Amaras Sicht
Geschockt rief ich Nialls Namen. So etwas hätte nie von ihm erwartet. Wie er einfach ausholte und Dylan die Faust ins Gesicht rammte...
Wie ein Sack Kartoffeln fiel Dylan rückwärts auf den Boden. Er windete sich vor Schmerzen und drückte sich seine Hände auf die Nase. Ich sah das Blut in seinem Gesicht. Seine Hände verfärbten sich und vereinzelt tropfte es auf sein weißes Hemd.
Ohne eine Sekunde zu zögern stürzte Niall sich auf ihn, packte ihm Kragen und begann heftig an ihm zu rütteln. Sein Kopf schlug dabei immer wieder am Boden an, das dumpfe Geräusch halte im Flur.
Auch wenn er es verdient hatte - falls er es war, ich war kein Freund von Gewalt. Eine friedlichere Lösung wäre mir bei weitem lieber gewesen.
"Beim nächsten mal... ", knurrte Niall zornig, dabei drückte er Dylan fest gegen den Boden. "Wird es nicht nur die Nase sein! Ich hoffe du verstehst was du angerichtet hast!"
"Niall bitte hör auf!", forderte ich laut und packte ihm an der Schulter. Niall zuckte, schüttelte meine Hand ab.
"Hast du verstanden?!", bellte Niall zugleich Dylan an, der zitternd nickte. Zu meiner Erleichterung ließ Niall endlich von Dylan ab. Er stand auf, spannte den Kiefer an und verließ mit geballten Fäusten die Wohnung.
Meine Beine waren wie festgefroren. Ein Teil von mir wollte ihm einen Packung Tiefkühlerbsen besorgen, aber der andere wollte ihm die Meinung geigen. Ihm klar machen was für eine Miese Aktion das war.
Während ich ihn am Boden liegend anstarrte, raffte er sich auf, dabei nahm er die Hand von seinem Gesicht. Es war Blutverschmiert. "Amara...", wisperte er. "Ich.. "
"Amara!", hörte ich Niall brüllen. Erschrocken machte ich einen Satz und verließ Dylans Wohnung. Sein Tonfall machte mir Angst. So habe ich ihn noch nie erlebt. Ich schloss die Tür zu meinem Apartment hinter mir und ging auf Niall zu, der sich seine Hände unter das laufende Wasser hielt. Tobi und Sophie sahen nur geschockt zu. Ich behielt etwas Abstand zu ihm ein. "Niall das hättest du nicht machen sollen. Was wenn er dich anzeigt! Das passt doch überhaupt nicht zu dir."
"Scheiße.", fluchte er leise und drehte das Wasser ab. "Amara, du hast recht. Mir ist die Sicherung durchgebrannt. Fuck!" Er nickte, wischte sich seine Hände an einer Küchenrolle ab und sah zu mir. "Ich wollte das nur so nicht. Ich wollte dass du in Frieden zur Uni gehen kannst, ohne dass du ständig meinetwegen belästigt wirst."
Seufzend legte ich den Kopf zur Seite. "Niall irgendwann wäre es sowieso an die Öffentlichkeit geraten. Ja, es hat nicht mal eine Woche gehalten, aber ich denke nicht, dass dieses Foto sooo schlimm ist." Ich zuckte mit der Schulter. "Ich schaue dich doch nur ein bisschen verliebt an." Jemand hatte den Moment abgelichtet, als ich ganz in Trance Niall küssen wollte. Ich wollte ihn küssen und hätte es auch getan. Ich bin es einfach nicht gewohnt, wie er immer aufpassen zu müssen was ich tue und sagte. Niemand interessierte sich für mich - zumindest bis jetzt.
Daily Star Exklusiv! Niall Horan und Stiefschwester Amara Julien beim turteln und fast Kuss erwischt! Ist es mehr als nur Geschwisterliebe? Wir glauben Ja!
Schon alleine die Überschrift des Artikels verdrehte mir den Magen. Ich war nicht im Stande unsere frische Beziehung unter Dach und Fach zu halten. Genau fünf Tage waren wir nun zusammen. Ich bin bestimmt die schrecklichste Freundin überhaupt!
"Das ist alles meine Schuld.", meine Stimme brach mitten im Satz und ich fühlte wie sich meine Augen mit Tränen füllten.
Mitfühlend legte Niall einen Arm auf meine Schulter. "Nein, das ist nicht wahr."
"Doch.", schniefend sah ich ihn an und verschränkte meine Arme vor meiner Brust. Die Gefühle waren mit mir durchgegangen und in diesen Moment auf der Party hätte ich mich zusammenreißen müssen.
"Ach komm Baby."
Mein Herz machte einen Salto, als er mich Baby nannte. Eigentlich war ich noch nie der Fan von diesen Kosenamen, aber bei Niall hörte sich jedes Baby oder Babe so wunderbar an, dass ich es immer und immer wieder hören wollte, wie er mich so nannte.
"Das Foto ist nicht so schlimm. Wir leugnen einfach alles.", setzte Niall nach. Verwundert runzelte ich die Stirn.
"Nicht so schlimm? Du hast deswegen unseren Nachbarn verprügelt." Es war Sophie die meine Gedanken aussprach. Auch Tobi hob eine Augenbraue und lauschte unserem Gespräch.
Niall räusperte sich verlegen. Er verlagerte sein Gewicht auf sein linkes Bein und strich sich durch sein Haar, zog an den Spitzen. "Ich werde mich bestimmt nicht bei ihm entschuldigen.", seufzte er beiläufig.
Ich fasste nach ihm und legte ihm eine Hand auf seine Brust, die sich hob und senkte. "Das verlange ich auch nicht."
Er sah mich gefasst an, während seine linke Hand auf dem Anhänger meiner Kette wanderte. Er strich darüber und lächelte mich an. Seine Hand sah leicht gerötet aus und ich könnte das Blut von Dylan auf seiner Haut erahnen. Nie im Leben hätte ich bei Niall jemals mit so einem Ausbruch gerechnet. "Ich denke, ich werde mich nun auf den Weg machen ... Ich muss morgen Mittag meinen Flug erwischen." Er presste die Lippen aufeinander. "Gerade jetzt muss ich für drei Wochen weg. Wenn ich könnte, würde ich dich einpacken und mitnehmen." Niall senkte seinen Kopf und küsste mich auf die Lippen. Ich musste mich zusammenreißen um ihn nicht an mich zu pressen - da wir Publikum hatten. Es war der erste Kuss den wir vor jemanden teilten. Ich legte meine Hände um seinen Nacken und bog dabei meinen Rücken etwas nach hinten. Nach einem weiteren kleinen Kuss, drückte er mir noch einen neuen Auf die Wange und löste sich anschließend aus meinen Griff. Sein Blick lag aber noch weitere Sekunden auf meinen Augen. Ich wollte ihn nicht gehen lassen, dazu fühlte ich mich schon viel zu abhängig von ihm.
Während ich ihn Gedanken versunken war orderte Niall sich ein Taxi. Er verabschiedet sich bei Tobi und Sophie und entschuldigte sich für sein Verhalten. Und dann kam er wieder auf mich zu, nahm meine Hand in seine und drückte mir einen Kuss auf den Handrücken.
"Ich werde dich morgen noch anrufen bevor ich wegfliege. Okay?", sanft zog er mich an sich und legte mir seinen freie Hand auf die Wange, an die ich mich sofort schmiegte. Seine Handfläche war so warm.
"Ich will nicht dass du gehst.", wie ein kleines Kind begann ich zu schmollen. Ich wollte es wirklich nicht und konnte mir überhaupt nicht vorstellen wie es wohl sein wird, wenn er auf Tour geht. Wenn ich bei drei Wochen schon so schmolle, wie wird es dann erste bei Monaten sein?
Niall seufzte: "Ja, ich weiß." Er sah mich dabei entschuldigend an. Es war nun mal seine Arbeit. Er konnte nicht einfach Nein sagen nur wegen mir, weil ich es nicht wollte.
"Kann ich heute bei dir schlafen?", ich biss mir auf die Lippe. So könnten wir noch ein paar Stunden zusammen verbringen.
Niall blinzelte, nickte aber freudig. "Wenn du das willst? Natürlich."
Hastig packte ich mir eine kleine Tasche mit den notwendigen Dingen zusammen, bevor ich mich bei Tobi und Sophie verabschiedete und dabei konnte Sophie es nicht unterlassen mir noch Kondome zuzustecken.
"Tschüss!", ich winkte ihnen zum Abschied.
"Passt bloß auf!", rief Sophie euphorisch zurück. Ich wusste sofort auf was diese Aussage bezogen war, während Nialls Stirn Falten schlug.
Niall war so nett und trug mir meine Tasche nach unten. Als wir auf den Flur gingen warf ich verstohlen einen Blick auf Dylans Tür. Kaum zu fassen was in der letzten Stunde hier los war. Diese Seite an Niall kannte ich nicht und ich hoffte, dass es auch so bleiben würde. Und Dylan ... hasst er mich so sehr dass er mir mit diesen Foto schaden wollte, nur weil ich mich nicht für ihn entschieden hatte?
Es war spät, besser gesagt kurz vor ein Uhr als wir bei Niall ankamen. Zuvor hatte ich mir extra noch einen größeren Pullover von Tobi ausgeliehen um mich darin verstecken zu können. Ich wollte diesem Momentanen Drama nicht noch mehr Zündstoff geben, in dem ich dabei erwischt wurde, wie ich mit Niall um ein Uhr früh zu ihm nach Hause gehe. Ich sah bestimmt dämlich aus, mit dem großen Pullover und dem schwarzen, rückenfreien Kleid darunter.
Hand in Hand betraten wir sein Apartment im obersten Stockwerk. Erschöpft vom heutigen Tag, schlüpfte ich aus meinen Schuhen und ließ mich danach auf das Sofa plumpsen. Ich strecke mich und hielt mir beim Gähnen eine Hand vor. Niall stand am Ende des Sofas und knöpfte kommentarlos sein Hemd auf. Ich beobachtete ihm wie er einen Knopf nach dem anderen löste.
"Ich hoffe, es stört dich nicht, aber ich werde mich gleich ins Bett legen. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht so lange auf dieser Party bleiben.", sagte er und schlüpfte aus seinem Oberteil. Er legte es zusammen und legte es auf das Ende des Sofas. "Wenn du noch fernsehen willst, stört mich das nicht.
Kopfschüttelnd stellte ich mich auf meine Beine. "Ich werde mich auch hinlegen." Wie auf Kommando begann ich erneut zu gähnen. Niall gab mir daraufhin meine mitgebrachte Tasche, aus der ich mir ein Shirt und einen kurze Shorts nahm. Barfuß folgte ich Niall in sein Schlafzimmer. Er nahm sich in der zwischen Zeit eine frische Boxershorts aus der Kommode und hatte absolut keine Hemmungen sich seine Kleidung vom Körper zu streifen und sich neben mir dir frische Unterwäsche anzuziehen. Ich wurde etwas rot um die Nase und drehte mich weg - was er merkte. Er lachte über meine Verlegenheit. "Amara, warum so schüchtern? Wir sind zusammen, du darfst mich ruhig anschauen." Alleine diese Aussage ließ meine Wangen brennen.
Ich hörte seine Schritte am Boden, bis er stehen blieb und mich von hinten umarmte. Er küsste meinen Hals. "Hab ich nicht zu dir gesagt, dass ich dir das Kleid ausziehen werde?", seine Stimme klang rauer als sonst. Ich zog die Luft scharf ein und biss mir auf die Unterlippe.
Mit langsamen Bewegungen umfasste er den Stoff des Pullovers an meiner Taille und zog ihn mir über den Kopf. Ich hörte wie er neben und zu Boden fiel. Niall drehte mich an der Hüfte in seine Richtung um, küsste mich gierig und lenkte und in die Richtung, in dem sein Bett stand. Es dauerte nicht lange bis ich mit meinen Füßen anstieß. Ich hatte meine Finger wieder in seinen Haaren vergraben und gab mich dem Iren hin. Mich störte es nicht dass Niall eigentlich immer der war, der bestimmte, dass er der war, der führte. Ich spürte seine Hand auf meinen Rücken. Er ließ mich nicht auf sein Bett fallen sondern legte mich so vorsichtig wie möglich nieder, als wäre ich aus Porzellan. Niall löste seinen Lippen von meinen und stemmte sich mit seinen Händen neben mir ab. Er grinste über das ganze Gesicht, der Schlaf schien verflogen zu sein. Aber auch ich fühlte mich hell wach. Das musste der Zauber von Wolke sieben sein.
Es brauchte keine Worte um zu wissen was er wollte, immerhin hatte er es vorhin schon angedeutet. Ich stützte mich ein bisschen auf, während Niall sich auf meine Mitte setzte und an den Ärmel meines Kleides zog um mich aus dem Stück Stoff zu befreien. Ich schlüpfte mit meinen Armen aus dem Ärmel. Niall gab mir erneut einen Kuss auf die Lippen und stand von mir auf. Er stellte sich vor mich und ich hob meinen Hintern, damit er das Kleid von mir ziehen konnte. Ich musste mich zusammenreißen um nicht meine freiliegende Brust hinter meinen Händen zu verstecken. Er hatte sie sowieso schon gesehen, weshalb schämt ich mich also? Es war nicht das erste Mal das mich ein Junge nackt sah. Wenn es jetzt passieren würde, wäre er mein zweiter.
Niall zog mich an meinen Beinen näher an die Bettkante. Er kniete sich vor meiner Mitte und küsste meinen Oberschenkel entlang. Mein Magen kribbelte und die Hitze stieg mir zu Kopf. Ich sah an mir herunter und wartete sehnsüchtig darauf seine nächste Bewegung zu beobachten. Ich konnte das Pochen meines Herzens im Hals spüren, als er die Seiten meines Slips nahm und mir auszog. Ich hob ein Bein damit er ihn von mir nehmen konnte. In Momenten wie diesen würde ich liebend gerne Gedankenlesen können. Ich lag komplett nackt vor ihm mit gespreizten Beinen. Er sah zwischen meinen Beinen hoch in mein Gesicht und biss sich auf die Unterlippe. "Du bist so heiß", keuchte er und mein Herz machte einen Sprung. Kleine feuchte Küsse an den innen Seite meiner Oberschenkel ließen mich erneut Luft einziehen.
Schlussendlich drückte er seine Lippen auf meine empfindlichste Stelle, saugte an ihr, ließ seine Zunge an ihr auf und ab gleiten. Ich schnappte nach Luft und nahm das Laken links und rechts von mir in die Fäuste. Ich stöhnte laut auf und schob ihm mein Becken weiter zu. Niall drückte mit seinen Händen meine Beine auseinander, weil ich sie reflexartig schließen wollte. Immer wieder löste er seine Lippen von mir und küsste mich auf die Innenseite meines Oberschenkels. Aber als er seinen Finger dazu in mich gleiten mich, war es um mich geschehen. Ich packte das Laken noch heftiger, stöhnte, laut auf und schloss die Augen als ich kam. Ganz außer Puste sackte ich auf dem Bett zusammen.
Ich spürte wie sich die Matratze neben mir nach unten bewegte. "Du bist so schön", flüsterte Niall mir in Ohr und küsste meine Wange. Ganz benommen begann ich leise zu kichern und mir über die Lippen zu lecken. "Niall...", keuchte ich, "Ich will mehr." Ich öffnete die Augen und sah ihm tief in die Augen. Er grinste auf mich hinab. "Nein, Baby. Erst wenn du weißt, dass du mich liebst."
"Ich liebe dich", keuchte ich erneut. Jedoch hob er bloß eine Braue. "Ach ja? Das sagst du doch nur weil du mich willst." Er raufte sich sein Haar und setzte sich auf. "Wir sollten schlafen. Ich muss morgen früh raus."
Seufzend schlug ich die Arme vor mein Gesicht und vernahm Nialls lachen. Er macht mich verrückt.
Es verging kein Tag, an dem ich nicht an die Nacht mit Niall dachte. Wie perfekt es sich angefühlt hatte mich ihn so hinzugeben. Alleine die Erinnerung daran beschleunigte meinen Herzschlag. Ich vermisste seine Berührungen, seinen verschlafenen und kratzigen morgenton, das Lächeln das sich immer auf seinen Lippen bildete, wenn er mich sah und vor allem vermisste ich seine innige Umarmung. Er nahm einen Teil meiner Seele mit, als er sich am Flughafen, versteckt hinter Mütze, Schal und dicker Jacke, von mir verabschiedete.
"Es ist so langweilig ohne dich", gähnend rieb Niall sich über sein Gesicht.
"Du fehlst mir auch." Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht, als er mich antworten hörte. Er war nun seit beinahe drei Wochen weg und wie versprochen meldete er sich täglich bei mir. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich sah, wie müde er war, er mich aber trotzdem immer anrief. So wie auch jetzt. Durch den Videoanruf konnte ich sehen, wie er sich immer wieder strecke, gähnte und ihm dabei die Augen immer halb zufielen. Er lag in einem Hotelbett mit weißer Decke und Polster. Eine Nachttischlampe machte gerade genug Licht damit ich ihm sehen konnte. Sein Gesicht schrie vor Müdigkeit. Erneut gähnte er und hielt sich dabei eine Hand vor den Mund. "Niall du solltest schlafen."
Jedoch schüttelte er trotzig den Kopf. "Nein. Ich will deine Stimme hören."
Auch wenn mir das Herz dabei aufging und ich ihn am liebsten in eine Umarmung gezogen hätte, wusste ich, dass er Schlaf bitter nötig hatte.
"Das schmeichelt mir wirklich Niall und ich möchte mich auch noch weiterhin mit dir unterhalten, aber ich möchte auch, dass du genügend Schlaf bekommst. Okay?"
Er atmete laut aus und kuschelte sich in seinen Polster hinein. Für einen kurzen Augenblick war mein Bildschirm schwarz, bis danach wieder Niall Gesicht zu sehen war. "Ich liebe dich, Amara.", hörte ich ihn raunend murmeln. Ich liebte es wenn seine Stimme diesen Ton annahm.
Es musste jetzt schon das dritte Mal gewesen sein dass er diese Worte an mich richtete. Und jedes Mal wieder, kann ich es einfach nicht fassen, warum ausgerechnet er mich liebt. Millionen von Mädchen würden für diesen Jungen sterben und genau dieser liebt mich. Ja, mich! Ein normales Mädchen aus einer normalen Stadt mit verkorksten familiären Hintergrund. Er hätte in jeder Hinsicht etwas Besseres verdient.
"Ms Julien?", unterbrach uns eine Frauenstimme. Ich richtete meinen Kopf nach links. Eine etwas ältere Dame mit krausem Haar, blauer runden Brille und Hosenanzug trat an mich heran. Ihre Stimme kam mir bekannt vor.
"Ms Julien?", wiederholte sie und ich nickte. "Mr Davis erwartet auf Sie."
"Ich komme sofort", antwortete ich. Sie rollte genervt mit den Augen und drehte sich um, um sie wieder auf ihren Stuhl hinter einem Schreibtisch zu setzte. Das musste die Frau gewesen sein, mit der ich damals telefoniert hatte, auch damals kam sie mir genervt vor. Vermutlich sitzt sie hier nur ihre Zeit bis zum Pensionsantritt ab.
"Niall, ich muss Schluss machen", seufzte ich.
Seine Mundwinkel zuckten. "Mit mir?!"
Ich zog eine Augenbraue hoch und schüttelte den Kopf. "Du weißt, was ich meine." Niall zwinkerte mir zu und gähnte erneut. "Na gut. Ich werd' mich mal aufs' Ohr hauen. Erzähl mir später wie es war."
"Werde ich. Schlaf gut." Mit diesen Worten legte ich auf und ließ das Handy in meine Hosentasche gleiten.
Still staunend folgte ich der Dame vom Empfang einen Flur entlang. Türen waren offen und ganze Sets standen bereit für den nächsten Termin. Eine dürre große Frau mit platinblonden Haaren und einer Karotte in der Hand lief uns über den Weg. Sie würdigte uns keinen Blick, als wären wir - ich - der Dreck unter ihren Fingernägel. Die musste sich für was ganz großartiges halten. Augenrollend schüttelte ich den Kopf. Ich wünsche mir dass Sophie niemals so hochnäsig wird.
Ich betrachte Fotos, die vereinzelt an den Wänden des Flurs hingen. Alle hatten ihren eigenen Charme und wirkten äußerst professionell. Wir hielten an einer hellbraunen Tür.
"Davis." Stand in Großbuchstaben auf einen Schild neben der Tür. Die Frau klopfte, öffnete die Tür und steckte ihren Kopf in den offenen Spalt. Ich verstand nicht was gesagt wurde, wurde aber kurz darauf in den Raum gebeten.
Connor saß an einem Schreibtisch auf dem alles voll mit Bildern und Mappen war. "Hi", grüßte ich.
"Amara. Freu mich dich heute hier zu haben." Connor erhob sich aus seinem Stuhl und zog mich in eine feste Umarmung. Ich konnte es noch immer nicht glauben dass er tatsächlich mein Vater war. Wie oft hatte ich mir aus kleines Mädchen ausgemalt, wie er wohl sein würde oder wie er aussieht. Und nun lag ich in seinen Armen. Wie auch Niall roch er immer sehr gut. Wir ließen voneinander ab und setzten uns. Connor legte seine Arme auf den Tisch ab und sah mich lächelnd an. Ein Räuspern hinter uns unterbrach uns.
"Mr Connor benötigten Sie noch etwas?", es war die Dame vom Empfang.
"Nein, danke. Sie können wieder gehen Lauren. Falls ich etwas benötige, werde ich Ihnen Bescheid geben." Mit einem Nicken verließ sie daraufhin den Raum und mit einem lautem knarren viel die Tür ins Schloss.
"Also ...", er hustete. "Ich hatte mir gedacht, dich heute in meinen Unternehmen herumzuführen. Ich werde dir auch gerne deine Fragen beantworten."
"Klingt gut für mich", lächelte ich und nickte bekräftigend. Ich fand es gut etwas Zeit mit ihm zu verbringen, immerhin kannten wir uns überhaupt nicht. "Ich hoffe nur dass ich nicht störe. Wenn du zu viel Arbeit hast, könnte ich auch ein anderes Mal wiederkommen. Für mich wäre das kein Problem", sagte ich und deutete auf den Stapel von Papier und Mappen an seinem Tisch.
Connor ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen. "Ach, das bisschen Arbeit. Ich bin hier der Chef. Das können auch meine Angestellten für mich erledigen, wenn ich es möchte."
"Sein eigener Chef zu sein, muss cool sein", grinste ich.
Connor lachte und nickte. "Ja. Ich kann gehen und kommen, wann ich will und außerdem muss ich mich beim Handy spielen vor niemanden verstecken." Er versuchte lustig mit den Augenbrauen zu wackeln - was bei ihm einfach nur furchtbar aussah und mich noch mehr zum Lachen brachte. Wir teilten auf jeden Fall denselben Humor.
Bevor wir sein Büro verließen, warf er einen Blick in den Spiegel, kämmte sich sein Haar und zog die Krawatte enger. Connor lies dabei richtig den Boss raushängen, so, als wollte er damit seine Position nochmals dick unterstreichen.
Ich fand es witzig zu sehen, wie alle einen Kopf kleiner wurde, als wir zusammen den Flur entlang gingen. Auch das Knochengerippe mit ihrer Karotte zog schnell den Kopf ein und schritt mit einem schnellen Gang an uns vorbei. So anders können Menschen also sein, wenn man ein Boss ist und das sagen hat.
Ein Mädchen, das junger war als ich, kam mit einem Kaffeebecher in Eiltempo auf uns zu. "Hier Chef! Ihr Kaffee!" Sie trug einen Bleistiftrock und einen dazu passende graue Bluse. Ich fragte mich nur, wie sie so schnell auf ihren hohen Hacken gehen konnte, ohne zu stolpern.
Sie schlug die Augen auf. "Ms Valerie ...", sie schluckte. "Ich .. ich wusste nicht dass sie auch kommen, sonst hätte ich Ihnen auch einen gebracht.", sie senkte entschuldigend den Kopf.
"Hi. Ich bin Amara. Alles ist in Ordnung", versuche ich sie zu beruhigen. Sie wirkte aufgebracht. Entweder sie stand unter großen Druck oder es war einfach der Respekt, der aus ihr sprach.
Connor umklammerte seinen Becher. "Amara das ist unsere Praktikantin Sam. Sam das ist meine Tochter Amara, die Schwester von Valerie", erklärte er beiläufig.
"Hey.", grüßte ich erneut und reichte ihr die Hand. Sam begutachtet mich für einen kurzen Augenblick skeptisch ehe sie mir ebenfalls die Hand reichte, danach wendete sie sich Connor zu. "Chef, ich weiß, ich nerve bestimmt schon wieder damit, aber haben sie sich schon die Zeit genommen, um einen Blick darauf zu werfen?"
Neugierig sah ich zu meinem Vater. Über was sie da wohl sprach?
"Ja, das habe ich in der Tat. Wir reden später darüber Sam", erwiderte er. Sams Lächeln zog sich über ihr ganzes Gesicht. Sie strahlte förmlich. Dieses etwas musste ihr sehr viel bedeuten.
"Vielen, vielen Dank!" Sam klatschte die Hände zusammen.
Ich vernahm Connors tiefes kichern neben mir. "Na gut, aber jetzt mach dich wieder an die Arbeit. Wir sehen uns später." Nickend nahm sie den Befehl entgegen und verschwand wieder in die Richtung, aus der sie gekommen war.
"Um was ging es da?", fragte ich Neugier.
Connor legte seinen Arm auf meinen Rücken und führte mich den Gang entlang. "Fotos. Sam will Fotografin werden. Und in meinen Augen hat sie definitiv das Potenzial dazu."
"Das bedeutet ... du nimmst sie unter deine Fittiche?", hackte ich nach.
Connor nahm einen Schluck aus seinem Becher und leckte sie danach die Lippen. "Ich würde es in Betracht ziehen ihr eine Lehrstelle anzubieten."
Das freute mich für sie, auch obwohl ich sie nicht kannte. Immerhin schien Sam sich wirklich dafür zu begeistern und was gibt es schöneres, als in seinen Traumberuf arbeiten zu dürfen?
Ohne es wirklich zu merken - da ich in Gedanken bei Sam und ihren Beruf war - kamen wir in einen Studio an. Das grelle Licht an der weißen Leinwand ließ mich blinzeln.
"Das ist Studio A.", erklärte Connor mir mit einer einladenden Geste. Es haute mich nicht vom Hocker, da ich ein solches Studio schon mal gesehen hatte, als wir Niall bei unseren Londonaufenthalt von genau so einem abgeholt hatten. Ein Mann mittleren Alters posierte auf einem schwarzen Würfel für die Kamera. Er trug einen dunkle Jeans, ein rotes aufgeknöpftes Hemd und um seine Schulter an seiner Hand baumelte eine braune Ledertasche.
Eine Frau knipste die Bilder und gab Befehle. Keiner schien unser eintreten gemerkt zu haben. Erst als sich mein Vater zu Wort meldete und einen Vorschlag für die Lichteinstellungen von sich gab, sahen alle zu uns. Ich verstand so gut wie keines der Fachausdrücke die in der Unterhaltung mit seinen Angestellten fielen, ich nickte einfach und lächelte schüchtern hinter Connor. Im Großen und Ganzen verging der restliche Tag genau immer gleich. Leute sprachen mich immer mit Valerie an, Connor erklärte, wer ich war, er zeigte mir ein neues Studio und verwendete Wörter, die ich noch nie gehört hatte. Er versuchte mir zu zeigen wie man das perfekt Bild schoss, ließ auch mich Fotos machen und erzählte mir Geschichten aus seiner Jugend.
"Konntest du mit der Bank alles klären?"
Ich nickte. "Ja, darum habe ich mich gekümmert. Meine Grandma war nicht sehr erfreut darüber, dass ich mich selbst um das Geld für die Universität gekümmert habe. Sie hatte Panik dass sie mich dadurch überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen würde." Durch die Bezahlung wäre ich auch tatsächlich an sie gebunden gewesen. Damals hätte ich auch sonst nie das Geld aufbringen können, wenn sie nicht gewesen wäre.
Connor lehnte sich in seinen Stuhl zurück und rieb sich über die Stirn. "Elisabeth war damals schon knallhart." Er gluckste heiter." Wie geht es ihr und John?"
Ich streckte meinen Arm nach meiner Tasse Tee und setzte sie an meinen Lippen an. Ich blies hinein, um das heiße Getränk abzukühlen. Vorsichtig nippte ich daran. "Ich habe sie schon seit einen halben Jahr nicht mehr gesehen, aber ich bin mir sicher, dass alles wie immer ist. Grandma feiert ihre Teegesellschaften und Grandpa raucht seine Ziagaren im Büro." Ich zuckte mit der Schulter und stellte die Tasse ab. "Nächsten Monat schmeißt Grandma ihre alljährliche Geburtstagsfeier ... und da bin ich natürlich eingeladen." Letztes Jahr hatte ich das Glück nicht hinzumüssen, aber dieses Jahr blieb mir nichts anderes übrig, als teilzunehmen. Ich wollte sie schließlich nicht noch mehr damit verletzten in dem ich nicht kam. Sie klang schon sehr enttäuscht, weil ich ihr Geld nicht mehr brauchte. "Ich hatte mir überlegt Valerie zu fragen, ob sie mitkommen möchte ... immerhin ist es auch ihre Grandma."
Connor nickte leckte sich über die Lippen. Seine Stimme wurde leiser als er zu sprechen begann. Er räusperte sich verlegen. "Hast du ... ähm ... hast du ihnen ... also deinen Großeltern von uns erzählt?" Er faltete seinen Hände zusammen und legte sie auf den Tisch.
"Das habe ich Mum überlassen. Sie hat mit Grandma darüber gesprochen. Ich wollte es nicht, ich wollte dass sie es in Ordnung bringt.", ich seufzte. Eigentlich lag mir schon die gesamte Zeit über noch etwas auf den Lippen und ich beschloss meinen ärger Luft zu machen.
"Die Ganzen Jahre über, habe ich mich immer wieder gefragt wer du bist. Habe nicht wirklich verstanden warum alle Mädchen in meiner Klasse oder im Kindergarten von ihren Vätern sprechen konnten, wären ich keinen hatte, weil ich nie wusste warum mich mein Daddy nicht kennenlernen wollte, warum er mich nicht auch aufziehen wollte. Ja, ich war sauer auf Mum, dass sie mir alles so lange verschwiegen hatte, aber du bist eigentlich an allem schuld.", ich atmete tief durch. "Aber jetzt tust du, als wärst du der beste Vater überhaupt. Du wolltest uns beide aus den Armen meiner Mum reißen! Du bist der Betrüger gewesen und hast meiner Mutter etwas vorgespielt! Wie konnte deine Frau dich danach nur heiraten? Und warum hast du dich nie bei mir gemeldet ... du tust ja in diesen Moment so, als hätte ich dir wirklich gefehlt!" Eine Träne voll aus Wut glitt mir über meine Wange. Aufgebracht sprang ich von meinen Stuhl auf. Meine Lippen bebten.
Auch Connor erhob sich aus seinen Lederstuhl. "Amara ... damals war ich ein anderer Mensch. Merkst du nicht das ich versuche es gut zu machen?" Er streckte seine Arme über den Tisch nach mir, aber ich schlug sie beiseite.
Ich schüttelte den Kopf. "Du versuchst es gut zu machen?", fragte ich spöttisch. "Es tut mir leid, aber das kommt etwa zwanzig Jahre zu spät."
September. Das Monat, in dem der Herbst beginnt, das bunte Laub die Straßen färbt und die Nächte länger werden. Jetzt ist er also gekommen - mein erster Tag als richtige Studentin, der Tag auf den ich das letzte Jahr gewartet hatte. Heute entschied sich, wer ich in Zukunft sein sollte. Überhaupt kein Grund zur Sorge, es ist nur der wichtigste Tag für den Rest meines Lebens.
Aufgeregt setzte ich einen Fuß nach den anderen nach vorne und ging im stillen noch einmal den Inhalt meiner Tasche durch. Hoffentlich hatte ich nichts vergessen. Ich biss mir auf die Unterlippe.
"Amara ... bleib cool", versuchte Tobi mich zu beruhigen. Er zog an den Strohalm seines Starbucks Kaffees.
"Cool, ist mein zweiter Vorname", erwiderte ich und sah von meinen Füßen auf. Wir hielten an einer roten Ampel an. Tobi zog eine Augenbraue hoch und verschluckte sich. "Das merkt man sofort. Du bist die Ruhe selbst.", neckte er. Es war nicht nur der erste Unitag der mich nervös machte, mir steckte aus der Streit von Freitag mit Connor noch in den Knochen. Es war nicht meine Absicht mit ihm in einen Streit zu geraten - ehrlich nicht - ich wollte ein gutes vernünftiges Verhältnis zu ihm aufbauen, aber etwas in mit lies die Bombe platzen. Es waren Gefühlte die in mir schlummerten und an die Oberfläche wollten.
Hinter und neben uns versammelten sich immer mehr junge Leute mit Rucksäcken und Taschen. Das waren bestimmte auch alles Studenten. Ich wendete mich von Tobi ab und betrachtet das riesige Gebäude auf der anderen Straßenseite.
"Hat Ähnlichkeit mit Hogwarts, oder?", fragte Tobi neben mir. Ich nickte. Das rechteckige braun - orange Gebäude hatte auch für mich Ähnlichkeit mit Hogwarts. Die Ampel schaltete endlich auf grün. Wir schlenderten in angenehmen Tempo den Wag entlang zum Haupteingang. Links und rechts standen verschiedenste Stände die Schulaktivitäten anboten. Ein junger Mann mit gelockten hellem Haar verteilte fleißig Flyer an die Frischlinge. Als würde er wissen das auch ich zu den Neulingen gehörte, drückte er auch mir die Broschüre in die Hand - die ich in den nächsten Mülleimer verschwinden ließ. Ich hatte keine Lust mich den Freigeistern anzuschließen und im Park zu chillen. Wir wussten doch alles in welchen Kontext wir chillen zu verstehen hatten.
Wie auch beim ersten Mal, als ich mit Sophie hier war, betrachtete ich die Statuen der vermeintlichen Gründer vor dem Haupteingang. Ein Strom aus Studenten ging an uns vorbei und enterte den Hauteingang - ein hoher Bogen mit einer weißen Umrandung. Generell sah ich am Gebäude vieler solcher Bogen und Säulen. Oben an einer der Spitzen saß eine Uhr, die vermutlich so groß war wie zwei geparkte Wagen.
"Wir sollten uns ein bisschen beeilen, sonst kommst du an deinen ersten Tag noch zu spät", erinnerte mich Tobi an die Zeit. Er schlürfte den Rest des Kaffees aus seinem Becher und entsorgte den Becher anschließend in einer schwarzen Tonne neben der zwei Jungs gerade rauchten. Ich riss meinen Blick von der Uhr. "Ja, du hast recht. Ich muss zum ...", ich kramte in meiner Tasche nach der Einschreibungsbestätigung und den dazugehörigen Zettel, wo ich mich einzufinden hätte. Ich zog den etwas zerknüllten Umschlag aus meiner Tasche. "... zum Hörsaal 16."
Tobi zog die Zigarettenpackung aus seiner Hose heraus uns nahm eine davon zwischen die Lippen. Er blies Rauch aus, als er sie anzündete und einen Zug davon nahm. "Du gehst durch den rechten Eingang, den Weg einfach gerade aus bis zu den ersten Treppen, gehst in den ersten Stock und die erste Tür rechts ist dein Ziel."
"Eingang rechts, hoch in den ersten Stock und die erste Tür rechts. Richtig?", wiederholte ich und Tobi nickte. "Soll ich noch auf dich warten ... oder...", begann ich und deutet auf die Zigarette zwischen seinen Fingern. Er schien es nicht eilig zu haben in seinen Hörsaal zu kommen.
Er schüttelte den Kopf. "Nein, brauchst du nicht. Ich muss sowieso in die andere Richtung."
"Oh.", ich leckte mir über die Lippen. Insgeheim hatte ich gehofft dass ich Tobi sehen würde, aber wenn er in die andere Richtung musste, würde das wohl bedeuten, dass wir uns nicht sonderlich oft über den Weg laufen werden. Es wäre auch zu schön gewesen.
"Na gut, dann werde ich mich mal auf den Weg machen", seufzte ich und drehte mich um. Tobi rief mir noch ein "Viel Spaß!" hinterher.
Mit verschwitzen Händen schritt ich den Flur entlang. Die Architektur hatte auch im Inneren nicht seinen Glanz verloren. Der schwarz weiße Boden unter mir zeigte keinen einzigen Makel auf und auch an den Wänden war alles tipptopp. Gemälde mit Goldrahmen zierten stattdessen die Wände, Fenster aus bunten Mosaik verfärbten den Boden unter meinen Füßen. Durch die dicken Wände war es kühl am Flur und ich fror leicht. Wie Tobi es gesagt hatte, ging ich an den Treppen hoch und kam schlussendlich am Hörsaal an - der mir im wahrsten Sinne des Wortes die Spucke raubte. Es sah aus wie in einem Kino. Reihenweise nach oben gestufte rote Polstersessel so weit das Auge reichte. Die Decke bestand aus weißen Platten mit mehreren Scheinwerfern und dutzenden runden Lichtkegel die den Rest des Raumes ausleuchteten. Die Wände waren nicht wie am Flur aus Stein, nein, sie bestanden aus Holz, sowie auch der Boden unten am Lehrerpult. Staunend ging ich die Stufen nach unten und ließ mich in der Mitte der dritten Reihe nieder. Ein Mädchen saß einen freien Sitz entfernt von mir. In ihrer Hand hielt sie ein Buch. Sie schien so vertieft zu sein dass sie mich nicht mal zu bemerkten schien. Ihr Kinn langes orange-rotes Haar strich sie sich immer wieder hinter ihr Ohr, während auch ständig ihre runde Brille auf ihre Nasenspitze rutschte. Vor uns telefonierte eine Blondine aufbrausend, während weiter oben tiefe Lacher von Kerlen den Raum erfüllten, einer brüllte regelrecht los. Die kannten sich anscheinend schon. Ich konnte nur hoffen dass sich dieser Lärm bald legen würde. Ich hatte keine Lust vor der ersten Stunde Kopfschmerzen zu bekommen.
Meine Tasche hatte ich zwischen meine Beine am Boden abgestellt, während ich mir einen Block und einen Kugelschreiber auf den Schoss legte. Ich grinste, als ich sah, dass Niall mir eine Nachricht geschrieben hatte.
"Sei artig und hau sie um, Streber.", er hatte diese Worte auf ein Foto geschrieben, in dem er einen Kussmund machte. Wie gerne hätte ich ihn heute bei mir gehabt. Aber auch wenn er nicht in Amerika gewesen wäre, sondern hier in London, hätte er mich auch nicht begleiten können. Wir durften es und im Moment nicht leisten Aufmerksamkeit zu erregen. Das Foto machte noch immer seine Kreise im Internet, Spekulationen rund um unsere Liebe wurden gemacht und wirklich jeder musste seine Meinung dazu abgeben. Es schmerzte mich den Hass seiner Fans mit aller Kraft ab zubekommen. Er prallte auf mich ohne das ich mich mit einen Schild wehren hätte können. Ich las alles kommentarlos, ich wollte nicht noch Holz in das lodernde Feuer werfen.
Um ihn zu erinnern, was er heute verpasste, schoss ich ein Selfie von mir, in dem ich den Kugelschreiber zwischen die Zähne nahm und ihm einen Blick auf mein hellblaues Kleid gab. Eigentlich war das überhaupt nicht die Art von Foto das ich von mir machen würde und an einen Jungen schicken würde, aber ich fühlte mich in diesen Moment einfach danach. Das verlangen nach meinen Freund war in den letzte Wochen einfach unerträglich geworden. Niall ist wie eine Droge für mich - ich brauche ihn. Es war Sophies Idee mich in dieses Kleid zu quetschen. Sie war der Überzeugung, dass ich mich heute schön machen musste, denn er erste Eindruck zählte ja bekanntlich am meisten.
Die Plätze füllten sich und leider musste sich auch ausgerechnet ein Kerl mit fettigen Haar und Schuppen neben mich setzten. Er hatte so viel Schuppen das sie überall auf seinen schwarzen Oberteil lagen. Schweißflecken bedeckten sein Hemd und er roch auch dementsprechend. Er drehte sich zu mir und zwinkerte mich an. Räuspernd drehte ich meinen Kopf zur Seite und tat als ob ich nichts gesehen hätte. Ich trug mir ein paar Spritzer meines Parfums auf, um den unangenehmen Geruch zu übertönen.
"Das riecht gut. Was für ein Parfum ist das?"
Überrascht dass sie doch den Blick aus ihren Seiten gehoben hatte, sah ich sie an. "Es heißt ...", ich drehte die Vorderseite der Flasche in meine Richtung. "The Scent von Hugo Boss." Es war eine Flasche die ich mir aus Nialls Badezimmer gemopst hatte. So hatte ich zumindest seinen Duft in der Nase.
Meine Sitznachbarin klappte ihr Buch zusammen und legte es neben sich auf den freien Sitz zwischen uns. "Den Namen muss ich mir merken", sagte sie.
"Soll ich ihn aufschreiben?", bot ich netterweise an.
Sie nickte. "Das wäre nett. Danke." Ich öffnete mein Notizbuch, riss ein Stück der oberen Ecke ab und schrieb in meiner schönsten Schrift den Namen auf. "Ich bin übrigens Lilly."
Ich überreichte ihr das Stück Papier. "Amara."
Lilly lächelte höflich und nahm den Zettel an sich. "Du bist nicht von hier oder Amara?"
Ich kniff die Augen zusammen und legte den Kopf zur Seite. "Ist mein Akzent so schlimm? Ich dachte wirklich, ich hätte es unter Kontrolle."
Lachend schüttelte Lilly den Kopf. "Ach, nein. Das ist es nicht. Dein Englisch klingt schöner als das der Briten. Die reden immer so geschwollen."
"Und woher bist du?", fragte ich. Auch sie hatte einen anderen Akzent. Sie konnte keine Britin sein.
Lilly strich sich eine Strähne zurück. "Von Downunder. Ein Aussie, wie sie uns alle so gern nennen."
Ich zeigte mit dem Finger auf sie. "Du bist eine Surferin."
"Garantiert nicht. Ich habe keine Lust als Haifisch futter zu enden - außerdem bin ich nicht gerade sportlich veranlagt. Mein Bruder ist das komplette Gegenteil von mir, er ist der sportlich Freigeist, der durch die Welt reist und täglich neue Abenteuer erlebt, während ich lieber zu Hause am Sofa sitze und meine Bücher lese. Ich liebe die Sicherheit."
Das Klingeln der Glocke unterbrach unser Gespräch. Es wurde schlagartig still im Saal als eine Frau im Hosenanzug hereintrat. Der Absatz ihrer Schuhe klapperte auf den Holzboden. Das musste wohl die Professorin sein. Mit einem lauten Knall warf sie die Mappe in ihren Arm auf ihren Tisch ab und zog den Stuhl hervor, ehe sie aufsah und einen Blick in die Runde warf.
"Guten Morgen Frischlinge. Mein Name ist Professorin Amanda Jones. Ich unterrichte Literatur und Didaktik. In gewissen Fällen übernehme ich auch Kunstgeschichte. Manche von euch werden mich daher öfter sehen, als andere."
Lilly und ich gingen die Treppen hoch und sprach über die vergangene Stunde. Professorin Jones hatte uns versucht zu erklären, wie das Studium ablaufen wird, was alles zu beachten ist, welche Regel im Haus gelten und so weiter. Es schien eine ewig lange Liste zu sein, die sie auswendig aufzählte, als würde sie eines ihrer Lieblingsrezepte aufsagen.
"Mein Kopf platzt! Das waren viel zu viele Informationen auf einmal", schnaufte Lilly neben mir. Zustimmend nickte ich. "Ich habe schon geglaubt, die hört nie auf zu reden."
Beim Verlassen des Saals standen schon die Flyer-Verteiler vor der Tür und drückten wieder jeden von uns einen Flyer in die Hand.
'Rettet die Erde!', stand in Großbuchstaben ganz oben. Ich lächelte den Jungen nett an und wendete ich mich rasch ab. Meine Augen landete auf meinen Mitbewohner, der sich an einer Wand anlehnte und scheinbar auf mich wartete.
"Schon was gelernt?", fragte er und blies eine Kaugummiblase.
Bevor ich antworten konnte viel mir Lilly ins Wort. "Es hat mich echt gefreut dich kennenzulernen, aber ich werde jetzt ins Wohnheim gehen. Wohnst du auch dort, denn dann könnten wir uns später treffen?"
"Ähm... nein. Ich wohne in einen Apartment die Straße runter. Aber wir werden uns bestimmt wiedersehen.", erwiderte ich. Sie nickte und verabschiedete sich kurz darauf von mir.
Also ich auf Tobi zuging, sah er mich gespielt geschockt an. "Am ersten Tag schon Freunde gefunden?"
Grinsend klapste ich ihm auf den Oberarm. Tobi lachte leise, legte seinen Arm um meine Schulter und verließ die Gemäuer mit mir und gab mir anschließend einen Kaffee aus.
Eine dunkle Wolke am Himmel ließ ihren Regen auf die Erde prasseln. Durch das Fenster sah ich, wie Passanten zum Laufen begannen, um Schutz vor dem Wasser zu finden, während andere Aktenkoffer über ihre Köpfe hielten. Dicke Tropfen patschten gegen das Glas und schon bald schüttete es wie aus Eimern. Ich brauchte etwas Ablenkung, denn das Lesen des Schulbuches überanstrenge schneller als gedacht meine Augen. Ich wollte für den morgigen Tag vorbereitet sein und nicht ohne den Hauch einer Ahnung meinen ersten richtigen Kurs absolvieren. Ein Jahr lang hatte ich absolut nichts gemacht, lag nur auf der faulen Haut und verliebte mich in meinen Stiefbruder - das sonstige Chaos mal ganz außer Acht gelassen. Den Job im Café musste ich annehmen, denn wie sonst hätte ich das Geld für die Miete aufbringen können? Leider wurde ich nicht, wie viele andere, mit dem goldenen Löffel im Mund aufgezogen. Deshalb fiel es mir auch schwer eine Entscheidung zu treffen. Soll ich meinen Job bei Martin und Lydia wirklich kündigen? Immerhin wäre es immer eine kleine Abwechslung zum Studium, andererseits raubte es mir auch die Zeit, Zeit, in der ich etwas mit Niall unternehmen könnte - der in den nächsten Monaten immer weniger Zeit für mich haben wird - und Zeit, in der ich lernen muss. Es war so schwer mir einig zu werden. Was wollte ich? Tja, wenn ich das nur wüsste...
Ich nahm eine heiße lange dusche, aber auch diese konnte mir bei meiner Entscheidung nicht helfen. Ich zog mich um und putzte mir meine Zähne. Gerade als ich fertig war betrat Sophie von ihrer Tür aus das Badezimmer. Sie legte ihr Handtuch ab. "Du bist so still", stellte sie schlich fest.
Ich blieb im Türrahmen stehen und zuckte mit der Schulter. "Ich habe mich noch immer nicht entschieden."
Seufzend sah sie mich an. "Wie gesagt, ich würde den Job nicht aufgeben. Ja, mag schon sein dass du nun über mehr Geldreserven verfügst, aber die Kosten für die Universität sind nicht gerade niedrig. Du musst auch jedes Monat deinen Teil der Miete aufbringen und benötigst auch so noch Geld - immerhin musst du von etwas Leben."
Nickend verzog ich die Lippen. "Ja, das ist mir durchaus bewusst." Ich verließ das Badezimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich nahm das leere Glas von meinem Schreibtisch und füllte es mir in der Küche an der Spüle wieder mit Wasser an. Das Einzige Licht, das den Raum erhellte war eine Stehlampe neben der Couch im Wohnzimmerbereich. Ich lehnte mich an der Theke an und trank das Glas in einen Zug aus. Das Knarren des Bodens verriet Tobis Aufenthalt. Wie auch ich holte er sich etwas zu trinken. Er trug noch seine Alltagskleidung.
"Bist du gerade erst heimgekommen?", fragte ich meinen Mitbewohner. Ein Blick auf die Uhr und ich wusste, dass es schon 22:10 Uhr war.
"Jep. Ich war noch bei Peter."
Ich drehte mich und stellte das Glas in die Spüle. "Ist das war ernstes zwischen euch? Ich kann mich noch gut daran erinnern dass du mal erwähnt hast nur auf einen One-Night-Stand aus zu sein."
Tobi stellte sich gegenüber vor mir hin und biss sich in die Lippe. Dabei kamen seinen Grübchen zum Vorschein. "Ich denke schon." Ein Lächeln umrandete seine Lippen. Tobi nahm einen Schluck von seinen Wasser. "Wann kommt dein Liebhaber wieder zurück?", fragte er mich grinsend.
"Morgen." Wie sehr ich mich darüber freute ihn endlich wieder in die Arme schließen zu können, würde mir keiner glauben. Drei Wochen von ihm getrennt zu sein, war eine Folter für unsere frische Beziehung. Vor allem nach dem Zwischenfall mit Dylan. Seine Nase war wirklich gebrochen. Zu Nialls Glück zeigte Dylan ihn meinetwillen nicht an. Ich wollte mir nicht ausmalen wie sich die Medien darüber wohl das Maul zerrissen hätten, weil dieses Verhalten eigentlich nicht zu Niall passte.
Tobi ließ die Augenbrauen tanzen. "Das bedeutet wohl, dass du morgen nicht hier schlafen wirst?" Er lachte. "Aber hey! Du musst morgen in der Nacht aber auch Zeit für mich freilassen. Morgen ist schließlich die Semestereröffnungsparty! Und als Studentin ist es deine Pflicht daran teilzunehmen!"
Fragend legte ich den Kopf zur Seite. Was für eine Party? "Ähm ... davon stand nichts auf meinen Stundenplan." Ich runzelte die Stirn.
Lachend stupste Tobi mir in die Wange. "Na ja, das ist eine Party ... was dachtest du denn? Die findet jedes Jahr statt, zu Beginn und Schluss des Semesters. Es gibt ein Lagerfeuer, Musik und jede Menge Alkohol."
Bis jetzt hatte sich die Mischung von lauter Musik und Alkohol noch nie positiv auf mich ausgewirkt. Die erste Party bei Amber und Matt zuhause, lief darauf aus, dass ich betrunken bei Matt im Bett gelandet bin und während unserer Knutscherei Niall gestöhnt hatte. Die Release Party, bei der ich und Niall eine kleine Eifersuchtsszene hatte und uns das erste Mal geküsst hatten, die Party nach der Hochzeit unserer Eltern bei der Niall und ich uns in einer verkorksten Weise getrennt hatten (ohne ein Paar zu sein), ....
Aber es ist schlussendlich meine erste Party auf der Universität. Wir sind alle älter und so viel Alkohol wir bestimmt nicht unter der Woche fließen ... oder?
***
Wie auch jedes Mal, wenn ich unsere Wohnung verließ, betete ich dafür Dylan nicht über den Weg laufen zu müssen. Inzwischen war auch sein spanischer, von der Sonne geküsster, Mitbewohner Enrico wieder da. Ich hatte ihn bis jetzt einmal gesehen, sein Blick hätte mich glatt töten können, als er mir ein Loch in den Kopf bohrte. Dylan hatte ihm sicher alles erzählt und somit war ich auch bei ihm unten durch - was mir eigentlich egal hätte sein können, aber ich mochte das Gefühl nicht, zu wissen, dass mich jemand verachtet.
Tobi hatte es gut, denn sein erster Kurs war erst für elf angesetzt, während ich mich jetzt schon in aller Früh aus den Haus schleichen musste. Auch für Sophie lief alles gut, denn diese flog heute mit Davina, Valerie und noch jemanden nach Paris. Ich war sehr stolz auf sie, auch wenn ich das dumpfe Gefühl der Eifersucht runterspülen musste. Schließlich verbrachte meine beste Freundin mehr Zeit mit meiner Zwillingsschwester als ich! Seit dieser Party trafen sich die Beiden oft, gingen shoppen oder ins Kino. Von dem anfänglichen Groll war inzwischen nichts mehr zu spüren. Die News von Valeries und meiner Verwandtschaft verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Klatschzeitschriften druckten Titelbilder mit Connors Gesicht und seinen 'Geheimnis'.
Wie auch schon gestern musste ich mich heute wieder in Hörsaal 16 einfinden. In der dritten Reihe traf ich wieder auf Lilly, die ein geblümtes gelbes Kleid trug.
"Guten Morgen", grüßte ich und setzte mich neben sie. Meine Umhängetasche stellte ich auf den Sitz neben mir ab, ich wollte bloß verhindern heute wieder neben dieses Typen zu sitzen.
"Hallo Amara." Lilly lächelte mir entgegen. "Heute geht es endlich richtig los."
Ich nickte. "Ja, ich freue mich." Wir unterhielten uns, tauschten Nummern aus und verglichen unsere Stundenpläne. Sie hatte dasselbe Hauptfach wie ich, deswegen belegten wir fast dieselben Kurs.
"Gehst du heute auch auf diese Party?", fragte ich und lehnte mich in meinen Stuhl zurück.
Lilly zuckte mit der Schulter. "Ich weiß nicht ... meine Mitbewohnerin will unbedingt hingehen, aber ich kann sie noch nicht wirklich leiden ... aber wenn du hingehst, könnten wir zusammen abhängen."
"Hört sich nach 'nen Plan an."
Meine neu gefundene Freundin nickte bekräftigen. "Ich kann dir auch mein Zimmer im Wohnheim zeigen, denn ich denke, es wäre am besten, wenn du mich direkt von dort abholst. Als Frischling alleine am Campus herumzulaufen, halte ich für keine gute Idee."
Da gab ich ihr recht. Schon jetzt während des Tages musste ich aufpassen, wohin ich lief, um mich nicht in diesen Gebäude zu verlaufen. "Okay."
Während der Stunde kam ich mir mit meinem Notizblock und meinen Kugelschreiber wie ein Alien vor. Die Studenten benutzen heutzutage anscheinend nur noch Tablets, Laptops und Handy um ihre Notizen aufzuschreiben. Ach Lilly tippte eifrig auf ihren iMac herum.
Nach einer Freistunde, die ich und Lilly auf einer Bank im Innenhof der Uni verbrachten, brachte ich noch einen weiteren Kurs hinter mich, nur um mich anschließen zum Café von Martin und Lydia zu hetzen. Ich schmiss die Tasche in meinen Spind, schlüpfte in mein T-Shirt und band mir die Schürze um. Ich teilte mir die Schicht mit Kev. Es war schon eine Weile her das ich mit ihm zusammenarbeiten musste, lag wohl daran, dass er ständig im Krankenstand war.
"Heut' mal nicht krank?", neckte ihn und schlug in leicht in die Rippen. Der Große braunhaarige mit den Augenbrauen Piercing grinste heiter. "Nein ... ich habe gesehen dass ich endlich mal mit unserem Star Schicht habe. Da konnte ich nicht anderes, als ein paar extra Vitamine einzuwerfen."
Wollte ich überhaupt wissen, was er mit 'Vitaminen' meinte? Vermutlich nicht. Ich runzelte die Stirn. "Star?" Das konnte nur eine doofe Anspielung auf das Foto sein. Ich war schon froh darüber in der Uni nicht damit in Verbindung gebracht zu werden.
Kev legte den Kopf zur Seite. "Ich lebe nicht hinter dem Mond. Jeder hat die Bilder von dir und diesen Sänger gesehen. Und die Geschichte davon dass du die Tochter von Connor Davis bist - ja den kenne sogar ich."
Ich drehte mich weg, nahm ein Tablett und ging zu den Tischen um das Geschirr abzuräumen. Diese dämlichen Bilder werden mich bis an den Rest meines Lebens verfolgen. Wenn es wenigstens welche wären, auf denen etwas zu sehen wären, dann konnte ich den Rummel eventuell verstehen. Aber darauf sah man nur, wie ich mich mit dem Kopf zu seinen gelehnt hatte. Es war noch genügend Abstand, um zu behaupten, dass ich ihm etwas über die laute Musik hinweg zugerufen hätte.
Und Connor war eben mein leiblicher Vater, der zufälligerweise ein reicher, berühmter und erfolgreicher Fotograf war. Solche Geschichten wie meine gab es bestimmt wie Sand am Meer nur das diese niemanden interessierten, weil es sich nicht um jemanden handelte, den die Öffentlichkeit kannte.
Für den Rest unserer gemeinsamen Schicht bis ich mir auf die Zunge, um keines seiner lachhaften Kommentare zu kommentieren. Es würde mich nur noch mehr schuldiger aussehen lassen, wenn ich mich lauthals dagegen wehren würde. Kev schien sichtlich Spaß damit zu haben mich zu ärgern. Ich war froh, als ich endlich nach Hause gehen und damit den nroamlen Wahnsinn hinter mir lassen zu können.
Mit einen rütteln blieb der Bus an der Haltestelle stehen. Ich hielt den Riemen meiner Umhängetasche fest als ich ausstieg und nach rechts abbog, durch den kleinen Park mit den Springbrunnen und schließlich bei unseren Wohnhaus ankam. Zwischen den Motorrädern und den anderen älteren Wagen, glänzte ein grauer Porsche hervor. Er passte überhaupt nicht hier her. Nicht zu diesen Haus und bestimmt nicht in diese Gegend die großteils von Studenten bewohnt wurde. Mir fiel nur eine Person ein, die hier parken würde und das nötige Kleingeld für diesen Schlitten besaß.
Mein Bauch begann heftig zu kribbeln während ich die Treppen hinauf polterte. Es fühlte sich an, als wollte ein Schwarm voller Schmetterlinge aus mir herausbrechen. Um schneller zu sein, nahm ich immer zwei Stufen, hielt aber an, als ich eine Stimme vom oberen Stock sprechen hörte. Ich hielt mich am Geländer an und ging leicht in die Knie. Das Schwere atmen versuchte ich mir großen Luftzügen zu unterbinden.
"Ich kann noch immer nicht fassen zu was für einen Weichei du während meiner Abwesenheit geworden bist", sagte eine tiefe, raue Stimme mit bemerkbaren Akzent.
"Sei einfach still", gab Dylan schroff an Enrico zurück, bis anschließend, mit einem Tür-knallen, die Stimmen verschwanden.
Ich zog den nach unten verrutschen Riemen meiner Tasche höher, atmete tief durch und trat in Ruhe die Treppen hoch. Meine Hände zitterten vor Aufregung und Nervosität - was nicht nur an Niall lag, sondern auch vor meiner Angst dass Dylan oder Enrico auf den Flur treten würden, während ich alleine hier stand. Ich war mir einfach noch nicht sicher, wie ich mit diesen Chaos umgehen sollte ... sollte ich mich für Niall entschuldigen? Schließlich wussten wir nicht ob Dylan es wirklich war. Dort befanden sich so viele Gäste, es hätte jeder sein können!
Dylan war immer nett zu mir, behandelte mich wie einen Schatz - aber eben nur bis zu den Zeitpunkt, als ich ihm eine Chance gab und schon nach einen Wochenende wieder zurück ins Niall Armen viel.
Ich bin ein Monster.
Wie konnte ich mich nur so dämlich und kindlich verhalten? Warum hatte ich ihm keine wirkliche Chance gegeben? Alles könnte heute so anders sein.
Niall viel zu schnell zu vergeben, war kein Fehler den ich bereute, aber hatte ich mir damals nicht geschworen, nie wieder ein Wort mit ihm zu wechseln? Ihm zu zeigen, dass ich nicht auf seinen verwirrenden Lebensstil angewiesen war? Wo war diese Amara abgeblieben? Zurzeit schien sie auf Urlaub zu sein. Die letzten drei Wochen verbrachte ich damit, mich nach einem Jungen zu verzehren, der vor meinen Augen einer anderen den Hals ableckte. Und dann natürlich auch mit der Tusse, die schon beim ersten Mal für unser auseinanderleben verantwortlich war.
Ich blieb noch eine weitere Minute in Gedanken versunken vor der Wohnungstür stehen, bevor ich den Entschluss fasste endlich in meine Wohnung einzutreten. Den Schlüssel hing ich an den Hacken neben der Tür, an der alle unsere Schlüssel hingen. Danach schlüpfte ich aus meinen Sneakers und legte meine Tasche auf einen Kästchen im Flur ab. Mit hinter dem Rücken gekreuzten Armen betrat ich unser Wohnzimmer.
Tobis Locken wippten als er über etwas lachte und Niall lachte mit. Er hatte so ein süßes Lachen, das ich Augenblick meinen Zweifel von vorher vergaß. "Hi", grüßte ich mit viel zu hoher und lauter Stimme. Der brauen Haarschopf von Niall drehte sich mir sofort entgegen. Während er aufstand, lief ich auf ihn zu. Er zog mich fest an sich und küsste meinen Haaransatz.
"Prinzessin", flüsterte er, jedoch laut genug um es zu hören. Ich hob meinen Kopf an und sah hoch in seine blauen Augen. Nur leise vernahm ich, wie Tobi sagte: "Ich lass euch mal alleine."
Ich reckte den Kopf und stellte mich wie eine Ballerina auf meine Zehenspitzen um ihn zu küssen. Meine Hände glitten um seinen Nacken, während seine an meine Hüfte lagen. Er verschwendete keine Zeit damit mich anzuheben und an einen der Hocker, die an der Theke standen abzusetzen. So war es wesentlich angenehmer. Nach dem ihm zuerst die Luft ausging, löste er seine Lippen von meinen, schritt aber nicht zurück. Seine Nase berührte meine und der Augenkontakt ließ mein Herz einen Schritt machen.
"Scheiße, ich hab dich so sehr vermisst", hauchte Niall. Er biss sich auf die Lippe und ich fand es so heiß. "Wie soll ich nur ohne dich auf Tour gehen? Kannst du mir das verraten?"
Ich öffnete meinen Lippen, um etwas auf seien Fragen zu erwidern, schloss sie aber wieder, da ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte - wollte.
Er küsste mich auf die Wange und lehnte sich danach etwas nach hinten, hielt sich aber weiterhin an meiner Hüfte fest. Er legte den Kopf zur Seite und lächelte. "Ich habe etwas für dich."
"Du sollst mir nicht ständig etwas schenken", stellte ich sogleich fest.
Niall lächelte weiterhin. Sein linker Zeigefinger strich über meine Wange, hinunter an meinen Hals und der Kette entlang, die er mir geschenkt hatte. Ich trug sie jeden Tag. Egal ob ich arbeiten ging, zur Uni oder zu Hause in Jogginghose auf der Couch saß.
Niall zog eine Augenbraue hoch. "Warum soll ich die Frau, die ich liebe nicht beschenken?"
Ich schüttelte daraufhin den Kopf. Es würde sowieso nichts bringen darüber mit ihm zu diskutieren. Er würde immer auf seiner Meinung sitzen bleiben.
