Bogen, statt einer Tür war. "Da ist die Küche, wie ihr seht." Einige Meter weiter den Flur hinunter befanden sich mehrere Türen nebeneinander. Die erste an der rechten Seite war ein Badezimmer. Das Zimmer gleich daneben, war Harrys Kleiderschrank. Und laut Sophie standen dort drinnen auch seine Gitarren herum. Links am Flur befand sich ebenfalls ein Raum, wo Sophie ihre Klamotten, Schuhe und Handtaschen gebunkert hatte. Was mich gleich danach etwas Irritierte war die Tatsache, dass beide, Harry und Sophie, getrennte Schlafzimmer besaßen.

"Ich dachte, ihr seid zusammen?", fragte auch Matt verblüfft.

Sophie nickte. "Ja, ja, das sind wir auch. Aber es ist auch schön einen Rückzugsort zu haben. Es ist ja nicht so, als würden wir nicht zusammen in einem Bett schlafen. Natürlich tun wir das. Und auch ganz andere Dinge." Sie drehte sich um, während im selben Moment Harry aus seinem Zimmer herauskam. In den Händen hielt er einen Berg an Kleidung. Ich würde mal auf Schmutzwäsche tippen. Er ging zwischen mir und Matt durch.

"Du müsstest mich doch verstehen, Amara. Du und Niall haben doch auch einige Monate zusammengewohnt. Seid ihr euch da nie gegenseitig auf die Nerven gegangen?"

Ich zuckte mit der Schulter. "Ja, aber ich habe gern mit Niall in einem Bett geschlafen. Für mich gab es nichts Schöneres, als in seinen Armen aufzuwachen."

Sophies Blick wurde etwas starr. "Tja, da sind wir wohl etwas verschieden."

Ich spitze die Lippen. "Eindeutig."

Matt räusperte sich verlegen. "Und wo ist nun das Gästezimmer?"

Hinten am Ende des Flures waren wieder zwei Türen. Sophie öffnete die rechte, da die linke ein weiteres Badezimmer war, und ließ uns eintreten. Das Zimmer war ziemlich schlicht, aber dennoch hochwertig. In der Mitte des Raumes stand ein Ehebett, das mit sehr vielen Kissen verziert war. Am Ende des Bettes war eine kleine Truhe. Es gab einen riesigen Kleiderschrank mit Spiegel, eine Couch für zwei Personen und dazu einen Glastisch. Gegenüber vom Bett an der Wand hing ein LCD Fernseher. Und rechts bestand die ganze Front aus Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten. Durch den dünnen Vorhang konnte man den Pool sehen.

"Okay. Ich werde euch mal auspacken lassen. Ich muss ja immerhin auch meinen Koffer auspacken. Falls ihr etwas braucht, wisst ihr ja wo ihr mich oder Harry findet", sagte Sophie, die daraufhin aus dem Zimmer ging und die Tür hinter sich schloss.

Matts und mein Blick trafen sich. Das Bett in der Mitte trennte uns.

"Der Pool sieht echt Hammer aus. Den sollten wir später ausprobieren", meinte Matt beiläufig und ohne den Blick von mir abzuwenden.

Nickend biss ich mir auf die Lippe. Die Situation fühlte sich gerade ziemlich schräg an, deshalb beschloss ich mich auf meinen Koffer zu konzentrieren und die Kleidung in den Kleiderschrank zu Räumen. Auch Matt hievte seinen Koffer dann auf das Bett und zog den Reißverschluss auf. Im Schrank war genügend Platz, dass sogar noch zwei weitere Personen Kleidung untergebracht hätten. Ich nahm mir die rechte Seite der Regale, während Matt die linken befüllte. Die Mitte blieb leer. Ab und an berührten wir uns, als wir aneinander vorbeigingen. Ob absichtlich oder nicht, ließ ich mal dahingestellt sein. Noch vor drei Tagen hätte ich mir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht, hätte vielleicht daraus sogar einen Witz gemacht. Aber jetzt war mir nicht nach scherzen zu mute.

Ich schloss den Koffer und stellte ihn auf den Boden zurück, wo ich ihn in eine Ecke schob. Und plötzlich wurde ich von hinten hochgehoben. Ich quietschend, während Matt mich auf das Bett warf, wo er sich auf meine Oberschenkel setzte und mich kitzelte. Ich konnte mich kaum beherrschen, denn er kannte die Stellen, an denen ich durchdrehen würde. Er lachte heiter, während ich herumstrampelte wie ein kleines Kind. Das schwarze Haar lag ihm auf der Stirn, als ich seine Hände zu packen bekam und er sofort innehielt. Meine Wangen schmerzten und Matt grinste belustigt auf mich hinab.

Komplett außer Atem holte ich tief Luft. "Wo-wofür war das denn?"

Matt rollte sich neben mich auf das Bett ab. Den Kopf stützte er lässig mit einer Hand ab. "Du weichst mir aus. Und das will ich nicht."

Ertappt verschränkte ich die Arme auf meinen Bauch und starrte dabei hoch an die Decke. Erst als Matt ganz vorsichtig über mein angeschwollenes Auge fuhr, drehte ich mich wieder zu ihm.

"Ich verlange nichts von dir, Amara. Du empfindest nicht dasselbe wie ich, aber deshalb werde ich mich nicht dir gegenüber anders verhalten. Und du sollst das auch nicht. Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber."

Seufzend schloss ich die Augen für einen Augenblick. Dann setzte ich mich auf und rutschte an das Kopfende des Bettes, wo ich mir ein Kissen nahm und es auf meinen Schoss legte. "Ich will mich doch auch nicht anders verhalten, aber jetzt kann ich nicht mehr aufhören daran zu denken. Du magst mich, ich weiß nicht wie sehr, aber sehr. Es muss doch total hart für dich gewesen sein, mich mit Niall zu sehen. Oder generell das ich nur ihm im Kopf hatte. Ich kenne das doch von mir. Holly hat mich zur Weißglut gebracht."

Matt schnalzte mit der Zunge und richtete sich ebenfalls auf. "Bei mir ist das anders. Ich wusste von Anfang an woran ich war. Für dich gab es nur ihn. Sicher war ich hin und wieder etwas eifersüchtig auf das, was ihr hattet, aber es ist okay. Und ich werde daran arbeiten, dich nicht mehr oft, zu auffällig, anzustarren. Aber du hast ja keine Ahnung welche Szenen sich in meinen Kopf abspielen, wenn ich dich sehe." Er lehnte sich etwas nach vorne und flüstere den nächsten Satz. "Du hast ja keine Ahnung. Außerdem weiß ich sehr genau, was mich erwarten würde, wenn ich nicht zu feige wäre, dich einfach zu packen und auszuziehen."

Bei der bloßen Vorstellung alleine schoss mir die Hitze in die Wangen. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich das nicht anmachen würde. Wenn es darum ging, war ich schon immer äußerst flexible. Nialls Range Rover wusste, wovon ich da sprach.

Matt zog den Kopf zurück. Zufrieden grinsend legte er eine Hand auf meine erhitze Wange. "Gefällt dir die Vorstellung oder warum wirst du rot?"

Peinlich berührt schlug ich seine Hand weg. "Träum weiter, Matt."

"Oh, das mache ich. Nur keine Sorge."

Matt rückte von mir ab und stand vom Bett auf. Er steckte sich, dabei schob sich sein Shirt nach oben. Ich sah seine V Linie und die schwarze Kunstvolle Tinte auf seiner Haut. Er hatte meinen Blick gemerkt, ihn aber zum Glück nicht kommentiert. Stattdessen zog er sein Shirt aus und warf es mir zu. Direkt ins Gesicht.

"Lass uns in den Pool gehen. Sonst denken Harry und Sophie noch, dass wir ihre Matratze testen."

 

Heiß, heißer ... Matts nackter Oberkörper.

Ich konnte kaum meinen Blick abwenden. Aber es war auch nicht so, als hätte er mir eine Wahl gegeben. Denn während ich mich auf die Liege pflanzte, weil ich nicht in den Pool wollte, da mir noch alles wehtat, stellte Matt sich vor mich. Sein breiter Schatten lag auf mir.

Sophie hatte sich ebenfalls auf eine Liege neben mich gelegt und genoss sichtlich die Aussicht, die ihr geboten wurde. Harry hingegen hatte sich in den Pool geworfen. Er sprang direkt vor uns in das Wasser und spritze uns dabei voll.

"Na los, Mara. Komm ins Wasser." Matt fasste nach meinen Beinen, die ich noch rechtzeitig wegziehen konnte. Er legte den Kopf schief und schmollte. "Komm schon ..."

"Nein", beharte ich.

Hinter Matt sah ich, wie Harry sich am Beckenrand aus dem Wasser hob. Er schüttelte den Kopf. Nasse Haare klebten an seiner Stirn. Dann zwinkerte Harry Sophie zu, die neben mir zu Wackelpudding wurde. Er sah zwar auch gut aus, aber mit Matts durchtrainierten Körper konnte er nicht mithalten.

Sorry Styles.

Sophie schwang ihre Beine von der Liege und stand auf.

"Was tust du?" 

Eigentlich war mir klar, was sie da tat. Sie wollte sich auf Harry stürzten und mich mit Matt alleine lassen. Ich hätte sie mit meinen Worten gerne still gebeten mich nicht alleine mit Matt zu lassen.

"Ich ähm ... hab es mir anders überlegt. Ich ziehe mich um." Flink flitzte sie zu Harry, den sie an den Händen packte und mit ins Haus zog.

"Dann waren es nur noch zwei", meinte Matt spitzbübisch grinsend. Er reichte mir eine Hand. "Kommst du nun ins Wasser oder muss ich dich zwingen?"

Seufzend schlug ich die Modezeitschrift zu, von der ich keine einzige Seite gelesen hatte. "Warum willst du unbedingt, dass ich in den Pool gehe?"

Als Antwort leckte er sich mit der Zunge über die Lippe.

Ich schlug mit der zusammengerollten Zeitung nach ihm. Der Kerl wollte mich einfach nur beinahe nackt sehen, um Material für seine feuchten Träume zu sammeln.

"Hast du nicht erst vor einer halben Stunde zu mir gesagt, dass du dich nicht anderes verhalten wirst als zuvor?" Ich zog eine Augenbraue hoch.

"Tue ich auch nicht." Sein Mundwinkel zuckte. "Nur spreche ich jetzt einfach aus, was ich mir zuvor gedacht habe. Damit kommst du doch klar oder etwas nicht? Oder bringt es dich um den Verstand? Das würde mir sogar gefallen."

Ich stand von der Liege auf und verschränkte die Arme vor der Brust. "Mir wäre es ehrlich gesagt lieber, wenn du es lassen würdest."

Andernfalls würde ich sonst wirklich noch schwach werden. Ich konnte nicht bestreiten, dass er ein sehr guter Liebhaber war.

Wie von selbst wanderten meine Augen auf seinen Oberkörper hinab. Als ich mich selbst dabei erwischte, kniff ich mir strafend in den Arm.

Matts selbstzufriedenes Lachen ließ mich rot werden. "Du darfst ruhig schauen, Mara. Das stört mich nicht."

Eine andere Antwort hätte mich auch schwer gewundert.

Ich heftete meine Augen auf die von Matt. Innerlich zwang ich mich dazu den Blick nicht wieder zu senken und mich der Versuchung hinzugeben doch noch einen Blick auf seine Muskeln zu wagen.

Seine Augen strahlten, glänzten in der Juni Sonne wie Diamanten. Ich biss mir auf die Lippe und machte einen Schritt auf ihn zu. Dann einen weiteren und noch einen.

Matts Brust hoch und senkte sich schneller. Dann fühlte ich seinen Herzschlag unter meiner Hand, als ich ihm die Hand auf die Brust drückte.

Sanft und ohne den Blick aus seinem Gesicht zu nehmen, schob ich ihn Schritt für Schritt nach hinten. Bis er den Halt verlor, mit den Armen ruderte und mit dem Rücken vorwärts in den Pool fiel. Mit einem lauten Platschen versank er im Wasser.

Er tauchte nach oben, holte tief Luft und schob sich die Haare aus dem Gesicht. Der finstere Blick, den ich vermutete, blieb aus. Stattdessen hörte ich sein tiefes Lachen.

"Diese Aktion, hätte ich nicht von dir erwartet, Kleines." Tadelnd hob er einen Finger. "Warte nur ab. Das bekommst du zurück."

Ich zwinkerte ihm zu. "Klar, versuche es nur."

Matt schlug mit der Handfläche über das Wasser. Knapp konnte ich der Attacke noch ausweichen, ehe ich zurück ins Gästezimmer lief. Von Sophie und Harry sah ich im Flur nichts mehr, dafür hörte ich sie und verdammt ... war das peinlich.

Später am Abend saßen wir zusammen in der Küche und machten uns über die Pizza her, die Harry bestellt hatte.

Ich zupfte eine Scheibe Salami ab und schob sie in meinen Mund.

"Was haltet ihr davon, wenn wir heute in einen Club gehen? Ein bisschen tanzen und was trinken." Sophie grinste breit die Runde.

Harry klaute von Sophies Pizza eine Pfefferoni. "Hast du mal Amaras Gesicht gesehen? Ich glaube kaum, dass sie so in die Öffentlichkeit mit uns möchte."

Ich biss von meiner Pizza ab und nickte zustimmend. Wenn man mit Sophie und Harry unterwegs war, gab es keinen Zweifel daran von Paparazzi fotografiert zu werden. Und mich so ablichten zu lassen, stand nicht auf meiner Wunschliste.

Sophie nahm diese Antwort aber nicht hin. "Ach, ich klatsche ihr einfach Make-Up rauf und gut ist."

"Das ist wirklich nett gemeint von dir Sophie, aber ... ich möchte so wirklich nicht raus. Ich möchte mir überhaupt nicht ausmalen was die Leute denken werden."

"Wenn interessiert schon was die denken?", brummte sie.

"Mich", sagte ich. "Und außerdem bin ich ziemlich müde. Die letzte Nacht war sehr kurz. Vielleicht gehen Harry und Matt mit dir in einen Club."

Ich biss von meiner Pizza ab. Der Käse zog sich in die Länge.

Die letzte Nacht war wirklich kurz. Mein demoliertes Gesicht und meine Gedankengänge machten es mir unmöglich die Augen zu schließen. Und Lust darauf in einen Club zu gehen hatte ich im Moment eh nicht. Meine Laune befand sich nämlich im Keller.

Ich wandte mich zu Matt um. Er sah von mir zu Sophie und schüttelte den Kopf. "Ich bin auch erledigt. Aber wir werden die Woche sicher irgendwann die Zeit dazu finden."

Sophie schnaubte beleidigt und zeigte mit ihrem Zeigefinger zwischen uns her. "Ihr seid solche Langweiler! Alle beide!"

"Beruhig dich Honigbiene", schmunzelte Harry. Der eine Hand nach ihr ausstreckte, ihre Hand nahm und ihr einen Kuss auf den Handrücken drückte.

Mit Herzaugen lächelte sich das Paar an. Ich hingegen kam mir wie das fünfte Rad am Wagen vor.

Als ich mir meinen vollen Magen rieb, machte Matt sich auch noch über meine übrige Hälfte der Pizza her. Ich sah einfach nicht, wohin er sie aß. Er war so schlank und durchtrainiert, dass man ihm den großen Hunger einfach nicht ansah.

Anschließend stieg ich unter die Dusche, während sie die anderen einen Film im Wohnzimmer ansahen. Im Flur hörte ich den Ton des Filmes. Deadpool. Da ich wirklich kurz davor war einzuschlafen, hatte ich mir eine kurze Shorts und ein passendes T-Shirt angezogen, mit dem ich mich in Bett fallen ließ.

Ich schob die dünne Decke zur Seite und legte mich hin. Dann nahm ich mein Telefon, das am Nachtkästchen neben mir lag. Meine Mutter freute sich bestimmt, wenn ich ihr eine Nachricht schrieb, dass der Flug gut verlaufen war und wir heil angekommen waren. Eigentlich hätte ich es direkt nach dem Flug schon machen sollen, aber ich hatte nicht mehr daran gedacht.

In der Benachrichtigungszeile sah ich, dass mir die private Nummer eine Nachricht geschickt hatte.

"Hey, ich bin es Henry. Ich hoffe, es ist alles okay bei dir, da du nicht an dein Telefon rangehst. Ruf mich doch mal zurück. Würde mich freuen."

Ich senkte die Arme und legte mein Telefon auch meinen Bauch ab. Danach rieb ich mir die müden Augen.

Henry hatte mich also angerufen, als ich nach der Prügelei nach Hause gefahren war. Ehrlicherweise musste ich zugeben nach unserem Date nicht mehr an ihn gedacht zu haben. Wir hatten einen tollen Abend zusammen, aber da war nicht mehr. Da war kein Funke, der mich in seinen Bann gezogen hatte. Außerdem brauchte ich im Moment nicht noch einen Mann der um meine Gunst kämpfte. Zwei waren schon genug Stress. Einer davon war mein Ex und der andere mein bester Freund.

An welchen Punkt in meinen Leben verwandelte ich mich eigentlich in die Hauptprotagonistin eines solchen Liebesdramas? Ich war nur noch wenige Tage davon entfernt sechsundzwanzig zu werden, fühlte mich aber dennoch nicht erwachsen. Eigentlich glich dieses Chaos den eines Teenagers. Wann würde ich wohl endlich erwachsen fühlen? Sobald ich eine eigene Wohnung hatte? Einen Job? Einen festen Freund? Wenn mich die vielen Rechnungen erdrückten? Wenn meine Mutter fragt, wann ich sie endlich zur Großmutter machen wollte?

Ich schrieb an Henry zurück, dass ich zurzeit in London war und nicht sonderlich viel Zeit hatte. Ich bedankte mich noch für den netten Abend von vor zwei Wochen und hoffte, dass ich damit meine Ruhe hatte. Henry sollte sich keine falschen Hoffnungen machen.

Auch Claire hatte mir eine Nachricht geschrieben. Sie bedankte sich dafür, dass ich ihr den zweiten Teil von Camp Rock in der Früh in den Briefkasten geworfen hatte. Ich wollte mich nicht einfach so aus dem Staub machen und wusste zudem, wie sehr sie sich darauf gefreut hatte, den Film mit mir zu schauen. Andernfalls wollte sie auch ihrer überführsorglichen Mutter entkommen. In gewisser weiße sah ich eine kleine Amara in Claire. Sie und ich hatten einige Gemeinsamkeiten.

Ich legte mein Telefon zurück und kuschelte mich in die dünne Decke. Das Haus hatte eine Klimaanlage, so lag die Temperatur stets bei kühlen zweiundzwanzig Grad. Der Nachteil an ihr war, dass ich mich regelrecht erkälten würde, wenn ich mich nicht zudecken würde. Dafür war ich leider mehr als nur anfällig. Außerdem war es dann jedes Mal wieder wie ein Schlag ins Gesicht, wenn man die Räumlichkeiten verließ.

Für den nächsten Tag hatte ich mir vorgenommen Connor anzurufen. Mit etwas Glück würde er Zeit für mich haben und einen Kaffee mit mir trinken.

Bläuliches Licht leuchtete vom Pool hinein ins Gästezimmer. Ich erkannte die dunkeln Umrisse der Möbel im Zimmer. Meine Lippe brannte inzwischen nicht mehr zu sehr und um keinen Druck auf mein Gesicht auszuüben, legte ich mich gerade hin. Eigentlich schlief ich immer auf der Seite, aber es fühlte sich so im Moment angenehmer an.

Und dann schlief ich langsam ein und träumte.

Ich kniff die Augen zusammen. Etwas kitzelte mich. Wie eine Feder fühlte ich etwas an meinem Gesicht. Blinzelnd öffnete ich die Augen und sah nichts als Dunkelheit.

Ich blinzelte erneut und erkannte die Umrisse einer Person.

Zart strich er mit den Fingern über mein Gesicht.

"Matt?" Meine Stimme war tief und belegt.

"Ich wollte dich nicht wecken, Mara." Er nahm seine Finger aus meinem Gesicht und sah mich von oben an, mit dem Kopf an seiner Hand abgestützt.

Ich drehte mich etwas und zog die Decke höher, die mir nach unten gerutscht war. Auch im dunkeln nahm ich war, dass er kein Shirt trug.

Matt ließ seinen Kopf in das Kissen sinken und sah mich an. Ich drehte mich in seine Richtung, die Decke hoch bis zu meinem Kinn gezogen.

"Ist dir so kalt? Ich finde es gerade angenehm vor allem, weil es bei uns immer so extrem heiß ist."

"Ja, ich will mich nicht erkälten."

Matt streckte eine Hand aus und tippte mit einem Finger an meine Nase. "Ich werde morgen Harry fragen, ob man die Temperatur etwas höherstellen kann."

Ich lächelte. "Da wäre nett."

Matt richtete sich auf und schlüpfte unter die Sommerdecke. Dann rutschte er näher an mich heran. Etwas unbeholfen, wollte ich nach hinten rutschen, aber Matt hielt mich fest. Zog mich an sich heran und schenkte mir seine Wärme.

Sein Kopf lag in meiner Halsbeuge. Der warme Atem ließ mich erschaudern. Das war eindeutig zu nahe und fühlte sich viel zu gut an. Eine seiner Hände rutschte unter meiner Decke und legte sich um meinen Bauch. Ein Kuss auf mein Schlüsselbein folgte.

Bei einem war ich mir sicher, morgen Nacht, würde ich eine Wand aus Kissen zwischen uns aufbauen. Denn diese Berührungen lösten eine Sehnsucht in mir aus, die ich nicht willkommen heißen konnte.

Am nächsten Morgen wachten wir in beinahe derselben Position auf, in der wir eingeschlafen waren. Nur waren heute unsere Beine ineinander verschlungen, Matts Kopf lag oberhalb meiner Brust und seine linke Hand befand sich auf meinen Oberschenkel.

Das Klingeln meines Telefons weckte uns. Ich brauchte einige Sekunde bis ich wieder bei klarem Verstand war und mitbekam, wie verdächtig nahe wir uns waren. Blind tastete ich nach meinem Smartphone, während Matt endlich die Anstalten hatte und den Kopf von meiner Brust hoch.

"Ich hoffe du hast weich geschlafen ...", grummelte ich müde.

Matt kommentierte meine Aussage in dem er sich auf die Unterlippe biss.

Ich war einen Blick auf das Display und hielt inne. "Was zum Teufel ...",

"Was ist?" Matt schnappte nach meinem Telefon. "Was will er?" Eine lange Falte bildete sich auf seiner Stirn.

"Keine Ahnung, was Niall will. Drück ihn weg."

Matt hatte sich inzwischen aufgesetzte. "Nein, ich werde rangehen und ihm die Meinung geigen!"

Ruckartig setzte ich mich auf. "Tu das ja nicht!"

"Aber-", begann er, aber da erschloss das Klingeln. Ich riss ihm mein Telefon aus der Hand. Es störte mich, dass Matt einfach abheben wollte.

"Tu das nie wieder, Matt." Ich warf ihm einen scharfen Blick zu.

Er presste die Lippen zusammen. "Aber warum nicht, Amara? Er hatte Glück, dass ich nicht zu ihm gefahren bin, um ihn zu seiner Visage klein zu prügeln! Verdient hätte er es."

"Aber er hat mich nicht geschlagen, es war Holly! Und er kann so oft anrufen wie er will, ich werde nicht abheben und du auch nicht. Er soll sich ruhig die Zähne ausbeißen."

Schnaubend sank Matt zurück in Kissen, dabei rutschte er auf seine Seite des Bettes zurück.

Ein piepsen kündigte eine neue Nachricht an. Jemand hatte mir auf die Mailbox gesprochen. Und dieser jemand war Niall.

Wer sich nicht bemüht ist es nicht wert

Nialls Sicht

Wie erstarrt lag ich im Bett und starrte an die Decke hoch. Ich musste verrückt sein, denn ich befand mich in Amaras alten Zimmer wieder. Und hier lag ich nun schon seit gefühlten Stunden. Obwohl ich Hunger verspürte, wollte ich nichts essen. Ich konnte nicht. Dort wo mein Magen sein sollte, befand sich nur ein Knoten.

Nach dem Gespräch gestern mit meinem Vater lagen mir schwere Gedankenbrocken im Magen. Insgeheim hatte er mich versucht zu motivieren, damit ich meinen Arsch hochhob und das richtige tat. Aber was war das richtige?