"Na gut. Aber wenn es etwas Teures war dann ...", ich ließ mich nicht ausreden und drückte mir einen Finger auf die Lippen. Er musterte mich für einen Augenblick, bis er in seine Hosentasche griff und ....
Wortlos betrachtete ich den Schlüssel. Falls das der Schlüssel zu den Porsche am Parkplatz ist, drehte ich durch. So etwas würde ich bestimmt nicht annehmen. Schließlich besaß ich noch den Stolz einer Frau und war der Überzeugung, dass ich mir als Frau auch selbst in der Zukunft so einen Wagen leisten könnte und dazu bräuchte es keinen Mann.
"Es steht in deinen Zimmer", fuhr er fort und übergab mir den Schlüssel. Ein Auto wird es dann wohl nicht sein, wenn es in mein Zimmer passt. Er ließ mich los und ich rutschte vom Hocker hinunter. Still folgte er mir in mein Zimmer. Als ich die Tür öffnete, sah ich es sofort. Ein Lachen entwich meinen Lippen.
"Du schenkst mir ein Fahrrad und eine Schultüte?", ich lachte amüsiert. Es war so eine nette Geste von meinem Freund.
"Der Schlüssel ist übrigens für das Fahrrad schloss. Und die Schultüte habe ich selbst gefüllt. Ich hoffe, dass ich deinen Geschmack getroffen habe."
Ich ging auf das Rad zu und begutachtete es. Ich verstand nicht viel von Fahrrädern, konnte als nicht beurteilen, ob es sich um etwas Teureres handelte oder nicht. Ich nahm es einfach an. Ich mochte die blaue Farbe des Lacks und den Korb am Lenker. Perfekt um die Tasche mit den schweren Büchern für die Uni zu transportieren.
"Vielen Dank, Niall." Ich wendete mich zu ihm. Er stand noch immer an Ort uns Stelle und betrachtete mich, wie ich mich freute. Er rieb sich den Nacken. "Ich nehme an ... es gefällt dir? Ich dachte mir, so wärst du schneller in der Uni und ich weiß doch, dass du den Verkehr in dieser Stadt nicht leiden kannst, deshalb ..."
"Ich liebe es. Es ist perfekt!", unterbrach ihn sein Gestammel fröhlich.
Niall atmete erleichterte aus. Er wusste einfach immer, wie er mir mit Geschenken eine Freude bereiten konnte, deshalb bekam ich jetzt schon ein schlechtes Gewissen, weil ich noch immer nicht wusste, was ich ihm zu Geburtstag schenken sollte. Aber dafür hatte ich mir vorgenommen Liam zu fragen. Vielleicht wusste er, über was sich sein Freund freuen würde.
Ich streckte meine Arme nach ihm aus und zog in nahe an mich. Ich bedankte mich mit einem dicken Kuss. "Ich hättest mir für den Start der Uni wirklich nichts kaufen müssen", seufzte ich und sah dabei hoch in sein Gesicht.
Er rollte den Augen und drehte den Kopf zur Seite. An meinen Unterarm zog der mich mit auf mein Bett. Ich schlug am Ende des Bettes die Beinen übereinander, während mein Freund sich auf den Rücken legte und die Arme hinter den Kopf versteckte. Sein Blick lag an der hellen Decke ober uns, während meiner auf seinen Körper lag. Ich kaute unterbewusst auf meinen Fingernagel herum, als ich seine angespannten Oberarme sah und den freigelegten Teil seines Bauches, weil ihm das Shirt hochgerutscht war. Die Art wie seine Haare ungemacht auf seiner Stirn lagen und der drei-Tage Bart, der ihm so verdammt gut stand.
"Seid ihr Frauen nicht normalerweise die, die sich in einer Beziehung sämtliche Datum merken?", hörte ich Niall leise fragen. Noch immer sah er auf die Decke hoch.
Nun legte ich mich seitlich neben ihm und stützte dabei mit meiner Hand meinen Kopf ab. "Ich versteht nicht, was du meinst?" Sein Geburtstag war noch nicht - da war ich mir ganz sicher!
Ich konzentrierte mich auf seinen hebenden und senkenden Brustkorb, als ich auf seine Antwort wartet. Ich konnte spüren, wie er die Ruhe und den Frieden genoss. Etwas das er sonst nicht oft hat.
Nach weiteren Sekunden des Schweigens drehte Niall seinen Kopf in meine Richtung. Die Farbe seiner Wangen nahmen einen hellen roten Ton an. "Wir kennen uns heute genau ein Jahr."
Überrascht zog ich eine Augenbraue hoch. "Ein Jahr? Wow, die Zeit vergeht wie im Flug. Ich hatte ja überhaupt keine Ahnung." Ich konnte mich wirklich nicht an das genaue Datum erinnern. Aber ich wusste, dass es September war und vor seinem Geburtstag. Ich konnte es kaum fassen dass er das wirklich wusste. Er hatte sich den Tag gemerkt, an dem wir uns das erste Mal trafen.
Verlegen drehte Niall sich wieder weg. Er zog die Unterlippe zwischen seine Zähne und grinste danach verschmitzt. Wie gerne würde ich jetzt Gedankenlesen können, würde gerne wissen, ob er wohl gerade an unsere erste Begegnung dachte. Denn ich tat es.
Nialls Sicht
- vor einen Jahr -
"Hallo", grüßte sie schüchtern. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen dass sie nicht wusste, wohin sie ihre Arme stecken sollte. Sie wirkte niedlich mit dem knallroten Bandana in den Haaren das mich an Harry erinnerte.
Kate schoss an mir vorbei und nahm ihre Tochter in den Arm. Sie sagte etwas, das ich aber nicht verstehen konnte, weil sie zu leise sprach. Als sie sich voneinander lösten, drehten sich beide zu mir. "Also Niall ... das ist meine Tochter Amara." Kate zeigte dabei mit dem Zeigefinger auf sie, auf Amara. Es war ein sehr schöner Name, den ich eigentlich noch nie gehörte hatte und dabei wurde ich beinahe täglich um Autogramme mit Widmung gebeten.
"Hallo, Amara. Schon dich mal kennenzulernen. Ich habe schon eine Menge von dir gehört." Kein Witz, ihre Mutter sprach ständig über sie, erzählte mir peinliche Geschichten aus ihrer Kindheit, die sie bestimmt nicht wollte, dass ich wusste. Ich schritte auf sie zu und wollte sie zur Begrüßung umarmen, doch sie schritt zurück und streckte mir die Hand zu. Es war etwas das sonst nie vorkam, eigentlich wollten die Mädchen von mir umarmt werden. Doch nicht sie. Amara war anders. Wahrscheinlich einfach nur mega schüchtern oder überwältigt von der Situation. Aber in diesen Punkt könnte ich sie beruhigen, für mich war es auch alles andere als normal plötzlich eine kleine Schwester aus einen anderen Land zu haben, von einer Frau, die mein Vater anstelle meiner Mutter liebt.
Verwundert darüber, konnte ich nicht anders als die Stirn zu runzeln. "Ähm ... okay." Ich schüttelte ihre zarte, weiche Hand. Sie hatte nicht wie ich diese harten, gereizten Fingerspitzen vom Gitarre spielen.
Meine einzige Bitte war es jetzt nur, dass wir uns irgendwann gut verstehen würde und mein Vater glücklich sein wird - so wie er es immer verdiente.
Nialls Sicht
- vor einem Jahr -
Während ich mir meinen Schuhsenkel schnürte, bemerkte ich wie Amara die Treppen herunterkam. Sie hatte ihre kurze Shorts und das Shirt gegen eine lange Jeans, ein helles Shirt und einer leichten Jacke getäuscht. Ihr langes braunes Haar mit den hellen spitzen trug sie zusammengebunden hoch auf ihrem Kopf. "Na, bereit?"
Amara sprang die letzte Stufe hinunter und erwiderte mit einem "Jep." meine Frage. Das Taxi stand bereits vor der Tür als wir hinaustraten. Mein Dad hatte mir erzählt, dass Amara das Haus noch nicht verlassen hatte, obwohl sie mit ihrer Mutter nun schon eine Woche hier wohnten. Ich wollte sie aus dem Haus bekommen und zu dem war es eine gute Möglichkeit ihr auf den Zahn zu fühlen. Sie war eine Fremde für mich, die im Zimmer neben mir wohnte. Wir verbrachten die Fahrt in Stille. Amara war viel zu sehr damit beschäftigt sich die Gegend anzuschauen. Die dunklen Feldern, an denen wir vorbeikamen und später die beleuchteten Schaufenster und Reklametafeln zu mustern. Für einen Donnerstag zweiundzwanzig Uhr war es normal ruhig, aber ich wusste, dass das nicht bedeuten würde das es bei Marlon im Pub ruhig sein würde. Es war sozusagen der Mittelpunkt des Nachtlebens von Mullingar.
Da ich beinahe ein halbes Jahr nicht mehr zu Hause war, freute ich mich schon auf das Treffen mit meinen Freunden. Zwar könnte ich mich auch wieder auf einen Boot mitten am Meer vorstellen, aber so würde ich bestimmt nie mit einem Album fertig werden - geschweige denn je beginnen.
Mein iPhone vibrierte in meiner Hosentasche. Es war mein alter Kumpel Matt. Er wollte wissen, wo ich abblieb.
"Wie viele Freunde von dir warten auf uns? Einer?", hörte ich Amara fragen. Zum ersten mal wandte sie den Blick vom Fenster ab.
Ich schrieb Matt ein: "Sind gleich da", zurück, drückte auf senden und steckte mein Handy wieder weg, ehe ich mich an meine neue Stiefschwester wandte. "Eigentlich drei. Matt, Leon und Sean. Keine Sorge ich habe ihnen gesagt, dass sie die Finger von dir lassen müssen."
Prüfend legte sie den Kopf zur Seite. "Wie ist das denn gemeint?" Eine Falte bildete sich auf ihrer Stirn.
Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. "Das war doch Spaß, Amara. Du wirst sie bestimmt mögen. Ich kenne sie schon seit einer Ewigkeit. Vertrau mir." Dass ich das zuvor wirklich zu ihnen gesagt hatte, behielt ich für mich.
Kurz darauf hielt der Wagen vor Marlons Pub an und meine Stiefschwester wollte doch tatsächlich für die Fahrt bezahlen. Es war komisch, denn sie wollte es wirklich. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wenn ein Mädchen das letzte Mal etwas für mich bezahlen wollte. Ich war immer derjenige der bezahlte.
Eine Gruppe junger Erwachsener rauchte ausgelassen vor der Eingangstür, des Pubs. Amara folgte mir wie ein kleiner Welpen ins Innere des Gebäudes und sofort überschlugen sich die Gerüche. Eine widerliche Mischung aus Zigaretten und Alkohol.
"Wo sind deine Freunde?", fragte Amara mit lauter Stimme über der Ländlichen Musik. Ich sah über die Köpfe der Leute hinweg und suchte nach dem schwarzen Schopf von Matt und den Hellblonden von Sean. Leon wäre mir vermutlich als kleinster der Gruppe nie ins Sichtfeld gekommen. Wie aufs Stichwort reckte Matt den Kopf und hob die Hand um mir zu deuten.
"Da drüben. Komm mit!"
Nach einer ausgiebigen Begrüßung nahm ich neben Amara und somit gegenüber von Leon Platz. Ich erzählte von meinem Monat in Australien und den Wochen in Japan und Thailand. Ich kostete die letzten Monate dieser Pause mit allen aus, wie ich es sonst noch nie gekonnt hatte. Es gab so viele wunderbare Orte auf dieser Welt, die ich mit während unseren Touren nie bestaunen konnte. Zwar versuchten die Jungs und ich es, schlichen uns mit Bodyguards aus Hotels, aber es endete fast immer in einer Katastrophe. Während ich sprach, sah ich mich immer wieder nach einem Kellner um - aber es kam keiner. Vermutlich wurden wir übersehen, was bei dem Haufen von Menschen in diesen Raum kein Wunder war. Also entschuldigte ich mich vom Tisch und schlenderte auf die Bar zu.
Marlon, der Inhaber, polierte gerade Weingläser. Ich drängte mich neben zwei besetzten Stühlen durch und legte meine Arme auf die Schank. "Hey Marlon! Schon lange nicht mehr gesehen."
Augenblicklich hob der Kahlkopf den Kopf. "Na' wen haben wir denn da? Der Sänger ist wieder zurück!" Lächelnd streckte er mir seine Faust entgegen, die ich mit meiner Faust berührte. "Hast du schon was zum Trinken?", fragte er anschließend und wischte sich die Hände an seiner befleckten Schürzte ab.
Ich lächelte. "Ein großes Bier und ... eine Cola, bitte." Vielleicht hätte ich Amara fragen sollen, auf was sie lust eigentlich lust hatte. "Wie geht's der Familie?", fragte ich Marlon, derweil er die Getränke herrichtete.
"Sehr gut, sehr gut. Millie liebt diesen Louis aus deiner Band noch immer. Sie plant schon eine große Hochzeit und alle ihre Plüschtiere sind eingeladen." Marlon stellte mir die Gläser hin.
Schmunzelnd nahm ich die Gläser an mich. "Dann weiß ich wenigstens dass mein Bruder in guten Händen sein wird."
***
Ein kalter Luftzug fuhr mir über die Haut. Für Anfang September war es nicht ungewöhnlich kühle Nächte zu haben. Ich nahm einen großen Schluck von meinen Bier uns stellte das Glas anschließend wieder auf dem Bierdeckel ab. Da mir kalt was, wollte ich mich vergewissern, dass auch die Tür geschlossen war, deshalb drehte ich um, um einen blick zu ergattern. Ja, sie war geschlossen, aber warm wurde mir noch immer nicht. Die Kälte verwandelte sich in entsetzten. Es war dumm gewesen, einfach zu denken, dass sie mir nie wieder über den Weg laufen würde. Aber ausgerechnet an meinen ersten Abend zurück in meiner Heimatstadt? Die ehemalige Liebe meines Lebens hing an einen Typen wie Kaugummi. Aber ich konnte es nicht leugnen, sie sah noch immer bildhübsch aus. Das blonde Haar sah wie Seide aus und ihr Körper hatte in den letzten Jahren genau die richtigen Kurven zu sich genommen. Ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass sie etwas in mir auslöste und dass ich in meinen vergangenen Freundinnen nie nach einem Mädchen wie ihr ausschau gehalten habe.
"****Holly***", hustete Matt übertrieben und riss mich somit aus meinen Gedanken.
"Was?", hackte ich gespielte unwissend nach. Aber ich wusste natürlich dass diese drei Kerle mich genauso gut kannten wie Harry, Louis, Liam und auch Zayn.
"Wer ist Holly?", fragte Amara unschuldig, während sich meinen Freunde über diese Situation sichtlich lustig machten. Ich senkte geknickt den Kopf.
Sean begann zu erzählen: "Holly war Nialls beste Freundin, sie sind so zu sagen miteinander aufgewachsen. Gingen zusammen in den Kindergarten und auch in die Schule. Später wurde aus ihnen ein Paar und als Niall dann bei X Factor mit gemacht hatte und in die Band kam, machte sie Schluss."
Seufzend hob ich den Kopf. "Wir versuchten in Kontakt zu bleiben, aber irgendwann verloren wir uns aus den Augen...." Oder besser gesagt, ich habe versucht sie nicht mehr zu sehen, weil ich wusste, dass ohne mit der Wimpern zu zuckenich zurück in ihre Arme fallen würde und das Eifersuchtsdrama wieder von vorne beginnen würde. Ich fühlte wie sich meine Handflächen mit Schweiß füllten. Das Herz pochte wie verrückt in meiner Brust.
Erneut suchten meine Augen Holly in der Menge. Mir blieb die Spucke weg, als sich unsere Blick kreuzten und sie mit diesen Kerl im Schlepptau auf mich zukam.
Amara sah mich an und sagte: "Geh doch rüber und sag Hallo." Ich leckte mir über die Lippe. Ich konnte doch nicht nach all diesen Jahren einfach zu ihr gehen und so tun, als wäre nie etwas gewesen. "Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist Amara. Wir haben schon eine ganze Weile nicht mehr miteinander gesprochen. Wir sind auch nicht gerade im guten auseinander gegangen und..."
"Hey Niall!" grüßte sie aufgeregt und winkte mit der rechten Hand. Ihre blauen Augen strahlen mich förmlich an und ich wäre beinahe darin versunken, hätte Sean mir nicht unter dem Tisch einen Tritt verpasst.
"Hallo.", ein lächeln entwich meinen Lippen. Ich wollte es nicht, denn in mir schrillten die Alarmglocken. Mein Stimme im Kopf schrie mich an cool zu bleiben und nicht zu vergessen wie das alles vor Jahren geendet hatte.
Ich wusste überhaupt nicht wie mir geschah, als sie mich plötzlich umarmte und ich den mir allzu bekannten Duft ihres Parfums vernahm. Wir lösten uns jedoch schneller als mir lieb war wieder voneinander und ich musste mit ansehen wie sie die Hand ihres Freundes ergriff.
"Das ist Dean. Dean das sind Niall, Sean, Leon, Matt und ...", sie stoppte und sah auf Amara hinab. "Entschuldigung, aber kennen wir uns?" Holly rieb sich nachdenklich das Kinn. "Bist du seine Freun-"
Ich unterbrach sie. "Das ist Amara. Meine Stiefschwester." Warum ich das Wort Stiefschwester extra erwähnt hatte wusste ich nicht. Holly hatte Dean auch nur als Dean vorgestellt und nicht als ihren Freund. Und warum dachte sie, dass Amara meine Freundin ist? Nur weil sie neben mir saß? Sie war definitiv nicht hässlich, aber sie fiel auch nicht in den Typ Mädchen die mich anzogen.
Holly zog die Augenbrauen zusammen. "Stiefschwester?"
Ich winkte ab. "Lange Geschichte."
Amaras räuspern hinter mir machte mich auf sie aufmerksam. "Lässt du mich kurz vorbei?" Nickend machte ich ihr Platz und sah ihr nach, wie sie zu den Toiletten verschwand.
"Sie ist hübsch. Diese lange Geschichte würde ich nur zu gerne hören.", setzte Holly nach, während auch ihr Blick auf Amaras Rücken lag.
Amaras Sicht.
Wortlos lag ich neben Niall, der noch immer die Decke betrachtete und total in Gedanken verloren schien. Ein Klopfen an der Tür mit Tobis: "Schläft ihr schon?" gefolgten Worten zerstörte den ruhigen Moment. Tobi riss die Tür mit Schwung auf und kam auf mein Bett zu. Tadelnd hob er den Finger. "Amara schlaf mir bloß nicht ein! Das Lagerfeuer wird nicht auf dich warten. Du bist jetzt eine Studentin und dieses Lagerfeuer gehört so zur sagen zur Tradition!"
Schwer seufzend drückte ich mich hob und legte den Kopf zur Seite. "Tobias ...", mit seinen nicht abgekürzten Namen hatte ich ihn noch nie angesprochen. "Es ist doch noch ewig Zeit. Es ist gerade mal sechs. Wenn wir um neun gehen, reicht das doch auch."
Tobi sah mich verwundert an. "Neun? Wer geht denn bitte schon um neun auf eine Party? Elf ist eine Zeit, die ich mir einreden lasse, aber doch nicht neun!" Danach sah er Niall an. "Du hättest dir einen anderen Tag zum Zurückkommen aussuchen sollen, denn dein Mädchen wird dir heute Nacht keine Gesellschaft leisten, sondern mir und den Rest der Royal Holloway."
Ohne sich aufzurichten, sprach nun Niall, der die Arme noch immer hinter seinen Kopf verschränkte. "Ich nehme an, ich darf als nicht Student auch nicht mitkommen?"
"Genau", erwiderte mein Mitbewohner. "Das wäre sowieso keine gute Idee. Wir wollen doch nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Es gib schon genügen Mädchen die ihr in der Uni böse Blicke zuwerfen."
Mir werden böse Blicke zugeworfen? "Dein Ernst?", fragte ich geschockt und Tobi nickte. "Ja, hast du das noch nicht bemerkt? Du bist ein Stück Fleisch für die hungernden Löwen."
"Nein.", kopfschüttelnd senkte ich den Blick. Vermutlich blende mich der Anblick dieser Universität, um zu registrieren, was da eigentlich ab ging. Vielleicht sollte ich versuchen besser darauf zu achten. Aber eigentlich ging ich auch nicht davon aus das jeder Niall kannte. Das konnte doch nicht möglich sein.
Ich spürte, wie sich die Matratze unter mir bewegte und Niall sich auf die Seite drehte. "Auch kein Problem. Ich bleibe hier und warte auf euch. Habe eh noch nie hier geschlafen."
Ich hob die überrascht die Augenbrauen. "Du ... du willst hier schlafen?" Ich hatte absolut kein Problem damit mit Niall hier die Nacht zu verbringen, aber mein Bett war eben nur für einen Person ausgelegt und nicht für zwei. Es würde verdammt eng werden.
Niall zuckte mit den Schultern. "Ja, warum nicht? Hast du was dagegen?"
Ich deutete auf das Bett. "Meinst du nicht das es hier ein wenig ... eng werden könnte?"
Seine Lippen formten ein Grinsen. "Die Couch im Wohnzimmer in Mullingar war schmaler und außerdem ...", er biss sich auf die Unterlippe. "...liebe ich die Nähe zu dir."
Ich fühlte wie meine Wagen rot wurden, weil Tobi so blöd zu grinsen begann. "Es war auch nicht geplant gewesen auf der Couch einzuschlafen ... wir wollten hoch gehen." Das war wohl einer der peinlichsten Tag, die ich bisher erlebt hatte. Grandma und unsere Eltern war der Schock und die Verwirrtheit ins Gesicht geschrieben, als sie uns kuschelnd auf der Couch vorfanden.
Es war also beschlossene Sache. Niall würde diese Nacht bei uns verbringen, auch wenn mein Bett eindeutig zu klein war. Es blieb immer noch die Couch, die er sonst noch benützen könnte. Während ich mit Sophie telefonierte und sie mir von der Modenschau, die sie mit Valerie und Davina als Gäste besuchten, kochten meine zwei Herren das Abendessen. Anschließend wurde gegessen und ein Film geschaut. Auf meine Bitte hin sahen wir uns: To All The Boys I've Loved Before an. An ihren verzogenen Mundwinkel konnte ich erahnen dass es wohl eine Folter für beide war, aber ich setzte mich durch. Tobis: "Warum habe ich noch nie einen Liebesbrief von jemanden erhalten?", war der Gegenteil zu Nialls: "Die bekomme ich Tonnenweise."
"Ich habe auch noch nie einen erhalten, also ist alles gut Tobi", sagte ich und stopfte mir Popcorn in den Mund. Nialls Arm lag um meine Schulter geschlungen. Er sah auf mich hinab und flüsterte: "Die brauchst du auch nicht, denn Liebeslieder sind doch viel romantischer."
****
Ich hatte mich für schlichte Kleidung entschieden. Einen dunkelblauen Pullover und eine Jeans mir Rissen, kombiniert mit Sneakers. Ich trat die Stufen hoch im Wohnheim in dem Lilly wohnte. Im ersten Stock an der Tür Nummer vierundzwanzig hielt ich an und klopfte. Es dauerte nicht lange bis sie mir die Tür öffnete und mich hereinbat. Das Zimmer war überhaupt nicht so, wie ich mir eben so ein Zimmer im vorgestellt hatte. Man stand nach dem Eintreten in einer kleinen Küche mit Tisch und zwei Stühlen. Benutzte Gläser standen am Tisch, eines davon war noch halb voll. Am Herde gab es nur zwei Kochplatten und nicht vier wie bei uns zu Hause. Ich sah noch zwei weitere Türen. Eine davon war verschlossen, während die andere weit geöffnet war.
"Das Chaos tut mir leid. Ich weiß wirklich nicht wie oft ich es ihr noch sagen soll ...", seufzte Lilly, nahm die Gläser vom Tisch uns stellte sie in die kleine Spüle. Ich nickte nur lächelnd und war im stillen froh darüber Tobi und Sophie als Mitbewohner zu haben. In puncto Sauberkeit waren wir uns einig. "Ich bete nur dass sie uns unten nicht über den Weg läuft", fuhr sie fort, während sie sich den Riemen ihrer kleinen schwarzen Ledertasche um die Schulter legte. Sie trug ein rotes Kleid, das perfekt zu der Farbe ihrer Haar passte und dazu noch eine gelbe Strickweste.
"Du magst sie nicht?", stellte ich schließlich fest. Lilly schien nicht sonderlich begeistert von dieser Person zu sein.
Ihr starrer Blick und das Kopf schüttelnd bestärkten meine Frage. "Nein, sie ist einfach ... ich kann es überhaupt nicht beschreiben. Sie ist einfach viel zu nett! Ich fühlte mich immer, als würde sie mir jeden Moment ein Messer in den Küchen rammen, sobald ich ihr den Rücken zudrehe." Lilly rieb sich das Kinn. "Das ist so wie mit den Gläsern. Ich habe ihr in den letzten zwei Wochen bestimmt schon hundertmal gesagt, dass sie das schmutzige Geschirr abräumen soll, eventuell auch mal von selbst den Besen in die Hand nimmt, oder sonst etwas macht. Immer entschuldigt sie sich, macht es aber am nächsten Tag wieder genauso. Als würde es ihr Spaß machen, mich auf die Palme zu bringen. Man merkt eben, das sie zu Hause nie etwas machen musste."
Ich sah ihr zu wie sie die Tür abschloss und den Schlüssel in ihrer Tasche verstaute. Viele Stundeten liefen uns am Weg nach unten entweder fast um oder entgegen. Die Musik war so laut dass man sie bereits hörte. "Warum wohnst du nicht hier im Wohnheim? Hast du kein Zimmer mehr bekommen?"
Ich schüttelte den Kopf. "Das war es eigentlich nicht. Ich habe einfach schon immer gesagt, dass ich in einen WG ziehen will. Um das Wohnheim habe ich mir noch Gedanken gemacht. So konnte ich mir wenigstens meine Mitbewohner aussuchen." Zudem wäre Sophie sicher auch nicht hierher gezogen und ich wäre von meiner besten Freundin getrennt.
"Und wo sind deine Mitbewohner? Treffe ich sie am Feuer?"
"Ähm ja. Tobi läuft unten schon mit Freunden herum. Aber Sophie geht nicht auf Uni, sie modelt. Sophie ist nur meinetwegen nach London gezogen, weil ich sie dazu gebeten habe. Sie ist schon seit klein auf immer meine beste Freundin gewesen.", ich schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf. "Ich kann es ja eigentlich noch immer nicht fassen, aber sie ist wirklich ein Model mit einem Vertrag."
Wir kamen unten an der Tür an. Ein betrunkener Junge öffnete die Tür und torkelte an uns vorbei. Ich fing die Tür auf bevor sie ins Schloss fiel und trat mit Lilly nach draußen. Von weiten sah man das rot-orange Leuchten des Feuers. Wir gingen den Kiesweg vorm Wohnheim entlang und bogen an der großen Eiche ab. Die Universität sah im dunklen noch viel mehr wie die Schule von Harry Potter und Co aus. Die große Wiese hinter der Uni, auf der wir uns befanden, bot genügend Platz, um tausende Studenten zum Feuer zu bitten. Hier und da standen Stände mit Nahrung und Getränken. Ein Mädchen biss von einem Langos ab, während ein anderer Junge einen Hotdog in das Gras fallen ließ. Plastik und Papbecher beschmutzen den Boden unter unseren Füßen, während die übergroße Feuerstelle den Platz erhellte. Viele Studenten liefen ihren Uni-Pullover herum, was mich darauf erinnerte, dass ich mir auch unbedingt um Uni-Shop etwas besorgen musste. Ich erspähte Tobi, der wie abgemacht beim Feuer stand und auf mich wartete. Der Junge, der ihm Gesellschaft leistete, war mir erst einmal begegnet. Es war nur eine flüchtige Begrüßung in unserem Flur zu Hause, als er Tobi einmal abgeholt hatte, an einem Tag, an dem ich beschloss zu Hause zu bleiben. Himmel, ich konnte mich noch nicht mal an seinen Namen erinnern.
Mit Lilly in meinen Arm eingehackt steuerten wir auf die Beiden zu, ich stellte Lilly und Tobi einander vor und erfuhr dass der Name des Freundes von Tobi Stephan war Wie auch mein Mitbewohner studierte er Moderne Sprachen, Literatur und Kulturen. Stephan war sportlich gebaut, trug kurzes, blondes, leicht gekräuseltes Haar und auf seiner Nase saß eine Brille mit schwarzem Gehäuse. Er überragte uns alle bei weitem.
Ich konnte regelrecht fühlen wie sich Lilly neben mir versteifte, als sie ihn sah. Ihre Augen wurden bei jedem Wort, das er sprach größer und ihr kichern immer lauter und höher. Das Feuer spiegelte sich wie in einem Spiegel in den Gläsern ihrer runden Brille wider.
"Was studiert ihr?", fragte Stephan uns, sah aber nur in Lillys Augen. Verlegen drehte sie eine ihrer roten Haarlocken ein. "Englisch und Sozialarbeit", war die viel zu hoch gepuschte Antwort von Lilly. Da die beiden die Unterhaltung ohne mich und Tobi weiterführend, gingen wir um Getränke zu holen.
"Sieht so aus, als seien wir schon vergessen", schmunzelte Tobi, der einen Schritt vor mir ging und die Leute zur Seite schob. Ich versuchte mit großen Schritten seinen Gang zu folgen. "Scheint so", erwiderte ich knapp. Ich warf einen Blick über meine Schulter, jedoch versperrten mir die Menschen hinter uns die Sicht. An einem Getränkestand angekommen bestellten wir vier Becher Bier und Tobi bezahlte.
"Wer ist eigentlich die Mitbewohnerin von deiner Freundin? Oder wohnt sie alleine?", fragte Tobi, als wir jeweils zwei Becher in die Hände nahmen und uns auf den Rückweg machten.
Ich wusste nicht, wo ich hinsehen sollte, auf meine Füße, meine Hände oder auf mein Umfeld. Überall lauerten potenzielle gefahren um mich zum Fall oder die Becher zum Fall zu befördern. "Doch, da gibt es ein Mädchen. Habe sie aber noch nicht getroffen."
Wie auch zuvor befanden sich Lilly und Stephan noch immer im Gespräch, als wir bei ihnen ankamen. Ich drückte Lilly ihren Becher in die Hand und nahm danach einen gierigen Schluck aus meinen. Was wohl Niall wohl gerade alleine bei uns zu Hause macht? Irgendwie fühlte ich mich nicht gut dabei hier zu sein, Bier zu trinken und das an dem Tag, an dem er nach drei Wochen endlich wieder bei mir war.
"Ew, ist das Bier?", mit verzogenen Mund sah Lilly auf den Becher in ihrer Hand. Sie schluckte angewidert.
"Ja, schmeckt es dir nicht?", fragte ich und nahm erneut einen Schluck aus meinem Becher. Lilly schüttelte den Kopf. "Nein, das tut mir leid Amara. Ich wusste nicht das du mir ein Bier mitnehmen würdest, sonst hätte ich etwas gesagt."
Entschuldigend nahm ich ihr den Becher ab. "Mein Fehler. Ich hätte dich vielleicht fragen sollen." Ihre Art erinnerte an mich von früher. Ich trank auch keinen Tropfen Alkohol und fand schon alleine den Geruch von Bier scheußlich. Und nun kippte ich mir, ohne mit der Wimpern zu zucken einen Becher nach den anderen hinein. Nennt man das erwachsen werden oder ist das der Anfang um zum Alkoholiker?
"Was möchtest du? Ich hole dir etwas." Stephan nahm seine Chance wahr. Mit den Wimpern klimpernd drehte sich meine Mitstudentin zu ihrem vermeintlichen Schwarm. "Irgendetwas ohne Alkohol. Das wäre sehr nett." Stephan verschwand schon kurz darauf in der Meute.
Ich leerte meinen Becher und ließ ihn - so wie es die anderen um uns auch taten - in Feuer schmelzen. Es dauerte nur Sekunden bis der Plastikbecher im Feuer verschwand. Ich sah einer Gruppen von jungen Männer zu, wie sie mehr Holz in das Feuer warfen und kleine Funken zum Himmel stiegen. Sie sahen aus wie kleine Glühwürmchen die in der Finsternis verglühten. Der Halbmond am Himmel und der Sternen lose Himmel wirkten mit den zu Himmel steigenden Funken nicht mehr so trostlos. Ich vernahm den Geruch von Tobis Menthol-Zigarette neben mir und den blumigen Duft von Lillys Parfum. Und als wäre das alles nicht genug, bildete ich mir ein Hollys Gesicht genau an gegenüberliegenden ende des Feuers zu sehen. Eine Einbildung, die immer eher auf mich wirkte, als sich unsere Blicke über den Flammen kreuzten.
Holly Claint, die blauäugige Hexe aus Mullingar, stand mir direkt gegenüber. Nur das Feuer trennte uns. Unsere Blicke trugen einen Kampf über den Flammen aus und ich war nicht diejenige die verlor. Holly wendete den Blick zuerst ab und ich beobachtete sie, wie sie doch wirklich den Mut hatte an mich und meine Freunde heranzutreten. Unbewusst ballte ich die Hand, mit dem fast vollen Becher Bier von Lilly, zur Faust. Es quoll über und tropfte von meinem Pullover und meiner Hand hinab auf die Erde.
In einem roten Pullover mit der Aufschrift meiner Universität und dem Minirock, den sie trug, hätte ich sie vielleicht überhaupt nicht erkannt, wenn sie mich passiert hätte. Nur war es ihr Fehler sich genau gegenüber von mir zu stellen und mir in die Augen zu blicken. Ich hatte nicht vergessen, was das letzte Mal geschah, als ich ihr und Amber über den Weg gelaufen bin. Ihnen schien es Spaß zu machen mich zu demütigen und mein Freund war zu blind um es zu sehen.
"Darf man erfahren, wen du gerade mit deinen Blicken getötet hast?", scherzte Tobi und lachte dabei. Er warf das letzte Stück seiner Zigarette neben mir ins Feuer.
Ohne auf seine Frage einzugehen, drehte ich den Kopf, um Holly mit dem Blick zu folgen. Aus dem Augenwinkel merkte ich, wie Lilly mit den neuen Getränk von Stephan in der Hand mit den Augen rollte und genervt seufzte. Bei meinen Glück konnte es doch nur bedeuten, dass ...
"Hat der Stubenhocker doch noch das Zimmer verlassen?", hörte ich eine andere mir bekannte Stimme sagen. Ich drehte mich zur Seite und da stand sie. Das schwarzhaarige Monster Amber Willow. Das Schicksal bestrafte mich jeden Tag aufs' neue. Was tun die beiden hier?
"Räum nächstes Mal endlich dein Zeug weg! Ich bin nicht deine Mutter. Du darfst dir auch mal die falschen Fingernägel dreckig machen", konterte Lilly auf Ambers Aussage. Wenn ich hier eins und eins zusammenzählte, war ich mir sicher, dass Amber wohl die verhasste Mitbewohnerin sein musste.
Ich biss mir auf die Zunge, um mich zu zügeln. Diese Frauen lösten einfach eine derart geballte Wut in mir aus, die ich selbst nicht von mir kannte. Schon seitdem ersten Tag, an dem ich Holly und Amber gesehen hatte, wusste ich, dass wir nie Freunde werden könnten. Beide war einfach nur falsch und das von vorne bis hinten. Sie zögern nicht damit jemanden das Messer in den Rücken zu rammen. Würden wir in der Welt von Game of Thrones Leben, hätte ich beide schon lange an die Drachen verfüttern lassen. Hätte wie eine verrückte gelacht, wenn Drogon eine der beiden in fetzten gerissen hätte.
Der strahlende Gesichtsausdruck verschwand als Holly sich zu mir drehte. Ihre Lippen bildeten eine gerade Linie und ihre Augen sahen so dunkel wie nie aus. Das Blau verschwand aus ihren Augen.
"Was macht ihr hier?", fragte ich barsch und schmiss den Becher in die Flammen.
Amber verlagerte das Körpergewicht auf ihren rechten Fuß und überkreuzte die Arme vor der Brust. "Ich genieße hier das Lagerfeuer mit meinen Mit-Studenten. Was sonst?"
"Das habe ich nicht gemeint!", drückte ich durch die zusammengebissenen Zähne heraus.
Sie leckte sich über die Lippen und löste die Arme von ihrer Brust. "Ich gehe hier auf die Universität und Holly hat sie ebenfalls hier in der Stadt angesiedelt. Er hat uns erzählt, dass auch du hier studierst, aber ich habe einfach gehofft, dass wir uns nie über den Weg laufen würde. Scheint, als ob meine Gebete nicht erhört worden wären." Ihre Augen suchten neben mir die Gegend ab. "Wo ist er? Ich habe gehört, dass er schon wieder zurück in London sein müsste. Oder hat er dich nach diesen peinlichen Fotos endlich in den Sand gesetzt?" Sie presste ihre Lippen zusammen und formte anschließend ein Grinsen. "Amara ich muss dir sagen, dass es ziemlich erbärmlich aussah, wie du versucht hat ... Na ja du weißt schon... ihn zu küssen."
Ich erwiderte nichts, denn es war genau das was sie damit bezwecken wollte. Während Tobi, Lilly und Stephan das Geschehen still beobachteten, trat sie weitere Schritte näher an mich heran, sodass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten. Ambers Stimme war leise, aber mit solcher härte dass ich es aus Drohung aufnahm. "Du bist noch nie sein Typ gewesen. Lass die Finger von ihm."
Meine Augen verengten sich automatisch und mein Ausdruck wurde blank. Ich fühlte ein Kribbeln in meiner Hand und wusste, dass sie gerne ausgeschlafen hätte, genau wie es Niall bei Dylan gemacht hatte. Vielleicht würde ich mich befriedigt fühlen, wenn ich ihr ihre Nase brechen könnte und anschließend in Schuldgefühlen zusammenfallen, weil das eigentlich nicht meine Art war so auf Menschen einzugehen. Ich bin kein Freund von Gewalt, aber dieses Gefühl in mir schrie danach ihr Gesicht zu verunstalten.
"Hey Barbie, bleib ja ruhig und lass meine Freundin in Ruhe", mischte sich Tobi ein und drückte Amber einen Meter von mir weg. Er stellte sich schützend vor mich.
"Pass lieber auf wie du mit mir sprichst!", zischte Amber und zog die Augen zu schlitzen.
Tobi gluckste. "Warum? Verstehst du die englische Sprache nicht? Wie soll ich denn mit dir sprechen? Verzieh euch!"
Holly stand direkt hinter Amber. Sie war so still, dass es mir schon komisch vorkam. Warum sagte sie nichts? Warum tat sie es ihrer Freundin nicht gleich? Es war kein Geheimnis, das wir uns alle nicht ausstehen konnten und sonst schwieg sie auch nicht. Lag es daran dass Niall da war? Denn bei ihm war sie nie so Wortkarg.
Amber räusperte sich und ich konnte ihren eingebildeten Gesichtsausdruck überhaupt nicht leiden als sie erneut das Wort ergriff. "Holly hat schon dafür gesorgt dass er dir nicht bleiben wird. Genieße die Ruhe vor dem Sturm."
"Halt endlich die Schnauze. Verpisste euch!" Nach den Worten meines Mitbewohners murrte sie noch leise etwas, ging mit Holly an uns vorbei und warf mir noch einen bösen Blick zu. Warum? Warum muss sie ausgerechnet hier auf die Uni gehen? Und warum wusste ich nichts davon? Ob sie mit Absicht hier waren um mich zu ärgern und mir den Freund auszuspannen? Wusste Niall davon und verschwieg er es mir mit Absicht, weil er etwas mit Holly am Laufen hatte? Oder spielte meine Fantasie schon wieder verrückt? Ich wollte nur noch nach Hause und Niall darauf ansprechen. Und was zum Teufel meinte sie? Holly hat schon dafür gesorgt dass er nicht bei mir bleiben wird? Was?
"Alles klar bei dir? Wer war das überhaupt?", fragte Tobi mich besorgt und auch Stephan und Lilly näherten sich uns an.
"So ne blöde Kuh aus Mullingar und die Ex von ...", ich wollte schon Niall - meinen Freund - sagen, aber schluckte seinen Namen in der Öffentlichkeit hinunter. "Sie ist die Ex von meinen Stiefbruder und steht noch immer auf ihn. Sie und ihre Freundin Amber haben mir letztes Jahr schon die Hölle heiß gemacht."
Tobi tätschelte mir die Schulter. "Ich glaube ich verstehe schon." Er nickte mir bekräftigend zu, somit gab er mir zu verstehen dass er verstand dass ein großes Eifersuchtsdrama schuld an unserer Auseinandersetzung war. Wenn er nur wüsste ...
Ich war sauer und brauchte sofort Antworten. Doch zuvor lächelte mich der letzte Rest des Biers in den fast leeren Becher noch an. Ich trank es aus und ließ es mir erneut auffüllen.
"Ich nehme an du kennst meine Mitbewohnerin bereits", stellte Lilly schließlich fest und nippte dabei an ihrer Flasche Sprite.
Ich seufzte genervt und sah auf meinen Becher hinab. "Ich wünschte es wäre anders." Das nicht kennenlernen von Holly und ihrer Freundin hätte mir eine Menge Ärger erspart.
Tobi neben mir zündete sich erneut eine Zigarette an und blies den Qualm in die Luft. "Ich weiß ja, warum ich mich nicht für Frauen interessiere. Immer dieses Drama." Er ließ die Schultern nach hinten fallen und strich sich mit der Hand durch seine Haare. Der Stiehl seiner Zigarette glühte auf als er daran zog.
"Also ich liebe Frauen." Wir warfen alle einen Blick zu Stephan, den ich schon fast vergessen hatte. Stephan zerknüllte den roten Becher und warf ihn in das Feuer. Er richtete seinen Blick auf mich und danach auf Lilly.
Lilly gluckste kichernd. "Wir Frauen sind auch liebenswert. Ich meine, ohne uns würde es euch überhaupt nicht geben."
So viele verschiedene Gedanken machte sich in meinen Kopf breit und der Alkohol dazu war keine gute Mischung. Ich atmete tief durch um das Gefühl von Schwindel zu übergehen. Mir war die Lust vergangen hier auch nur eine weite Minute zu bleiben. Schon alleine das mir beide wieder vor die Nase laufen könnten unterbreiteten die Idee des schnellen Abschieds.
****
Bis auf einige leise Töne, die wohl aus Kopfhörern stammten, war es still im Zimmer. Das Licht der Straßenlaterne schien durch die Fenster hindurch und erhellte den Raum für mich. Mein neues Fahrrad lehnte an der Wand neben der Tür, während ich Niall auf meinen Bett liegen sah. Ich tapste über den kalten Boden hinüber zu ihm. Er trug Kabellose Kopfhörer, die blau blinkten. Der Bass eines mir unbekannten Songs presste heraus. Sein iPhone lag auf seiner geöffneten Handfläche, während seine andere Hand um meinen Poster geschlungen war. Ich sah ihm gerne zu wie er ruhig schlief, wie sich sein Brustkorb hob uns senkte und ich mich fragte, ob er gerade von mir träumte.
Vorsichtig mit der Absicht ihn nicht zu wecken nahm ich ihm seine Kopfhörer ab und griff nach seinen Handy. Ich beendete den Song mit einem Knopfdruck und legte anschließend seine Kopfhörer am Nachttisch ab. Sein Handy hielt ich noch für weitere Minuten in der Hand, während ich ihm musterte. Ich nahm an Rand der Matratze Platz und dachte nach. Was würde ich wohl finden, wenn ich erneut so dreist wäre und in seinem Handy schnüffeln würde? Würde ich Hollys Namen bei den letzten Anrufen lesen? Würde ich einen Nachrichten verlauf der beiden vorfinden, in dem er ihr von meiner Uni erzählt hatte? Und warum dachte ich überhaupt darüber nach? Rede ich mir selbst nur ein das ich ihm komplett verziehen hatte, weil ich es möchte, es aber einfach nicht über mich bringen kann? Er hatte schon damals kein Problem damit mir die Sache mit Holly zu verschweigen, kaum zu fassen dass es dabei um eine Schwangerschaft ging. Ja, wir waren kein Paar, aber dennoch standen wir uns nahe. Niall hatte auch keine Gewissensbisse im betrunkenen Zustand an ihrem Hals zu lecken. Eines war klar, wenn er Alkohol in sich hatte und beduselt war, wollte er seine Ex. Bei ihr wäre es auch kein Problem sich einfach in der Öffentlichkeit zu zeigen. Seine Fans kannten sie, mochten Holly oder hassten sie, aber sie hatte immer noch einen Vorteil. Sie war nicht seine Stiefschwester.
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte wirklich gehofft dieses Thema hinter mir lassen zu können. Es sollte endlich nur um ihn und ich gehen. Ich wollte mich nicht wieder mit jemanden feixen. Vermutlich zerbreche ich mir hier stundenlang den Kopf obwohl es nichts ist. Er liebt mich und nicht sie.
Ohne darüber nachzudenken, drückte ich auf den Homebutton des iPhones. Hinter den Musikplayer, den Twittericon und dem Facebookicon sah ich mich selbst. Ich schmunzelte, denn auf dem Foto schlief ich tief und fest. Mein Haar war zersaust und mein Mund war leicht geöffnet. Weswegen würde er dieses Bild als Hintergrundbild verwenden und warum ist sein Telefon noch immer nicht durch ein Passwort, ein Zeichen oder einen Fingerabdruck geschützt? Sein fertiges Album befindest sich darauf. Ich will mir nicht mal ausmalen, was passieren würde, wenn er es verliert!
Ich schob den Gedanken zur Seite in seinem Handy nach etwas zu suchen um mich damit nur selbst zu verletzten. Ich musste endlich lernen Niall vollends zu vertrauen, ansonsten ist diese Beziehung zum Scheitern verurteilt. Außerdem habe ich nie ein Geheimnis daraus gemacht, das ich hier studieren werde, weder habe ich jemals nachgefragt was Holly eigentlich macht. Ich wusste nur dass sie bei ihrem Vater in der Kanzlei im Sommer ausgeholfen hatte - zumindest letztes Jahr. Mir wäre es bei weitem lieber gewesen wenn ich Matt zufällig am Campus getroffen hätte und nicht die beste Freundin seiner Schwester. Wie es ihm wohl geht?
Niall ließ mir keine andere Wahl, als mich in das Zimmer von Sophie zu begeben. Genau wie ich es gesagt hatte, auf meinem Bett war nur Platz für eine schlafende Person. Ich hätte mich noch auf eine unbequeme Art und Weise dazu quetschen können, hätte aber ständig damit rechnen müssen aus dem Bett zu fallen. Ich war mir sicher dass meine beste Freundin nichts dagegen hatte, dass ich in ihrem Bett schlief - immerhin war sie nicht da.
Ich zog mich um und warf meine Benutzen Klamotten in den Wäschekorb im Badezimmer das mein Zimmer und das von Sophie miteinander verband. Sophies Bett roch nach ihrem blumigen Duft, den sie immer trug. Es war genauso groß wie das von mir und das von Tobi. Ich war mir nicht sicher wie lange ich die dunkle Decke über mir betrachtete, aber ich wusste, dass es mir wie eine Ewigkeit vorkam. Ich rollte mich von einer Seite zur anderen, rieb mir die Augen und seufzte ständig. Irgendwann driftete ich schließlich ab.
Das Zuschlagen einer Tür weckte mich. Raunend rieb ich mir über die Augen und hob den Kopf. Sophie stellte gerade zwei Tüten ab und rollte einen kleinen Koffer zu ihrem Kleiderschrank. Sie riss den Kopf zur Seite und hob überrascht eine Braue. "Amara? Was machst du in meinem Bett?"
"Mihm.", stöhnte ich nur müde und ließ den Kopf wieder in den Poster sinken. Es war definitiv noch zu früh für mich. Wie konnte sie nur so wach wirken? Mit der stimmte doch was nicht.
Ich spürte wie sich das Bett bewegte und sich Sophie neben mich quetschte. Ich rückte näher an die Wand heran und hob die Decke für sie. Sophie strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und grinste mich fragend an. "Wieso hast du hier geschlafen?"
Stöhnend erwiderte ich: "Niall schläft in meine Bett und braucht den ganzen Platz. Und dein Bett ist weicher als die Couch."
Sie kicherte. "Ja, da hast du wohl recht."
"Wie war es in Paris? Haben du und Valerie noch immer die weißen Falken gehisst?"
Sophie drehte sich und richtete ihren Blick auf die Decke über uns. "Ja, wir verstehen uns ... irgendwie. Wir haben uns damals wohl einfach auf den falschen Fuß kennengelernt."
"Mir kam es ja eher so vor, als hätte ihr Freund Jacob euch mit Absicht gegeneinander angestachelt. Ich meine, weswegen hat er dir sonst die Drinks gekauft, obwohl er mit seiner Freundin aus war?" Bis jetzt hatte ich noch nicht viel mit Jacob zu tun, aber irgendetwas an ihm war faul. Ich hatte da einfach so ein komisches Gefühl...
Sophie zuckte mit der Schulter. "Ich weiß nicht, er ging mir damals schon auf die Nerven, was wohl daran lag, dass er sich über meine pinken Haare lustig gemacht hat. Aber jetzt ist er eigentlich ganz in Ordnung. Oh und dein Halbbruder steht glaub ich auf mich. Er gräbt mich ständig an."
Ich drehte mich ebenfalls auf den Rücken und streckte meine Arme aus. "Das bedeutet wohl, dass du bis jetzt mehr Worte mit ihm gewechselt hast als ich. Als ich bei ihnen zum Essen war, hat er mich eigentlich nur an geschwiegen und mit den Augen gerollt. 'Nicht noch so eine' waren glaube ich seine Worte."
"Hat sich ... dein Vater ... nach eurem streit auch wieder bei dir gemeldet?", nur zögerlich stellte sie mir diese Frage. Sophie kaute auf ihrer Unterlippe herum und sah mich kaum noch an.
"Nein." Vermutlich wartete er darauf dass ich den ersten Schritt machte, denn eigentlich war ich doch wieder mal an den Konflikt Schuld. Ich hätte die Worte hinunterschlucken sollen. Ich hatte ihn doch erst wieder zurückbekommen und schon nach einem Tag alleine mit ihm, hatte ich ihm vergrault. Aber wenn ich es mit Recht überlegte schadete es ihm bestimmt nicht mal zu hören, dass ich auch auf ihn sauer sein durfte. Meine Mutter trug nicht die volle Schuld, denn zum größten Teil war es seine. Er trennte uns. Er wollte uns beide von unserer Mutter losreißen. Er war der Betrüger. Er soll sich bei mit entschuldigen.
Da sie wohl meinen Blick bemerkte, zog mich Sophie in eine feste Umarmung. Und auch ich umarmte sie. "Amara?", wisperte leise gegen mein Haar.
"Ja?" Ich konnte förmlich spüren wie sie zu grinsen begann.
"Du stinkst." Diese Worte reichten vollkommen aus, um uns beide zum Lachen zu bringen. Bier und der Gestank von Lagerfeuer hafteten wohl von gestern noch an mir.
Da es wirklich Zeit war, eine heiße Dusche zu nehmen rollte ich mich über Sophie und machte mich auf ins Badezimmer. Ich warf einen Blick hinein in mein eigenes Zimmer, in dem mein Freund noch immer auf meinem Bett schlief. Mein Polster lag auf dem Boden und Niall Fuß hin heraus. Er war diese Art von Bett nicht gewohnt - was kein Wunder war. In seinem könnten drei Personen schlafen, ohne sich irgendwie zu berühren. Ich nahm mir ein Handtuch und frische Kleidung aus meinem Kleiderschrank heraus und schlich wieder zurück ins Bad. Ich putzte mir meine Zähne und bürstete vor der Dusche noch mein Haar.
Ich genoss das warme Wasser auf meiner Haut und spürte dabei wie sich meine Muskeln entspannten. Der Radio lief leise im Hintergrund und informierte wie immer über das Wetter, den Verkehr und sonstigen Mord und Totschlag, bis endlich der nächste Song kam. Gerade als ich nach der Body Lotion greifen wollte, hörte ich wie die Tür aufging.
"Amara?" Es war Niall.
Ich schaltete das Wasser ab, zog den Duschvorhang ein Stück zur Seite und steckte meinen Kopf durch die Öffnung.
"Brauchst du was?"
Er rieb sich die Augen und gähnte. "Ich wollte nur nach dir schauen. Tut mir leid, dass ich dein Bett belagert habe. Bin wohl eingeschlafen."
"Schon in Ordnung."
Niall presste die Lippen zusammen und nickte. Er seufzte und sah sich im Badezimmer um. Was wollte er noch? Mir wurde bereits kalt.
"Was ist das für eine Tür?", er nickte in die andere Richtung des Raumes.
"Sophies Zimmer. Wir teilen uns ein Bad."
"Kann man die auch absperren?"
Ich nickte. "Ja, klar. Sie weiß, aber das ich Duschen bin und wird sicher nicht hereinkommen. Und wenn es dich nicht stören würde, würde ich gerne damit weitermachen."
Er trat in das Badezimmer herein und schloss die Tür hinter sich. "Könnte ich vielleicht auch ...", er deutete mir den Zeigfinger auf mich.
Mein Herz rutschte mir in die Hose. Er wollte zu mir in die Dusche kommen, aber wollte ich das? Das Duschen ist doch eigentlich eine Intime Sache, also zumindest für mich. Aber auf der anderen Seite, müsste ich mich nicht schämen vor ihm nackt zu sein. Immerhin hat er schon alles an mir gesehen und so hätte auch ich die Gelegenheit...
Niall räusperte sich. "Ich kann auch zu mir fahren und ...-"
"Nein! Komm rein. Das ist dich Unsinn." Ich konnte sehen wie ihm ein Stein vom Herzen fiel. Er wartete nicht lange darauf und zog sich das Shirt über den Kopf und begann den Bund seiner Hose zu öffnen. Derweil drehte ich mich um und machte das Wasser wieder an. Ich befeuchtete erneut mein Haar und nahm mir die Body Lotion und schmierte mir meinen Körper damit sein.
Ich konnte seinen Blick auf mir fühlen als er eintrat. Mein Herz pochte so schnell, als sei ich einen Marathon gelaufen. Ich machte einen Schritt zur Seite damit er auch etwas vom Wasser abbekam. Er legte seine kalte Hand auf meine Hüfte und küsste meine Schulter. Über meine Schulter spähend sah ich wie er seinen Kopf aufrichtete und die Augen schloss, als das Wasser über seinen Kopf lief. Sein wuscheliges Haar wurde dunkel und glatte, es hing ihm ins Gesicht.
Wie er wohl reagieren würde, wenn ich Holly und Amber erwähnen würde? Sollte ich das überhaupt? Ich möchte keinen Streit zwischen uns provozieren, in dem ihm klar wird, dass ich ihm anscheinend nicht vertrauen kann wenn es um seine Ex ging. Ich wollte es, ich liebe ihn und ich war mir sicher. Warum sonst hätte ich ihn zu mir in die Dusche gelassen?
Ich drehte mich ihm zu. Nialls Augen waren noch immer geschlossen und ich sah dem Wasser, zu das seinem Körper entlang nach unten lief. Seine Brusthaare sahen auf seiner hellen Haut aus, als hätte sie jemand mit einem Stift gezeichnet. Ich sah ihm das Training im Fitnessstudio an und biss mir in die Wange als ich sein bestes Stück musterte. Mein Blick wanderte wieder hoch in sein Gesicht. Er legte den Kopf zur Seite und fuhr sich mit seiner Hand über sein Gesicht. Niall rieb sich die Augen und lächelte mich an. Seine Augen wanderten nicht gierig meinen Körper entlang, sondern blieben bei meinen Augen hängen.
Ich nahm das Shampoo aus der kleinen Ablage in unserer Höhe und füllt mir einen Patzen auf die Hand, nur um auf die Zehenspitzen zu steigen und Nialls Haar damit zu shampoonieren. Er grinste breit und ließ mich machen. Unsere Körper berührten sich und Niall umfasste meine Hüfte, küsste meinen Hals entlang, während meine Hände in seinen Haaren waren. Ich massierte seine Kopfhaut und zog an den Enden seiner in Schaum bedeckten Haare.
Meine Hände rutschten seinen Rücken entlang, während unsere Lippen aufeinander lagen, bis er mich drehte und auch mir das Haar shampoonierte. Es fühlte sich gut an und es brauchte keine Worte um zu wissen was wir fühlten, es lag in der Luft. Jedoch wollte ich dieses Schweigen brechen. Er sollte es hören.
"Ich liebe dich, Niall."
Augenblicklich hielt er in seiner Bewegung inne. Ich sah ihn über die Schulter hinweg an und biss mir in die Wange. Niall strahlte. So ein riesiges Lächeln auf seinen Lippen hatte bisher noch nie gesehen. Es erfüllte mich mit Glück. "Ich liebe dich auch, Amara."
Mit einer Handbewegung wischte ich ihm den Schaum von der Stirn und ließ meine Hand anschließend auf seiner Wange ruhen. Dieser Moment sollte nie enden. Niall beugte seinen Kopf nach unten und küsste mich. Es war ein sanfter Kuss, der voller Emotionen war, voll mit Liebe, Glück, Hoffnung...
Vorsichtig drückte er mich gegen die kalte Wand, während das Wasser auf seinen Rücken prasselte. Er nahm meine Hände und hob sie über meinen Kopf. Mit seiner Linken hielt er sie schließlich über meinen Kopf und gegen die Wand gepresst, fest. Während die rechte Hand meine Seite entlang strich. Auf und Ab. Sein Glied drückt gegen meinen Unterleib, so eng standen wir uns. Mir war so verdammt heiß und dass lag bestimmt nicht am Wasser. Ich keuchte in den Kuss hinein und biss ihm in die Unterlippe. Er ließ meine Hände los und packte mich am Hinter. Ich konnte so schnell überhaupt nicht reagieren, da hob er mich auch schon hoch. Meine Beine schlangen sich automatisch um seine Hüfte und meine Finger krallten sich in seinen Rücken. Niall saugte an meinen Hals, stöhnte dagegen und machte mich verrückt. Der Schaum unserer Haare klebte an der Wand, an unseren Körpern und vor allem in unseren Gesichtern. Ich hielt mich an ihm fest, als er mich unter den Wasserstahl hob und das Wasser den Schaum vertrieb. Er tupfte mit seiner Nase meine an und atmete laut ein aus uns. Ich strich ihm durch das Haar und wusch ihm das Shampoo heraus. Anschließend tat ich es bei meinen Haaren.
Wir waren jetzt schon komplett aus der Puste, ohne Verkehr zu haben. Alleine diese Nähe zu ihm bracht mich auf eine andere Wolke, kaum vorzustellen wie es wohl sein würde, wenn wir es endlich Taten. Erst als das Wasser kalt wurde, verließen wir die Dusche. Unsere Wangen glühten rot und jeder meiner Mitbewohner würde sofort wissen, was hier drinnen gerade abging, sobald sie uns so sehen würden.
Ich band mir ein Handtuch um den Körper und warf Niall ein anderes zu. Er rieb sich damit das Gesicht und durch die Haare. Sein verschmitztes Grinsen zog mich regelrecht an. "Das sollten wir bald wiederholen."
Das Wochenende war gekommen, was wiederum bedeutet, dass heute Nialls Geburtstag war. Ich hatte mir lange den Kopf darüber zerbrochen was ich ihm schenken könnte, fand mich aber mit der Idee ab bei Liam nachzufragen, ob er einen Vorschlag für mich hätte. Es war schwer etwas für Niall auszusuchen, denn was schenkt man jemanden der bereits alles besitzt?
Liams Vorschlag war dass es wohl am besten sei, wenn ich ihm Zeit alleine mit mir schenke. Nur für uns beide. Seine Idee gefiel mir und da ich schon mit Niall ausgemacht hatte, dass er mich zurück in meine Heimatstadt Wien, zur Geburtstagsfeier meiner Großmutter begleiten soll, buchte ich kurzer Hand für dieses Wochenende ein Zimmer in einer Therme. Die Idee dahinter war erst in der Nacht, wenn es bereits dunkel war und der Dampf des heißen Wasser die Sicht versperrt, baden zu gehen. Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass Nachts relativ wenig los war. Für Niall konnte es die Entspannung sein, die er für die Flicker Sessions benötigen könnte.
In diesen Augenblick spazierte ich mit Valerie durch die Innenstadt von London. Hinter uns mit ein bisschen Abstand folgte uns ein Bodyguard, den Connor extra zu Valeries - und eventuell auch meiner Sicherheit - bereit gestellt hatte. Fotografen verfolgten uns schon seit einigen Minuten. Sie schrien unsere Namen, riefen uns verschiedene Fragen zu und knipsten Bilder. Erst als wir in ein Geschäft eintraten ließen sie uns in Frieden. Zuvor hatten wir in einer Boutique halt gemacht und zum ersten Mal sah ich, was es heißen konnte, bekannt zu sein. Die Verkäuferin beriet Valerie die ganze Zeit über, zeigte ich nur die teuersten Sachen und zu meiner Verwunderung musste meine Schwester keinen Cent dafür ausgeben. Alles war sie machen musste, war von sich selbst ein Foto mit dem Teil zu knipsen und auf Instagram mit einer Dankes-rede hochladen. Was auch kein Wunder war, denn vor kurzem hatte ich erfahren, wer diese Party geschmissen hatte, zu der wir Valerie begleitet hatten. Es machte Sinn dort auf Stars wie Taylor Swift, Hailee Steinfeld oder die Jungs von One Direction zu treffen. Cara Delevingne hieß der Übeltäter und irgendwie hatte Valerie es geschafft sich in diese Clique einzunisten. Diese Art von Werbung reicht der Besitzerin vollends als Bezahlung aus. So kam es dazu dass Valerie uns beide zusammen gefühlte tausendmal mit Hüten, Sonnenbrillen, Uhren und noch anderem Zeugs ablichtete. Und auf diese Art blieben die Reichen reich.
Wir stöberten durch die Shirts und Hosen und blieben schließlich bei der Unterwäsche stehen. Ich fand es unangenehm Unterwäsche zu shoppen, während ein Bodyguard und weiter Fotografen, die mit ihren Gesichter an der Scheibe des Schaufensters klebten, uns beobachteten.
"Ich fasse es noch immer nicht. Wir werden große Schwestern!", sagte Valerie strahlend. "Und den Namen Annabelle finde ich so süß."
Ich hing einen BH wieder zurück ins Regal. "Ja, er ist niedlich." Erst gestern setzte meine Mum mich darüber in Kenntnis das wir eine kleine Schwester bekommen und Denise erfuhr dass es ein June wird. Niall hatte damals wirklich gut geraten, als er Theo erzählt hatte dass er bestimmt einen kleinen Bruder bekommt. Inzwischen hatte ich mich mit den Gedanken angefreundet Schwester zu werden. Das Leben wie ich es kannte, hatte sich sowieso schon um einhundert-achtzig Grad gedreht, da viel eine neue Schwester auch nicht mehr ins Gewicht.
Valerie drehte sich und sah sich auf einen Tisch um. Stapelweise Unterwäsche mit Spitzen und die dazu passenden BHs lagen darauf. Sie ließ ihre Fingerspitzen über das Material streichen. "Ich möchte auch Kinder haben. Eine Mischung von mir und Jacob.", sie seufzte verträumt. "Unsere Kinder werden Bild hübsch!" Danach lachte sie, biss sich auf die Lippe und beugte sich näher an mein Ohr. "Bei dem ganzen Sex den wir haben, wir es wohl nur eine Frage der Zeit sein. Das einzig schlechte daran ist, dass es mir die Figur ruinieren wird."
Ohne diese Information hätte ich bestimmt auch Leben können.
Wie würde wohl eine Mischung von Niall und mir aussehen? Zumindest müsste ich dazu selbst kein Kind gebären. Unsere keine Schwester wir immerhin aus genau diesen Genen entstehen. Eine halbe Julien und eine halbe Horan.
"Was ist eigentlich mit dir? Willst du auch mit deinem Freund Kinder bekommen?" Valerie kniff die Augen nachdenklich zusammen. "Jetzt wo es mir einfällt. Du hast ihn mir noch überhaupt nicht vorgestellt. Die Sache mit dem Doppeldate steht nämlich noch immer. Jacob und ich würden uns freuen mal einen Abend mit euch zu verbringen."
Beinahe hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt. Ich räusperte mich und wandte mich ab. "Er arbeitet viel, aber ich werde dir Bescheid sagen. Okay?" Ich nahm meinen ausgesuchten Klamotten und ging mit Valerie im Schlepptau zu den Umkleidekabinen.
"Nur keine Eile. Ich freue mich nur einfach ihn endlich mal kenne zu lernen. Mich interessiert es zu wissen, wer meiner Zwillingsschwester das Herz rauben konnte."
Während Valerie weiter über ihren Kinderwunsch laberte, probierte ich die ausgesuchte Kleidung und überlegte wie ich aus diesem Mist wieder rauskommen sollte. Verdammt! Sie wollte meinen Freund kennenlernen. Ich möchte sie nicht belügen, aber ihr von Niall und mir erzählen wollte ich auch nicht. Ich wusste immerhin nicht, wie sie mit Geheimnissen umging. Vielleicht war sie eine Labertasche, die ihr Mundwerk nicht halten konnte und es, dem nächst besten um die Nase rieb. Ich musste unbedingt mit Niall darüber sprechen und seine Meinung dazu einholen, schließlich ging es auch ihm etwas an und Valerie hatte mir auch schon zugesagt mit mir und ihm nach Wien zu fliegen. Sie wollte Grandma und Grandpa kennenlernen.
Ich betrachtete mich im Spiegel. Das Shirt gefiel mir an mir selbst nicht und die Hose war zu eng. Ich bekam sie einfach nicht zu. Seufzend schloss ich die Augen rieb mir die Schläfen. Das Fastfood und die Limonaden der vergangenen Wochen hätte ich mir sparen sollen. Ab jetzt gibt es nur noch Salat und Wasser für mich - zumindest werde ich es versuchen.
Ich schlüpfte wieder in meine Klamotten und hing die anderen am Kleider hacken zurück. Valerie stolzierte indessen in einen roten knielangen Kleid aus der Umkleidekabine. Sie ließ es sich dabei nicht nehmen wie ein Model zu posieren.
"Steht dir", gab ich zu und Valerie lächelte zufrieden. Sie drehte sich im Kreis und sah sich in den Spiegel.
"Ich werde es kaufen. Glaubst du dass ich es bei der Feier unserer Oma anziehen kann oder ist es zu freizügig?"
Das Kleid hatte lange Ärmel, einen ovalen ausschnitt und einen dünnen Gürtel um die Hüfte. Mit Pumps, einer Haarnadel und einem Wollmantel, würde sie aussehen wie Grandma in ihren jungen Jahren. "Definitiv", antwortete ich nickend.
Während sich Valerie wieder umzog, setzte ich mich auf den Polstersessel, der genau vor den Kabinen stand. Ich stützte meinen Kopf mit meiner Hand ab und schlug die Beine übereinander.
"Sagt mal Amara ... ich will mich ja wirklich nicht einmischen, aber denkst du, dass du mit unserem Vater sprechen könntest?"
Ich schlug die Augen weit auf und setzte mich aufrecht hin. Ich zeichnete mit meinem Finger kleine Kreise auf den Stoff des Polstersessels. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten wollte. Klar wollte ich mit ihm reden, immerhin war meine Mission es ihm kennenzulernen, aber auf der anderen Seite wollte ich auch nicht nachgeben. Er soll sich für entschuldigen.
"Wie geht es ihm?", fragte ich stattdessen.
"Na ja, wie soll es ihm gehen? Er schmollt." Sie zog den Vorhang beiseite und trat heraus. Das Kleid hing um ihren Arm und die anderen Tüten baumelten an ihrem Handgelenk. "Er hat sich sehr darauf gefreut etwas mit dir zu unternehmen. Dad wirkte sehr aufgelöste nach eurem streit und ja ... er hat uns davon erzählt." Valerie kam auf mich zu und legte den Kopf zu Seite. "Amara, ich habe keine Ahnung wie du aufgewachsen bist, oder was alles in deinen Leben passiert ist, aber wir sollten versuchen und nicht mehr auf vergangenes zu konzentrieren. Lass uns beide froh darüber sein das wir uns gefunden haben. Das wir beide endlich die Gelegenheit haben beide Elternteil kennenzulernen. Beide haben ihre Macken und beide haben ihre Fehler damals gemacht ... wir sollten uns auf die Zukunft konzentrieren. Als eine Familie."
Sie meint wohl als eine riesige Familie. Ich räusperte mich und senkte nickend den Kopf. Auch Valerie hatte sich für die Wut entscheiden können, das alles betraf auch sie. Aber sie entschied sich dagegen, wirkte glücklich und zu Frieden. Womöglich hatte sie recht und ich übertrieb schon wieder einmal. Das lag einfach in meiner Natur. Seufzend zuckte ich mit den Schultern." Ich schätze, ich werde ihm demnächst anrufen, um die Wogen zu glätten."
Zufrieden hob Valerie den Kopf. "Gut." Sie hackt ihren freien Arm in meiner ein und schliff mich mit zur Kasse. Danach verließen wir das Geschäft wieder und ging die Straße weiter entlang, gefolgt von Fotografen. Es nervte mich. Und noch schlimmer fand ich es, das ich mir das nicht ausgesucht hatte. Niall zum Beispiel hat sich dieses Leben ausgesucht, er wollte berühmt werden, aber ich? Ich nicht. Bei jeder Bewegung hatte ich angst zu stürzten, in irgendetwas zu treten oder einfach einen Fehler zu machen. Ich wollte nicht zur Lachnummer Nummer eins werden. Es reichte mir schon völlig aus im Web beschimpft zu werden "nur" weil ich Nialls "Stiefschwester" war und nun die verschollene Tochter und Star-Fotografen Connor Davis. Meine Zwillingsschwester hingegen genoss die Aufmerksamkeit und fühlte sich sichtlich wohl in ihrer Haut. Sie warf ihnen spielerische Blicke über die Schulter zu und hielt auch kurz zum Posieren an. Nur unser Bodyguard konnte uns von schlimmeren bewahren.
Später als ich wieder zu Hause war, fuhr Tobi mich zu Martin und Lydia ins Cafe. Was Niall nicht wusste war, dass ich ihm eine Torte machen ließ. Er wollte nichts Großes für seinen Geburtstag veranstalten. Er meinte, dass er einfach ein Bier trinken wollte und mit mir einen Film schauen. Sein Pech das ich und Liam da etwas anderes im Schilde führten.
Langsam aber doch begann es zu dämmern. Die Sonne verschwand hinter den großen Gebäuden und verfärbte den Himmel in angenehme Töne. Die Stadt unter uns wirkte so friedlich wie noch nie. Ich muss schon zugeben, ich war Niall diese Aussicht aus seinem Wohnzimmer neidisch. Vor allem durch das Fenster, das sich von Boden bis zur Decke erstreckte. Das Panorama war phänomenal.
Während ich in die Sicht vertieft war, wurde hinter mir gelacht und mit den Geschirr gescheppert. Ein lautes Aufatmen ließ mich erschrecken und umdrehen.
"Harry, du hättest beinahe die Torte ruiniert!" Liams strenger Blick lag auf Harry.
Entschuldigend hob er die Hände. "Das war ja nicht mit Absicht. Beruhigt euch!"
Ich schüttelte den Kopf. Eine Überraschungsparty mit Nialls Bandkollegen auf die Beine zu stellen war schwerer als gedacht. "Harry, habe ich dir nicht schon gesagt, dass du mindestens zwei Meter Abstand zur Torte halten sollst?", erinnerte ich ihn. Er hatte sie vorhin schon beinahe fallen lassen. Ohne Louis, der noch rechtzeitig eingreifen konnte, wäre die Tote, die aussah wie die Gitarre die Niall letztes Jahr zum Geburtstag bekommen hatte, schon längst am Boden.
Neben mir, Harry, Louis und Liam befanden sich auch noch andere Freunde von Niall in seinem Apartment. Viele davon waren Musiker, mit denen die Jungs zusammengearbeitet hatten, Bodyguards, Stylisten und sonstige Personen. Sie wurden alle von den Jungs eingeladen, den ich kannte sie alle nicht. Ohne Liams Hilfe würde ich sowieso vollkommen alleine da stehen. Für mich war es auch das erste Treffen mit Louis. Bis auf Harry, der mich anfangs mit seinen Klopf-Klopf Witzen in den Wahnsinn trieb, waren sie alle anders als ich es mir je vorgestellt hatte. Ich dachte immer Louis wäre ein kleiner Spinner, der ab in Wahrheit einen Trieb zum ernsten aber auch verspielten hatte. Liam war inzwischen zur einer Miniversion eines Badboys mutierte. All die Tattoos und die dicke Kette um seinen Hals, ließen einen nicht glauben, wie verantwortungsvoll und liebevoll er eigentlich war. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht unterdrücken als Liam und Louis sich über väterliche Tipps voneinander austauschten und Geschichten von ihren Söhnen erzählten.
Niall hatte gestern und heute eine Menge Interview gegeben und die restliche Zeit verbrachte er bei den Proben für die Flicker Sessions. Als würde es nicht reichen dass er ab nächsten März ein halbes Jahr lang auf der ganzen Welt Konzerte spielt - nein - er musste auch Tage bevor sein Album überhaupt erscheint schon welche geben.
Er wusste dass ich hier auf ihn warten würde, aber von seinen anderen Freunden hatte er keinen Plan. Wie gut dass er mir vor Wochen einen Schlüssel für sein Apartment gegeben hatte.
Ich bekam in diesen Moment eine SMS von Marc, der Niall vor der Tür abgesetzt hatte.
"Leute! Er kommt hoch! Seid alle still!", rief Liam über eine Schulter hinweg in die Menge. Er hatte wohl mitgelesen. Als ich den Gong des Fahrstuhles hörte, huschte ich die Treppen hoch und war somit aus dem Blick der Gäste verschwunden. Die schweren Türen gingen auf und ein müde aussehender Niall kam zum Vorschein." Hey", grüßte er mich und stellte dabei den Gitarrenkoffer ab. Ich war mir nicht sicher was es war, aber war anders. Sein Blick verriet es, aber dafür hatten wir jetzt keine Zeit. Es war sein Geburtstag und ich wollte, dass er glücklich ist.
"Hey." Mit den Händen hinten am Rücken tapste ich zu ihm heran.
"Da hat mich wohl jemand vermisst", schmunzelte er nun. Ohne zu antworten, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen kurzen Kuss. Ich nahm seine Hand in meine und grinste ihn an. Ich musste mich wirklich beherrschen, um mein Grinsen nicht zu übertreiben zu machen. Er ahnte vermutlich schon das etwas im Busch war, da ich den Jungs gesagt hatte, dass sie Niall nicht per SMS oder irgendwie anders gratulieren sollten.
Er lächelte zwar, zog die Augenbrauen aber skeptisch zusammen. Schritt für Schritt zog ich ihn an der Hand in das Wohnzimmer, in dem seine Freunde auf ihn warteten.
Ein lautes "Happy Birthday" wurde gebrüllt und ich merkte wie Niall die Kinnlade runter fiel. Danach biss er sich auf die Lippe und schüttelte unglaubwürdig den Kopf. Auch ihr gratulierte in. Er sah auf mich hinab, nahm mein Kinn mit seinen Fingern um mich aufschauen zu lassen und küsste mich schließlich.
Das Herz rutschte mir in die Hose, aber da war es schon zu spät. Er küsste mich vor allen Gästen und erst als ich mich versteifte, löste er sich von mir. Niall lächelte und strich mit einen Strähne zurück. "Danke. Ich hatte schon mit irgendetwas gerechnet."
Ich wusste nicht wo mir der Kopf stand. Das Einzige, an das ich dachte war, dass uns gerade mindestens zwanzig Personen beim Küssen zugesehen hatten. Warum hat er das getan? Aus Gewohnheit, so wie es bei mir auf dieser Party war?
"Ohne Liam wäre das nicht zustande gekommen. Er ist ein guter Freund." Wie auf das Stichwort kamen Liam, Harry und Louis auf ihn zugelaufen. Sie fielen ihm um den Hals und schlussendlich lagen alle vier Männer am Boden und lachten. Sie lachten, während mein Magen sich drehte und ich mir schon den Hass der Fans ausmalte, wenn sie etwas davon mitbekamen.
Jemand hatte die Anlage aufgeschaltete und ein anderer verteilte Drinks. Derweil standen Niall und seine Kumpel wieder auf und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. "Mit euch hätte ich nicht gerechnet!" Glücklich zog Niall sie der Reihe nach in eine feste Umarmung.
"Wenn deine Kleine nicht nachgeholfen hätte, wäre es sicher nicht so", meinte Harry und zwinkerte mir dabei zu. Liam und Louis nickten bestätigend.
Ich winkte hab. Das alle ohne Liam nie geklappt. Ich verdiente die Anerkennung dafür bestimmt nicht. "Liam hat mir geholfen", wiederholte ich und zeigte auf den braunhaarigen Kerl. "Dankt ihm, nicht mir."
Niall stellte sich wieder neben mich und ich spürte wie er seine Hand auf meinen Rücken platzierte. Der Reihe nach kamen Nialls Gäste zu ihm, um ihn gebührend zu gratulieren. Mit Wein und Sekt wurde schließlich noch auf seinen Geburtstag angestoßen.
Die Party verlief feucht fröhlich und von meiner mitgebrachten Torte blieb kein einziges Stück übrig. Ich wollte nichts sagen, aber Niall tanke ganz schön ordentlich ein Bier nach dem anderen. Es war okay, immerhin war es sein Tag, aber mit einem sturzbetrunkenen Freund wollte ich heute Nacht bestimmt nicht das Bett teilen, vor allem da wir beide doch wissen wie es meistens endet, wenn einer von uns betrunken ist - was eigentlich immer er ist.
Die Nacht zog über das Land und die Stunden vergingen. Um kurz nach vier Uhr morgens verließen die letzten Gäste die Feier. Nur noch Harry, der mir den ganzen Abend lang von seiner Traumfrau ein Ohr abkauen musste, lag schlafend auf der Couch. Louis hatte sich als einer der ersten verabschiedete, da er morgen - bzw. heute - einen Flug erwischen musste. Liam hingegen bracht erst vor zehn Minuten nach Hause auf.
Niall saß gerade bei seinem Klavier und spielte. Mich wunderte dass sich die Melodie noch nach etwas anhörte, obwohl er schon lange nicht mehr gerade aus gehen konnte. Und Harry? Der schlief wie ein Murmeltier. Sein Blumiges Shirt war geöffnet und sabber umrandete seine Unterlippe. Ein Foto wäre das alle mal wert.
Im Gegenteil zu ihnen hatte ich nur ein Glas Sekt zu mir genommen. Ich musste noch etwas für mein Studium heute tun und um aufnahmefähig zu sein, wollte ich nüchtern sein und nicht mit einem Kater kämpfen.
Ich begann schon damit das Geschirr zusammenzusammeln und in den Geschirrspüler zu räumen. Danach widmete ich mich auch noch den großteils des Mülls.
"Babe. Hör auf."
Ich sah zu Niall, der mich anstarrte und ohne auf die Tasten zu sehen weiterspielte. Seine Augen glänzen und hatten einen roten Touch. "Komm her."
Nickend stopfte ich noch die Plastikflaschen in den gelben Beutel und ging zu ihm an das Klavier. Ich lehnte mich dagegen und sah ich zu wie er die Finger über die Tasten gleiten. Er stoppte nur einmal, um einen Zug von seiner Bierflasche zu machen. Er spielte weiter und ich sah ich zu. Doch der Satz, der die Stille brechen sollte, sollte mir nicht gefallen.
"Holly ist in London." Ich sagte nichts darauf, denn Niall sprach sofort weiter. "Matt hat es mir vor zwei Wochen erzählt, dass sie und Amber herkommen." Niall verzog die Lippen und eine Falte bildete sich auf seiner Stirn. "Es gefällt mir nicht."
Ich sah auf meine Hände hinab, die auf dem Klavier liegend einen Abdruck hinterließen. "Wir sind uns bereits begegnet."
Schlagartig stoppte Niall mit dem Klavierspielen. "Warum hast du mir das nicht erzählt?"
Ich zuckte mit der Schulter und sah ihn ausdrücklich an. "Warum hast du nichts gesagt?" Er sagte doch gerade selbst dass er es schon seit zwei Wochen wusste.
"Sie gehen mir auf die Nerven. Darum.", erwiderte er knapp. Niall nahm seine Bierflasche, stand auf, trank sie aus und taumelte an Harry vorbei Richtung Schlafzimmer.
Ich folgte Niall nicht ins Schlafzimmer, widmete mich stattdessen wieder den Müll und den schmutzigen Geschirr. Mir gefiel die Art nicht, wie er gesagt hatte dass ihm die Beiden auf die Nerven gingen. Ja, ich mochte sie auch, aber etwas an der Art wie er es gesagt hatte mache mich stutzig. Da steckte bestimmt mehr dahinter und er wollte es mir nicht verraten. Amber meinte doch auch dass Holly etwas getan hätte, um mir Niall wegzunehmen. Ob es da einen Zusammenhang gab?
Da ich mit so vielen Gedanken im Kopf sowieso nicht schlafen hätte können, schnappte ich mir noch den Besen und kehrte zusammen. Bei Harrys Anblick musste ich schmunzeln. Er schmatze und wischte sich unbewusste den Sabber vom Mund.
Ein verdammtes Jahr zuvor war alles anders. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass Niall mein fester Freund werden würde, meine beste Freundin ein Model und das ich eine Zwillingsschwester habe. Ja sogar einen Halbbruder. Doch was jetzt eigentlich meine Gedanken beanspruchen sollte, sollte die Tatsache sein, dass er mich vor allen Gästen geküsst und wirklich niemand hatte etwas dazu gesagt. Kein einziger hatte mich darauf angesprochen. Ich hatte mit Getuschel gerechnet, mit angeekelten Gesichtsausdrücken oder einfach irgendetwas, aber es kam nichts. Es schien niemanden von ihnen zu interessieren. Dieses ganze Versteckspiel ging mir sowieso gegen den Strich. Ich bekam sowieso schon den Hass ab. Sollten sie es doch erfahren. Ich gehörte ihm und er mir. Und das hatte rein nichts mit der Tatsache zu tun, das ich wollte, dass Holly und Amber offiziell davon erfuhren. Sie sollten sich verdammt nochmal das Maul lecken und uns endlich in Ruhe lassen.
Um viertel nach fünf warf ich einen Blick in Nialls Schlafzimmer. Der dunkle Umriss seiner Silhouette lag quer am Bett. Er trug noch seine Klamotten und schnarchte. Vorsichtig schloss ich die Tür und beschloss mich im Gästezimmer auf Ohr zu hauen. Ich bereits vorgesorgt und mir eine Tasche mit einem Pyjama, Zahnbürste, Haarbürste und neuer Kleidung mitgenommen. Bevor ich mich ins Bett legte, löste ich meine Zopf und wusch mir das Make-up vom Gesicht. Erst als ich mich unter die Decke kuschelte, spürte ich, wie müde ich eigentlich war. Es dauerte nicht lange bis ich einschlief.
Pünktlich um halb Zehn piepste mein Wecker. Ich stöhne als ich ihn ausmachte und meinen Kopf in das Kissen grub. Ich wusste, wenn ich meine Augen nicht sofort öffnen würde, würde ich einschlafen, deswegen setzte ich mich auf und streckte mich. Noch fast schlafwandelt, quälte ich mich aus dem Bett, um ins Badezimmer zu gehen. Ich verrichtete mein Geschäft, putzte meine Zähne und band mir die Haar unordentlich zusammen. Gerade als ich wieder am Flur war und zurückgehen wollte, hörte ich jemanden etwas murmeln. Ich drehte mich um und tapste in die Küche, in der Harry sich gerade am Herd zu schaffen machte.
"Morgen."
"Morgen", grüßte dieser ebenfalls zurück. "Willst du auch was?" Ich sah das Rührei in der Pfanne und nickte. "Ja, bitte."
Als würde hier leben, nahm er sicher erneut Eier aus dem Kühlschrank, schlug sie auf und goss das rohe Ei in die Pfanne hinein. Meiner Nase nach roh es auch nach gebratenen Speck.
Um endlich munter zu werden, brauchte ich jetzt mal einen Kaffee. Ich schaltete die Maschine an und holte eine Tasse aus dem Oberen Schrank. "Willst auch einen?", wandte ich mich an Harry, der bejahte.
Ich trug die vollen Tassen auf den Tisch, während Harry das Rührei auf zwei Teller aufteilte, Besteck nach und ebenfalls aus dem Tisch stellte. Still aßen wir unser Frühstück. Ich nahm an Harry hatte einen Kater und was deswegen so still und bei mir war es der Schlaf, der viel zu kurz war. Niall hingegen schlief vermutlich noch immer.
"Es war wirklich cool von dir, Niall so eine Überraschung zu machen. Ich habe mich sehr gefreut die Jungs mal wieder zu sehen. Momentan ist das einen Seltenheit."
Ich senkte die Gabel und lächelte Harry an. "Liam hat mir bei der Idee geholfen. Außerdem muss ich danke sagen. Ihr seid alle so viel beschäftigt, dass das keine Selbstverständlichkeit ist das ihr die Zeit für so etwas findet."
Harry legte seinen Gabel ab und nahm die Tasse in die Hand. "Spiel dich nicht so runter. Du hast deinen Teil beigetragen. Immerhin bist du diejenige, die ihm den ganzen Tag zum Lächeln und zum Schwärmen bringt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er noch schlimmer ist als ich." Er trank vom Kaffee und stellte die Tasse anschließend wieder ab. Mit einer Serviette wischte er sich über die Lippen. "Wie geht es eigentlich deiner Modelfreundin? Taylor war letzten ja ganz schön genervt von ihr." Er grinste amüsiert.
"Du meinst Sophie?" Ich hatte ihr doch extra gesagt, dass sie sich zusammenreißen soll. Ich wollte nicht dass Taylors nächster Song ein Lied über meine beste Freundin wird. "Sie genießt die Aufmerksamkeit an der Seite von meiner Schwester und Davina. Ich glaube, sie hat Spaß daran zu modeln. Was eigentlich nie etwas war das sie machen wollte." Die Unterhaltung mit Harry ging noch eine Weile so, bis ich mich dazu entschloss endlich mal nach Niall zu sehen. Er schlief noch immer. Ich legte mich zu ihm auf das Bett und sah im beim Schlafen zu. Ich hatte noch keine Chance ihm von der Therme zu erzählen und außerdem wollte ich mit ihm noch über den Kuss sprechen. Es war einfach etwas, über das wir sprechen mussten. Ich wollte wissen, was seine Einstellung dazu, es eventuell einfach öffentlich zu machen. Ich kannte mich da nicht aus und hatte auch keine Plan, ob es so etwas zuerst mit seinem Manager besprechen musste. Gehasst wurde ich so oder so schon, es würde keinen Unterschied machen, nur das ich mich nicht mehr verstecken und seine Schwester spielen muss.
Harry war so nett und hatte mir angeboten mich nach Hause zu fahren, deswegen musste ich mich jetzt eigentlich umziehen. Ich beugte mich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Danach rollte ich mich vom Bett und zog mich im Gästezimmer um. Auf ein Blatt Papier, das ich auf den Küchentisch legte, schrieb ich ihn eine Nachricht, das Harry mich nach Hause fährt und er sich später bei mir melden soll.
Ich stieg etwas unsicher in seinen Porsche ein. Der Restalkohol des Vorabends steckte ihm bestimmt noch in den Knochen, was ich später auch anhand seiner Fahrkünste zu spüren bekam. Zwar bedankte ich mich bei ihm, als er mich zu Hause aussteigen ließ, dachte mir aber insgeheim wie dumm ich war kein Taxi zu nehmen. Notiz an mich selbst: Harry Styles in kein guter Autofahrer, schon gar nicht am Morgen nach einer Party. Seine Fahrkünste sind Lebensbedrohlich.
Ich sah dem Wagen noch nach, bis er um die Kurve bog, ehe ich mich aufmachte und die Tür zum Treppenhaus öffnete. Ich warf einen kurzen Blick in den Briefkasten, denn wenn ich es nicht tat, dann würde es nie erledigt werden. Bis auf einen Brief der für Tobi war, war der Rest Werbematerial. Meine Tasche, mit den benutzen Klamotten legte ich mir über die Schulter, während ich mit meiner anderen Hand nach dem Wohnungsschlüsseln in meiner Tasche kramte. Beinahe hätte ich die letzte Stufe übersehen. Oben angekommen legte ich die Tasche ab und warf die Post zu Boden. Ich hockte mich hin und durchforstete die Innentaschen. Große Taschen waren toll, denn man hat all den Platz den man benötigt, aber wenn man mal etwas sucht, kann man es nicht finden. Das ist genauso wie mit der Sache dass Männer Frauen mit großen Taschen belächeln, ihnen aber immer alles zustecken wenn sie sich etwas kaufen.
"Schon wieder deine Schlüssel vergessen?"
Ich hielt inne. Nur vorsichtig spähte ich an meine linke Seite. Darauf hatte ich in diesen Moment absolut keinen Bock. "Nein", erwiderte ich schlicht und zog den gefundenen Schlüssel am Schlüsselanhänger aus der Tasche. Die Post stopfte ich, ohne darauf zu achten, wie zerknüllt sie wohl sein würde auch hinein.
"Lass uns doch mal reden."
Ich streckte den Schlüssel in Schlüsselloch und schüttelte den Kopf. "Nein."
Er seufzte. "Mensch, Amara. Bitte. Ich war das nicht. Ich war geknickt und deshalb war ich in der Waschküche auch so fies zu dir und ich schwöre ... ich habe nichts mit diesen Bildern am Hut."
Konnte er nicht einfach locker lassen und Frieden geben? Hatte ihm der Schlag auf die Nase nicht schon gereicht? Ich sah ihn an. Dylan kam gerade vom Einkaufen. Seine Hände waren voll mit gefüllten braunen Papiertaschen. Der Nasengips war verschwunden, stattdessen zierte ein Tape seine Nase. Das sonst so sportliche Outfit hatte er heute gegen Jeans und Pullover getauscht.
"Warum hast du Niall nicht angezeigt? Er ist reich. Das Schmerzensgeld wäre dementsprechend hoch ausgefallen und sein Bild als Makelloser Star hätte einen Kratzer abbekommen. Also, warum?"
Dylan stellte die Tüten auf den Boden ab und strich sich seinen Pullover glatt. "Ich konnte es verstehen." Ich überkreuzte die Arme vor der Brust und verlagerte mein Gewicht auf mein linkes Bein. Wenn er schon sprechen wollte, dann gefälligst Klartext.
Verwirrt zog ich eine Augenbraue hoch. Er konnte es verstehen? "Da musst du schon etwas genauer werden."
"Wenn ich in seiner Position gewesen wäre, hätte ich auch mir eine verpasst." Er ließ die Hände in die Hosentaschen gleiten und machte einen Schritt nach vorne. "Ein Typ, der ihm beinahe seine Frau weggeschnappt hätte und von dem er sich bewusst war, dass er etwas von ihr will, auch wenn er von ihr schon den Laufpass bekommen hat, wäre da ganz oben auf meiner Liste. Und in diesen Fall wäre das dann wohl ich." Wieder kam er näher auf mich zu, obwohl ich mir eigentlich erhofft hatte, dass er meine Körpersprache - die Abstand halten bedeutete - wahr nahm. "Ich kann noch immer nicht fassen, dass du mich so einfach abserviert hast, für eine Typen, der dich bereits derart verletzt hat, das du aus dem Land geflüchtet bist."
"Ich bin nicht geflüchtet!" Vielleicht doch, aber das musste er nicht wissen. Es ging ihm nichts an.
"Das ist das einzige das du dazu zu sagen hast? Wow, ich war ja scheinbar wirklich nur eine Ablenkung. Der dumme Nachbar, der sich in das hübsche und intelligente Mädchen von nebenan verknall. Der nur da war um den Ex eifersüchtig zu machen, bis er im Regen stehen bleibt um sich die Wunden zu lecken."
"Jetzt übertreibe mal nicht so. Das stimmt doch so überhaupt nicht! Ich war fertig mit ihm und überhaupt ... ich muss mich dir gegenüber nicht rechtfertigen. Als ob du mich nicht sofort gegen eine andere eingetauscht hättest!"
Er schloss die Augen, seufzte und schüttelte den Kopf. Dylan bückte sich und nahm seinen Einkaufstüten hoch. Er drehte sich und öffnete mit dem Ellbogen die Türklinge. Dylan sah mich noch ein letztes Mal an und sagte: "Dazu hättest du bei mir keinen Grund zur Sorge gehabt. Schließlich bin ich nicht du."
Autsch.
Es tat weh solche Wörter an dem Kopf geworfen zu bekommen. Ich war bestimmt nicht das Mädchen, das ihre Freunde wie ihre Unterwäsche austauschte. Es war einfach blöd von mir zu denken, dass ich Niall nicht vergeben könnte. Dass ich keine Gefühle für ihn hatte, nachdem er mich zutiefst mit seiner Aktion verletzt hatte. Die Zeichen standen auf rot.
In meinem Zimmer angekommen schmiss ich mich erstmal auf mein Bett und checkte mein Telefon. Niall schien noch immer zu schlafen. Und noch immer musste ich an seinen Abgang von heute Morgen denken. Niall trank gern, zwar nicht in einer schlimmen schon fast süchtigen weiße, aber trotzdem. Ich mochte es nicht, zu welcher Stimmung ihn dieser Alkohol die meiste Zeit brachte. Es passte den Sonnenschein nicht.
Ich richtete mich auf. Das Fahrrad stand noch immer in meinem Zimmer und blockierte meinen Kleiderschrank. Morgen werde ich es benutzen, um zur Uni zu fahren. Ich sollte es schließlich noch ausnutzen bis der Winter über das Land bricht und der Schnee die Fahrbahn bedeckt. Ein Poltern vom Wohnzimmer machte mich neugierig. Ich schwang meine Beine aus dem Bett und trat aus meinen Zimmer hinaus. Peter und Tobi vielen auf der Couch gerade über einander her, während Sophie am anderen Ende saß und die Kanäle des Fernsehers durch zappte.
"Nehmt euch ein Zimmer", zischte Sophie neckten. Sie blies einen Kaugummiblase und ließ sie platzen.
"Das mit den Zweien wird immer schlimmer.", lachte ich und nahm am Sofasessel neben Sophie Platz.
Mit gehobener Braue sah sie mich grinsend an. "Das sagt genau die Richtige. Als wären Niall und du keusch unterwegs."
Gut gespielt. "Sagt die, die mit Matt am ersten Tag ihrer Begegnung schon im Bett war."
Sie hob den Finger. "Hey. Das war ganz was anderes. Wir haben nur unsere Bedürfnisse gegenseitig befriedigt."
"Wie lief die Party?", keuchte Tobi, der sich endlich von Peter löste und sich mit der Hand sein Haar richtete.
"Gut."
"Nur gut?" Tobi legte den Kopf zur Seite.
Ich schüttelte den Kopf irritiert den Kopf. "Ja, passt das denn nicht? Er hat sich total gefreut. Das ist doch gut!"
Sophie richtete sich auf und sah mich erwartungsvoll mit großen Augen an. Ihr Stimme rutschte etwas höher. "Und ... ist irgendetwas passiert, das du uns zufällig erzählen willst?"
Auch wenn das passiert wäre, das sie gerade versucht anzudeuten, hätte ich vor Peter sicher nicht mit den Detail geprahlt. Er war zwar mit Tobi zusammen, gehörte aber noch nicht zu der Gruppe von Personen, die ich in mein Geheimnis einweihen wollte. "Harry Styles ist betrunken auf der Couch eingeschlafen und hat mir zum Frühstück Eier mit Speck gemacht .... Falls du das meinst."
"Waren die anderen von der Band auch betrunken? Vermutlich haben sie ihren Freund eine Strippern bestellt, oder?", mischte sich Peter nun auch ins Gespräch ein.
"Alle anwesenden hatten etwas getrunken. Und nein, so etwas gab es nicht." Ich hatte sie in kleine Stücke zerhackt, wenn sie so eine Frau angeschleppt hätten.
Als wäre Peter schon beinahe enttäuscht ließ er die Schultern fallen. "Das klingt ja öde." Für diese Aussage kassierte er einen leichten Schlag auf die Schulter von Sophie, die hinter Tobis Rücken ihre Hand nach ihm ausstreckte.
Nialls Sicht.
Mein Schädel fühlte sich an, als würden Hochhäuser darin zu Staub zerfallen. Als würde eine Atombombe nach der anderen darin hochgehen. Ich wusste doch warum ich eigentlich nur einen netten Abend mit meiner Freundin verbringen wollte. Klar, ich hatte Spaß gestern und hatte es genossen mit meinen Jungs abzuhängen und die Sorgen im Alkohol zu ersticken, aber genau das wollte ich auf der anderen Hand wieder nicht. Es war etwas mit dem ich mich auseinandersetzten musste - und zwar schleunigst. Immer wenn man denkt das alle gut läuft, passiert wieder etwas.
Raunend drehte ich mich auf den Rücken und warf den Poster, den ich schon die ganze Zeit wie ein Koala umklammerte, aus dem Bett. Mit geschlossenen Augen tastete mein Hand die leere Seite meines Bettes ab, an der ich gehofft hatte Amara zu finden. Sie war nicht da. Gähnend blinzelte ich einige Mal, bis ich mich an die helle Umgebung gewöhnt hatte. Der Vorhang wurde nichts zu gezogen, deshalb war es so hell. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und betrachtete die gemachte Seite des Bettes. Amara war wohl die ganze Nacht über nicht im Bett gewesen.
Aber eines wusste ich: ich stank. Alkohol schmeckte gut, roch aber am Tag danach nicht mehr so verführerisch, wie er es sonst immer tat. Nur langsam kroch ich aus dem Bett, um eine dusche zu nehmen. Vorher hatte ich noch eine Runde im Apartment gedreht, auf der Suche nach meinen Mädchen und eventuellen anderen Gästen, die die Nacht über hier schliefen. Aber ich war alleine. Am Tisch lag eine Handgeschriebene Nachricht von Amara. Harry fuhr sie nach Hause und ich soll sie anrufen. Im Bad entdeckte ich ein benutztes Handtuch am Hacken und eine neue Zahnbürste.
Nach der Dusche stampfte ich barfuß in die Küche und plünderte den Kühlschrank. Vor allem Flüssigkeit zählte in diesen Moment am meisten. An einer Wasserflasche nuckelte ich bis sie fast zur Hälfte leer war. Das war wohl der Brand nach dem Alk. Ich war mir sicher dass ich noch Eier im Kühlschrank gehabt hatte, deren Schale ich später im Mülleimer fand. Wie auch die Verpackung meines Frühstückspecks. Zwei benutzte Kaffeetassen standen in der Spüle. Harry hatte sich schon immer wohl in meinen vier Wänden gefühlt. Ich war überrascht dass außer den Tassen, einer benutzen Pfanne und zwei Tellern sonst nichts herumlag. Keine Dosen, keine Flaschen ... nichts. Sogar der Boden war sauber und der einzige Narr, der gestern vermutlich den Besen geschwungen hatte, war meine Freundin, der anscheinend nicht klar war, dass es für so etwas einen Reinigungsdienst gab. Etwas das Leute wie ich benutzen. Mein Magen musste sich schließlich mit einem Teller Müsli begnügen. Danach kümmerte ich mich um das benutzte Geschirr. Der Geschirrspüler erledigte dabei den größten Teil.
Es war bereits kurz nach zwölf Uhr mittags und ich beschloss mich bei Amara zu melden. Doch bevor ich das überhaupt machen konnte, musste ich erst mal auf die Suche nach meinen Telefon machen. Ich musste es wohl gestern irgendwo abgelegt haben. Verdammt. Verzweifelt krempelte ich die komplette Wohnung um. Ich zerlegte das Sofa, mein Bett, den Wäscheberg ... einfach jeden Ort, an dem ich mir vorstellen konnte es verlegt zu haben. Doch ich fand es nicht. Panik stieg in mir hoch und verdrängte das Gefühl von Übelkeit. Was wenn es jemand gestohlen hat? Meine gesamtes Album ist darauf gespeichert und Amaras und meine Nachrichtenverläufe sollte auch keiner zu Gesicht bekommen. Aber niemand von meinen Freunden würde mein Telefon klauen. Warum auch? Vermutlich habe ich es bei den Proben liegen lassen. Aber wenn ich so recht darüber nachdachte, konnte ich mir nicht daran erinnern es bei den Proben zu Tour in der Hand gehalten zu haben. Scheiße. Und was wenn ich es am Morgen bevor mich Marc abgeholt hat, bei ihr liegen lassen habe? Ich wollte doch da nicht mehr runter gehen, ehe ich Gewissheit hatte, dass sie mich nicht angelogen hat. Mir blieb wohl nichts anderes über, als ihr wieder einen kurzen Besuch abzustatten.
Nur widerwillig zog ich mich um, um nach unten zu fahren. Ich hatte absolut keine Lust dazu, aber mir blieb ja schließlich nichts anderes üblich. Amara würde sofort ausflippen wenn sie etwas davon mitbekam. Würde sie wissen dass ich im Moment dazu gezwungen bin Hollys Miete zu zahlen, die dazu nur zwei Stockwerke in einen Apartment unter mir wohnt, würde sie mir den Kopf abreisen.
Stockwerk Nummer Sechs war nicht wie meine ein Apartment, sondern bestand aus drei Parteien. Als die Türen des Aufzugs sich öffneten stand ich in einen Flur mir drei Türen. Die ganze rechts war Hollys. Ich atmete einige Male tief durch, bis ich mich dazu durchdringen konnte die Klingel zu drücken. Es dauerte eine Weile bis sie mir die Tür öffnete.
"Ich sagte dir doch, dass du schneller wieder an meiner Schwelle stehen würdest, als was es dir lieb sein würde", grinste die heuchlerisch.
"Liegt mein Telefon bei dir?", fragte ich stattdessen. Ich wollte wirklich nicht länger als unnötig an ihrer Tür stehen.
Holly öffnete die Tür komplett und lehnte sich mit überkreuzten Armen an den Türrahmen an. "Ich hätte es nicht gesehen, aber komm doch herein und suche es, wenn du mir nicht glaubst."
Amaras Sicht
Unkonzentriert wippte ich mit meinem Stuhl auf und ab. Warum meldete Niall sich nicht? Es war bereits nach drei Uhr und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er noch immer schlief. Hatte ich gestern irgendetwas gesagt oder getan mit dem ich ihn verärgert hatte? Wenn ja, wusste ich es nicht. Sollte ich mir Sorgen machen?
Ich schlug das Lehrbuch zu, in dem ich nur eine Seite durchgelesen hatte und dabei kein einziges Wort verstand, da meine Gedanken mich einfach nicht in Ruhe ließen. Sehnsüchtig warf ich einen Blick auf mein Smartphone. Keine neue Nachrichten lächelte es mir schon beinahe boshaft entgegen. Auch bei dem Versuch ihn anzurufen landete ich lediglich auf seiner Mailbox. Ich sollte mich am Riemen reißen und nicht die über fürsorgliche Freundin spielen. Vielleicht nervte es ihn. Seufzend lehnte ich zurück und betrachtete die Pinnwand hinter meinen Laptop. Ist es komisch, dass ich das Bild von Niall und mir aus einer Zeitung geschnitten hatte und es mich nun Tag täglich an diesen Moment erinnerte, wenn ich hier saß? Bis auf die Kleinigkeit das ich ihm mit Herzaugen schon sehr nahe gekommen war, war es ein schönes Foto.
Ich sah nach oben. Auf dem Regal, das ich aus dem Sitzen gut erreichen konnte, parkte ich die Kamera, die ich zu meinem Geburtstag bekommen hatte. Irgendwie verspürte ich die Lust, sie zu benutzen. Vielleicht könnte ich einige der Tipps von Connor benutzen und ein paar nette Bilder schießen. Es war sowieso Sonntag und mein Hirn war im Moment nicht Aufnahme fähig. Ich zog die Kamera aus der Verpackung und prüfte den Akkustand. Zu meinem Glück befand sich etwas Strom im Akku.
Der Blick aus dem Fenster zeigte mir deutlich dass ich mich etwas wärmer anziehen sollte. Graue Wolken bedeckten den Himmel. Ich schlüpfte in einen schwarzen oversize Pullover, der an den Schultern jeweils zwei weiße Streifen hatte, eine schwarze Strumpfhose und als würde es anders sein schwarze Stiefel. Mein oberes Kopfhaare band ich mir noch zu einem Knoten zusammen, während der Rest meines braunen Haars mir bis zur Brust hing. Ich entschied mich am Schluss noch für einen kleine Umhängetasche, in der ich ein bisschen Geld und mein Handy verstaute. Kurzer Hand beschloss ich mein neues Fahrrad einzuweihen. Meine Mitbewohner sahen mit etwas überrascht an, als ich mit der Kamera in der Hand an ihnen vorbei sauste.
"Wo willst du hin?", fragte Tobi mich, bevor ich die Wohnungstür erreicht hatte.
Ich drehte mich um. "Ich fahr spazieren." Das Fahrrad neben mir hätte für meinen Geschmack als schlichte Antwort reichen müssen.
"Alleine?"
Ich nickte.
"Melde dich, falls etwas sein sollte."
"Sicher." Ich lächelte Tobi an. Es fühlte sich gut an zu wissen, dass sich jemand um einen Sorgte. Dankbar für unsere Freundschaft schoss ich ein für ihn unerwartetes Foto von ihm. "Das sollte die eine Ehre sein Miller. Das ist das erste Bild auf meine Kamera und jedes Mal, wenn ich sie anmache und mir die Fotos ansehen will, werde ich zuerst dich sehen."
Tobi zog grinsend eine Braue hoch. "Du hättest mich warnen können. Es sicht sicher furchtbar aus."
Ich verzog die Lippen und zog Luft ein. "Ja, die beste Pose hattest du nicht ... aber für mich reicht es."
***
Eine frische Brise Herbstwind umgab ich. Mein loses Haar tanzte im Wind. Meine Kamera und meine Tasche ruhten im Korb am Lenker, während ich die Straße hinunter brauste. In der Nähe der Themse legte ich meinen ersten Halt ein. Ich sperrte mein Fahrrad ab, legte mir meine Tasche um und schnappte mir meine Kamera. Der Ausblick war gut und der Fluss vor mir machte einen guten Hintergrund. Sonnenstrahlen ließen ihn glitzern. Ich schoss ein Bild, dann ein zweites und schließlich noch ein drittes. Ich spielte mit Filtern und der Belichtung, versuchte mich an Details zu erinnern, die Connor mir genannt hatte. Ein Kind ließ an der Nähe des Ufer einen Drachen steigen. Er war groß und mit Einhörnern bemalt. Auch hiervon schoss ich ein Foto.
Mit meinen Rad fuhr ich weiter, ließ mich von der Gegend inspirieren und suchte nach dem perfekten Schnappschuss. Beim Vorbeifahren an einer Reklametafel hielt ich an. Auf der anderen Straßenseite klebte ein riesiges Plakat mit Niall Gesicht darauf. Es war das Cover von seinem Album. Eine Gruppe von jugendlichen Mädchen stand davor. Mit Vorfreude in den Augen schossen sie Bilder von sich mit ihren Idol an dem Plakat hinter ihnen. Ich beschloss mich ebenfalls dort zu fotografieren. Die Ampel schaltete zu meinen Glück gerade auf Grün um. Schon nach wenigen Sekunden erreichte ich die kleine Gruppe.
"Seid ihr auch schon so aufgeregt?", ich grinste die drei Mädchen übertrieben an, als ich auf das Plakat deutete. Die kleiner von ihnen mit dem braunen Haar und einer Brille quiekte hoch.
"Ja! Und wie! Ich kann es kaum noch erwarten! Niall ist einfach sooo perfekt und This Town war einfach so gut und Slow Hand ... -"
"Ja, ja Mel, wir haben es verstanden", unterbrach sie eine andere. "Sie liebt ihn", erklärte sie mir. Sie hatte schwarzes Haar, war größer als die Andere und wenn ich es recht sah, hatte sie ein Zungenpiercing.
"Mel hat recht. Die Song, die er bis jetzt veröffentlicht hat, sind mega! Ich freue mich schon auf On The Loose. Ich habe ja gehört, dass in diesen Video die Freundin seiner Stiefschwester mitmacht. Bin schon sehr gespannt." Die dritte im Bunde hatte das Wort ergriffen.
Ich stieg indes von meinen Rad ab und lehnte es an der Wand an. "Oh, ja. Das habe ich auch schon gehört."
"Wer weiß, vielleicht hat auch seine Schwester einen Auftritt darin, in dem sie es endlich offiziell machen", sagte dasselbe Mädchen von eben und zwinkerte dabei.
"Ich hoffe es. Die Beiden sind so süß zusammen!", quiekte Mel erneut. Sie rieb sich die Hände. "Ich bin übrigens Melanie, aber du darfst mich Mel nennen. Und meine Freunde Helene und May." Mel zeigte von der schwarzhaarigen auf die Brünette.
"Freu mich. Ich bin ... Marie." Mein Zweitname war auch mein Name, oder nicht? Ich hatte schon Glück, dass sie mich nicht erkannten. "Könnte ich euch vielleicht etwas bitten?"
Sie nickten.
"Könnte jemand von euch von mir ein Foto machen?", ich hob die Kamera in meiner Hand und nickte auf die Plakatwand.
"Klaro!", schnalzte Mel mit ihrer Zunge. Ich gab ihr meine Kamera posierte lächelnd vor der Kamera. Beim zweiten Foto drehte ich ihnen den Rücke zu und sah hinauf auf das Plakat.
"Danke."
"Gerne. Mit deiner Kamera schauen die Bild voll gut aus", meinte May, als sie sich über meine Schulter hinab die Fotos ansah, die ich gerade begutachtete.
"Ich könnte auch eines von euch machen. Falls ihr wollt?" Fragend zuckte ich mit der Schulter. Ich hatte kein Problem damit. Schließlich sind es Nialls Fans und wenn ich schon für so viele von ihnen ein Problem darstellte, wollte ich zumindest versuchen ihnen zu zeigten, dass ich keines war.
Grinsend stellte sich Mel, Helene und May vor die Wand. Ich schoss mehrere Bilder von ihnen, in denen sie sich auf verschiedenste Arten hinstellten. Am witzigsten Fans ich dass, als sie sich auf ihren Knien hinsetzten und das Plakat anbeteten. Ich ließ mir ihre Twitter-Namen ins Handy tippen, so hatte ich später die Möglichkeiten ihnen die Bilder zu schicken.
"Kommst du noch mit zum McDonalds Marie? Wir laden dich auch auf einen Burger ein?"
Freudig nahm ich die Einladung von Helene an. Das Fastfood-Restaurant war nicht weit entfernt, somit waren wir in wenigen Minuten vor Ort. Erneut sperrte ich mein Fahrrad ab. Wie versprochen bezahlte Helene meinen Menü. Mit Big Mac, Pommes und einer Cola setzten wir und an einen Tisch neben der Scheibe. Ich fand es sehr nett, einfach mal mit fremden über Niall und seine Musik zu quatschen. Aber wir sprachen auch über private Dinge, so erfuhr ich, dass Mel mit ihren sechzehn Jahren vorhatte beim nächsten X-Faktor teilzunehmen, weil ihr größer Wunsch es war, so erfolgreich zu werden wie ihr Liebling. Das einzige Problem war, dass ihre Eltern strikt dagegen waren. Helene war eine achtzehn siebzehnjährige, die um alles in der Welt versuche nach Oxford in die Uni zu kommen. Ihr größter Wunsch war es immer Prinz Harry zu treffen. May hingegen hatte mit ihren ebenfalls achtzehn Jahren noch keinen Plan von der Zukunft und hatte auch keinen großen Wunsch, außer stinkreich zu sein. Das Gespräch mit ihnen ließ mich total vergessen, dass ich schon den gesamten Tag auf einen Anruf oder eine Nachricht von Niall wartete. Erst als Helenes Telefon läutete und sie mit einen zuckersüßen Lächeln ran ging und ihre bessere Hälfte mit den Worten: "Hey Schatz", begrüßte kam mir die Erinnerung.
Mel und May rollten hingegen mit den Augen. "Das kann wieder ewig dauern", murrte May.
"Die telefonieren immer stundenlang", seufzte Mel, während sie Pommes in den Ketchup tunkte. Ich zog an meiner Cola und lehnte mich zurück. Möglichst unauffällig, nahm ich mein Handy aus der Tasche, suchte Niall Namen in meiner Kontaktliste und versuchte es ebenfalls noch einmal in zu erreichen. Als hätte ich es nicht schon gewusst, war es wieder umsonst. So langsam begann ich mir Sorgen zu machen. Was, wenn ihm etwas passiert ist? Sollte ich vielleicht bei ihm vorbeischauen? Oder wäre das übertrieben?
"Warum so niedergeschlagen?"
Ich sah auf und sah den Blick auf Mays Gesicht. "Ist alles okay?"
Ich zuckte mit der Schulter. "Ich weiß nicht. Mein Freund hätte sich heute bei mir melden sollen, aber das hat er nicht. Und erreichen kann ich ihn auch nicht."
"Typisch Kerle. Zuerst wollen sie deine Aufmerksamkeit so lange bis man nachgibt. Und was ist dann?" Sie seufzte und rutsche tiefer an ihrer Bank hinab. "Dann sind sie nicht mal erreichbar und ignorieren einen." Hörte sich für mich so an, als würde sie genau wissen, wovon sie sprach.
"Mays Ex Freund war genauso.", wieder war es Mel die erklärte. "Du kannst dir sicher vorstellen, dass das nicht lange gehalten hat."
Nur das man meine Beziehung nicht mit der von May und ihren ehemaligen Freund vergleichen konnte. Aber das konnten dieses Mädchen nicht ahnen - worüber ich eigentlich froh war. Ich hatte schon Glück genug, das sie mich anscheinend nicht erkannten.
Schmollend zog sich May am Tisch wieder hoch, um sich aufzurichten. "Lasst uns über etwas anderes reden. Zum Beispiel ... über Nialls Tour. Marie hast du Karten für die Flicker Sessions?"
"Ich muss gestehen, dass ich diese Möglichkeit verpasst habe. Die Shows sind ja glaube ich auch schon ausverkauft, nicht wahr?", fragte ich und zog danach wieder am Strohhalm meines Getränkes. Die Wahrheit war eigentlich, dass ich überhaupt nicht daran gedacht hatte mir Karten zu kaufen, wozu auch? Mein Freund war immerhin der Hauptact. Niall würde doch nicht von mir verlangen, dass ich mir Karten kaufen müsste, oder? Gesprochen hätten wir darüber nicht. Außer er wollte überhaupt nicht, dass ich ihm auf einer seiner Shows besuche.
Und wieder merkte ich, wie ich mir selbst immer alles negativ redete. Egal was es war, ich suchte immer das Negative in der Sache. So langsam aber doch sah ich es. Bei jeder Kleinigkeit könnte ich sofort an die Decke gehen. In mir war eine stark ausgeprägt impulsive Ader, die durch meine Selbstzweifel nährte. Warum bin ich bei der Neuigkeit ausgeflippt dass meine Mutter noch ein Baby bekommt? Es ist doch schon. Sie liebt Bobby und ist nach all den Jahren glücklich. Ich sollte mich freuen eine kleine Schwester zu bekommen. Und die Sache mit dem Zwilling sein und Connor ... sie wollte mich bloß beschützten. Sie hatte Angst um mich, wollte mich nicht auch noch verlieren und mein Vater selbst, hat auch nur aus Interesse um unser wohl gehandelt, auch wenn er es sicher anders lösten hätte können. Ich vermute mal, Eltern sein ist nicht einfach und manchmal machen sie Fehler aus Sorgen um einen. Sie verletzten nicht mit Absicht, denn sie sehen ihre Welt in uns. Kinder sollten anfangen ihren Eltern nicht alles böse zu nehmen.
Die zweite Woche des Semesters begann mit schrecklichen Kopfschmerzen. Es stimmte also, wenn man sagte, das zu viel denken Kopfschmerzen verursacht. Gequält stieß ich meine Decke zu Seite und stampfte ins Badezimmer. Zuerst kramte ich im Medizinschrank nach einer Schmerztablette. Mit einem Schluck Wasser schluckte ich die runde Pille hinunter. Danach wuscht ich mir mein Gesicht, putze meine Haare und frisierte mein Haar. Nach dem Gang zur Toilette zog ich mich um und hoffte, dass die Wirkung der Pille bald einsetzten würde. Das Frühstück ließ ich auch, ich verspürte keinen Hunger. Nichtmal der Geruch von frischen Kaffee konnte mich überzeugen.
"Gehts dir nicht gut? Du bist so bleich wie ein Gespenst."
Ich legte meine Tasche auf dem Sofa ab und drehte mich zu Sophie. Sie nippte gerade an besagtem Kaffee.
Ich rieb mir die Schläfen. "Kopfschmerzen."
"Hast du schon eine Tablette genommen?" Sophie ließ die Tasse sinken und stellte sie am Tresen ab.
"Ja, vorhin. Es wird wohl noch ein paar Minuten dauern."
Sie legte den Kopf zu Seite. "Wenn es nicht besser wird, kannst auch zu Hause bleiben. Lass dich krankschreiben."
Widerwillig schüttelte ich den Kopf. In der zweiten Woche kam das für mich nicht infrage! "Nein, das wird schon werden."
Die Züge ihres Gesichts änderten sich in ein verschmitztes Grinsen. "Wenn du krank wärst, könntest du dich von Niall pflegen lassen." Sie zwinkerte mir zu.
"Du meinst den Freund, der sich nach seiner Überraschungsparty, die ich und sein bester Kumpel für ihn geschmissen haben, nicht mehr bei mir gemeldet hat? Der Freund, der gewusst hat, dass Amber und Holly hier in London sind?"
"Dass Holly und Amber hier sind, ist aber nicht seine Schuld. Ich meine ... es ist ja nicht so, als würde er ihre Miete bezahlen. Diese Schlampen, wollten dich einfach aus den Rennen kicken. Ein Rennen, das du schon lange gewonnen hast, Dummkopf. Er ist dir komplett verfallen und sie ist nur seine ausgelutschte Ex, die einfach nicht loslassen kann. Vermutlich sieht sie ihn ihm nur eine lebende Brieftasche."
Sophie sagte das so leicht. Aber sie schien von ihren eigenen Worten mehr als nur überzeugt zu sein. Sie griff nach ihrer Tasse und nahm einen großen Schluck davon.
"Ja, ich muss wirklich damit aufhören", seufzte ich. Ich ging an Sophie vorbei und nahm mir eine Red Bull Dose aus dem Kühlschrank. Ich packte sie in meine Tasche und schlang sie mir über den Kopf. "Na, gut. Ich muss jetzt los."
Sophie stieß sich von Tresen ab. "Wenn es nicht besser wird, melde dich ab. Wir sehen uns später."
Nickend winkte ich ihr zu und verließ die Wohnung. Eigentlich hatte ich vor das Fahrrad zu benutzen, aber in meinen Zustand fühlte ich mich gut dabei. Polternd stieg ich die Treppen hinunter und trat auf die Straße hinaus. Der Verkehr stockte wie jeden Morgen und ich war froh zu Fuß unterwegs zu sein. Ich hatte mich gestern Abend dazu durchgedrungen Connor heute zu mir nach Hause einzuladen. Als eine Art entschuldigen für mein Verhalten von letztens. Er hatte wirklich nur versucht nett zu sein und ich hatte nichts Besseres zu tun, als ihn anzumotzen. Die Mädels von gestern sind regelrecht durchgedreht, als ich ihnen die Fotos auf Twitter geschickt hatte. Ich hatte mir nicht extra einen anderen Account angelegt, sondern gleich von meinen aus geschickt. Zudem ich sowieso vor hatte eines der Bilder zu posten. Ihre Fotos schickte ich ihnen als Privatnachricht, aber eines - bei dem sie das Plakat anbeteten - hatte ich als schwarz-weiß Foto gepostet und das eine von mir als ich ihnen den Rücken gekehrt hatte, um mir ebenfalls das Plakat anzusehen. Schlag auf Schlag machte es seine Runden durch die Netzwerke. Es war mein erster Post nach dem kryptischen Fotos von der Party.
Die Kopfschmerzen hatte, als ich das Schulgebäude erreicht hatte, etwas nachgelassen. Bei einer Ampel hatte ich probiert Niall wieder zu erreichen - ohne Erfolg. Es war noch immer aus. Vielleicht war auch nur sein Telefon kaputt und er war musste arbeiten.
Mit Lilly hatte ich mir ausgemacht sie in der Bibliothek zu treffen. Ich machte meinen Weg durch die Menge und suchte das Nebengebäude. Die Bibliothek befand sich in einen eigenen Haus. Wie vor dem Wohnheim war der Weg mit Kies ausgelegt. Bänke und Tische standen davor, auf denen sich schon einige Studenten versammelt hatten und Bücher verschlungen. Von außen würde man nicht erkennen, das es sich hier um eine Bibliothek handelt. Es bestand aus Holz, Stein und sehr viel Glas. Die Front des Gebäudes bestand nur aus Glas, durch das man schon von außen sah, dass es darin zwei Stockwerke gab. Das Licht der Sonne erhellte den meisten Raum. Ich stampfte an der Information vorbei und ging direkt auf die Tische zu. Lilly orange-rote Haar leuchtete bereits von weitem. Und zu meiner Verwunderung war sie nicht allein.
"Stephan, was für eine Überraschung." Direkt drehten sich beide zu mir um.
"Guten Morgen." Breit grinsend, konnte ich auf Lilly Lippen lesen, wie sie sagte: "Ist er nicht süß?" Stephan konnte es nicht sehen, weil Lilly ihm gerade den Rücken zu drehte, weil sie ihm gegenüber saß.
"Hey, Amara."
Ich setzte mich neben Lilly uns legte meine Tasche neben mich auf die Bank ab. "Wir haben noch nicht mal neun und ihr seid schon am Lesen?" Unverständlich schüttelte ich den Kopf. Neugierig drehte ich Lilly aufgeschlagenes Buch in meine Sichtweite:
>"Für dich gilt dieses Angebot nicht, Verräterin!", zischte Lucian und bedachte sie mit einem Blick, der sie erbleichen ließ. Mächtige Prima hin oder her. Elektra hatte Angst vor Lucian. Ein sirrendes Geräusch lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf Thanatos. Er hatte sein Aziam gezogen.<
Ich schob es wieder zurück. "Was ist ein Aziam?"
"Ein Schwert. Es leuchtet wenn es von einem Primus benutzt wird", erklärte Lilly, als sei es selbstverständlich zu wissen, was ein Primus ist.
"Und was ist ein Primus?"
Lilly winkte ab. "Das würde viel zu lange dauern dir das alles zu erklären. Lies es doch selbst. Stephan findest es auch nicht schlecht. Und außerdem sind Ari und Lucian so niedlich zusammen.", sie quiekte laut auf.
Ich legte den Kopf zur Seite. "Wir es verfilmt? Mir den Film anzusehen ginge doch viel schneller."
"Also da hast du schlechte Karten Amara."
"Es ist wirklich gut. Und die Verfolgungsjagd gleich zu Beginn ist auch erste Sahne", meinte Stephan. Lilly lächelte ihm schüchtern zu, dabei rutschte ihre Brille an ihre Nasenspitze.
Stephan warf einen Blick auf seien Armbanduhr. Er schlug das Buch zu und seufzte. "Ladys, ich muss ich nun leider verlassen. Geht ihr heute in die Cafeteria Mittagessen?"
"Ja, heute gibt es Tortellini in Rahmsauce. Das kann ich mir nicht entgehen lassen!", erwiderte meine Freundin. "Kommst du mit Amara?"
"Klar, warum nicht."
Er stopfte das Buch in seinen Rucksack und stand auf. "Wir sehen uns."
Ich wartete bis Stephan aus unserer Hörweite war, bevor ich mich mit hochgezogener Augenbraue zu Lilly drehte. "Was läuft denn da?"
Augenblicklich verfärbte sich ihr Gesicht in die Farbe einer Tomate. "Nichts." Ihr Stimme war nicht lauter als ein Wispern.
"Nichts?", wiederholte ich mit wissenden Unterton. Das glaubt doch niemand.
Lilly sah auf ihre Schoss hinab und richtete ihre Brille. "Es könnte möglich sein, dass wir am Samstag am Abend in einem kleinen Café waren, in dem Junge Autoren ihre Werke und Gedichte vorgestellt haben."
"Wirklich? Wow." Warum überraschte mich das Ganze so. Man sah ihnen beim ersten Treffen an, das da irgendetwas zwischen ihnen war. Liebe auf den ersten Blick vielleicht? Gibt es sowas überhaupt?
"Aber wir sind uns nicht näher gekommen. Wir haben geredet und viel gelacht." Lilly sah auf. Bei dem Anblick ihrer roten Backen musste ich schmunzeln. Ob ich auch immer so aussehe, wenn ich über Niall sprechen?