Wie lange noch wollte ich mich eigentlich so quälen? Ich machte mir doch selbst nur das Leben zu Hölle. Sogar Holly hatte das mitbekommen. Und ich rechnete es ihr hoch an, dass sie mir eine Wahl gegeben hatte. Auch wenn sie auf viele Menschen wie der Satan höchstpersönlich wirkte, wusste ich es besser. Sie war nicht nur das Böse in Person. Sie zeigte auch Verständnis, Zuneigung und liebte einfach nur zu hart. Es war genau wie sie es gesagt hatte, sie liebte mich auf die Weiße auf die Amara und ich uns liebten. Hart und leidenschaftlich. Und doch verletzten wir uns gegenseitig.

Es klopfte leise an der Tür.

"Niall?"

Es war Kates Stimme.

Die Tür ging auf und sie spähte vorsichtig herein. Kate verzog die Lippen, als sie mich auf dem Bett liegen sah und wie verkrampft ich das Kissen hielt.

Ich wendete den Blick ab und starrte wieder auf den Lampenschirm. Sie sollte mich nicht so niedergeschlagen sehen. So verletzlich und schwach zeigte ich mich nur ungern.

Das Bett bewegte sich unter dem Gewicht von Kate, die sich neben mich gesetzt hatte.

"Dein Vater macht sich Sorgen um dich ... und ich auch."

Ich seufzte. Ich sah sie nicht an, als ich antwortete: "Ich habe nur Liebeskummer. Das ist alles."

Kate legte eine Hand auf meine Schulter. "Herzschmerz wegen Holly ... oder Amara?"

Förmlich erstarrt suchte ich ihren Blick. Kate hatte mich gern, aber sie war kein Fan von dem was Amara und ich hatten. Und dennoch kratzte sie dieses Thema an. Mein Vater hatte ihr sicher von unserer Unterhaltung erzählt. Ganz bestimmt sogar.

Sie wirkte nicht, als würde sie mir gleich an die Gurgel springen, sondern eher, als würde sie mir wirklich zuhören wollen, ohne zu Urteilen.

"Was ist zwischen euch passiert, Niall? Warum ist meine Tochter wieder einmal aus dem Land geflohen?" In ihrer Frage kam kein unguter Unterton mit. Kein Vorwurf, nichts. Es war eine einfache Frage, auf die ich eine Antwort finden sollte.

Ich ließ die Frage in meinen Kopf sinken.

Amara hatte das Land verlassen?

Das war wieder sehr typisch für sie. Nur mit einer Flucht entkam sie ihren Sorgen. Das war schon immer so.

Nach unserem ersten richtigen Streit am Tag der Hochzeit unserer Eltern, in der Nacht im Zelt, bei diesem dämlichen Spiel zu Hause bei Holly, bei ihrem Streit mit Sophie und Tobi .... immer floh sie. Sie versuchte stets den Tatsachen aus dem Weg zu gehen.

"Wo ist sie dieses Mal?", fragte ich und drückte das Kissen dabei näher an meine Brust.

Kate seufzte und ließ sich auf das Bett sinken. Den Kopf hielt sie mit einer Hand. "Bei Harry und Sophie in London. Für ungewisse Zeit."

"Kate", ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung. Sie sah müde aus, eine Haarsträhne hatten sich aus ihrem Zopf gelöst. Sie sah in diesen Moment aus, wie eine ältere Version von Amara - was sie auch eigentlich war. "Ich habe dir nie gesagt, wie toll ich dich finde. Du machst meinen Vater so unglaublich glücklich und ich könnte mir niemand anderen an seiner Seite vorstellen. Danke, dass du ihn aus seinem Kummer befreit hast. Ihr Julien Frauen seid eine Klasse für euch."

Ihre Augen glänzten verräterisch. Das Lächeln wirkte gebrochen. "Und ich bin froh euch Horan Männer kennengelernt zu haben. Ihr habt meinem und Amaras Leben einen neuen Sinn gegeben ... und dafür danke ich euch."

Ich schmunzelte. Ihre Worte rührten auch etwas in mir. "Was hätten wir wohl nur ohne euch gemacht?"

Kate kicherte. "Ja, dass frage ich mich auch oft." Sie schob sich das Haar aus dem Gesicht.

Einige Zeit in Stille verging, ehe ich sie brach. "Kate?"

"Ja, Niall?"

"Du ... du wolltest doch wissen was zwischen mir und Amara passiert ist." Ich biss mir verlegen auf die Lippe. Keine Ahnung was in mich gefahren war, aber ich wollte reden. Und im Moment schien Kate eine gute Zuhörerin zu sein. "Amara und ich sind eine Einheit, die zusammengehört. Genauso wie du und Dad."

Ich sah in ihr Gesicht und sie nickte wissend. "Das habe ich bereits gemerkt."

"Sie ist mein Ein und Alles und ich sehe es endlich ein. Ich habe einen riesigen Fehler gemacht. Ich wollte, dass es ihr besser geht. Amara sollte nicht meinetwegen unglücklich sein." Ich übte mehr Druck auf das Kissen aus. Die Anspannung und das Wissen alles verloren zu haben, waren zu stark und demütigend. "Wir haben uns geküsst. Zweimal. Ich bin mit Holly verlobt und alles, was mir zu diesem Zeitpunkt im Kopf herumgespukt hatte, war, wie ich sie wieder loswerden würde, um mit Amara zusammen sein zu können. Aber ..."

"Aber du musstest an deine Tochter denken", beendete Kate meinen Satz. "Und außerdem sind Matt und Amara zusammen. Dein bester Freund aus Kindheitstagen. Das muss hart für dich sein. Aber bei Matt ist sie in guten Händen. Du solltest loslassen, Niall. Du verwirrst sie bestimmt nur."

Ich legte das Kissen zur Seite und setzte mich. "Sie beiden sind kein Paar. Das weiß ich aus erster Hand. Das war alles nur gelogen, um mich um den Verstand zu bringen. Sie wollte mich eifersüchtig machen. Sie hat es mir selbst gesagt."

Kate runzelte die Stirn. "Willst du mir sagen, dass sie mich angelogen hat?" Ihre Stimme rutschte hoch.

Nickend raufte ich mir meine Haare. "Ja, das hat sie wohl. Außerdem habe ich erst kürzlich Matt dabei geholfen Amaras neues Bett aufzubauen, damit sie nicht länger seine Couch belagern muss."

"Was?", fragte Kate aufgebracht. "Sie hat auf seiner Couch geschlafen? Sie hat mir gesagt, sie hat eine eigene Wohnung!"

Da hatte ich wohl ein Geheimnis ausgeplaudert. Unschuldig zuckte ich mit den Schultern. "Wie gesagt, sie hat auf seiner Couch geschlafen. Ich wüsste nichts von einer Wohnung."

Schnaubend setzte sich Kate auf.

"Warte nur ab, wenn du nach Hause kommst, Amara", murmelte sie neben mir. Sprach aber eher mit sich selbst, als mit mir. Sie stand auf und ging neben dem Bett auf und ab. "Ich kann nicht fassen, dass sie mich belogen hat!"

"Kate?" Ich wollte eigentlich nicht, über Amaras Wohnsituation reden. Mir lag etwas anderes auf dem Herzen.

Sie blieb stehen. "Ja? Willst du mir noch irgendwelche Lügen aufklären, die ich von meiner Tochter zu hören bekommen habe?"

Ich schmunzelte leicht. "Eher nicht. Sie hasst mich schon genug. Ich denke, mit dem habe ich mich noch mehr ins Aus geschossen."

Sie nickte bedächtig. "Oh ja! Ich werde sie definitiv darauf ansprechen. Tut mir leid für dich, aber das muss sein. Sie kann mich nicht einfach anlügen! Schließlich bin ich ihre Mutter."

"Ist okay. Wie gesagt, sie hasst mich sowieso schon." Verlegen kaute ich an der Innenseite meiner Wange herum. "Kate, ich habe meinen Vater bereits gesagt, dass ich nicht mehr Kämpfen will. Was sagst du dazu? Du als ihre Mutter. Soll ich es wagen oder soll ich es lassen? Mir ist klar, dass du nie sonderlich begeistert von uns zusammen warst."

"Wie hätte ich auch?" Kate breitete die Arme fragend aus. "Ich wollte nur eine normale Familie haben. Und wie du nun siehst war meine Angst berechtigt, dass eure Gefühle die Familie spalten könnten. Schau doch nur wo Amara jetzt ist ... Oder wo sie bei Hollys und deinem Verlobungsessen sitzen musste. Sie saß wie eine aussätzige ganz hinten. Wir beide wissen, dass das nicht ihr Platz war. Sie ist meine Tochter und ich werde mir immer Sorgen um sie machen. Du als Vater musst doch verstehen, was ich meine."

Natürlich wusste ich das. Ich würde für Charlotte sterben. Ich würde ihr alles geben, was ich hatte, nur damit es ihr gut ging. Sogar Holly heiraten. Das war alles nur für sie ... und das trieb mich immer näher an das Ende. Es machte mich unglücklich.

"Pass auf Niall. Ich ... ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst. Du selbst musst das für dich entscheiden. Aber sei gewarnt. Denn, wenn du meiner Tochter das Herz brechen solltest ... dann werde ich keine Rücksicht auf dich nehmen. Ich bin eine Löwenmutter, die auf ihr Kleines aufpasst und die Krallen ausfährt, wenn es nötig wird. Verstanden?"

"Ja, ich habe verstanden."

"Gut." Kate beugte sich nach vorne und umarmte mich. Ihre Hände blieben auf meinen Schultern liegen, als sie sich von mir löste. "Und nun nimm deinen Mut zusammen und mach, dass was du für richtig hältst. Vergiss die äußeren Umstände und denke einmal nur an dich selbst. Manchmal muss man egoistisch sein, um sein Glück zu finden. Du bist ein toller junger Mann, Niall. Der warst du schon so lange ich dich kenne. Ich vertraue darauf, dass du die richtige Entscheidung für dich triffst."

Und mit diesen Worten verließ sie das Zimmer. Ich hätte ihr gerne nachgerufen, dass ich jetzt noch verwirrter war, als zuvor. Meinte sie damit, dass ich um Amara kämpfen sollte und sie mir die Eier abschneiden würde, wenn ich Amara wieder das Herz brach? Oder wollte sie das ich zurück zu Holly ging und Amara aus meinem Herzen verbannt, um der Familie nicht zu schaden?

Ich zog mein iPhone aus meiner Hosentasche und durchforstete die Galerie nach einen alten Unbenannten Order. Das Titelbild des Ordners war schwarz. Ich wollte nicht, dass irgendjemand die Bilder sah, die ich daran aufgehoben hatte. Denn wie würde jemand reagieren, wenn er wüsste, dass ich sämtliche Fotos mit meiner Ex-Freundin behalten hatte?

Beinahe eine Stunde saß ich da in ihrem alten Bett und betrachtete ein jedes Bild. Angefangen mit unserem aller ersten an meinem Geburtstag, kurz nachdem sie und Kate hier eingezogen waren. Damals hätte ich mir nie ausgemalt, wie das alles für dieses schüchterne Mädchen und mich ausfallen würde.

Angefangen mit kleinen kurzen Blicken, flüchtigen Berührungen und einem Tanz in Gregs Wohnzimmer, bis hin zu leidenschaftlichen Nächten und ausgefalleneren in meinem Range Rover.

Die Szene im Range Rover brachte mich heute noch zum Schmunzeln. Etwas zuvor war sie von der Vorstellung Sex im Auto zu haben alles andere als begeistert. Und nach nur einem Konzert kletterte sie praktisch von ganz alleine auf meinen Schoss ...

Ich wischte durch die Bilder durch und blieb an einem der letzten hängen. Es war von unserem Kurzurlaub in Bora Bora. Die Erinnerungen daran schmerzen besonders, weil ich zu dieser Zeit wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis alles den Bach hinunter ging. Und meine Befürchtungen waren schlussendlich alle wahrgeworden.

Auch wenn mir mein Vater und Kate einreden wollten, dass ich die Wahl hatte, stimmte das nicht. Auch wenn ich mich gegen Holly entscheiden würde ... aus welchem Grund würde Amara mich zurücknehmen? Aus welchen verdammten Grund sollte sie auch nur eine Sekunde darüber nachdenken? Ich hatte genug Fehler begangen um es auf zwei Leben aufzuteilen.

Wenn ich mich vor ihr auf die Knie werfen würde und um Verzeihung flehen würde, welchen Eindruck würde das auf sie haben?

Wo hatte Kate nochmal gesagt, wo Amara war? In London? Bei Harry und Sophie?

Harry hatte mir damals erzählt, dass mit Sophie nun in einem Haus leben musste, aber bis jetzt hatte ich noch keine Gelegenheit vorbeizuschauen. Außerdem wusste ich, was wirklich bei den beiden abging und da wunderte es mich nur noch mehr, warum sie Amara in das alles mithineinzogen. Wenn sie Amara nicht die Wahrheit gesagt hatte, dann mussten beide unglaublich gute Schauspieler sein. Dieses Theater war schon peinlich genug.

Ich könnte sagen, dass ich mir das Haus anschauen möchte.

Eine Ausrede um dort aufzutauchen wäre es auf jeden Fall. Aber würde ich das tun, dann müsste ich mir sicher sein. Ich müsste mit Holly schlussmachen und meiner Kleinen irgendwie erklären, dass ihr Vater nicht mehr bei ihr zu Hause leben wird. Vielleicht sogar, dass sie mich noch seltener sah, als sonst. Gerade jetzt, wo ich mir wirklich die Zeit dazu nehmen wollte.

Himmel, ich hatte extra meinen Wunsch neue Musik zu machen nach hinten geschoben, um Familienvater zu werden.

Aber meine Kleine würde es irgendwann verstehen. Das musste ich doch auch. Meine Eltern waren auch getrennt und dennoch hatte ich beide. Vielleicht sah ich meine Mutter nicht so oft wie meinen Vater, aber ich wusste, dass sie mich genauso sehr liebte wie er. Im gleichen Maß wie auch ich Charlotte immer lieben würde.

Kämpfen oder nicht kämpfen ...

Lieben oder geliebt werden ...

Meine Finger machten sich selbstständig. Ich wählte Amaras Nummer.

Auch wenn nur wenig Hoffnung bestand, dass sie überhaupt abheben würde, hoffte ich es aus tiefsten Herzen. Es klingelte sekundenlang. Aber nichts passierte. Die Mailbox meldete sich.

"Sprechen sie nach dem Piepton", sagte eine Frauenstimme in der Leitung.

Ich atmete ein und verlor meine Sprache. Was wollte ich ihr eigentlich sagen?

Ich schluckte. "Hör zu, Amara ähm ...", ich unterbrach mich selbst. "Hier ist übrigens Niall, der Idiot, der Gift für dich ist und nicht in der Lage war für dich einzustehen, als er es hätte tun müssen. Glaub mir, ich werde mir das nie verzeihen. Deine Mutter hat mit mir geredet und mir gesagt, dass du bei Harry und Sophie bist. Ich hoffe dir geht es gut. Tut mir leid, das mit deinem Gesicht. Ähm ..." Ich hielt das Telefon weg und rieb mir über meine Augen. Ihr die Mailbox voll zu quatschen war bestimmt ein Fehler. "Jedenfalls, wollte ich es dich zuerst wissen lassen. Ich werde mich nach diesem was-auch-immer-ich-hier-gerade-mache zu Holly fahren und ihr sagen, dass ich mich von ihr trennen werde. Falls ich es noch nicht erwähnt habe, dann sollst du wissen das ich dich noch immer Liebe. Und vielleicht, ich weiß, dass es Zeit benötigen wird, vielleicht können wir uns nochmal eine Chance geben." Ein Kloss hatte sich in meinen Hals gebildet und schon wieder erwischte ich mich dabei, wie meine Emotionen überkochten. "Wenn es nicht zu spät ist ... dann ... bitte Amara ... sag mir, ob ich kämpfen soll. Denn wenn du es nicht willst, werde ich versuchen ... dich künftig ... in Ruhe zu lasen. Ich verspreche es. Ganz ehrlich." Japsend fügte ich noch einen letzten Satz hinzu, ehe die Sprachnachricht von selbst abbrach: "Ich werde mich bemühen um es dir Wert zu sein."

 

Zwischen Liebe und Verstand

 

Acht Tage befanden wir uns nun schon in London. In der letzten Woche verbrachte ich jede freie Minute mit Sophie, Harry oder Matt. Sophie und ich hatten die Oxford Street unsicher gemacht, einen Fotoshoot nahe der Themse veranstalten und uns zurück an die guten alten Zeiten erinnerten. Auch mit Tobi und Peter verbrachten wir einen schönen Tag. Es war fast wieder wie damals, obwohl dazwischen so viel passiert war. Dennoch war es schön die Gang wieder vereint zu sehen. Letzten Mittwoch stellte mir Harry sogar seine Schwester Gemma vor, die mit uns zu Mittag aß.

Außerdem bestattete ich Connor und Davina einen Besuch ab. Nick, mein Halbbruder, rappte mir seinen neuen Song vor. Er war schrecklich, aber Nick was so überzeugt von sich selbst, dass er meine gutgemeinte Kritik nicht annehmen wollte. Matt hingegen sah er nicht so verhasst an wie mich. Nick schien tatsächlich etwas Respekt vor ihm zu haben. Die vielen Tattoos gefielen ihm sehr, da Nick Matt erzählte, dass er auch an einem Interesse hatte. Und so kamen Matt, der von Beruf aus Tätowierer war, und mein Halbbruder ins Gespräch.

Valerie war noch immer in Los Angeles. Am Mittwoch hatte ich mir die Zeit genommen und mit ihr über FaceTime gesprochen. Ich brachte sie auf den neusten Stand meiner momentanen Lage. 

Da die blauen Flecken in meinem Gesicht nur noch leicht gelblich waren, konnte ich sie gut verdecken. Ich wollte meinen Vater nicht auch noch von dem Zwischenfall erzählen müssen. Mum hatte mir die Hölle heißt gemacht, als sie mich angerufen hat. Niall die Petze hatte geplaudert und ihr gesteckt, dass ich in Wahrheit auf Matts Couch schlafe, keine eigene Wohnung habe und das Schauspiel mit Matt nur gestellt war. Vielen lieben Dank auch.

Niall ... er brachte mich echt um den Verstand. Seine verheulte Sprachnachricht ließ mich beinahe schwach werden. Wie auch meine Mutter mir erzählt hatte, hatte er seine Beziehung mit Holly beendet. Sie blieb mit der Kleinen im Haus, während Niall sein altes Zimmer bezogen hatte. Laut Mum, wusste er noch nicht, wohin es ihn verschlagen würde. Anscheinend dachte er darüber nach seine alte Wohnung hier in London erneut zu mieten.

Ich wartete nur noch darauf, dass er wiedermal unangekündigt vor der Tür auftauchte, um mir seine Liebe leibhaftig zu gestehen. An den Stand der Dinge, wie ich mich jetzt fühlte, wusste ich nicht, wie ich auf so etwas reagieren würde.

Entweder würde ich komplett ausrasten und den nächst besten Gegenstand nach ihm werfen oder ich würde mich in seine Arme werfen - was allem wieder sprach, was ich von mir selbst wollte.

Und dann gab es auch noch Matt, der mich so gut behandelt wie nie jemand zuvor. Es war schön neben ihn aufzuwachen und es war süß, wie er beim Schlafen aussah. Wie ein kleiner Junge, der ohne seinen Teddy nicht einschlafen konnte - und der Teddy war ich. Egal wie viele Polster ich zwischen uns legte, er schob sie im Schlaf alle zur Seite und hielt mich fest. Als wäre ich ein Sack voll Geld, den er sich nicht entreißen lassen wollte.

So hielt er mich.

Jede Nacht.

Und es ließ mein Herz schneller schlagen, als je zuvor. Was mir überhaupt nicht gefiel. Ich erwischte mich dabei, wie ich zurückdachte. Ging Momente zwischen mir und Matt durch, die mir bereits verraten hätten müssen, was er wirklich fühlte. Und mir fiel auf, dass er mich schon immer auf Händen getragen hatte.

Heute wollten wir Sophies Wunsch nachkommen und einen Club besuchen. Es war gerade später mittags an einem Montag. Zusammen hatten wir gekocht. Hühnchen mit Gemüse und Reis. Wir saßen am Esstisch uns aßen. Sophie erzählte etwas aus ihrer Zeit in Amerika. Matt nickte hin und wieder, der mit dem ganzen Modezeug sowieso nicht zurechtkam. Er tat es nur aus reiner Höflichkeit. Ich hätte mich vielleicht etwas mehr Interesse gezeigt, wenn Harrys komisches Verhalten mich nicht abgelenkt hätte.

Harry sah mich öfter an, öffnete die Lippen und schloss ihn doch wieder. Dann starrte er minutenlang auf sein Display, tippte etwas und starrte wieder darauf.

Fiel das nur mir auf?

Ich wollte ihn schon fragen, aber da sonst niemand außer mir sein Verhalten kommentierte, dachte ich mir, dass ich es mir vielleicht nur einbildete.

Sophie und ich räumten den Geschirrspüler ein und die Jungs, putzen den Tisch ab. Ich wusch mir die Hände und trocknete sie an einem Handtuch ab.

Als ich mich wieder umdrehte, nahm sie Sophie gerade ein Glas aus einem der oberen Schränke und Matt hatte sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt. Nur von dem Lockenkopf fehlte jede Spur. Dann hörten wir, wie die Haustür auf und zu ging.

"Wo ist Harry hin?", fragte ich.

Neben mir drehte sich auch Sophie suchend um. Sie runzelte die Stirn.

Matt reckte das Kinn. "Er sagte, er kommt gleich wieder."

Ich nickte, legte das Handtuch zurück und setzte mich neben Matt.

Die Haustür ging wieder auf und etwas später wieder zu. Man hörte gemunkelt. Dann trat Harry in den Wandbogen, den Kopf leicht gesenkt.

"Harry?", fragte Sophie verwundert. Sie stand auf. "Ist irgendwas?"

Harry winkte ab. "Nein, Honigbiene. Mach' dir keinen Kopf. Wir haben nur Besuch." Dann traf mich sein Blick. "Tut mir leid, Amara. Ich hoffe, du kommst klar."

Bevor ich noch den Sinn verstehen konnte, stand auch schon Niall neben ihm. Mit einer Reisetasche in der Hand die lässig an seiner Schulter baumelte.

Dieser Typ macht mich fertig! Was soll das denn jetzt?!

Matt sprang vom Stuhl auf, er fiel scheppernd zu Boden. "Was willst der denn hier?!"

Niall hob die Hand zum spottenden Grüß. "Das könnte ich dich auch fragen, Kumpel." Seine Augen funkelten hämisch.

Große Güte! Das Drama war mal wieder perfekt.

Niall lachte. Er ließ seine Reisetaschen zu Boden sinken. "Mann, warum bist du immer so unfreundlich zu mir in letzter Zeit?"

Harry hatte den Kopf eingezogen und Sophie sah ihren Freund mit tötenden Blicken an. Ich hingegen, legte eine Hand auf Matts Arm. Matt hatte mir bereits oft genug gesagt, wie sauer er auf Niall war, wegen der Verletzungen in meinem Gesicht. Ihm war es egal, dass Holly diejenige war, die auf mich losgegangen war. Niall hatte genauso Schuld. Außerdem wollte er mich verführen. Ich stand hier auf keinen Fall für Niall ein, da auch ich Teilschuld hatte, aber ich wollte nur den Frieden bewahren.

Niall trat an den Tisch heran und zog einen Stuhl nach hinten. Er setzte sich mir gegenüber nieder. Matt stand noch immer in seiner vollen Größe neben mir. Er sah aus, als würde er Niall in jeden Moment an die Kehle gehen.

"Harry was macht er hier?" Hinter Niall war Sophie zu Harry gegangen. Mit erhobenem Finger zeigte sie auf Niall.

Der Lockenkopf gestikulierte mit den Händen. "Hey, deine Freunde sind auch da. Und Niall braucht für ein paar Nächte eine Unterkunft. Es ist ja nicht meine Schuld, dass sich das Liebesdreieck nicht auf Wolke sieben befindet."

Sophie stampfte mit dem Fuß. "Dann soll er sich ein Hotelzimmer nehmen!"

Während die Diskussion hinter Niall so weiterging, konnte ich Matt dazu überreden sich wieder zu setzten.

Ich vermied es Niall ins Gesicht zu sehen. Das Risiko sich in seinen Augen oder an seinen Lippen zu verlieren war einfach zu groß. Zwar flammte in mir immer noch die Wut von letztens, aber dennoch wollte ich auf Nummer sicher gehen. Sein bloßer Anblick und ein einziges Lächeln waren genug, um mich um den Verstand zu bringen. Meine Handflächen schwitzten bereits und ein flaues Gefühl lag mir im Magen.