***
Die Kopfschmerzen waren endlich abgeklungen. So konnte ich mich komplett auf meine Lesung konzentrieren und auch auf die darauffolgende. Als es endlich Zeit wurde, packte ich mein Buch in meine Tasche und ging wie die meisten um dieses Zeit zur Cafeteria. Ich hatte gehofft Tobi vielleicht über den Weg zu laufen, weil ich wusste, dass er schon eine Vorlesung hatte. Am Morgen hatten wir uns nicht gesehen, weil er bei Martin Frühdienst hatte - wie ich morgen. Ich konnte es kaum erwarten, um vier aufzustehen, damit ich um fünf dort bin um die Vitrine einzuräumen. Wie vereinbart traf ich auf Lilly und Stephan. Beim Eingang mussten wir unsere Studentenausweise herzeigen und den Preis für das Essen im Voraus bezahlen. Es war immer ein Menü mit Suppe, Hauptspeise und Nachspeise. Man konnte immer zwischen zwei Speisen entscheiden. Ich suchte mir die Gemüsesuppe aus, als Hauptspeise die Tortellini und als Nachspeise einen Karottenkuchen. Lilly entschied wie ich, nur Stephan nahm sie anstellte der Tortellini gebackenen Leberkäse mit Kartoffeln. Das Essen sah gut aus und nicht so, wie ich es von meiner alten Schule gewohnt war.
Einen Platz hatten wir schnell gefunden. Wir kamen ziemlich früh, deshalb waren einige Tische noch unbesetzt.
Während wir aßen, erzählte Stephan von seiner Vorlesung. Irgend so ein Typ hatte sich mit den Dozenten angelegt, weil er dachte, dass er alles besser wüsste. Der Hacken an der Sache war aber, das der Student im Unrecht war. Er wurde schlussendlich aus der Vorlesung geworfen.
"Was legt er sich auch mit den Dozenten an. Die werden ja wohl wissen, wovon sie sprechen", schmatzte Lilly. Sie wischte sich den Mund mit der Serviette ab und trank von ihrem Fanta.
"Ich will den Kerl nicht beschützen, aber unsere Dozenten könnten mal Mist erzählen", japste ich und schaufelte mir einen neuen Bissen in den Mund.
"Mit Mist erzählen kennst sich wohl jemand hier aus." Ich hielt inne und schlucke das Essen runter. Natürlich musste sie mir hier über den Weg laufen. Ich drehte mich auf meinen Stuhl um und sah in Ambers vor Make-up Prozentes Gesicht. Wie konnte Matt, ein so netter aufmerksamer Mann, nur so eine Zwillingsschwester haben? All seine Nettigkeiten gingen bei ihr verloren. Vermutlich bekam er alle diese Gene ab und sie konnte nichts dafür, dass sie so eine Bitch war.
"Spricht da zufällig wer über sich selbst?", ich hob eine Braue. Auch ich konnte mich zu wehr setzten.
Amber verengte die Augen. "Wo hast du denn diesen Kerl von neulich? Ich nehme an dieses Mal kannst du dich nicht hinter jemanden verstecken." Ein Mädchen neben Amber begann zu kichern. Sie musste wohl als Holly Ersatz her hallten.
Ich stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust. "Vor dir verstecke ich mich bestimmt nicht. Ich brauche niemanden um dir fertig zu werden." Zugegeben fühlte ich mich gerade nicht so selbstbewusste, wie ich es gerade zum Besten gab.
"Ach ja?", Amber grinste finster. "Lass mich dir mal etwas zeigen, Amara." Sie drückte ihr Tablette mit dem Essen dem Mädchen neben ihr in die Hand und zog ein Handy aus ihrer Hosentasche. Es war in einer glitzernden Hülle. Amber begann darauf herumzutippen. Das belustigte Gesicht hätte ich ihr zu gerne zermalmt.
Sie sah auf und machte einen Schritt auf mich zu. Amber stand nun direkt an mir, ihr Kopf näherte sich meinen Ohr. "Woher denkst du, habe ich das?" Sie hielt mir den Bildschirm entgegen.
Ich sah das Foto, das ich an meinen ersten Unitag Niall geschickt hatte. Mit ihrem Zeigefinger, auf den ein falscher Fingernagel klebte, wischte sie nach rechts. Ein neues Bild leuchtet am Display. Ein Screenshot mit einem Nachrichtenverlauf. Nachrichten die ich und Niall ausgetauscht hatten.
"Woher hast du hast?", presste ich durch die zusammengebissenen Zähne. Ich wollte keine Szene starten, aber uns starrten bereits alle an.
Amber steckte das Handy wieder ein und lächelte mich falsch an. Sie lehnte sich an mein Ohr. "Wenn du mir das nächste Mal im Weg stehen solltest ... oute ich euch und mache dir das Leben zur Hölle. Du hast ihn und sein Geld nicht verdient und ich werde dafür sogen, dass er dich unter den Teppich kehrt."
Mein Mund war trocken und ich hätte sie gerne geschlagen, aber sie hatte ein Druckmittel gegen mich. Fiese Fotze!
"Und nun setzt dich Amara."
Mit starren Blick sah ich sie an. In meinen Kopf ratterte es.
"Setzt. Dich. Endlich."
Ohne etwas darauf zu sagen, setzte ich mich. Ich konnte es nicht gebrauchen, dass sie vor versammelter Mannschaft auspackte. Stephan, der mir gegenüber saß, lächelte mich aufmuntern an. Hauptsache sie verschwindet endlich.
Ihr scheußliches Lachen war hinter mir zu hören und bevor ich mich umdrehen konnte, spürte ich wie etwas über meinen Kopf geleert wurde. Rahmsauce und Tortellini klebten in meinen Haaren. Ich sprang von meinenen Stuhl auf. "Hast du sie nicht mehr alle!"
Die Sauce lief mir über die Stirn. Zuschauer hatten ihre Handys auf mich gerichtet. Überfordert packte ich meine Tasche und lief schluchzend aus dem Speisesaal.
Beschämt lief ich so schnell mich meine Beine tragen konnte, aus dem Speisesaal. Ich stieß die Tür auf, stieß Leute aus meinem Weg und kollidierte mit jemanden. Diese Brust war so hart und angespannt, dass ich auf meinen Hinter fiel. Mir war danach nur noch mehr zum Weinen, denn als ich aufsah, sah ich in das Gesicht von Dylan. Er und Enrico sahen mich komplex an.
"Amara...", begann Dylan. Er bot mir seine Hand an, aber ich stieß sie weg, drückte mich vom Boden hoch und lief die Treppen hinunter zu den Toiletten. Ausgerechnet in ihm musste ich laufen. Als wäre die ganze Sache hier nicht schon schlimm genug. Mit voller Wucht rammte ich die Tür zu den Toiletten und sperrte mich in der letzten Kabine ein. Zu meinen Glück, befand sich zu dieser Zeit eigentlich so gut wie nie wer auf den Toiletten. Ich klappte den Deckel runter und sank darauf zusammen. Wie ein kleines Kind heulte ich in meine Handflächen. Schluchzend fuhr ich mir mit meinen Händen durch mein Haar, um die Tortellini heraus zu zupfen. Ich rieb mir die Schläfen, den die Kopfschmerzen waren wieder zurückgekehrt.
Ich vernahm das Quietschen der Eingangstür und verstummte sofort. Ohne es zu merken, hielt ich den Atmen an. Jemand klopfte sanft gegen meine Kabinentür.
"Lilly ... ich .. ich möchte jetzt nicht ... nicht reden." Durch das Geheule bekam ich Schluckauf.
"Amara, ich bins. Ich nehme an Lilly ist das Mädchen, das sich gerade mit der schwarz Haarigen anlegt."
"Geh weg! Ich bin schon am Boden. Du musst dich jetzt ... jetzt nicht auch noch über mich lustig machen."
Dylan seufzte. "Amara. Komm raus." Sein Tonfall klang sanft und mitfühlend.
Ich tupfte mir das Gesicht ab, stand auf warf das benutzte Toilettenpapier in die Toilette und betätigte die Spülung.
"Nachbarin komm raus. Wir begleiten dich nach Hause", sagte eine neue Stimme. Ich kannte sie bereits und darum wunderte es ich, das sich auch Enrico nach mir erkundigte. Er kannte mich nicht, nur vom Flur und von dem was ihm Dylan von mir erzählt hatte. Bestimmt hielt er absolut nichts von mir und tat das nur um Dylan einen Gefallen zu erweisen. Warum ist dieser Typ mir überhaupt gefolgt?
"Lacht ihr mich aus, wenn ich raus komme?"
Dylan seufzte wieder. "Nein." Doch ich hörte deutlich wie Enrico ein leises "Vielleicht", flüsterte.
Ich atmete tief durch, um nicht sofort wieder in Tränen auszubrechen, nahm meine Tasche und öffnete die Tür. Dylan lehnte am Waschbecken gegenüber und sah mich mitfühlend an. Enrico hingegen stand mit den Händen in der Hosentasche neben mir und presste die Lippen aufeinander. Vermutlich musste er sich ein Lachen verkneifen.
"Komm, wir sollten dich noch ein wenig waschen bevor wir gehen." Dylan nahm mich am Arm und stellte mich vor das Waschbecken. Ich hörte das laufende Wasser, während ich mich im Spiegel betrachtet. Überall klebte die Sauce. Eine der Teigtaschen saß auf meinen Kopf und mein Pullover war komplett versaut. Enrico nahm mir derweil die Tasche ab und Dylan machte sich mit einen feuchten Tuch an meinen Haaren zu schaffen.
Ich ärgerte mich über mich selbst. Wie konnte ich das nur zulassen? Warum ließ ich so mit mir umgehen? Von wo hatte sie diese Screenshots? Es war der Verlauf von meinen und Nialls Nachrichten. Zugang dazu hatten nur er und ich. Hierzu gab es nicht viele Möglichkeiten. Entweder sein Telefon wurde irgendwie von ihnen gehackt, sie haben es ihm gestohlen oder ... er schickt diese Screenshots an seine Freunde.
Nein.
Das würde er nicht.
Niemals.
Das Schlimmste an all dem war, dass das alles gefilmt wurde. Ich war doch in den Augen so vieler schon eine Lachnummer und mit diesen Video, hatten alle Hater wieder mehr Material um mich zu erniedrigen.
Eine Hand vor meinen Gesicht riss mich aus meiner Starre. Ohne mich etwas zu fragen oder etwas zu sagen, zog Dylan seine brauen Lederjacke aus und zog sie mir über. Sie war mir an den Schulter und in der Länge viel zu groß. Die Ärmel waren so lange das meine Arme darin verschwanden. Der Geruch seines Giorgio Armani Parfums stieg mir in die Nase. Er zog mir die eingenähte Stoff Kapuze über den Kopf. Mit einer sanften Berührung am Rücken schob er mich an. Enrico öffnete uns die Tür, die noch immer meine Tasche trug. Ich versuchte mein Gesicht so gut wie möglich unter seiner Kapuze zu verbergen, als wir den Flur der Schule entlang gingen. Während des gesamten Weges nach Hause sprach keiner ein Wort. Ich wollte auch nicht reden, deshalb passte mir das gerade in den Kragen. Etwas verwundert über die Nettigkeit war ich aber trotzdem. Keiner der Beiden hätte das für m ich tun müssen. Dylan hätte sogar genug Gründe um mich auszulachen und an den Pranger zu stellen.
Noch immer stumm stiegen wir die Stufen hoch in unsere Etage. Mit einer einfachen Geste deutete ich auf das vorderste Fach meiner Tasche, in dem Enrico meinen Schlüsselbund herauszog. Ich nahm ihm mit einem dankenden Blick den Schlüssel und meine Tasche ab und entriegelte da Schloss zu meiner Wohnung. Ich stieß die Tür auf, schlüpfte aus meinen Schuhen und ließ die Tasche an Ort und Stelle zu Boden plumpsen.
"Brauchst du ... etwas?", fragend rieb Dylan sich den Nacken. Ich schüttelte den Kopf und sah zu Enrico der an mir ins Wohnzimmer vorbeisah. Es war still immerhin waren weder Tobi noch Sophie zu Hause.
Mit einem seufzend entledigte ich mich Dylans Jacke. "Ich werde sie reinigen lassen", meinte ich trocken und warf sie mir über den Unterarm.
"Musst du nicht." Dylan zuckte mit den Schultern. Er ließ die Hände in die hinteren Hosentaschen wandern.
"Ich werde mich jetzt duschen gehen." Ich wollte sie nicht unhöflich aus der Wohnung schmeißen, aber eine Dusche hatte ich bitter nötig. Außerdem wollte ich endlich alleine sein und in mich hinein fluchen.
Mit einem "Man siehst sich", verließ der Spanier zuerst meine vier Wände. Dylan folgte ihm und hielt aber im letzten Moment im Türrahmen nochmal an. Er nickte mir zu und danach hörte ich wie die Tür ins Schloss fiel.
Bevor ich überhaupt in Bewegung zog ins Badezimmer zu gehen, fiel ich wie ein Haufen Elend in mich zusammen und sackte auf dem Parkettboden. Mein Gesicht vergrub ich in den Händen. Ich spannte mein Kiefer an und wollte den Tränen freien lauf lassen, aber mehr als ein krächzten, kam mir nicht über die Lippen. Meine Tränen waren verebbt und mein Verstand, begann langsam wieder zu funktionieren. Es dauerte aber ich begann zu begreifen, was geschehen war. Das heute war eine Drohung. Sie schien es sich zum Ziel zu nehmen, mich fertigzumachen, bis ich nachgab und Holly an Niall ran ließ.
Schniefend rappelte ich mich vom Boden auf. An mir haftete der Geruch der Rahmsauce. Mit einem Tritt gegen meine Tasche schleuderte ich sie ins Wohnzimmer. Ich hatte die Nase gestrichen voll. Warum konnte ich nicht ein Niemand für sie sein? Warum konnte Niall nicht frei von seiner Ex und deren verrückten Freundin sein? Kann ich es nicht einmal in meinen Leben einfach haben?
Ich sammelte die Jacke von Dylan vom Fußboden auf und legte sie auf das Sofa. Als mein Handy zu läuten begann.
Ich ignorierte das Läuten, stattdessen ging ich in mein Zimmer suchte mir ein Handtuch und neue Kleidung.
Das Klingeln begann erneut.
Frustriert über den Lauf meines Lebens trabte ich hinaus in das Wohnzimmer und suchte in meiner Tasche nach meinen Telefon.
'Unbekannte Nummer'
Ich überlege. Ich hasste es nicht zu wissen, wer an der anderen Leitung war. Bei mir unbekannten Nummern ging ich schon als Prinzip nicht ran. Ich besaß von jedem, mit dem ich sprechen wollte, die Telefonnummer. Was bedeutete, dass ich diese Person sicher nicht sprechen wollte. Andererseits, wenn Niall wirklich sein Telefon verloren hat, und mich gerade anruft, wüsste ich es nicht. Es könnte etwas mit meiner Mum sein ... oder Sophie, Tobi, ...
Ich biss die Zähne zusammen uns nahm ab. "Hallo?"
Ein Rauschen war zu hören. "Fass ihn ja nicht an du Schlampe!", zischte eine Frauenstimme. Perplex nahm ich den Hörer vom Ohr und legte ihn danach wieder zurück. "Wer ... wer ist da?"
"Dein Alptraum!" Erneut wurde ich von der Stimme angefaucht. Was sollte das?
Ich öffnete meinen Mund, konnte aber nichts mehr antworten, da die Frau derweil aufgelegt hatte. Zugegebener Maßen war ich in diesen Moment etwas überrollt. Von wo hatte diese ignorante Person meine Nummer? Es konnte heute wirklich nicht mehr schlimmer werden.
Dachte ich zumindest.
Wieder begann mein Handy zu klingeln. Dieses Mal strich ich über das rote Feld. Auf weitere Beleidigungen konnte ich dankend verzichten.
In dem Bruchteil einer Sekunde leuchtete meine Benachrichtigungslampe wie ein Baum zu Weihnachten. Etliche neue Nachrichten, Twitter Benachrichtigungen und neue Anrufe tummelten sich in der Liste. Mein Telefon hörte überhaupt nicht mehr auf zu piepsen und zu klingeln. Es bot mir auch nicht einmal die Chance zu schauen was auf Twitter gerade abging.
Ich konnte mir nur zu deutlich ausmalen wie sich alle über das Video lustig machten und meinen Namen in den Dreck zogen.
Kopfschüttelnd entschied ich mich gegen den Drang meinen Laptop einzuschalten und nach dem Hass zu suchen. Eine Dusche war das, das ich jetzt benötigte. Außerdem musst ich mich noch wegen meiner Fehlstunde bei der Uni melden. Eine kurze E-Mail reichte dazu vollkommen aus.
Ich stieg unter die Dusche und wusch mir in aller Ruhe die Lebensmittelreste aus den Haaren. Der Duft von Vanille lag im Raum. Von diesen Haarshampoo und der Spülung bekam ich immer Lust auf Pudding - so wie Mum ihn immer gemachte, mit einem Spritzer Rum. Beim Gedanken morgen wieder zu Uni und somit den Spot ausgesetzt zu sein, erschauderte ich. Zumal es aber bestimmt ein starkes Statement wäre morgen dort zu erscheinen. Amber sollte nicht glauben dass sie mich mit so einer Aktion klein bekommen hat - zutiefst verletzt war ich aber trotz allem.
Naher schlüpfte ich in meinen Pyjama. Dass es erst früher Nachmittag war, spielte dabei keine Rolle für mich. Nichts und Niemand würde mich heute aus diesen vier Wänden bekommen. Mein feuchtes Haar drehte ich mir in ein Handtuch, anstelle es gleich zu föhnen. Um meinen Koffein Haushalt wieder nach oben zu bekommen, drückte ich mir an der Kaffeemaschine einen Espresso herunter und schmiss mich danach mit einer Kuscheldecke auf die Couch. Ich verzog den Mund und schüttelte den Kopf nach dem ersten Schluck. Der Espresso war stärker als gedacht. Ich zappte durch die Kanäle und blieb bei den Nerds von The Big Bang Theory hängen, aber auch diese Sendung konnte mich nicht ablenken. Mein Blick wanderte immer wieder zu meinen Telefon. Ich hätte es nicht auf den Tisch vor mich legen sollen. Dass einzige gute war, dass ich es auf lautlos gestellt hatte. Noch immer trudelten ständig Anrufe und Nachrichten herein.
Als ich es nicht mehr aushielt, sprintete ich in mein Zimmer und holte mir meinen Laptop. Niemand hätte mir sagen müssen, dass das eine schlechte Idee war, denn davon war ich sowieso überzeugt. Ich tippte mein Passwort ein und wartete bis ich am Desktop ankam. Chrome brauchte wieder eine Weile auf meinen Laptop bis es endlich die Seite öffnete und ich Twitter eingeben konnte. Ich sollte mir mal ein neues Gerät besorgen. Den hier hatte ich schon so lange ich denken konnte. Mein Blick glitt zu den Trends. Mein Name und der von Niall befanden sich darin auf vierten und sechsten Platz. Mein Magen drehte sich und mir wurde schwummrig.
Ich zögerte.
Wollte ich das wirklich lesen?
Es klopfte an der Tür. Stirnrunzelnd stellte ich den Laptop am Tisch vor mir ab, wickelte mich in meiner Kuscheldecke und stampfte zur Tür. Ich musste mich auf meine Zehenspitzen stellen um durch den Spion sehen zu können. Es war Niall.
Ich drehte den Schlüssel und öffnete die Tür. Er sah fertig aus. Sein Haar glänzte nicht, seine Wangen waren leicht gerötet und seine Augen waren dunkel. Ohne etwas zu sagen, überbrückte er den Abstand zu mir, legte seine Hand um meinen Hals und schob mich an sich um mich zu küssen. Ich schloss die Augen und versank in seinen Griff, in seinen Geruch und in seinen Lippen. Irgendetwas war das konnte ich spüren. Niall machte kleine Schritte nach vorne und schloss die Tür mit einem seiner Beine, während wir am Knutschen waren. Er zerrte an der Kuscheldecke, die mich bedeckte und warf sie zu Boden. An meinen Waden spürte ich bereits das Ende der Couch, auf die er mich in diesen Moment drücken wollte, während seine Lippen den Weg von meinen Lippen hinab an meinen Hals fanden. Jedoch legte ich meine Hand auf seine Brust. Augenblicklich hob er den Kopf, um mich anzusehen.
"Niall ich ..."
Niall lehnte sich wieder an mich, aber ich hielt ihn erneut auf, machte einen Schritt weg von ihm und setzte mich an das andere Ende der Couch. Ich klopfte auf den Platz neben mich.
Er seufzte laut, setzte sich aber doch. Im Moment konnte ich nicht nachvollziehen was schon wieder mit ihm war. Das Video musste er doch sicher schon gesehen haben. Da musste ihm doch bewusst sein, dass ich jetzt nicht in der Stimmung war für solche Aktivitäten.
"Niall hast gesehen was Amber ..."
Er nickte. Seine Lippen formten einen schmalen Strich. "Ja, habe ich."
Ich schluckte. War das alles was er dazu zu sagen hatte? Niall sah gerade aus und starrte auf den Bildschirm meines Laptops und dann auf mein leuchtendes Telefon. Eine Unbekannte Nummer rief an.
"Das geht jetzt schon die ganze Zeit so. Ich habe keinen blassen Schimmer woher die alle meine Telefonnummer haben." Seufzend legte ich den Kopf zur Seite.
Unbehaglich rutschte Niall hin und her. Er legte seinen Arm auf die hintere Lehne der Couch. "Das ist glaube ich meine Schuld."
Ich zog die Braunen zusammen.
"Mein Handy ist weg ... ich glaube, dass ich es bei Holly liegen gelassen habe und bevor du ausflippst, es läuft nichts zwischen uns. Ich habe ihr gesagt, dass ich nichts von ihr will und sie dich in Ruhe lassen sollen."
"Das hat ja ganz toll funktioniert!" Schnaufend lehnte ich mich nach vorne um meinen Laptop auf die Couch zuziehen. Ich fackelte nicht mehr lange und drückte auf meinen Namen. Das Video aus der Uni kreiste herum, aber auch ein Foto von mir, und zwar dass das ich am ersten Tag der Uni an Niall geschickt hatte, mit meiner Telefonnummer und der Überschrift "Ruf mich an!" leuchtete mir entgegen.
Meine Augen begann zu brennen und ein kratziges Gefühl kroch meinen Hals hoch. Ich konnte spüren, dass ich jeden Moment zu heulen beginnen würde. In meinen Handflächen vergrub ich mein Gesicht.
"Amara ..." Der sanfte Ton von Nialls Stimme lag mir in den Ohren. Er streichelte meinen Arm auf und ab. "Amara, ich habe etwas getan und ich weiß nicht, wie du darauf reagieren wird. Ich hätte es erst mit dir besprechen sollen, aber ich war so wütend als ich das Video gesehen habe und ... Ich liebe dich und mir ist egal was die anderen denken, weil du die Eine für mich bist."
Ich nahm die Hände von meinem Gesicht und wischte mir mit den Handrücken über die feuchten Wangen. "Was ... was hast du getan?"
"Ich hätte sie fertig gemacht!" Ich ignoriert das Gejammere von Sophie, die mit überkreuzten Armen an meinen Türrahmen lehnte. "Amara hörst du mir überhaupt zu?"
Ich ließ einen Stapel Jeans in meinen Koffer fallen und warf ihr als Antwort einen Blick zu, der ihr sagen sollte, dass ich es nicht mehr hören wollte. Seit dem Zwischenfall waren jetzt zwei Wochen vergangen, in denen Sophie mir immer wieder anbot Amber höchstpersönlich den Kopf abzureißen, Connor mir anbot sie zu verklagen, Valerie sie online in den Dreck ziehen wollte oder Lilly mir vorschlug Amber in der Nacht die Haare zu rasieren.
"Sophie jetzt lass sie doch endlich", meldete sich Tobi zu Wort. Er kam gerade mit einem Sandwich aus der Küche und stellte sich neben Sophie. Er zupfte eine Tomatenscheibe aus dem zusammengeklappten Sandwich hervor. "Es ist ihre Sache, wie sie das handhaben möchte. Wir sollten sie dabei unterstützen."
Sophie zog die Augen zu schlitzen. "Das sagst du so einfach! Ich kann es nicht ertragen, wenn jemand meiner besten Freundin so etwas antut. Das verlangt nach Rache!"
Während meine Freunde zu diskutieren begannen, widmete ich meinen Kleiderschrank. Ich benötigte noch T-Shirts, Pullover und vor allem irgendetwas, dass ich zur Geburtstagsfeier meiner Oma anziehen konnte. Diese Feiern waren immer so groß aufgezogen und der eigentliche Sinn dahinter war überhaupt nicht der Geburtstag meiner Großmutter, sondern der potenzielle fang von neuen Kunden, den meinen Großvater mit seiner Baufirma nur zu gerne Angebote unterbreitete.
Das einzige, dass die Streithähne abhielt sich die Köpfe einzuschlagen, war die Klingel. Ich packte meine restlichen Sachen ein, während Tobi die Tür öffnete und sich Sophie netterweise auf meinen Koffer setzte, damit ich ihn zubekam.
"Na, kleine Schwester. Probleme mit dem Koffer?", schmunzelnd kam Valerie auf uns zu, nur um sich neben Sophie auf den Koffer fallen zu lassen.
"Ich hasse es Koffer packen zu müssen. Gerade dann brauche ich immer alles mit", krächzte ich schnaufend bei dem versuch den Reißverschluss zu schließen. Sophie verlagerte ihr Gewicht etwas auf den Rand und drückte die Enden zusammen, so gelang es mir dann stückchenweise, den Verschluss zuzumachen.
Nach getaner Arbeit setzten wir uns mit Getränken auf die Couch im Wohnzimmer. Tobi hatte sich zuvor noch bei mir verabschiedet, da er sich mit Peter irgendwo treffen wollte und nachdem er mich für das restliche Wochenende nicht mehr zu Gesicht bekommen würde, wünschte er mir noch viel Spaß in meiner eigentlichen Heimat.
Während ich an meiner Cola nippte, sah ich immer wieder auf die Uhr. Niall wollte schon längst hier sein. Unser Flieger würde seinetwegen bestimmt nicht auf uns warten.
"Sag mal, Amara wie sind unsere Großeltern so?"
"Sie sind okay", gab ich schulterzuckend zurück.
"Jetzt übertreibt sie", sagte Sophie, die sich auf der Couch aufrichtete und sich zu Valerie drehte. "John ist ja ganz nett und ausgelassen, aber eure Großmutter hat schon ein paar Macken."
"Sophie!", zischte ich empört.
Sie hob sie Hände. "Was? Ich habe doch recht. Denk doch nur mal daran, wie es war, als sie Niall zum ersten Mal begegnet ist. Sie behandelte ihm wie einen armen Straßenmusiker, der ihre Enkelin verführen wollte." Sie wippte mit dem Kopf und sprach leiser weiter: "Letzteres ist ja irgendwie auch wahr gewesen."
Das erneute Klingeln an der Tür unterbrach unsere Unterhaltung. Das konnte nur Niall sein und ich hatte recht. Ich öffnete ihm die Tür uns zog ihn in einen Kuss. Seine Lippen waren kalt, was kein Wunder war. Das Thermometer stieg nur noch selten über zehn Grad.
"Hey.", echoten wir.
"Bereit meine Grandma wiederzusehen?", grinste ich und pikste ihm in die Wange.
Er verzog das Gesicht. "Wenn sie nicht in dein Leben gehören würde, könnte ich verzichten."
Ich nahm ihn an der Hand, zog ihn in die Wohnung und schloss die Tür hinter uns. "Warte nur was sie zu sagen hat, weil du uns öffentlich geoutet hast."
Er legte den Kopf zur Seite und strich sich durch seine Haare. "Letztes Mal hat sie mir Frieden angeboten, daher hoffe ich, dass die weiße Fahne noch steht."
"Das hoffe ich auch, sonst muss ich die Nacht in der Therme mit meiner Schwester verbringen.", neckend warf ich ihn einen verführerischen Blick zu. Niall grinste verschmitzt und zog scharf die Luft ein.
"Diesen Anblick darf mir keiner nehmen, weder deine Großmutter oder die Queen." Niall zog mich an der Hüfte zu sich, platzierte eine Hand an meinen Hals. Er beugte sich zu mir und streifte mit seinen Lippen meinen Mundwinkel, meine Wange und an die empfindliche Stelle an meinen Hals entlang. Dabei neigte ich meinem Kopf automatisch, um meinen Hals freizulegen. Dieser Einladung ging er natürlich nach. Seine langsam wärmer werdenden Lippen saugten an der Stelle, an dem er meinen Puls fühlen musste.
Ich biss mir auf die Lippe.
Wenn ich mich jetzt nicht beherrschen könnte, könnte es passieren, dass er mir ein Stöhnen entlockt und das wollte ich nicht, schließlich saßen Valerie und Sophie im Nebenraum. Aber was soll ich sagen? Schon alleine die Tatsache, dass er mir von zwei Wochen einen Post auf Instagram gewidmet hat, in dem er öffentlich zugab mich zu lieben. Außerdem hatte er sich darum gekümmert das Video von sämtlichen Seiten sperren zu lassen. Nur bei meiner Telefonnummer konnten wir nichts mehr machen, weshalb ich mir eine neue zulegte.
"Hängt ihr noch immer aneinander oder können wir bald los? Wir verpassen den Flug sonst! Ich mein ja nur..." Valerie klang nicht ernst, sondern eher als würde sie gerade lächeln.
Nach einem kleinen Kuss auf die Lippen ließen wir voneinander ab, verabschiedeten uns von Sophie und fuhren mit Marc am Fahrersitz zum Flughafen.
Der Flug hätte nicht schneller vergehen können. Die gesamte Zeit über kam ich mir beobachtet und verfolgt vor. So war es auch am Campus, nur das ich es mir da nicht einbildete. Nein. Dort war ich das Mädchen, das eine Tortellini Dusche bekam. Von andere wurde ich aber auch Schlampe genannt, weil es ihnen nicht passte, dass ich was mit einem berühmten Sänger hatte. Der Neid zerfraß sie beinahe. Amber bekam nach der Aktion eine Verwahrung. Es war nicht das, was ich mir unter einen geeigneten Strafe vorgestellt hatte, aber es war ein Anfang. Das Essen mit meinen Dad, ähm, Connor fand drei Tage später als geplant statt. Hühnchen ala Art von Amara zauberte ich für ihn. Zuvor hatte ich Valerie extra noch gefragt, was er eigentlich gerne aß. Der Abend verging, wie gewünscht, gut. Wir konnten reden und ich versuchte zumindest zu verstehen, was seine Absichten damals waren, aber ich vergaß die meiner Mutter natürlich nicht. Jeder der Beiden hatte Schuld an allem. Aber schlussendlich machten die Aktionen unsere Eltern Valerie und mich zu den Frauen, zu denen wir geworden sind.
Beim Anblick der rot-weiß-roten Fahne konnte ich deutlich fühlen, wie sich Tränen den Weg nach außen bahnten. Meine Kehle schnürte sich zu und meine Knie wurden weich. Seit fast fünfzehn Monaten hatte ich den Boden meiner Heimat nicht mehr betreten. Das Gefühl von Heimweh hatte ich eigentlich nie, aber jetzt, wo ich hier stand und den typische wienerische Dialekt hörte, traf es mich mit voller Wucht. Ich vermisst es hier zu sein. Jetzt war es einmal anders, denn diesmal lief ich zielstrebig durch die Halle zur Gepäckausgabe und Niall oder einer der anderen. Ich war am Zug.
Vorm Flughafen in Schwechat nahmen wir uns ein Taxi. Am späten Nachmittag war es wie immer voll auf der Autobahn und die Baustelle machte das Stau-Problem nur noch unerträglicher. Nicht nur einmal musste der Taxifahrer seine Hupe betätigen. Ich drehte mich zu Niall und Valerie um, die mit großen Augen den Verkehr rund um unser Auto beobachtete. Den Fahrstil des Mannes neben mir würde ich in etwas mit denen von Harry vergleichen - nur das er diesen Stil hier auch wirklich anwenden musste, was bei Harry nicht der Fall war. Er konnte es einfach nicht besser.
Da ich die Einzige war, die daran gedachte hatte Euro mitzunehmen, bezahlte ich den Fahrer, während meine Mitreisenden die Koffer aus dem Kofferraum hievten. Das Anwesen meiner Großeltern hatte sich überhaupt nicht verändert. In der Einfahrt befand sich ein großer Springbrunnen, um den man mit dem Auto fahren musste um wieder hinauszufahren. Der Boden war mit feinen Steinen bestreut und die Wiese leuchtete noch immer saftig grün. Der Gärtner leistete großartige Arbeit.
Gerade als ich meinen Koffer, gefolgt von Valerie und Niall, die sechs Steinstufen hoch tragen wollte, ging die Doppeltür auf. Eine Reihe von Angstellen in schwarzer Kleidung lief auf uns zu und nahm uns die Koffer ab.
"Mein Baby ist zurück!", euphorisch legte meine Oma die Handflächen zusammen, schon beinahe als wollte sie zu Gott beten. Auf ihren Absatz klapperte sie die Stufen hinunter und umarmte mich. Sie sah aus wie immer. Die luftigen Locken hingen ihr bis zu den Schultern und an ihrer Kleidungswahl nahm sie sich augenscheinlich noch immer die Königin von England als Vorbild. Ob ich sie wohl dazu überreden könnte, während der Anwesenheit von Niall und Valerie in Englisch zu sprechen? Valerie konnte genauso wenige Deutsch wie mein Freund.
"Hallo Grandma."
Sie lehnte sich zurück und legte ihre Arme auf meine Schultern. Ich empfand es schon fast als unangenehm, so genau musterte sie mich, jedoch presste sie die Lippen so aufeinander, dass ich annahm, dass sie sich gerade zusammenriss, um nicht zu weinen.
Es dauerte, aber ihre Augen fanden nach kurzer Zeit Valerie die hinter mir stand. Grandmas Hände glitten von meinen Schultern und ich trat zu Seite. Sie atmete laut ein und legte sich eine Hand auf den Mund. Valerie ging es ebenfalls nicht anders. Beide schienen sprachlos. Und Niall war einfach nur froh, dass sie ihn nicht gleich zur Kenntnis nah. Vorsichtig näherten sie sich einander an. Grandma nahm eine der grauen Strähnen von Valerie Schopf zwischen die Finger. Ich ahnte, was jetzt kommen würde. Sie hieß es auch nicht gut als ich mir meine Spitzen blondieren ließ.
"Kindchen, was hast du mit deinen Haaren angestellt?"
Valerie runzelte die Stirn und legte den Kopf zur Seite. Sie verstand natürlich kein Wort.
"Grandma du musst schon englisch mit ihr und Niall sprechen. Keiner der Beiden kann Deutsch."
"Was heißt, sie kann nicht deutsch? Sie ist eine Julien!" Das ist ja nicht ihr ernst!?
Ich ließ die Schulter seufzend fallen. "Sie ist eine Davis. Hier geboren, aber in London bei Briten aufgewachsen." Das müsste doch eigentlich selbstverständlich sein!
Beim nächsten versuch ihre Haarfarbe zu kritisieren nahm sie meinen Vorschlag in Englisch zu sprechen an. Anhand Valeries Gesichtsausdruck konnte ich sofort erkennen, wie ihr die Nörglerin gefiel. Sie tat es aber mit einem höflichen: "Ich musste sie für ein Shooting so färben." ab. Die Lüge wurde ihr abgekauft.
Danach war Niall an der Reihe. Behaglich legte er eine Hand in den Nacken. Er setzte das beste Lächeln auf, aber bei dem finsteren Blick von Grandma hielt er nicht lange stand.
"Mrs Julien, es ist schon eine Weile her...", er räusperte sich. Ich sah, wie er schluckte und mich Hilfe suchend ansah. Ich biss die Zähen zusammen, trat zu Niall heran und nahm seine Hand demonstrativ. Die gesamte Welt wusste es schon, deshalb hatten wir nichts zu verlieren. Schließlich ist es meine Entscheidung, wenn ich an meiner Seite haben will und nicht ihre. Sie sollte sich als an diesen Anblick gewöhnen.
Ein missbilligender Blick lag auf unseren Händen, dass meine Grandma aber mit Kopfschütteln abtat und stattdessen das falscheste Lächeln überhaupt aufsetzte, bevor sie sagte: "Amara, wir haben dir dein Zimmer aufputzen lassen. Für Valerie und Niall ebenfalls. Einzelbetten stören euch doch nicht, oder?"
Valerie und Niall schüttelten den Kopf.
"Niall schläft bei mir." Ich drückte Niall in die Hand. Hatte er so viel schieß vor meiner Großmutter oder war er nur aus Respekt mit allem einverstanden, was sie von ihm wollte?
Grandmas Mundwinkel zuckte. "Nein. Jeder bekommt sein eigenes Zimmer. Wenn ihr irgendwann...", sie machte eine pause und atmete lauf aus, "... verheiratet seid, dann ist es für mich und deinen Großvater natürlich kein Problem. Wir wollen doch nicht noch einmal dasselbe mit dir, wie bei deiner Mutter, durchmachen. Man sieht ja nach all diesen Jahren wozu, das geführt hat. Ich habe eine zweite Enkelin, die ich erst nach zwanzig Jahren kennenlerne. Falls mir euer Vater jemals wieder unter die Augen treten sollte dann..."
"Elisabeth beruhige dich. Lass unsere Gäste doch mal hereinkommen. Wilma bereitet gerade Kaffee, Tee und Kuchen vor." Mein Großvater mischte sich ins Getümmel ein. Er stand mit offenen Armen bei der geöffneten Haustür und grinste von einem Ohr bis zum anderen.
Nur das feinste Porzellangeschirr kam auf den Tisch. Berge an verschiedensten Mehlspeisen tummelten sich auf den Tellern vor uns. Mit größeren Schlucken versuchte ich das heiße Getränk zu leeren, das mir aufgesetzt wurde.
Kamillentee. Lecker.
Valerie versuchte nicht einmal ihren angewiderten Gesichtsausdruck zu verbergen, während Niall und ich unsere beste Miene gaben. Ich wollte Grandma nicht kränken, immerhin wusste ich, wie sehr sie es sich zu Herzen genommen hatte, dass ich nicht mehr abhängen von ihr war. Es passte ihr nicht, dass ich durch Connor selbst genügend Geld besaß, um mir das Studium finanzieren zu können.
Ich war sehr verwundert darüber, dass sie das Thema Niall überhaupt nicht ansprach. Ihr einzige Interesse bestand darauf alles über die Uni zu erfahren und wie Valeries Leben bis jetzt verlaufen war. Sie rümpfte die Nase, als sie erfuhr, wie meine Schwester ihr Geld verdiente. Es passte ihr nicht in den Kragen zu wissen, dass Valerie "ihren Körper verkauft", zumindest drückte sie es so aus. Valerie ging nicht weiter darauf ein. Ich hatte sie bereits im Flieger darauf hingewiesen wie sie tickt. Grandma ist vom alten schlag. Sie ist immer noch davon überzeugt, dass Frauen an die Seite ihres Mannes gehören, der Mann, der arbeitet und die Familie versorgt, während die Frau sich um die Kinder kümmert und an lächerlichen Teepartys statt nimmt. Die Frau muss lediglich eine gute Ausbildung haben, was in ihren Fall hieß zu studieren. Sonst könnte es ja sein, dass man von den anderen versnobten Damen als "Dumm" bezeichnet wurde. Das wäre in etwa so schlimm wie sich mit einer Neureichen zu unterhalten, die ihr Geld durch Gewinnspiele gewonnen haben oder durch diverse Scheidungen. Inakzeptabel. Grandpa war ebenfalls dieser Überzeugung, nur dass dieser eine gute Seele hatte und für neues aufgeschlossen war. Er ging mit der Zeit mit und hatte keine Probleme sich an die heutige Art zu gewöhnen. Er belächelte Frauen nicht die Karriere machten, während deren Männer sich Zeit für die Kinder nahmen - im Gegensatz zu Grandma. Das ist ein Skandal in ihren Augen.
"Ich glaube, an das Verhalten deine Grandma werde ich mich nie gewöhnen."
Ich nickte. "Sie ist eine Frau für sich."
"Das kannst du laut sagen." Niall hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. Ich rutschte näher an in heran und legte meinen Kopf auf seine Brust. Seine Hände lagen um mich. Der Geruch seines Parfums lag in meiner Nase und die Wärme seines Körpers erwärmte mich. Wir lagen eine Weile in Stille in meinem Zimmer. Auf der Tapete spiegelte sich ein Blumenmuster wider, das ich am liebsten übermalt hätte. An einem Regal, das weiter oben an der Wand hing, standen Porzellanpuppen, die mir schon als Kind angst machten. Ihr Blick verfolgte einen. Die Kommode, die direkt gegenüber meines Bettes stand, war aus dunklen Kirschholz und mit kleinen goldenen Vögeln verziert. Am Ende meines hohen Doppelbettes stand eine Truhe, in der Mann die überschüssigen Zierkissen verstaute. Wie die Kommode und das Bett bestand es aus dunklem Holz. Es gab keinen Fernseher, aber dafür ein Bücherregal, mit meinen alten Kinderbüchern, Brettspielen und ein paar weiteren Puppen.
Ich neigte meinen Kopf nach oben und musterte Niall. Er lächelte. Sein drei-tage Bart war ab - was ich schade fand, damit sah er so gut aus. Ich war ihn schon so sehr gewöhnt, dass er mir sofort fehlte. Er passte so gut zu Nialls Gesicht und ließ ihn älter wirken. Ohne Bart sah er aus wie ein Teenager und nicht wie ein fünfundzwanzigjähriger Mann. Früher hatte ich mir immer gesagt, dass ich keinen Freund mit Bart wollte, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass sich das beim Küssen gut anfühlen könnte. Und er sollte nicht älter als zwei Jahre sein - ganz geschweige davon, dass er mein Stiefbruder sein sollte.
Ich hatte oft angenommen, dass ich Lucas irgendwie zusammenkommen werde. Schon alleine, weil es so zu sagen "vorgesehen" war. Wir sollen unsere Familien eines Tages miteinander verbinden, nur dass das niemals geschehen wird. Wir mochten uns nicht auf die Art auf der es meiner Großmutter und seinen Eltern lieb war. Uns verband nur eine Nacht.
Sanft ließ ich meine rechte Hand von seinem Bauch hinauf an seine Wange gleiten. Mit meinen Daumen strich ich darüber. Ich konnte die Gänsehaut auf seiner Haut spüren, als er meine Berührung wahrnahm. Es erstaunte mich immer wieder zu sehen, wie er auf mich reagieren konnte. Er schloss die Augen und legte seine Hand auf meine. "Ich liebe dich", wisperte er und öffnete dabei seine Augen. Seine Wimpern sahen aus diesem Winkel noch länger aus.
"Ich liebe dich auch."
Ein Lächeln huschte über unsere Gesichter. Niall ließ seine Arme auf meine Hüfte wandern. Er zog mich hoch und ich ließ ihn machen, setzte mich auf ihn und beuget mich um ihn zu küssen. Seine Lippen küsste ich zuerst, dann seinen Mundwinkel, seinen Hals hinab, bis an die Stelle, an der er mich immer verrückt machte. Die eine Stelle am Hals an dem ich dieses Mal seinen rasenden Puls spürte. Seine Atmung wurde unter meinen sanften Berührungen schwerer und seine Hände waren bereit mich noch näher an ihn zu schmiegen. Ich stemmte mich hoch. Seine Lippen waren geöffnet und seine Augen ließen mich wissen, was in ihm vorging. Als ich in nur noch ruhig ansah, drückte er sich mit den Ellbogen, unter mir liegend hoch, um mich am Hals zu küssen, doch ich drückte ihn unsanft wieder hinunter. Meine Hand lag auf seiner Schulter. Ich grinste und schüttelte den Kopf. Als diese Male, an denen wir uns Nahe gekommen waren, also so richtig nahe, hatte immer er das Ruder in die Hand genommen. Doch jetzt wollte ich es. Ich war eine starke Frau und das wollte ich beweisen. Einmal sollte er ein Dankeschön von mir bekommen. Er war mit mir hier, obwohl er meine Grandma nicht ausstehen konnte. Niall tat es nur für mich.
Ich setzte mich wieder auf und während ich auf ihn hinab sag, zog ich mir meine Weste aus. Ich ließ sie auf den Boden fallen. Nialls Hände wanderten automatisch an meine Hüfte und seine Augen begutachteten mich, wollten wissen was ich vorhatte.
"Zieh dein Shirt aus."
Niall sah mich an, als würde er denken, dass ich gerade einen Spaß gemacht hatte. Aber das tat ich nicht. Ich wiederholte es mit fester Stimme. "Zieh dein Shirt aus."
Ohne weitere Zweifel streifte er es sich vom Körper und ließ es ebenfalls neben dem Bett zu Boden fallen. Ich rutschte von der unteren Hälfte seines Bauches hinab auf sein Unterleib. Jeans an Jeans konnte ich seine Erektion fühlen. Ich lehnte mich an seinen Oberkörper hinab und verteilte feuchte, quälend langsame, Küsse auf seiner Haut, mit denen ich immer weiter hinunter wanderte, bis ich an den Bund seiner Hose ankam. In mir sprudelte eine Welle aus Gefühlen. Ein prickelndes Gefühl zwischen meinen Beinen machte sich bemerkbar. Niall war nicht der einzige von uns, den das zu gefallen schien. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, aber ans aufhören dachte ich bestimmt nicht. Ich genoss zu sehen, wie er mich mit den Augen auszog, weil er mich wollte. Weil ich wusste, was er sich womöglich in diesen Moment von mir am meisten wünschte.
Ich öffnete den Knopf, zog den Reißverschluss nach unten und zog an seiner Hose. Ich zog an den Stoff seiner Jeans und seiner Boxershorts, bis er die Geduld aus Lust verlor. Niall richtete sich auf und steifte sich seine letzte verbliebene Kleidung vom Körper. Danach legte er sich wieder hin. Er hauchte mir zuvor noch ein "Du musst das nicht tun.", ins Ohr. Aber da lag er falsche. Ich musste es nicht nur, nein, ich wollte es.
Es war nicht das erste Mal, das ich ihn so sah, aber es war immer wieder eine neue Erfahrung. Zwischen seinen Beinen sitzen spürte ich den erwartungsvollen Blick auf mir ruhen. Ich nahm seine Erektion in die Hand, ließ sie auf und abgleiten. Niall schloss die Augen. Seine Atmung wurde lauter und ein noch lauteres knurren erfüllte den Raum, als ich die Lippen um sein Glied schloss. Instinktiv drückte er mir sein Becken entgegen.
"Amara.", keuchte er mit noch immer geschlossenen Augen.
Ich ließ mich von meiner inneren Stimme leiten, die anscheinend alles richtig machen zu schien. Niall beschwerte sich nicht. Sein Körper spannte sich an, als ich meine Bewegungen beschleunigte. Eine Hand von ihm lag auf meinen Kopf und strich mir durch mein Haar.
Er fluchte ganz außer Atem. "Fuck!" Seine Lippen teilten sich und er stöhnte auf. Seine Muskeln begannen zu zucken und ich wusste, was als Nächstes kam. Er zog die Luft ein und hielt die Luft an. Die Flüssigkeit, die er in meinen Mund ergoss, schmeckte salzig. Ich schluckte es, ohne darüber nachzudenken, wie ich darüber dachte.
"Scheiße", keuchte Niall glücklich. Er atmete mit geöffneten Lippen ein und aus und stürzte sich mit seinen Ellbogen ab um sich aufzusetzen. Ein langer intensiver Kuss war die Folge. Ich saß auf seinen Schoss. Seine Hände lagen auf meinen Schenkel und seine Zunge kämpfe mit meiner um Dominanz. Ich fühle in an mir, die Hitze stieg uns beiden zum Kopf.
"Niall." Die Lust in meiner Stimme war deutlich zu hören. Das Hochgefühl in mir war kurz vorm explodieren. Die Art wie er seine Lippen kaum spürbar über meinen Hals wandern ließ, gab mir eine Gänsehaut.
Seine Finger berührten die nackte Haut unter meinem Shirt, glitten hinab und wieder hinauf. Mit der anderen Hand begann er sich an meinem Hosenknopf zu beschäftigen. Als ich es merkte, stoppte ich ihn. Weder er noch ich, wären danach in der Lage aufzuhören. Ich hatte Lust darauf, keine Frage, aber mir wäre wesentlich lieber es nicht im Haus meiner Großeltern zu tun.
"Was ist los?", fragte er, außer puste. Ich sah ihn an, dass er wiedermal dachte einen Fehler gemacht zu haben. Aber so war es nicht. Und ich wollte auch nicht das er es dachte oder überhaupt glaube, dass ich das nicht mit ihm tun wollte. Mit meinen Händen um seinen Nacken sah ich ihn an. Sein Gesicht glänzte.
"Wir sollten den Rest auf später verschieben."
Niall nahm mir meine Tasche ab und schmiss sie auf die Rückbank des Wagens. Ich wusste, dass ich mich auf meinen Großvater verlassen konnte. Er borgte mir seinen Audi. Durch die wenige Fahrpraxis, die ich besaß, hatte ich schon etwas Angst, mich in dieses Auto zu setzte. Aber für Niall tat ich es. Er wäre bestimmt auch gefahren, wenn ich ihm darum gebeten hatte, aber das wollte ich nicht. Schließlich war das Ganze meine Idee. Ich wollte ihm eine schöne Zeit bereiten.
"Ich werde acht geben. Danke nochmal." Ich umarmte meinen Großvater.
"Davon gehe ich aus Kleines." Er klopfe mir auf den Rücken und wandte sich danach zu Niall. "Mr. Horan-"
"Bitte nennen Sie mich Niall", unterbrach Niall ihn.
Großvater nickte. "Niall. Ich wollte nur noch sagen, dass ich sehr glücklich darüber bin, dass meine Enkelin so einen jungen talentierten Mann wie sie gefunden hat. Ganz außer Acht gelassen, dass anscheinend eine gewisse Anziehung zwischen unseren Familien herrschte. Passen Sie bitte gut auf mein kleines Mädchen auf."
Ich sah von Grandpa zu Niall und nahm seine Hand in meine. Es freute mich zu hören, das zumindest er nichts gegen meinen Freund hatte. Vielleicht könnte er Grandma auch von ihm überzeugen.
"Natürlich. Sie können sich auf mich verlassen Mr Julien. Amara ist meine Welt. Ich tue alles für sie." Beim letzten Satz sah er mich an. Ein warmes Gefühl stieg in mir an und kroch mir tief in die Knochen. Er war der Richtige. Wir verabschiedeten und auch noch von meiner Oma und Valerie, die den Abend alleine mit unseren Großeltern verbringen wird. Sie wollten in die Stadt gehen.
Es war bereits nach achtzehn Uhr, als wir endlich im Auto saßen und der dunkeln Straße zur Autobahn folgten. Ich musste mich beherrschen um nicht zu viel Gas zu geben, da dieses Auto viel schneller beschleunigte als mein VW in Irland. Nach einigen Kilometern hatte ich mich daran gewöhnt. Der Tempomat war mir dabei eine große Hilfe. Ich überholte eine Kolone von LKWs und reichte mich rechts wieder ein. Während ich mich auf den Verkehr konzentrierte verband Niall sein Telefon mit dem Radio. Er hatte es wieder. Niall hatte mir gesagt, dass er es bei Holly, als er bei ihr war, um ihr zu sagen, dass sie mich in Ruhe lassen sollen liegen gelassen hatte. Er meinte aber auch, dass er sich vorstellen konnte, dass sie es ihm irgendwie gestohlen hatte.
"Was willst du hören?"
Ich zuckte mit der Schulter, warf einen Blick in den Spiegel und wechselte wieder die Spur. "Ist mir egal. Such' etwas aus das dir gefällt."
"Mir gefällt vieles."
Ich warf ihn einen kurzen Blick zu. "Wir fahren fast zwei Stunden. Genügend Zeit also." Viva La Vide war das erste von vielen Coldplay Songs, die er sich aussuchte, gefolgt von Bon Jovi und The Script. Zu meiner Freude spielte er auch Ed Sheeren und Justin Bieber Songs, bei denen ich mich nicht zurückhielt und wie Niall mitsang. Er war mein Freund und durfte wissen wie es um mein Gesangstalent stand. Niall sang für mich extra ein paar extrem schiefe Töne, die uns beide zum Lachen brachten.
"Hey Niall...", lachte ich und holte tief Luft.
"Ja?"
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie er an seinem Handy zu Gange war, vermutlich auf der Suche nach den perfekten nächsten Song. "Spielst du mir deinen lieblings One Direction Song vor?"
"Sicher. Warte kurz." Die Musik im Hintergrund stoppte und sanfte Gitarrenklänge dudelten aus der Anlage.
I'm like a crow on a wire
You're the shining distraction that makes me fly
Oh home
I'm like a boat on the water
You're the rays on the waves that calm my mind
Niall sang in so einen ruhigen Ton mit, dass ich mir einreden musste nicht verträumt zu ihm zu sehen, sondern mich auf den Verkehr zu konzentrieren. Der Moment hatte etwas Magisches, das ich nicht hätte beschreiben können.
Oh every time
But I know in my heart you're not a constant star
And yeah I let you use me from the day that we first met
But I'm not done yet
Falling for you fool's gold
Mit einem einfachen "Wow", kommentierte ich schließlich die Szene. Das war perfekt und dabei meinte ich das nicht nur, weil mein Freund war oder ein berühmter Sänger. In meiner Gegenwart war er einfach nur Niall. "Das war...", ich schüttelte wortlos den Kopf. "Das war wirklich klasse Niall. Wirklich."
"Danke Amara."
"Du ... du solltest den Song bei einer deiner Shows singen. Ich bin mir sicher, dass mir deine Fans recht geben werden."
Um etwas zwanzig Uhr kamen wir an unserem Ziel an. Ja, ich hatte es wirklich unfallfrei bis zu der Therme geschafft. Ich parkte den Audi meines Großvaters vorsichtig auf einen größeren Parkplatz ein und schaltete den Motor aus. "Ich hoffe, dass es dir hier gefallen wird Niall."
Er beugte sich zu mir und gab mir ein Küsschen auf die Wange. "Das wird es bestimmt. Schließlich hast du es sicher nicht ohne Grund ausgesucht. Ich freue mich auf die Entspannung und die Zeit mit dir alleine. Nur wir beide."
"Ich mich auch."
Wir stiegen aus und während Niall die Reisetasche von der Rückbank nahm, suchte ich die Buchungsbestätigung in meiner Handtasche. Ich schloss den Wagen ab und wir gingen die Auffahrt hoch zum Hotel. Es war eines dieser vier Sterne Hotel. Riesige Kronleuchter hingen von der Decke und im Hintergrund wurde klassische Musik gespielt. Zu dieser Zeit kam man an der Rezeption sofort an die Reihe. Ich füllte das Dokument mit meinen und Niall Daten aus. Danach bekamen wir unsere Badetasche, die automatisch im Zimmer inbegriffen waren. Unser Suite war zweiten Stock an der Linken Seite am Ende eines Flurs.
Es war eine asiatisch gestaltete Themensuite mit edlem Holzboden und cremefarbener Ledergarnitur im Wohnbereich. Ein Drehbarer Flatscreen befand sich an der Wand, den man entweder in das Schlafzimmer drehte oder in das Wohnzimmer. Ein großzügiger begehbarer Kleiderschrank befand sich im Schlafzimmer mit dem herrlichen Doppelbett und dem Balkon mit der modernen Sitzgarnitur von dem man eine gute Sich auf die Poolanlage hatte und den Wald dahinter. Das luxuriöse Badezimmer war aber der Höhepunkt der Suite. In diesen Raum befand sich neben einer großen Badewanne und einer ovalen Dusche, die für zwei Personen ausgerichtet war und mit Regenkopf ausgestattet ist, auch einen Whirlpool.
Vom Hunger geplagt, ließen wir uns zuerst etwas vom Zimmerservice liefern. Während wir auf das Essen warteten, zogen wir uns um und schlüpften in die Bademäntel. Der weiße Stoff war weich und kuschelig.
"Ich freue mich schon auf das warme Wasser", schwärmte ich. Ich sah aus einen Fenster hinab auf den Pool, der im Dunkeln durch die vielen Lampen schön leuchtete. Niall sah über meine Schulter hinweg ebenfalls durch die Scheibe. Wir redeten noch ein bisschen, bis es endlich an der Tür klopfte und unser Essen gebracht wurde.
Inzwischen war es zehn Minuten vor neun. Wir hatten also noch drei Stunden Zeit, bis zum Badeschluss. Durch Nialls Bekanntheitsgrad, fand ich es besser erst Nachts baden zu gehen. Jüngere würden um diese Zeit vielleicht schon weg sein und der Dampf sorgte für gedämpfte Sicht.
Wir entschieden uns dafür nur eine Badetasche mit hinüber zu nehmen, in die wir zwei Handtücher packten. Der Flur war hell beleuchtet, deshalb zogen wir uns die Kapuzen der Bademäntel über, um in das andere Gebäude zu gelangen. Das Hotel und die Therme waren miteinander verbunden. Dazu musste man im ersten Stock über der Rezeption vorbeigehen, auf die man von oben eine gute Sicht hatte, sowie auf einen großen Platz, an dem gerade ein Pianist sein Publikum zum Applaudieren brachte.
Hand in Hand schlenderten wir den Weg entlang, bis wir endlich die Therme erreicht hatten. Wir schwiegen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Die Badetasche legten wir auf eine freie Liege, auf der wir die Handtücher ausbreiteten. Meine Badeschuhe ließ ich bei meiner Liege verweilen, da ich immer ohne Schuhe herumlief. Niall tat es mir gleich. Zuerst wollte ich ihm die Kinderwelt zeigen, die auch etwas für Erwachsene war. Es war ruhig, genau wie ich es wollte. Die meisten Kinder und ihre Eltern waren bereits verschwunden. Das Licht war gedämmt und nur wenige Lampen erhellten den großen Raum, in der sich eine Piratenbucht befand. Das Wasser leuchtete angenehm blau. Die Bademäntel legten wir an einen freien Stuhl ab. Hand in Hand zog ich Niall in das warme Wasser. Das Gerüst, das neben uns im Wasser stand spritze Wasser auf uns hinab. Wir gingen weiter hinein und ließen uns bis zu den Schultern hineinfallen. An der rechten Seite des Beckens befand sich ein Kanal.
"Komm, lass uns da reingehen", forderte ich und nickte in die Richtung des Kanals. Niall folgte mir und ließ sich von der sich darin befindeten Strömung mitreißen. Außer uns trieb noch ein kleiner Junge im Wasser, der uns keine Beachtung schenkte. Ich hielt mich an Nialls Rücken an und ließ mich von ihm und der Strömung ziehen. So zogen wir unsere Runden. Ich war froh, dass ich hier mir Niall sein konnte. Es war mal etwas ganz anderes. Wir waren alleine und von allen abgeschottet, die unsere Leben sonst vergiften konnten. Ich hörte das Klingeln eine Glocke was bedeutete, das es so weit war.
"Niall, wenn wir wieder beim Ausgang ankommen müssen wir raus." Er nickte und zog und aus der Strömung hinaus in den Hauptteil des Beckens. Große Welle beherrschten das Wasser.
"Das ist echt cool", grinste Niall, nahm mich an der Hand und marschierte mit mir nach vorne, wo es tiefer war. Er drängt mich an sich und hielt mich nahe. Ich hielt mich an seiner Schulter fest und sprang mit der nächsten Welle hoch. Meine Beine schlang ich dabei um seinen Bauch und meine Hände fanden ihren Weg an seinen Nacken. Ich vergrub meine Finger in seinen Nackenhaaren. Da die Wellen Zeitbedingt waren, merkte man bereits wie sie von Sekunde zu Sekunde weniger und leichter wurden, bis wir schlussendlich wieder im ruhigen Wasser standen. Seine Stirn lag auf meiner. Doch dann quiekte ich auf. Kaltes Wasser traf mich direkt am Kopf. Es kam von oben. Auch Niall wurde nasse. Ich ließ von ihm ab und tauchte unter. Als ich wieder an der Oberfläche ankam, sah ich hoch. Ein kleiner Junge stand außerhalb des Beckens, dessen Rand ein Schiff war. Da wo eigentlich bei einem Piratenschiff die Kugeln bei einem Angriff rausfliegen, war ein schwarzes langes Ding, mit dem man Wasser auf die Badegäste spritzen konnte. Der kleine Junge lachte heiter und auch wir stimmten mit ein.
Wir probierten sämtliche Rutschen aus und später nutzten wir die Gelegenheit, um zu klettern. Von der einen Seite des Raumes, bis zur anderen, war ein Barkur aus Seilen gespannt. Um in die richtige Höhe zu kommen, musste man zuerst etwa fünfzehn Stufen hoch und dann ging es an. Unter mir befand sich ein dickes Seil, wie man es aus Schiffen kannte. Es war extra dick, damit man genügend Platz hatte um darüber gehen zu können. Links und rechts befand sich ein Netz, das bei jeder Berührung mehr und mehr wackelte. Man musste sich aber daran festhalten, da man sonst das Gleichgewicht verlor. Niall stand bereits auf der nächsten Plattform und hielt mir die Hand hin. Taumelnd ergriff ich sie noch. Er zog mich hoch. Nun standen wir sicher wieder zwei Meter weiter oben. In zwanzig Metern Entfernung befand sich die nächste Plattform, nur dieses Mal, war es kein dickes Seil, über das man laufen musste, nein, sondern eine Brücke aus schwarzen Platten. Nett wie ich war, ließ ich Niall erneut den Vortritt. Die Brücke schaukelte hin und her. Er ging vorsichtig ein paar Schritte nach vorne, bis er schließlich einfach über die restlichen Platten lief und mit einem Ächzen die nächste Plattform erreichte. Gehen schien hier keine gute Idee zu sein, deshalb nahm ich etwas Anlauf und ließ geradewegs zu Niall hinüber, der mich mit offenen Armen erwartete. Wir mussten noch zwei weitere Kletteraufgaben absolvieren, bis wir schließlich wieder auf den Fliesen unten am Wasser ankamen.
"Meine Fersen tun weh", murmelte ich. Barfuß über alle diese Seile zu klettern war wohl keine gute Idee.
"Meine auch Babe", er küsste meine Schläfe und legte einen Arm über meine Schulter.
Während ich in meinen Bademantel schlüpfte, legte Niall ihm sich lediglich über die Schulter. Mir war kalt. Ich zog den Mantel fest um mich und band ihn vorne zu. Wir ließen die Piratenbucht hinter uns und gingen in den anderen Teil der Therme, der auf tropische ausgerichtete war. Beim Vorbeigehen unserer Liegen schmiss ich meinen Bademantel zu meinem Handtuch. Niall nahm seinen mit. Hier war es wesentlich wärmer. Das erste Becken, in das wir uns stürzten, hatte eine Wassertemperatur von sechsunddreißig Grad. An der Stelle, an der wir uns gerade befanden konnten weder er noch ich stehen. Deshalb schwammen wir weiter in die andere Richtung des Beckens und suchten uns einen freien Platz auf den Sprudelliegen. Ich schloss die Augen für einen Moment und ließ mich von den Düsen am Rücken massieren. Vor uns befand sich eine hohe und breite Leinwand, auf die ein Strand projiziert wurde. Wellen brachen hart an einer weit entfernten Felsen. Kleine Vögel flogen durch das Bild, während ein atemberaubendes blaues Meer den Sand befeuchtete.
"Ich möchte auch irgendwann mal einen schönen Strandurlaub machen", seufzte ich. Ich war schon am Meer, aber die Strände waren immer aus Kies. Einmal würde ich gerne den Sand zwischen meinen Zehen spüren und mich darüber ärgern, dass er an Stellen gekommen ist, an denen Sand nicht sein sollte.
"Das könnten wir mal machen."
Ich sah zu Niall. Er hatte die Augen geschlossen. Wasser perlte von seinem Haar und seine Wange hinab. Er genoss es hier zu sein und ich war glücklich darüber. Ich rückte näher an ihn heran und legte meinen Kopf auf seine Schulter, gerade so, dass ich noch Luft bekam.
Wir wechselten das Becken. Dieses Mal befanden wir uns das erste Mal in einen beheizten Außenpool. Es leuchtete in verschiedenen Farben und ein Duft von Himbeere lag in der Luft. Beim Aufguss der Saunawelt von neben an, konnte man in diesen Becken immer die Düfte wahrnehmen. Ein dicker Dampf stieg vom heißen Wasser auf. Auch in diesen Becken, befanden sich wieder verschiedene Düsen zum Entspannen, die wir alle testeten.
Knutschend fanden wir uns in einem Eck des Pools wieder. Meine Beine lagen um seine Hüfte und seine Hände lagen auf meinen Hintern. Niall leckte über meine Unterlippe. Ich stöhnte leise auf, weil er mich neckend in den Po kniff. Er lächelte gegen meine Lippen. Niall zog seinen Kopf von meinen. Der liebevolle Gesichtsausdruck ließ mein Herz flattern.
Seine Augen suchte meine. "Ich will dich niemals verlieren." Sein Ton war sanft, aber es steckte auch ein ernster Tonfall darin. Er hob mein Kinn an, bevor er leise sagt: "Niemals, hast du gehört."
Ich nickte. "Das will ich doch auch nicht." Er schmiegte sich in meine Handfläche, die ich auf seine Wange legte. Ich konnte schon seinen wachsenden Bartansatz fühlen. Es pikste in meiner Handfläche.
Mit geschlossenen Augen wisperte er: "Versprich es."
Woher das plötzlich kam, wusste ich nicht. Aber er wollte es hören, musste es vielleicht sogar hören. Ich tat ihm den Gefallen. "Ich verspreche es."
Niall vergrub seinen Kopf in meiner Halsbeuge und gab mir einen Kuss unter mein Ohr. Ich schloss die Augen und genoss die Nähe zu ihm. Mir ist etwas aufgefallen an ihm. Seit letzter Woche war er anhänglich geworden. Nicht das es mich störte, aber ich konnte es einfach fühlen, irgendetwas stand noch immer zwischen uns. Ich konnte mich auch noch gut an den komischen Tonfall erinnern, als er an seinem Geburtstag über Holly und Amber sprach. 'Sie gehen mir auf die Nerven.'
Er verheimlichte mir etwas, nur wusste ich noch nicht was. Dass Beide sich in London befanden, konnte es nicht. Das wusste ich schließlich. Amber war zu Lillys leiden auch noch ihre Mitbewohnerin und Holly wohnte irgendwo am Rand der Stadt in einem schäbigen Apartment. Zum Glück weit weg von mir und Niall. Ich hätte gerne angesprochen, dass ich fühlen konnte, dass etwas war, was er mir nicht sagte, aber heute wollte ich nicht. Vielleicht war genau das der Grund, warum ich ihn versprechen musste ihn niemals verlieren zu wollen.
Ich beschloss nicht weiter darüber nachzudenken und befreite mich aus seinem Griff. "Komm, wir haben noch einen weiteren Pool zu erkunden.
Das letzte Becken hatte einen tropischen Touch. Die Unterwasserscheinwerfer verfärbten die blaue Farbe zu Grün. Nialls Lieblingsfarbe. Perfekt. "Lass uns da hineingehen", meinte ich und deutete auf die Korallen Grotte. Es war eine runde Hölle, mit einer Steinwand und in der Mitte befand sich ein Wassertank. Ein riesiger Gesteinsbrocken war in dessen Mitte. Große und kleine rosa leuchtende Korallen saßen darauf und bunte Fische kreisten ihre Runden.
"Ich habe ja schon vieles gesehen, aber so etwas noch nicht", staunte Niall. Hinter und an der Wand waren Sitzmöglichkeiten. Ich setzt mich und zog Niall am Arm neben mich. "Ein Aquarium im Wasser", schmunzelte Niall. Luftblasen stiegen unter uns an die Wasseroberfläche.
Die letzte Stunde bis zum Badeschluss verbrachten wir in diesen Pool. Wir holten uns Getränke an der Wasserbar und genossen die Zweisamkeit im Außenbereich, der von Palmen und Sand umgeben war. In der Mitte thronte eine Säule, auf der Feuer flackerte. Romantik pur.
In unserer Suite fielen wir übereinander her. Seine Badehose und mein Zweiteiler lagen am Boden verstreut. Die Bademäntel warfen wir in hohen Bogen in das Badezimmer. Nichts und niemand könnte uns jetzt noch davon abhalten.
Ich keuchte laut auf. Nialls kalte Finger strichen an der Innenseite meines Oberschenkels hoch bis zur meiner Mitte. Er berührte mich, ließ seine Finger kreisten und drang damit ein. Erneut blies ich die Luft aus. Mein Becken reckte sich im zu. Er liebkoste meine Brüste, sog daran und kniff leicht zu. Mir war nicht nur heiß, nein, innerlich brannte ich schon. Stand in Flammen und wollte nur noch die Erlösung fühlen. Sein warmer Atem an meinen Hals machte mich verrückt und der Finger der bis eben noch in mir war, zog eine feuchte Spur über meinen Körper.
"Niall", stöhnte ich.
Er küsste mich mit Druck und ließ seine Zunge in meinen Mund gleiten. Wir rangelten, drehten uns herum und erkundeten unsere Körper. Ich wollte ihn. Jetzt.
"Du bist umwerfend." Er schluckte. Ein Kuss auf meinen Mundwinkel, gefolgt von Nase und Stirn folgten. Sein Atem streifte meine Wange. Mit den Händen neben mir stemmte er sich hoch. Ich sah ich zu, wie er vom Bett aufstand und zur Reisetasche hinüberstampfte. Ich konnte nicht anders, als seine nackte Figur zu begutachten. Meine Wangen wurden noch wärmer, als sie ohnehin schon waren. Niall spürte meine Blicke und lachte leise. Das Rascheln, das aus seinen Händen kam, ließ mich auf seine Hände schauen. Meine Mutter war plötzlich vor meinen inneren Augen. Vor fast drei Monaten hatte sie sich noch Sorgen darum gemacht, dass wir nicht verhüten würden. Er riss die Verpackung auf und setzte sich auf das Ende des Bettes. Immer wieder warf er mir ein verstohlenes Lächeln zu, bis er endlich das Kondom in den Fingern hielt. Kurz überlegte ich, ob ich es ihm übersteifen sollte, verwarf den Gedanken schließlich doch. Irgendwie ließ mich alleine der Gedanke daran Scham verspüren. Er zog es sich über und verlagerte die Haltung um scheinbar über meinen Körper zu schweben.
Spielerisch drückte Niall sein Becken immer wieder an meines. Ich seufzte, was ihm zum Lachen brachte. Ich bog meinen Rücken ungeduldig durch, um ihn noch näher zu sein.
Niall hob grinsend eine Braue. "Ungeduldig?"
Was für eine Untertreibung. "Spann mich nicht auf die Folter."
"Na gut." Seine Lippen senkten sich auf meine hinab. Es fühlte sich so unglaublich an, als wären wir für einander gemacht worden. Die Zärtlichkeit die er an den Tag legte, machte mich verrückt und doch wollte ich den Druck spüren, den er absichtlich zurückhielt. Sekunden später stieß er das erste Mal in mich hinein. Er bewegte sich nur langsam. Meine Fingernägel krallen sich in seinen Rücken. Ein "Fuck.", entfuhr seinen Lippen, die an meine gepresst waren. Mein Bein legte sich über seinen Oberschenkel, um noch mehr platz für ihn zu machen und mein Unterleib zog sich bei seinen schneller werdenden Stößen zusammen. Meine Lider flatterten. Ich schmeckte den salzigen Schweiß auf meiner Lippe und liebet das Gefühl von Nialls Kopf, den er in meinen Hals vergrub. Ohne es zu beachsichtigen, erwischte ich mich dabei, wie ich seinen Namen stöhnte. Es stachelte ihn an.
"Mhm," hörte ich ihn murmeln. Unsere lauten Atemzüge beherrschten den Raum und das Geräusch unserer verbundenen Körper. In diesen Moment wünschte ich mir, dass ich damals gewusst hätte, dass ich meinen Seelenverwandten begegnen würde. Er hätte mein allererster sein sollen.
Mit jeder Bewegung trieb er mich mehr und mehr an meinen Höhepunkt heran. Ich begann unter seinen Bewegungen zu zittern. Die Luft blieb mir weg und ich spannte meinen gesamten Körper an.
"Amara ... ich ... ich liebe dich so... scheiße!", keuchte Niall. Er hielt inne und sein Kopf sank nur wenig darauf atemlos auf meine Brust. Ich sah luftschnappend auf ihn. Sein Haaransatz war feucht. Seine Lippen plazierten einen kleinen Kuss auf meinen Brustkorb, bevor er seinen Kopf hob, mich leicht lächend ansah und zwische seinen Atemzügen sagte: "Ich wollte ... sagen ... dass ich dich ... so sehr liebe."
Nialls Sicht
Ihre Brust hob und senkte sich unter mir. Jede Kurve ihres Körpers passte wie angegossen an meinen und ich liebte es. Liebe jeder Millimeter von Amara. Vorsichtig um sie nicht zu erdrücken stemmte ich die Arme neben sie in die Matratze. Amaras zärtliche Hände hielten mich an der Seite meines Bauches fest. Ich gab ihr einen Kuss auf die Nase, rollte mich vom Bett ab und entledigte mich des Kondoms. Irgendwie konnte ich noch immer nicht ganz realisieren, was wir gerade getan hatten. Vorgestellt hatte ich es mir schon oft, aber dass es ausgerechnet heute passieren würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie es mit später ernst meinte. Vermutlich war es auch besser so. Kaum vorstellbar, wie gequält ich sonst den ganzen restlichen Tag gewesen wäre.
"Fühlst du dich noch fit genug, um den Whirlpool mit mir auszutesten?" Amara deutete mit den Daumen auf nebenan. Ein schiefes Grinsen umspielte ihre pinken Lippen.
"Was für eine Frage? Na sicher!" Zielstrebig ging ich auf sie zu und zog sie an der Hand hinter mir nach. Das Lachen meines Mädchens war Musik in meinen Ohren.
Wir genossen die Zeit zusammen, unterhielten uns über Gott und die Welt und kuschelten uns später gemeinsam in das Bett. Ich hielt sie eng an mir, da ich wusste, dass sich das alles schon in Kürze ändern würde. Meine Gedanken kreisten ständig darum. Wie soll ich ihr das nur sagen? Würde sie es verstehen und akzeptieren? Schließlich konnte ich nichts dafür. Auch ich wurde die ganze Zeit über nach Strich und Faden belogen. Ich wünschte, ich könnte die Zeit um ein Jahr zurückdrehen ...
Ich hätte vieles anders gemacht. Hätte mich gleich auf meine Gefühle für Amara eingelassen und nicht noch erst überlegt, ob ich Holly und mir wieder eine Chance geben sollte. Der erste Moment, in dem mir das erste Mal auffiel, wie schön Amara eigentlich war, war als sie am Heimweg von Dublin in meinen Wagen eingeschlafen war. Sie hatte Angst vor dem Gewitter, das in der Nacht über das Land zog und schlief keine Minute. Ich bin damals extra einmal auf einer Raststation stehen geblieben, um sie näher zu betrachten. Das offene lange braune Haar bedeckte ihr Gesicht. Ich kann mich noch an das Geräusch ihrer ruhigen Atmung erinnern. Aus einen mir unbekannten Grund hatte sich dieser Moment fest in mein Gedächtnis gebrannt.
Als ich danach für eine Woche die Stadt verlassen musste, erwischte ich mich immer wieder dabei an die schlafende Amara zu denken. Ich beobachtete ihr Twitter Profil und überlegte, ob ich zu Hause anrufen sollte, um sie an das Telefon zu bekommen. Der weiche Klang ihrer Stimme fehlte mir irgendwie und ich wollte wissen, ob es ihr genauso erging wie mir. Am Flug nach Hause überlegte ich, wie es wohl wäre sie auf ein Essen einzuladen. Einfach nur um zu sehen, wie sie so tickt. Stiefschwester hin oder her - ich wollte sie besser kennenlernen. Schlussendlich habe ich sie zum Golfen eingeladen. Auch jetzt noch würde ich mich am liebsten dafür Ohrfeigen. Erstens, hätte ich damals schon die Initiative ergriffen wäre unser Streit nie passiert und zweitens, wie konnte ich nur so bescheuert sein und Holly dazu mitnehmen? Sie sah so billig in ihrem knappen Outfit aus. Und beim Aufpassen von Theo übermannten mich die Schmetterlinge. Ich fühlte mich magnetisch an sie gezogen. Der Moment in der Besenkammer, war der erste Augenblick, in dem ich mich gefragt hatte, wie sich wohl ihre Lippen anfühlen würden. Und auch ob sie mich weggestoßen hätte, wenn ich es versucht hätte.
Die Zeit in London hätte ich nur allzu gerne mit ihr alleine verbracht. Nur um zu sehen, wie sie sich in meiner Welt tun würde. Aber es war vollkommen okay, dass auch Sophie mit war. Sie ist Amaras beste Freundin und ich wollte auch sie kennenlernen. Schon damals war ich mir sicher, falls ich mich nicht irren würde und Amara dasselbe für mich empfand wie ich für sie, dann musste ich auch mit ihrer Freundin auskommen. Zu Beginn war Sophie alles andere als einfach. Sie hat in meinem Zimmer gewühlt und mir einen meiner Pullover geklaut. Es dauerte, bis sich ihr Fan-Gehabe legte und wir eine normale Unterhaltung führen konnten. Ich musste zugeben, dass ich sogar stolz auf Sophie war. Sie hatte wirklich großartige Leistung beim Dreh des Musikvideos gebracht, sogar so gute, dass sie nun für Davina und Co arbeitet. Sie hat ihre Chance ergriffen und sich weiterentwickelt. Die Zukunft stand ihr offen und ich war davon überzeugt, dass sie das Beste aus dieser Chance machen wird.
Unseren ersten Kuss hatte ich mir anders vorgestellt - nicht, dass ich eine spezielle Vorstellung davon hatte, aber das ich mich vorher noch an der Bar volllaufen würde, war nicht so geplant. Wären diese nervigen Frauen nie in mein Leben getreten ging es mir und Amara viel besser. Egal um was für ein Drama es ging, man konnte immer sicher sein, dass Amber oder Holly Teil davon waren. Der ganz Mist war auf ihre Köpfe gewachsen.
Ich konnte mich noch ganz genau daran erinnern, wie es sich angefühlt hatte in das Loch zu stürzen, als wir von den Hochzeitsplänen unserer Eltern erfahren hatten. Es war, wie ein Schlag ins Gesicht der mir deutlich machte, mit wem ich die Nächte verbringen wollte, wenn ich meine Zuneigung und Liebe schenken wollte ... einem Mädchen, das sich meine Stiefschwester nannte. Von einem auf den anderen Moment fühlte es sich komisch an und ich brauchte etwas Abstand zu ihr. Doch jedes Mal, wenn sie den Raum betrat, konnte ich nicht anders als sie zu mustern. Gerne hätte ich gewusst, welche Gedanken ihr durch den Kopf gingen, während sie mich nur fragend anstarrte.
Meine abwehrende Art kam dabei bestimmt mies rüber, aber ich wusste es zu diesem Zeitpunkt nicht besser.
In diesen zwei Monaten war ich ein Stammkunde an Marlons Bar. Oft hätte ich minutenlang die Pub-Tür angeglotzt und gehofft, dass Amara mir vielleicht gefolgt wäre, um mich auf meine schroffe Art anzusprechen. Aber das tat sie nicht. Nie.
Ich nahm es ihr auch nicht übel. Die Neuigkeiten unserer Eltern hatten sie sicher auch nicht kalt gelassen und dann auch noch von mir zu ignoriert zu werden tat ihr bestimmt weh.
In diesen Moment studierte ich die Karte des Zimmerservices. Mein Magen grummelte schon, seitdem ich vor etwa fünfzehn Minuten das Telefonat mit meinem Vater beendet hatte. Voller Stolz erzählte er mir, dass er und Kate bereits das Gästezimmer gestrichen hatten. Eine gelbe Wandfarbe mit aufgeklebten Wolken. Das Gitterbett von Amara und mir stand bereits bereit Ende oder Anfang des nächsten Jahres zusammengebaut zu werden. Während es bei Kate erst Anfang Februar so weit sein würde, war bei Denise der Geburtstermin noch dieses Jahr an Silvester. Sie ging aber schon davon aus, dass es wieder früher losging, weil es bei Theo genauso war.
Ich bestellte also das Essen und wartete darauf, dass Amara ihre morgendliche Dusche hinter sich brachte, um mir Gesellschaft zu leisten. Während ich am Handy war, lief der Fernseher im Hintergrund. Es war irgendein Musiksender, der alles durch die Bahn spielte. Auf Twitter kursierte das Gerücht, dass Harry sich auf meiner Geburtstagsparty komplett abgefüllt und sich auf mich übergeben hatte. Irgendwie hatten die Daily Star sogar herausgefunden, dass er bei mir am Sofa eingepennt war und Amara nach Hause fuhr. Manchmal fragte ich mich, ob eine Wanze in meinen vier Wänden angebracht war. Aber ich wusste, dass es nicht so war. Schließlich wäre mein kleines Geheimnis sonst nicht mehr geheim.
"An was denkst du?", riss mich Amara aus den Gedanken mit ihrer zuckersüßen Stimme. Ihr feuchtes Haar hatte sie sich nach hinten frisiert und ihr Körper wurde von einem einfachen weißen Handtuch bedeckt.
Ich kratzte mich an Nacken und lehnte mich nach hinten. "Mach dir keine Sorgen. Es ist nichts. Ich habe Frühstück bestellt, du solltest dich mit dem Umziehen beeilen."
Amara presste die Lippen aufeinander und es schien, als würde sie von meinem Gesicht ablesen wollen, ob ich ihr die Wahrheit erzählt habe. "Du würdest mir sagen, wenn etwas nicht stimmt, oder?"
"Ja. Es ist wirklich nichts Babe." Ich stand auf und ging auf sie zu. Meine Handflächen umfassten ihre warmen Wangen. "Ich liebe dich und gestern Nacht war einfach nur perfekt." Unsere Nasenspitzen berührten sich. Das Grün in ihren Augen schillerte. Ich liebte es, wenn sich das Licht in ihren Augen brach und sie mich in genau diesen Moment ansah. Ich stellte mir dann immer vor, dass sie nur meinetwegen so strahlten. Jede einzelne Zelle meines Körpers verspürte den Drang sie für immer festzuhalten. Niemals hätte ich damit gerechnet so von meinen Gefühlen überrannt zu werden. Ich dachte immer so etwas passiert nur Filmen. Oft muss ich mich schon selbst dabei ermahnen nicht zu kitschig zu sein, schließlich sollte Amara meine Männlichkeit nicht anzweifeln. Ich war durch und durch ein Mann mit Willensstärke, der wusste, was er wollte.
"Niall", wisperte Amara.
"Hm." Ihre Haare rochen so gut nach Vanille.
"Es klopft.", erklärte sie. Seufzend ließ ich von ihr ab und ging zur Tür um das Essen in Empfang zu nehmen. Als ich mich umdrehte und das Essen in das Zimmer gefahren wurde, sah ich, dass Amara sich in Zimmer zurückgezogen hatte. Gut so, denn ich wollte nicht, dass jemand anders sie nur im Handtuch bekleidet sah.
Nachdem wir gegessen hatten, packten wir unsere Taschen und machten uns auf nach unten zur Rezeption. Amara bestand darauf, dass ich schon mal zum Wagen ging. Sie hatte mir den Autoschlüsseln noch mitgegeben, so konnte ich die Taschen gleich in den Kofferraum legen und mich auf meinen Platz am Beifahrersitz setzten. Es dauerte geschlagene fünfzehn Minuten, bis ich ihren braunen Schopf am Eingang herausspazieren sah. Ihr langes Haar wehte im Wind und blieb auf ihren Lippen kleben. Mit einer Handbewegung strich sie sich ihr Haar aus dem Gesicht, das Sekunden später wieder an Ort und Stelle klebte. Mit schnellen Schritten erreichte Amara das Fahrzeug und stieg schnaufend ein. Der Schlüssel steckte bereits und die Standheizung blies warme Luft aus. Sie rieb ihr kleinen Hände aneinander. "Der Wind macht es ganz schön kalt", bibberte sie.
Der Verkehr auf der Autobahn war heute nicht sonderlich stark. Für die Mittagszeit hätte ich mit schlimmeren gerechnet. Amara wollte noch in der nächsten größeren Stadt abfahren und einen kleinen Einkaufbummel machen. Mir war es recht, so kamen wir erst später und ich musste Elisabeth nicht noch länger ertragen. Heute Abend fand ihre Geburtstagsfeier statt. Dazu hatte ich mit extra meinen besten Anzug mitgenommen. Zumal ich wusste, wie viel wärt diese Frau auf das Erscheinungsbild legte. Amara wollte beinhart in Jeans und Pullover erscheinen, um ihrer Großmutter klarzumachen, dass sie selber entscheiden wollte, was sie trug. Ich hingegen wollte keinen Ärger. Für dieses eine Wochenende wollte ich mich ihren Willen beugen und so tun, als würde ich nicht spüren, dass mich absolut nicht ausstehen konnte. Elisabeth Marie Julien sollte mich für diese drei Tagen von meiner besten Seite kennenlernen.
Amara parkte den Wagen ab. Da ich eigentlich nicht davon ausgegangen bin, dass ich mich verkleiden müsste, hatte ich auch dementsprechend keinen Hut, Mütze, Schal oder irgendetwas anderes mit. „Ich glaube, es ist besser, wenn ich hier auf dich warte."
„Was?" Amara legte den Kopf zur Seite. „Ach, komm schon mit. Ich möchte dich hier nicht warten lassen Niall. Wir werden gar nicht auffallen."
Davon war ich weniger überzeugt. „Ich möchte doch auch nicht hier warten, aber..."
Sie unterbrach mich. „Ich will kein aber hören. Dieses eine Wochenende lang, wollte ich, dass wir uns wie ein normales Paar verhalten. Ein Paar, das auch gemeinsam einkaufen geht." Amara schob schmollend die Unterlippe vor.
Seufzend gab ich schließlich nach. „Na gut."
Mit meinem Arm um Amaras Schulter gingen wir an den Schaufenstern verschiedener Geschäfte vorbei. Bis jetzt lief alles nach Plan. Niemand drehte sich auch nur ansatzweise nach uns um oder starrte uns an. Ich genoss es einfach einmal wie ein normaler Mensch mit meiner Freundin etwas zu unternehmen. England war in dem Sinne einfach anders. Dort wussten die Leute das sie mir über den Weg laufen konnten. Doch hier, war es nicht so. Für die, die mich kurz musterten, war ich nur eine Person die Niall Horan ähnlich sah.
Unseren ersten Halt machten wir bei P&C. Während ich mir einen neuen Gürtel und eine neue Jacke gekauft hatte, fand sich Amara drei Paar Jeans und eine neue Handtasche. Ich saß vor den Umkleidekabinen und wartete darauf das Amara endlich fertig mit anprobieren war. Sie kam heraus und betrachtete sich im Spiegel. Die Jeans passte wie angegossen. Ich musste zugeben das ihr Hintern durch die skinny Jeans noch mehr einladender auf mich wirkte. Wären wir nicht in einem Geschäft gewesen, wäre ich vermutlich auf sie zugegangen und hätte sie gepackt.
"Sag mal, warum trägst du eigentlich immer Jeans? Die paar Mal, die ich auf einer Hand abzählen könnte, in denen ich dich in einem Kleid gesehen haben sahst du immer ... naja ... scharf aus."
Amara sah mich durch den Spiegel an. "Hast du etwa etwas gegen meine Jeans?"
"Was?", ich hob beide Brauen und leckte mir über die Lippen. "Nein, auf keinen Fall. Glaub mir ich genieße die Aussicht in vollen Zügen." Sie kicherte und es kam mir so vor, als würde sie ihren Hintern extra mehr ausstrecken, damit er noch voller aussah. Dieses Biest.
"Ich weiß auch nicht", sie drehte sich mir zu "Ich fühle mich einfach so komisch und freizügig, wenn ich ein Kleid trage. Das passt irgendwie nicht zu mir."
Ich legte den Kopf zur Seite und biss mir auf die Unterlippe. Meine schmutzigen Gedanken kreisten in meinen Kopf herum. "Schade ich hätte dich gerne mal im Kleide geno-" Es war vermutlich besser still zu sein, deshalb schnitt ich mich selbst im Wort ab.
"Was hättest du gerne?", fragte Amara und sah mich schelmisch grinsend an. Sie wusste, was ich gerade sagen wollte.
"Ach, nichts", winkte ich ab. Amara nickte grinsend, drehte sich um und ging zu den Umkleidekabinen. Doch bevor sie den Vorhang zuzog, sagte sie: "Wenn du willst, darfst du mir ein Kleid aussuchen gehen. Wenn du mich unbedingt in einem sehen willst, dann tue ich dir den gefallen."
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, stand auf und ging zu einem Kleiderständer an dem ich Kleider sah. Es war nichts dabei, dass ich auch nur annähernd schön fand. Ich suchte weiter und entdeckte ein schwarzes Kleid an einer Puppe. Ich kannte mich nicht mit Kleidern aus, deshalb war es für mich einfach ein Kleid in Schwarz gehalten. Am Preisschild stand: Black Baby Doll. Es hatte zwei dünne Träger, wirklich sehr dünne, eine flache Ebene in denen Amaras handvolle Brüste sicher passten und ging danach wie ein Ballon auseinander. Eine Verkäuferin gab mir auf meine Bitte nach einer der Kleider in derselben Größe, die auch die Puppe trug. Meinen Augenmaß nach müsste es ihr eigentlich passen.
"Was sagst du dazu?", fragte ich Amara und hielt das Kleid hoch, als ich sie bei den Umkleidekabinen fand.
Ihre Augen weiteten sich etwas. "Ähm ... ist doch schon ein bisschen kurz, oder nicht?"
"Ach, du bist doch auch nicht sonderlich groß."
Amara warf mir einen bösen Blick zu. "Ich tue mal so, als hätte ich das nicht gehört." Sie nahm es mir aus der Hand und verschwand damit hinter einem roten Vorhang. Es dauerte nicht lange, bis sie mit dem Kleid auf ihren Körper aus der Umkleide kam. Sie machte eine vollständige Drehung und strich sich mit den Fingern über den Stoff.
"Amara du ... Scheiße ist das kurz!" Auf meine Wortwahl hin begann sie zu lachen. Es passte ihr, aber mir war es doch etwas zu viel Beinfreiheit.
"Wie sehe ich aus?", fragte Amara unschuldig.
Ich blies wortkarg die Luft aus und rieb mir die Stirn. "Also ... ... bücken darfst du dich auf keinen Fall."
Amara schmunzelte. "Ja, dasselbe habe ich mir auch schon gedacht. Aber es ist schön. Du hast Geschmack." Sie lächelte mich über ihre Schulter hinweg an. "Ich denke, ich werde es eine Nummer größer nehmen."
"Du ... du kaufst es?", fragte ich überrascht. Ich hatte wirklich nicht, damit gerechnet, dass sie sich wirklich nur meinetwegen ein Kleid zulegen würde.
Amara ließ die Schultern fallen. "Du würdest dich doch darüber freuen oder etwa nicht?"
"Ja, ja schon, aber ich will dir keines aufzwingen. Wenn du es nicht willst, ist das komplett in Ordnung."
"Hm." Sie presste die Lippen nachdenklich aufeinander und sah sich in den Spiegel. "Ich werde es nehmen." Bevor sie wieder zurück in die Umkleide ging, gab sie mir einen Kuss auf die Wange.
Nachdem wir bezahlt hatten, suchten wir uns einen Platz bei einem Italiener. Amara hatte recht. So ein Tag als normales Paar war etwas sehr Tolles. Ich versuchte wirklich jede Sekunde davon zu genießen. Oft stelle ich mir die Frage, was wohl passiert wäre, wenn ich nie Sänger geworden wäre. Auf der anderen Seite befürchte ich, dass so mein Vater nie auf Kate gestoßen wäre, schließlich habe ich meinen Vater den Ski Urlaub bezahlt. Es war ein Geburtstagsgeschenk. Er hatte mir immer davon erzählt, wie er mit seinen Eltern als kleiner Junge dort über die Piste geflitzt ist und da dachte ich mir, ich bereite ihm damit eine kleine Freude. Kate war nur ein Bonus zu dem Ganzen (Amara natürlich auch).
Wir bummelten noch durch einige Geschäfte und machten uns danach auf den Rückweg zum Wagen. Auf Amaras Bitte hin machten wir noch einen Stopp bei einem Tierpark. Zu dieser Jahreszeit hatte der Park nur noch bis fünfzehn Uhr geöffnet, deshalb hatten wir, als wir um dreizehn Uhr dort ankamen, noch genügend Zeit, um eine Runde zu drehen. Wir hatten auch Tierfutter gekauft und fütterten die Tiere damit. Das viele bergauf gehen war ich nicht gewohnt, deshalb ging mir auch schnell die Puste aus.
"Du bist ja überhaupt nichts gewöhnt!", lachte Amara. "Gehst nicht gerade du jede Woche ins Fitness Studio?"
Ich holte tief Luft. "Ich war schon seit zwei Wochen nicht mehr. Und da laufe ich am Band nur gerade aus und nicht bergauf.", versuchte ich mich zu rechtfertigen.
Amara legte den Kopf grinsend schief. "Ach, gib doch einfach zu, dass du es gewohnt bist nur mit dem Auto herumgefahren zu werden. Du fährst ja auch immer mit dem Lift hoch in dein Apartment."
"Ich gehe auch nicht acht Stockwerke hoch. Würdest du doch auch nicht."
Anstatt zu antworten, grinste sie nur. Wir zogen unsere Runde durch den Zoo, tauschten verliebte Blicke aus und küssten uns vor dem Löwengehege. Manchmal schoss ich Fotos von Amara, wenn sie gerade nicht hinsah. Diese Schnappschüsse, waren nicht gestellt, deshalb sahen sie authentisch aus. Es war süß, wie sie die Nase kräuselte, als der Esel das Futter von ihrer Handfläche leckte.
Der Schotter unter unseren Schuhen knirschte. Das Lachen von Kindern war schon von weitem zu hören und Familien mit Kleinkindern liefen an uns vorbei. Nur selten sahen wir Junge Erwachsene wie uns.
"Heute ist ein toller Tag", meinte Amara, die lächelnd zu mir aufsah. Ihr Blick glitt hinunter an unsere Hände, die Hand in Hand miteinander verbunden waren. Das Lächeln auf ihren Lippen verschwand langsam und ihr Blick ruhte kurz darauf auf den Kies-Boden vor uns. "Niall?"
"Hm?" Ich musterte sie. Manchmal wünschte in ihren Kopf sehen zu können.
Amara drückte meine Hand etwas und strich sich danach eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. "Könntest du dir vorstellen, dass es immer so sein könnte?" Sie räusperte sich und fuhr fort: "Ich meine, so wie jetzt. Es ist ein normaler Tag, wie für jedes andere normale Paar. Keine Fans und keine Fotografen. Keine Gerüchte und keine nervige Ex-Freundin."
Nachdenklich blieb ich stehen. Mit meiner freien Hand raufte ich mir mein Haar. Natürlich hatte ich über so etwas schon nachgedacht, aber es so aus ihrem Mund zu hören bereitete mir irgendwie Schuldgefühle. Sie wollte ein normales Leben und eine normale Beziehung, das war etwas das ich ihr jetzt nicht geben konnte. Amara kannte den Preis und ich hoffte, dass es ich es ihr wert war.
Ein seufzend machte mich wieder auf Amara aufmerksam. Sie lächelte leicht und kam auf mich zu. Ich spürte ihre Brust an meinen Oberkörper und die kleine Hand an meiner rechten Seite. Sie leckte sich über die Lippe bevor sie anfing zu sprechen: "Ich würde aber nichts daran ändern wollen. Ich bin der festen Meinung, dass dieses Chaos einfach zu uns gehört. Anders wäre es doch langweilig. Da würde ich sogar noch einmal die Tortellini von Amber in Kauf nehmen, anstatt auch nur eine Sache an uns zu ändern. Es ist eben, wie es ist."
Meine Ohren rauschten, meine Wangen wurden heiß. "Habe ich dir schon einmal gesagt, wie sehr ich dich eigentlich liebe?" Ich legte eine Hand in ihren Nacken, dabei konnte ich ihren Puls auf meinen Finger spüren.
Sie grinste und nickte. "Ich glaube, das hast du mir schon mal gesagt. Eine Auffrischung meines Gedächtnisses würde mir aber bestimmt guttun."
Auch ihre Wangen wurden rötlich unter meinen musternden Blick. "Ich. Liebe. Dich." Wir küssten uns kurz und um die Sache wieder etwas in Schwung zu bringen, packte ich sie am Hintern und drückte sie enger an mich heran. Meine Lippen streiften ihr Ohr, als ich flüsterte: "Haben normale Paar auch Sex im Auto?"
Mit großen Augen neigte sie ihren Kopf von meinen. Ich konnte sehen sie sich beherrschen musste, um nicht zu sehr zu grinsen. "Niall James Horan!", tadelte sie. "Kaum durftest du einmal an den Kuchen willst du gleich wieder ran!"
Ich zwinkerte ihr zu. "Ich denke, ich habe lange genug standgehalten. Glaub mir, es war nicht so einfach, wie du dir vielleicht vorstellst. Also ... hast du bock?"
Amaras Sicht
Die Gänsehaut lief mir über den Rücken und ein warmes Kribbeln machte sich in meinen Magen breit. Seine Augen schimmerten mich gierig an. Er zwinkerte mir zu. "Ich denke, ich habe lange genug standgehalten. Glaub mir, es war nicht so einfach, wie du dir vielleicht vorstellst. Also ... hast du Bock?"
Kichernd schüttelte ich den Kopf. Auf was für Ideen kam dieser Typ denn bitte? Dachte er wirklich, ich würde mich im Auto meines Großvaters, auf den Parkplatz, von ihm besteigen lassen?
Nialls Hände lagen in den Hosentaschen meiner Rückseite. Er kniff mich spielerisch und grinste noch immer. Meine Reaktion ließ ich nicht nachlassen, es war eher, als ob ich ihn damit erst richtig in Fahrt gebracht hätte. Er küsste meine Wange, bis hinab an mein Ohr. Sein warmer Atem an meiner empfindlichen Stelle ließ mein Blut pulsieren. Es war eine Folter zu spüren, wie er mit seiner Unterlippe meinen Hals entlang strich. Nur mit Mühe konnte ich mich zusammenreißen. Ein finsterer Blick einer älteren Dame erfasste mich. An ihrer Hand hielt sie ein kleines Mädchen, das direkt in unsere Richtung starrte.
"Die ... die Leute werfen uns schon ... finstere Blick zu", stotterte ich und versuchte dabei meinen Körper von Niall zu pressen, der mich trotzdem nicht loslassen wollte.
"Hm", hörte ich ihm knurren. "Geben wir ihnen doch eine Show, wenn sie schon glotzen."
Kann mir jemand verraten, wo mein Freund abgeblieben ist? Der, der nicht mal mit mir ins Einkaufzentrum gehen wollte, da er Sorge hatte erkannt zu werden. Das Knutschen in der Öffentlichkeit war eigentlich nicht Nialls Art.
Ich neigte meinen Kopf weg und sah ihn Ernst an. "Nein. Lass uns lieber weitergehen. Wir sollten unser Glück nicht zu sehr herausfordern. Außerdem bin ich mir sicher, dass die Lady da drüben sonst noch mit ihrer Handtasche auf uns losgeht."
Seufzend gab er schließlich nach. "Okay." Seine Hände glitten von mir und ich konnte mich wieder bewegen. Den restlichen weiteren Weg schmollte er still. Immer wieder erwischte ich im, wie er mir auf den Hintern sah, oder auch grapschte. Was nur plötzlich los mit ihm? So 'needy' kannte ich ihm überhaupt nicht. Es schmeichelte mir aber durchaus, dass ich anscheinend so etwas an ihm auslösen konnte. Ich würde es zwar nie zugeben, aber hätte er weitergemacht, hätte er mich um seinen kleinen Finger gewickelt und mich in seine Hölle schleifen dürfen - was in diesem Fall das verdammte Auto von Großvater war. Der Geruch von Sex würde sich auf seine Sitze haften und ich möchte mir diese Peinlichkeit gerne ersparen.
Am Wagen zurück wollte Niall unbedingt fahren. Er meinte, dass ich mich jetzt mal entspannen sollte. Ich nahm an das ihm meine Fahrkünste nicht sonderlich gut gefallen hatten. Bei der wenigen Praxis, die ich hatte, sollte er sich glücklich schätzen, mich überhaupt auf die Autobahn gebracht zu haben. Das hätte ich schließlich nicht für jeden gemacht. Für mich war das die Liebeserklärung schlecht hin - nur das er nichts davon wusste. Es war in etwas so, wie bei meiner Mum und einen ihrer ehemaligen Lover. Es war kein Geheimnis, das mich meine Mutter mit Fertiggerichten und ihren berühmten Braten aufgezogen hatte. Auch wenn sie jetzt wirklich schon viel besser war, konnte ich mich noch gut daran erinnern, wie sie ihr erstes Cordon Bleu für Martin gezaubert hatte. Von außen schien es perfekt durch zu sein, goldbraun wie es eben sein sollte, doch innen war es noch Roh. 'Ich habe es mit viel Liebe gemacht', sagte sie zu ihm noch zuvor.
Während der Fahrt landete seine Hand auf meinem Knie. Er zeichnete Kreise darauf, strich Linien und bahnte sich seinen Weg nach oben. Ich beschwerte mich bei ihm, da ich wollte, dass er sich gefälligst auf den Verkehr konzentrierte, wenn er schon fahren wollte. Niall nahm alles lässig. Er lachte und grinste die gesamte Zeit über nur. Es war schön ihm glücklich zu sehen - auch wenn er mir in diesen Moment auf die Nerven ging.
Sex im Auto. Wie sollte das überhaupt funktionieren? Das müsste doch komplett unbequem sein. Schon alleine die Tatsache, dass man beim Akt gesehen werden könnte, fotografiert oder gefilmt ... Nein. Ich verstand überhaupt nicht, weshalb er das machen wollte. Ob er es schon mal getan hat? Wenn ja, sollte es mich kümmern? Es gab garantiert noch schlimmere Orte, um Liebe zu machen.
"Stellst du dir gerade vor, wie es wäre?", fragte Niall selbstzufrieden. Sein großes Grinsen musste bestimmt weh tun.
"Das hättest du wohl gerne", erwiderte ich trotzend. Dieser Typ und seine Einfälle. Ich schlug die Beine übereinander, um das Gefühl zwischen meinen Beinen zu unterdrücken. Seine verdammten Streicheleinheiten verwandelten mich zu Wackelpudding.
Die Sonne verschwand bereits am Himmel, als wir bei meinen Großeltern ankamen. Niall parkte den Audi an seinen Platz in der Garage ab. Bevor wir überhaupt richtig ausgestiegen waren, stand bereits meine nörgelnde Großmutter neben uns.
"Wo wart ihr so lang? Die Gäste kommen bald!" Sie warf frustriert die Hände in die Luft. "So läuft ihr mir sicher nicht vor meinen Gästen herum!" Ihr Zeigefinger deutete auf unsere Kleidung.
"Das hatten wir auch nicht vor."
"Amara widersprich mir nicht." Tadelnd sah sie mich an.
"Das tue ich doch überhaupt nicht!"
Niall blieb währenddessen still und nahm unsere Taschen aus dem Kofferraum. Seufzend drehte ich mich zu ihm, um ihn die Einkauftüten abzunehmen.
Wir gingen hoch. Unsere feuchten Badesachen gaben wir bei einem Bediensteten ab, der es uns anbot. Bevor Niall mich alleine in meinem Zimmer zurück lies, um sich umzuziehen, küsste er mich. Er dankte mir für das tolle Geschenk. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel amtete ich erstmals tief durch. Ich starrte auf den Karton in meiner Hand. Nun habe ich mir tatsächlich ein Kleid für ihn gekauft.
Ich legte die Tüten und den Karton auf meinem Bett ab und setzte mich daneben nieder. Gestern hatte ich mit Niall geschlafen. Bei den Gedanken daran musste ich lächeln. Es war einfach nur toll. Generell fand ich gestern Nacht und auch den heutigen Tag wunderbar. Wir konnten einfach ungestört wir selbst sein, ohne ständig an andere zu denken. Ich wünschte, es könnte öfter so sein.
"Haben normale Paare auch Sex im Auto?", Niall Worte hallten in meinen Kopf wieder. Warum ließ mich dieser Gedanke nicht los? Ich fand diese Idee komplett bescheuert, musste aber trotzdem ständig daran denken. Mein Unterleib begann zu prickeln. Dämliche Hormone. Es war absurd! Und eigentlich sollte ich fertig machen und nicht über dieses Thema nachdenken. Ja, ich sollte mich anziehen. Grandma platzt sonst noch der Kragen. Dass es ihr nicht passen würde, wenn wir so spät zurückkommen hatte ich mir eh gedacht.
Es klopfte an der Tür. "Amara?", hörte ich von außen. Es war Valerie.
"Komm rein!"
"Hättet ihr nicht früher zurückkommen können?", sie stemmte die Hände an die Taille. Die Tür fiel im selben Augenblick hinter ihr ins Schloss. An Valerie hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht.
"Sorry, aber wir wollten noch etwas unternehmen." Ich nahm mir die Kleidung aus meiner Reisetasche, die ich mir für heute mitgenommen hatte. Die gefaltete Jeans legte ich flach auf das Bett und meine Bluse daneben. Valerie trug bereits das rote Kleid, das sie sich gekauft hatte. Die schwarzen Pumps und die Halskette machten ihr Outfit noch eleganter. Ihr Make-up trug sie nicht so stark wie sonst immer. Es war gerade so viel, um es zu erahnen. "Wie war das Essen?", fragte ich, um vom Thema abzulenken.
Valerie nahm die Hände von ihrer Taille und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Fenster. "Ganz okay. Es war nichts so schrecklich, wie ich zuerst gedacht hatte. Elisabeth ist eine starke Frau, die weiß was sie will. Sie erinnert mich ein wenig an meinen Mum." Mit Mum meinte sie Davina. "Und John ist sehr schlau. Egal über was wir gesprochen haben, er wusste immer irgendetwas, dass ich noch nicht gewusst hatte."
"Es freut mich, dass es so gut gelaufen ist", gab ich zu. Ich dachte, sie würden nicht miteinander klarkommen, daher freute es mich umso mehr, dass ich falsch lag. Ich malte schließlich immer gleich den Teufel an die Wand. So war ich eben. Eine sehr pessimistische Person.
Ich öffnete die Schnürsenkel meiner Schuhe und schlüpfte aus ihnen.
"Sag mal Amara, was ziehst du eigentlich an? Meiner Meinung nach sieht es so aus, als ob du vorhättest die Jeans und die Bluse anzuziehen. Ist das richtig?" Meine Schwester hob eine Augenbraue an.
Ich nickte und zog mir meinen Pullover aus. "Ja, das habe ich vor."
"Mara, dir ist schon bewusst, dass Elisabeth ausflippen wird, oder?"
Hatte sie mich gerade Mara genannt? Und ja, natürlich war mir das bewusst. Ihretwegen hatte ich mich schon oft genug verstellen müssen, ich mochte diese Art von Partys eben nicht. Das war nicht meine Welt.
"Mara?", hackte ich nach. So hatte mich noch nie jemand genannt.
Valerie schmunzelte. "Ja. Val und Mara. Das klingt doch super!"
Ich zuckte mit der Schulter und zog mir mein Shirt aus. "Wenn du meinst." Während ich mir die Bluse anzog, kam Valerie auf mein Bett zu und tippte auf den Karton, in dem sich mein neues Kleid befand.
"Was ist da drinnen? Darf ich es sehen?" Bevor ich überhaupt antworten konnte, schob sie den Deckel zu Seite und nahm mein Kleid heraus. "Wow! Das sieht toll aus! Du solltest das hier anziehen!"
"Ich bleibe bei meiner Jeans."
Valerie legte den Kopf zur Seite. "Ach, du willst rebellieren. Hm? Glaub mir, wenn du das hier anziehst, kommst du auch ans Ziel. Und Niall hätte was zum Schauen."
Ihre Augen scannten das schwarze Kleid. Es würde überhaupt nicht zum Anlass passen und das alleine wäre schon ein gutes Argument um es anzuziehen, aber ich wollte nicht. "Ich habe es doch gerade erst gekauft. Bevor ich es anziehe, möchte ich es waschen."
"Ach Gott! Das ist doch egal. Schlüpf doch mal rein. Für mich ... für Niall." Sie wackelte übertrieben mit den Augenbrauen.
Niall würde bestimmt Augen machen, wenn ich es heute schon anziehen würde. "Ach ... ich weiß nicht."
Valerie seufzte laut und drückte mir das Kleid auf den Leib. "Denk nicht immer nach, mach es einfach."
Der Stoff des Kleides schmiegte sich an meinen Oberkörper. Es war verdammt kurz und ging mir gerade mal bis fast zu den Knien. Wie jedes Mal, wenn ich ein Kleid trug, fühlte ich mich nackt und komisch. Ich kam mir dann immer so beobachtet vor, wobei ich mir sicher war, dass ich es mir nur einbildetet. Genauso ist es auch immer, wenn ich beim Frisör war. Das alles spielte sich nur in meinen Kopf ab, denn wirklich niemand scherte sich um mich.
Gäste schwirrten bereits im Haus herum. Ich konnte das Gelächter und die klassische Musik aus der Anlage hören, als ich aus meinem Zimmer trat. Im selben Moment bog Niall um die Ecke. Er zog sich gerade die Krawatte enger und sah dabei nach unten. Seine Lederschuhe glänzten und sein schwarzer Anzug saß perfekt.
"Er sieht gut aus", flüsterte Valerie, die in ihrem roten Kleid neben mir stand. Das tat er immer. Ich war mir sicher ihm noch nie in einem nicht passenden Outfit gesehen zu haben. Er wusste, was ihm stand. Mein Freund hatte eben Stil.
Nialls Augen wurden groß. "Du trägst das Kleid", bemerkte er. Er beugte sich zu mir herab und küsste mich auf die Lippen. Mir wurde heiß, als ich sah, wie er mich genau betrachtete. "Ich dachte, du wolltest mit Jeans und-"
"Nein, das konnte ich ihr zu deinem Glück ausreden", zwinkerte Valerie ihm zu.
Niall kicherte. "Dann muss ich mich wohl bei dir bedanken. Dankeschön." Valerie trat von einem Bein auf das andere. Bei Nialls Millionen-Dollar-lächeln konnte eben niemand ruhig bleiben. "Ihr seht beide sehr wunderschön aus", setzte er nach und Valerie kicherte verlegen. Während er das sagte, lagen seine Augen aber nur auf mir. Ich weiß nicht warum, aber ich musste mir automatisch auf die Halskette fassen. Das hier erinnerte mich an unser erstes Date. Die Art, wie er mir ansah und die Art wie wir gekleidet waren. Ich konnte mich noch genau an den grauen Anzug und gelb gepunktete Krawatte erinnern. An das Gefühl das er in mir auslöste und die tausend Schmetterlinge, als wir im Heißluftballon standen. Ob wir wohl irgendwann wieder so etwas machen? Eigentlich könnte auch ich ihn eines Tages mal einladen und überraschen. Schließlich konnten Frauen genau Typen einladen. Es musste nicht immer umgekehrt sein. Wir leben schließlich nicht in der Vergangenheit, in der Frauen nicht mal wählen durften geschweige denn arbeiten. Es war ihre Pflicht Kinder zu bekommen und sich um den Haushalt zu kümmern und so eine Frau wollte ich nicht sein. Keine Frau sollte so leben müssen, jede soll ihre Art von Leben leben genauso, wie sie es wollte. Was hieß, Karriere zu machen, mehr zu verdienen als der Gatte, Dates klar machen, oder sich in der Politik gegen Männer zu behaupten. Irgendwann, in näherer Zukunft, sollte es so sein, dass Frauen genauso viel verdienen wie Männer. Es ist deprimieren zu wissen, dass man als das schwächere Geschlecht galt. Wenn Männer die Aufgabe hätten den Nachwuchs zu bekommen, wäre die Menschheit schon lange ausgestorben und das wissen wir. Und sie sind sich dem sicher auch bewusst.
"Lasst uns nach unten gehen. Ich brauche einen Drink", sagte Valerie.
Wir nickend und ich nahm Nialls Hand. Beim Gehen gab er mir einen Kuss auf die Schläfe. Valerie war so nett und half mir bei Haar und Make-up. Jetzt war ich diejenige die einmal mehr trug. Die Haare hatte sie mir nach oben gesteckt. Eine Strähne hing mir dabei schon die ganze Zeit an den Hals hinunter. Sie kitzelte mich, weshalb ich sie mit meinem Finger irgendwie in mein anderes Haar hinein zwickte.
Bei den Treppen ließ ich seine Hand los und hackte sie bei Nialls ein. Valerie hingegen hackte sie bei meinen freien ein. Wir bildeten eine Einheit.
Ein Kellner bot uns Sekt an, den wir dankend annahmen. Doch bevor ich den ersten Schluck machen konnte, sah ich Grandpa. Er stand in seinem besten Anzug und der roten Fliege bei Männern im Kreis. Ich war mir dabei sicher zu sehen, wie sie Visitenkarten austauschten. Er schien schon wieder Geschäfte zu vereinbaren. Das tat er auf solchen feiern immer. Seine Baufirma konnte nie zu viele Aufträge haben.
Valerie räusperte sich leise. "Sind hier immer so viele Leute?"
"Ja. Zu solchen Anlässen laden die Beiden gerne, dass gesamte Telefonbuch ein." Ich trank meinen Sekt in einem Zug aus und stellte das leere Glas auf einen freistehenden Stehtisch. Wir gingen weiter durch das Haus. In diesen Raum spielte ein Pianist etwas von Beethoven. An einen langen Tisch befanden sich verschiedenste Brötchen mit Lachs, Käse und Schinken. Wir bedienten uns und tranken wieder ein Glas Sekt.
Ich sprach mit Freunden meiner Großmutter, die mich schon von klein auf kannten. Denn oft, wenn sie auf mich aufpasste, schleppte sie mich zu den Frauentreffen mit. Dieser Verein schmiss oft Partys und Spendenveranstaltungen. Aber meisten waren es einfache Themenpartys. Durch die Blume wurde dabei öfter, als mir lieb war, mein Kleid bemängelt. Aber scherte mich nicht.
"Amara!"
Ich drehte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Anna Janisch winkte mir zu. Gefolgt von ihrem Mann und ihren Sohn Lucas kamen zu mir. Das erste was sie tat, war mich in eine feste Umarmung zu ziehen. Dasselbe tat auch ihr Mann. Bei Lucas wusste ich nicht so recht, wie ich reagieren sollte, deswegen reichte ich ihm die Hand. Nialls Blick klebte deutlich an mir.
"Du bist doch tatsächlich noch ein bisschen gewachsen", lächelte Anna. Das kam gerade von ihr. Sie hatte mindestens Modelgröße. Eigentlich war ich mir sogar sicher, dass sie eines sein konnte. Genauso wie sie dastand, könnte sie auch für einen Fotografen posieren. Ihre braunen Haare schlugen Wellen, die sich mit den grünen Augen schlugen. Der Hosenanzug war sicher maßgeschneidert.
"Ach Schatz, sprich sie doch nicht immer auf ihre Größe an. Du weißt, dass die das noch nie gerne hatte", meinte David, ihr Mann. Sein Arm lag um sie. "Entschuldigte bitte, Amara."
Ich winkte ab. "Ach, da stehe ich drüber."
Lucas blieb still und musterte mich. Es war mir unangenehm, als all dieser Zeit. Schließlich waren wir sozusagen füreinander versprochen. Mein erster Freund zumindest in gewisser Weise.
"Deine Großmutter hat uns bereist erzählt, dass du in England studierst. Wir sind sehr stolz auf dich. Lucas studiert ebenfalls. Jura, aber das hattest du dir bestimmt schon gedacht, immerhin ist es kein Geheimnis das er eines Tages die Kanzlei übernehmen wird. Er wird ein Meister Anwalt werden, das spüre ich." Anna strahlte ihren Sohn übertrieben stolz an.
Lucas rollte mit den Augen. "Mutter, bitte übertreibe es nicht." Seine dunkelblonden Haare waren um einiges länger als beim letzten Mal, als ich ihn sah. Sie waren nach hinten frisiert und zweit Strähnen hingen ihm gewollt an der Schläfe hinab. Das Gesicht war glattrasiert.
Jemand tippte mich von hinten an. Ich sah über meine Schulter. "Niall und ich holen uns noch etwas zu trinken. Wir nehmen dir etwas mit."
"Okay." Ich war mir sicher, dass sie gingen, da sie sowieso beide keines der deutschen Wörter verstanden, die wir austauschten.
"Ist das die verlorene Zwillingsschwester?"
Ich rieb mir den Nacken. "Ja, aber so nennen wir sie nicht. Ihr Name ist Valerie."
"Oh", sagte Anna leise. Dann sah sie zu David und anschließend wieder zu mir. "Wir werden mal weitergehen. Ich bin nämlich noch auf der Suche nach deinem Großvater."
David lächelte und reichte mir seine Hand. "Es hat mich sehr gefreut dich wiederzusehen Amara. Viel Erfolg in der Uni."
"Danke." Wir schüttelten Hände und ich war froh darüber, diesem Gespräch ein Ende zu setzten. Ich hatte nichts gegen diese Familie, aber es fühlt sich trotzdem merkwürdig an. Vor allem in der Gegenwart von Niall vorhin. Wir hatten noch nie ein Wort darüber gewechselt, mit wem wir das erste Mal geschlafen hatten. Bei ihm war ich mir sicher, dass es Holly war, aber ich hatte noch nie etwas über Lucas erzählt. Ich hatte noch nie daran gedacht und er hatte nie danach gefragt.
"Keine Sorge Amara, wir werden dich hier sicher nicht alleine stehen lassen. Bis deine Freunde zurückkommen wird dir Lucas Gesellschaft leisten", grinste Anna. Als wäre es mit Absicht. Seine Eltern gingen und ließen uns alleine zurück.
Augenrollend drehte ich mich, um der peinlichen Situation zu entkommen. Ich setzte zum Gehen an, aber fühle eine Hand um meinen Unterarm.
"Läufst du jetzt vor mir weg?"
Ich schloss die Augen und atmete laut aus, bevor ich mich wieder zu ihm drehte. "Ich hatte eben nicht das Gefühl, als ob du mit mir sprechen wolltest." Mir kam es wirklich so vor.
"Blödsinn. Natürlich spreche ich gerne mit dir. Aber du und meine Mutter redeten eben am liebsten. Das war doch schon immer so." Lucas legte den Kopf zur Seite. Das Grau in seinen Augen war noch immer so atmen beraubend wie vor drei Jahren. Auffällig langsam wanderte sein Blick bis zu meinen Beinen hinunter. "Das Kleid ist sehr gewagt. Was meint denn Elisabeth dazu"?
"Sie hat es noch nicht gesehen." Ich zuckte mit der Schulter. Irgendwie hoffte ich, dass es auch noch länger so blieb. Ich hatte gerade keine Lust darauf mich zu streiten.
Es gefiel mir nicht wie Lucas sich über die Lippen leckte. "Bist du eigentlich ... noch immer ... so offen? Du weißt schon was ich meine."
Meine Miene verfinsterte sich schlagartig. "Für was hältst du mich? Steht auf meiner Stirn Schlampe? Oder was?"
Er legte eine Hand auf meine Wange. Ich stieß sie weg. "Fass mich nicht an", presste ich durch zusammengebissene Zähne hervor. "Ich habe einen Freund!"
Lucas schmunzelte und hob eine braue. "Ach, ich vergaß. Dieser komische Sänger. Ist er nicht dein Stiefbruder? Ich wusste nicht, dass du dir es auf so etwas stehst. Sonst hätten wir das damals schon in unsere Rollenspiele miteinbeziehen können."
"Idiot!" Zischte ich wütend. Er hatte sich wirklich kein Stück verändert. Schon damals liebe er es mich aufzuziehen. Ich verstehe überhaupt nicht, wie ich mich auf so einen Mist einlassen könnte.
Er lachte feixend. "Jetzt hab dich mal nicht so. Ich mache doch nur Spaß mein kleiner Sonnenschein."
Flashback
Grauen Augen starrten mich an. Egal ob ich mich wegdrehte oder ihn ansah, er wendete den Blick nicht von mir ab. Ich versuchte dem Gespräch zu folgen, dass meine Großeltern gerade führten. Aber er lenkte mich ab. Ich mochte es nicht, wie er mich immer ansah. Es reichte mir schon vollkommen, dass wir von klein auf dazu gedrängt wurden etwas zusammen zu unternehmen. Es fühlte sich an, als wurde ich gezwungen ihn zu mögen, ihn gut zu finden, was bei seinen kleinen Löckchen und den verdammten Grübchen schwer war, nicht zu tun. Er war eine Augenweide.
"Ja, da haben Sie recht. Zum Glück steigen die Aktienkurse gerade wieder an." Mein Großvater nickte bedächtig und Grandma nippte an ihrem Martini. Es war wieder eine dieser langweiligen Partys, die hier ständig stattfanden. Das Haus der Janischs war mindestens so groß wie das von Grandma und Grandpa, aber das hier, war modern eingerichtet und nicht so altbacken wie bei meinen Großeltern. Der Anwaltsfamilie ging es definitiv nicht schlecht.
Eigentlich wäre ich gerne zu Hause, aber Mum musste wieder eine Nachtschicht im Krankenhaus einlegen. Den Job machte sie jetzt seit genau vier Monaten. Als Empfangsdame verdiente sie so genügend, um uns über Wasser zu halten.
Ich spähte über meine Schulter, um seinen Blick erneut zu begegnen, aber Lucas befand sich nicht mehr an Ort und Stelle. Enttäuscht, dass er anscheinend gegangen ist, wendete ich mich wieder Unterhaltung zu. Wäre es nicht respektlos, hätte ich mit den Augen gerollt und laut geseufzt. Auf diesen Mist hatte ich überhaupt keine Lust. Ich verstand nicht, warum ich mich immer schick machen musste, nur um Grandma zu begleiten. Dieses schickimicki Leben war nicht für mich gemacht. Ich liebe das Leben bei Mum, so wie es ist. Nur sie und ich ohne irgendeinen Mann, der sich in unseren Leben einnistete. Sophie war dazu die Kirsche auf der Torte.
Ich hatte nichts gegen den Fraß - so wie es Oma immer nannte -, den mir meine Mum vorsetzte. Sie hatte es eben nie gelernt zu kochen, musste sie auch nie, denn schließlich hatte sie als Kind schon einen Privatkoch, der die Familie Julien immer mit leckeren Essen versorgte.
"Schaut euch doch nur meinen Sohnemann an. Eines Tages wird er das alles hier leiten. Er ist auf besten Wegen, besser als sein Vater zu werden", prahlte David und klopfte Lucas auf den Rücken, der kurz zuvor neben ihm auftauchte.
Lucas lächelte unschuldig. "Vater, lass mich doch zuerst mein Jura Studium machen." Alle lachten, außer mir.
"Amara wird auch studieren. Sie interessiert sich sehr für Geschichte und wer weiß, vielleicht wird auch sie eines Tages den richtigen Mann finden, der unser Unternehmen übernehmen kann. Ich hoffe, dass es jemand wird, er sich mit all den Rechten der heutigen Zeit auskennt. Schließlich ist es kein Geheimnis das unsere Familien schon oft zusammen geholfen haben." Grandma hob den Kopf. So komisch wie sie zu Lucas sah und dann zu mir, ließ mich erahnen was gerade in ihrem Kopf herumschwirrte. Noch offensichtlicher ging es doch nicht mehr.
"Amara?", Lucas räusperte sich. "Darf ich dich vielleicht kurz entführen?"
"Geht nur", meinte Grandma und drückte mich mit ihrer Hand an meinen Rücken etwas nach vorne. Ich starrte sie kurz an, sagte aber nichts außer: "Natürlich."
****
"Deine Art von Spaß kenne ich nur zu gut."
Lucas legte seine Hände in die Hosentaschen. "Bist du noch immer sauer auf mich? Ich dachte, das hätten wir hinter uns."
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Warum ist ein jeder Typ, dem ich begegne, in gewisser Weise bekloppt? Fragt mich dieser Mistkerl doch im Ernst, ob ich noch sauer auf ihn bin.
"Zieh endlich Leine!", zischte ich.
"Du bist ganz schön zickig geworden. Wie hält das dein Freund nur aus?", neckte er schmunzelnd. Er zog die Schultern zurück. "Aber du siehst noch immer gut aus." Er gluckste. "Kannst du dir vorstellen, dass wir vermutlich schon verheiratet wären? Meine Eltern, Elisabeth und John waren ganz schön heiß darauf, dass aus uns ein Paar wird." Lucas leckte sich langsam über die Unterlippe. "Wir hatten eine Menge Spaß."
Meine Augen wurden schmal. "Doch du hast es übertrieben." Bevor ich noch etwas sagen konnte, fühlte ich zwei starke Hände um meinen Bauch. Es war Niall, der seinen Kopf auf meine Schulter stützte. Der Ansatz seines Bartes pikste mich in die Wange. Ich drehte meinen Kopf, um ihn demonstrieren einen Kuss auf die Wange zu drücken.
"Wer ist dieser Kerl?", murrte er und zog dabei eine Augenbraue hoch.