"Niall, Spaß beiseite, was willst du hier?", fragte ich ihn, ohne ihn dabei anzusehen. Ich zupfte an einem losen Faden am Saum meines Shirts. "Solltest du nicht bei deiner Familie sein?"

Er japste. "Hast du dir meine Nachricht nicht angehört?"

Ich erwiderte nichts darauf, was ihm als Antwort reichte. So weinerlich er auch geklungen hat und auch wenn meine Mutter es bestätigt hatte, ich konnte einfach nicht glauben, dass er einfach so alles hingeworfen hatte. Fünf Jahre lang hatte er die Chance das zu tun, um zu mir zurückzukommen, aber er hatte es nie getan.

Und plötzlich ging es? Plötzlich wollte er mir den Hof machen? Erst nachdem ich ihm klargemacht hatte, dass ich nicht mehr konnte und keine Lust mehr auf diesen Mist hatte?

Ich werde mich bemühen, um es dir Wert zu sein.

Seine Worte hallten in meinen Kopf wider.

Matt schüttelte abfällig den Kopf. Es war klar, was er von dem allen hier hielt. Nämlich nichts. Absolut nichts. Wäre es nicht für mich, hätte er Niall bereits den Kopf von der Schulter gerissen.

Niall legte eine Hand auf den Tisch. Es war eine Einladung. "Lass uns alleine reden."

Ich zwang mich ihn anzusehen. Sein Gesicht war blass, die Augen rötlich. Dunkle Augenringe umgaben sie.

"Ohne Publikum", setzte er nach und warf einen kurzen Blick auf Matt, ehe er mich wieder ansah. "Bitte."

Ich nahm seinen flehenden Unterton wahr. Und rang mit mir. Es war keine gute Idee. Und deshalb musste die Antwort Nein heißen.

"Du nervst, Niall. Und es geht mir gegen den Strich, dass du hier bist." Den bitterbösen Blick konnte ich mir nicht verkneifen. Zu viel war in den letzten Wochen passiert.

Ich merkte, wie Matt triumphierend zu grinsen begann. Er lehnte sich an seinen Stuhl zurück.

Nialls Hand, die noch immer am Tisch lag, wurde zu Faust. Er presste die Zähne zusammen. "Nur eine Chance, Amara. Gib mir die Möglichkeit mich zu erklären. Bitte."

Ich seufzte. "Du hattest schon so viele Chancen. Wie oft soll ich das noch ertragen? Es läuft immer auf dasselbe hinaus. Wir tun uns nur gegenseitig weh."

"Das ist die Letzte! Ich schwöre es dir, Amara. Die allerletzte." Niall schloss die Augen und atmete aus. "Ich spiele nicht. Ich meine das todernst. Ich möchte nur reden ... und zwar mit dir alleine."

"Was bildest du dir eigentliche ein!", zischte Matt. "Warum sollte sie-"

"Hör auf!", unterbrach ich Matt. Das hier war meine Sache, auch wenn er es nur gut meinte. Ich musste das lösen. Niall war meine Sache ... mein Problem.

So langsam aber doch, wurde mir seine Art mich zu beschützen zu viel. Ab und An musste er wirklich lernen sich zusammenzureißen. Ich bedeutete Matt viel und das rechnete ich ihm hoch an, aber es war meine Sache, wie ich mit Niall umging. Er hatte nicht das Recht sich hier einzumischen.

"Na gut, Niall. Lass uns reden. Alleine."

Wir erhoben uns von unseren Stühlen. Von Matt erntete ich ein schnauben. Bei Harry und Sophie schien ebenfalls zum ersten Mal die glückliche Fassade zu bröckeln. In den vergangenen Tagen, war mir sowieso aufgefallen, dass etwas mit ihnen nicht stimme. Es war, als würden sie uns etwas vormachen. Ich hatte Sophie aber nicht danach gefragt, denn wenn sie darüber sprechen wollen würde, würde sie es tun.

Wir schoben uns zwischen Harry und Sophie am Wandbogen durch. Der einzige Ort, an dem wir hier wirklich alleine waren, war da Gästezimmer, weshalb ich auch dieses ansteuerte. Niall folgte mir.

Ich schloss die Tür hinter uns.

Das Bett war nicht gemacht, eine Hose hing über einen Stuhl. Flaschen standen herum.

Niall sah sich um. Dann drehte er sich zu mir.

"Eindeutig dein Zimmer", kommentierte er grinsend.

Ich rollte mit den Augen und biss mir auf die Lippe um nicht ebenfalls zu grinsen. Er kannte mich zu gut. Doch plötzlich erschloss sein Grinsen. Seine Lippen zogen eine gerade Linie. Sein Blick ging an mir vorbei.

Ich drehte den Kopf und sah was er fixierte. Der Kleiderschrank war einen Spalt geöffnet und es war keine Frauenkleidung, die herauslinste.

Nialls Augen suchten meine. "Schläft er auch hier?"

"Es gibt nur ein Gästezimmer." Ich fand nicht, dass ich mich dafür rechtfertigen musste. Immerhin konnte ich tun und lassen was ich wollte.

"Schläfst du gerne mit ihm in einem Bett?"

Etwas verdutzt verschränkte ich die Arme vor der Brust. "Was soll diese Frage?"

Niall zuckte mit den Achseln. "Ach, du hättest dir auch ein Bett mit Sophie teilen können. Sie hat doch ihr eigenes Zimmer."

Woher wusste er das?

Niall seufzte. "Vergiss es. Darüber wollte ich eigentlich nicht mit dir reden."

"Dann sag schon, was du willst." Meine Nervosität hatte mich fest im Griff und ich trat von einem Fuß auf den anderen. Es war wie immer, wenn ich mit Niall zusammen war. Jede Zelle meines Körpers wollte sich auf ihn werfen. Zwischen Liebe und Verstand befand sich bekanntlich nicht viel. Die Liebe für ihn erdrückte mich und mein Verstand ermahnte mich, mich von ihm fern zu halten.

Niall setzte sich auf das Bett. Auf meine Seite, während ich wie angewurzelt stehen blieb und Sicherheitsabstand einhielt. Er legte die Hände ineinander und ließ den Kopf hängen. Mit der Hand fuhr er sich durch sein braunes Haar. Von seiner Aktion stand es wirr ab. Es lud ein die Finger darin versinken zu lassen.

In meinen Fingerspitzen kribbelte es. Ich konnte mich an das Gefühl seiner Haare zwischen meinen Fingern erinnern. Und gerne hätte ich diesen Impuls nachgegeben.

Um mich nicht in Tagträumen zu verlieren, grub ich meine Finger in meine Seiten.

"Ich hätte einen Vorschlag, damit das hier für uns nicht zu komisch wird", meinte Niall. Er sah auf. Haare lagen ihn auf der Stirn.

Ich hob eine Augenbraue. "Und der wäre?"

Ich beschloss mich zu setzen. Mit dem Kleiderschrank an meinen Rücken zog ich meine Knie an und legte meine Hände um mich.

"Du kannst mich fragen was du willst. Ganz egal was, ich werde dir die Wahrheit sagen", sagte Niall ernst. "Und ich werde dir auch Fragen stellen. So bekommen wir beide unsere antworten. Wir versprechen beide ruhig zu bleiben, egal wie die Antwort ausfällt. Streit hatten wir schon genug und ich möchte es nicht darauf ankommen lassen."

Die Idee gefiel mir. Nickend stimmte ich zu.

"Gut." Niall faltete die Hände zusammen. Dann setzte er sich ebenfalls auf den Boden, mit den Rücken an meinem Bett. Die Bettdecke hing neben Nialls Schulter auf den Boden herab und mein Kissen lag ebenfalls in seiner Reihweite, quer über dem Bett. "Dann frag mich, was du wissen willst, Amara. Lass uns das hinter uns bringen."

Ich lockerte meine Hände um meine Knie. Mit den Fingern malte ich kleine Kreise auf meinen Oberschenkel. Es gab so viele Fragen, die mir auf dem Herzen brannten. Aber ich musste mich auf eine begrenzen. Deshalb nahm ich die erste Frage, die mir in den Sinn kam.

"Warum war es so leicht für dich, mich einfach glauben zu lassen, dass du zurückkommen würdest?"

Niall schüttelte müde den Kopf. "Es war nicht leicht. Ganz und gar nicht. Ich ... ich dachte damals, dass es das Beste für dich gewesen wäre. Du wolltest Charlotte nicht und ich wollte dich nicht unglücklich sehen."

"Ich stand unter Schock, Niall. Ich war bereit mich darauf einzulassen. Du hast mir die Wahl genommen."

Er nickte und erklärte: "Für mich war klar, dass du mich verlassen würdest. Vermutlich habe ich deshalb so gehandelt. Ich habe einen Fehler gemacht." Seufzend legte er den Kopf in den Nacken. "Mehrere sogar."

Da konnte ich ihm nicht wiedersprechen. Niall blieb still.

"Niall ... du bist dran."

Er legte den Kopf nach unten und zog die Knie an. "Ist mit deinem Gesicht alles okay? Warst du beim Arzt?"

"Es tut nicht mehr weh. Ein Arzt war nicht notwendig." Ganz automatisch legte ich einen Finger an meine Lippe. Auf die Stelle, an der die Platzwunde war. Ich fühlte die Wunde noch.

Niall schien ehrlich erleichtert zu sein. "Das ist gut."

Jetzt war ich wieder an der Reihe um Fragen zu stellen. "Hast du wirklich mit Holly Schluss gemacht? Denn du hast mir doch versucht glaubhaft zu machen, dass du wegen deiner Tochter diese Pflicht nachgehen müsstest."

"Ich hatte ein Gespräch mit meinem Vater ... und auch mit Kate. Sie haben mir die Augen geöffnet. Ich selbst muss auch glücklich werden und ... das werde ich nie mit Holly sein. Nie so wie ich es schonmal war. Charlotte wird immer ein Teil von mir sein und ich werde mir alle Mühe dieser Welt geben, um ihr ein guter Vater zu sein. So wie es meiner für mich war."

Das glaubte ich Niall. Ich wusste, wie gern er Kinder hatte und wie gut er mit ihnen umgehen konnte. Auch wenn er in Bezug auf mich Fehler gemacht hat, würde ich nie behaupten, dass er seine eigene Tochter vernachlässigen würde.

Er sprach weiter: "Holly hat es nicht gerade gut aufgenommen, aber sie verstand. Sie war es selbst leid, immer nur die Nummer zwei zu sein. Du kennst sie nicht so gut wie ich, Amara, aber glaube mir ... sie ist nicht so übel. Sie liebt eben genauso leidenschaftlich wie wir ... und das ist ihr Fehler. Unser aller Fehler."

Schnaubend schüttelte ich den Kopf. "So würde ich dieses Biest nicht beschreiben. Auf keinen Fall."

Niall schmunzelte. "Wie gesagt, du kennst sie nicht wirklich. Und ihr müsst auch keine Freunde werden."

"Ganz bestimmt nicht!", murmelte ich. Lieber würde ich mir die Hautabziehen lassen, als ihr die Freundschaft anzubieten.

Dann war Niall wieder mit fragen dran. "Was machst du hier in London? Warum bist du nicht zu Hause?"

Meine Miene verhärtete sich. Zu Hause .... wo genau meinte er denn? Bei Mum und Bobby oder auf Matts Couch? Niall hatte meiner Mum von meinem Geheimnis erzählt.

"Weil ich nicht in deiner Nähe sein wollte."

Die Worte trafen Niall hart. Er presste die Lippen aufeinander. Die Augen begannen zu glänzen. Aber ich ließ ihm keine Zeit um mir hinterher zu weinen.

"Du Arsch hast mich bei meiner Mutter verpfiffen!" Mein plötzlicher Tonwechsel ließ ihn erschreckt zucken. 

Er hob die Hände abwehrend. "Hey, ich wusste nicht, dass es ein Geheimnis war! Warum hast du sie überhaupt belogen?"

"Weil sie dann wüsste, dass ich mein Studium nicht zu Ende gemacht haben!" Ich schlug die Hände über mein Gesicht. Ich hatte immer so große Töne gespuckt, wie gerne ich studieren wollte und wie sehr ich mich darauf freute. All das hatte ich in den Sand gesetzt. Die Katze war sowieso schon aus den Sack. Irgendwann würde ich sowieso zugeben müssen, dass ich Anfang September nicht in einer Schule zu arbeiten begann. Und wenn ich es Niall erzählte, stand die Chance groß, dass Mum es bald erfahren würde und es mir erspart blieb.

"Aber warum, Amara?" Niall wirkte ratlos.

Ich ließ den Kopf nach hinten fallen und sah zur Decke hoch. "Ich habe dir dich schon gesagt, dass ich einiges durchgemacht hatte, als du nicht da warst."

"Geldprobleme?", fragte er leise. 

Nur zögerlich konnte ich mir ein leises Ja erlauben. Es war mir zu peinlich, als es auch nur laut auszusprechen. Zumindest vor ihm.

"Warum hast du dich nicht an mich gewendet? Wozu habe ich es, wenn ich denen die ich liebe nicht damit helfen kann?"

Hörte er sich überhaupt selbst zu?

Ich runzelte die Stirn. "Sag mal, hast du sie noch alle? Glaubst du echt, ich würde wegen Geld zu dir kommen? Du hast mir wehgetan und deine Almosen brauche ich nicht!"

Niall streckt die Beine aus. "So habe ich das nicht gemeint."

Ich sah zu Seite. Ich hatte keine Lust mehr mich mit ihm zu unterhalten.

"Amara komm schon ... sei nicht beleidigt. Wir haben ausgemacht nicht wütend zu werden. Außerdem habe ich das nicht so gemeint, wie du es aufgeschnappt hast."

"Ich bin nicht beleidigt", schmollte ich sehr wohl beleidigt.

Und plötzlich landete ein Kissen in meinem Gesicht. Erschrocken hatte ich nach Luft geholt. Dann sah ich zu Niall, der zu lachen begonnen hatte. Und das erste Mal seit langem sah ich, wie das strahlen seine Augen erreichte.

Jedoch knallte ich ihm das Kissen gleich zurück in sein Gesicht. Sein entsetzter Gesichtsausdruck ließ mich schmunzeln.

Ein Lächeln huschte über seine Lippen.

Dann lachten wir beide und es fühlte sich ehrlicher an, als je zuvor.

Irgendwann fand ich meinen Atem wieder. Nialls Wangen waren gerötet.

"Niall?", fragte ich vorsichtig.

"Hm?"

"Was machst du hier ... und zwar wirklich?"

Nialls Blick blieb derselbe. Ein angenehmes lächeln. Nichts Überhebliches oder Anzügliches. "Ich wollte nur noch ein einziges Mal kämpfen. Für dich und für uns. Ich werde die letzten fünf Jahre nicht von heute auf morgen gutmachen können, aber ich werde mich bemühen. Werde dir alles geben was ich habe. Angefangen mit dem, was dir bereits gehört ..."

Aus seiner Hosentasche, zog er einen kleinen blauen Beutel heraus. Er streckte mir seine Hand entgegen und ich nahm ihn den Beutel ab. Er war federleicht.

"Was ist das?"

"Sieh rein und schau selbst."

Ich zog an dem Band, damit der Verschluss lockerer wurde. Ich ließ die Überraschung auf meine Handfläche fallen.

"Momentan sind Matt und ich nicht so eng wie früher, aber als du es abgegeben hast, hat er mir den Schein geben. Er hat genau gewusst, wie viel sie dir bedeutet hat."

Den Tränen nahe, schlug ich eine Hand auf meinen Mund.

Unkontrolliert löste sich eine Träne nach der anderen aus meinen Augen.

In meinen Händen hielt ich meine Kette. Die Kette mit dem A-Anhänger, die ich gegen Geld getauscht hatte.

Ich konnte mich noch daran erinnern, den Abholschein an Matt weitergeben zu haben.

"Amara ...", erst jetzt merkte ich, dass Niall an mich herangerutscht war. Seine Hand lag auf meiner Schulter. "Bitte, gib sie nie wieder her. Das ist deine Kette."

Nickend schluchzte ich. In meinen zitternden Fingern drehte ich den Anhänger um. An der unteren Kante stand Nialls Name graviert. Die Bilder des Heißluftballons Flug kamen mir in den Sinn. Niall in seinem grauen Anzug und ich in Mums Kleid. Das schönste Date aller Zeiten.

Eine seiner Hände war an meine Wange gerutscht. Er strich die Tränen weg. "Denkst du ... denkst du, dass wir das wieder hinbekommen?"

Ich schluckte den Klos in meinen Hals hinunter. Das ich gefühlsmäßig gerade am Ende war, war wohl kaum zu übersehen.

"Niall ... ich...-"

Er legte beide Hände um mein Gesicht. Sein flehender Gesichtsausdruck schmerzte mich. "Amara ... bitte ..."

Ich legte eine Hand auf seine Wange. "Niall ..., dass ... das war alles was ich ihn den letzten fünf Jahren wollte, aber ... ich bin nicht bereit dazu. Nicht heute, nicht jetzt. Du hast mich zu sehr verletzt."

Niall schmiegte sein Gesicht in meine Handfläche.

"Ich habe alle Zeit dieser Welt. Für dich würde ich für immer warten."

 

Nicht direkt perfekt

 

Vor dem Spiegel stehenden kontrollierte ich zum letzten Mal mein Outfit. Nach dem heutigen Tag freute ich mich eigentlich schon darauf in einen Club zu gehen und etwas die Realität zu vergessen. Sophie lag uns außerdem schon die gesamte Woche über in den Ohren, dass wir endlich tanzen gehen sollten.

Im Flur traf ich auf die anderen.

Sophie selbst hatte sich aufbrezelt, als würde sie den nächsten Catwalk laufen. Harry trug schlichte schwarze Jeans, gepaart mit glänzenden Lederschuhen und einem Hemd, dessen ersten vier Knöpfe geöffnet waren. Man sah den Ansatz seiner Tattoos und wenn er gewisse Bewegung machte, schielten seine Nippel heraus.

Sehr gewagt. Aber eben typisch Harry.

Hinter dem Paar ragte Matt in die Höhe. Wie fast immer trug er ein weißes Shirt. Es war enganliegend und betonte den muskulösen Oberkörper.

Matts Augen wanderten an mir hoch und runter. Das Kleid, das Sophie mir aus ihrem Kleiderschrank gegeben hatte, schmiegte sich wie eine zweite Haut an meinen Körper. Es schimmerte im Licht wie eine Discokugel. Eigentlich wollte ich eine Jeans und ein einfaches Shirt anziehen, aber damit wollte mich Sophie nicht aus dem Haus lassen.

"Wow! Ich habe dir doch gesagt, dass dir das stehen wird!", sagte Sophie, die zufrieden grinste.

Und sie hatte recht. Ich fand auch selbst, dass ich toll aussah.

"Ja, danke." Ich lächelte verlegen.

Etwas weiter hinten ging die Tür auf. Niall kam umgezogen aus dem Badezimmer heraus. Dunkelblaue Jeans gepaart mit schwarzem Hemd. Im Gegensatz zu Harry waren Nialls knöpfe geschlossen. Sein Haar war wieder gestylt und das Gesicht schien ebenfalls nicht mehr so bleich zu sein.

Harry hatte Niall die Couch im Wohnzimmer für die nächsten zwei Tage angeboten. Was hieß, dass ich Niall die nächsten zwei Tage nicht mehr entkommen konnte. Und zu unserem Tanzabend hatte er sich einfach selbst eingeladen.

Nach unserem Gespräch lag ein ungewisses Gefühl in der Luft. Er hatte mir praktisch sein Herz auf dem Silbertablett serviert. Aber was sollte ich davon halten? Wie lange würde es dauern, bis er mich wieder gegen Holly eintauschte? Wie lange würde er dieses Mal zu mit stehen?

Ich hatte noch keine Gelegenheit Matt darauf anzusprechen, dass er Niall irgendwann den Schein zur Abholung meiner Kette gegeben hatte.

Warum hatte mein bester Freund das getan?

Schließlich konnte ich sehen, dass sich beide gerade alles andere als ausstehen konnten - und das war meine Schuld. Was mir überhaupt nicht gefiel. Sie waren schon ewig die besten Freunde und ich wollte nicht die Schuld daran tragen, wenn ihr Freundschaft zerbrach. Das war ich definitiv nicht wert. Immerhin empfand ich nicht dasselbe für Matt. Er sah sie zum Anbeißen gut aus und alles ..., aber mein Herz schrie nicht nach ihm. Das tat es noch nie. Egal was er mit seinen netten Gesten und Berührungen in mir auslöste, da war nicht mehr und da würde auch nie mehr sein. Mein Herz schlug für den Mistkerl, der mich fünf Jahre lang hatte warten lassen, während er sich mit meiner Erzfeindin vergnügte und auf Happy Family machte.

Und jetzt war dieser Mistkerl nur ein Wort entfernt. Ein einfaches Ja, würde schon ausreichen, um ihm wieder als festen Bestandteil meines Liebeslebens zählen zu dürfen.

"Wollen wir los?", fragte Niall in die Runde.

Blicke wurden ausgetauscht.

Wir nickten synchron und verließen das Anwesen. Vor der Einfahrt stand bereits eine schwarze Limousine.

Meine Augen wurden groß. "Wir fahren mit einer Limo?"

Noch nie in meinem Leben war ich mit einer Limousine gefahren. Hin und wieder hatte ich schon mal eine gesehen, aber darin gesessen hatte ich noch nie. Das entsprach für mich purem Luxus.

Sophie schmunzelte. "Klaro. Wir reisen mit Stil!"

Ein Mann in seinen frühen Vierzigern öffnete die Tür für uns.

Sophie nahm mich an der Hand und zog hinein. Ich duckte mich und ließ mich auf die weiße Ledercouch nieder, die sich länglich an der linken Seite entlang zog. Mehrere Runde weiße Deckenleuchten leuchteten das Innenleben aus. An der Mitte der Decke funkelten kleine grüne Lampen, die wie Sterne aussahen. An der gegenüberliegenden Seite des Wagens, die in Hand nähe war, befand sich eine Bar mit gekühlten Champagner, Mineralwasser, Coca-Cola und anderen Limonaden. Darüber in die den Wagen eingebaut, befand sich ein Monitor und eine Anlage. Während ich alles unter die Lupe nahm, nahm Harry neben mir Platz, gefolgt von Niall und Matt.

Sophie übergab die Flasche Champagner an Harry weiter, der die Flasche öffnete. Sie nahm zwei Gläser und hielt sie über mich gebeugt in Harrys Richtung, der beide befüllte. Dann drückte sie mir ein Glas in die Hand.

Ich verzog die Lippen. Ich hatte schonmal Champagner gekostet, deshalb wusste ich, dass er mir nicht schmeckte. Da ich aber nicht die Spielverderberin mimen wollte, setzte ich ein Lächeln auf. 

Auch die Jungs füllte sich ihre Gläser an. Dann prosteten wir uns einander zu und tranken.

Während der Fahrt hatte Niall die Musikrichtung bestimmt, während er Matt mit bösen Blicken durchbohrte, der wiederum mich von der Seite an schmollte. Harry hatte einen Arm um mich gelegt, um Sophie in die Wange zu piksen, da zwischen ihnen der Haussegen schief hing. Seitdem ich mein Gespräch mit Niall geführt hatte, sprachen die zwei nicht mehr miteinander. Es war also eine ziemlich unangenehme Situation zwischen ihnen zu sitzen.

Sophie schlug seine Hand aus ihrem Gesicht. "Hör endlich auf, Harry!"

"Honigbiene ...", murmelte Harry.

Zwar war die Fahrt in einer Limousine ziemlich aufregend, freute ich mich dennoch, als wir endlich an unserem Ziel ankamen und ich mich aus dieser Lage retten konnte.

Vor dem angesagten Club war ein roter Teppich ausgerollt. Eine lange Schlange wartender Partygäste regte ihre Köpfe, als sie Harry, Niall und Sophie sahen. Das Gekreische ging los. Schon beinahe hatte ich vergessen, wie sich das angehört hatte. Mit Prominenten wie Niall war ich schon lange nicht mehr an der Öffentlichkeit gewesen. Aber ich vermisste es nicht. Kein Stück. Ich liebte meine Privatsphäre und das ich nicht auf jede Kleinigkeit aufpassen musste, die ich sagte oder tat. Heute jedoch musste ich wieder achtgeben.

Die Türsteher ließen uns ohne viel Tummelt an ihnen vorbei und eintreten. Ein Meer aus tanzenden Menschen eröffnete sich vor uns. Ich fühlte den Bass in den Knochen. Schwarzlicht ließ die Neonfarben leuchten. Bunte Haare leuchteten in der Dunkelheit hervor, sowie die aufgemalten Tattoos.