Mit gespielt fröhlich er Miene sagte ich: "Das ist Lucas. Seine Eltern sind die Anwälte meiner Großeltern." Und der Typ mit dem ich das erste Mal geschlafen hatte.
Niall ließ mich leider wieder los und streckte Lucas seine Hand zu. "Ich bin Niall Horan."
"Lucas Janisch." Lucas reichte auch Niall die Hand. Sein Blick fiel auf mich und dann wieder auf Niall. "Ich habe früher mit ihr geschlafen."
Meine Augen wurden groß. Scheiße! Was hat er da gerade gesagt? Habe ich mich verhört?
Ich sah zu Niall, der in diesen Moment die Hand von Lucas seiner nahm. Er lächelte noch immer. Entweder hat er es nicht gehört oder er ist starr vor Schock.
"Und ich schlafe jetzt mit ihr, Arschloch."
"Nett", meinte Lucas trocken.
Die Situation war mir äußerst unangenehm. Es beruhigte mich etwas, als Niall seinen Arm um mich legte und ich meinen Kopf an seine Brust schmiegte. "Wo ist Valerie?", fragte ich in seine Brust hinein. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie nicht da war.
"Deine Großmutter hat sie gefunden. Sie hat sie mitgenommen, um sie irgendwelchen Leuten vorzustellen."
"Die Arme." Ich wusste, wie es war, das fünfte Rad am Wagen zu sein, da man sowieso von nicht eine Ahnung hatte, über das die Fremden sprachen.
Ich sah hoch zu Nialls Gesicht. Sein Kiefer zuckte und seine Augen lagen auf Lucas. Ich wollte hier nicht noch länger stehen. Eigentlich hatte ich nicht gerechnet ihm je wieder über den Weg zu laufen. Ich hatte wirklich nicht gerechnet ihm hier zu begegnen.
"Niall? Hast du nicht gesagte, dass du etwas zu trinken holen wolltest?", fragte ich, um so seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Er hielt kein Getränk in der Hand.
Er blinzelte und sah zu mir hinab. "Ja, hinter uns am Tisch." Ich bekam einen Kuss auf die Stirn. "Lass und etwas trinken." Wir drehten Lucas den Rücken zu und gingen an den Stehtisch, an dem Niall unsere Getränke abgestellt hatte.
Ich sah noch einmal zurück, um zu sehen, ob er uns folgte, aber das tat er nicht. Er drehte auch um und verließ den Raum. Zum Glück.
Niall lehnte sich gegenüber von mir an den Stehtisch. Seine Finger umklammerten das Glas. "Das war also dein Ex?" Er sah mich leicht belustigt an. Fand er ihn so lächerlich?
Ich nickte leicht. "Ähm, ja. Das könnte man so sagen."
"Ich weiß, wir haben noch nie darüber gesprochen, aber ... auf wie viele Kerle kann ich hier stoßen, die sich dein Ex nennen?" Niall legte den Kopf zur Seite. Das spitzbübische Grinsen in seinem Gesicht nahm mir die Angst, dass aus unerklärlichen Gründen sauer wäre.
"Das Arschloch, ist der Einzige", mimte ich sein Wort von vorhin nach. Wir lachten kurz auf. Aber was wusste ich eigentlich von Nialls Ex-Freundinnen? Ich wusste von Holly, aber bei ihm gab es bestimmt auch andere. Es musste andere geben. Wie könnte es nicht.
Ich nahm das Cocktail-Glas in die Hand und nahm einen Zug vom Strohhalm. Die rote dicke Flüssigkeit schmeckte nach Erdbeere. "Und ähm ... wie ...", ich rührte mit dem Strohhalm im Glas herum. "Wie viele sind es bei ... dir?"
"Sieben."
Ich nickte starr und zog erneut am Strohhalm. Sieben. Sieben Frauen vor mir durften schon an ihn ran und ihn ihren Freund nennen. Ich gehe jetzt einfach davon aus das er jeder Frau die drei Worte gesagt hatte, sie Babe nannte, ihnen eine dieser Ketten schenkte und ihnen Songs widmete.
Was denke ich schon wieder? Natürlich musste er jede einzelne gernhaben. Warum sonst, ging er mit ihnen zusammen? Es war aber trotzdem nicht mein Recht mich eifersüchtig zu fühlen. Er ist mit mir zusammen. Er liebt mich.
Niall schmunzelt: "Zumindest muss ich mich jetzt nicht ganz so mies fühlen, weil meine Ex so ein Biest ist. Deiner war ja auch nicht gerade nett."
Flashback
Ich warf einen letzten Blick zurück, bevor wir um die Ecke bogen und ich Lucas nach oben folgte. Seine warmen Finger berührten meine unauffällig. Mir stieg sofort das Blut ins Gesicht. Vor drei Wochen begann das alles genauso. Nach der letzten Stufe ergriff er meine Hand und zog mich den Flur entlang, bis wir hinter einer Mauer aus der Sicht der Gäste verschwunden waren. Er presste sich an mich, vergrub seinen Kopf in meinen Nacken. Er sog an meiner Haut, biss sogar leicht hinein. Meine Knie wurden weich. Die feuchte Spur seiner Lippen zog sich bis an meine Lippen hoch. Lucas Hand lag an meiner Wange und mit seinen Daumen strich er mir über die Unterlippe. "Das letztens hat sich doch gut angefühlt, oder?" Sein warmer Atem schlug mir ins Gesicht. Ich konnte deutlich den Geruch von Zigaretten wahrnehmen.
Mir verschlug es die Stimme. 'Letztens' Mein Herz schlug schneller. Ich nickte, nicht in der Lage zu sprechen. Lucas grinste, bevor er mir gierig küsste und den Flur zu seinem Zimmer hinuntertrug. Das alles geschah heute so schnell. Lippen prallten auf Lippen, Klamotten folgen und Gekeuche lag in der Luft. 'Letzten' ließ er mich mehr Zeit, ging auf mich ein und mich darauf vorzubereiten. Ich heckte keine innigen Gefühle für ihn, er passte nicht zu mir. Sein Aussehen - und mir war egal, wie oberflächlich das war, war dass, was mich anzog. Ich hatte es satt die ewige Jungfrau zu sein und Lucas war heiß und Single. Er fand mich attraktiv, ich konnte es an seinem Blick sehen. Es war auch die Art, wie er mich immer wieder versehentlich berührte und mir immer auf die Lippen starrte, wenn wir miteinander sprachen. Dass ich nicht mehr von ihm wollte, hatte ich zuvor schon gesagt. Er wollte mit mir auf ein Date gehen, das ich dankend verneinte. Niemals im Leben würde ich hier nachgeben.
Ich schnappte tief nach Luft. Auch wenn es beim ersten Mal, nach einigen Minuten nicht mehr schmerzte, tat es jetzt doch wieder etwas weh. Es lag an ihm. Er war unsanft. Meine Finger krallten sich vor Schmerz in seinen nackten Rücken.
"Es ... es tut weh", meine Worte waren kaum hörbar. "Lucas ich-" Er presste seine Lippen auf meine. Seine Zunge fuhr über meine Lippe, aber ich öffnete meine Lippen nicht. Beim nächsten Stoß keuchte ich auf. Mein Kopf reckte sich nach hinten. Der Schmerz verging, genau wie beim letzten Mal. Ich war etwas überfordert, als er mich festhielt und uns rollte. Ich fühlte mich klein, als ich rittlings auf ihn saß.
Meine langen Haare bedeckten meinen nackten Oberkörper. Irgendwie war ich froh darüber, denn der Scham überkam mich. Es war blöd von mir Scham zu fühlen, immerhin sah ich auf ihm. In dieser Position kam es mir vor, als sei er nun noch tiefer in mir.
"Beweg deinen Hüften Amara", befahl er. Die Finger, die vorhin noch so warm waren, kamen mir jetzt eiskalt an meiner Haut vor. Er hielt mich an meiner Taille und schob meinen Körper vor und zurück. Das Grau seiner Augen wirkte von Moment zu Moment dunkler. Seine Wangen glühten rot und seien Stirn glänzte.
"Genau", stieß er hervor, als mich mitbewegte. Das Gefühl war noch stärker und ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut zu stöhnen. Meine Lider flatterten und kurz darauf zog Lucas meinen Oberkörper zu sich nach unten. Er umarmte mich und stieß von unten immer wieder in mich.
Erschöpft fiel ich zur Seite. Ich atmete tief ein und aus. Ist Sex immer so anstrengend?
"Das war so heiß", keuchte Lucas in mein Ohr. Mir lief die Gänsehaut über den Rücken. Er schlang seine starken Arme um mich und zog mich fest an sich. Unsere Lippen trafen aufeinander. Stirn an Stirn lagen wir in seinem Bett. "Wir sollten uns anziehen. Wir werden bestimmt schon gesucht."
"Hm, ja du hast recht. Grandma wir schon eine Panikattacke bekommen, weil ich so lange weg war."
Wenige Minuten blieben wir noch liegen, bevor wir uns aus dem Bett zerrten und wieder anzogen. Ich schloss gerade meinen BH, als ich etwas hörte. Erschrocken drehte ich mich um. Lucas stand mit einer Kamera in der Hand da und schoss ein Bild von mir, während ich in Unterwäsche vor ihm stand.
"Lösch das Bild!" Ich stürmte auf ihn zu, um ihn die Kamera aus den Fingern zu reißen. Aber da er über einen Kopf größer war als ich, erwies sich das als schwer. Er hielt sie so hoch wie er nur konnte.
"Jetzt sei doch nicht so prüde!" Lucas fand das witzig. "Wenn du Lust hast, können wir uns das Video später ansehen und Runde zwei starten." Er wackelte mit den Augenbrauen.
"Was?!"
Video?
Ein Video?
"Ich habe uns gefilmt. Geil, oder?"
Empört schlug ich gegen seine Brust. "Bist du von allen guten Geistern verlassen! Ich glaube, du hast sie nicht mehr alle! Lösche es! Sofort! Dazu habe nicht mein Einverständnis gegeben!"
Warum tut man so etwas? Aus was für einem Grund? Wie kam er auf diese unsinnige Idee uns dabei zu filmen?
Lucas schüttelt den Kopf. "Nein, das werde ich garantiert nicht löschen. Du hättest dich sehen müssen, wie der auf mir geritten bis, wie ein-"
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Ich verpasste ihm eine Ohrfeige. So fest, dass selbst meine Hand schmerzte. So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Er versaute mit dieser Aktion alles. Nur Sex, einfach nur Sex. So hatten wir das ausgemacht. Es war nie die Sprache von irgendwelchen Gefühlen, Dates und vor allem keine Videos.
Lucas wirkte geschockt. Mein Handabdruck spiegelte sich rötlich an seiner Wange wider. Die Kamera fiel ihm dabei aus der Hand. Sie krachte mit dem Bildschirm voraus auf die Marmorplatte des Kaffeetisches. Die Spitze Ecke ließ den Bildschirm zersplittern.
Meine Wange brannte und bevor ich überhaupt reagieren konnte fiel ich mit den fast nackten Hintern auf den kalten Boden. Eine einzelne Träne löste sich auf meinem linken Auge über der pochenden Stelle.
Das war das erste Mal, das mir jemand eine Backpfeife gab und es war meine eigene Schuld. Ich hatte zuerst zum Schlag ausgeholt. Gewalt ist nicht die Lösung.
****
Lichterketten und Laternen ließen den Garten warm hell erscheinen. Eine klassische Band stand auf einem kleinen Podest und spielte an ihren Instrumenten. Ganz ohne eine Weste oder einer Jacke war es etwas frisch. Ich rieb mir fröstelnd die Oberarme.
"Ist dir kalt?"
"Nur ein bisschen."
Aufmerksam wie Niall eben nun mal war, knöpfte er sich sein Jackett auf und legte es mir über die Schultern.
"Dankeschön."
"Immer doch." Wir lächelten uns an. Er beugte seinen Kopf zu meinen hinab und küsste mich leicht auf die Lippen. Hand in Hand gingen wir eine Runde durch den Garten. Wir redeten nicht, was auch nicht notwendig war. Die Stille war angenehm. Und ich war froh darüber, dass wir nicht weiter über Lucas oder Holly sprachen. Ich wollte Niall nicht davon erzählen müssen, was ich mit ihm damals durchgemacht habe. Er sollte es nicht wissen. Bestimmt war es besser so.
Der Garten meiner Großeltern war groß, so groß, dass ich mir immer wie Alice im Wunderland vorkam, als ich als kleines Mädchen hier herumtobte. Etwas weiter hinten, verdeckt von einem Kirschbaum und Hecken, führten ein Steinweg zu einem Pavillon. Die dicken, aus Stein geformten Säulen, hielten das Dach, das mit einer Lichterkette geschmückt war. Efeu schlang sich um das Geländer.
Ich zog Niall hinter mir nach und er folgte brav. Wir stiegen die drei Stufen hoch und ich deutete Niall, dass er mir helfen sollte die beiden Stühle und den Tisch zur Seite zur schieben. Von hier aus, waren die Klänge der Musik nicht mehr so laut zu hören. Aber für diesen Moment reichte es.
Mit einer einfachen Bewegung schlüpfte ich in das Jackett und knöpfte einen Knopf zu.
Ich hob den Kopf an. "Kannst du dich noch an den 24. Februar erinnern?"
Niall runzelte bei meiner Frage die Stirn. "Der Hochzeitstag unserer Eltern. Warum fragst du?"
"An diesen Tag hatten wir unseren Streit. Du hast mir von Holly und ihrer vielleicht Schwangerschaft erzählt." Ich ging einen Schritt auf ihn zu.
"Da war kein guter Tag für uns", merkte Niall an. Traurigkeit klang in seiner Stimme mit. "Und Holly hat mir gesagt, dass sie es nicht ist. Es war falscher Alarm." Er sagte es, als müsse er sich rechtfertigen, doch so hatte ich es eigentlich überhaupt nicht gemeint. Über das stehe ich schon lange drüber.
Ich nickte. Meine Hände legten sich um seinen Nacken. "Ja. Ich weiß, Niall. Ich möchte mir auch überhaupt nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn es anders gewesen wäre."
Ich könnte mir nämlich nicht vorstellen, dass ich für so etwas die Nerven gehabt hätte. Vielleicht hätte ich es versucht, aber ich bin der Überzeugung, dass ich das nicht geschafft hätte. Die Eifersucht hätte mich überrollt und ich könnte dieses Kind nicht akzeptieren. Stiefmama Amara hört sich auch nicht gerade toll in meinen Ohren an.
Seine Lippen teilten sich, als wollte er etwas sagen. Kurz sah er mich wie versteinert an. "Also eigentlich ...", er schluckte.
"Ja?" Hacke ich nach.
Er räusperte sich. "Schon gut, ich habe es vergessen." Ich fühlte seine Hände an meiner Taille.
Und da war das Gefühl schon wieder. Es war wie an seinem Geburtstag, als er bei der Tür hereinkam. Ich wusste, dass etwas sein musste, wie auch in der Therme, als ich ihn versprechen musste, immer da zu sein und auch jetzt. Er verhielt sich eigenartig.
"Niall, was ist los?" Ich versuchte so viel Mitgefühl, wie nur möglich mitklingen zu lassen. Er konnte sich mir anvertrauen, wusste er das nicht? Oder wollte er nicht?
Erneut folgte eine Pause von Niall. "Es ist nichts." Er seufzte.
Ich legte den Kopf zur Seite. "Lüg mich nicht an. Du hast doch etwas. Warum sagst du mir es nicht?" Es verletzte mich etwas, dass er nicht mit mir über sein, offensichtliches, Problem sprechen wollte. Ob es wohl an mir lag und er deswegen immer abblockte?
Sein Griff um meine Taille wurde etwas fester. Es war, als hätte er Angst, dass ich weglaufen könnte. Niall wusste, dass ich so etwas schon machen würde, schließlich wäre es nicht das erste Mal.
"Lass es ... bitte." Sein Tonfall war flehend. "Es ist nichts."
Na gut, wenn er nicht darüber sprechen wollte, dann eben nicht. Irgendwann wird er es mir sagen oder ich finde es eben auf eigene Faust raus. Aber wenn es dann etwas ist, dass er mir schon die gesamte Zeit über sagen hätte sollen, kann ich für nichts garantieren. Ich hoffe nur, dass es wirklich nichts ist und ich einfach nur ein bisschen paranoid bin.
"Okay."
Ich wechselte das Thema, um auf meinen eigentlichen Plan zurückzukommen.
"Tanz mit mir Niall, so, wie wir es schon damals getan hätten sollen." Wir wussten doch beide, dass wir damals schon zusammengehörten. Das Timing passte damals einfach nicht.
Zuerst sah er mich etwas verdutzt über meinen plötzlichen Einfall an, reagierte aber doch schließlich. Nialls rechte Hand rutschte an mein Rückenblatt hoch. Ich lächelte, weil ich wusste, dass er verstand. Wie damals gelernt, legte ich meine Hand sanft auf seinen Oberarm ab. Niall hielt seine linke Hand auf und ich legte meine hinein. Seine Hände waren so warm, strahlten so viel Hitze aus, dass mir heiß wurde. Wir hielten sie auf meiner Augenhöhe hoch. Langsam bewegten wir uns einen Schritt nach hinten, zur Seite und wieder nach vorne. Die gesamte Zeit über sahen wir uns an. Das Gefühl war intensiv, dennoch wunderschön. Zwei Monate waren wir jetzt schon zusammen und ich konnte noch immer die Schmetterlinge in meinen Bauch fühlen. Es war, als würde ich nie genug von ihm bekommen. Ich liebe diesen Kerl so sehr, dass ich mir selbst nicht sicher bin, was ich wohltun würde, wenn ich ihn nicht mehr hätte. Wir sind noch jung, aber es fühlte sich so verdammt gut an. In zehn Jahren sehe ich mich mit Niall noch immer zusammen. Vielleicht in einem Haus, vielleicht mit Kindern, vielleicht auch nur mit vielen Welpen. Wer weiß. Er am Klavier oder der Gitarre sitzend, während ich die Schularbeiten meiner Klasse korrigiere.
"Woran denkst du?" Niall kniff die Augen zusammen.
"An die Zukunft", antwortete ich ehrlich. Dabei versuchte ich dieses 'es ist nichts' zu vergessen.
Er schmunzelt leicht. "Ich hoffe doch, dass ich auch darin vorkomme."
"Du spielst eine kleine Rolle darin", scherzte ich, versuchte aber ernst zu bleiben - was mir nicht gelang.
"Nur eine kleine Rolle? Hm." Seine Nasenspitze berührte meine.
"Mhm.", murrte ich. "Ja, nur eine kleine Nebenrolle."
Niall ließ von meiner Hand ab und begann mich zu kitzeln. Ich quietschte hoch und versuchte mich zu wehren. Ich drehte mich um und er legte seine Arme um mich. "Noch immer eine Nebenrolle", neckte ich Niall, der mir auf den Hals atmete.
"Ach ja?", spielerisch hielt er mich fest. Die erste feine Berührung seiner Lippen an meinen Hals ließen mich scharf die Luft einziehen. Mein Hals war meine Schwachstelle und er wahr sich dem bewusst.
"Das gefällt dir, ich weiß."
Schon alleine für diese Aussage konnte ich mit den Augen rollen, aber dazu müsste ich sie erstmals öffnen. Er machte weiter, drückte seinen Lippen an meinen Hals, während einer seiner Hände mir unter den Stoff meines Kleides ging und meine nackte Haut berührte. Ich biss die Zähne zusammen. Würde ich gerade nicht so ein Hochgefühl verspüren, würde es mich vielleicht interessieren, ob uns hier jemand entdecken könnte. Hoch und runter, hoch und runter. Seine Hand ging immer höher. Ich ließ mich nach hinten an Nialls Brust fallen, als es mir zu viel wurde. Er lachte mir in die Halsbeuge. "Schon genug?"
"Wir sollten Valerie suchen gehen", erwiderte ich stattdessen. Aus irgendeinem Grunde war es mir peinlich.
"Wir könnten aber auch ...", er sah mich fest an, "... weitermachen. Diese 'Idee' lässt mich nämlich noch immer nicht ganz los. Und ... du trägst sogar das Kleid." Niall zwinkerte mir zu. Ich wusste genau, wovon er sprach. Er meinte seine Idee von den Aktivitäten im Auto.
"Niall ... wir sollten wirklich nach Valerie sehen. Nicht das Grandma noch versucht ihr Lucas aufzudrängen."
"Okay", murrte er und ließ mich los. Ich gab ihm ein Küsschen auf die Wange und führte ihn zurück durch den Garten und in das Haus. Ich gab Niall sein Jackett zurück, dass er sich lässig über die Schulter warf.
Die Party war im vollen Gange. Es wurde getanzt, gegessen und getrunken. Visitenkarten wurden getauscht und Frauen lästerten über andere. Auf Valerie und Grandma trafen wir schneller als gedacht.
Irgendwie hatte ich genau das erwartet. Meine Grandma, die in diesem Augenblick versuchte Lucas an Valerie zu verkaufen. Ihr großes Lächeln spiegelte sich aber nicht auf dem Gesicht von meiner Zwillingsschwester wider. Valerie blieb bestimmt nur aus Höflichkeit dort stehen und ertrug die gierigen Blicke von Lucas.
Indes drehte sich meine Großmutter von den Zweien weg und begann ein Gespräch mit einer Frau zu führen.
"Dieser Typ hat wohl das Verlangen nach nur einer Sorte Frauen und es gefällt mir nicht, dass es sich dabei um euch Beide handelt." Niall drückte meine Hand.
Nickend sah ich hoch. "Ja, es sieht ganz so aus." Lucas spielt nur kranke Spiele mit seinen Mädchen, aber davon erfuhr ich erst, nachdem ich mich auf ihn eingelassen hatte. Videos, wie dass von mir, waren dabei nur eine harmlose Sache.
Ruhig beobachtete ich weiterhin die Szene, die sich vor mir abspielte. Lucas lächelte sein bestes Lächeln. Seine Finger strichen an Valeries Wange entlang, vermutlich machte er ihr gerade eines seiner dämlichen Komplimente. Es war eine Masche und meine Schwester sollte dafür nicht ihren Freund Jacob betrügen.
"Valerie!", rief ich unterdrückt. Sie drehte sich zu uns und winkte mir zu. Ich Blick schrie nach Hilfe.
Grandmas harter Blick traf mich. Sie sah die Frau, mit der sie in sprach entschuldigend an und stürmte mit etwas schnelleren Schritten auf mich und Niall zu. Valerie folgte ihr indes unauffällig und Lucas trottete ihr hinterher.
"Amara, was trägst du da? Du siehst aus wie eine dieser Frauen die sich für Geld am Straßenrand anbieten!" Sie schimpfte in gesenkten Ton. Niemand sollte unsere Diskussion hören.
War das ihr versuch mich als Schlampe zu beschimpfen?
"Diese Frauen nennen sich Prostituierte und so schaue ich bestimmt nicht aus." Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Warum konnte sie nicht einfach sagen, dass ich hübsch aussah? Normale Großmutter würden so etwas tun.
Grandma ignorierte meine Antwort und wendete sich direkt an Niall. "Ich bitte Sie Niall, pflanzen sie ihrer Freundin doch etwas verstand ein. Es ist doch unmöglich wie sie herumläuft. In ihrem Kreis würde man doch bestimmt für so ein Aussehen bezahlen."
Niall blinzelte einige Mal. "Mrs Julien, ich weiß wirklich nicht was sie mit meinem Kreis meinen. Denken sie, dass ich und meine Freunde uns Frauen kaufen? Das wir uns Stripperinnen kommen lassen?" Verständnislos schüttelte er den Kopf. "Warum können Sie mich nicht einmal normal behandeln. Ich will Ihnen oder Amara doch überhaupt nichts Böses. Ich liebe ihre Enkelin, ich würde alles für sie tun. Und das habe ich auch bereits ihren Gatten gesagt. Amara sieht in diesem Kleid heiß aus und ich werde ihr nichts anderes sagen. Und wenn Sie sie noch einmal so nennen, bekommen wir Probleme. Niemand nennt Amara so. Egal, ob sie ihre Großmutter sind oder nicht." Er holte Luft und zeigte auf Lucas, der hinter meiner Grandma zum Stehen kam. "Wenn wir schon dabei sind ... versuchen die nicht Amara oder Valerie diesen Lucas aufzudrängen, nur weil Sie denken, dass es gut für das Geschäft sei. Hier geht es doch nur um Geld und da ist Amara bei mir in besten Händen, denn wenn ich wollte, könnte ich Ihr gesamtes Unternehmen aufkaufen. Mit all ihren Mitarbeitern und sogar diesem Haus. Normalerweise prahle ich auch nicht damit, weil ich, dass nicht will, aber Sie legen es darauf an."
Etwas geschockt sah ich von Niall zu Grandma. Ich kann nicht fassen, was er da gerade alles gesagt hat. Gerade er hat sich die gesamte Zeit über immer alles von ihr gefallen lassen, aber wenn es um mich geht, sieht er rot. Valerie hinter meiner Grandma hielt sich eine Hand vor dem Mund.
"Ich-", stotterte Grandma ebenfalls überrumpelt. "Was fällt Ihnen ein so mit mir zu sprechen! Sie Rüpel!"
"Ich sagte nur die Wahrheit."
"Sie verlassen jetzt augenblicklich mein Haus! Raus hier!" Grandma zeigte auf die Haustür. Gäste drehten sich nach uns um. Das wird sie mir ewig vorhalten.
Sie konnte doch Niall nicht hinausschmeißen! "Grandma!", schaltete ich mich ein. "Das kannst du doch nicht tun."
"Und wie ich das kann. Schließlich ist das hier mein Haus." Wie ein kleines Kind stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden.
Ich zog die Augen zu schlitzen und verlagerte mein Gewicht auf das rechte Bein. "Wie du willst, aber dann werden Valerie und ich ebenfalls gehen."
Niall legte seine Hand auf meine Schulter. "Amara ... das musst du nicht."
Ich sah ihn an und sagte etwas leiser: "Doch, wenn du gehst, gehe ich auch."
"Und ich auch", stimmte Valerie mit ein. Sie zuckte mit der Schulter. Val stellte sich neben mich und deutete auf ihre Haare, um Grandmas Aufmerksamkeit zu bekommen: "Ich weiß, ich habe gesagt, die Farbe lässt sich hinauswaschen, aber ... das war gelogen. Meine Haare bleiben so und ich finde sie toll!"
Grandma schnaubte. "Und sie sehen schrecklich aus! Schäme dich, Kind! Wärst du, wie Amara zum Großteil bei mir aufgewachsen, hätte ich sie dir eigenhändig abgeschnitten."
"Dann bin ich froh, dass es nichts so gekommen ist. Mein echte Grandma liebt meine Haarfarbe und ich bin froh, dass ich sie habe. Niall hat recht! Amara sieht in diesem Kleid Ratten-scharf auf und wenn wir beide wollten, könnten wir jeden Typen auf dieser Party aufreißen! Außerdem, wenn Sie denken, dass dieses Kleid kurz ist-", sie deutete auf mich, "... dann sollten Sie eventuell mal meinen Namen googeln. Da sehen Sie, wie kurze Kleider aussehen!"
"Okay! Es reicht!" Ich hob eine Hand. Die Situation drohte zu eskalieren. "Wir holen uns unsere Sachen. Kommt."
Einen letzten Blick warf ich Grandma noch. Ich dachte wirklich, sie würde uns aufhalten, aber das machte sie nicht. Stattdessen sah sie auf den Boden.
"Lasst uns gehen", flüsterte ich eher zu mir selbst, als zu den anderen. Alle anwesenden starrten uns kommentarlos an. Valerie fand es noch notwendig Lucas mit der Schulter anzurempeln.
Das lief nicht so, wie geplant.
Achtlos packte ich die paar Dinge wieder ein, die ich zuvor ausgepackt hatte. Es kränkte mich mehr als ich zugeben wollte, dass sie Niall rausschmiss und es nicht mehr zurücknehmen wollte. Ihr schien es egal zu sein, dass Valerie und ich ebenfalls gingen. Dieses ewige Hin und Her mit ihr, ich konnte es einfach nicht mehr ertragen. Ich verstand Grandma einfach nicht, genauso wenige die Gesellschaft mit der sie sich ab gibt. Daher kann ich durchaus verstehen, dass Mum und sie auch so ein schlechtes Verhältnis zueinander hegen. Mum hatte mich noch davor gewarnt hier aufzukreuzen, aber mir tat es so leid, denn ich wusste, dass sich Grandma schon mies genug fühlte, weil ich ihre Unterstützung nicht mehr benötigte, um die Universitätskosten zu decken. Jahrelang hatten wir vorher schon davon gesprochen ...
Ich behielt das Kleid an, denn ans Umziehen war überhaupt nicht zu denken. Nur mit Mühe brachte ich den Koffer zu, ich musste sogar Niall bitten, dass ich die neuen gekauften Klamotten bei ihm einpacken durfte, da ich sonst keine andere Wahl hatte. Als wir mit Jacken und Koffern die Treppen nach unten stiegen, lagen alle Augen auf uns. Sogar Lucas ließ sich diesen Moment nicht nehmen. Ich sah, wie er ein Glas zum Prosten nach oben hoch. Sein dämliches Grinsen ließ mich innerlich kochen.
"Bleibt doch bitte hier!", flehte mein Grandpa. Es tat mir leid, schließlich hatte ich ihn sehr gern und hätte gerne noch den morgigen Tag mit ihm verbracht. Ehrlicherweise musste ich zugeben, dass ich eigentlich nichts mit ihm und Grandma unternommen hatte. Er zog mich am Ende der Treppen in eine feste Umarmung. "Geht nicht. Ich rede mit Elisabeth."
Grandpa hielt mich eine Armlänge von sich weg fest.
"Grandpa sie wird sich nie ändern. Sie kann nicht einfach Niall hinausschmeißen, nur weil er ihr Mal die Wahrheit gesagt hat. Die ganze Zeit über hat sie ihn schon so mies behandelt, da sollte sie sich wirklich nicht wundern."
Sein trauriger Blick bohrte sich in mich. "Ihr Verhalten tut mir wirklich leid. Du weißt, das habe ich nie gewollt habe."
Ich nickte. "Das weiß ich. Und wir werden uns auch wiedersehen."
"Ich nehme an, dass ich euch sowieso nicht mehr aufhalten kann, deshalb werde ich auch selbst zum Flughafen fahren. So weiß ich wenigstens, dass ihr gut angekommen seid." Er ließ mich los und sah danach über meine Schulter hinweg zu Valerie und Niall. "Kommt, ich fahre euch."
Im Hintergrund wurde getuschelt, als sich mein Grandpa den Mantel anzog und ohne sich bei jemanden zu verabschieden, die Party mit uns verließ. Es passte mir gut in den Kragen, nicht mehr in Lucas Gesicht schauen zu müssen. Er war sichtlich amüsiert über die ganze Sache.
Valerie nahm im Audi von Grandma freiwillig den vorderen Platz. So konnten ich und Niall uns hinten aneinander kuscheln. Mein Kopf ruhte an seiner Schulter und seine Arme lagen um meinen Bauch. Hier und da spürte ich, wie er mir einen Kuss auf den Kopf drückte.
"Weißt du, ...", wisperte er in mein Ohr. "Wenn wir die andere Aktivität verfolgt hätten, wären wir vielleicht noch auf dieser langweiligen Party."
Ich lachte, um Kummer und Sorgen zu verdrängen. Valerie drehte sich auf ihren Platz um und starrte mich mit hochgezogener Augenbraue an und auch Grandma schielte durch den Rückspiegel auf uns zurück.
"Was ist so witzig?"
"Niall hat mir einen Witz erzählt. Er war wirklich gut", ließ ich Valerie wissen und sah schließlich Niall neckend an. "Willst du ihn meiner Schwester nicht auch erzählen?"
Er rieb sich den Nacken. "So gut war er auch wieder nicht. Die Klopf-Klopf Witze eines Freundes von mir, waren noch nie burner."
Die Ruhe kehrte wieder ein. Scheinwerferlichter zogen an uns vorbei. Niemand wusste, was er sagen sollte. Nialls Daumen streichelte beruhigend meinen Handrücken auf und ab. Es gab mir das Gefühl von Geborgenheit.
"Bist du sauer auf mich?", wieder war es Niall, der mir ins Ohr flüsterte.
Ich hob meinen Kopf an um in sein Gesicht sehen zu können. "Was? Nein, natürlich nicht. Warum fragst du so etwas?" Irgendwie fragte er mich das ständig.
Er leckte sich unsicher über die Lippen. "Na ja, ich hätte vielleicht keinen Streit mit deiner Grandma provozieren sollen. Meinetwegen sitzen wir hier. Aber ich sehe es, als meine Pflicht deine Ehre zu verteidigen." Seine Worte gingen mir ans Herz.
"Und dafür liebe ich dich Niall." Ich legte eine Hand auf seine Wange. Es war so dunkel, dass es mir leider nicht möglich war das schöne Blau seiner Augen zu erkennen.
Schneller als es mir eigentlich lieb war, kamen wir beim Flughafen an. Niall hatte zuvor noch am Handy unseren Flug umgebucht. Wir hatten aber trotzdem noch Stunden Zeit die wir am Flughafen totschlagen mussten. Mein Grandpa gab uns einen Kaffee aus. Es war mein erster Kaffee seit Tagen. Nicht mal gestern hatte ich einen getrunken, da Niall uns zum Frühstück Tee mit Milch bestellt hatte. Zumindest sah er aus wie Kaffee.
Den Keks, der dabei war, dippte ich in die braune Flüssigkeit. Dieser Keks hätte ruhig etwas größer ausfallen können. Zucker war jetzt genau das, was ich nach diesem Drama gebrauchen konnte. Ich nahm mir das schmale rote Päckchen neben der Tasse und riss es auf einer Seite auf, um es mir kurz danach in den Mund zu kippen. Der feine Kristallzucker schmolz auf meiner Zunge. Dass ich erst vor guten zwei Wochen mir vorgenommen hatte, mehr auf meine Ernährung zu achten, hatte ich schon lange wieder von meiner to-do-list gestrichen. Die Liste und ich wussten beide, dass das sowieso nichts werden würde. Immerhin lebt man nur einmal und deshalb möchte ich nicht auf meine Pizzen, Burger oder Süßigkeiten verziehen müssen. Niall musste es in Kauf nehmen, wenn er mich wirklich wollte.
"Keks?"
Ich schluckte den Zucker hinunter und nahm Valerie den Keks ab, den sie mir anbot. Das dürre Model konnte sich es anscheinend nicht leisten, einmal einen verdammten Keks zu essen, das ich gleich ein schlechtes Gewissen bekam mich mit Zucker abzufüllen. Ich dippte ihn erneut im Kaffee ein und riss danach das zweite Päckchen Zucker auf. "Für die Nerven", erklärte ich beiläufig.
Grandpa schüttelte lächelnd den Kopf: "Wie ihre Mutter."
Die Verabschiedung unseres Großvaters lief reibungslos ab. Ich musste ihm versprechen mich öfters bei ihm zu melden, da ich, dass bis jetzt nur zweimal getan hatte. Mein Leben war voll von meinem Freund, meinen Freunden und meiner Uni, dass ich das schon mal verschwitzte, lag also nahe.
Hier saßen wir nun am Flughafen in Anzug und Kleider. Komische Blicke wurden uns zugeworfen und Passanten knipsten Bilder von uns. Valerie und Niall wurden erkannt und von Fans umlagert. So schlimm wie am See von Hampstead Heath war es zum Glück nicht. Die Mädchen waren nicht so aufdringlich und ließen Niall genügend Platz zum Atmen. Auch von mir wollen sie Selfies. Der Frage, warum wir hier in Kleidern und Niall im Anzug standen, wichen wir gekonnt aus - also meine Schwester und Niall. Ich begann immer nur zu stottern.
Es war schon nach Mitternacht, als wir in den Flieger Richtung nach Hause flogen. Zwei Stunden Flugzeit trennten uns von London, die ich mit schlafen verbrachte. Ich fühlte mich hundeelend und wünschte mir die Zeit auf gestern zurückdrehen zu können. Gestern Nacht ... Niall und ich. Diese Nacht und die Stunden danach in dem Einkaufszentrum sowie den Tierpark werde ich immer in Ehren halten. Wir waren einfach nur wir und das gefiel mir am meisten. Dieses ständig daran denken zu müssen, dass man die ganze Zeit beobachtet wird, war nerven zerreibend. Außerdem hatte es mich meinen Job gekostet. Drei ganze Tage ging es gut, doch am vierten eskalierte die Situation in Martins Café. Es wurde regelrecht von Fans gestürmt, die mich um Bilder fragten, mich beschimpften und mich von der Arbeit abhielten, bis sogar die Polizei kommen musste. Ich hätte den Job, so wie Sophie mir es vorgeschlagen hatte, weiter machen wollen. Mit dem Geld von Connor kam ich bestimmt in der nächsten Zeit über die Runde, aber ich wollte es nicht sofort ausgeben. Von meinem Gehalt hätte ich die Miete zahlen können und mir wäre auch noch etwas übriggeblieben. Nun blieb mir nichts anders, als an meine Reserven zu gehen.
Am Flughafen in London tummelten sich wie immer viele Leute, sodass wir gut untertauchen konnten. Ein Taxi, das gleich beim Eingang parkte, fuhr uns nach Hause. Zuerst hielten wir bei Valerie an, die sich für das Wochenende bedankte und mich abermals erinnerte, dass sie und Jacob mit Niall und mir auf ein Doppeldate gehen wollten. Dabei nahm ich an, dass Valerie das wollte und nicht ihr Freund. Der Typ mit der Lederjacke schien mir nicht, als wolle er so etwas.
Wir bejahten müde und winkten ihr zum Abschied. Danach nannte Niall dem Taxifahrer seine Adresse. Gähnend lehnte ich mich während der Fahrt wieder an Niall. Ich war dabei erneut einzuschlafen, meine schweren Lider waren der Beweis dafür.
"Schlaf ruhig." Die Stimme war nicht lauter als ein Echo in der Ferne.
Ich öffnete meine Augen. Grelles Licht schien mir direkt ins Gesicht. Stöhnend hielt ich mir eine Hand vor die Augen. Ich brauchte erst ein paar Sekunden, bis ich überhaupt realisierte, wo ich mich befand. Die Decke war hoch und das Bett äußerst weich und der Fernseher an der Wand direkt vor mir, konnte nur ein Reicher kaufen. Normalsterbliche hätte dafür keinen Cent übrig. Um meine Vermutung zu bestätigen, drehte ich mich nach links. Niall lag mit leicht geöffnetem Mund und noch in seinem Anzug begleitet auf seiner Decke und schlief. Er war bestimmt auch schon vollkommen erschöpft, immerhin zog er sich nicht mal mehr um. Trug ich auch noch immer mein Kleid? Ich hob die Decke an und war verwundert.
Niall hatte sich die Zeit genommen mir das Kleid auszuziehen und mir ein eines seiner Shirts anzuziehen. Es war ein schwarzes aus seiner Merch Kollektion. Meine Blase meldete sich, deswegen versuchte ich so leise wie möglich das Zimmer zu verlassen. Ich schlug die Decke beiseite und stieg aus dem Bett, dabei wäre ich schon beinahe über meinen Koffer gestolpert, der mitten im Weg lag. Bevor ich die Tür schloss, warf ich noch einen letzten Blick auf Niall.
Nach dem Toilettengang wollte ich gleich meine Zähne putzen. Ich öffnete den Badezimmerschrank, um die Zahnbürste zu suchen, die ich das letzte Mal hier benutzt hatte. Im inneren fand ich einen Becher in dem die Zahnbürste lag und eine Tube Zahnpaste. Mein Name stand in großen blauen Buchstaben darauf. Was für eine nette kleine Geste.
Als meine Zähne geputzt waren, bürstete ich mir mein Haar. Es war nicht die Bürste von Niall, sondern eine, die ich vor einer Woche gekauft hatte, um hier eine zu haben. Nach der Kündigung war ich oft hier. Schlief auch viermal hier bei Niall, da er mir immer gut zuredete und mich ablenkte. Ich wollte es nicht zugeben, aber die Sache mit Amber in der Uni, zog mich schon noch runter. Aber ich wollte nicht mehr daran denken, deshalb redete ich auch nicht darüber. Jetzt kam auch noch der Streit mit Grandma dazu und die Tatsache, dass ich gestern Lucas begegnen musste ... Ich sehe ihn noch oft in meinen Träumen. Die Ohrfeige schmerzte heute noch, wenn ich daran dachte und obwohl ich zuerst zugeschlagen hatte, fand ich es trotzdem mies von ihm. Er war ein Kerl und hatte es verdient. Ich war nur heilfroh, dass er das Video anschließend vor meinen Augen gelöscht hatte. Es tat ihm leid mich geschlagen zu haben, doch trotzdem vergaben wir uns nicht. Ich ihm nicht und er mir nicht.
In der Küche bediente ich mich an der Kaffeemaschine und machte es mir anschließend mit dem heißen Getränk auf der Couch gemütlich. Ich konnte hören, wie sich die Tür des Schlafzimmers öffnete. Kurz darauf stand Niall im in der offenen Küche. Er lehnte sich gegen die Theke und rieb sich die Augen.
"Gut geschlafen?"
"Mhm", raunte er. Sein Haar stand wild ab und zwei Knöpfe seines Hemdes waren offen. Streckend ging er die zwei Stufen hinab auf meine Ebene. Er lächelte mir zu und begann die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen, nur um es danach auf die Lehen der Couch zu legen. Danach deutete er mit den Daumen hinter seine Schulter. "Ich gehe duschen. Willst du mir Gesellschaft leisten?"
"Ich ... ich gehe dann nach Hause. Ich werde mich dann auf den Weg machen." Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange. Er stellte sich doch mit Absicht ohne Shirt vor mich. Seine Hose saß auch einige Zentimeter tiefer.
"Du willst schon weg?"
"Ja, wenn ich heute schon früher nach Hause komme, möchte ich meine Wäsche machen, mein Zimmer zusammenräumen und auch was für die Uni tun. Ich schreibe am Freitag einen wichtigen Test, für den ich schon das ganze Wochenende nichts getan habe."
Niall wuschelte sich durch sein Haar. "Okay. Dann warte kurz. Ich fahre dich."
Während Niall sich duschte, trank ich meine Tasse aus und zog mich um. Eine normale Jeans und ein Sweatshirt. Ich schlüpfte in meine Chucks und schnürte mir die Bänder zu. Mein Freund kam währenddessen in Boxershorts und mit nassen Haaren aus dem Badezimmer.
"Niall, wo ist eigentlich das Kleid?"
Niall drehte mir den Rücken zu, als er sich vor einen Schrank stellte und nach Socken suchte. "Ich habe es aufgehängt. Ich werde es mit meinem Anzug zu Reinigung bringen."
"Oh. Danke."
Nachdem Niall sich angezogen hatte und anstelle seiner Haare zu föhnen, eine Haube aufsetzte, fuhren wir mit dem Lift nach unten in die Garage des Luxuswohnhauses. Nialls schwarzen Range Rover erkannte ich sofort, aber auch den grauen Porsche, mit dem er mal vor meinem Wohnhaus parkte. Er entschied sich für den Porsche.
Heute war wieder einer dieser Tage an dem es die gesamte Zeit wie aus Eimern regnete. Die nasse Straße spiegelte die Lichter des Verkehrs wider und ich war froh nicht selbst fahren zu müssen. In einer Lücke einige Meter nach meinem Wohnhaus parkten wir uns schließlich ein.
"Ich weiß nicht, wann ich die Woche wieder Zeit haben werde. Am Donnerstag ist das erste Konzert und nächste Woche am Freitag erscheint das Album. Mein Terminkalender platzt aus allen Nähten." Niall sah mich entschuldigend an.
"Das ist schon okay, Niall. Das weiß ich doch."
"Du kommst doch am Donnerstag, oder?"
Ich legte den Kopf zur Seite. Erstens hatte ich keine Karte und zweiten war am Freitag ein wichtiger Test. "Ich habe doch keine Karte ..."
"Du bist meine Freundin." Er hob eine Augenbraue. "Du glaubst doch nicht wirklich, dass du dir eine Karte für mein Konzert kaufen musst."
"Am Freitag steht ein wichtiger Midterm an. Ich möchte wirklich gerne hin, aber wie vorhin gesagt, ich muss auch mal etwas für die Uni tun. Ich mache sowieso viel zu wenig. So war ich eigentlich noch nie. Lernen habe ich bis jetzt immer sehr ernst genommen."
"Du willst lieber lernen, als zu mir auf mein erstes Konzert zu kommen. Das erste Konzert, dass ich ohne meine Jungs spiele ..."
Wenn er es so sagt, bekomme ich gleich ein schlechtes Gewissen. "Niall ich-"
Er hob eine Hand. "Schon gut. Wie kann ich das auch nur von dir verlangen? Vergiss deinen Koffer nicht."
"Ähm ... okay?" Es fühlte sich so an, als hätte er mich gerade aus dem Wagen geschmissen. Irritiert von Nialls plötzlichen Sinneswandel von gut auf genervt(?) oder verletzt (?) stieg ich aus und nahm mir meinen Koffer aus dem Kofferraum. Der Regen durchnässte mich komplett. Bevor ich auch nur an der Haustür ankam, fuhr Niall schon los.
Einige Zeit lang stand ich vor der Haustür im Flur unten. Das Regenwasser tropfte von mir hinab und bildete eine Pfütze unter meinen Füßen. Mein Haar war schon nach den wenigen Metern klatsch nass geworden und klebte auf meiner Stirn, genau wie auch meine Kleidung an meinen Körper klebte. Aber es war mir egal. Alles war mir egal, außer der Tatsachen, dass Niall mich regelrecht aus seinem Auto geschmissen hatte.
Was habe ich falsches gesagt?
Es konnte nur daran gelegen haben, dass ich ihm für Donnerstag absagen musste. Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass sich das als Problem entpuppen würde. Uni ging vor, ich dachte immer, das wäre klar. Scheinbar nicht. Am Samstag hätte ich dann Zeit und das wollte ich ihm auch sagen.
Die unterdrückte Nervosität musste ihm zu schaffen machen. Niall musste nervös sein. Egal wie oft man schon auf einer Bühne gestanden hat, es ist sicher immer mit diesem Gefühl verbunden. Dazu kommt auch noch die Tatsache, dass es sein erstes Konzert ohne seine Freunde war. Aber ganz ehrlich? Ich hatte keine Angst, dass Niall das Haus nicht rocken würde. Musiker zu sein, war ihm auf den Leib geschnitten worden.
Über mir knallte eine Tür ins Schloss. Schwere Schritte halten im Flur wider. Dieser Morgen schien nicht nur bei mir blöd gewesen zu sein. Ich zog meinen Koffer aus dem Weg, als ich sah, wie ein Kerl in schwarzer Lederjacke um die Ecke bog. Die Kapuze war tief über das Gesicht gezogen, sodass ich nicht sehen konnte, welcher unserer Nachbarn schon wieder die Beherrschung verloren hatte. Ohne zu zögern, trat er in den Regen hinaus.
Ich gähnte plötzlich und rieb mir die Augen. Anscheinend waren die vergangenen Stunden Schlaf noch immer nicht genug für meinen Körper gewesen oder ich wurde krank. Was kein Wunder sein würde, schließlich stand ich in nassen Klamotten im kalten Hausflur.
Meinen Koffer zog ich hinter mir die Treppen hoch in den dritten Stock. Ich schloss unsere Wohnungstür auf und rollte den Koffer in die Ecke, bevor ich aus meinen Schuhen schlüpfte und meine Jacke auszog. Ich hielt sie vor mich und ging damit in das Badezimmer von Tobi. Es lag näher und ich wollte die nasse Spur nicht durch das ganze Apartment ziehen.
Hinter mir begann leise Musik aus dem Radio zu dudeln. Ich ging den Flur wieder zurück in die andere Richtung und warf einen Blick in das Wohnzimmer und der Küchennische. Sophie schwang gerade ihren Hintern zu Beyoncé.
"Da ist aber jemand schon in aller Früh gut gelaunt", schmunzelte ich und Sophie viel vor Schreck das Glas aus der Hand.
"Amara!", schrie sie. "Bist du verrückt mich so zu erschrecken! Ich hätte das Glas nach dir werfen können!" Sie deutete auf die Scherben am Boden.
"Hast du ja nicht. Du hast es lieber fallen lassen, als dich zu verteidigen. Wäre ich ein Einbrecher, hätte ich die schon überwältigt."
Sophie stemmte die Fäuste in die Hüfte. "Tja, wenn du mich so erschreckst. Was machst du überhaupt schon hier? Nicht, dass ich dich nicht gerne um mich habe ... aber du wärst doch erst gegen Abend zurückgekommen. Und klatsch nass bist du auch." Sie bückte sich und begann das zerbrochene Glas aufzusammeln.
"Das ist richtig ... und das ist eben der Nebeneffekt von Regen", seufzte ich und ging auf Sophie zu um ihr bei den Scherben zu helfen. Aus der Hocke heraus, öffnete ich die untere Schranktür der Küche und nahm den Mülleimer heraus in dem wir die Scherben entsorgten.
"Also?" Hackte Sophie nach, nachdem ich das Thema fallen gelassen hatte. "Haben du und Niall schon wieder gestritten?"
Ich hielt in meiner Bewegung inne. "Was? Nein." Ein Seufzen entwich meinen Lippen. "Ach, keine Ahnung, aber das hat nichts damit zu tun, dass ich schon wieder zurück bin. Grandma und Niall haben sich, nachdem sie ihn die ganze Zeit über schikaniert hat, in die Haare bekommen. Sie hat ihn aus dem Haus geschmissen."
"Sie hat was?!"
"... ihn rausgeschmissen", wiederholte ich und stand von meiner Hocke auf. Das Glas war zum Glück leer gewesen, sonst hätten wir auch noch aufwischen müssen. Während Sophie noch den Besen schwang, stieg ich in die Dusche und erzählte ihr anschließend die gesamte Geschichte. Auch das Lucas und Niall aufeinandergetroffen waren. Sie war noch nie ein Fan von Lucas, weder damals, noch heute.
Wir setzten uns auf die Couch. "Und?", Sophie zog das U in die Länge, "... wie hat Niall sein Geschenk gefallen." Meine beste Freundin grinste übertrieben breit.
Ich schlug ein Bein über das andere. "Ich glaube, er hatte Spaß. Nein, wir beide hatten Spaß. Es war mal etwas anderes."
"Spaß?", wiederholte sie mich, mit hochgezogener Augenbraue. Eine Strähne ihrer rosa gefärbten Haare fiel ihr über das rechte Auge. "Ihr hattet Sex. Ich weiß es." Als ich nichts erwiderte schlug sie mir auf den Oberschenkel. "Ihr habt es getrieben! Du Luder! Ich bin stolz auf dich!"
"Aua!", quietschte ich hohe und rieb mir leicht lachend den Oberschenkel. Der Schlag hätte wirklich nicht sein müssen. Sophie viel mir regelrecht um den Hals, als wäre der erste Sex mit meinem Freund eine Medaille wert gewesen. Wieso wusste die das überhaupt? Ich war mir sicher, dass es nicht auf meiner Stirn stand und anders aussehen tat ich auch nicht. Sex ändert nichts an einem.
Ihr Augen wurden groß und glänzten. "Wie lange ist er?"
Das wollte sie doch nicht wirklich von mir wissen. Wie kommt sie immer nur darauf, dass ich ihr, das erzählen würde? Am liebsten hätte sie doch eine ausführliche Darstellung ...
"War er recht gekrümmt? Ist er-"
"Sophie!", zischte ich und schüttelte den Kopf. "Hör auf. Darüber werde ich bestimmt nicht mit dir sprechen." Es war mir peinlich, wie sie sich schon wiederaufführte.
Sie legte den Kopf zur Seite. "Jetzt hab dich mal nicht so! Ich erzähle dir im Gegenzug auch etwas über Matts bestes Stück. Korrigiere: Matts langes Stück."
Ich verzog angewidert das Gesicht: "Stopp! Ich will das nicht hören!" Wie ein kleines Kind drückte ich mir die Ohren zu. Sophie begann schallend zu lachen.
Dylan und Enrico werden begeistert sein am Sonntag, um halb sieben von uns geweckt zu werden.
"Okay. Ich bin schon still." Sie zog mit dir Hände von den Ohren. "Apropo Matt ... er hat sich gestern bei mir gemeldet."
Interessiert an dem, was sie zu sagen hatte, hörte ich ihr zu. "Was hat er gesagt?" Ich fühlte mich schlecht, mich ewig nicht mehr bei ihm gemeldet zu haben. Nachdem ich Mullingar verlassen hatte, hatte ich, glaube ich, nur ein weiteres Mal mit ihm telefoniert.
Sophie zog die Beine auf die Couch und setzt sich im Schneidersitz aufrecht neben mich. "Er hat gesagt, dass er am Montag, also ähm morgen nach London reist. Wegen Amber. Er kommt sie besuchen."
"Schön für sie", erwiderte ich und zuckte genervt mit der Schulter. Ich war ihr einen so netten auf aufmerksamen Bruder wie Matt nicht vergönnt. Ich hasse sie ... und Holly.
Sophie legte ihre Hand auf meine Schulter. "Ist auch schön für uns. Er will vorbeischauen. Ich habe ihn unsere Adresse gegeben."
"Ich muss morgen zur Uni und vor allem muss ich jetzt endlich mal lernen. Der Midterm wird mir sonst das Genick brechen."
Sophie rollte mit den Augen. "Genau deshalb habe ich die Schule nach den ersten Gelegenheiten verlassen. Lernen hält einen einfach vom Leben ab. Aus mir ist auch so etwas geworden."
"Eher wegen Niall und Davina", murmelte ich leise. Ohne Nialls nette Geste, hätte Sophie damals nicht auf Davina treffen können. Vielleicht erst dann, als ich und Connor uns das erste Mal trafen. Was aber auch nicht hieß, dass Davina das Model an Sophie entdeckt hätte.
"Wo steckt Tobi eigentlich? Ist er schon wieder bei Peter?" Meinen britischen Freund sah ich in der letzten Zeit immer weniger. Es freute mich für ihn, dass es bei ihm und seinen Freund so gut lief, aber ich verbrachte gerne Zeit mit beiden meiner Mitbewohner.
Räuspernd ließ sich Sophie nach hinten an die Sofalehne fallen und sagte matt: "Der ist nicht da."
"Das sehe ich." Mit einer Handbewegung deutete ich ihr weiterzureden.
"Ach ... er ist bei Peter." Sie seufzte laut. Was war das Problem an der Sache? Ich wusste, dass etwas war, schließlich kannte ich sie schon lange genug, um zu wissen, wann etwas nicht stimmte.
"Sophie." Ich hob die Brauen. "Jetzt sag schon."
Frustriert warf meine beste Freundin die Arme hoch. "Wir hatten einen minimalen Streit."
"Ihr beide hattet Streit?" Ich konnte es überhaupt nicht fassen. Wir hatten noch nie Streit innerhalb unserer WG. "Wegen was? Hast du schon wieder nicht den Müll hinuntergetragen? Oder lagen deine Klamotten wieder herum. Du weißt, wir wollten das hier alles ordentlich bleibt."
"Darum ging es nicht." Ihr Blick ruhte auf der Decke. "Ich habe einen Kerl mit nach Hause genommen."
"Okay", erwiderte ich, noch immer unwissend wo das eigentliche Problem lag. Bei Tobi wusste ich, dass er nichts gegen derartige Aufrisse hatte, schließlich hatte er mich damals selbst in einen Club mitgenommen, damit ich mir einen Typen krallen sollte, einmal benutzen und danach ab in den Müll damit.
"Na ja ...", sie begann auf ihrer Unterlippe zu kauen. "Der Typ und ich gingen hier auf der Couch gerade voll ab, als-"
"Hier!", unterbrach ich sie und sprang wie von der Tarantel gestochen auf. Ich wechselte den Platz auf den gepolsterten Stuhl neben ihr.
"Probiere es doch mal selbst. Ist total gemütlich", erwähnte Sophie beiläufig und erzählte weiter: "... dann platzte er mitten ins Geschehen und wir begannen zu diskutieren."
Irgendwie konnte ich ihr das nicht zu einhundert Prozent abkaufen. Dieses Verhalten passte nicht zu Tobi. Weswegen sollte er mit ihr zu diskutieren beginnen? Lag es daran, dass sie es auf der Couch trieben? "Weil ihr auf der Couch wart oder warum?" Fragend runzelte ich die Stirn.
Sophie setzte sich auf. "Genau. Deswegen."
"Na gut, ich finde es auch nicht gerade prickelnd, dass ihr es auf unserer Couch getrieben habt. Entschuldige dich bei ihm und damit wäre die Sache gegessen."
Wie auf das Stichwort, hörten wir, als sich jemand an der Wohnungstür zu schaffen machte. Schuhe wurden zur Seite gekickt und kurz darauf stand Tobi im Türrahmen. In seiner Hand hielt er eine Schachtel von Dunkin Donuts.
"Amara. Schon zurück?" Er würdigte Sophie keines Blickes.
"Ja, hey." Ich hob die Hand zum Gruß, kam mir danach aber blöd vor. Warum winkte ich ihm? Er stand direkt vor uns.
Als er an uns vorbeiging, sah ich, wie kleine Tropfen Wasser von seiner schwarzen Jacke perlten. Den Karton Donuts stellte er auf der Arbeitsfläche der Küchennische ab, mit den Worten: "Wenn du welche willst Amara, darfst du gerne zulangen. Nur lass mir einen mit der blauen Glasur übrig. Peter mag die gerne." Danach verschwand er in seinem Zimmer.
"Das nenne ich mal eiskalt ignoriert", dachte ich laut, stand auf und nahm mir einen Donut mit einer weißen Glasur und bunten Streusel.
Sophie stand von der Couch auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Blick fiel auf ihre Füße. "Glaubst du, dass er noch sauer ist? Schon, oder?"
Ich biss einen Bissen ab und fuhr mir mit einem Finger über die Lippen, da Glasur kleben blieb. "Ich lehne mich einfach mal ein Stückchen aus dem Fenster und behaupte Ja."
"Kannst du vielleicht mit ihm reden?"
Ich verschluckte mich beinahe an meinem Donut. "Ich? Ich war nicht mal dabei. Es wird schon halb so schlimm werden. Entschuldige dich einfach bei ihm. Ich bin mir sicher, er nimmt die Entschuldigung an."
Dann tat Sophie etwas, dass sie eigentlich nie tat. Sie begann an ihren Fingernagel zu kauen. Was war nur los ihr? Vorher benimmt sich Niall schlagartig merkwürdig und nun meine beste Freundin. War das abgesprochen? Testen beide meine Nerven? Oder wozu das alles? So früh morgens sollte man eigentlich noch sorgenfrei sein.
Ich legte meinen angebissenen Donut auf einem kleinen Teller ab. Ihr Verhalten machte mich neugierig darauf zu erfahren, was Tobi zu dem Sachverhalt zu sagen hatte. Ich wollte mich nicht einmischen, wollte aber wissen, was abging. "Ich werde mit Tobi sprechen."
"Zum Glück", murmelt Sophie leise und legte dabei erleichtert eine Hand aufs Herz. Wieder so eine komische Bemerkung.
Bevor ich in Tobis Zimmer eintrat, klopfte ich. Ich wollte es ihm nicht gleichtun und einfach so in sein Zimmer platzen. Er öffnete mir die Tür, schielte kurz hinter mich und zog mich am Unterarm in seine vier Wände.
Es war erst zwölf Uhr. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Der alte Professor Dunkley schien selbst bei seinem Unterricht in Geschichte im Lehramt einzuschlafen. Würde der Gehstock sein Gewicht nicht halten, würde er schlafend zur Seite kippen. Gelangweilt kritzelte ich auf meinen Notizblock herum. Am liebsten hätte ich mein Telefon aus der Tasche geholt, um erstens Niall eine Nachricht zu schreiben, wie die Proben liefen und zweitens, um das nächste Level von Gummy Drop zu absolvieren. An diesen einen arbeitete ich schon seit einer geschlagenen Woche.
Gestern hatte ich endlich die Zeit für den wichtigen Test am Freitag zu lernen. Mr Dunkley meinte extra noch, dass unsere Bewertung mindestens fünfundfünfzig Prozent unserer Note ausmachen würde. Na toll, wenn ich das vermasselte, versaute ich mir die Note. Der Ehrgeiz in mir war entfacht. Ich war schon immer pingelig, wenn es um meine Noten ging. Es gab nichts Schlimmeres als eine zwei. Egal in welchen Fächern, aber überall brauchte ich eine Eins. Lernen war einfach etwas in dem ich gut war und genau deshalb wollte ich sehr gut sein.
Zwischen Tobi und Sophie herrschte noch immer die Eiszeit. Tobias wollte mir erklären, warum er so sauer auf sie war, verfing sich aber immer wieder in seinen eigenen Worten. Er sagte etwas wie: "Ich glaube, es ist besser, wenn du es nicht weißt." oder "Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass sie meine gekaufte Couch entweiht." Eine Menge anderer derartiger Sätze fielen, in denen er immer schneller sprach und sein britischer Akzent in vollem Ausmaß zu hören war. Es gab also keinen Dunkin Donut für Sophie, sondern nur für Tobi, Peter und Amara.
Ich mochte Peter. Er hatte eine lässige Art und er passte zu Tobi. Sonderlich viel wusste ich eigentlich nicht von ihm, aber was nicht war, konnte ja noch werden. Ich wusste, dass er bei irgendeiner Redaktion einer Zeitschrift arbeitete. Er hatte diese braun gebrannte Haut, für die gewisse Personen sterben würden - die er seiner Latino-Mutter verdankte. Das Haar war kurz und ab und zu trug er eine Brille. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich ihn gutaussehend fand. Sein Körper war durchtrainiert und ich konnte mich nicht allzu gut an das Sixpack erinnern, als er nur in Kochschürze vor mir im Wohnzimmer stand. Damals hielt ich ihn noch für einen Stripper.