"Amara!", schrie Sophie über die laute Musik hinweg. Mit dem Finger zeigte sie auf einen Bereich in der rechten Ecke der Diskothek. Dort bemalten sich Menschen gegenseitig, mit den leuchtenden Farben.

"MAKE-UP STATION", stand in heller Schrift auf einem Plakat.

Ich nickte wissend. Ja, das wollte ich auch ausprobieren.

Sophie hackte ihren Arm bei meinen ein und marschierte mit mir an besagte Ecke. Einige junge Frauen waren bereits dabei sich das leuchtende Puder in die Haare zu massieren. Die verschiedenen Farben, aus Puder, Cremes und Stiften lagen auf einen langen Tisch verteilt. Man durfte sich bedienen wie man wollte.

Grinsend drehte sich meine Freundin zu mir um. Sie hatte ihren Finger in orange Farbe getunkt, die sie sich auf die Lippen schmierte, als wäre es Balsam. Mit blauer Farbe malte sie sich jeweils zwei Streifen an ihre Wangen.

Sophie malte sich mit einem der Stifte einen Ring um den Unterarm. Sie verzierte ihn mit verschieden Mustern, die allesamt in anderen Farben leuchteten.

"Auf was wartest du?", schrie Sophie. Dann drückte sie mir einen Pinsel in die Hand, dessen Borsten Neongrün leuchteten.

Da ich nicht sonderlich künstlerisch begab war, bezweifelte ich, dass, wenn ich mir etwas auf die Haut malen würde, es sonderlich gut aussehen würde. Ich beneidete eine Frau, die einen perfekt geformten Schmetterling an der Wange trug. So etwas würde ich nie hinbekommen.

Plötzlich fühlte ich eine Hand an meinen Rücken. Ich drehte mich um. Sein weißes Shirt leuchtete im Schwarzlicht, wie eine Lampe.

"Kannst du mir etwas Schönes auf den Arm zeichnen?"

Matt grinste und nahm mir nickend den Pinsel ab. Glück für mich, dass er Talent besaß. Er sah sich auf dem Tisch nach Farben um, schob sich mehrere näher heran und begann schließlich bunte Linien an meinen Oberarm zu zeichnen.

Ich sah zu Sophie hinüber, die sich mit dem Haarpuder einzelne Strähnen färbte. Mein Blick fiel auf meinen Oberarm. Was er da malte, konnte ich noch nicht ausmachen, aber es sah irgendwie aus wie ... ein Gesicht?

Matts Stirn schlug Falten. Er schien sich wirklich sehr zu konzentrieren. Ich wollte ihn nicht stören, da ich schon dankbar genug war, dass er mich verschönerte, dennoch brannte mir die Frage schon seit Stunden auf der Zunge.

"Warum hast du Niall meine Kette holen lassen?"

Er runzelte die Stirn und hielt in der Bewegung inne. "Was?"

Die Musik war laut. Kein Wunder, das er mich nicht verstanden hatte. Deshalb wiederholte ich meine Frage einen ticken lauter.

"WARUM HAST DU NIALL MEINE KETTE HOLEN LASSEN?"

Matt biss auf seiner Unterlippe herum. Dann zeichnete er noch mit zwei Schwüngen das Bild an meiner Haut fertig und legte den Pinsel ab. Sanft ließ ich mich von ihm in einen dunkeln Korridor führen. Etwas weiter hinten befanden sich laut dem Schild an der Wand die Toiletten.

Die Musik war hier etwas gedämpfter, weshalb wir nicht mehr so schreien mussten. Ich hatte mich an die Wand gelehnt und wartete auf seine Antwort. Seine Finger leuchteten rötlich von der Farbe.

"Ich dachte, dass du sie wieder zurückwolltest."

"Natürlich wollte ich das. Es ist mir nicht leichtgefallen sie wegzugeben. Aber warum ausgerechnet ihm? Du ...-" Matt mochte mich, er war in mich verliebt. Hätte er also Bonuspunkte sammeln wollten, hätte er sie mir gebracht.

"Amara." Er legte eine Hand auf meine Wange. Sein Daumen strich fein über meine Lippen. "Mach dir nicht so viele Gedanken. Ich habe dir doch gesagt, dass ich weiß, dass du nicht dasselbe fühlst. Außerdem habe ich ihm den Schein auf seiner Verlobungsparty gegeben, weil ich dir damals helfen wollte, ihn zurückzugewinnen. Ich hatte gehofft, es würde etwas in ihm auslösen. Dass er erkennt, was für einen Fehler er gemacht hat." Seine Finger lösten sich von meiner Lippe, denn er nahm den A-Anhänger stattdessen. "Er hat sie geholt. Es muss also etwas gebracht haben."

Er holte tief Luft und machte einen Schritt zurück. Matt lehnte sich mir gegenüber an der Wand an. "Weißt du Mara, es tut schon weh zu wissen, dass man nie das haben kann was man will. Deswegen bin ich auch so sauer auf Niall. Die Eifersucht zerfrisst mich. Er hat so viel falsch gemacht, aber trotzdem willst du ihn."

"Das Herz will, was es will. Ich kann es nicht ändern Matt. Und es tut mir leid."

Mittlerweile hatten seine Augen zu glänzen begonnen. "Ja, mir auch, Amara. Es tut mir leid, dass ich so fühlte. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich eine andere lieben. Ich möchte unsere Freundschaft nicht gefährden."

Ich ließ die Schultern hängen. "Das möchte ich auch nicht. Dafür bist du mir zu wichtig. Du bist mein bester Freund und ich wüsste nicht, was ich ohne dich getan hätte. Ich liebe dich als mein bester Freund, der immer für mich da ist und mich bei den idiotischsten Ideen unterstützt."

Mit der flachen Hand fuhr er sich durch sein Haar. "Ja, ich bin ja auch ein Idiot. Klar, dass ich überall mitmache, um deine Gunst zu erlangen." Verzweifelt drehte er sich einmal mit ausgebreiteten Armen um sich selbst. Dann zeigte er auf mich. "Du hättest niemals versuche sollen, diesen Kerl abzuschleppen. Dadurch sind wir im Bett gelandet! Und ich ... ich kann an nichts anderes denken als dir nahe zu sein."

Plötzlich wütend drehte er sich um und schlug mit der Faust auf die Wand ein. Der Abdruck seiner Faust, war nun an der Wand zu sehen.

Geschockt stieg ich einen Schritt auf ihn zu. "Matt ..."

"Fuck!", fluchte er und schüttelte die Hand, mit der er zugeschlagen hatte. Sein Gesicht war schmerzverzehrt. "Lass mich jetzt in Ruhe Amara. Ich brauche Luft."

Sprachlos blieb ich im Gang stehen, als Matt mich stehen ließ. Ich rutschte an der Wand nach unten und zog die Knie an. Mein Gesicht vergrub ich in den Händen.

War, dass das Ende von Amara und Matt? Von Mara und Matt? Das konnte es nicht sein. Meine Augen brannten, aber es löste sich keine Träne.

Ich warf einen Blick auf meinen Oberarm. Ich hatte Matt gefragt, ob er mir etwas Schönes zeichnen könnte ... und das schönste was ihm eingefallen war, war mein Gesicht in Form einer Comicfigur.

Trübsal blasen stand nicht auf meinen Plan für heute, deswegen stand ich auf. Ich brauchte unbedingt einen starken Drink. Alkohol machte gewisslich alle Sorgen leichter - auch wenn er der falsche Weg war.

Ohne auf meine Umgebung zu achten marschierte ich zur Bar. Ich setzte mich auf einen der freien Hocker und bestellte einen Whiskey. Ein Stück Zitrone und Eiswürfeln schwammen darin. Ich kippte es in einem Schluck hinunter und orderte den nächsten, mit dem ich es gleichtat.

Die Hitze stieg mir bereist in die Wangen, als ich jemanden neben mir bemerkte.

"Darf ich dich einladen?"

Ich schob mein leeres Glas von mir. "Gerne.

"Ein Bier und eine Pina Colada, bitte."

Ich drehte mich am Barhocker zu Niall um. Er nahm seine Brieftasche heraus und legte einen Schein auf den Tresen. Währenddessen konnte ich einen kurzen Blick auf das Foto erhaschen, das darin klebte.

"Ist das ein neues Foto?"

Niall sah mich fragenden an und folgte meinen Blick. "Ähm, ja. Zirka ein Monat." Er zog es aus dem Seitenfach heraus und schob es mir zu.

Charlotte sah süß aus mit den Zöpfchen, dem großen Lächeln und der Zahnlücken.

"Süß."

Ich gab Niall das Foto zurück. Dann brachte der Barkeeper uns die Getränke. Wir prosteten uns zu und nahmen einen Schluck, dabei verzog Niall die Lippen.

"Was würde ich jetzt nur für ein irisches Bier geben ..."

Mit dem Spieß, auf dem ein Stück Ananas steckte, in den Fingern, sah ich ihn schief an. "Keiner hat dich dazu verpflichtet hierherzukommen. Warum bist du nicht in Mullingar geblieben, wenn es dir dort besser gefällt?"

Niall stellte das Glas auf den Untersetzer. Er hielt sich an der Bar an und wippte mit den Beinen hin und her. "Wollte ich auch eigentlich. Das war eine", er wog den Kopf hin und her, "... spontane Aktion. "Aber ich habe noch den Geburtstag mit Charlotte verbracht. Ansonsten wäre ich schon eher hier gewesen."

Ich biss von der Ananas ab und legte das Stück Schale auf eine Serviette. "Sechs wurde sie glaube ich, oder?"

"Ja. Sechs Jahre. Im September beginnt sie mit der Schule. Dann geht das Lernen an."

Irgendwie musste ich schmunzeln, als ich mit vorstellte, wie Niall mit Charlotte die Hausaufgaben machte.

"Also, das heißt du fliegst wieder zurück nach Irland? Oder was ist dein Plan?", hackte ich nach.

Niall studierte die Kreidetafel mit den Alkoholischen Getränken. "Ich habe morgen Nachmittag einen Termin mit meinem alten Vermieter. Wenn es klappt, bekomme ich mein Apartment zurück." Er seufzte und rieb sich die Stirn. "Ich hätte es nicht wieder überstürzen sollen. Dann wäre dieser ganze Aufwand jetzt nicht nötig."

Ich nahm das geschwungene Glas und sog am Strohhalm. Den weißen Rum nahm ich sehr intensiv war. Der Barkeeper hatte es wohl etwas zu gut gemeint.

"Meinst du den Hauskauf?", fragte ich nach, um ihn besser zu verstehen.

Niall wandte sich mit zu. Er lehnte den Oberkörper an die Bar an. "Ja, das. Und auch meine Verlobungen. Keine Ahnung was ich mir immer dabei gedacht habe."

Schmunzelnd stellte ich mein Glas ab und bediente mich an der Schale mit gesalzenen Erdnüssen. "Mir scheint es, als wärst du gerne verlobt. Verheiratet nicht, aber ... verlobt."

"Ja, sieht wohl so aus." Niall presste die Lippen zusammen.

Er nahm sein Glas in die Hand und hielt es lässig. Seine Augen hingen an meinen Hals und da blieben sie auch, während er trank. Schaum blieb auf seiner Oberlippe kleben, den er sich mit den Handrücken wegwischte. "Ich bin übrigens froh, dass du die Kette wieder trägst. Hast du sie mit Absicht mit diesem Zeug angemalt?"

Ich runzelte die Stirn und angelte nach dem Anhänger. Er leuchtete rot. Die Farbe blieb an meinen Fingern kleben, die nun ebenfalls leuchteten.

Mit einem Finger, hob Niall meinen Kopf an. "Deine Lippen leuchten auch etwas rot. Und das sage ich nicht, um auf sie starren zu können", er zwinkerte mir zu.

Woher war diese verdammte Farbe? Ich hatte mir weder die Kette angemalt, noch meine Lippen. 

Ich schnappte mir eine Serviette und wischte mir die Farbe von den Lippen. Niall beobachtete mich und schüttelte kichernd den Kopf. Er nahm mir die Serviette ab. "Du verwischt es nur. Komm her ..."

Mit seinen befeuchteten Daumen rieb er mir unter meiner Lippe entlang. Er leckte sich seinen Finger erneut ab, der jetzt auch rötlich schimmerte. Ich wollte mich winden, weil ich mich nicht mit seinen von spucke befeuchteten Daumen säubern lassen wollte. Aber er hielt mich schmunzelnd am Arm fest. "Jetzt hab dich nicht so. Du weißt, dass ich nicht giftig bin."

"Ja, aber ich bin nicht Charlotte. Bei ihr kannst du das ja gerne machen", maulte ich. Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, das bemuttert wurde.

Provozierend hob Niall eine Augenbraue. "Tja, dafür erinnerst du mich mit deiner schmollenden Art gerade aber ziemlich an meine Kleine."

Ich verzog die Lippen. Er verglich mich gerade mit einer sechsjährigen.

Er grinste. "Zieh nicht so eine Schnute."

"Ich ziehe keine Schnute!", brummte ich missmutig, hielt aber schlussendlich still.

Mit zusammengekniffen Augenbrauen legte Niall die Serviette weg. "Die Farbe hält gut. Ich habe sie nicht ganz wegbekommen."

"Sieh es recht unordentlich aus? Sonst verschwinde ich kurz mal zum nächsten Waschbecken."

Er schüttelte den Kopf. "Ich denke, du kannst es lassen. Ich könnte die Farbe auch einfach wegküssen, wenn du willst."

Eigentlich hätte mich sein selbstgefälliges Grinsen an den Rand des Wahnsinns treiben müssen, was aber nicht geschah, da er mich stattdessen vollkommen ernst ansah.

Ich sah ihn tadelnd an. Ihm musste bewusst sein, dass das nicht in meinem Interesse war. Da meine Reaktion auf seine Erläuterung anderes ausfiel, als mein Inneres es verlangt hatte, streifte mein Blick seine Lippen. Sie luden mich praktisch ein.

Sein Mundwinkel zuckte vergnügt.

"Es wäre nur ein kleiner Kuss Amara. Was wäre da schon dabei?"

Ich rührte mich nicht, als er sich zu mir vorbeugte, dabei konnte ich deutlich den Geruch von Bier in seinem Atem wahrnehmen. Einer seiner Hände lag auf meinem nackten Bein unter dem Stoff meines Kleides.

Ich legte eine Hand auf seine und versuchte sie von mir zu schieben, aber er ließ nicht locker.

"Niall ... das geht nicht."

Seine Augen funkelten im flackernden Licht gequält. Dann schmiegte er eine Handfläche an meine Wange. "Ich weiß."

Niall rückte wieder von mir ab und widmete sich stillschweigend seinem Getränk. Ich tat es ihm gleich und nutze die Gelegenheit in der Menge nach meiner Freundin zu suchen - was sich aber als ziemlich schwierig herausstellte. Der Club war Rammel voll.

Man müsste wirklich meinen das Promis unter all diesem Tumult trotzdem auffallen müssten. Von Harry sah ich auch weit und breit nichts. Vielleicht befand sich das Paar in irgendeiner Nische um sich zu ... "Entschuldigen".

Ich musste an Matt denken. Dass er sauer von hier abhauen würde, hätte ich nie gewollt. Genau das hatte ich berührtet: unsere Freundschaft begann bereits zu bröckeln. Das war eben dieses Spiel mit der Liebe. Unerwiderte Liebe ist immer die schlimmste. Es tat mir ehrlich leid für ihn aber ..., ich konnte es nicht ändern. Egal wie sehr ich es auch vielleicht ändern würde, es ging nicht. Und ihm falsche Gefühle vorzugaukeln wollte ich auch nicht. Im Endeffekt würde ich uns beiden damit nur wehtun.

Mein Cocktail war geleert so wie auch Nialls Bier. Wir schwiegen noch immer. Sehnsüchtig sah ich der tanzenden Menge zu. Ich wollte auch tanzen. Und nichts und niemand konnte mich davon abhalten Spaß zu haben, deswegen rutschte ich vom Hocker und mischte mich unter die Leute.

Ich bewegte mich zur Musik, warf meine Hände in die Höhe, wobei meine Armreifen hin und her rutschten. Ich blendete die Umgebung aus und genoss das Kribbeln auf meiner Haut. Eigentlich hatte ich Niall neben mir erwartet, aber mit einem kurzen Seitenblick, sah ich, dass er noch an Ort und Stelle an der Bar stand. Mit einem neuen Trink in der Hand und den Augen auf mir.

Und so tanzte ich vier, fünf, sechs Lieder. Der Song wechselte und die Menge jubelte. Ich drehte mich und tanzte mich so weiter in die Mitte der Tanzfläche vor. Eine Hand lag auf meiner Hüfte, ein junger Mann mit gelocktem schwarzem Haar lächelte. Ich ließ mich auf einen Tanz mit ihm ein. Ließ mich von ihm Führen und Berühren. Wie lange würde es wohl dauern bis ...

... er grob von mir gerissen wurde. Nialls verbitterte Miene sprach Bände. "Hau ab!"

Mein Tanzpartner sah verdutzt zwischen uns hin und her, bis er nachgab und Leine suchte. Ich war nicht sauer auf Niall, denn ich hatte es bereits erwartet.

Ich zog ihm an den Schultern an mich und schrie über die Musik hinweg: "Du hast meinen Tanzpartner verschmäht! Jetzt musst du hinhalten."

Er sah mich nicht sonderlich begeistert an, ließ mich aber auch nicht stehen. Stattdessen nahm er meine Hand, drehte mich unter seinen Arm hindurch und zog mich eng an seine Brust. Meine Hände suchten ihren Weg an seinen Nacken. Ganz sanft ließ ich meine Hände über seine Haut wandern. Seine Lieder flatterten. Seine Hand schob sich langsam an meine Wirbelsäule.

Mein Körper reagierte mit einem wohligen Kribbeln, das ich tunlichst zu ignorierte versuchte. Wäre es nicht mein Recht nachtragen zu sein, hätte er mich mit seinem Charme längst wieder um den kleinen Finger gewickelt. Fünf Jahre hatte ich auf ihn gewartet. Fünf Jahre in denen er lieber Zeit mit dem Feind verbrachte. Und doch ... ganz plötzlich wollte er mich wiederhaben und ich hätte diese Chance liebend gern genutzt.

Ich drehte mich in seinen Armen. Seine Hände waren überall. Ein Schauer nach dem anderen glitt mir über den Rücken. Nialls Lippen küssten eine intensive Stelle unter meinen Hals.

Die Temperatur im Club stieg schlagartig um mehrere Grade an. Mir wurde heiß. Bevor ich noch reagieren konnte löste Niall seine Lippen von meiner Haut, schob mit einer Hand mein Gesicht in seine Richtung und küsste mich, wie aus dem nichts. Ganz sacht streiften seine Lippen meine. Ich schloss die Augen und spürte ein paar rasende Herzschläge. Er küsste mich mit so einer Zärtlichkeit, die mir das Gefühl gab, als Glas zu bestehen. Innerlich blühte ich auf. Es war die Leidenschaft die mich vom Hocher haute, die Intensität der Emotionen, die mich überrollten. Dieser Kuss war anders, als der letzte. Er verriet alles.

Seine Lippen löste sich von meinen und am liebsten hätte ich geschrien. Ich wollte ihn. Mein Herz wollte ihn. Mein Körper wollte ihn. Aber mein gesunder Menschenverstand wollte ihn nicht.

Inzwischen von Betrunkenen und Tanzwürdigen Partygästen standen wir uns atemlos gegenüber. Wir sahen uns in die Augen ... und ich wusste, dass ich noch nie ein schöneres Gesicht gesehen hatte, als dieses.

Mit seinem Daumen streichelte er zärtlich meine Wange. Eine Geste, die mich dahinschmolzen ließ. Meine Knie wurden weich.

Diese verdammten Gefühle fielen mir wieder einmal in den Rücken. Es war nicht richtig mich einwickeln zu lassen. Für alles was er mir angetan hatte, sollte er bis zum Ende aller Tage auf mich warten müssen!

Und dafür, behaupten zu können, dass der Alkohol schuld war, dass ich so fühlte, hatte ich zu wenig getrunken. Mein Körper war bei verstand und er wusste was er wollte ...

"Amara ...", hauchte Niall an meine Lippen. Für eine Sekunde hatte ich gedacht, dass er mich erneut küssen würde, wovon mein Körper ihn definitiv nicht wieder aufgehalten hätte. Dazu zitternden meine Hände zu sehr. Verräterische Hände. "... lass uns eine Dummheit begehen."

"Was?", fragte ich.

Niall rückte noch näher an mich heran. Auch seine zweite Hand lag nun auf meinem Gesicht. Er sprach etwas lauter: "Lass uns eine Dummheit begehen. Wir zwei sind doch bekannt dafür."

Verwirrt schob ich die Augenbrauen zusammen. Ich verstand nicht, was er mir damit sagen wollte. Von welcher Dummheit sprach er? Davon zusammen das Eis zu brechen und uns der Leidenschaft hinzugeben? Einen weiteren von diesen starken Pina Coldas noch und ich wäre bestimmt dabei ...

Sein Gesicht hellte sich auf. Ein sanftes Lächeln um spiegelte seinen Mund. "Ich liebe dich, Amara und daran hat sich noch nie etwas geändert." Nialls Hände verließen meine Wangen. Er sank zu Boden und kniete sich vor mir.

Hallo, deja vu.

Einige Blicke lagen nun auf uns. Ich versuchte ihn zum Aufstehen zu zwingen, aber er ließ es nicht zu.

Ich packte ihn an den Schultern. "Steh sofort auf, Niall!"

Niall nahm meine Hände und schob seine Finger zwischen meine.

"Heirate mich. Am besten heute noch."

Jetzt drehte er vollkommen durch.

Meine Ohren bluteten. Ich warf die Hände hoch. "Bist du bescheuert?! Hör auf solchen Mist zu reden! Steh endlich auf! Wie betrunken bist du eigentlich?!"

Er schüttelte den Kopf und stand endlich auf. "Ich bin nicht betrunken. Ich bin bei klarem Verstand ... und mein Verstand sagt mir, dass ich das schon vor Jahren hätte tun sollen. Wir wären längst verheiratet, wenn ich nicht-"

Ich legte ihm einen Finger auf die Lippen. Er sollte endlich still sein. Dass hier in mitten von Publikum und in einer Disco zu besprechen hielt ich für äußerst unangebracht. Aber für gutes Timing war Niall ja noch nie bekannt gewesen.

Eines war mir klar: wir mussten hier raus. Hier konnte ich keine klaren Gedanken fassen. Niall drehte gerade vollig am Rad. 

Wir schlugen uns durch die Menschenmenge und verließen den Club. Ich hatte versucht Sophie zu finden, die aber wie vom Erdboden verschluckt schien. Damit sie sich keine Sorgen um mich machte, schrieb ich ihr eine kurze Nachricht, dass Niall und ich den Club verlassen hatten, um etwas Luft zu schnappen - die wir beide bitter nötig hatten.

Für Anfang Juli war es wie gewöhnlich schwül. Autos preschten an uns vorbei, während wir die Straße entlangliefen. Ich war froh, dass uns keiner der Passanten ansprach. s

Ich legte die Arme um mich nachdem ich mein Telefon nach einer Nachricht von Sophie gecheckt hatte. Nichts.

Niall hatte in den letzten Metern sein Hemd aufgeknöpft. Mich wunderte es nicht, dass ihm warm gewesen sein musste, denn unter seinem Hemd trug er noch ein Shirt.

Er kickte einen Stein vor sich her. "Und? Hast du darüber nachgedacht?"

Ich warf ihn einen ungläubigen Seitenblick zu. Er konnte doch nicht wirklich denken, dass ich darüber nachdachte ihm in Las Vegas Stil zu heiraten. "Vergiss es. Wie kommst du überhaupt auf so eine dumme Idee?"

Niall zuckte mit der Schulter. "Was ist dumm daran?"

"Das fragst du noch?" Ich konnte nur den Kopf schütteln. Irgendjemand musst ihm etwas ins Glas geworfen haben.

Seufzend rieb ich mir die Stirn. "Möchtest du nicht etwas Zeit alleine verbringen? Sich von einer Beziehung in die nächste zu stürzen, kann doch nicht gut sein. Finde dich doch erst mal selbst. Single sein, soll angeblich Spaß machen ..."

Dazu konnte ich zwar nicht sagen, dass es stimme, denn es war eine grauenhafte Zeit und ist es immer noch. Aber ich bin mir sicher, wenn man nicht an einem gebrochenen Herzen leidet, dass es wirklich Spaß machen konnte. Vor allem wenn man offen war ... für gewisse Dinge. Und Niall schien mir sehr offen zu sein. Immerhin hatte er mich relativ schnell ersetz.

Niall nahm meine Hand und hielt sie, als wäre es das natürlichste der Welt. "Das muss ich nicht. Ich habe mich doch schon gefunden. Du bist mein Gegenstück, du machst mich ganz."

Mir entkam ein tiefes Lachen. "Ja, ist klar. Holly war sicher auch hin und weg von dieser Anmache", sagte ich bitter.

Abrupt blieb Niall stehen. "Amara, das habe ich nie zu Holly gesagt. Denn da stimmte es nicht. Sie-", er stockte, als würde er sich seine nächsten Worte genau überlegen. "Ja, sie war meine erste große Liebe, als ich ein Teenager war. Aber es hat damals nicht zwischen uns funktioniert, weil sie zu Eifersüchtig war. Wir hatten damals nur deshalb Schluss gemacht. Ich habe sie geliebt und hing auch an ihr. Aber dann habe ich dich getroffen. Und du ... du hast mich im wahrsten Sinne des Wortes umgeworfen. Und ich wollte dich nicht unglücklich machen. Ich hatte das alles nicht so geplant. Bitte glaub mir."

Er strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und hinter mein Ohr. "Ich habe dich nie losgelassen, stand oft vor der Universität und habe dich wie ein Stalker beobachtet. Mein Dad wurde von mir ausgefragt, wie es dir ging, denn deine Mutter konnte ich unmöglich fragen. Immerhin war ihre größte Sorge eingetroffen. Ich hatte mit meinem Fehler die Familie gespalten. Und jetzt weiß ich, dass es mir ebenfalls zusteht glücklich zu sein. Mit dir. Und das möchte ich. Aber nichts desto trotz, werde ich auch der beste Vater für Charlotte sein."

Konnte dieser Kerl einmal nicht versuchen die Worte wie Honig um mein Maul zu schmieren? Er machte es mir nicht gerade einfach, meine Beherrschung im Zaun zu halten.

Er sah mir fest in die Augen und sprach weiter: "Ich liebe dich und du liebst mich. Da gibt es keinen Zweifel."

Ohne es zu wollen nickte ich benommen.

"Bleib hier in London, deiner Lieblingsstadt. Mach die Uni fertig, such' dir einen Job in dem du glücklich wirst und sei an meiner Seite. Werde meine Frau, sei eine Mutter für unsere Kinder. Und sei meine größte Inspiration."

Ein Herz schlag.

Zwei Herzschläge.

Drei Herzschläge.

Tränen stiegen mir in die Augen. Bilder der vergangenen Jahre schossen mir durch den Kopf. So lange hatte ich seinetwegen gelitten. Hatte mir Vorwürfe gemacht, was ich falsch gemacht hatte, um ihn an sie zu verlieren. Ich war am Boden. Das alles von Niall zu hören, alles was ich in den letzten Jahren hören wollte, war zu viel. Ich konnte nicht so dumm sein. Das ging einfach viel zu schnell. Und doch brannte mein Herz für Niall. Es verlangte danach ihm sofort in die Arme zu schließen.

Ich japste schluchzend. "Aber du ... du und Holly ... und Charlotte ... du kannst nicht ..."

Mein gestotterte wurden von einem paar Lippen unterbrochen. Das Feuer in mir brannte Lichterloh. Ich spürte sein pochendes Herz an meiner Brust. Unsere Lippen tauschten die unausgesprochenen Worte aus.

Niall legte seine Stirn auf meine. Ich konnte mir ein schüchternes Lächeln nicht verkneifen. Früher hatte ich immer ihn in meiner Zukunft gesehen. Wir beide in einem Haus mit Kind. In diesem Moment schien der Gedanke nicht weit entfernt. Wir waren beide alt genug, um eine solche Entscheidung zu machen. Er war dafür, aber ich?

Wie er gesagt hatte, wir begangen beide gerne Dummheiten. Und eine annullieren wäre noch immer möglich. So wäre er Mein und ich Sein. Vielleicht würde es wirklich funktionieren oder eben nicht. Zumindest könnten wir sagen, dass wir es veruscht hatten. 

"Wir hätten doch überhaupt keine Ringe", flüsterte ich verlegen.

Sein Lächeln wurde riesig. "Man kann dort welche kaufen. Sie sind bestimmt nicht direkt perfekt, aber für jetzt würde es ausreichen. Vor allem würden sie zu uns passen."

Ich lachte. "Redest du von Ringen aus Kaugummiautomaten?"

Jetzt lachte auch Niall. Seine Brust bebte. "Ja, erwischt." Dann biss er sich auf die Lippe und wurde wieder ein bisschen ernster. "Ist das ein Ja?"

Natürlich nicht! Das wäre komplett durchgeknallt! Nein!

"Ja."

Der Anfang von etwas ganz Großem

 

Mit meinen verschwitzten Händen umklammerte ich meinen Pass.

Was tat ich hier gerade? 

Amara reiß dich endlich zusammen, geh zu Niall und sag ihm, dass das hier das bescheuertste ist, das er jemals vorgeschlagen hat!

Zwar bewegten sich meine Lippen, dennoch brachte ich kein Wort zusammen.

Eine Blitzhochzeit? Meine Mutter würde mich garantiert umbringen, wenn sie davon wüsste. Und das hier war bestimmt nichts, dass man verheimlichen sollte.

Niall lächelte mich liebevoll von der Seite an. Wir sahen aus, wie ein paar Vollidioten. Er im verschwitzten Hemd und ich in meinem kurzen Kleid.

Wir befanden uns in einen hinteren Bereich eines Casinos. Und obwohl der Bereich etwas abgeschirmt war, hörte man die Musik der Spielautomaten, das Gelächter und Geplapper der Leute, die ihr Geld zum Fenster rauswarfen und auf Reichtum hofften.

Genau wie Niall gesagt hatte, gab es hier günstige Ringe. Er hatte zwei gekauft. Sie waren nicht besonders edel. Sahen eher aus, als wären sie als Plastik.

Schweiß stand mir auf der Stirn, den ich mit meinem Handrücken wegwischt. Ein anderes durchgeknalltes Paar befand sich im Moment im Trauungsaal hinter der geschlossenen Doppeltür, vor der wir standen.

Nervös stieg ich von einem Bein auf das andere. Jetzt konnte ich noch immer kneifen, aber dazu müsste ich erst einmal den Mund aufbringen.

War ich bereit dazu diesen Schritt zu gehen? Eine Frau für einen Mann zu werden, mit dem ich schon so viel durchgemacht hatte? Den ich aber über alles auf dieser Welt liebte?

Was würden die anderen von uns denken? Meine Mutter, sein Vater, Gregor und Denise? Matt? Sophie und Harry? Der Rest der Welt?

Niall nahm meine Hand und drückte sie. "Alles okay?"

"Ich bin etwas nervös", gab ich zu.

Er nickte leicht. "Ich auch."

"Ist das nicht etwas überstürzt, Niall? Sollten wir nicht vorher darüber reden? Geheimnisse austauschen die der andere noch nicht weiß?"

Bei dem Wort Geheimnisse kniff Niall die Augen zusammen. "Was meinst du? Ich habe dir mein Herz zu Füßen gelegt. Es gibt nichts mehr, dass du nicht von mir weißt."

Mir selbst ging es auch dabei nicht um seine Geheimnisse, sondern um meine. War es nicht sein Recht, zu erfahren was ich und Matt geteilt hatten? Wenn wir das schon taten, dann wollte ich es mit gutem Gewissen tun. Es reichte mir schon aus, dass ich daran denken musste, was wohl die gesamte Menschheit über uns denken würde.

Ich biss mir verlegen auf die Lippen. Denn Blickkontakt zu seinen Augen konnte ich leider nicht halten. "Ich denke, du solltest etwas wissen ..."

"Was es auch ist Amara, wenn du es nicht sagen willst, musst du nicht." Wieder drückte er meine Hand. Ich zwang mich hoch zu sehen. Er musste es wissen. Ich wollte es nicht verheimlichen. Diese ständigen Lügen machten mich kaputt. Und inzwischen war es mir ehrlich unheimlich wie leicht es mir viel zu Lügen ohne rot zu werden oder ein schlechtes Gewissen zu entwickeln.

"Nein, schon gut. Ich möchte es dir sagen. Du solltest es von mir wissen."

Abwartend sah er mich an. Sorge erschien auf seinem Gesicht.

"Ich ähm ...", begann ich schluckend. "Matt und ich haben ...", ich ließ Nialls Hand los und rieb mir den Nacken. "Wir haben ..." Es fiel mir so unendlich schwer es auszusprechen. Nialls Lippen wurden zu einem geraden Strich.

"Ihr habt miteinander geschlafen?", beendete er meinen Satz für mich.

Schuldig nickte ich benommen. Ich wartete darauf, dass er mich anschrie, dass er wütend wurde, doch stattdessen zog er mich einfach an seine Brust und hielt mich fest. Etwas verblüfft von seiner Reaktion brauchte ich einige Sekunden bis ich meine Arme um ihn schlang.

"Bist du nicht sauer auf mich?", nuschelte ich an seine Brust.

Niall drückte einen Kuss auf meinen Haaransatz. Dann sah ich hoch zu ihm. Er strich meine losen Haare zur Seite. "Sonderlich begeistert bin ich nicht, aber ich bin froh, dass du es mir gesagt hast. Empfindest du denn etwas für ihn? Weil ich weiß, dass er dich mindestens so sehr liebt, wie ich dich."

"Es war nur eine einmalige Sache und ich habe ihn heute gesagt, dass ich nicht mehr für ihn empfinde als freundschaft. Er weiß es und ich denke, dass er damit zurechtkommen wird. Er braucht nur Zeit."

Die Doppeltür ging ächzend auf. Ein Mann mit Glatze und eine Frau mit blonden Locken grinsten sich gegenseitig an. Dann stürmten sie schmusend an uns vorbei.

Wir spähten hinein. Am Ende des anderen Raumes stand ein Mann an einem Podest und legte gerade Papier zurecht. Er warf einen Blick über seine Schulter und winkte uns herein.

Niall schmiegte eine Hand an meine Wange. "Ist dein Ja noch immer ein Ja? Oder hast du es dir anders überlegt. Ich werde dich zu nichts zwingen und ich schwöre dir, dich nie wieder zu enttäuschen. Und wenn das alles hier vorbei ist, dann bekommst du die schönste und romantische Hochzeit, die du dir nur vorstellen kannst. Ich werde weder Kosten noch Mühen sparen, das schwöre ich."

Ich legte meinen Kopf schief und strich mit dem Daumen zärtlich über seinen Wangenknochen. "Das ist nicht nötig. Ich brauche das alles nicht. Du reichst mir vollkommen."

Er küsste mich und ich spürte sein Lächeln auf meinen Lippen. Dann betraten wir Hand in Hand den Saal. Es war kein großer Saal, eigentlich war es ein kleiner Raum. In der Mitte zwischen zwei Blöcken von aufgestellten Plastikstühlen verlief ein langer Teppich zum Podest. Im Hintergrund lief eine leise und beruhigende Geigenmusik.

Der Beamte im dunkelblauen Anzug reichte uns zur Begrüßung die Hand. "Herzlich willkommen. Ich freue mich Sie heute trauen zu dürfen."

Wir übergaben ihn unsere Pässe und die Lizenz, die Niall zuvor draußen am Empfang erworben hatte. Satte zweihundert Pfund kostete der Spaß, damit die Ehe anerkannt wurde. Und da wir keinen Trauzeugen hatten, da wir ganz alleine gekommen waren, wurde uns hier einer von der Kapelle zur Verfügung gestellt.

Ein junger Mann, im selben Outfit wie der Beamte tauchte in meinem Blickfeld auf. Auch er Grüße uns und schoss plötzlich ein Foto von uns.

Im ersten Moment hatte ich befürchtet, dass uns ein Paparazzo gefunden hatte, aber es kam raus, dass das der Hochzeitsfotograf war und gleichzeitig unser Trauzeuge.

Diese Bilder mussten nach dieser Nacht unbedingt verbrannt werden. Schon alleine unser Aufzug war einfach nur lächerlich.

Ich merkte wie meine Hände in meinen Schoss zu zittern begann. Letzte Zweifel kamen auf, aber verschwanden wieder, als ich zu Niall sah. Seine Wangen glühten.

Aufgeregt trat ich von einem Bein auf das andere. Der Beamte tippte in einem Computer herum. Er rutschte auf seinen Bürostuhl etwas zur Seite, um uns sehen zu können.

"Welchen Familiennamen wollten Sie annehmen Mr Horan, Ms Julien?"

Niall und ich sahen uns an. Darüber hatten wir nicht gesprochen. Generell hatten wir über so einiges nicht gesprochen.

"Horan", antwortete Niall für uns und ich nickte einverstanden.

Amara Horan.

Amara Horan.

Amara Horan.

Schon alleine wie sich das anhörte. Das Echo in meinen Kopf wiederholte den Namen immer und immer wieder. Ich sah mich jetzt schon beim ständigen falsch unterschreiben.

Und auch gleich hatte ich die Chance bekommen mich zu verschreiben. Wir mussten ein Formular zur Namensänderung unterschreiben.

Horan. Horan. Horan.

Mit der zitternden rechten Hand setzte ich mit dem Stift am Papier an und schrieb meinen Namen. 

Amara Horan.

Der Beamte stand auf und stellte dich uns gegenüber. Niall und ich rückten näher aneinander. Ich drückte seine Hand. Mein Herz schlug so heftig, dass ich fürchtete, es würde mir ein Loch in die Brust reißen.

Passierte das gerade wirklich?

"Nun, da wir die Formalitäten erledigt haben, gehen wir zum eigentlichen Teil über." Der Mann in seinen Fünfzigern setzte ein warmes Lächeln auf. Ich drehte mich zu Niall, der mich bereist ansah. "Ich frage Sie, Herr Niall James Horan, ist es Ihr freier Wille, mit der hier anwesenden Frau Amara Marie Julien die Ehe einzugehen, so beantworten Sie diese Frage mit einem Ja".

Seine Augen flatternden. Er nickte kaum merklich. "Ja."

"Nun frage ich Sie, Frau Amara Marie Julien, ist es auch Ihr freier Wille, mit dem hier anwesenden Herrn Niall James Horan die Ehe einzugehen, so beantworten auch Sie diese Frage mit einem "Ja".

Ich sah in seine blauen verlorenen Augen. So schön wie der Ozean in Bora Bora leuchteten sie. Das hier, dieser Moment entschied alles. Wir werden noch genug Hürden überstehen müssen, werden noch viele Gespräche über die letzten Jahre führen, werden uns den ratlosen Gesichtern unserer Familie und Freunde stellen müssen. Aber zumindest zusammen. Als eine Einheit. Als Mann und Frau.

"Ja."

Nialls Gesicht strahlte.

"Dann bitte ich Sie die Ringe zu tauschen, falls Sie es wünschen."

Die Aufgeregtheit war Niall deutlich anzusehen. Einer der Ring fiel ihm zu Boden. Er lächelte mich schüchtern an und gab mir dann den Ring, der ihm gehörte. Niall bat nach meiner Hand. Ich versuchte sie stillzuhalten, aber sie zitterte als stände sie unter Strom. Er schob mir den Plastikring auf den Ehefinger. Dann machte ich es bei ihm. Ich fühlte mich wie in Trance.

Der Beamte fuhr fort mit seiner Standardrede. "Nachdem Sie beide meine Fragen übereinstimmend mit einem "Ja" beantwortet haben, erkläre ich Sie kraft Gesetzes zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten. Sie dürfen die Braut nun küssen."

Es dauerte keine Sekunde bis seine Lippen mit meinen kollidierten. Ich bog mich leicht nach hinten und ließ mich von Niall halten.

Blitzlicht erfasste uns, aber ich bekam es nur halb mit. Mein Herz raste, mein Verstand setzte aus. Wir lösten uns erst voneinander, als die Luft knapp wurde, nur um uns darauf nochmal zu küssen. Arm in Arm standen wir da und genossen unseren Kuss.

Mit unserer Hochzeitsurkunde und einen USB Stick, auf dem die Fotos gespeichert waren, in der Hand, verließen wir die Kapelle. Wie das Paar vor uns wollten wir hier nur noch raus. Wir lachten, laut und heiter. Alles fühlte sich an wie ein Traum.

"Wo gehen wir jetzt hin?", fragte ich Niall, der schon wieder an meinen Lippen hing.

Er löste seinen Kopf von meinen. "Also, ich habe bestimmt nicht vor meine Hochzeitsnacht auf einer Couch zu vollziehen. Wir nehmen uns ein Hotelzimmer, Mrs Horan."

Mein Herz schmolz dahin, wie Wachs durch Feuer.

Niall hielt ein Taxi auf. Wir konnten während der Fahrt zum nächsten Hotel kaum die Finger voneinander lassen. Der Fahrer dachte bestimmt, dass wir uns gegenseitig aufgerissen hatten. Seine Hand lag auf der Innenseite meines Schenkels und ich musste mich wirklich beherrschen nicht mitten im Taxi laut aufzustöhnen.

Die Fahrt konnte nicht schneller enden, als sie es sowieso tat. Verloren in seinen Küssen und seinen feinen Berührungen, bekam ich nichts mehr mit.

Vor dem Haupteingang des Hotels blieben wir stehen. Benommen von unserem Liebesspiel torkelten wir mit Dauergrinsen zum Empfang. Die junge Frau hinter der Rezeption bekam große Augen. Sie hatte Niall erkannt, ganz klar. Oder aber sie dachte, dass wir zwei Spinner im falschen Hotel gelandet waren. Hätte auch möglich sein könne, aber von zweiterem ging ich nicht aus.

"Wir brauchen eine Suite, die wir sofort beziehen können", sagte Niall, der mir anschließend zuzwinkerte.

Die Frau nickte und tippte in ihrem PC herum. Ich biss mir ungeduldig in die Wange. Ich spielte mit meinem Ring und drehte ihm am Finger. Der Tag hatte so einfach angefangen und endete in einer Eskalation. In einer schönen Eskalation.

Niall füllte den Papierkram aus. Danach bekamen wir eine Schlüsselkarte, mit der wir die Suite im siebten Stockwerk beziehen konnte. Wir eilten in großen Schritt zum Fahrstuhl, den wir zu dieser unmöglichen Uhrzeit zum Glück für uns hatten. Wir drängten uns an die Wand, küssten uns und sagten einander wie sehr wir uns liebten.

Der Fahrstuhl hielt an. Ich zog Niall auf den Flur nach draußen, bevor sich die Türen wieder schlossen. Nur wenige Meter später standen wir vor unserer Suite-Tür. Mit der Karte öffnete Niall das Schloss. Er klemmte sie die Karte zwischen die Lippen und hob mich im Brautstyle hoch.

Ich kicherte an seine Halsbeuge, obwohl ich mir den Ellbogen an der Tür wehgetan hatte.

Niall trat die Tür mit seinem Bein zu. Ich nahm ihm die Karte aus dem Mund um sie in die Vorrichtung zu schieben, damit wir Strom im Zimmer hatten. Das Licht ging an, aber viel Zeit um mich umzusehen blieb mir nicht.

Mein Mann steuerte das Bett an und legte mich sachte darauf ab. Wir machten weiter wo wir eben im Fahrstuhl noch aufgehört hatten.

Lippen berührten sich.

Stoff fiel zu Boden.

Haut lag auf Haut.

Lustvolles Stöhne erfüllte die Räumlichkeiten.

Gefühle wurden wortlos übermittelt.

Eine Ehe wurde vollzogen, die nicht das Happy End war, sondern der Anfang von etwas ganz Großem.

 

Der nächste Tag brach mit einer erschütternden Erkenntnis an. Ich war nun eine verheiratete Frau, die sowas von tot war, wenn sie es ihrer Mutter erzählte. Das einzige, das mich davon aufhalten konnte auszuflippen war es in Nialls Armen aufzuwachen. Seine nackte Brust schmiegte sie wie angepasst an meinen Rücken. Sein gleichmäßiger warmer Atem lag in meinen Nacken. Ich konnte es kaum abwarten in seine schlaftrunkenen Augen zu blicken.

Dieses Gefühl der Geborgenheit und Liebe hatte ich so sehr vermisst, dass ich alle anderen Tatsachen ausblenden konnte. In diesen Moment zählte nicht, wie dumm und naiv wir gehandelt hatten. Wie eigensinnig wir waren. Es zählte nur wie sehr wir uns liebten.

Wie gerne wäre hier ich stundenlang liegen geblieben, aber meine Blase machte mir einen Strich durch die Rechnung. Vorsichtig schob ich Nialls Arme von mir und schälte mich aus der Decke, jedoch zogen mich zwei Hände wieder zurück in meine alte Position.

"Geh nicht", nuschelte Niall an mein Ohr.

Ich lächelte. Der Sound seiner Stimme war einfach nur herrlich. "Aber ich muss ganz dringend. Sonst ist alles zu spät ... falls du verstehst was ich meine."

Er küsste meine Schulter. "Na gut. Überredet."

Bei meinem erneuten Versuch hielt er mich nicht auf. Dafür hörte ich ihn lauf stöhnen. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Er schmunzelte schief. Meine nackte Rückenansicht schien es ihm angetan zu haben. Mein Mann pfiff durch die Zähne.

Ich entleerte meine Blase und machte mich frisch. Mit den Fingern kämmte ich mir mein verknotetes Haar, während ich meine Zähne putzte. Anschließend entschied ich mich gleich unter die Dusch zu steigen, da ich sowieso schon nackt war.

Das warme Wasser prickelte auf meiner Haut. Der Schaum des Shampoos floss mir über die Schulter. Ich wusch mir die restliche Farbe von meinem Oberarm. Der weiße Schaum verfärbte sich bunt.

Ich hörte wie die Tür zum Badezimmer aufging. Die Scheiben der Duschkabine waren angelaufen, deshalb sah ich nur einen Umriss auf mich zukommen. Niall schob die Glastür auf und gesellte sich zu mir. Ich machte einen Schritt zur Seite und teilte das Wasser mit ihm.

"Ich dachte, du wolltest gleich wieder ins Bett kommen, Mrs Horan."

Egal wie oft Niall mich noch so nannte mein Herz machte jedes verdammt mal einen Salto.

Wir duschten zusammen ... über eine Stunde lang. Es war als könnten wir beide nicht genug voneinander bekommen. Wir schwebten auf Wolke sieben.

In Bademäntel bekleidet vertilgten wir das Mittagessen, dass wir uns vom Zimmerservice bestellt hatten. Frühstück ließen wir aus, da es bereits mittags war, als wir bestellen. Wir fütterten uns gegenseitig, wie in diesen romantischen Filmen. Alles war einfach nur perfekt.

Ich bediente mich an der Obstplatte, zupfte mir Weintrauben vom Stiel.

Niall bediente sich an den Ananasscheiben. "Ich werde später zur Rezeption gehen und die Suite für eine weitere Woche mieten. Immerhin denke ich nicht, dass du dir jetzt noch mit Matt ein Bett teilen willst."

Ich lehnte mich in meinen Stuhl zurück und legte ein Bein über das andere. "Niall ... ich muss morgen zurück nach Mullingar. Ich kann nicht hierbleiben."

Er hob eine Augenbraue. "Was heißt du kannst nicht hierbleiben?"

"Ich muss zu meiner Mutter. Wir fliegen in drei Tagen in Dublin ab nach Wien."

"Zu deiner Großmutter? Was will die Olle schon wieder?"

Schultern zuckend seufzte ich. "Wir haben einen Termin mit einem Anwalt. Ich weiß nicht, was sie will. Jedenfalls muss ich dahin. Das steht fest."

Niall schob sich seine Gabel mit einem Stück Ananas in den Mund. Er kaute und schluckte. "Ja, gut. Okay. Kommst du ohne mich klar? Ich werde mich darum kümmern, dass wir eine Wohnung bekommen. Du solltest auch schauen, dass du dir deine Dokumente umschreiben lässt. Schließlich trägst du jetzt meinen Namen."

"Ich werde mich darum kümmern, Niall."

"Gut." Er lächelte. Dann leckte er sich den süßen Saft der Ananas von den Lippen. "Möchtest du eigentlich eh in London leben? Oder willst du lieber in der Nähe deiner Mutter sein? Oder ganz woanders. Wir können überall leben."

"Niall ... ich möchte nur da sein, wo du bist. Der Rest ist mir egal."

"Genau da wollte ich hören", grinste er übertrieben.