Als die Vorlesung zu Ende war, packte ich meine Sachen zusammen und verließ den Hörsaal. Die Peinlichkeit des Tortellini-Unfalles lag noch immer im Raum. Es waren nicht viele, immerhin war die Universität riesengroß, aber mich erkannten immer noch genügend. Mit Lilly und Stephen traf ich mich heute Morgen wieder in der Bibliothek, wo die beiden über ihr nächstes Buch stritten. Beide wollten eines zusammenlesen um darüber diskutieren zu können, konnten sich aber nicht für eines entscheiden. Sie verhielten sich schon beinahe wie ein verkorkstes Paar, wenn man mich fragte. Heute Abend stieg irgendwo eine Lesung auf die das wir-sind-kein-Paar Paar gehen wollte. Sie luden mich ein, aber ich war mir noch unschlüssig. So wie Sophie mir erzählt hatte, wollte Matt vorbeischauen. Auf ihn freute ich mich. Er war nach meiner kurzen Freundschaft mit Holly eigentlich mein erster und womöglich einziger Freund in Mullingar. Niall zählte ich da nicht mit. Er gehörte zur Familie ... was es auch nicht besser machte, wenn ich genau darüber nachdachte. Stiefgeschwister sollten nicht zusammen sein und trotzdem waren wir es. Ich dachte immer, die Welt würde unter unseren Füßen zusammenbrechen, sobald es öffentlich wurde, aber die Leute nahmen es cool. Das Gegenteil war natürlich auch dabei. Aber was war eigentlich falsch daran? Wir wuchsen nicht zusammen auf und kannten uns nicht. Wir waren praktisch Fremde, bis zu den Tag, an dem sich unserer Wege kreuzten. Wer hätte auch ahnen können, wie das für uns enden würde. Zwei Seelen aber ein Herz. Vielleicht für immer. Na gut wir wollen es mal nicht übertreiben.
An einem Automaten drückte ich mir ein Sandwich hinunter und setzte mich auf eine freie Bank im Park hinter der Uni. Für Oktober war es heute wieder viel zu warm. Die Sonne schien mir ins Gesicht und das Sauwetter von gestern war vergessen. Eigentlich hätten mich Lilly und Stephen wieder gebeten mit zum Speisesaal essen zu kommen, aber ich schlug erneut ab. Ich hatte die leise Befürchtung dort wieder auf Amber zu stoßen und auf eine Wiederholung hatte ich keine Lust.
"Na Stranger?"
"Hey", grüßte ich zurück und biss danach von meinem Sandwich ab. Er setzte sich, mit etwas Abstand neben mich.
Dylan legte einen Arm auf die Lehne hinter mir. "Traust du dich noch immer nicht in den Speisesaal?" Er klang nicht belustigt, sondern einfach neugierig.
"Ich habe keine Angst!", stellte ich klar und sah ihn fest an. "Ich will nur nicht in Amber laufen."
Dylan legte den Kopf zur Seite und hob eine Braue. "Das bedeutete, du willst auch im Winter hier sitzen und ein Sandwich aus dem Automaten essen?"
"Kann dir doch egal sein." Ich drehte den Kopf weg und biss erneut ab. "Warum interessiert dich das überhaupt?"
"Tut es nicht ...", er schüttelte den Kopf. "Aber wir sind Nachbarn und sollten aufeinander achtgeben."
"Versuchst du plötzlich mein Freund zu sein? Das hat das letzte Mal nicht sonderlich gut geklappt", erinnerte ich ihm. Nur weil er mich letzten nach Hause bringen durfte und mir die Tortellini aus den Haaren pickte, waren wir keine Freunde. Er war doch schließlich sauer auf mich, weil ich ihn mit Niall ausgetauscht hatte.
"Amara", seufzte er meinen Namen. "Eigentlich habe ich keine Ahnung was ich von dir will. Zu Beginn des Sommers, dachte ich, wir wären ein Paar, innerhalb von Tagen waren wir es nicht mehr und dann waren ... verfeindet. Ich war sauer, weil ich wirklich gedacht hätte, dass es was Festes werden würde und es geglaubt habe. Ich will nicht dein Feind sein."
"Wenn du nicht mein Feind sein willst, dann beantworte mir eine Frage." Ich leckte mir über die Lippen und drehte mich zu ihm. "Hast du die Fotos auf der Party wirklich nicht geschossen?"
Dylan hob die Hände. "Ich schwöre es. Damit hatte ich nichts zu tun."
"Na gut", nickte ich und damit wuchs mein Freundeskreis wieder um eine Person. Dylan hatte, aber noch nicht das Vertrauen das ich meinen wirklichen Freunden schenkte. Freundschaft ist auf Vertrauen aufgebaut und davon hatten wir füreinander noch nicht viel übrig. Es wird dauern und ich weiß auch nicht wie Niall darauf reagieren wird, aber meine Freunde suche ich mir selbst aus. Zumindest ist es schonmal gut, dass wir das mit uns wieder in den Griff bekommen. Dylan war ja sonst eigentlich immer nett zu mir. Ich trug die Schuld an der Spannung zwischen uns. Eigentlich müsste ich mich mal bei ihm entschuldigen. "Dylan?"
"Ja?" Ich hatte seine völlige Aufmerksamkeit.
"Ich ähm...", murmelte ich. "Es tut mir leid, was ich damals gemacht habe. Es war nicht fair von mir dich so zu verletzten. Diese 'Beziehung' war eine blöde Idee von mir. Aber ich hatte wirklich nicht gerechnet, wieder mit Niall zusammenzukommen. Ich wollte mir einfach nicht eingestehen, dass dieser Kerl mich so in seinen Klauen hatte und dass nach unserem Streit. Es hätte mir klar sein müssen ... Verzeih mir bitte. Ich wollte dich nicht vorführen."
Dylan legte eine Hand auf meine Schulter. "Wir machen alle Fehler."
Nach einer weiteren Lesung traf ich mich mit Lola auf einen Kaffee. Die Rothaarige schrieb mir beinahe täglich auf WhatsApp. Ich bekam eine Party-Einladung nach der Anderen von ihr. Aber dafür hatte ich die letzten beiden Wochen keinen Kopf. Sie hatte auch versucht auf mich einzureden, um mich vom Kündigen abzuhalten, aber ich wusste, dass es das Richtige war. Ich wollte nicht, dass sie und auch alle anderen Mitarbeiter des Cafés in Gefahr gerieten.
Mit dem Bus fuhr ich anschließend nach Hause. Dort hatte ich auch versucht Niall zu erreichen. Ich wollte seine Stimme hören und herausfinden, ob inzwischen wieder alles okay bei uns war. Er hob ab und sagte, dass er gerade keine Zeit hatte, er wollte mich später zurückrufen. Matt hatte mir währenddessen eine SMS geschrieben und nachgefragt, ob Sophie mir erzählt hatte, dass er heute kommen wollte.
"Hat sie, wann kommst du?", schrieb ich zurück.
"Bin auf den Weg. Keine Ahnung wie lange dieser Bus braucht."
Ich kann es kaum erwarten ihn wiederzusehen. Ob Niall auch wusste, dass einer seiner besten Freunde aus Mullingar in der Stadt war? Sollte ich ihn anrufen und Bescheid geben? Nein, er hatte doch eben gesagt, dass er keine Zeit hatte.
Nachdem ich ganze zehn Minuten zu Hause war, klingelte es an der Tür. Ich sprang von der Couch auf und hopste glücklich zur Tür hinüber. Schwungvoll riss ich sie auf. "Ah!", schrie ich viel zu laut. "Matt!" Ich fiel ihm um den Hals.
"Hey, Kleine. Wie geht es dir?", hörte ich ihn sagen, als wir uns in den Armen lagen. Wir ließen voneinander ab und musterten uns gegenseitig.
"Mir geht es gut." Ich grinste über das ganze Gesicht hinweg. "Na los, komm rein."
Matt ließ sich nicht zweimal bitte und trat in meine Wohnung herein. Ich fand es schade, dass Tobi nicht da war. Ich hätte ihm gerne Matt vorgestellt und auch Sophie musste heute leider arbeiten. Davina hatte sie heute Morgen angerufen, dass sie sie sofort brauchen würde. Irgendwer ist irgendwo abgesprungen und für diesen Job wäre sie perfekt gewesen.
"Ich habe etwas für dich." Er nahm seine rechte Hand, die er hinter seinen Rücken versteckte hervor. Matt hielt eine große Schachtel mit Pralinen in der Hand.
"Für mich?" Ich nahm sie ihm danken ab und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Dazu musste er seinen Kopf extra nach unten lehnen, weil er ja bei weitem größer als ich und Niall war.
Matt zog dich danach Schuhe und Jacke aus und folgte mir in das Wohnzimmer. "Ihr habt es nett hier."
"Danke. Hier sah es schon so aus, als ich eingezogen bin. Soll ich dir eine kurze Tour geben?"
Matt nickte. "Ich würde gerne sehen, wo die schmutzigen Dinge hier passieren." Er wackelte mit den Augenbrauen. Ich schnappte mir ein Kissen von der Couch und schoss es auf ihn.
"Du und Sophie könntet euch auf einen Haufen hauen!"
Schmunzelnd hob er das Kissen auf. "Das haben wir doch schon mal. Ich bin mir sicher, dass du das weißt. Frauen reden doch über so etwas."
"Dazu sagte ich nichts", murmelte ich und ging in Deckung, als ich sah, wie das Kissen auf mich zuflog. Ich legte das Kissen wieder zurück auf die Couch und gab Matt eine kurze Besichtigungsrunde durch das Apartment. In meinem Zimmer blieben wir schließlich kleben. Ich setzte mich auf den Rand meines Bettes und Matt auf meinen Drehstuhl, der am Schreibtisch parkte. Dort lagen stapelweise Uni-Bücher und Mappen. Er nahm einen meiner Notizzettel in die Hand, als ihn und legte ihn mit großen Augen wieder zurück.
Er streckte seine langen Beine aus. "Mann, wenn ich das alles so sehen, bin ich froh die Uni geschmissen zu haben."
"Du hast die Uni geschmissen?", fragte ich geschockt. Davon wusste ich überhaupt nichts.
Matt raufte sich sein Haar, was seinem Aussehen keinen Schaden machte. "Ja, es lag mir nicht. Und um ehrlich zu sein, sah ich mich noch nie als Student. In Cork gibt es viele kleine Jobs mit denen man sich das nötige Kleingeld verdienen kann."
"Und mit was verdienst du da dein Geld so?" Ich konnte nicht glauben, dass er die Uni aufgegeben hatte.
Matt begann an einem Ohrring zu drehen. "Am Hafen gibt es immer irgendetwas zu tun und nebenbei bin ich auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz zum Tätowierer."
"Das Tätowieren, würde natürlich gut zu dir passen", meinte ich und deutete auf ihm. Seine Haut war übersät mit der bunten Kunst. Es stand Matt und passte bei ihm wie Faust aufs' Auge.
"Hast das" ich deutete auf die schwarze Tinte unter seiner Haut. "Eigentlich sehr wehgetan?"
Matt zuckte mit der Schulter. "Es kommt immer auf die Stelle an. Warum? Willst du auch eines?"
"Ähm ... vielleicht irgendwann mal. Aber im Moment hätte ich zu viel Schiss vor der Nadel und den Schmerzen. Außerdem befürchte ich, dass Niall mir beim Händchenhalten umkippen würde." Ich kannte das Video vom Tattoo Roulette und wusste daher von Nialls Angst. Man das war wieder das perfekte Beispiel um zu beweisen, dass jeder, auch Niall, vor irgendetwas Angst hatte. Egal wie stark sich jemand gibt, es gibt immer etwas, das demjenigen, den Angstschweiß an die Stirn treibt - was in Nialls Fall die Tattoo-Nadel war.
Ich wälzte die Bücher und schnaufte. Meine Konzentrationsfähigkeit war am Ende. Nachdem Matt seinen Besuch bei mir beendete hatte, weil er sich mit Amber treffen wollte, ging ich wieder meiner Lernerrei nach. Es blieb mir schließlich nichts anderes übrig, wenn ich den Kurs bestehen wollte. Lernen, lernen, lernen war die Devise. Ich lehnte mich seufzend auf meinen Stuhl zurück. Mir rauchte der Kopf. Ich stand auf und rieb mir über das Gesicht, während ich zum Kühlschrank ging und mir eine kleine Flasche Wasser herausnahm. Um etwas Frischluft zu schnappen, ging ich auf unseren Balkon hinaus. Die Sonne ging bereits unter und ich erinnerte mich daran, dass Lilly und Stephen mich eingeladen hatte mit ihnen zu einer Lesung zu gehen. Ein bisschen Ablenkung würde mir bestimmt guttun. Ich nahm mir vor sie gleich anzurufen und ihr Bescheid zu geben, dass ich auch kommen wollte, ich beschloss auch Matt einzuladen. Vielleicht hatte er auch Lust ein wenig Zeit mit mir zu verbringen und nicht nur mit Amber. Außerdem war ich mir sicher, dass er lieber mit mir auf eine Lesung ging, als abends in dieser Jugendherberge mit zehn anderen im Schlafsaal herumzuhocken.
Ich schnappte noch etwas Herbstluft und ging wieder zurück in die Wohnung. Die Wohnungstür ging gerade auf und ich sah Tobi im Flur stehen. In der Hand hielt er eine Tasche. "Wie war die Schicht?"
"Gut. Seitdem du nicht mehr dort arbeitest, fragen mich immer Lydia und Lola über dich aus. Du solltest ihnen einen Besuch abstatten. Ich glaube, sie vermissen dich."
"Mit Lola habe ich mich heute schon getroffen."
Tobi kickte die Schuhe von den Füßen und hing seine Jacke auf. Danach reichte er mir die Tasche. "Ich habe dir Muffins mitgenommen."
Freudig kramte ich meine heiß geliebten Blaubeermuffins aus der Tasche, die in einem Karton eingepackt waren. Ich stellte den Karton auf den Tisch und nahm mir einen Muffin heraus. "Hast du heute noch etwas vor?", fragte ich und hielt mir die Hand vor den Mund, nachdem ich abgebissen hatte. Wenn er Zeit hätte, könnte er mich auch begleiten.
"Ja", seufzte er. "Ich muss lernen. Diese Midterms sind die Hölle und ich tue mir beim Lernen eh immer so schwer. Ich bin froh, wenn das alles in ferner Vergangenheit liegt."
"Das kenne ich." Ich nickte lächelnd. Zwar hatte ich erst begonnen zu studieren und war nicht im dritten Semester wie Tobi, aber ich verstand, wie es ihm ging. Hier ging es um unsere berufliche Zukunft, es ist nicht etwas, dass man auf die leichte Kappe nahm. Es ist wichtig.
Mit meiner halbvollen Wasserflasche und meinen Muffin ging ich zurück in mein Zimmer und begann meinen Schreibtisch zusammenzuräumen. Nebenbei rief ich Lilly an und sagte ihr, dass ich gerne mitkommen würde und Matt mitnehmen wollte. Und unerwarteter weiße rief auch Niall mich kurz darauf an. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er tatsächlich zurückrufen würde. Das Telefonat dauerte aber auch nicht lange, weil er noch immer am Proben war. Ich erzählte ihm von Matts Besuch, von dem er wirklich nichts wusste. Es wunderte mich.
Ich zog mir eine andere Jeans und einen Pullover mit der Aufschrift meiner Uni an. Matt hatte zugesagt und würde mich vor Ort bei diesem kleinen Café treffen, bei dem die Lesung stattfand. Dass es sich dabei um eine Lesung handelte zu der wir gingen, erwähnte ich in der Nachricht für Matt nicht, in der ich ihm einlud. Dazu kannte ich ihn schon viel zu gut, um zu wissen, dass er da höchstwahrscheinlich nicht freiwillig erscheinen würde.
Anstelle meiner Handtasche nahm ich mir einen kleinen Lederrucksack mit. Ich hatte ihn erst neu gekauft und wollte ihn endlich einweihen. Zu meinen hellbraunen Mantel zog ich noch passende Stiefel an. Meine Zehen froren leicht und diese Schuhe hatten eine warme Felleinlage, die mich warmhielten. Auch wenn es Tagsüber eigentlich recht schön war, fielen die Grade nachts rapide.
Im Wohnzimmer war es ausnahmsweise einmal ruhig. Ich vernahm nur leises dudeln von Musik, das aus dem Zimmer von Tobi kam, dessen Tür einen Spalt geöffnet war. Ich klopfte an der Tür an und drückte sie ein Stück auf, um mich zu verabschieden. Tobi saß an seinem Schreibtisch, mit drei geöffneten Büchern und mehreren Notizzetteln. "Ich mache mich jetzt auf den Weg. Bist du sicher, dass du nicht mitkommen möchtest?"
Er drehte sich auf den Stuhl in meine Richtung. "Ich bin mir sicher. Wie du sicher weiß, würde ich gerne mitkommen, aber ... dieser Stapel von Informationen gelangt leider nicht durch Zauberhand in meinen Schädel."
"Okay. Dann überlasse ich dich jetzt deinen Büchern. Bis später." Ich lächelte ihn zum Abschied an und zog die Tür hinter mir zu. Beim Treppen-hinuntersteigen hielt ich die Riemen des Rucksacks fest. Ich sprang auch hier und da die letzten zwei Stufen nach unten, so wie ich es als Kind immer getan hatte.
Die Uhr schlug gerade sechs Uhr und es war stockdunkel. Mit der Kälte war das wieder ein Nachteil dieser Jahreszeit. Zu meinem Glück musste ich nicht sehr weit bis zur nächsten U-Bahn-Station gehen. Der rote Kreis mit den blauen Buchstaben, die "Underground" schrieben, befand in unmittelbarer Nähe.
Die U-Bahn war wie immer voll, sodass ich auch keinen Platz zum Sitzen bekam. Ich hielt mich an einer der Stangen an, um bei der Bremsung nicht umzufallen - was vermutlich überhaupt kein Problem gewesen wäre, schließlich klebten wir wie die Sardellen aneinander. Genau aus diesem Grund fahre ich viel lieber mit dem Bus oder gehe zu Fuß. Würde ich nicht so ein Feigling sein, würde ich mich vielleicht mit dem Auto fahren trauen.
Es war drei Minuten nach halb sieben, als ich an unseren Treffpunkt ankam. Matt stand bereits vor dem Schaufenster und sah skeptisch hinein.
"Schön, dass du gekommen bist." Grüßte ich ihn. Er sah mich sofort mit hochgezogener Augenbraue an. Er deutete auf in den Coffeeshop hinein. "Was für eine Party soll da heute stattfinden? Eine für Bücherratten und Streber?"
"Ich habe nie etwas von einer Party erwähnt", spielte ich die Unschuldige. "Ich habe nur geschrieben, dass wir heute etwas unternehmen könnten und dazu habe ich dir diese Adresse geschickt."
Er verzieht die Lippen. "Du hast mich hereingelegt." Matt seufzte. "Zumindest ist es hier bestimmt besser, als mit Amber und Holly um die Häuser zu ziehen."
"Ich dachte, du bist gekommen, um dich mit Amber zu treffen?"
Matt fährt sich durch sein schwarzes Haar. "Ja, sie ist eben meine Schwester. Wollte mal sehen, wie es hier so läuft. Und wenn wir schön über das Thema Amber sprechen ... die Sache in der Cafeteria tut mir leid, Amara."
Ich musste kurz nachdenken, was er damit meine. Er konnte nur das mit den Tortellini meinen. Was auch sonst. Das Video war im Internet, klar, dass auch er es gesehen hat. Schließlich haben auch Mum und Bobby es gesehen und mir geschworen Amber bei ihren nächsten Mullingar Besuch die Hölle heiß zu machen. "Dafür kannst du doch nichts."
"Amara! Hey!"
Ich drehte mich um und sah schon von weiten die leuchtend gelbe Jacke von Lilly, die neben Stephens schwarzer deutlich hervorstach. Zu meiner Verwunderung trug sie heute einmal keines ihrer geblümten Kleider, sondern eine Jeans mit "Used" Look. Ihr rotes Haar war am Kopf zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden.
Ich stelle meine Freunde einander vor und merkte wie Lilly mit großen Augen von mir und dann zu Matt sah. Beim Hineingehen flüsterte sie mir zu: "Verdammt! Woher hast du den jetzt aufgetrieben? Niall muss rasen vor Eifersucht."
"Das ist Niall bester Freund und auch meiner." Erklärte ich ihr. Ich bemerkte natürlich auch, wie Lilly ihn anschmachtete, als wir die Jacken und Mäntel auszogen und an der Garderobe aufhingen. Matt strikte sich die Ärmel seines schwarzen Hemdes hoch und seine Tattoos blitzten hervor.
Wir setzten uns an einen runden Tisch, nahe der kleinen Bühne, die sich in der rechten Ecke neben der Bedienungstheke befand. Ein junges Mädchen stellte gerade einen Mikrofonständer auf und ein Mann hinter ihr stellte einen Hocker ab. Der Coffeeshop füllte sich schneller als gedacht. Währenddessen bestellten wir unsere Getränke. Matt wollte ein Bier haben, Stephen einen Tee mit Rum, ich einen Bellini (ein Getränk aus Pfirsich und Prosecco) und Lilly entschied sich für einen Cappuccino.
"Willst du keinen Cocktail probieren? Die sind eh süß", fragte ich Lilly, als der Kellner uns die Getränkekarte abnahm und wieder ging, um unsere Getränke zuzubereiten.
Lilly winkte ab. "Nein, ich trinke nicht."
Ich lehnte mich zurück auf den Stuhl und spähe zu Matt hinüber, der neben mir saß. Er grinste mich an. "Was?" Ich schüttelte leicht den Kopf.
"Nichts", erwiderte er und zeigte dabei seine Zähne. "Aber das hast du damals auch immer gesagt ... bis an dem Abend an dem du dich mit Bier auf Ambers Party abgefüllt hast. Erinnerst du dich noch?"
Natürlich erinnerte ich mich noch. Es war die Nacht in der ich mit ihm rumgemacht hatte und er mir einen Knutschfleck verpasste. "Du hast mir die meisten Becher weggenommen und so viel habe ich auch wieder nicht getrunken." Ich versuchte die Sache herunterzuspielen.
Matt sah mich feixend an. "Ach ja? Ich kann mich noch gut daran erinnern welchen Namen du gesagt hast, als wir-"
"Matt, hör auf! Diese Szene habe ich schon lange verdrängt!" Ich lachte und versuchte meine roten Wangen hinter meinen Händen zu verbergen, während Stephen und Lilly uns komisch und neugierig ansahen.
"Wart ihr Mal zusammen?", bohrte Stephen nach.
Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke und begann zu husten. Matt klopfte mir auf den Rücken und schüttelte den Kopf. "Nein. Wir verstehen uns nur gut."
Der Kellner von vorhin kam mit unseren Getränken zurück an den Tisch. Ich nahm gleich einen größeren Schluck von meinen Bellini, den ich bitter nötig hatte.
Matt umklammert sein Bierglas. "Was passiert hier jetzt eigentlich genau? Ich hoffe, dass es keine langweilige Gedichtlesung wird. Das halte ich sonst nicht aus."
"Unbekannte Autoren stellen ihre Bücher vor. Sie lesen auch Passagen vor und später kann man die Bücher kaufen, wenn man will. Ich bin hier oft. Es sind zwar nicht immer interessante Werke dabei, aber ab und zu findet man eine Perle, die es sich lohnt zu lesen", erklärte Stephen, der in seinem Tee gerade Zucker dazu rührt.
Die Atmosphäre im Raum war angenehm. Es war, für die voll besetzten Tisch, eigentlich recht ruhig. Das Licht war gedimmt, doch die Teelichter in den kleinen Laternen an den Tischen gaben ihren eigenen Touch dazu. Im Großen und Ganzen war der Coffeeshop rustikal gehalten. Die Mauer war aus roten Backsteinen, von der ich ausging, dass es mit Absicht so aussah, als würde der Putz von der Wand fallen. Alles Möbel bestanden aus rotbraunen dunklen Holz. Ich könnte mir gut vorstellen, öfter hierherzukommen und vor allem war ich mir sicher, dass sich hier viele zum Lesen zurückzogen. Es war ruhig in diesen Shop und ich konnte sogar vereinzelt Personen sehen, die gerade in einem Buch schmökerten.
Eine junge, gutaussehende Frau betrat die Bühne und stellte sich vor dem Mikrofonständer. Sie blinzelte, da der grelle Scheinwerfer ihr in die Augen schien. "Guten Abend. Mein Name ist Doreen Schuster. Ich bin die Inhaberin und heiße auch, wie immer zur monatlichen Lesung willkommen. Heute haben wir wieder einige interessante Jungautoren für euch. Alle Bücher sind nach der Lesung zum Kaufen hier erhältlich. Und nun will ich euch gar nicht länger auf die Folter spannen. Viel Spaß!" Sie faltete die Hände zusammen und die Gäste applaudierten. Doreen Schuster tauschte ihren Platz mit einer anderen jungen Frau, die vermutlich in meinem Alter war - vielleicht auch jünger. Mir gefiel der rote Blazer, der gut gepaart mit einem weißen Shirt, einer dunklen Jeans und braunen Stiefel war. Das braune Haar fiel ihr locker um die Schultern. Sie setzte sich auf den Hocker, lächelte und hielt ein Buch mit einem dunkelblauen schillernden Cover in die Höhe. Von hier aus könnte ich ein Mädchen mit einem dunklen Hut erahnen.
"Auch von meiner Seite nochmals: Herzlich willkommen. Mein Name ist Kristin White und ich freue mich heute mein Buch vorstellen zu dürfen. Es heiß: My Life with him. Es geht um Emma Norsen, die Musikproduktion studiert und nebenbei ein sechsmonatiges Praktikum in einem Tonstudio absolviert. Dort trifft sie auf Liam, der der Leadsänger einer sehr berühmten Band ist. Chaos ist da vorprogrammiert."
Während die Autorin die erste Seite aufgeschlagen hat und zu lesen begann, malte ich kleine Kreise auf den Holztisch, mit den Wassertropfen von Matts kaltem Bierglas. Ermahnend tupfte mich Lilly von der Seite an. "Das ist unhöflich, Amara."
"Tschuldigung'", murmelte ich und setzte mich aufrecht hin. Ich versuchte mich auf die Worte der Autoren zu konzentrieren, spürte aber, wie Matts Fuß mich immer wieder leicht gegen das Schienbein trat.
"Aua", seufzte ich leicht, da er mir immer auf dieselbe Stelle trat. Der blaue Fleck war mir sicher.
"Psst", zischte Lilly wieder ermahnend. Im Gegensatz zu ihr, schien Stephen komplett in das Buch vertieft zu sein. Ich konnte sehen, wie Matt sich eine Hand vor dem Mund hielt, um ein Grinsen zu verbergen. Mistkerl.
Um mich aus Matts Reichweite zu entfernen, rutsche ich mit meinem Stuhl einige Zentimeter weiter nach hinten. Der Stuhl kratzte bei der Gelegenheit natürlich über den Boden. Ich entschuldigte ich still bei den anderen Gästen und tat, als würde ich nicht die ganze Zeit über irgendjemanden auf die Nerven gehen. Matt amüsierte sich köstlich auf meine Kosten. Er kippte sein Bier hinunter und hob das Glas an, um dem Kellner damit zu deuten, dass er Nachschub brauchte.
Die Autorin wurde zum Schluss applaudiert, bevor sie die kleine Bühne verließ und ihren Kaffee von der Besitzerin entgegennahm.
Stephen drehte sich zu Lilly. "Das hat sich eigentlich sehr cool angehört. Könnte etwas für meine Schwester sein. Ich denke, ich werde ihr ein Buch davon besorgen." Danach nippte er genüsslich an seinem Tee, bevor er sich an Matt und mich wandte. "Diese Lesungen sind doch erste Sahne, oder?"
Matt und ich sahen uns an. Ich glaube zu wissen, was sich mein Irischer Freund gerade dachte. Um Stephen nicht die gute Laune zu verderben, nickend wir synchron. Derweil betrat ein neuer Autor die Bühne und der Kellner brachte Matts Bier an den Tisch. Im Gegensatz zu der jungen Frau von vorhin, saß nun ein Mitte Vierzig Jähriger Mann auf den Hocker. Das karierte Hemd sah für seine rundliche Statur eine Nummer zu klein aus und seine Lesebrille war schon ein etwas älteres Modell. Der Mann nuschelte etwas, stellte sich vor und begann sein Fantasy Buch vorzustellen. Meine Uni-Freunde hörten wie gebannt zu. Ich wusste, dass das ihr Genre war.
Matt lehnte sich an seinen Stuhl zurück und nickte mir zu, sodass ich näher an ihn heranrückte. "Ist was?", fragte ich ganz leise. Ich wollte nicht wieder von Lilly ermahnt werden.
"Ich gehe eine Zigarette rauchen. Kommst du mit? Oder bleibst du lieber hier?"
Darüber musste ich nicht lange nachdenken. Ich lehnte mich auf meine rechte Seite und flüsterte Lilly zu, dass wir luftschnappen gingen. Lilly nickte, ohne mich anzusehen.
Leise erhoben wir uns auf den Holzstühlen und gingen zur Garderobe, an der wir uns unsere Jacken überzogen. Außer uns befanden sich auch noch fünf weitere Personen außerhalb des Coffeeshops. Matt zog eine Packung der Nikotionstangen aus seiner engen Jeans. Eine Zigarette klemmte er sich zwischen die Lippen und eine weitere hinter sein linkes Ohr. Der Rauch stieg zum Himmel, als er sie anzündete und den ersten Zug machte.
"Warum bist du eigentlich hierhergekommen, wenn du es keine Stunde da drinnen aushältst?"
Ich vergrub meine Hände in den Taschen meines Mantels und zuckte mit der Schulter. "Ich wollte einfach nicht mehr lernen." Ich leckte mir über die trockenen Lippen. "Sag mal, wie lange hast du vor zu bleiben?"
Matt zog wieder an seiner Zigarette. "Am Freitag fliege ich wieder zurück. Muss meinen alten Herren am Samstag bei etwas helfen."
"Oh. Schade. Sonst hättest du am Samstag mit mir auf Nialls erste Show kommen können."
"Ich gehe eh am Donnerstag hin. Da sehen wir uns doch sowieso", meinte Matt, der auf seine Zigarette sah. Ein unwohles Gefühl überkam mich.
"Ähm... nein", drückte ich hervor. Ich bin vermutlich die schlimmste Freundin die man nur haben kann. Ist es egoistisch von mir, nicht zu erscheinen, sondern an mein Studium zu denken? Das kann mir doch bitteschön keiner übel nehmen.
"Hast du gerade Nein gesagt?" Matt runzelte fragend die Stirn. "Ihr seid doch noch zusammen, oder nicht?"
Mein Blick wanderte auf meine Füße hinab. "Ja, schon. Aber ich ... muss lernen. Am Freitag schreibe ich eine wichtige Prüfung."
"Ach bitte. Die Noten zählen doch sowieso erst im letzten Jahr. Ist doch egal ob du mal eine nicht so gute hast. Das hier, ist das erste Konzert von Niall Solokarriere. Daran wird er sich für immer erinnern. Überlege es dir nochmal." Matt ging ein paar Schritte zur Seite und drückte die Zigarette in einem großen Aschenbecher aus. Danach nahm er sich die, die hinter seinem Ohr klemmte um sie ebenfalls anzuzünden.
"Vielleicht gehe ich doch. Aber dann muss ich Niall Bescheid geben. Schließlich habe ich keine Karten oder sonst etwas mit dem ich hineinkommen könnte."
Matt verzog die Lippen zu einem Grinsen und setzte die Zigarette an seinen Lippen an. "Darum werde ich mich kümmern. Ich hätte da eine witzige Idee ... Er weiß nicht, dass ich komme und auch nicht, dass du kommst. Sag es ihn nicht und lass ihn schmollen. Wir werden ihn überraschen."
"Ich weiß nicht ...", ich fuhr mir frustriert durch mein Haar.
Matt legte den Kopf zur Seite. Er zog eine Braue hoch. "Was weißt du nicht? Geh doch einfach mit mir hin und lass dich fallen. Musst du eben morgen und übermorgen in den Büchern schmökern." Ich sah zu, wie der Rauch beim Sprechen seinen Mund verließ. "Du hattest doch jetzt auch Zeit um auf eine 'Lesung' zu gehen", schoss er noch hinterher und mir wurde mulmig.
Bin ich so egoistisch? Schleppe ihn zu meinen Großeltern in meine Heimat, bei denen er eigentlich überhaupt nicht, an seinem freien Wochenende, sein wollte. Aber ich war mir zu gut um auf seine fucking erste Show zu kommen. Andere würden sich um diese Chance reißen ihn einmal live zu sehen.
Ich schlang die Arme um mich. "Wenn du das so sagt, komme ich mir scheiße vor."
Matt steckt seinen Arm nach mir aus. "Ich habe es nicht böse gemeint, aber es ist doch wahr. Von was hast du Angst? Geht es dir wirklich nur um die Prüfung? Oder darum, dass das der erste offizielle Auftritt von euch beiden ist?"
"Wir wurden schon miteinander abgelichtet", stellte ich klar. "Es gibt schon mehrere Fotos von uns Beiden zusammen. Das erste Foto wurde an dem Tag gemacht, an dem wir vom Pub in Mullingar nach Hause gegangen sind - nur um ein Beispiel zu nennen. Oder von der Party bei Cara, zu der wir meine Schwester begleitet haben"
"Das zählt doch nicht. Damals wurde nur spekuliert, aber jetzt ist es bekannt. Niall Horan datet Amara Julien, seine Stiefschwester." Matt verzog die Lippen zu einem Grinsen. "'Das Mädchen seiner Träume' ... oder wie stand es in diesem Instagram Post?" Matt lachte schmunzelnd und ich musste Miteinstimmen. Der Post war herzerwärmend. "Ihr seid beide sehr enge Freunde von mir ... ich will, dass ihr glücklich seid."
Mein Freund aus Irland zog noch ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er sie im Aschenbecher ausdrückte und seine Hand auf meinen Rücken legte, mit der er mich leicht zur Tür schob. "Wir sollten wieder hineingehen, sonst denken deine Freunde noch, dass wir rummachen."
****
Heute war Dienstag. Den Morgen verbrachte ich bei meinem Vater zu Hause. Davina bestand darauf, dass ich öfter vorbeikommen sollte, um alle besser kennenzulernen und sie mich. Wie immer zeigte mir mein Halbbruder Nick die kalte Schulter. Ich ging nicht davon aus, dass er etwas gegen mich hatte. Der Möchtegern Rapper, stieß immer wieder unpassende Kommentare in Valeries Richtung aus. Sie hatten kein gutes Verhältnis zueinander, es war deutlich zu fühlen. Könnte es sein, dass es daran lag, dass ich Valerie und ich aus einer Affäre entstanden sind und er uns deshalb so behandelte? Wenn ja, würde er es bestimmt nicht zugeben. Der Milchbube schien ja zu glauben, dass er der Größte ist, mit seiner tief sitzenden Jeans, der Goldkette um den Hals und der Armani Sonnenbrille, die ihm seine Eltern gekauft hatten. Der Junge hatte doch sicher noch nie einen Finger gerührt, um selbst an Geld zu kommen.
Später nahm mich Valerie mit und setzte mich an der Uni ab. Sie wollte sich noch mit Jacob treffen. Ich bedankte mich für die Fahrt bei ihr und sah ihr nach, als sie vom Parkplatz fuhr. Dieses Frühstück fühlte sich noch immer so unreal an. Und das Connor mein tatsächlicher Vater war, konnte ich noch immer nicht ganz glauben. Wird dieses Gefühl jemals verblassen? Wann wird es sich nicht mehr komisch anfühlen, zu wissen, dass ich wirklich endlich weiß von wem ich abstamme. Die Jahrelange Ungewissheit nagte an mir. Ich hatte mir eine viel zu lange Zeit eingeredet, dass es nicht wichtig sei, wer er ist, weil er nicht da war, aber jetzt war alles anders. Es war schön es doch zu wissen. Jetzt wo Mum glücklich mit Bobby war, war mir auch das Glück vergönnt. Niall macht mich Glücklich, nein mehr sogar, er ließ mich lieben. Wir hatten es nicht immer einfach und das wird es bestimmt auch nie, aber ich hoffte, dass er wusste, dass er mein Leben besser machte.
Es war also abgemacht. Um Niall zu zeigen, dass er mir mehr bedeutet, als eine Note, hatte ich vor mit Matt die Show zu crashen. Matt hatte gemeint, es wäre lustig, wenn wir uns verkleiden und uns unter die Menge mischen. Ob es eine so gute Idee war, wusste ich nicht, aber ich wollte es zumindest versuchen. Niall sollte durchaus merken, dass ich auch verrückte Dinge für ihn tun würde.
Am Haupteingang traf ich auf Tobi, der sich noch einen Schub Nikotin einzog. "Hey Mitbewohnerin. Alles gut gelaufen bei Familie Davis?"
"Ich denke schon", erwiderte ich zurück. "Ich finde es nur schade, dass mich mein Halbbruder ignoriert. Eigentlich ist er eine Enttäuschung. So eingebildete wie der ist, werden wir wohl nie miteinander auskommen."
"Tja", schnalzt Tobi. "Du hattest mit deinen zwei Stiefbrüder schon Glück, da musste das eben auch passieren. Wenn er mal zu uns vorbeikommt, werde ich ihm die Ohren langziehen."
Ich schmunzelte. "Ich denke nicht, dass er jemals vorbeikommen wird."
Tobias drückte die Zigarette aus und legte einen Arm um meine Schulter. "Glaub mir, irgendwann kommt er in meine Gasse, dann werde ich ihm klar machen, wie glücklich er sich schätzen darf, dich als Schwester zu haben."
Ich spürte, wie ich etwas rot wurde. Die netten Worte von Tobi bedeuteten mir viel. Ich war so verdammt froh ihn um mich zu haben. Das war das einzig Gute an dem Streit mit Niall auf der Hochzeit. Dadurch hatte ich mich früher als geplant von Mullingar entfernt und lernte dadurch Tobias Miller kennen. Wir kannten uns jetzt ein halbes Jahr und ich konnte mir keinen besseren ersten Freund in einer Stadt dieser Größe wünschen. Ihm verdankte ich so einiges.
Ich blieb stehen und zog den Briten in eine Umarmung. "Ich habe dich auch lieb, Tobi." Er drückte mich ebenfalls fest.
Neben und wurde gekichert. Den nervigen Tobi ihrer Stimme erkannte ich sofort: "Niall ist dir wohl eine Nummer zu groß. Dir ist schon klar, dass dieser Typ schwul ist?"
"Nicht die schon wieder", murmelte Tobi, der mich losließ.
Ich verdrehte die Augen und drehte mich um. "Was willst du von mir? Such dir doch ein anderes Opfer." Es war das erste Mal seit drei Wochen das sich unsere Wege kreuzten. Auch wenn sie mich nicht ausstehen konnte - warum auch immer, denn eigentlich habe ich ihr noch nie etwas getan - warum ließ sie mich nicht einfach in Ruhe? Was war so speziell an mit, dass sie mich blöd anmachen musste. Was konnte ich dafür, dass Niall mich gewählt hatte und nicht ihre beste Freundin?
Ich setzte zur Flucht an, blieb aber stehen, als mich jemand am Arm packte. "Warte kurz." Amber seufzte. Sie sah zu Boden und ließ meinen Arm los. Mich wunderte, dass sie ganz alleine unterwegs war. Wo war ihre Gang? Aber warum interessiert mich das? Stimmt ja, das tat es nicht.
"Hör zu...", sie seufzte erneut. Es war, als ob sie sich überwinden musste mit mir zu sprechen, was vor ein paar Sekunden nicht der Fall war. Beleidigungen schienen ihr einfach über die Lippen zu kommen.
"Was willst du? Ich will deinetwegen nicht zu spät kommen", sagte ich etwas schärfer. Tobi stellte sich neben mich und sah Amber skeptisch an. Wie ich, wartete er auf die Nächste Dreistigkeit die sie mir an den Kopf werfen wollte.
"Du weißt es sicher, schließlich seid ihr Freunde ... Mein Bruder ist da." Amber biss sich auf die Unterlippe. Warum wirkte sie plötzlich so klein?
"Klar weiß ich das. Wie du gesagt hast, er ist mein Freund - im Gegensatz zu dir."
Sie schloss die Augen und blies Luft aus, bevor sie die Hände etwas hob: "Schau, es tut mir leid ..., dass ich dir das in der Cafeteria angetan habe. Das war nicht richtig."
Mein Mund wurde schlagartig trocken. Hatte sich das Biest gerade allen Ernstes bei mir entschuldigt? Da konnte es sich doch nur um einen Trick handeln. Nichts weiter. Sie hasst mich und ich werde ihr nie verzeihen. Ich war sprachlos.
"Warum der plötzliche Sinneswandel? Glaubst du wirklich, dass das jetzt irgendetwas an der Situation ändert, dass du Amara öffentlich gedemütigt hast?", ergriff Tobi für mich das Wort. Danke Tobi.
"Ich kann nichts mehr daran ändern. Es tut mir wirklich leid. Matt ist mein Bruder und auch, wenn ich es nicht immer zeigen kann, ist er mir wichtig. Amara ...", sie sah mich fest an, ihre Augen glänzend, als würde sie den Tränen nahe sein. "Wenn du mir nicht vergibst, will er nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich verspreche, ich werde mich nicht mehr einmischen. Holly soll selbst schauen, wie sie weiterkommt, sie hat mich schon so oft in die Scheiße geritten, das jetzt Schluss sein muss." Eine Träne löst sich aus ihrem Auge und sie begann sie schniefen. "Wir werden nie Freunde sein, das ist mir durchaus klar und dass will auch nicht, aber bitte sag Matt, dass ich mich entschuldigt habe. Sag ihn, dass du mir vergeben kannst. Bitte", sie flehte mich an. Es wurden immer Tränen und das Make-Up in ihrem Gesicht begann sich zu verschmieren. Es zeigte ihr wahres Ich. Sie war ein Monster und so sah sie auch aus.
Für einige Sekunden blieb ich still. Ich musste die Worte erst von ihr verdauen. Ich sollte ich vergeben? Wie oft hatte sie mir schon das Leben zur Hölle gemacht? Sie und Holly waren schuld an eigentlich allen Konfrontationen von Niall und mir. "Ich fasse es nicht", ich schüttelte den Kopf. "Was fällt dir ein mich so etwas zu bitten?", der Versuch ruhig zu bleiben viel mir schwer. "Du hast meine Beziehung die ganze Zeit über sabotiert. Es ist mir sowas von egal, ob Matt noch etwas mit dir zu tun haben will oder nicht." Es fiel mir schwer sie nicht anzubrüllen. Ich druckte die Worte nur so durch meine Zähne. "Du", ich zeigte auf sie "Bist die Letzte der ich jemals vergeben würde. Ich hasse euch!" Die letzten drei Wörter schrie ich ihr ins Gesicht. Auch mich überkamen die Tränen. Der ganze Hass, der sich die letzten Monate lang in mir angestaut hatte, ließ mich kochen. "Du brauchst überhaupt nicht weinen! Du bist ein Miststück und-"
"Amara, nicht so laut", versuchte Tobi mich zu beruhigen, in dem er eine Hand auf meinen Rücken legte. Ich merkte, wie uns Blicke zugeworfen wurden. Sollten sie doch alle starren. Die meisten spottenden mich sowieso aus und das war ihre Schuld. "Amber du hast null Ahnung, wie es ist Ich zu sein, wie es sich anfühlt, wenn sich die gesamte Welt über einen lustig macht! Denk das nächste Mal darüber nach, bevor du den Ruf von jemanden zerstört, denn du nicht mal richtig kennst!"
Amber wischte sich mit den Handrücken über ihre Wangen. "Ich habe das nur für meine beste Freundin getan. Ich bin mir sicher, dass du auch für deine Freunde über Feuer gehen würdest. Niall ist Hollys Welt. Das verstehst du nicht." Sie stampfte mit dem Fuß.
"Was sollte ich daran nicht verstehen? Was denkst du, was Niall für mich ist? Ein Spielzeug?!" ich hatte dieses Gespräch satt! "Holly soll endlich kapieren, dass ihre Zeit vorbei ist. Wir sind jetzt zusammen. Er liebt mich!"
Amber schluckte und schüttelte den Kopf. "Ich habe es mir gedacht ...", sie schmunzelte trocken, aber nicht selbstzufrieden, danach schüttelte sie wieder den Kopf. "Er hat es dir noch immer nicht gesagt. Mich hat es schon gewundert, dass du noch immer bei ihm bist."
"Hör endlich auf Spielchen mit Amara zu spielen!", zischte Tobi.
Amber tat es schon wieder. Sie mischte sich ein, nur dass sie mich mit so etwas leicht ködern konnte, war meine Schuld. Schließlich fühlte ich, dass er mir etwas verheimlichte und sie goss mit dieser Aussage Öl ins Feuer. "Und was sollte das sein? Was hat er mir nicht gesagt?"
Sie machte einen Schritt weg von mir. "Ich mische mich nicht mehr ein Amara. Vergiss nur nicht, was ich damals zu dir gesagt habe: Holly hat schon dafür gesorgt, dass das hier nicht halten wird. Und wenn er dich wirklich so liebt, wie du es behauptest, dann würdest du es schon wissen."
Ich schlug die Wagentür hinter mir zu und zog den Reißverschluss meiner Jacke weiter nach oben. Matt sperrte den Leihwagen ab und ging um das Auto herum um mich einzuholen. Wir hatten Glück das gerade hier ein Wagen ausgepackt hatte, denn sonst hätten wir noch weiter weg vom Ausgang parken müssen. Ich war mir sicher, dass die meisten Autos den Besuchern von Nialls Show gehörten, oder den der Kunden des Einkaufzentrums gegenüber. Eine kleine Gruppe junger Mädchen ging an uns vorbei. Eine davon hatte mit dunklem Stift 'Nialler' auf der Stirn stehen.
"Das hätten wir auch machen müssen", scherzte Matt.
"Kajal hätte ich mit, wenn du es unbedingt willst. Du müsstest dich aber bücken damit ich an deine Stirn rankomme."
Matt schüttele den Kopf. "Das hättest du wohl gerne. Wir könnten ja bei dir 'Mrs Horan' rauf schmieren." Ich ignorierte ihm und nahm ihm das Plakat ab, dass ich zu Hause gemacht hatte. Ich hatte vor es bei einem Song hochzuhalten. Jetzt mussten wir nur noch versuchen so weit wie möglich nach vorne zu kommen. Ganz hinten würde er es bestimmt nicht sehen können.
Es waren noch geschlagene sieben Stunden Zeit bis zum Einlass, aber ich musste bestimmt niemanden sagen, dass das eine normale Zeit zum Anstellen bei einem Konzert ist, oder? Zuerst dachte Matt, dass ich damit nur Spaß gemacht hatte, als ich sagte, dass wir uns schon vor mittags anstellen sollen, aber da hatte er sich geschnitten.
Ich klemmte beim Gehen das Plakat unter meiner Achsel ein und nahm mein Handy aus meiner Tasche. Meinen eigentlichen Hintergrund, ein Foto von Niall und mir, hatte ich gegen ein Standardbild ausgetauscht. Niemand sollte es auf meinem Display sehen und sich zusammenreimen, wer ich war. Heute war ich nicht Amara Julien, sondern Marie. Matt wollte stattdessen das ich ihm mit Matthias anspreche, sein eigentlicher Name. Matt ist nur sein Spitzname. Ich schaltete die Kamera meines Handys an und betrachtete mein hellblau gefärbtes Haar, die schwarze Brille und die viel zu dick geschminkten Augen. Ich erkannte mich fast nicht mehr selbst und ich hoffte, dass es auch anderen so ging. Im Gegensatz zu meinen blauen Haaren, die Farbe war zum Glück auswaschbar, hatte Matt sich seine Rabenschwarzen Haare nicht gefärbt. Er hatte sie schlicht nach hinten gegellt, denn sonst vielen sie ihm immer locker in die Stirn. Die grünen Kontaktlinsen und das falsche Lippenpiercing stand ihm eigentlich.
Die Fans vor dem 02 Shepherd's Bush Empire Konzerthaus sangen gerade This Town. Mir drehte es im Magen um, als ich daran denken musste, wem der Song gewidmet war. Ich verstand, aber durchaus warum der Song so gut ankam. Es überraschte mich kein Stück, dass die Schlange schon mehrere Meter lang war - so hundertfünfzig waren es bestimmt. Jeder wollte am Paket die besten Plätze ergattern. Barrikade war das Ziel.
"Wüsste er, dass wir kommen, müssten wir hier nicht anstehen". Murmelte ich in Matts Richtung.
"Marie, dann wäre es aber keine Überraschung. Stell dir doch mal sein Gesicht vor, wenn er dich so ..." er deutete auf mein Haar, "... sieht. Ihm wird es die Sprache verschlagen."
Als wir bei der Warteschlange ankamen, wechselten die Fans den Song und sangen stattdessen Slow Hands. Vor uns wurde über das Album diskutiert - wie aufgeregt alle waren es heute zum ersten Mal hören zu dürfen, da das Album erst nächste Woche Freitag erschien. Ich hätte gerne damit geprahlt, dass ich es schon hören durfte, ließ es aber um meine Deckung zu wahren. Schließlich wären sonst Fragen aufgekommen, die ich nicht beantworten hätte können.
Während ich Niall eine SMS mit den Worten: "Ich wünsche dir heute viel Erfolg und mach die Menge Glück. Ich glaube an dich", schrieb, hörte ich mit einem Ohr den Mädchen vor uns zu.
"Hier", hörte ich Matt sagen. Ich hob den Kopf und sah, dass Matt mir eine Wasserflasche zu hielt. Dankend nahm ich sie ihm ab. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er an so etwas denken würde. Das befand sich also in den Rucksack, den er mitgenommen hatte. Ich drehte den Verschluss auf und nahm einen Schluck. "Was hast du alles mitgenommen?" Neugierig deutete ich auf den rot-schwarzen Rucksack.
Matt zog eine Zigarettenpackung aus der Hosentasche. "Ach, nur was zum Trinken und Snacks. Denn, wenn wir hier nicht mehr weggehen brauche ich etwas zum Futtern. Könnte sonst passieren, dass ich unerträglich werde."
"Oh, okay. Ich hätte mir sonst einfach eine Pizza hier herbestellt", meinte ich und zuckte mit den Schultern.
Matts Mundwinkel zuckten. "Du hättest dir doch nie im Ernst eine Pizza herbestellt?" Er grinste unglaubwürdig.
"Na klar, hätte ich das. Wäre immerhin nicht das erste Mal. Sophie und ich haben das früher ständig gemacht." Ich sah zu, wie Matt zu lachen begann, obwohl ich das total ernst meinte. Weder Sophie noch ich, hatten Lust große Taschen auf ein Konzert zu schleppen. Das ewige anstellen bei der Garderobe ging mir immer gewaltig gegen den Strich. Schließlich stand ich nicht schon Stunden vorher, vor der Arena, um danach von allen überholt zu werden, nur weil man an der Garderobe so lange brauchte. Da bezahlte ich lieber Liefergebühren und hatte dafür etwas Warmes im Magen.
Während Matt rauchte, dachte ich über die Sache mit Amber nach. Ich hatte Matt noch nicht darauf angesprochen, weil ich mir nicht sicher war, ob ich es überhaupt ansprechen sollte. Ich wollte mich nicht in seine Angelegenheiten einmischen. Warum hat er Amber so ein Ultimatum gestellt? Sie ist seine Zwillingsschwester und ich hätte nie gewollt, dass er nie wieder mit ihr spricht, wenn sie sich nicht bei mir entschuldigt. So etwas hätte ich nie verlangt. Weshalb hat er das getan?
Mein Telefon vibrierte. Es war eine Nachricht von Niall. "Vielen Dank. Doch die Show wird schwere ohne dich zu rocken sein. Ich liebe dich." Mir wurde warm ums Herz und am liebsten hätte ich ihn in diesen Moment angerufen, um ihn zu sagen, dass ich komme und es mir leidtut, dass ich ihn an zweiter Stelle gesetzt habe.
Ich schickte ihn eine Nachricht voll mit roten Herzen zurück und steckte mein Telefon wieder in meine Tasche. Matt tippte derweil ebenfalls an seinem iPhone herum.
"Sag mal Matthias...", ich biss mir auf in die Lippe und zog sie danach zwischen meine Zähne. "Warum hast Amber dazu gezwungen sich bei mir zu entschuldigen? Sie meinte auch, dass du sonst nichts mehr mit ihr zu tun haben möchtest. Es bedeutet mir viel, dass ich dir wirklich so viel bedeute, aber ich möchte eure Familie nicht zerstören."
Vorsichtig hob er den Blick an und steckte sein Handy in die Jackentasche. "Mach dir darüber keinen Kopf. Unsere Familie ist schon lange im Eimer. Die Scheidung unserer Eltern war nichts, dass wir nicht kommen gesehen hatten. Diese ständigen Streitereien, wenn sie dachten, dass wir schliefen ... Die Eifersuchtsszenen meiner Mum, wenn Dad von einer Kollegin sprach oder generell von irgendeiner Frau, egal ob es die Bäckerin war oder die Nachbarin von nebenan ... Und Amber ist genau wie unsere Mutter. Wenn man beide nicht in ihre Schranken weist ist nie ruhe. Ich habe natürlich nicht vor sie ewig zu meiden, aber ich fand, dass es an der Zeit ist, ihr klarzumachen, dass sie so etwas ohne Konsequenzen nicht abziehen kann." Er räusperte sich und sah zu Boden. Die Sache mit seinen Eltern schien ihm deutlich mehr mitzunehmen, als er es je zugeben würde. Ich nahm seine Hand und drückte sie leicht, um ihn zu zeigen, dass ich für ihn da war, so wie er für mich damals. Mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte, sah er mich kurz an. Ich hätte gerne etwas gesagt, um ihn aufzumuntern, fand aber nicht die richtigen Worte dazu. In Aufmunterungsreden war ich noch nie die Beste, da ich Angst hatte das falsche zu sagen. In diesen Moment, als ich eine Tätowierung an seinen Hals durch die Halskrause blitzen sah, kam es mir vor, als wäre die bunte Kunst an seiner Haut, wie ein Panzer, hinter dem sich der kleine Junge versteckte, der den Krach seiner Eltern nächtlich mitbekam. Der sich vielleicht sogar einredete etwas Schuld daran zu tragen ...
Ich hielt noch immer seine Hand, fühlte die Wärme die er ausstrahlte. Ich lehnte mich an ihn an und sagte leise: "Du solltest dich mit Amber aussprechen. Auch wenn ich sie nicht ausstehen kann, muss ich sagen, dass sie sehr aufgelöst aussah, als sie meinte, dass du nichts mehr mit ihr zu tun haben möchtest, wenn ich ihr nicht verziehe. Und Matt ... ich werde ihr nie verzeihen können. Sie hat mich regelrecht gemobbt und das ist unverzeihlich. Dass soll aber nicht heißen, dass du dich mit deiner Schwester streiten sollst. Sie ist dein Blut. Redet über die Sache mit euren Eltern. Setzt euch alle doch mal zusammen und redet. Worte können Wunden heilen."
Während ich sprach, lehnte Matt seinen Kopf an meinen. "Vielleicht sollten wir das mal machen", flüstere er mit gebrochener Stimme. Seine Familie war sein wunder Punkt und es bereitete mir schmerzen Matt so zerbrechlich zu erleben. Es passt nicht zu ihm. Er war Matt! Der Starke, der mich eigentlich immer aufmunterte und nicht umgekehrt.
Matt räusperte sich wieder, um seine Stimme zu finden. Wir ließen voneinander ab und ich rieb ihm den trainierten Oberarm, die im Vergleich zu Niall gigantisch waren.
"Was für Snacks hast du denn mitgenommen?", fragte ich, um die Situation etwas aufzulockern. Heute sollte ein guter Tag sein und keiner bei dem mir zum Heulen zu mute war.
Matt verzog seine Lippen und lächelte verschmitzt. Dieses Mal war es ein echtes Lächeln. "Wir sind gerade mal dreißig Minuten hier und du hast schon hunger?"
Vier Stunden mussten wir noch durchhalten, bis endlich die Türen geöffnet werden würden. Ich hatte bereits die zweite Wasserflasche getrunken und merkte, wie sich so langsam aber doch meine Blase meldete. Ich tupfte Matt an, der sich mit einem Kerl drei Personen weiterunterhielt. "Matthias, könntest du kurz das Plakat und meine Tasche halten. Ich müsste schnell wohin ..."
"Klar." Er nahm mir mein Zeug ab und ich machte mich auf den Weg in das Einkaufzentrum gegenüber, um die Toiletten zu finden. Bei der Ampel stand ich allerdings nicht alleine. Auch andere mussten anscheinend das stille Örtchen aufsuchen. Als die grüne Farbe aufleuchtete, sprinteten wir hinüber und betraten das Kaufhaus. Es war so groß und voller Menschen, dass ich mich zuerst überhaupt nicht zurechtfand. Ein Mädchen, das ich auch schon an der Ampel stehen sah, sah sich ebenfalls suchend um.
"Suchst du ebenfalls die Toiletten?", fragte ich nett und sie nickte, als sie merkte, dass ich sie angesprochen hatte.
Etwas zurückhalten erwiderte sie: "Ähm, ja."
Ich drehte mich einmal im Kreis, konnte aber kein Schild entdecken. Schließlich ging ich einfach gerade aus und merkte, dass mir das braunhaarige Mädchen mit etwas Abstand, folgte. Sie schien schüchtern, deshalb drehte ich mich nur langsam nach ihr um, um sie erneut anzusprechen, als ich das Schild entdeckt hatte.
"Ich habe die Toiletten gefunden. Vorne links." Mit meinem Zeigefinger deutete ich in die richtige Richtung. Ich verlangsamte meinen Schritt, damit sie aufholen konnte, bis wir schließlich nebeneinander gingen. "Ich bin übrigens Marie und wer bist du?"
"Ich bin, ähm ... Eleanor. Du darfst mich aber Ellie nennen."
"Freut mich Ellie." Sagte ich lächelnd und reichte ihr die Hand. Ellie war groß und hatte eine sportliche Figur. Ihr Haar war in etwas so lange wie meines, nur nicht so glatt, sondern leicht gelockt. Es war genauso braun wie ihre Augen.
"Gehst du auch auf das Konzert von Niall?", fragte ich, als ich die Tür zu den Toiletten öffnete. Am Spiegel standen zwei Mädchen, die gerade ihre Schminke aufbesserten.
"Ja mit einer Freundin. Sie hält gerade meinen Platz in der Schlange frei."
Wir mussten ein paar Minuten warten, bis wir wie Toiletten benutzen konnte, da bereits einige anstanden, um auf das stille Örtchen zu gelangen. Danach traf ich Ellie beim Waschbecken wieder an und beschloss mit ihr zurückzugehen. Konzerte waren immer gute Gelegenheit um neue Leute, mit denselben Interessen kennenzulernen.
"Du wirst erst achtzehn?! Ich hätte schwören können, dass du älter wärst als ich!" Ich konnte nicht glauben, dass Ellie erst siebzehn war. Es schien in Mode zu sein, dass jüngere Mädchen älter aussahen als wie ich mit meinen zwanzig Jahren. Was ist nur los mit dieser Jugend?
Die Ampel schaltete auf grün um.
"Was? Nein, so ... so alt sehe ich auch wieder nicht aus", meinte Ellie und winkte ab. Die Körpergröße alleine ließ sie um Jahre älter aussehen als wie mich.
Als wir die Warteschlange wieder erreicht hatten, sah ich, dass Matt noch immer mit diesem Kerl von vorhin sprach. Er schien mich nicht zu vermissen, deshalb ging ich noch mit Ellie mit und lernte ihre Freundin Selina kennen. Ellie stellte und einander vor. Ich konnte die Blicke auf meinen Rücken spüren, da Selina und Ellie sehr weit vorne in der Schlange standen. Klar, dass jetzt alle dachten, dass ich mich vordrängeln würde. Was ich nicht tat, da ich sowieso wieder zurück zu Matt gehen wollte. Aber man durfte doch wohl noch kurz mit jemanden sprechen, oder?
"Ich bin schon so aufgeregt! Niall ist mein Liebling von One Direction! Heute ist das erste Mal, dass ich ihn sehen kann." Selina faltete die Hände zusammen. "Ach, ich könnte heulen!"
Ellie nickte. "Ja, das wird bestimmt super. Aber ich freue mich vor allem heute sein Album zu hören. Ihr müsste euch vorstellen, dass wir die ersten sind, die das Album hören werden. Außerdem bete ich, dass Niall auch 1D Songs singt. Ich möchte unbedingt 18 hören. Mein Lieblingssong."
"Da gebe ich euch recht. Das wird spitze."
"Endlich sehe ich Niall!", quietschte Selina mit hochgerutschter Stimme, danach drehte sie sich zu Ellie. "El, ich verstehe wirklich nicht, warum du Niall auch nicht so scharf findest wie ich. Er ist ein Snack, den man sofort verputzen sollte, wenn man die Chance dazu bekommt! Wäre ich Amara würde ich ihn Tag und Nacht an ihm kleben! Sie hat so ein Glück! Wie gerne würde ich mit ihr tauschen!" Sie seufzte und schloss die Augen.
Ellie sah mich entschuldigend an. "Wenn es um Niall geht, ist sie immer so."
Ich zuckte mit der Schulter. Ich konnte total verstehen, was Selina da von sich gab. "Ich bin da genauso wie sie, nur halte ich mich dabei etwas zurück. Und wer ist dir am liebsten, wenn es Niall nicht ist?"
Ellies Wangen wurden etwas rötlich. "Louis." Sie antwortete nur leise, als wäre es ihr nicht erlaubt seinen Namen zu sahen. "So wie er sich gibt, kommt er mir total verständnisvoll, liebevoll, nett, klug und unheimlich charmant vor. Ich würde ihn gerne mal treffen und mich mit ihm unterhalten. Das wäre ein Traum von mir."
Ich hätte ihr gerne von meinen ersten Treffen mit Louis erzählt, konnte aber nicht. Wie gerne hätte ich ihr erzählt wie stolz er immer von seinem Sohn erzählt und wie er sich um seine Freunde sorgt und Gedanken macht. Aber es ging nicht.
Ich hätte mich gerne noch länger mit ihnen Unterhalten, wusste aber, dass es besser war wieder zurück zu Matt zu gehen. Er machte sich bestimmt Sorgen, weil ich schon so lange weg war.
"Ich sollte jetzt besser zurück an meinen Platz gehen. Mein Freund macht sich bestimmt schon Sorgen um mich. Denn eigentlich wollte ich nur kurz auf die Toilette gehen."
"Oh." Beide sahen mich etwas traurig an. "Schade. Aber andererseits finde ich es cool das dein Freund dich zu so einem Konzert begleitet! Hätte ich einen, würde der mich garantiert nicht begleiten", meinte Selina und drehte mir dabei das Wort im Mund um. Ich hatte keine Lust die Sache geradezu Rücken und ließ beide in den Glauben, dass Matt mein fester Freund war. Sollten sie es doch glauben.
Ich verabschiedete mich und ging zurück zu Matt. Er stand mit einer Zigarette zwischen den Lippen da und schielte auf sein Handy. Meine Tasche hing um seiner Schulter und mein Plakat steckte in seinem Rucksack, von dem mehr als die Hälfte in die Luft ragte.
"Auch wieder da?"
"Ich habe da zwei Mädchen kennengelernt, mit denen ich mich noch unterhalten habe", erklärte ich und nahm ihm dabei meine Tasche ab.
Matt sah von seinem Handy hoch. Er hob eine Augenbraue an. "Sind sie heiß?"