Ich warf eine Weintraube nach ihm, die er auffing und mit einem zwinkern aß.

Mit meiner Gabel spießte ich ein Stück Honigmelone auf. "Das heißt, wenn du hierbleibst und ich alleine nach Mullingar fliege, werde ich mich alleine unseren Eltern stellen müssen?"

Nialls Ausdruck wurde mitfühlen. "Ja, aber wenn du ihnen noch nichts sagen willst, ist das okay. Ich denke generell, dass wir das zusammen machen sollten."

Ich überlegte. "Nein, ist schon gut. Wer weiß wie meine Mutter darauf reagiert. Ich werde das schon hinbekommen. Und wenn nicht, versprich mir auf meiner Beerdigung zu weinen und wenigstens eine Woche lang zu warten, bis du dir eine neue Frau suchst."

"Eine ganze Woche? Du verlangst viel von mir. Dass ist dir hoffentlich klar", neckte er. 

Ich rollte mit den Augen. 

Wir aßen zusammen und zogen uns um. Tagsüber in diesen Discokleid zu stecken, war mir etwas peinlich, weshalb ich mich schnell in Taxi setzte, während Niall an der Rezeption war und die Suite noch für eine weitere Nacht mietete. Da ich morgen sowieso wieder zurückfliegen musste, konnte er das Gästezimmer bei Harry und Sophie übernehmen.

Als er endlich ebenfalls im Taxi saß, fuhren wir los. Wir hielten Händchen und ich legte meinen Kopf an seiner Schulter ab. Es wurde dringend Zeit frische Kleidung anzuziehen. Fast eine halbe Stunde später standen wir vor Harrys und Sophies Haus.

Ich drückte die Klingel.

"Wer ist da?"

"Wir sind es. Amara und Niall", antwortete ich auf Harrys Frage. Dann klickte das Schloss und die Tür ließ sich öffnen.

Zugegeben war ich doch etwas nervös. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie unsere Freunde auf uns reagierten.

Niall hatte eine Hand auf meinen Rücken gelegt um mich ins Haus zu schieben. "Ich bin da Amara. Wir machen das schon."

Sophie stand im Flur und hatte die Hand in die Höhe geworfen. "Fuck! Amara! Niall! Wo zur Hölle wart ihr? Seid ihr von allen guten Geistern verlassen! Wir haben uns Sorgen gemacht!"

Sophie zog mich in eine feste Umarmung. Wie ich sie kannte, wollte sie mir sicherlich am liebsten eine Scheuern.

Ich trat einen Schritt zurück. "Du warst wie vom Erdboden verschwunden. Ich habe dir eine Nachricht geschrieben."

Sophie hielt ihr Smartphone in die Höhe. "Ja, das hast du. Ihr wolltet Luft schnappen und nicht die ganze Nacht über fort bleiben! Ich habe dich danach angerufen! Aber nicht nur einmal! Möchte ich überhaupt wissen, was ihr getan habt?"

Hitze stieg mir in die Wangen. Scheu sah ich zu Niall, der ebenfalls verlegen lächelte. Wer verkündete nun die frohe Botschaft?

"Mara!" Matt stürmte auf mich zu und zog mich an seine Brust. Sein Körper entspannte sich. Ich hatte nicht daran gedacht, dass sie sich derartig sorgen machen würden. Eiegntlich hatte ich garnicht daran gedacht. Das schlechte Gewissen überrollte mich. Matt legte seine Hände an meine Wangen. "Ist das okay mit dir?"

Ich versuchte zu nicken. "Ja. Alles gut."

Niall räusperte sich neben mir, aber Matt nahm seine Hände nicht von mir. Stattdessen sah er mich überfürsorglich an. Als würde er versuchen von meinem Gesicht zu lesen, ob ich lügte.

"Matt ... es ist alles okay", versicherte ich ihn nochmals. Ich nahm es Matt nicht übel, denn er liebte mich. Wenn ich in seiner Position gewesen wäre und Niall plötzlich über Nacht verschwunden wäre, würde ich genauso reagieren wie er.

Matt ließ mich nur ungern los, das merkte ich. Dennoch riss er sich zusammen und machte etwas Abstand zwischen uns.

"Wo wart ihr?", schaltete sich Sophie wieder ein. Matts intensiver Blick lag auf mir.

Wieder tauschten Niall und ich einen Blick aus. Mein Mund war staubtrocken. Niall nahm meine Hand in seine. Dann übernahm er das Reden.

"Wir haben gestern Nacht in einem Casino geheiratet."

Sophies Mundwinkeln fielen nach unten, während Matts Gesichtsausdruck blank wurde. Schneeweiße Gesichter starrten uns an.

Harry trat an Niall heran und klopft ihm auf die Schulter. "Das hätte ich nicht erwartet. Glückwunsch, Bruder ... an euch beide natürlich."

"Ge-geheiratet?", stotterte Sophie überfordert. Mit zwei langen Schritten stand sie vor mir und angelte nach meiner Hand. Ihr Mund stand weit und breit offen, als sie den billigen Ring unter Augenschein nahm. Ihr Blick schwang zwischen meinem Gesicht und den Ring hin und her. Ihre Augen blinzelten wild. Dann ließ sie meine Hand los und zeigte mit dem Zeigefinger zwischen mir und Niall her. "Habt ihr sie noch alle?! Ihr seid ja verrückt!"

Ich hob die Hände. "Jetzt beruhige dich mal! Das ist doch unsere Sache. Es war unsere Entscheidung."

Sie zeigte uns den Vogel. "Ihr spinnt ja!" Sie drehte sich um und ließ sich mit verschränkten Armen auf die Couch fallen.

Ich sah zu Matt der immer noch blank ins Nichts starrte.

"Matt ...", wisperte ich.

Er schüttelte den Kopf. "Ich fasse es nicht", flüsterte er. Er sah hoch und blickte finster ins Nialls Gesicht. Sein Kiefer zuckte. Diesen Ausdruck hatte ich schon mal gesehen. Matt blieb zwar ruhig, aber ich sah es ihn an, wie es in ihm brodelte. "Wenn du Amara verletzten solltest, wenn du sie enttäuschst oder nur mit ihr spielst, kann ich dir für nichts garantieren, Niall."

Niall sah seinen Freund bitterernst an. "Das werde ich nicht, Matt. Ich werde Amare nie wieder verletzten."

Es wurde still im Raum. Gebannt sahen alle zwischen den Kindheitsfreunden hin und her. Ich drückte Nialls Hand.

Niall fuhr fort: "Ich weiß, dass du sie liebst und es ist mir auch durchaus bewusst, dass du sie auf Händen tragen würdest. Sicherlich wärst du die bessere Wahl für sie. Du hast sie noch nie verletzt und würdest es auch nicht."

"Niemals", bestätigte Matt finster.

Niall ließ sich von Matt nicht aus der Bahn werden. "Und dir ist auch bewusst, dass man sich nicht aussucht, wenn man liebt. Sie hat es sich nicht ausgesucht, genauso wenig wie ich und auch du. Oder denkst du, ich hätte mich mit Absicht in meine Stiefschwester verliebt? Ohne diese Gefühle wäre es viel einfacher für uns gewesen."

Matt nickte grimmig. Er verstand woraufhin Niall hinauswollte. Man konnte seine Gefühle nicht steuern, man konnte sie nicht zwingen etwas zu fühlen.

Niall ließ meine Hand los und machte zwei Schritte auf Matt zu. "Ich bin froh, dass Amara einen Freund wie dich hat. Sie kann sich immer auf dich verlassen und ich weiß, dass du sie immer beschützten wirst. Egal vor wem oder was. Das rechne ich dir hoch an." Matt, der etwas größer als Niall war, sah auf ihn hinab. Seine Züge hatten sich etwas gelockert. "Du bist auch mein bester Freund, Matt. Du bist mein Bruder und unsere Freundschaft darf nicht so enden. Dazu kennen wir uns schon zu lange. Denk doch nur an all die Sachen, die schon wir miteinander erlebt haben. Das muss hier nicht enden. Ich möchte nicht das es so endet. Wie gesagt, du bis mein Bruder. Wir sollten mal etwas zusammen unternehmen. Nur du und ich. Einverstanden?"

Matt schien genauso benommen von Nialls Worten zu sein wie ich.

Niall hob eine Hand und streckte sie Matt entgegen. "Freunde?"

Matt zögerte, dann schloss er für eine Sekunde die Augen und seufzte. Nickend gab er Niall die Hand. Ich konnte regelrecht fühlen, wie sich die Anspannung im Raum löste. Ich war so gerührt von den Beiden, dass es mir abermals die Tränen in die Augen trieb.

Automatisch musste ich einen Blick auf Sophie werfen, die mich im selben Moment ansah, von der Couch aufstand und mich in eine Umarmung zog. Nialls und Matts Freundschaft war wie die von mir und Sophie. Sie hielt zu lange um einfach so zu enden. 

Der Händedruck von Niall und Matt wurde ebenfalls eine feste Umarmung, an die sich Harry ebenfalls mitanschloss. 

Sechsundzwanzig

 

Mir wurde ein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet.

Erschrocken machte ich einen Schritt nach hinten.

"So leichtsinnig zu sein hätte ich dir nie zugetraut, Amara!" Meine Mutter stellte das leere Glas auf den Küchentisch ab. Sie sah mich böse an und ich konnte es ihr nicht mal übelnehmen. Sie hatte alles recht dieser Welt wütend zu sein.

Bobby seufzte laut und stand von seinem Stuhl auf. "Kate, das eben war echt nicht notwendig." Er warf mir eine Rolle Küchenrolle rüber.

Ich trocknete mir mein Gesicht ab und versuchte die Wasserflecken von meinem Shirt abzutupfen. Zum Glück war es kein Kaffee.

Mum schüttelte den Kopf und wandte sich von mir ab. Sie lehnte sich gegen die Küchenzeile und verschränkte die Arme vor der Brust. Zwischen ihren dichten Wimpern musterte sie mich mürrisch. "Kaum lässt man dich mal aus dem Haus, stellst du nur Unsinn an! Belogen hast du mich auch! Ich weiß wirklich nicht mehr wer du bist, Amara. Hast du sonst noch Geheimnisse vor mir? Dann spuck sie lieber gleich aus, denn ich habe es satt. Sag nur ihr habt geheiratet, weil du schwanger bist."

Ihre Nörgelei ging mir dezent auf die Nerven. Inzwischen war ich alt genug, um meine eigenen Fehler zu begehen. Klar, es war nicht die feine Art und schon gar nicht wohlüberlegt, dennoch wollte ich mich nicht ständig an nörgeln lassen.

"Du wirst Großmutter in Sachen nörgeln immer ähnlicher ...", murmelte ich. Aber natürlich hatte sie es gehört.

"Sag mal wie sprichst du mit mir?", fauchte sie mich an.

"Mum! Du musst endlich verstehen, dass ich kein kleines Mädchen mehr bin! Ich muss meine eigenen Entscheidungen treffen! Und auch wenn es schiefgeht, halte mir dann keine Predigt! Es ist meine Sache, nicht deine!"

Mum machte einen Satz auf mich zu, mit erhobenem Zeigefinger. "Amara Marie Julien, du-"

"Horan! Mein Nachname ist jetzt auch Horan! Wie der von Niall, von Bobby, Greg, Denise und auch deiner!", verbesserte ich sie. "Merk' dir das."

Sie hielt in der Bewegung inne. In Zeitlupe sank ihre Hand zur Hüfte. Ich sah wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Ihre Mundwinkel zuckten, dann legte sie die Hände an meinen Schultern ab und rüttelte mich leicht.

"Du bist mein kleines Mädchen", ihre Stimme war kaum hörbar. "Das wirst ... wirst du immer sein, Amara. Ganz ... ganz egal wie alt du bist. Immer. Ich bin dich deine Mutter."

"Und das wirst du auch immer sein, Mum. Ich liebe dich und ich bin dir für alles dankbar. Es war auch nie meine Absicht dich zu belügen." Ich presste die Lippen zusammen und schluckte den Klos hinunter. "Ich wollte dich einfach nicht enttäuschen."

"Amara ... das musst du niemals befürchten. Wir sind doch ein Team, schon vergessen?" Mum versuchte ein Lächeln aufzusetzen, was ziemlich schräg aussah, dass sich die Tränen aus ihren Augen gelöst hatten. Ihr Gesicht war inzwischen genauso nass, wie das meine durch ihre Wasserattacke.

Schniefend sah ich sie an. "Auch nicht, wenn ..., wenn ich dir sage, dass ich nicht nur, wegen Matt und der ... der Wohnung gelogen habe, sondern auch, wegen ... wegen des Studiums?" Ich ließ die Schultern hängen und neigte den Kopf nach unten. "Ich ... ich habe es nie beendet. Aus mir wird nie etwas werden. Nie."

"Blödsinn!", meldete sich plötzlich eine dritte Stimme. Mum und ich sahen gleichzeitig auf und in Bobbys Richtung. "Du bist eine Intelligente junge Frau, also sag das nicht, Amara", sagte er.

"Bobby hat recht, Amara", stimmte meine Mutter zu. Wieder rüttelte sie mich leicht, als würde es helfen mir Verstand einzuflößen. "Ich war auch nie studieren und du ... du findest deinen Weg."

"Aber ich wollte es wirklich. Es war nicht einfach nur Spaß für mich."

Mum rieb mit ihren Händen über meine Oberarme. "Ich weiß, Schatz. Aber warum hast du es dann nicht bis zum Schluss durchgezogen?"

Wieder ließ ich den Kopf hängen. "Geld."

"Okay", seufzte sie.

Ich fühlte eine weitere Hand auf meinem Rückenblatt. Ohne aufzusehen, wusste ich, dass es Bobby war.

"Amara ...", seine tiefe Stimme lag mit ihm Ohr. "Wenn es nur das ist, hättest du uns etwas sagen können. Du weißt doch, dass das kein Problem ist. Und jetzt schon überhaupt nicht mehr."

Ich hob den Kopf, runzelte die Stirn und sah zu Bobby. Der lächelte mich aufmunternd an. "Du bist doch jetzt mit Niall verheiratet. Und so hitzköpfig wie ihr beide gehandelt habt, habt ihr bestimmt nicht daran gedacht, einen Ehevertrag oder derartiges aufzusetzen." Bobby schüttelte den Kopf. "Ihr zwei Egoisten hättet uns ruhig Bescheid geben können. Habt ihr denn nicht gedacht, dass wir gerne dabei gewesen wären?"

Ich wog den Kopf hin und her. "Wir haben uns eigentlich überhaupt nichts gedacht", gab ich zu. In diesen einen Moment zählen nur Niall und Ich. Der Rest war uns egal. Uns also als Egoisten zu bezeichnen, war schon begründet.

"Na gut", meinte meine Mutter, die sich die Schläfen rieb. "Habt ihr schon darüber nachgedacht, wo ihr wohnen werdet? Oder wie ihr Holly und Charlotte handhaben wollt? Wollt ihr hier mit uns auch noch feiern? Sollen wir eine Party schmeißen? Wer wird es deiner Großmutter sagen? Wir müssen deine Dokumente umschreiben lassen und-"

"Mum! Bitte hör auf. Ich bekomme noch Kopfschmerzen."

"Tut mir ja leid, Amara, aber über solche Dinge redet man eigentlich zuvor."

Augenrollen verschränkte ich die Arme vor der Brust. "Ich habe jetzt wirklich keine Lust mir darüber Gedanken zu machen." Ich zeigte zu Tür. "Ich muss los."

"Wohin willst du?", fragte sie mich stutzig.

"Zu Matt. Wo sollte ich sonst hinwollen?"

"Ja, aber was willst du denn dort? Du bleibst selbstverständlich hier."

Diese Frau machte mir das Leben schwer.

"Meine Koffer sind bei Matt. Ich brauche Klamotten! Oder soll ich die nächsten Tage nur in diesem Outfit herumlaufen?!"

Darauf hatte sie nichts mehr zu erwidern, weshalb ich meinen Schlüssel nahm und mit dem Auto Kinnegard fuhr. Als ich ausstieg warf ich einen Blick auf mein Telefon. Als hätte ich es gespürt, hatte ich vor wenigen Minuten eine Nachricht von Niall bekommen:

"Und ... bin ich bereits verwitwet? Oder hat deine Mutter Gnade walten lassen?"

Schmunzelnd konnte ich mir Niall vorstellten, wie er grinsend auf sein Telefon starrte, als er die Nachricht getippt hatte.

"Im Moment lebe ich noch. Andernfalls wirst du bestimmt von den Nachrichten über meinen Tod erfahren."

Ich tippte, ohne auf seine Antwort zu warten, die nächste Nachricht:

"Und? Sind wir noch immer obdachlos oder konntest du das mit deinem Apartment klären?"

"Unser Apartment, Mrs Horan. Und nein, wir leben noch auf den Sofas unserer Freunde. Aber ich werde das schon regeln. Mach dir keinen Kopf."

Ich sollte mir keinen Kopf um unsere Wohnsituation machen? Toll. Das hieß wohl, wir würden die nächste Zeit in einem Hotel verbringen. Der Gedanke an Zimmerservice machte die Sache etwas besser. Trotzdem wollte ich endlich einen Ort haben, den ich als zu Hause bezeichnen durfte. Denn mein jetziges zu Hause bei Matt wurde mir genommen. Ich konnte schon verstehen, dass meine Mutter dagegen war, dass ich bei Matt schlief, aber das hatte ich auch schon die letzten Monate. Zudem war er mein bester Freund.

Den Autoschlüssel schob ich in meine Tasche, während ich die Treppen hochstieg zur Wohnungstür.

Mit meiner Schulter drückte ich die verzogene Tür der Wohnung auf. Ich fragte mich schon seit Wochen, warum Matt sich nicht an den Vermieter wandte, um eine neue Tür zu bekommen. Irgendwann würde er sie wohl überhaupt nicht mehr aufbekommen.

Die Tür zum Badezimmer stand offen.

"Matt?"

"Ich bin im Bad", hörte ich ihn antworten.

Ich hielt mir die Hand vor die Augen, da ich nicht wusste, was mich im Badezimmer erwarten würde, immerhin konnte er gerade aus der Dusche gestiegen sein.

Unvorsichtig wie ich nun mal war, lief ich geradewegs gegen die Tür und stieß mit den Ellbogen an. Ich keuchte vor Schmerz auf, der sich wie Feuer durch meinen Arm zog.

Matt lachte amüsiert. "Was tust du? Mach' doch die Augen auf, Mara."

"Kommt darauf an, ob du etwas anhast."

Matt schnalzte mit der Zunge. Ich konnte sein doofes Grinsen hören als er sagt: "Schau mich an und finde es heraus."

Mit warmen Wangen wagte ich einen Blick durch meine Wimpern. Er hockte am Boden und sortierte seine Schmutzwäsche vor der Waschmaschine.

So kindisch es auch war, fand Matt sich nicht zu alt mir die Zunge zu zeigen. Ich schüttelte kichernd den Kopf.

Wie froh ich war, dass es so angenehm zwischen uns war, könnte ich nicht öfter wiederholen. Zwar lag im Flug ein peinliches Schweigen über uns, aber wir hatten es trotzdem irgendwie geschafft in ein Gespräch zu kommen und die Dinge in Ruhe zu besprechen. Es war ein langes intensives Gespräch, in dem wir unsere Herzen füreinander öffneten. Es war lange überfällig gewesen. Und ich war nicht gekränkt, weil er mir eine Predigt hielt, wie dumm ich war und wie unüberlegt die plötzliche Hochzeit mit Niall war. In jeden einzelnen Punkt hatte er recht. Dass es dumm war, dass es zu früh war, dass wir sie nicht mehr alle hatten, dass ich Nialls Versprechen mir gegenüber nie hundertprozentig ernst nehmen kann ...

Ja und immer noch war ich seiner Meinung. In allem, was er sagte, doch dennoch gab ich ihm dieselbe Antwort wie meiner Mutter: Es war meine Entscheidung. Mein Fehler oder eben mein Glück.

Heutzutage war es zum Glück kein großes Ding mehr, wenn man sich scheiden ließ. Niemand würde uns verurteilen. Das war gang und gäbe. Warum gingen überhaupt alle vom schlimmsten aus? Ja, klar. In der Vergangenheit lief es nicht immer so gut mit uns, aber man konnte nicht vergessen, dass uns immer riesige Steine in den Weg gelegt wurden. Einer davon war Holly und ein anderer war Charlotte - die nichts dafürkonnte. Aber so war es eben.

Matt stopfte einen Berg an dunkler Wäsche in die Maschine und schloss die Tür. Waschpulver folgte und kurz darauf drehte sie schon ihre Runden.

Mein bester Freund stemmte die Hände an die nicht vorhanden Taille. "Sollen wir uns etwas zu Essen holen?"

"Ich bin eigentlich nur hier um meine Koffer zu holen."

Matt blinzelte mich fragend an. "Warum? Ihr flieg doch erst morgen und ich habe doch gesagt, dass ich euch zum Flughafen bringe."

"Naja...", verlegen kratzte ich mich am Nacken. "Sie weiß, dass ich bei dir schlafe und nichts Eigenes habe. Sie war schon ziemlich sauer auf mich. Eigentlich verständlich oder? Ich meine, ich habe ihr das auch mit Niall gesagt und ja..."

"Wie haben sie und Bobby reagiert?", fragte er und ich folgte ihm ins Wohnzimmer zurück.

Ich zuckte mit der Schulter. "Mum hat mir einen Vortrag gehalten und Bobby ... Bobby war eigentlich ganz cool."

"Das war ja klar", meinte Matt, der sich aus dem Kühlschrank eine Flasche Wasser holte.

Ich lehnte mich an die Rückenlehne der Couch an und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ja, irgendwie schon. Tja, zumindest habe ich es jetzt hinter mir."

"Fehl nur noch, dass du deine Großmutter in Kenntnis setzten musst."

"Musstest du mich daran erinnern?", seufzte ich. DAS wird der Horror werden. Ich sah nach links und sah mein unberührtes Bett. In mir zog sich alles zusammen. "Matt wegen des Bettes ... ich werde nicht mehr hier schlafen dürfen. Meine Mutter wird mich in nächster Zeit wohl kaum noch aus dem Haus lassen deshalb ... sag mir doch was es gekostet hat, ich werde es dir bezahlen."

Matt schüttelte den Kopf. "Das musst du nicht und das möchte ich auch nicht. Denn wenn es mit dir und Niall nicht läuft, brauchst du wieder ein Bett. Und dieses hier, wird auf dich warten."

Ich legte den Kopf schief. "Matt ... wer sagt, dass es schief gehen wird? Vielleicht wird alles gut werden und ich werde kein anderes Bett mehr brauchen."

"Und woher willst du das Wissen, Mara?"

Ich konnte es nicht wissen, aber ich wollte es auch nicht glaube. Das Beste war es was ich wollte. Nur das Beste für Niall und mich und unserer gemeinsamen Zukunft.

Suchend sah ich mich im Zimmer, um und entdeckte meine beiden Koffer. Ich ging hinüber und zog beide zur Wohnungstür.

"Ich werde mich mal auf den Weg machen. Wenn ich in ein paar Tagen zurück bin, könnten wir etwas zusammen unternehmen."

Matt nickte. "Klingt gut, Mara. Wirst du denn wieder zurückkommen? Niall ist immerhin in England. Willst du nicht bei ihm sein?"

"Natürlich möchte ich bei ihm sein, aber auch bei dir."

Ein lächeln zierte Matts Lippen. "Schön zu hören."

"Wir sind beste Freunde, Matt. Ich werde dich immer sehen wollen."

Wir lächelten uns an. Dann trat er zur Seite und verschwand für wenige Augenblicke in seinem Zimmer. Als er zurückkam, hielt er ein dünnes, längliches Paket in der Hand.

"Das ist für dich, Amara. Tu mir einen gefallen uns öffne es erst morgen an deinen Geburtstag."

"Das wäre nicht nötig gewesen, Matt. Ich habe schon so viel von dir bekommen ...", sagte ich, als ich es ihm abnahm.

Er winkte ab. "Es ist nichts Besonderes, also beruhige dich wieder. Sag mir dann einfach nur, wie es dir gefällt. Okay?"

"Klar."

****

Das erste Mal seit sechs Jahren befanden sich meine Mutter und ich zurück in unserer Heimatsstadt. Ich konnte und wollte es nicht fassen, was sich allen in diesen sechs Jahren bei uns getan hatte. Sicher war, dass wir nicht mehr dieselben Frauen waren. Die vergangenen Jahre hatten uns beide geprägt. Zum Guten und zum Schlechten.

Ich vermisste Niall schlimmer als jemals zuvor. Ich sehnte mich nach seiner Präsenz. Wir schrieben uns Nachrichten und hatten auch gestern Abend noch kurz miteinander telefoniert. Dabei wurde er aber von Sophie unterbrochen, die sein Telefon an sich genommen hatte, um mir verärgert zu erzählen, dass sie gegen ein anderes Model ausgetauscht wurde und nun doch nicht nach New York flog. Das neue Model, deren Name mir schon entfallen war, wurde von Sophie zerrissen. Es war schon witzig wie sie sich darüber ärgerte und welche Gemeinheiten ihr einfielen, aber trotzdem wollte ich eigentlich mit Niall telefonieren - der mir ja so fehlte. Harry hörte ich im Hintergrund nur Niall aufziehen, der sich darüber lustig machte, dass er es nicht schaffte Sophie sein eigenes Telefon aus den Händen zu reißen. Sophie selbst ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und redete wie ein Wasserfall weiter.

Meine Grandma höchstpersönlich hatte uns vom Flughafen abgeholt und zwar mit dem weißen Audi, den ich so sehr liebte. Während der Fahrt zu ihrem Haus schwelgte ich in Erinnerungen. Niall und ich hatten uns diesen Wagen ausgeliehen, um in die Therme zu fahren. Es war die Nacht, in der wir und das erste Mal ganz nahe waren. Den Tag darauf verbrachten wir in einen Tierpark, wo Niall ganz angetan von der Sache war es in diesem Auto zu treiben.

Ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu auffällig zu schmunzeln.

"Amara?"

"Ja?", ich lehnte mich etwas mehr in die Mitte der Rückbank und sah in den Rückspiegel hoch, wo ich kurz die Augen meiner Großmutter auf mir sah. Sie ließ den Wangen an eine rote Ampel rollen.

"Deine Mutter hat mir erzählt, dass du in London warst?"

"Ähm, ja."

"Sprich in ordentlichen Sätzen, Kind", forderte meine Großmutter. Gerne hätte ich darauf hingewiesen, dass ich kein Kind mehr war, aber ich wollte keine Diskussion starten.

Ich unterdrückte das Gefühl mit den Augen rollen zu müssen. "Ja, ich war in London. Sophie und ich haben ein paar Tage miteinander verbringen wollen."

"Was? Meinst du diese alte Freundin von dir, mit den bunten Haaren? Dieses Model mit der du dich gestritten hast?"

"Ja, genau die. Sophie eben. Du kennst sie doch. Und wir haben uns wieder vertragen."

Sie drehte sich zu mir und spitze die Lippen. "Also von mir aus, hättet ihr euch ruhig weiterhin voneinander fernhalten können. Sie hatte noch nie sonderlich guten Einfluss auf dich. Und nun-", sie lachte kurz auf, "... ist sie ein Model. Das Mädchen hätte sich eine anständige Arbeit suchen sollen. So wie du. Da ist wohl etwas falsch gelaufen in der Erziehung."

Unruhig rutschte ich auf meinen Sitz hin und her.

"Mutter es ist grün, fahr endlich los", warf meine Mutter ein.

Grandma fuhr weiter und ich war meiner Mutter dankbar, dass sie vom Thema ablenkte. In Gedanken machte ich mich schon darauf bereit, wie ich meiner Großmutter die Wahrheit sagen konnte. Eben dass auch ich nicht besser war als Sophie, dass Sophie sogar erfolgreicher war, als ich es je sein werde. Und natürlich musste sie auch noch von der Sache mit Niall erfahren ....

"Ich habe für heute einen Chefkoch eingeladen", meinte Grandma plötzlich. "Immerhin ist heute Amaras sechsundzwanzigster Geburtstag und ich könnte mich nicht daran erinnern, wann wir das letzte Mal zusammen gefeiert haben. Valerie hatte ich auch eingeladen, aber sie hat leider abgesagt. Dieses Kind sehe ich auch viel zu selten. Generell vermisse ich es meine Familie um mich zu haben."

Der sonst so harte Gesichtsausdruck wich einem weicheren. Seitdem Großvater gestorben war, befand sich keiner aus unserer Familie, außer ihr, noch in dieser Stadt. Ich konnte also gut nachvollziehen, dass sie traurig war, obwohl sie es nicht zugeben würde. Es war schon ein Wunder, dass sie es offen sagte.

Wir hielten in der Einfahrt an und stiegen aus. Und im selben Augenblick kam ein Mann aus dem Haus gestürmt, der zum Auto hereilte und meiner Großmutter die Tür öffnete. Mir und Mum wurde es untersagt die Koffer hineinzuschleppen. Dass war ebenfalls seine Aufgabe.

Nichts, aber wirklich nichts hatte sich hier geändert. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben. Mein Zimmer sah noch immer aus wie bei meinem letzten Besuch im Sommer vor zwei Jahren, als das mit Grandpa passierte. Keine Worte dieser Welt könnten beschreiben, wie ich mich in diesem Moment fühlte. Egal wo immer man sich in diesem riesigen Haus aufhielt, schien alles wie immer, aber dennoch fehlte etwas - jemand. Die heile Welt in diesem Haus bestand nicht mehr.

Mit meiner Hand am Türknauf zu Grandpas altem Büro überrollten mich die Gefühle. Heiße Tränen brannten wie Säure an meinen Wangen. Ein letztes Mal hätte ich mich gerne in seine Arme gesehnt, seinen Bart an meiner Wange gefühlt, wenn er mir einen Kuss aufdrückte oder einfach nur sein Lachen gehört. Ein letztes Mal.

Er war viel zu gut für diese Welt und ich würde seine Erinnerungen in Ehren halten. Ich betrat sein Büro und hielt den Atem an. Auch nichts hatte sich in diesem Raum geändert. Einige Akten lagen aufgeschlagen am Schreibtisch, der Stuhl war etwas schief, eine Lesebrille und ein Kugelschreiber lagen am Tischende, bereit benutzt zu werden. Doch vor allem brach mir das eingerahmte Foto, dass ebenfalls am Schreibtisch stand, das Herz. Es war ein Familienfoto von ihm, Grandma, Mum und mir. Ich musste um die fünf Jahre gewesen sein. Ein Zahn fehlte mir, aber das hielt mich nicht von einem riesigen Lächeln auf. Alles was in diesem Moment gezählt hatte, war es, meine Familie um mich zu haben. Und auch wenn nicht immer alles rosig war, Mum nicht viel Zeit hatte oder den falschen Vaterersatz nach Hause brachte, Grandma und sie sich in die Haare bekamen ... Familie bliebt Familie und man liebt sie trotz alle ihrer Fehler. Man wird es immer tun.

Während ich das Foto in die Hände nahm und musterte, kam auch meine Mutter herein. Wir tauschten einen wissenden Blick aus. Worte mussten nicht fallen, wir wussten beide, dass hier gerade Wunden aufrissen, denn ich hatte nicht nur meinen Großvater verloren, Grandma ihren Mann, sondern auch Mum ihren Vater.

****

Wir saßen bereits seit einer knappen halben Stunde im Büroraum meiner Großmutter. Bis jetzt hatte sie noch kein Wort darüber verloren, aus welchem Grund wir eigentlich hier waren. Ich konnte mir auch keinen Reim daraus machen, was wir mit einem Anwalt besprechen mussten.

Nachdenklich nippte ich an meinem Kaffee. Meine Mutter saß auf dem Polstersessel neben mir und wippte mit ihrem Bein hin und her.

Als es plötzlich an der Tür klopfte und jemand den Besuch anmeldete, stellte ich die Tasse ab und stand, wie meine Mutter auch auf, dabei strich ich mir meine Bluse glatt.

Meine Mundwinkel fielen augenblicklich nach unten, als sich Lucas Janisch und seinen Vater David sah.

Was zur Hölle wollten die hier?!

Hätte es nicht irgendein anderer Anwalt sein können? Warum ausgerechnet David und sein Sohn, der mein Ex ist und dem ich eine gescheuert hatte, weil er es lustig fand uns beim Akt zu filmen.

Beide kamen in einen dunkelblauen Anzug gekleidet und mit gegellten Frisuren. Den dicken schwarzen Aktenkoffer ließ David zu Boden sinken, um uns nach der reihe die Hand zu geben. Sein Gruß war fest.

"Schon lange nicht mehr gesehen, Kate", hörte ich ihn zu meiner Mutter sagen, die nett nickte und lächelte.

Auch von Lucas wurden wir mit einem Händedruck gegrüßt.

Ich sah ihm nicht gerade freundlich an, als er mir die Hand gab, denn auch unser letztes Widersehen, hier in diesem Haus, war nicht gerade nett verlaufen. Er hatte versucht mich, obwohl Niall damals bei mir war, aufzureißen. Dass ganze atmete in einer Diskussion aus, in der Niall und Grandma in einen Streit verwickelt wurden und Niall von ihr aus dem Haus geschmissen wurde.

Man konnte als meinen, dass ich etwas gegen diesen Kerl hatte.

Wir nahmen wieder Platz. Mum neben mir, Großmutter hinter ihren Schreibtisch und Lucas und sein Vater mir und meiner Mutter gegenüber.

"Elisabeth, haben Sie schon mit ihnen darüber gesprochen warum Sie unsere Kanzlei beauftragt haben?", brach David das Schweigen. Es war nicht komisch, dass er uns mit den Vornamen ansprach. Die Familien waren schon seit Jahren befreundet - bis auf mich und Lucas.

Grandma faltete ihre Hände am Tisch. "Nein, ich-"

"Mutter, was ist hier los?", fragte meine Mutter aufgebracht. Und mir ging es nicht anderes. Ich wollte auch zu gerne wissen, was hier ab ging.

"Kathrine, lass mich doch aussprechen", seufzte Grandma. "Ich habe die Kanzlei Janisch beauftragt, die Firma deines Vaters zu verkaufen."

"Du hast was?!" Entsetzt war meine Mutter von ihrem Stuhl aufgestanden. "Aber das kannst du nicht! Das ist Dads Firma!"

Grandma atmete gequält aus und rieb sich über das Gesicht. Dann biss sie die Zähne zusammen und sah meine Mutter ernst an. "Dein Vater ist nicht mehr hier! Nur noch ich und ich ... ich kann nicht mehr."

Mir rauchte der Kopf. Mit diesem Arschloche in einem Raum zu sitzen, zu wissen, dass man seiner Großmutter heute noch sämtliche Wahrheiten offenbaren musste und jetzt zu hören, dass sie das letzte, was noch an Grandpa erinnerte weggeben wollte, war zu viel.

"Das ist Dads Firma. Das kannst du nicht machen!" Die Versuche meiner Mutter Grandma umzustimmen scheiterten kläglich, denn die wollte nichts davon hören.

"Schluss jetzt, Kate! Es ist meine Entscheidung. Und was bleibt mir anders übrig?" Ihr Blick lag scharf auf meiner Mutter. "Auf dich war kein Verlass. Du hast nie studiert und keinen Mann mitgebracht, der die Leitung übernehmen könnte...", dann sah sie zu mir. "Und du auch nicht, Amara." Sie schüttelte den Kopf. "Was hattet ihr denn gedacht, was passieren würde, wenn es niemanden gibt der nachrückt und den Posten übernimmt?"

Ehrlich gesagt, hatte ich mir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht. Nicht im Geringsten.

Unbehaglich stand David Janisch von seinem Stuhl auf. "Ich halte es besser, wenn wir kurz nach draußen gehen, damit Sie die Details in Ruhe besprechen können." So verschwanden beide Anwälte hinter der geschlossenen Tür.

Meine Mum hatte sich wieder neben mich gesetzt. Die Hände lagen auf ihrem Schoss. "Mutter, warum?"

"Ich habe euch doch schon gesagt, dass ich meine Familie vermisse. Ich möchte, dass alles hinter mir lassen. Egal wo ich hinsehe ... überall sehe ich John. Es macht mich fertig." Weinerlich presste sie die Lippen zusammen.

"Das kann ich verstehen, aber ... aber gib es denn keine andere Lösung?"

Grandma zuckte mit der Schulter. "Liegt euch denn etwas daran diese Firma zu behalten, denn keiner von euch hat je Interesse geheuchelt. Ich dachte ehrlich, ihr würdet euch freuen, wenn ich euch ausbezahlen lasse."

"Grandma", zum ersten Mal fand ich meine Stimme. "Es ist uns nicht egal. Niemals, okay? Wir haben ihn genauso sehr geliebt wie du. Die Firma war sein Baby und ich möchte dieses Baby nicht in anderen Armen sehen. Das würde er auch nicht."

Großmutter öffnete eine Schublade und nahm sich ein Taschentuch, um sich die Nase zu putzen.

"Dann macht mir doch einen Vorschlag, was ich unternehmen soll? Ich bin inzwischen sechsundsechzig und möchte in meine wohlverdiente Rente gehen. Jünger werde ich nicht mehr und man weiß nie wieviel Zeit einem noch bleibt ... und diese Zeit möchte ich mit meiner Tochter und meinen Enkelkindern verbringen."

"Amara könnte ...", begann meine Mutter, stoppte sich jedoch selbst im Satz.

Ich runzelte die Stirn. Amara könnte was?

Mum legte ihre Hand auf meine. "Los, erzähl es deiner Großmutter."

Etwas perplex sah ich sie daraufhin an. Mir war klar, worauf sie anspielte. Wollte meine eigene Mutter mich derart ins Messer laufen lassen?

"Ähm, du meinst, ich soll es ihr .... jetzt sagen?"

Zweifelnd, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt war Grandma von meinen Lügen zu erzählen, rutschte ich unruhig hin und her.

"Wovon sprecht ihr?", fragte dieses daraufhin.

"Komm, Amara. Jetzt spuck es aus. Erzähl es ihr." Der Blick meiner Mutter war durchbohrend.

Unwohl räusperte ich mich. Mein Hirn wollte sich keinen Reim daraus machen, wozu ich es jetzt gerade sagen musste. Hatte das nicht Zeit? Wäre es später nicht besser angebracht, wenn wir diesen ersten Schock überstanden hatten?

Mum ließ nicht locker. Mir blieb nichts anders übrig.

"Okay, wenn wir hier schon dabei sind mit offenen Karten zu spielen ...", sagte ich und rieb mir nervös die schwitzigen Händen an meiner Jeans ab. Mum und ich wechselten einen Blick. "Ich muss dir etwas sagen Grandma und bitte sei nicht zu sehr enttäuscht von mir." Mein Mund wurde schlagartig staubtrocken. Ich nahm einen Schluck von meinen lauwarmen Kaffee, bevor ich weitersprach. "Ich weiß, wieviel es dir bedeutet und das hat es auch mir aber ich ... ich habe nie zu ende studiert. Mir ist ... naja ... das Geld ausgegangen."

Bestürzt sah mich Grandma an. "Amara ..."

Gestikulierend versuchte ich eine Antwort zu formulieren, aber nichts kam.

Mum räusperte sich. "Amara ... das ist nicht alles. Los erzähl ihr was du getan hast. Sie soll es auch wissen."

Ich ballte die Hand zur Faust. "Grandma ich ...", ich atmete schwer aus. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Warum zwang meine eigene Mutter mich dazu, gerade jetzt alles offenzulegen? War die Situation nicht schon angespannt genug? Reichte es nicht vollkommen aus?

Grandma rutschte in ihrem Stuhl zurück. Eine Braue hatte sie hochgezogen.

Da ich es einfach nur noch hinter mich bringen wollte, schloss ich die Augen und sagte es ihr: "Niall und ich haben geheiratet. Vor vier Tagen."

Da ich meine Augen geschlossen hatte, sah ich ihren Gesichtsausdruck nicht, aber die Stille schien kein gutes Zeichen zu sein.

Weitere Sekunden vergingen, bis ich eine schrille empörte Stimme hörte.

"Den Musiker!?"

Ich spähte durch meine Wimpern. Grandma war inzwischen aufgestanden und hielt sich mit den Händen am Tisch fest.

"Amara Julien! Ich glaube, ich bin im falschen Film!"

Mein innerstes wollte den Nachnamen verbessern, aber ich unterließ es, um nicht umgebracht zu werden. Aus irgendeinem verrückten Grund hatte ich mehr Angst vor meiner Großmutter, als vor meiner Mum.

Und wieder musste ich mir eine Standpauke geben lassen. Grandma machte mir auch deutlich klar wie enttäuscht sie von mir war und dass ich ihrer Ansicht nach etwas Besseres verdient hatte, als Niall, der Musiker, der ein Kind mit einer anderen hatte und mich sicherlich wieder mit seinen Groupies betrügen würde. Für sie stand fest, dass ich so enden würde wie meine Mutter. Als Stiefmutter, mit einem Mann, der unter meiner Würde war ... und vor allem arbeitslos.

Ihr Stimme war inzwischen so laut geworden, dass ich mir sicher war, dass die Anwälte vor der Tür mitlauschen konnten.

Mein Geburtstag wurde von Stunde zu Stunde besser. Auch Niall hatte sich heute noch nicht bei mir gemeldet, obwohl es schon Nachmittag war. Ob er meinen Geburtstag vergessen hatte?

Mum stand inzwischen neben Grandma und nickte bei jeder ihrer Aussagen bekräftigend. Sie war meine Mutter, sollte sie da nicht mich unterstützen?

Nach ihrer Schimpftiarde ließ sich Grandma müde ihn ihren Stuhl fallen. Sie rieb sich die Schläfen. "Was soll jetzt nur noch aus dir werden, Amara?"

Meine Finger bohrten sich bereits in den Stoff des Polstersessels. Mir stand es bis oben hin, befand mich kurz vorm explodieren. Jeder versuchte sich in meine Angelegenheiten einzumischen. Und da ich mir ihre Meinung angehört hatte, fand ich, dass sie jetzt auch meine hören könnte.

"Ich habe dir jetzt zugehört Grandma und auch dir Mum ... danke für deine nicht vorhandene Unterstützung übrigens."

Ich holte Luft.

Ruhig bleiben, einfach ruhig bleiben.

"Ihr habt uns oft genug gesagt, was ihr von unserer Beziehung haltet. Dass wir nicht Zusammensein dürfen, wegen der Familie. Dass es falsch ist, dass wir uns nicht gegenseitig verdienen ..., aber habt ihr schon mal an uns gedacht? Wir lieben uns so sehr, wie ihr eure Männer liebt und eure Männer euch. Niall ist meine zweite Hälfte und ich habe noch nie für jemanden so empfunden, wie ich es für ihn tue. Ein Leben ohne ihn ist nicht akzeptabel. Und ich werde mir hier kein schlechtes Gewissen von euch einreden lassen. Von niemanden. Unsere Beziehung mag zwar nicht immer die Beste gewesen sein, dennoch ändert es nichts an der Sache." Mit dem Zeigefinger tippte ich mir an die Brust. "Ich bin eine erwachsene Frau, die ihre eigenen Entscheidungen trifft und wen ich heirate geht euch nichts an. Wenn ihr weiterhin ein Teil meines Lebens bleiben wollt, akzeptiert die Tatsachen. Und wenn es wirklich scheitern sollte, Niall und ich den Fehler einsehen, dann möchte ich kein Wir-habe-es-dir-doch-gesagt hören. Mein Leben. Meine Entscheidung."

Zwei entsetzte Gesichter blickten mir entgegen. Aber ich gab ihnen nicht die Chance zu antworten.

"Ich kann noch immer studieren. Schon alleine, weil ich weiß, dass Niall mich unterstützen wird. Er hat einen guten Einfluss auf mich und macht mich glücklich. Seid mir doch mal etwas Glück vergönnt. Nach den letzten fünf Jahren habe ich das doch. Und das habt ihr auch."

Grandma blies Luft aus. "Wow, ich bin gerade etwas sprachlos und gleichzeitig platze ich vor Stolz."

"Was?", fragte ich verwirrt nach. Sie war ... stolz. Auf was? Mich?

"Du hast dich weiterentwickelt, Amara. Mir - uns - hier so eine Ansage zu geben, hätte ich dir nicht zugetraut."

"Ihr habt mich rasend gemacht. Da dürft ihr euch nicht wundern. Ich bin kein Kind mehr."

Sie nickte.

"Das wissen wir, Amara", hörte ich meine Mutter sagen.

Ich sah zwischen ihnen her. "Dann hört endlich auf, mich wie eines zu behandeln. Mit Valerie habt ihr das auch nicht gemacht."

"Valerie ist auch nicht hier aufgewachsen. Das kannst du nicht vergleichen", erwiderte meine Großmutter.

Nur ungern gab ich zu, das Grandma damit recht hatte.

"Hör zu. Wie du eben gesagt hast, bist du erwachsen und triffst deine eigenen Entscheidungen, aber wir, deine Mutter und ich, werden uns immer Sorgen um dein Wohlergehen machen. Deshalb biete ich dir etwas an."

Ich sah zu meiner Mutter, aber auch von ihrem Gesicht konnte ich nicht lesen, was meine Großmutter mir anbieten wollte. Sie hatte keine Ahnung.

"Amara ... bleib hier bei mir."

"Das geht nicht!", platze es aus mir heraus. Niall und ich versuchten eine Zukunft aufzubauen und das würde so sicher nicht funktionieren. Niemals!

Grandma schüttelte genervt den Kopf. "Wäre es denn möglich, wenn ich zuerst aussprechen darf, bevor du mir hineinredest?"

Nickend sah ich meinen Fehler ein. "Entschuldigung."

"Gut. Also ... bleib hier bei mir. Und wenn Neil-"

"Er heißt Niall", merkte ich mit etwas Unterdruck an. Sie musste inzwischen wissen, wie er hieß. So brauchte sie mir erst gar nicht kommen.

Sie seufzte genervt. "Und wenn Niall auch hier mit dir leben will, werden wir das sicher hinbekommen. Ich biete dir an, dein Studium fertigzumachen, aber nur, wenn du auch ein Wirtschaftsstudium dazu machst und mit mir hier arbeitest. Ich würde dir zeigen, wie der Hase läuft und die Firma dann auf dich überschreiben."

Etwas überrumpelt stand mir der Mund offen. "Grandma ... ich ... ich kann das doch nicht."

"Man kann alles lernen. Und ich vertraue dir, Amara."

Sie wollte mir, ausgerechnet mir, die Firma überschreiben?! Ich fing doch mit diesen Bauplänen und all diesen Akten und Begriffen überhaupt nichts an!

"Mutter ist das dein Ernst?", fragte auch meine Mum überrascht. "Amara hat sich doch nie dafür interessiert ..."

Da hatte meine Mutter allerdings recht.

"Kate, das weiß ich natürlich. Halte mich doch nicht für dumm!" Sie warf meiner Mutter einen schnippischen Blick zu, bevor sie wieder in meine Richtung sah. "Es war lediglich ein Angebot. Wenn Amara es nicht will, muss sie es nicht. Ich verkaufe die Firma und gebe euch euer Geld. Aber wie ihr auch schon gesagt hattet, wäre das sicherlich nicht in Johns Willen."

Großvater ... warum ist er nicht mehr hier? Er würde sicher wissen, was zu tun ist.

Ich stand auf und ging um den Stuhl herum. Mein Kopf spielte verschiedenste Szenarien ab. Schlechte und Gut. Aber vor allem, fragte er sich, was Niall davon halten würde. Diese Entscheidung lag nicht nur an mir, er war nun ein Teil meines Lebens. Alleine konnte ich es nicht entscheiden. Doch wollte ich es überhaupt? Wollte ich eine Firma leiten, für die ich nicht bluten würde? Wenn ich es tun würde, dann nur für meine Grandpa, das war mal klar.

Grandma stand auf. Sie kam auf mich zu und legte eine Hand auf meine Schulter. "Es ist verständlich, dass du darüber nachdenken musst, deshalb werde ich die Anwälte fortschicken. Überleg es dir, sprich mit Niall darüber. Aber bitte, triff eine Entscheidung mit der du leben kannst. Es ist nur ein Angebot. Du musst nichts tun, was du nicht möchtest."

"Ich kann im Moment sowieso nichts dazu sagen. Niall und ich müssen darüber reden. Es geht nicht nur darum was ich möchte."

Grandma verließ daraufhin den Raum. Meine Mutter und ich blieben alleine zurück, verwirrt und aufgebracht von allem was eben geschehen war.

Ich brauchte etwas Ruhe um nachzudenken, was ich als nächstes tun würde, deshalb ging ich hoch in mein Zimmer. Die gruseligen Porzellanpuppen verfolgten einen jeden Schritt von mir.

Erschöpft setzte ich mich auf mein Bett und wählte Nialls Telefonnummer, doch der Anruf wurde sofort abgewiesen. Die nervige Mailbox Ansage lief stattdessen.

Warum ging er nicht ran?

Ich bedankte mich bei den vielen Glückwünschen meiner Freunde, wie Matt, Sophie, Tobi, Peter, Lola und Lilly und auch Harry hatte mir per Twitter eine DM geschickt, in der er mir alles Gute wünschte. Sie alle hatten an mich gedacht ... nur Niall meldete sich nicht.

Vielleicht hatte er es wirklich vergessen ... oder er befand sich bei einem Termin und hatte deswegen noch keine Zeit. Es würde zumindest begründen warum sein Telefon aus war.

Mir fiel ein, dass ich Matts Geschenk noch nicht geöffnet hatte, weshalb ich vom Bett aufsprang und in meinem Koffer danach suchte. Das dünne Geschenk mit der roten Schleife strahlte mich förmlich an. Es wollte geöffnet werden.

Ich zog am roten Band der Schleife und öffnete sie. Ungeduldig riss ich das schlichte Geschenkpapier hinunter. Zum Vorschein kam ein ... Comic-heft?

"Matthews dangerous mission", stand als Überschrift in einer weiß umrahmten Schrift am Titelblatt. Erst am zweiten Blick sah ich darunter "von Matt Willow", geschrieben.

Das war ein Comic, den Matt selbst gezeichnet hatte!

Er hatte mir doch mal erzählt, wie gerne er das früher gemacht hatte und davon von Amber, seiner Schwester, verspottet wurde.

Aufmerksam las ich mir jede Seite davon durch. Der Held der Geschichte war Matthew, der Matt sein sollte. Das ergab natürlich sind, da Matthew Matts richtiger Name war. Die Stadt wurde von einem Bösewicht heimgesucht, der eins zu eins Niall hätte sein können. Und wie hätte es anders sein können, ging es darum das Herz eines Mädchens zu stehlen. Giatrromon, der Bösewicht, wollte das junge Ding entführen, weil er ihr Herz brauchte, um einen Fluch zu entfachen, um sich an der Stadt und seiner Bewohner zu rächen, die ihn früher nicht genug Beachtung geschenkt hatten. Gitarromon war aber gierig nach Liebe und ließ sich das nicht gefallen. Im Endeffekt rettet Matthew das Mädchen, mit den braunen schulterlangen Haaren und dem Tattoo am Handgelenk.

Es war so süß geschrieben, dass ich am Ende heulend in meinem Bett saß und schniefend meinen besten Freund anrief, um mich bei ihm zu bedanken. Ich ließ es aber sein, die Anspielung auf dieses Liebeschaos anzusprechen. Es war mir klar worum es eigentlich in diesen Comic ging. Eine letzte Seite fehlte nämlich. Sie wurde aus dem Comic geschnitten. Vermutlich eine Liebeserklärung. Das war zumindest, dass was mein Gehirn sich zusammenreimte.

Es klopfte an meiner Tür und Mum kam herein.

"Amara, könntest du kurz nach unten kommen?"

"Ist was passiert?" Ich ahnte sofort schlimmes, aber sie schüttelte kichernd den Kopf.

"Nein, komm einfach mit."

Mit einem Taschentuch tupfte ich mir über die Augen. Meine Schminke war etwas verschmiert, was ich ihm Spiegel sah, als ich meiner Mutter folgte.

Wir gingen die Treppen nach unten und ich warf einen Blick über das Treppengeländer. Im Flur auf dem kleinen Tisch, stand ein riesiger Strauß roter Rosen. So einen hatte ich auch schon mal bekommen und zwar zu meinem zwanzigsten Geburtstag. Und zwar von Niall, von dem ich mir wünschte, dass er sich endlich melden würde. Als Ehemann hatte er sich schon Minuspunkte angesammelt.

Hatte Grandma etwa einen neuen Freund von dem sie uns nichts erzählte hatte? Könnte nicht er die Firma übernehmen?

Wir gingen um die Kurve, wo meine Mutter plötzlich stehenblieb, so dass ich geradewegs in sie lief.

"Mum, passt doch auf!"

Ich machte einen Schritt zur Seite und folgte ihren Blick. Sie starrte die Rosen an. Mit dem Kopf nickte sie auf den Strauß.

"Rate mal, wem die gehören."

"Grandma?", riet ich achselzuckend. Was sollte das nun wieder?

Mum hob eine Augenbraue. Dann stieß sie mich sanft zu dem Tisch mit den Rosen. Der Bund bestand aus mindestens einhundert roter Rosen. Sie dufteten herrlich.

Gut sichtbar entdecke ich eine kleine Karte.

Ich hoffe, ich konnte dir mit den Rosen eine kleine Freude bereiten. Feier nicht zu viel und bleib brav.Alles Gute. - N.

PS: Dreh dich um.

Die letzte Zeile las ich stirnrunzelnd ein zweites Mal, bis ich mich tatsächlich umdrehte und vor Schreck das Kärtchen fallen ließ.

Niall stand keine zehn Zentimeter entfernt von mir und grinste mich übertrieben glücklich an. Er legte eine Hand an meine Wange.

"Du dachtest doch nicht, dass du deinen Geburtstag ohne mich verbringen musst, oder?"

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste Niall leidenschaftlich. Er schlang seine Arme um mich, während die Schmetterlinge in meinen Magen hüpften.

Er war hier. Tatsächlich hier bei mir. Ich wurde also nicht vergessen. Wie konnte ich auch nur an ihn zweifeln?

Erst als sich jemand neben uns räusperte, lösten wir unsere Lippen voneinander. Mein Kopf blieb an Nialls Brust ruhen. Seine Arme um meine Taille hielten mich fest.

"Elisabeth, Kate ...", hörte ich Niall sagen. Ich senkte den Kopf etwas zurück. Meine Mutter und Großmutter standen etwas abseits neben uns und beobachteten uns. "Danke, das ich kommen durfte."

Augenblicklich sah ich auf und Niall sah in mein Gesicht hinab.

Hatte er gerade meine Großmutter wirklich mit Vornamen angesprochen? Und diese regte sich nicht mal künstlich auf? Das ich sowas noch erleben durfte ...

"Wussten die Zwei, dass du kommst?", hackte ich nach, da mir die Sache komisch vorkam. So ganz plötzlich war Niall da und niemand sagte etwas ... da war doch etwas im Busch.

Niall küsste meine Stirn. "Ich habe mich gestern Morgen bei deiner Großmutter angemeldet."

Er hatte sich gestern angemeldet?

Ich runzelte die Stirn. "Entschuldige kurz ... hast... hast du gestern ... gesagt?"

Niall nickte. "Ja, ich wollte es deiner Großmutter persönlich sagen. Dass von dir und mir. Wir hatten doch noch nie einen guten Bezug zueinander und ich wollte versuchen, es wenigstens zu probieren."

"Niall du-"

"Psst", er legte einen Finger auf meine Lippen. "Ich musste das tun. Du bist jetzt meine Frau und ich werde dich in allem unterstützen. Du musst nichts mehr alleine machen. Wir sind ein Team. Eine Einheit. Verstanden?"

Ich nickte. Das hieß, meine Großmutter war die ganze Zeit über schon eingeweiht gewesen und hatte mich, während sie mich zur Schnecke machte, im Glauben lassen, dass es nicht so war. Wow, das war ja mal wieder typisch. Hauptsache sie konnte wieder eine ihrer langen Reden halten.

Niall suchte meinen Blick. Das Blau seiner Augen strahlte. "Sag es, Amara. Ich will es dich sagen hören."

"Ich werde nichts mehr alleine tun müssen. Nun habe ich dich. Wir zwei", kam ich seiner Bitte nach.

Seine Nase berührte meine. "Gut." Er rückte ab von mir und nahm meine Hand, an der ich den Ring trug, den wir ganz günstig im Casino gekauft hatten. Niall sah mich kurz tief an, bevor seine Augen an meinen Finger wanderten. Er nahm mir den Ring ab. "Das war nur ein Platzhalter."

Aus seiner Hosentasche zog er eine schwarze Box hervor. Mit einer Handbewegung klappte er sie auf.

Mein Herz setzte einige Schläge aus. Mein Magen spielte verrückt. Meine Knie wurden zu Pudding.

Der Ring war wunderschön. Nicht zu pompös und dennoch gut sichtbar. Der Diamant funkelte im Licht des Kronleuchters.

Wie angegossen passt der Ring an meinen Finger. Ich spürte Nialls Augen auf mir als ich den Ring an meinen Finger in Augenschein nahm.

Mit einem langen Kuss bedankte ich mich bei ihm. Ich konnte keine Worte finden, deshalb hoffte ich, dass diese Antwort ausreichte, um zu sagen, was ich für ihn empfand.

Und für jetzt, für diesen Augenblick, war ich die glücklichste Frau der Welt.

"Wir wollen euch nur ungern stören, aber wir haben noch etwas zu besprechen", sagte Grandma. "Denn wenn Niall ja schon hier ist, könnten wir auch ihn mein Angebot unterbreiten."

Niall runzelte die Stirn. "Was für ein Angebot?"

Musste das ausgerechnet heute sein? "Grandma, kann das nicht bis morgen warten? Es ist mein Geburtstag."

"Eine Firma schläft nie, Kleines. Aber das werde ich dir noch beibringen, wenn du einwilligst."

"Einwilligst?", wiederholte Niall nur noch mehr verwirrter. Er dachte bestimmt, dass wir in Rätsel sprachen.

Meine Mum machte eine Schritt nach vorne. "Niall, meine Mutter hätte gerne, dass Amara hierbleibt und ein Wirtschaftsstudium ablegt, um die Firma meines Vaters übernehmen zu können. Anderenfalls würde meine Mutter sie verkaufen. Amara hat die Wahl. Es ist ihre Entscheidung."

Niall drückte meine Hand. "Und was denkst du davon, Amara?"

"Ich?", fragte ich dämlich nach. "Keine Ahnung. Ich würde hierbleiben müssen und ... und das ginge doch nicht. Wir gehören doch jetzt zusammen."

"Ja, wir gehören zusammen. Deine Mutter hat Recht, es ist deine Entscheidung. Wie schon gesagt, ich werde dich in allem unterstützen. Mein zu Hause ist da wo du bist und genau da werde ich sein. Das ist das einzige was zählt."

 

 

Epilog: Ich wünschte, du könntest das sehen.

 

*4 Jahre später*

Ein Schneesturm fegte durch die Straßen von London. Dicke große Flocken zischten durch die Luft und bedeckten die Stadt unter uns. Aufgrund dieses Sturms wurden sämtliche Flüge gestrichen. Eigentlich wollten Niall und ich nach Mullingar reisen, um dort die Feiertage bei unserer Familie verbringen zu können.

Ein großes Fest mit allen Verwandten und Freunden würde schon seit Wochen von meiner Mum geplant. Vor einer knappen Stunde musste ich ihr leider die nüchterne Nachricht überbringen, dass wir ihnen leider keine Gesellschaft leisten konnten.

Zwei Arme schlossen mich von hinten in eine Umarmung. Die einfache Geste wirkte beruhigend auf mich. Ich ließ mich an seine Brut fallen und sah dem Schnee beim Wirbeln in der Luft zu. Durch die wandhohen Fenster, sah es aus, als stände man direkt im Sturm, umgeben von zarten Federn aus Eis.

"Ich weiß, es ist nicht das perfekte Weihnachten, aber es ist mir egal, wo wir sind. Hauptsache wir sind zusammen", wisperte er an mein Ohr.

Mit weichen Knien drehte ich mich um und gab Niall einen dicken Kuss.

"Ich liebe dich", hauchte ich leise an seine Lippen.

"Ich liebe dich auch. Bis zur Sonne und zurück."

Niall drückte mir einen weiteren Kuss auf die Schläfe. Dann ließ er von meiner Taille ab und nahm stattdessen meine Hand. "Komm, zieh dir deinen Mantel aus. Wenn wir schon Weihnachten hier im Apartment feiern werden, sollten wir Weihnachtsstimmung in die Bude bringen."

Da wir eigentlich andere Pläne hatten, ließen wir es aus einen Baum zu kaufen oder etwaige andere Deko aufzuhängen. Ich konnte mir ein Weihnachten ohne einen Weihnachtsbaum im besten Willen nicht vorstellen und hier an Weihnachten nun ohne Baum im Apartment zu sein, gefiel mir überhaupt nicht.

Seufzend öffnete ich die Knöpfe meines Mantels und Niall zog ihn mir von den Armen und hängt ihn an der Garderobe auf.

Ich ließ mir eine Tasse Kaffee ein und nahm mir aus dem Naschkästchen eine Packung Kekse, mit der ich mich auf das Sofa fallen ließ. Einen Keks dippte ich in die Schlaghaube meines warmen Getränkes.

Nüchtern sah ich mich um. Niall war verschwunden. Mit der Tasse in den Händen, um meine kalten Finger zu wärmen, ging ich von einem Raum in den nächsten, nur um Niall ganz hinten in einem Abstellraum zu finden.

Ich lehnte mich gegen den Türrahmen und sah entzückt seinen Rücken an. "Niall? Was soll das werden?"

Er räumte die eine Seite der Kisten auf die anderen. Etwas Staub klebte ihm an der Wange und in den Haaren. Ein unverschämt gutaussehendes Lächeln schlich sich über seine Lippen. "Ich suche nach der Weihnachtsdeko. Inzwischen kenne ich dich gut genug, um zu wissen, wie sehr du Weihnachten liebst."

Bestätigend lächelte ich. "Das stimmt."

"Kann ich dir irgendwie helfen?", bot ich schließlich an. Aber er verneinte.

"Schon gut, Schönheit. Setz dich mit deinen hübschen Hintern auf die Couch und trink deinen Kaffee. Als Dank dafür fällt mir sicherlich noch etwas ein." Ein anzügliches Zwinkern folgte von Niall und ich wusste, was er wohl als Dank von mir erwartete.

Für seine Frechheit bekam er einen Klaps auf den Hinterkopf, was ihm aber nicht davon abhielt einfach nur nochmal zu zwinkern.

Als ich etwas später wirklich auf der Couch saß und Niall mit einem riesigen Karton ins Wohnzimmer kam, sah ich neugierig auf. Er stellte sie vor mich auf den Tisch. Zwischen bunten Kugeln, verhedderten Lichterketten und beleuchtbaren Weihnachtsmännern, befand sich auch ein kleiner Baum in der Kiste, den man zusammenstecken konnte.

In aller Freude darüber hielt ich meine neu angefüllt Tasse etwas schief und leerte mir den heißen Kaffee über den Oberschenkel.

Zischend sprang ich auf. "Verdammt!"

Während ich mich umgezogen hatte und jetzt mit einer dünnen Stoffhose ins Wohnzimmer kam, hatte Niall den Schmuck auf den Glastisch ausgebreitet. Im Moment war er dabei den einen Meter hohen Weihnachtsbaum zusammenzustecken. Die Äste waren weiß besprüht und sahen aus wie von Schnee bedeckt - was zum Wetter draußen passte.

Niall war so konzentriert, dass er überhaupt nicht mitbekam, dass ich ein Foto von ihm geschossen hatte. Es sah so schön aus, dass ich es auch mit Sophie teilte ... und Mum und Bobby ... und auch Greg und Denise. Wenn ich nett gewesen wäre hatte ich es auch mit Holly geteilt, damit Charlotte zumindest ein Foto von ihrem Vater sah.

Holly und ich sind auch vier Jahre später noch keine Freundinnen. Wir akzeptierten uns gegenseitig, was man schon als Fortschritt deuten konnte, im Gegensatz zu früher. Mit Charlotte kam ich aber klar. Ich hatte sie in den letzten Jahren wirklich in mein Herz schließen können. Sie ist die Freundlichkeit in Person, lebhaft und humorvoll. Ein sehr schlaues Kind, dass ein Wahnsinn an der Gitarre war. Niall und sie hielten oft stundenlang ihre Gitarren fest und spielten zusammen. Er gab sich sehr viel Mühe sie so oft zu sehen wie es ihm möglich war. Die Ferien verbrachte sie oft bei uns. Inzwischen war das alte Gästezimmer in ein Kinderzimmer umfunktioniert worden. Und auch wenn ich es ihr nicht vergönnt war, hatte auch Holly die Liebe gefunden, und zwar in Dean. Es war der junge Mann, der damals mit ihr im Pub aufgetaucht war, als ich sie zum ersten Mal getroffen hatte. Wie sich herausgestellt hatte, hatten die Beiden immer wieder mal was. Nächstes Jahr im Sommer folgt die Hochzeit der Beiden, zu der ich sogar eingeladen wurde. Sie, Dean und Charlotte lebten noch immer zusammen in dem Haus, das Niall damals gekauft hatte.

Ich war nicht mehr oft in Mullingar. Was mir weh tat, weil ich meine Mutter und Bobby vermisste. Dieses Paar konnte wirklich nichts trennen. Sie waren noch genauso verliebt wie am ersten Tag. Zu diesen Buchclub treffen ging sie noch immer wöchentlich. Im letzten Jahr war Mum sogar über ihren Schatten gesprungen und hatte sich durchgerungen ein eigenes Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Das auch nur irgendein Verlag sich wirklich für dieses Buch interessierte, war mir unklar. Es war nicht schlecht, aber ich als nicht Leserin würde wohl nicht verstehen was an dieser Liebesgeschichte anders war, als an den anderen eine Millionen, die es schon gab. Meine Großmutter hatte es abgestritten, als ich sie danach gefragt hatte, aber ich glaubte, dass sie etwas nachgeholfen hatte. Seitdem sie ebenfalls in Mullingar lebte, standen sie und Mum sich näher als jemals zuvor. Und ich war mir sicher, mal gehört zu haben, dass eine ihrer Freundinnen bei einem Verlag arbeitete.

Nicht nur bei meiner Mum und Bobby lief es gut, sondern auch bei Valerie und Connor - obwohl es bei Letzteren sowieso schon immer gut lief. Egal was beide anfassten, es würde erfolgreich. So hatte Connor noch eine Zweigstelle in Tokio, neben London und der USA eröffnet. Meine Schwester erhielt dieses Jahr ihren ersten Emmy, als beste Drama Schauspielerin für einen ihrer neuen Filme. Das wir alle stolz auf sie waren, war die Untertreibung des Jahrhunderts.

Leise schlich ich mich an Niall heran, er gerade eine Lichterkette um den Baum legte. Ich schloss meine Arme um ihn und gab ihm einen Kuss auf die Schulter. Seine Brust bebte leicht, als ihm ein tiefes Lachen entkam. "Du bist so süß, wenn du anhänglich bist."

Er bekam noch einen Kuss auf die Schulter von mir. "Das Kompliment gebe ich nur zu gern zurück, Mr Horan."

Ich schmiegte mich noch eine Weile an den Rücken meines Mannes, bis ich mich beschloss ihm zu helfen. Frauen hatten eindeutig ein besseres Händchen zum Dekorieren, das hatte mir Niall hiermit bestätigt. Zum Schluss sah das Apartment wirklich nach Weihnachten aus. Und die Duftkerze, die nach Zimt und Bratapfel roch, tat ihr Übriges.

Da unser Kühlschrank leer war, da wir nicht gerechnet hatten, dass wir keinen Flug bekommen würde, bestellte Niall etwas beim Italiener. Wir saßen zusammen am Esstisch, er mir gegenüber. Unsere Beine waren ineinander verschlungen. Er aß Pizza und ich drehte Spagetti um eine Gabel.

Zwischen uns war alles toll, wirklich toll. Einfach nur super. Jeden Morgen noch immer mit Schmetterlingen im Bauch aufzuwachen zeigte, dass ich diese Blitzhochzeit niemals bereuen würde.

Die Öffentlichkeit war empört darüber gewesen, als Niall sie wissen ließ, dass er nicht mehr zu haben war. Ich hatte mich inzwischen mit dem Gedanken abgefunden, nicht von allen seiner Fans gemocht zu werden. Es war ihre Meinung und das war okay. Sie kannten mich nicht persönlich und sollten denken von mir was sie wollten. Zeit mir Gedanken darüberzumachen hatte ich sowieso nicht. Ich pendelte ständig zwischen meiner Heimat und London hin und her. Zwar übernahm Marvin, mein Stellvertreter in der Firma vor Ort viel, dennoch blieb einiges an mir hängen. Es war aber nicht zu schlimm, sondern alles im Rahmen. Die meiste Zeit versuchte ich aber hier zu verbringen. Niall war gerade viel im Studio, da er ein neues Album aufnahm und so versuchten wir wirklich jeden Augenblick zu nutzen, der uns zusammen noch blieb. Und wenn ich dann noch etwas Zeit übrighatte, versuchte ich den Kontakt mit Matt aufrechtzuhalten. Seitdem er und seine Freundin Sarah, vor ungefähr drei Monaten zusammengezogen waren, war er fast nicht mehr zu erreichen. Lag aber nicht nur an seiner neuen Freundin, sondern auch daran, dass er neben dem tätowieren an einer Comicreihe arbeitete, dessen erste Auflage ab nächstem Frühjahr im Handel war. Auch hier hatte ich meine Grandma gebeten, etwas zu helfen. Vitamin B half sichtlich immer.

Ich wünschte mir Grandpa hätte das alles noch sehen können. Er wäre bestimmt stolz gewesen auf Mum, auf Grandma, auf Valerie ... auf mich. Um ihn immer in Ehren zu halten, zierte sein Name "John" meinen Unterarm. Matt stach ihn mir, als ich offiziell zur Firmenvorsitzenden wurde.

Ich stahl mir ein Stück Pizza von Niall, der mich daraufhin böse ansah. Er hatte sich auch an meinen Spagetti bedient, so war es nur fair, wenn ich ihm auch ein Stück klaute.

Etwas später saßen wir umschlungen auf der weichen Couch im Wohnzimmer. Im Hintergrund lief ein Weihnachtsfilm, dem wir aber nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenkten.

"Ich habe ein Geschenk für dich", sagte ich leise an Nialls Halsbeuge. Ich ließ mich etwas nach hinten fallen, damit ich in sein Gesicht sehen konnte. Meine Hände lagen an seinen Nacken.

Niall zog eine Augenbraue hoch. "Warst du nicht diejenige, die meinte, dass wir uns dieses Mal nichts gegenseitig kaufen sollen?"

Ich leckte mir über die Lippe. "Das Stimmt. Und das habe ich auch nicht. Ich habe dir etwas ... gebastelt."

"Aja...", meinte er etwas langgezogen. Spott lag über seinen Zügen.

"Jetzt sieh mich nicht so an", meinte ich und legte den Kopf schief. "Es wird dir gefallen."

Niall zog mich an der Hüfte näher an sich heran. Dann gab er mir einen Kuss. "Dann zeig mal, was du mir gebastelt hast."

Er ließ meine Hüften los, um mich freizugeben, aber ich suchte wieder nach seinen Händen und hielt sie fest. Niall sah mich misstrauisch an, als ich seine Hand an meinen Bauch legte und ihn danach intensiv anstarrte.

Er blinzelte. Einmal. Zweimal. Dreimal.

Falten bildeten sich auf seiner Stirn. Dann wurden seine Augen groß und sein Mund öffnete sich einen Spalt. Sprachlos bewegte er die Lippen.

Nialls blaue Augen glänzend verräterisch. "Ein Baby?" Seine Stimme war kaum hörbar. Und als sich auch noch eine Träne aus seinem Auge löste, begann auch meine Emotionen verrückt zu spielen.

Nickend versuchte ich die Emotionen nicht überkochen zu lassen. Mein zartes Herz machte wieder einmal einen Satz. Schon tagelang hatte ich versucht Niall davon zu erzählen und nie kam der richtige Zeitpunkt - bis jetzt.

Niall senkte seine Stirn auf meine. Seine Brust hob und senkte sich schnell. Leise hörte ich ihn lachen, bis er seine Stirn von meiner löste und seine Handfläche an meine Wange schmiegte. "Ich liebe dich so sehr, dass ich es nicht in Worte fassen kann, Amara." Ein liebvoller Blick lag in seinem Gesicht. Liebe, Liebe und noch mehr Liebe schrie es und diese war nur für mich.

Seine Nase berührte meine. "Du und ich, für immer."

"Für immer", hauchend wiederholte ich seine letzten Worte an mich, bis ich an seinen Lippen ertrank, mich an ihm wärmte und mich fallen ließ.

Ich musste lernen, lieben und verlieren, um mein wahres Glück zu finden. Ob für immer oder doch nicht ... in diesem Augenblick wusste ich, dass es alles Wert war.

Impressum

Texte: P. Sabrina
Bildmaterialien: /
Cover: P. Sabrina
Tag der Veröffentlichung: 25.04.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ohne widmung

Nächste Seite
Seite 1 /