Empört schlug ich ihm gegen den Oberarm. "Ist das, dass einzige an das du denkst?"
Matt grinst weiterhin und schüttelte den Kopf leicht. "Was? Ich muss dir doch bestimmt nicht erklären, wie geil Sex ist, oder?" Die Mädchen und eine Mutter vor uns drehten sich nach uns um. Schnell wendete ich den Blick ab und zupfte an meinen Fingerkuppen herum.
Um die restliche Zeit schneller zu überbrücken, beschloss ich meine Mutter anzurufen. Ich hatte ihr noch nichts von Grandma erzählt. Aber ich nahm an, dass Grandma das sicherlich schon erledigt hatte. Vermutlich schob sie mir und Niall die ganze Schuld in die Schuhe und einen kleinen Teil auch meiner Mutter. Die Art wie ich von Mum erzogen wurde, war ihr ein Dorn im Auge. Meine Mutter hob schon nach wenigen Sekunden ab und redete ohne Punkt und Komma. Als sie den Lautsprecher anmacht, damit auch Bobby mithören konnte, verstand ich so gut wie kein Wort mehr. Beide redeten durcheinander und begann wegen Kleinigkeiten zu kichern. Wollte ich überhaupt wissen, warum sie kicherten? Vermutlich nicht. Als ich fragte, wie es dem Baby ging, wurden beide etwas ruhiger. Mum meinte, dass sie ab und zu kleine Problemchen gehabt hätte, es aber keinen Grund zur Beunruhigung gab. Ich sollte mir bloß keine Sorgen machen meinte sie. Danach verkündigten mir beide noch, dass sie mit Valerie geskyped hätten und das Valerie sich demnächst wünscht die Beiden endlich zu treffen. Mum war ganz aus dem Häuschen. Nun lag es nur noch daran, wann Valeries Terminkalender es zuließ. Ich für meinen Teil dachte, dass sich Mum und Valerie sofort treffen hätten sollen und nicht erst jetzt. Es sind bereits beinahe zwei Monate vergangen, seitdem wir uns gefunden hatten. Auf was wollten sie warten?
Umso mehr wir uns der Einlasszeit näherten, umso schlimmer wurde es. Die Warteschlange, die vor einer Stunde noch eine wirkliche Schlange war, war nun verformt. Leute die vorhin weit hinter uns standen, quetschten sich neben mir oder vor mir in die Menge. Es wurde gedrückt und nach vorne geschoben. Die verschiedensten Schimpfwörter fielen und es wurde unangenehm. Ich fühlte mich wie eine Sardine zusammengepfercht. Das hier musste so nicht sein. Warum waren die Leute nicht in der Lage, sich geordnet anzustellen. Es würde den gesamten Prozess erleichtern und garantiert beschleunigen. Um Matt nicht zu verlieren hatte ich meinen Arm in seinen eingehackt. Er sah mich immer wieder etwas besorgt von oben an und fragte mich, ob ich eh Luft bekäme. Mir war heiß und die Luft wurde tatsächlich immer knapper, da ich von Riesen umgeben war. Es war, als würden sie mir die Luft zum Atmen stehlen. Die Situation war wirklich schlimm. Ich war nicht mal in der Lage mich zu bewegen. Meine Hände wurden gegen das Mädchen vor mich gepresst, während ich wiederum jemanden an meinen Rücken kleben fühlte. Was ich auch noch nicht leiden konnte war, dass die blonden Haare des Mädchens vor mir, genau in mein Gesicht hingen und zwei Haare von ihr an meiner Lippe klebten. Igitt!
Der Einlass begann und das wusste ich nur, da Matt mit seiner Größe über alle hinübersah und es mir mitteilte. Ich beneidete ihm für seine Größe. Matt hatte keine Probleme später überhaupt etwas zu sehen, wohingegen ich mir Sorgen machen musste. Mit meiner Größe hatte ich sicher das Pech in der Menge unterzugehen, sodass Niall mich nicht sehen würde. Bevor es endlich so weit war und wir durch den Security-Check mussten, gab Matt mir ein Ticket. Er hatte es auf Ebay aufgetrieben und wollte kein Geld von mir annehmen. Für den Anfang beließ ich es dabei, da ich sicher nicht vorhatte nicht für meine Karte zu bezahlen. Ich verstand nun wirklich nicht, warum ich meine Karte nicht bezahlen sollte. Schließlich war sie nicht günstig und ich sah nicht ein, weswegen er dachte für mein Vergnügen zahlen zu müssen.
Matt schob mich vor und ich zeigte meine Karte vor. Danach würde ich von einer Frau abgetastet und durchgelassen. Ich warf einen Blick zurück und sah, dass Matt seinen Rucksack durchsuchen lassen musste. Kreischende Mädchen stürmten in der Zwischenzeit an mir vorbei und ich fühlte, wie sich meine Beine von alleine zum Laufen bereit machten. Mein Herzschlag schlug mir bis zum Hals und meine rechte Hand zuckte leicht. Es war keine Nervosität, sondern einfach das Adrenalin, das mich mit den Mädchen mitlaufen lassen wollte. Matt schloss seinen Rucksack und lief auf mich zu um mir in die Halle zu folgen. Wir liefen, obwohl wir alle paar Meter von einem Mitarbeiter der Halle dazu aufgefordert wurden es zu unterlassen.
Fünf Meter Menschenmassen vor uns trennten uns von der Barrikade. Es war schade, aber man konnte eben nicht immer vorne stehen.
"Schade, ich dachte, wir würden es schaffen", meinte Matt nüchtern.
"Egal. Dann musst du dich eben für uns beide bemerkbar machen." Meinen eigentlichen Satz, in dem ich sagen wollte, dass sein Rucksack daran schuld war, dass wir nicht weiter vorne stehen, schluckte ich hinunter. Während ich hinter uns die Räumlichkeit füllte, nahm ich mir die Zeit um mir alles anzusehen. Die oberen Sitzränge und die roten Polstersessel ließen erahnen, dass hier sicherlich Theaterstücke aufgeführt wurden. Ich konnte mir auch sehr gut vorstellen, dass hier Orchester spielten oder kleinere Opernstücke aufgeführt wurden.
Im Hintergrund begann Musik zu spielen. "Perfect" von Ed Sheeren ertönte über die Lautsprecher. Ich bekam Gänsehaut, als ich hörte, wie die anderen Konzertgäste zu singen begannen. Und ich wäre nicht ich, wenn ich bei Ed nicht auch mitgesungen hätte. Sogar Matt ließ sich dazu mitreißen. Ich hatte nicht gedacht, dass er den Text zu diesem Song wusste, schließlich sah er nicht so aus, als wäre das seine Musikrichtung. Der Song wechselte zu "Mercy" von Shawn Mendes und ich musste sofort wieder daran denken, wie es war, ihm letztes Jahr Backstage zu treffen.
Als die Halle zum ersten Mal dunkel wurde, wurde wie wild gekreischt. Eine irische Band namens "Picture This" trat auf die Bühne und performte einige Songs. Eines davon, glaubte ich, schon mal gehört zu haben. Ich glaubte, dass Niall es damals während der Autofahrt zur Therme gespielt hatte. Wir applaudierten höflich für die Band, als sie die Bühne wieder verließen und Crew Mitglieder begannen die Mikrofonständer für Niall und seine Band richtig zu platzieren.
"Bei welchem Song, willst du eigentlich dein Plakat hochhalten?" Fragend drehte sich Matt zu mir.
Ich hatte keine Ahnung wie die Setlist aussah, welche Songs er spielen würde, deshalb hatte ich mir darum noch keine Gedanken gemacht. "Das entscheide ich spontan. Aber du kannst es mir schon geben. Bitte."
Matt zog den Rucksack von seiner Schulter und reichte mir mein Plakat. Durch das Gedrängel von draußen war es etwas zerdrückt. Aber damit konnte ich Leben.
Das Licht ging erneut aus und der Lärmpegel erreichte einen neuen Rekord. Mir dröhnte es regelrecht in den Ohren. Zwei Scheinwerfer von hinten unten beleuchtete die Bühne und die Band trat heraus. Das Schlagzeug war das erste Instrument das den Beat angab, danach schlossen sich die Gitarristen an. Mir wurde ganz warm im Bauch, als Niall, in weißem Shirt und enger schwarzer Jeans, mit seiner Gitarre die Bühne betrat und zu singen begann:
Oh no, get ready
I feel it coming, it's coming again, I
Stay close, hold steady
'Cause I don't want it, don't want it to end
Those brown eyes, crying in a crowded bar
Every time we get this close
It's always pulling us apart
Nach dem ersten Vers und dem Refrain von The Tide wurde erstmals wieder laut geschrien. Niemand konnte die Worte zu dem Song, da das Album erst nächste Woche seine Veröffentlichung feierte. Als der Songs aus war, trank Niall einen Schluck Wasser und "Seeing Blind" wurde zu spielen begonnen. Ich konnte nicht in Worten fassen, wie verdammt glücklich er in diesen Moment wirkte und wie stolz ich auf ihn war.
Matt und ich bewegten uns langsam zur Musik und ich nahm mir auch nicht die Chance, um Niall aufzunehmen. Nach dem Song folgte eine Begrüßung von Niall: "Herzlich willkommen zu Flicker Sessions." Nach diesem Satz wurde wieder so laut gebrüllt, dass ich ihn fast, nicht mehr verstehen konnte. "Ich ähm wollte das Album den Fans vorspielen, bevor ich es veröffentliche. Und ähm, ich glaube, dass es morgen jeder kennen wird. Ja, also ich war wirklich sehr nervös wegen heute und freue mich sehr heute hier in London die erste Show spielen zu dürfen. Der erste Song hieß The Tide und der zweite Seeing Blind den ich mit Marin Morris aufgenommen habe. Den nächsten könntet ihr vielleicht kennen ..."
Schon bei den ersten Klängen seiner Gitarre wusste ich, dass es sich hier um This Town handelte, das Lied, das vor dem Konzert im freien schon vor den Fans geübt wurde. Aber es hier zu hören, wie alle zu Nialls Stimme mitsangen, machte es zu einem magischen Moment bei dem ich Gänsehaut bekam.
Nach drei weiteren Songs kündigte Niall Flicker an. "Ich hoffe ihr genießt das Album und überhaupt die ganze Show. Den nächsten Song den wir spielen werden heißt Flicker. Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, wie ich das Album nennen wollte. Es war nicht einfach, weil ich es wirklich nicht wusste. Aber eigentlich war es ganz einfach. Dieser Song ist mein Lieblingssong, den ich selbst geschrieben habe. Lyrisch bedeutet er am meisten für mich und ähm ja ... das war mir wichtig." Sein Gesichtsausdruck wurde weich. Er lächelte breit, um seine Aufgeregtheit zu verbergen, die man aber deutlich spüren und sehen konnte. "Ich bin es noch nicht gewohnt eine ganze Show für eine Stunde zu spielen. Die letzte Show habe ich im November 2015 gespielt." Bei der Erwähnung, der letzte Show von One Direction wurde wieder getobt. "Also ähm der nächste Song heißt Flicker."
Ein einziger Scheinwerfer hinter Niall beleuchtete den Raum. Es war totenstill, als er begann zu singen und wir den Worten lauschte. Ich konnte komplett verstehen, warum dieser Song so viel für Niall bedeutete. Was aber nicht daran lag, dass ich mir in vielen Songs schon vorstellen konnte, dass sie irgendetwas mit mir zu tun hatten. Es gab immer kleine Szenen und Erinnerung die mir im Kopf herumschwirrten, wenn ich seine Songs hörte. Ich habe ihn noch nie danach gefragt, aber das war auch nicht nötig. Too Much To Ask, der Song nach Flicker, war zum Beispiel einer dieser Songs, bei denen ich mir sicher war.
"Vergisst du dein Plakat eh nicht?", fragte Matt mir ins Ohr, der sich extra zu mir lehnte, dass ich ihn über die Musik verstehen konnte.
"Nein! Habe es nicht vergessen!" Rief ich zurück und Matt nickte und sah wieder zu Niall hoch, der gerade Since We're Alone zum Besten gab. Mit der Ankündigung das One The Loose seine nächste Single ist, wechselte er den Song. Es ist das Lied, in dem Sophie im Musikvideo mitmachen durfte und mit Niall in LA war. Mein Freund teilte uns mit das der Song ab morgen erhältlich sein würde und das Musikvideo nächste Woche Mittwoch hochgeladen wird.
Etwas suchend sah er durch die Menge, dabei strichen seine Finger über die Saiten seiner Gitarre. Seine Stirn glänzte und seine Wangen waren gerötet. "Den nächsten Song könntet ihr auch wieder kennen. Er ist schon ein bisschen älter und ich durfte ihn immer mit vier meiner Kumpels singen. Ich widme ihn meiner Freundin Amara, die davon überzeugt war, dass er euch gefallen könnte. Lasst es uns für sie singen." Augenblicklich ließ ich das Plakat zu Boden fallen und legte eine Hand auf meinen Mund. Wie vorhin auch erkannten alle den Song und sangen lauthals mit:
I'm like a crow on a wire
You're the shining distraction that makes me fly
Oh home
I'm like a boat on the water
You're the rays on the waves that calm my mindOh every time
But I know in my heart you're not a constant star
And yeah I let you use me from the day that we first met
But I'm not done yet
Falling for you fool's gold
Mir blieb die Luft weg und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich heulte eigentlich nie bei Konzerten, aber dieses war eine Ausnahme. Würden meine Hände nicht so zittern und Matt mich nicht stützten, wäre ich vermutlich umgefallen. Hier hätte ich das Plakat hochhalten können, wollte auch, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich war wie gefesselt von der Musik. Ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass ich bereits heulte und schniefte, als gebe es kein Morgen mehr. Matt rieb mir beruhigend den Rücken. Ich wäre wirklich beinahe nicht hierhergekommen und hätte das alles verpasst. Das hätte ich mir nie verzeihen können.
Viel zu schnell war das Lied wieder zu Ende. Niall sang die letzte Note mit geschlossenen Augen und genoss den Applaus seiner Fans. Sein Blick wanderte wieder durch die Menschenmenge. Er hielt einfach inne. "Ich hoffe, ihr habt das alles auf Video. Sie soll es sehen."
Ich ging ich die Knie, um mein Plakat vom Boden aufzuheben, rollte das Gummiband hinunter und hielt es in die Höhe. Ich war noch nie besonders kreativ, deswegen war es auch mein Plakat nicht. Auf den schwarzen Hintergrund hatte ich mit weißem Marker die Worte: "I AM HERE NIALL!" geschrieben. Meine Hände zitterten wie Ästenlaub. Ohne etwas zu sagen, nahm mir Matt das Plakat ab und hielt es so hoch er nur konnte. Zu Beginn war ich etwas perplex, richtete meine Aufmerksamkeit kurz darauf aber schon auf Niall. Er kniff die Augen zusammen und sah in unsere Richtung.
Niall machte einen Schritt zurück und fuhr sich lächelnd durch sein Haar. Er nahm die Gitarre ab und stellte sich wieder an das Mikrofon. Es dauerte etwas, bis er sich auf die Lippe biss und etwas sagte. "Babe bist du das?" Die Fans schrien auf, während Matt das Plakat hinunternahm und mit dem Finger auf mich deutete. Er hob den Arm so hoch das Niall ihn bestimmt sehen konnte. Das gesamte Publikum drehte sich in unsere Richtung und die Leute um uns, gaben uns etwas mehr Platz.
"Yo! Niall!" Rief Matt mit seiner tiefen Stimme. Er winkte ihm und Niall begann zu lachen und winkte ebenfalls zurück. Niall schüttelte überrascht den Kopf und dann fiel sein Blick auf mich. Er sah etwas erschrocken aus, was sicherlich an meiner Haarfarbe lag. Niall schluckte und rieb sich über die Augen. Musste er auch weinen?
"Amara ...", flüsterte er mit gebrochener Stimme in das Mikrofon. Erneut machte er einen Schritt zurück und drehte seinen Kopf zur Seite. Mit dem Finger fuhr er sich im Gesicht herum und ich was mir jetzt sicher, dass er weinte. Er weinte, weil ich hier war und es ihm so viel bedeutete.
Wie in Trance taumelte ich ein paar Schritte nach vorne, aber erst, als Matt mit am Rücken sanft nach vorne drückte. Die weiblichen Fans um mich lächelten breit und dokumentierten den Moment mit ihren Smartphones.
"Na los. Geh nach vorne!" Ein Mädchen redete mich von der Seite an.
Die Menge spaltete sich und bildete einen freien Weg für mich, durch den ich an die Barrikade gelang. Niall sprang indes von der Bühne und wartete auf mich. Er ignorierte die Mädchen um ihn, die versuchten ihn, um Fotos zu bitten, während die Security Männer zu kämpfen hatten. Wir beide strahlen uns über das gesamte Gesicht an. Ich erreichte das Gitter und Niall stand bereits bereit mich hinüber zu heben. Er schlang seine Hand um meinen Bauch und hob mich hoch. Als meine Füße den Boden wieder berührten legte ich automatisch meine Hände um seinen Nacken und er seine um meine Taille. Er küsste mich vor allen Fans und Kameras, doch ich blendete alles aus. In diesen Moment gab es nur Niall für mich. "Ich liebe dich", murrte er gegen meine Lippen. Niall küsste meine Wange und strich mir mit dem Daumen das womöglich verschmierte Make-Up weg. Hand in Hand zog er mich mit sich nach rechts. Dort hing ein schwarzer Vorhang durch den wir gingen. Viele Leute saßen hier an Pulten herum. Vermutlich die Ton- und Lichttechniker. "Ich muss die Show noch beenden. Warte hier auf mich." Überglücklich nickte ich und beobachtete Niall wie er die Treppen hochging und sich wieder ins Rampenlicht stellte, um die letzten beiden Songs zu singen: Slow Hand und Own My Own.
Hier und da kullerten noch vereinzelt Freudentränen über meine warmen Wangen. Was die anderen um mich herum dachten, war mir ausnahmsweise einmal egal. Es kümmerte mich, dass ich vermutlich wie ein kleines Mädchen neben der Bühne stand und den Mann meiner Träume beobachtete, wie er seinen Traum lebte. Jeden einzelnen verliebten Blick von Niall nahm ich dagegen wahr. Wenn ich müsste, konnte ich überhaupt nicht beschreiben, was gerade in mir vorging. Ich wünschte mir nur, dass es lange anhalten würde, und mir die Stärke gab, ihn nicht allzu sehr zu vermissen. Unbewusst drehte ich eine meiner blauen Haarlocken um meinen Finger. Kurz erschreckte ich, als ich eine Hand an meinen Rücken spürte. Es war Matt. Er umarmte mich und lehnte seinen Kopf an mein Ohr: "Das nenne ich mal: Überraschung geglückt."
"Ja", seufzte ich. "Es war es auf jeden Fall wert einen Tag vom Studium auszusetzen."
Niall endete die Show mit Own My Own und verabschiedete sich mit einer kurzen Dankesrede vom Publikum. Nun konnte ihn nicht mehr aufhalten, um in meine wartenden Arme zu laufen. Er hob mich hoch, drehte mich im Kreis und küsste mich wie in diesen kitschigen Filmen, die es zur Genüge auf Netflix gab. Meine Finger spielten mit seinem feuchten Haar, während unsere Lippen miteinander zu Gange waren. Die Crewmitglieder klatschten und pfiffen. Grinsend trennten wir uns voneinander und ich versteckte meinen hochroten Kopf an seiner Brust.
"Danke Kumpel", hörte ich Niall heiser sagen.
"Ich helfe doch gerne", erwiderte Matt. Neugierig sah ich hoch. Wofür bedankte er sich? Wusste er, dass Matt mich überredet hatte?
"Hast du gewusst das doch komme?" Ich biss mir auf die Lippe und sah in Nialls glänzendes Gesicht hoch. Haare klebten an seiner nassen Stirn und mit den geröteten Wangen sah er aus wie ein kleiner Junge, der zu lange im kalten Garten spielte.
Niall strahlte mich an und wuschelte mir durch mein Haar. "Nein, habe ich nicht. Aber ich hatte Matt damit beauftragt, dich zu überreden. Er hat mir aber nicht gesagt, ob du tatsächlich kommst."
"Matt!" Ich wendete mich von Niall ab, um Matt anzusehen. Ich schüttelte überrascht den Kopf. "Ich fasse es nicht!" Glücklich darüber ihn meinen Freund nennen zu dürfen zog ich ihn in eine Umarmung. "Dankeschön."
"Ich habe dir doch damals versprochen, dir zu helfen ihn zu bekommen. Weißt du noch? Im Pub, als wir uns im Klaren waren die eine Sache zwischen uns zu vergessen und Freunde zu sein."
Wir ließen voneinander ab und ich nickte. Natürlich wusste ich es noch. Der Tag, an dem Niall This Town das erste Mal vor Publikum performte, weil Holly ihn dazu gedrängt hatte.
"Sollte ich wissen worüber ich hier redet?", mischte Niall sich schmunzelnd ein. Er nahm meine Hand in seine und küsste meinen Handrücken.
"Das ist ein Insider", erwiderte Matt für mich mit.
Niall nickte. "Verstehe."
"Wie sieht es eigentlich aus? Bringst du die Lady nach Hause oder soll ich?" Fragend hob Matt eine Augenbraue. Wir standen der Crew, die die Instrumente abbaute im Weg und gingen deswegen einige Meter weg, bis wir in einem Flur standen, an dessen Wänden verschiedenste Poster von Künstlern hingen.
Niall hatte in der Zwischenzeit einen Arm um mich gelegt. Er war komplett verschwitzt und ich hätte nie gedacht, dass mich so etwas mal antörnen könnte. "Ich denke, das werde ich selbst erledigen. Aber danke."
Mir und Matt wurden, während wir auf Niall warteten, der sich umzog, Getränke angeboten. Als Niall in Jogginghose und neuem weißen Shirt wieder zurückkam, verabschiedete sich Matt von uns. Da er morgen wieder nach Hause flog bedankte ich mich ganz herzlich bei ihm. Außerdem wollte ich ihn schon bald wiedersehen.
Wir wünschten den anderen noch eine gute Nacht und gingen durch den Hinterausgang zu den Wangen. Mehrere Busse standen bereit, in denen riesige Koffer geschoben wurden. Ich nahm an, dass das Instrumente sein mussten. Ich folgte Niall zu einem - wie sollte es auch anders sein - schwarzen Range Rover. Niall öffnete mit der Fernbedienung die abgesperrten Türen. Es wunderte mich, dass er anscheinend alleine hergefahren war.
"Bist du selbst hierhergefahren?"
"Nein, aber ich wollte meine Frau selbst nach Hause fahren. Marc hat nichts dagegen mit Phil mitzufahren. Außerdem ist es mein Wagen."
Er nannte mich seine Frau und mein Herz hämmerte danach noch schneller. Niall öffnete mir die Beifahrertür und warf sie hinter mir zu, als ich im Sitz saß. Danach stieg er auf der Fahrerseite ein, nachdem er eine Sporttasche auf den Rücksitz gelegt hatte. Er musterte mich still, lehnte sich zu mir und küsste mich auf die Lippen. Es war ein kurzer süßer Kuss, der nach mehr verlangte. "Deine Haare sind sehr gewöhnungsbedürftig. Sag mir nur bitte, dass es auswaschbar ist. Obwohl ich dich sogar mit Neongrünen Haaren lieben würde."
"Keine Sorge Niall. Neongrün ist nicht meine Farbe, aber blau. Ich liebe blau." Niall lehnte sich erneut zu mir und gab mir ein Küsschen auf meine Schläfe. Um ihn die Sorgen zu nehmen, sagte ich: "Ja, die Farbe wird morgen nach der Dusche wieder weg sein."
Mit einem erleichterten Gesichtsausdruck, betätigte Niall den Startknopf des Wagens und parkte den Wagen rückwärts aus. "Lass uns nach Hause fahren."
Als wäre es abgesprochen, erzählte die Frau im Radio gerade von Nialls erster Show. Die positive Reaktion freute mich für Niall und das sagte ich ihm auch. Auch das es mit leidtat, dass ich wirklich daran gedacht hatte nicht zu kommen. Derweil verkündete die Moderatorin den nächsten Song: On The Loose.
Niall bog in die Garage seines Apartments ab. Er war also schon so weit sein zu Hause auch als mein zu Hause zu interpretieren. Er parkte den Wagen neben seinen grauen Porsche ab und schaltete den Motor ab. Seine Hände lagen noch am Lenkrad, doch sein Blick galt mir. "Das heute war vermutlich der beste Abend meines Lebens. Nicht nur, weil es das erste Konzert von meiner Solokarriere war. Alleine die Tatsache das du heute gekommen bist, total verkleidete machte das alles noch ... unglaublicher. Ich kann dir gar nicht sagen wie viel mir das bedeutet."
Ich öffnete meinen Gurt und lehnte mich zu Niall hinüber. Eine Hand legte ich auf seine Schulter um mich besser abstützen zu können. Sich im Auto zu küssen ist keine leichte Sache. Seine Hände hielte mich an meiner Taille fest, als ich mich dazu durchrang über die Konsole zu klettern, um auf seinen Schoß Platz zu nehmen. Ich wippte etwas nach vorne, als ich spürte, dass er den Sitz etwas nach hinten geschoben hatte, damit wir mehr Platz hatten. Ich vergrub meine Finger in seinen Nackenhaaren. Meine Zunge glitt über seine Lippen, die er für mich öffnete. Automatisch begann mein Körper sich wie von alleine etwas an ihn zu reiben. Seine Hände strichen ganz sanft und langsam meinen Rücken, bis zu meinen Hintern und dann zur Seite und mein Bein entlang.
"Hm", stöhnte Niall gegen meine Lippen. Ich zog meinen Kopf leicht zurück um ihn in die Augen sehen zu können. Ich ließ es mir aber nicht nehmen weiterhin mit seinen Haaren zu spielen. "Wenn wir so weiter machen, schaffe ich es nicht mehr bis nach oben." Verschmitzt biss er sich auf die Unterlippe. O Gott, wie scharf ich ihn gerade fand, würde er mir nie glauben. Es war mir egal, dass er verschwitzt war und wir in seinem Auto saßen. Diese Nacht durfte nicht anders enden.
"Das müssen wir auch nicht." Ich zog meine Hände von ihm und öffnete den Reißverschluss meiner Jacke. Seine Augen folgten gespannt meinen Bewegungen. Extra langsam zog ich sie mir von den Ärmeln und warf sie auf die Rückbank. Knopf für Knopf öffnete ich meine Bluse, bis auch diese auf der Rückbank zu finden war. Ich wusste, wie sehr er meine Brust mochte. Es war immer das Erste, mit dem er zu Gange war, wenn es soweit war. Seine feuchten Lippen küssten die Haut über meinen BH. Er sog daran und ich warf den Kopf in den Nacken. Mein Kopf legte sich nach rechts, als ich merkte, wie er meinen Hals hinauf wanderte. Wieder saugte er an meiner Haut, ich konnte auch seine Zähne spüren, bis die Stelle zu brennen begann. Ich zog scharf die Luft ein.
"Fuck." Hörte ich ihn flüstern. Ich begann mein Becken an ihm zu reiben und es gefiel ihm. Mit einem festen Griff an meiner Hüfte schob er mich schneller in seinem Schoß nach vorne und zurück. Mit steigenden verlangen pressten wir unsere Lippen aufeinander, dabei konnte ich regelrecht fühlen, wie sie anschwollen. Das Einzige, dass unsere Münder trennen konnte, war der Luftmangel. Was aber nicht bedeutete, dass wir uns voneinander trennten. Seine Stirn lag an meiner und ich wir konnten unsere heißen Atmungen an unseren Gesichtern spüren. Beim nächsten gierigen Kuss merkte ich, wie seine Hände sich am Bund meiner Hose zu schaffen machen. Ich konnte sofort fühlen, als er den Knopf geöffnet hatte. Jetzt war nur die Frage, wie ich mich hier ausziehen sollte. Als hätte er meine Gedanken gelesen fuhr er den Sitz so weit wie möglich nach hinten. Ich sah ihm fest in die Augen, als ich von seinem Schoß hinunterstieg und mich gebückt zwischen seine Beine und dem Lenkrad stellte. Es war sehr umständlich, zuerst mal meine Schuhe auszuziehen, aber Niall nahm mir mit seinem Kichern, die Sorge mich hier zum Affen zu machen. Ich schmiss meine Schuhe nebenbei auf den Beifahrersitzboden und zog mir die Jeans von den Beinen. Die Fenster liefen derweil an und versperrten die Sicht nach draußen. Ich war nur froh, dass die Fenster getönt waren und dass es bereits spät in der Nacht war. Mit einer Hand gegen die Scheibe gepresste stützte ich mich, um mit der anderen Hand die Jeans von meinem rechten Bein zu ziehen. "Ein Kleid wäre für die Situation passender gewesen", neckte mich Niall, der mich wieder auf sich zog.
"Als ob ich das hier geplant hätte." Mit Absicht presste ich mich fest auf seine Mitte. Er stöhnte auf und schloss kurz die Augen, dabei nahm ich wahr wie er ein "O Gott", keuchte. "Okay", sagte er und atmete tief aus. "Wir ... wir müssen noch ...", stammeln ließ er den Kopf auf die Kopflehne zurückfallen, während ich seinen Hals küsste. "Amara ... bitte ... warte kurz ..."
Nur widerwillig stoppte ich und lehnte mich etwas zurück um in ansehen zu können. "Was ist los? Gefällt ... es dir nicht?" Er verunsicherte mich mit seinem Gestammel.
"Was? Nein! Gott, nein!" Niall schmunzelte und kniff mit den Fingern den Nasenrücken. "Wir ... wir sollten nur mal darüber reden, wie wir in Zukunft Verhüten wollen."
Seufzend ließ ich die Schultern fallen. "Muss das unbedingt jetzt sein?" Ich fand es wirklich sehr anständig und verantwortungsvoll von Niall, aber es jetzt zu besprechen könnte die ganze Situation abkühlen.
"Da wir gleich weitermachen, denke ich schon, dass wir das besprechen sollten." In diesen Moment merkte ich deutlich, dass Niall älter und erfahrener als ich war. Fünf Jahre trennten uns. Vom nichts tun wurde mir etwas kalt, deswegen legte ich meine Arme um mich. Niall bemerkte es und fischte mit einer Hand nach meiner Bluse, die ich mir wieder anzog.
"Also?"
"Ich ähm, weiß eigentlich nicht mal, ob du eigentlich die Pille nimmst. Nimmst du sie?" Nialls Finger spielte mit dem Stoff meiner Bluse, als er auf meine Antwort wartete.
Und hier war es wieder das Schamgefühl. Ich verstand wirklich nicht, warum mir diese Frage alleine schon peinlich war. Es war etwas komplett Normales, was Paare besprechen sollen und eigentlich müssen, wenn sie nicht schwanger werden wollten. Und das wollte ich jetzt garantiert nicht. "Ich habe sie bis letztes Jahr genommen. Da ich aber keinen Freund hatte und ab und zu vergessen hatte sie überhaupt zu nehmen, habe ich damit aufgehört."
"Okay. Aber wir sollten schon etwas finden, dass wir zum extra Schutz benutzen könnten. Ich hatte mal eine Freundin, die sich alle drei Monate eine Spritze geholt hatte. Vielleicht wäre das etwas für dich."
Bei der Erwähnung des Wortes Freundin, zog es in mir alles zusammen. Meinte er Holly? Ich hoffte nicht. "Ja, ich werde mich erkundigen. Versprochen."
Niall nickte, biss sich auf die Lippen und lehnte sich zu meinem Gesicht um mir einen Kuss auf die Nase zu drücken. "Gut und jetzt ... können wir weitermachen." Er hob mich an meiner Taille an und setzte mich am Beifahrersitz ab. Niall drehte sich, lehnte sich zwischen den Sitzen durch und kramte in seiner Reisetasche nach seiner Brieftasche, aus der er ein Kondom zog. "Beim nächsten Mal wird das hier, vielleicht nicht mehr notwendig sein." Mit seinen Zähnen riss er die Verpackung auf und zog das weiße Material aus der Folie. Kurz sah er mich an, bevor er seinen Jogginghose mit seiner Boxershorts etwas nach unten zog. Sein Glied war bereits hart. Mein Herz pochte in meiner Brust, als ich ihn zusah, wie er sich das Kondom überstreifte. Er nickte mir zu und hauchte ein: "Komm her." Ich verschränkte meine Finger mit seinen und kletterte wieder hinüber um mich auf ihn, mit zur Seite geschobenen Slip, niederzulassen. Es war ein komplett anderes Gefühl als neulich, als ich unter ihm lag. Luft wurde scharf eingezogen und Stöhne entwichen unseren Lippen. Der Sitz knautschte unter unseren Bewegungen. Der Beschlag an den Fenstern wurde noch dichter und alles in allem war es eine komplett neue und beengende Erfahrung für mich, die ich sehr erregend fand.
Zuerst rieb ich mich an ihm, bewegte mich vor uns zurück, änderte meine Bewegungen aber kurz daraufhin zu auf und ab. Niall packte mich am Hintern und drückte meinen Oberkörper an seinen. Etwas schneller stieß er nun von unten in mich hoch. Winselnd schloss ich die Augen. Wenn er mich nicht festhalten würde, würde ich fallen. In meinem Unterleib zog sich alles zusammen, meine Knie wurden weich und meine Stöhne wurden lauter. Die Art wie er an meiner nackten Haut saugte und leckte, ließ mir die Gänsehaut über den Rücken laufen. Ich krallte meine Finger in den Saum seines Shirts und drückte Niall vereinzelt kleine Küsse auf die Wange und Schläfe. Als er mich nicht länger halten konnte, übernahm ich die führen und trieb uns beide so zum Höhepunkt.
Ein paar Minuten blieb ich noch auf seinen Schoß sitzen, um meine Atmung wieder in den Griff zu bekommen und um ihn ganz nahe an mir zu fühlen. Dann grabbelte ich von ihm hinunter und versuchte mich so gut wie möglich anzuziehen. Das Auto roch nach Sex. Erst jetzt realisierte ich eigentlich wirklich, dass ich gerade Sex im Auto hatte. Niall hatte sich, dass letzte Woche doch erst von mir gewünscht.
Nach dem ersten Schritt aus dem Auto fühlten sich meine Beine wackelig an. Ein Gefühl von Muskelkater zog sich an der Innenseite meiner Beine bis zu meiner Mitte. Ich war es nicht gewohnt so zu verkehren.
Ich hörte, wie Niall auf der anderen Seite des Wagens die Tür zu schlug und mit seiner Reisetasche um der Schulter um den Wangen herumkam. "Alles okay?"
"Ja." Ich hielt mich am Wagen an und tapste kleine Schritte nach vorne.
Niall verzog die Lippen schmunzelnd. "Sicher?" Er sah sichtlich belustigt aus, mich so gehen zu sehen. Bevor ich etwas antworten konnte, packte er mich und trug mich im Braut-Style zum Aufzug.
Der ganze Weltvorrat an Kaffee hätte mich heute nicht aufputschen können. Meine Augenringe sahen aus, wie die Ringe eines Baumes, an den man sein Alter abzählen konnte. Ich bereute nichts von gestern Nacht. Dass ich aber zu wenig Schlaf bekommen hatte, war die Folge davon, dass ich zu viel Vergnügen gestern hatte. Zum Glück war heute Freitag und leider hatte ich heute diesen verdammt wichtigen Test.
Erst um ein Uhr früh landeten Niall und ich im Bett. Es dauerte nur Sekunden, bis ich in seinen Armen einschlief, aber dafür klingelte mein Wecker fünf Stunden später. Ich musste mich vor der Uni noch unbedingt duschen gehen, etwas Frühstücken und noch etwas lernen. Auch, wenn mein Hirn vermutlich nicht sehr Aufnahme fähig war. Die wichtigen Seiten hatte ich gestern alle samt noch mit meiner Handykamera abfotografiert, da ich mir eigentlich gedachte hatte, dass ich beim Warten bis zum Einlass noch lernen könnte. Was nicht passiert ist.
Während ich mir meine dritte Tasse Kaffee holte, aß Niall Cornflakes und scrollte durch Twitter. Sein Haar war noch ein bisschen feucht von der Dusche. Es stand ihm wild an allen Seiten ab. Beim Zurückgehen an den Tisch, rührte ich mit dem Löffel derweil meinen Kaffee um. Ich setzte mich wieder gegenüber von ihm und nippte ganz vorsichtig am heißen Getränk. "Was schreiben die Leute?"
Niall legte auf meine Frage hin sein Telefon auf den Tisch und schob es mir zu. "Ich würde sagen, ihnen gefällt es." Ich wischte mit dem Finger durch seine Timeline und tatsächlich: sehr gute Kritik. Zwischen all den Tweets, sah ich auch immer wieder mal Videos von gestern. Ein Mädchen hatte den Kuss zwischen Niall und mir mitgefilmt und mit zwanzig weinenden und Herz Emojis kommentiert. Es wurde bereits von Niall als Favorit gekennzeichnet.
"Ich hatte mir nicht gedacht, dass du Fools Gold für mich singen würdest. Das war voll süß von dir. Und ich hatte recht, die Fans haben es geliebt!"
Niall lächelte breit. "Ja, das haben sie wirklich." Ich schob ihn sein Telefon wieder zu und er schob sich einen neuen Löffel voll mit Cini Minis in den Mund. Ein Tropfen Milch klebte an seinem Kinn, den er sich mit seiner Hand wegwischte. Ich hörte es krachen, als er die Cornflakes zerbiss und anschließend schluckte. "Wegen morgen ... Wenn du willst, kannst du Sophie, Tobi, vielleicht auch Peter und deine Schwester fragen, ob sie auch kommen wollen. Und ähm, wie hieß er? Jacob? Also den Freund von Valerie."
"Das wäre toll. Ich werde sie später alle fragen. Oder warte, ich schreibe ihnen eine Nachricht." Ich stand auf und holte mir mein Telefon aus dem Schlafzimmer, dass ich am Nachtkästchen liegen gelassen hatte. Ich tippte die Nachricht ein und leitete sie an meine Freunde weiter. Als ich zurück in der Küchennische war, stand Niall am Waschbecken und wusch das bisschen Geschirr ab, dass wir beschmutzt hatten. "Sag mal Niall wie ist das morgen. Fliegst du direkt nach der Show weg oder erst Sonntag früh?"
Er trocknete sich die Hände ab und drehte sich zu mir. "Wir fliegen gleich nach der Show weiter nach Dublin."
Ich nickte leicht. Ich wollte noch nicht ganz wahrhaben, dass er schon wieder für Wochen weg war. Er war doch erst für drei Wochen weg und jetzt wieder, nur dass es dieses Mal sieben Wochen sein würden. Sieben ganze verflixte Wochen. Neunundvierzig Tag - fast die Hälfte von Hundert. Er legte eine Hand auf meine Wange. "Ich werde dich so oft anrufen, wie es nur geht. Glaub mir, ich verlasse dich wirklich nur ungern. Aber das ist nun mal mein Job. Sieh es als kleine Probe für nächstes Jahr an. Da werde ich auf Welttournee gehen, die acht Monate dauern wird. Aber, wenn ich freihabe und du nicht zur Uni musst, in den Ferien, kannst du mich begleiten."
"Und ich würde dir da nicht auf die Nerven gehen?"
Niall runzelte die Stirn. "Niemals. Ich würde dir gerne zeigen, was ich alles in meinen Job erlebe. Im Sommer bin ich außerdem meistens in Amerika. Du musst dir unbedingt mal mein kleines Haus in LA anschauen. Es ist wirklich nichts Großes, aber ich habe einen Pool, an dem ich dich gerne im Bikini sehen würde."
Typisch Mann.
"Aha, also wenn du deine Sommer sonst immer im sonnigen LA verbringst, warum warst du dieses Jahr hier in London. Gab es da irgendeinen speziellen Grund?" Ich hob eine Augenbraue fragend, konnte mir aber schon denken, wie die Antwort ausfallen würde ...
Niall leckte sich über die Lippen. Er schmunzelte amüsiert. Niall ließ einen Finger über meinen Hals streichen, ganz sanft und genau an der Stelle an der er mich markiert hatte. "Ja in der Tat. Da gab es eine Frau, die mir einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Ich hatte gehört, dass sie sich hier aufhalten sollte, deshalb habe ich meine Sommerresidenz gehen mein Apartment getauscht."
Ich machte einen Schritt auf ihn zu. Mein Kopf war seinem Ganz nahe. Die nächsten Worte flüsterte ich nur: "War sie es wert?"
Er legte seine Stirn an meine. "Ich würde meine Gitarre für sie eintauschen. Und meine Gitarre ist mir heilig. Also ja."
Nach einem längeren Kuss, drängte ich Niall dazu sich endlich anzuziehen. Die Uni würde schließlich nicht auf mich warten. Ich hörte den Föhn aus dem Badezimmer und ließ mich derweil auf die Couch fallen. Mit dem Handy in der Hand versuchte ich noch etwas zu lernen. Zwanzig Minuten später kam Niall, mit gemachten Haaren und Alltagsklamotten endlich. Wir zogen uns Schuhe und Jacken an und fuhren los. Tobi hatte ich per SMS gebeten meine Bücher mitzunehmen.
Im Auto auf den Parkplatz meiner Universität verabschiedete ich mich von Niall mit einem dicken Kuss. Nur schweren Herzens brachte ich es über mich ihn zu verlassen und mich auf den Weg zum Haupteingang zu machen, an dem Tobi schon auf mich wartete.
"Netter Knutschfleck", neckte er mich und ich zog mir automatisch die Jacke etwas höher. "Da schien ja wirklich noch was gelaufen zu sein."
"Ist das so offensichtlich?" Natürlich war es das.
Mein Mitbewohner drückte mir meine Bücher in die Hände. "Schätzchen, diesen dunklen Fleck an deinem Hals sieht man aus hundert Metern Entfernung."
Beim ersten Blick in den Spiegel heute, hätte ich Niall gerne Standpauke gehalten, konnte es aber nicht, weil er mich mit seinem niedlichen Lächeln um den Finger gewickelt hatte. "Er hat es etwas übertrieben. Im Eifer des Gefechts schaltete ihr Männer doch immer den Kopf aus. Etwas anderes übernimmt die Kontrolle."
"Ja, die Lust einzulochen." Tobi zwinkerte mir feixend zu. "Und das ist ihm wohl gelungen."
Seufzend schüttelte ich den Kopf und klapste Tobi auf den Oberarm. Er lachte leicht und öffnete die Tür zum Gebäude. Hier trennten sich unsere Wege. Ich winkte Tobi zu, der die Stufen oben gehen musste, während mein Weg mich geradeaus trieb. Beim Betreten des Hörsaals, schluckte ich. Normalerweise war der Saal zwanzig Minuten vor Beginn noch wie ausgestorben. Die meisten Studenten kamen höchstens fünf Minuten zuvor. Ich war also nicht die einzige die noch lernen wollte. Bei der Fahrt hier zur Uni hatte ich bereits begonnen vom Display meines Telefons mein Gedächtnis aufzufrischen. Ich setzte mich auf einen freien Platz, stopfte die überschüssigen Bücher in meine Tasche und klappte die Tischplatte hinunter, damit ich meine Notizen ablegen konnte. Ich wollte zumindest noch versuchen so viel Information wie möglich zu speichern.
Viel zu schnell beehrte uns unser Professor mit seiner Anwesenheit. Von mir aus hätte er sich heute ruhig etwas mehr Zeit lassen können. Kurz darauf hielt ich die Arbeitsblätter in der Hand und durfte loslegen. Ich arbeitete mich Frage für Frage durch. Dabei kam es mir vor, als würden alle mehr schreiben wie ich. Meine Antworten waren kurz aber knackig. Nun mussten sie nur noch das sein, dass er auch als Antwort lesen wollte.
Nach zwei weiteren Kursen, gönnte ich mir einen Kaffee und marschierte zum Wohnheim in dem Lilly wohnte. Sie hatte mir eine SMS geschrieben und mich gefragt, ob ich vorbeikommen wollte, da sie ein Projekt vorbereiten musste und meine Meinung wissen wollte. Ich stieg keuchend die vielen Stufen hoch und ging den langen Korridor entlang. Zuerst war ich mir nicht sicher, ob ich zusagen sollte, weil Amber doch ihre Mitbewohnerin ist, aber ihretwegen wollte ich nicht absagen. Außerdem könnte es sein, dass sie nicht hier ist. Vielleicht hatte sie gerade einen Kurs oder schikanierte gerade ihr nächstes Opfer. Holly musste doch auch noch irgendwo in der Stadt sein.
Ich klopfte gegen die Tür und wartete ab. Die Tür wurde aufgezogen und Lilly lächelte mir entgegen. "Hey. Ich hatte schon Angst, dass du vielleicht nicht kommen würdest. Komm rein!" Sie winkte mich hinein. Beim Eintreten sagte ich: "Wenn ich nicht gekommen wäre, hätte ich dir Bescheid gesagt. Keine Sorge."
Ich stellte meine Tasche ab und zog mir meine Jacke aus, die ich über einen Stuhl hängte. Es war ordentlich, genauso wie ich es von Lilly erwartet hatte.
"Ich muss dir etwas erzählen Amara ...", meinte Lilly ganz aufgeregt. Sie faltete die Hände zusammen. "Heute in der Früh hat Amber das aller erste Mal, ohne dass ich etwas sagen musste, freiwillig das Geschirr gespült und sogar den Besen geschwungen. Ich kam mir vor wie im falschen Film! Eigentlich hatte ich sogar mit versteckter Kamera gerechnet, aber es kam nichts." Dann nahm sie die Handflächen voneinander und fächerte wild mit ihren Händen herum. "Aber egal! Wie war es gestern!? Twitter war voll mit Videos und Bildern von euch beiden! Gott! Das muss so toll sein so einen Freund zu haben!" Bevor ich etwas erwidern konnte, runzelte sie dir Stirn und betrachtet mit großen Augen meinen gefärbten Hals. Demonstrativ schob sich Lilly die Brille auf der Nase weiter nach oben, die sie rümpfte. "Sieht aus, als hätte dich ein Vampir angefallen. Hattet ihr gestern Nacht zu viel Spaß?"
Schmunzelnd legte ich den Kopf zur Seite. "Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass es einer war? Andernfalls müsste ich annehmen, dass jeder weiß, was mein Freund und ich gestern Nacht getrieben haben."
Kichernd zog Lilly einen Stuhl von dem Tisch hervor und ließ sich darauf nieder. Ich tat es ihr gleich und räumte meine Tasche auf den Boden, damit Lilly genügend Platz hatte, um mir ihr Projekt zu präsentieren.
Ich hörte Lilly aufmerksam zu, wie sie über alternative Produkte zu Plastik sprach, während sie am Laptop ihre Power Point Präsentation laufen ließ. Die Fische die sich im Müll des Meeres verfingen und es sogar verschluckten taten mir leid. Ich hatte mich noch nie wirklich mit diesem Thema auseinandergesetzt, war mir aber spätestens nach diesem Vortag sicher, mehr darauf zu achten. Egal ob es sich darum 'nur' um Fische und Meeresbewohner handelte. Sie sind genauso wie wir Lebewesen, die auf unserem Planten ihr zu Hause hatten. Egal ob Tier oder Mensch es ist unser Planet, unsere Erde. Immerhin müssen wir an die Zukunft denken.
Nialls Sicht
Mit festem Blick sah ich Amara nach wie sie sich der Universität näherte. Ich hätte mir gerne gewünscht, dass sie nur für heute, ein einziges Mal, die Royal Holloway vergessen würde, um nur Zeit mit mir alleine zu verbringen. Aber um das laut auszusprechen, hatte ich zu wenig Selbstbewusstsein und wusste vor allem, dass mir das nicht zustand. So etwas könnte ich einfach niemals von Amara verlangen. Schließlich ging sie nicht aus Spaß studieren. Es war der Beginn ihrer Karriere und so selbstsüchtig könnte ich nie sein. Das war auch der Grund, warum ich sie nicht zwingen wollte zu meiner Show zu kommen. Klar, ich hatte es mir erhofft und Matt darauf angesetzt herzukommen, um seine Schwester in die Schranken zu weißen - denn besonders ihr war es nicht erlaubt auch nur einen Finger an meine Freundin zu legen - und Amara vielleicht ins Gewissen zu reden. Was auch sehr gut geklappt hatte. Sie war tatsächlich gekommen.
Ich warf noch einen letzten Blick auf den jetzt freien Platz neben mir, betätigte den Blinker und ordnete mich wieder im Straßenverlauf ein. Auch wenn ich Amara wirklich noch länger um mich gehabt hätte, wusste ich, dass ich mich heute an meinen letzten ganzen Tag in London, noch von jemand anderen verabschieden musste. Und zwar bei einem ganz besonderen Mädchen.
Ich fuhr zurück nach Hause und parkte meinen Wagen an seinem Platz ab. Das ältere Ehepaar, das unter mir wohnte, grüßte mich beim Verlassen des Fahrstuhls, während ich einstieg. Die Hunters waren ein vorzeige Ehepaar. Ihre Liebe hielt schon sechzig Jahre lang und noch immer erwischte ich den alten Herren dabei, wie er seiner Gattin auf den Hintern glotzte oder grapschte und Mrs Hunter lief immer rot an und schimpft ihn leise: "Hör auf! Nicht in der Öffentlichkeit, Schatz."
Ist es kitschig zu denken, dass Amara und ich das sein könnten? Warum dachte ich so etwas überhaupt? Im Moment sollte ich erstmals unsere Beziehung am Laufen halten und versuchen Amara die Wahrheit zu offenbaren. Sie musste es wissen, denn ohne dieses Wissen, würde unsere frische Beziehung nicht von langer Dauer sein. Was es noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass wir auch bei einem Beziehungsende nie wirklich Abstand gewinnen könnten. Wir sind eine Familie. Unsere Eltern sind verheiratet und erwarten ein Kind. Genau das ist es, was es so schwer für mich macht, endlich meinen Mund aufzumachen und die eine Sache zu erzählen. Die Sache die mir seit Ende August den Kopf zerbricht. Schon seit zwei Monaten trage ich die Last auf meinen Schultern herum und lasse mir dabei hoffentlich nicht allzu viel anmerken. Amara ahnte bereits, dass mich etwas bedrückte, sie hatte es nur allzu soft erwähnt. Egal ob es an meinem Geburtstag war oder bei ihren Großeltern, sie hatte immer recht: Ich bin nicht okay.
Im sechsten Stockwerk gingen die schweren grauen Türen des Fahrstuhls auf. Es war wie immer, wenn ich dieses Stockwerk betreten musste: ein schlechtes Gefühl überkam mich. Wenn ich könnte, würde ich alles ändern. Aber das ging nicht mehr. Der Schaden war bereits entstanden. Frustriert stemmte ich mich mit der Hand gegen die Wand. Ich hatte eine Menge Fehler gemacht in der Vergangenheit und das hier war meine wohlverdiente Strafe. Ich stieß mich ab und drückte tief in die Klingel.
"Ich dachte schon, du kommst überhaupt nicht mehr", meckerte Holly beim Öffnen der Tür. Ich fuhr mir genervt durch mein Haar. "Beruhig dich mal. Es ist gerade mal zehn. Ich habe gestern eine Show gespielt also-"
"Glaubst du, dass mich das interessiert?" Sie machte eine abwertende Bewegung mit der Hand, drehte sich um und ging den Flur in ihrer Wohnung entlang. Da sie die Tür offen ließ, empfand ich es als Einladung. Ich schloss die Tür hinter mir und zog meine Jacke aus. In ihrem geräumigen Wohnzimmer, das ich monatlich bezahlen durfte, sah es aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Schmutziges Geschirr war zu einem Stapel getürmt, Klamotten lagen an allen Ecken, Spielzeug lag am Boden zwischen leeren Flaschen und Kartons. Ich halte das nicht aus.
"Wie sieht es denn hier aus?", fragte ich Holly, die ich durch den Türbogen in der Küche stehen sah. Sie füllte gerade eine Flasche mit einem weißen Brei ab.
"Wie es hier aussieht?!", fuhr sie mich an. Ihr sonst so glänzendes perfektes Haar hing fast kraftlos an ihrem Hinterkopf. Ohne Make-up wirkte sie noch blasser. Die Falten durch ihren bösen Gesichtsausdruck passten ihr nicht und ließen sie älter aussehen. "Was glaubst du eigentlich, was ich hier den ganzen Tag mache?! Wenn du es besser kannst, dann pass doch selbst auf! Ich habe die Schnauze voll!", brüllte Holly, die auf mich zustürmte und mir die Flasche mit Wucht in die Hand drückte. Schneller als ich reagieren konnte, krallte sie sich ihre sieben Sachen und verließ mit einem lauten Türknall das Apartment. Gerade als ich zur Verfolgung ansetzten wollte, hörte ich Charlotte weinen.
Ich konnte nicht gehen.
Ich konnte die Kleine nicht alleine lassen. Ihr Brüllen wurde immer lauter, während ich mich nicht rühren konnte. Es war immer etwas anderes sich um Theo zu kümmern, aber nun war es mein Kind. Nicht mein Neffe, sondern meine Tochter. Verdammt.
Ich ging ins Nebenzimmer, in dem die Kleine in ihrem Gitterbett lag. Ihr Gesicht war bereits gerötet und ihre Wangen feucht. Die Flasche mit dem Brei stellte ich auf den Tisch nebenbei ab. Vorsichtig nahm ich sie unter ihren Armen hoch, um mit meinen Fingern ihren Kopf zu stützten. Ich legte sie in meinen linken Arm und schwankte hin und her um sie zu beruhigen.
"Bitte hör auf zu weinen ...", flehte ich leise. Ich nahm mir die Flasche und versuchte sie zu füttern. Mit ihrer kleinen Zunge drückte sie den Silikonverschluss aus ihrem Mund hinaus, nur um danach noch lauter zu weinen. Ich probierte es erneut und hoffte, dass sie endlich aufhören würde zu schreien. Charlotte hörte kurz auf, begann aber gleich wieder, als links und rechts an ihren Mundwinkel die weiße Flüssigkeit ihre Wangen hinunterlief. Sie konnte keinen Hunger haben ... was konnte es sonst noch sein?
Die Windel?
Ich legte sie auf den Wickeltisch ab, wischte ihr Gesicht ab, zog ihr die graue Stoffhose hinunter, knöpfte den Body auf und wechselte die feuchte Windel. Inzwischen hatte sie sich etwas beruhigt. Anstellte zu weinen, hatte sie nur noch leichten Schluckauf. Ich trug sie ins Wohnzimmer und setzte mich mit ihr in meinen Armen auf das Sofa. Ich wog sie in meinen Arm und betrachtete das kleine Wesen. Wenn man genau hinsah, konnte man schon helle feine Haare erahnen. Die blauen Augen hatte sie von uns beiden, während Ohren und Nase von Holly waren. Nun hoffte ich nur, dass sie meinen Charakter geerbt hatte. Wenn sie jemals so werden würde wie ihre Mutter könnte mich mir nie vergeben.
Ganz sanft streichelte ich ihre weiche Wange. Ein warmes Gefühl stieg in mir auf, als sie ihre winzigen Finger um meinen Daumen drückte. Obwohl sie noch so klein war, war ihr Griff bereits fest. Als würde sie mir sagen wollen, dass ich nicht gehen sollte.
Ich wünschte mir das Holly nicht die Mutter meiner Tochter wäre. Wäre es Amara, wäre ich glücklich und wüsste, dass mein Kind in guten Händen sein würde. Amara hätte mir die Schwangerschaft nicht verleugnet. Sie wäre nicht mit einem drei Wochen alten Säugling vor meiner Tür aufgetaucht und hätte Geld von mir verlangt. Ich hätte mich damals vergewissern müssen, dass sie mir die Wahrheit erzählt hatte, als sie meinte, dass sie nicht schwanger sei. Aber wie sollte ich wissen, dass sie mich anlügen würde? Sie hatte sich geschämt schwanger zu sein und wollte das Kind, ohne mein Wissen, loswerden. Doch ihre Muttergefühle übermannten sie. Holly konnte es nicht.
Das Wochenende, das ich mit Amara in Mullingar bei unseren Eltern verbrachte, war das Wochenende, nach der Geburt von Charlotte. Holly gab sich das erste Mal nach Monaten wieder die Kante mit ihren Freunden und traf dabei zufällig auf Amara und mich. Im Nachhinein gesehen weiß ich natürlich, dass ich in der Nacht eine Reihe von Fehlern begangen hatte. Ich hätte niemals annehmen sollen, dass Holly endlich über mich hinweg sein könnte. Wir hätten nicht mit zu ihr nach Hause gehen sollen, um zu trinken. Es war eine Falle und ich bin darauf hineingefallen. Holly ist ein manipulierendes Monster. Warum habe ich das früher nie gesehen? War sie früher auch so? Wussten es alle anderen außer mir? Nein, sie hatte sie in den letzten Jahren stark verändert. Vielleicht war ich ihr Anker, als wir noch glücklich waren. Und nur vielleicht wäre sie jetzt anders, wenn wir uns damals nicht verloren hätten.
Nur um meine Tochter immer nahe bei mir zu haben, hatte ich Holly hier ein Apartment verschafft. Zuerst hoffte ich noch, dass der Vaterschaftstest negativ ausfallen und ich sie wieder loswerden würde, aber so war es nicht. Die Vaterschaft wurde zu neunundneunzig Komma neun Prozent bestätigt. Es gab keinen Zweifel mehr daran, dass Charlotte nicht mein Fleisch und Blut ist.
Während ich Charly beobachtete, wie sie an meinen Daumen nuckelte und dabei immer wieder die Augen schloss, spürte ich, wie etwas an meinem Gesicht an meiner Wange hinunterglitt. Ein nasser Tropfen fiel auf meinen Arm, der sofort einen feuchten Fleck an meinem Hemd bildete.
Amara wird so enttäuscht von mir sein. Wie soll ich das je wiedergutmachen? Ich möchte sie nicht verlieren ... Aber ich kann nicht so tun, als hätte ich nicht ein Kind für das ich versuchen musste ein guter Vater zu sein.
Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt um Amara einzuweihen. Ich konnte ihr noch nicht von Charlotte erzählen und sie anschließend für Wochen alleine zurücklassen. Wenn ich zurück bin, werde ich ihr alles erzählen und erklären. Sie wird meine Tochter kennenlernen und sie wird mich nicht verlassen. Amara wird es verstehen - sie musste es.
Ich trug Charly zu ihrem Bett und legte sie ab. Mit der grünen Kuscheldecke, die ich ihr gekauft hatte, deckte ich sie noch zu, damit sie nicht fror. Da Holly noch immer nicht zurück war, schrieb ich ihr und fragte, wenn sie vorhatte wiederzukommen. Während ich auf eine Antwort wartete, räumt ich das Chaos zusammen. So sollte mein Kind nicht leben müssen. In Bergen von Müll sollte niemand hausen müssen. Ich hatte Holly doch schon angeboten eine Haushaltshilfe zu besorgen, aber dafür war sie sich zu gut.
Der Geschirrspüler lief bereits zum zweiten Mal, als ich den Müll einsammelte, die vollen Säcke im Flur abstellte, zusammenkehrte und die Oberflächen abwischte. Charlottes Spielzeug verräumte ich in den Kasten neben ihrem Bett. Sie schlief so ruhig und friedlich, dass ich überhaupt nicht glauben konnte, wie laut sie zuvor noch gebrüllt hatte. Wie kann ein so kleines Baby nur so laut schreien?
Plötzlich hörte ich, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel. Ich wendete meinen Blick vom Gitterbett ab und ging in das Wohnzimmer, in dem Holly zwei Tüten von Forever twentyone abstellte. "Du hast zusammengeräumt", bemerkte sie nüchtern.
Ich zuckte mit der Schulter. "Was hätte ich sonst tun sollen?" Ich ließ meine Hände in meine Hosentaschen gleiten. "Ich habe beschlossen dir jemanden zur Seite zu stellen, während ich nicht hier bin. Du allein bist überfordert und ein Nein lasse ich nicht gelten."
Holly sah mich nicht an, sondern widmete sich der Unterwäsche die sich aus einer Tüte zog. "Tu, was du nicht lassen kannst." Sie legte die rote Reizwäsche auf die Couch ab und zog das nächste Teil aus der Tüte.
Ist ihr das alles hier so egal?
Ich schüttelte den Kopf seufzend. "Ich habe dich früher wirklich geliebt, weißt du das?"
Holly hob den Kopf. "Ich liebe dich auch, Niall."
"Nein", ich schüttelte erneut den Kopf. "Ich sagte, ich habe dich geliebt. Das ist die Vergangenheit. Es gibt nur drei Frauen die für mich von Bedeutung sind und du bist keine davon. Du bist nicht wie Amara, du bis das Gegenteil, du bringst nur das schlechte im Menschen hervor, während Amara das Licht ist. Und mit meiner Mutter oder meiner Tochter wirst du nie mithalten können."
Holly schmunzelte und zog eine Augenbraue hoch. "Ich denke, du vergisst etwas. Nicht Amara ist die Mutter von Charly, sondern ich. Sie wird nie ihre Mutter sein."
"Na, dann hoffe ich für dich das du Charly nicht vergiftest, denn sonst werde ich dafür sorgen, dass du sie nie wiedersehen darfst."
Amaras Sicht
Es kostete mich eine Menge an Kraft stark zu bleiben, während für meine beste Freundin die Welt zusammenbrach. Gerne hätte ich sie mit Worten aufgemuntert, aber schon allein sie weinen zu sehen, schnürte mir den Hals zu. Ebenso wie ich, wusste auch Dylan nicht, was er dazu sagen sollte. Unbehaglich stand er neben uns und kratzte sich den Nacken. Ich drückte Sophie an mich und strich ihr beruhigend den Rücken entlang, während sie in meinen Armen lag, mit dem positiven Schwangerschaftstest in ihrer Hand.
Was soll ich nur sagen?
Dass sie selbst schuld ist?
Das alles gut werden würde?
Dass sie es sich auch noch immer anders überlegen könnte?
Wer ist eigentlich der Vater? Ob Tobi ihn kennt?
Sophie löste sich wieder von mir. Ihre Augen waren rot und geschwollen, die Wangen feucht. Ich hasste es sie so zu sehen. Sie rieb sich über ihre Augen und strich das zottelige Haar nach hinten. Sophie sah elend aus. Von der selbstbewussten jungen Frau war nicht mehr viel übriggeblieben.
"Sophie ...", flüsterte ich und streckte dabei meine Hände nach ihren aus. Ich drückte sie fest, um ihr zu zeigen, dass ich an sie glaubte und an ihrer Seite war.
Schluchzend sieht Sophie auf unsere Hände hinab. Langsam aber doch beruhigte sie sich wieder. Ihr Blick wanderte von unseren Fingern, hoch zu mir und anschließend zu Dylan, den sie kurz still betrachtete. "Danke ... für deine Hilfe ... Dylan." Dylan lächelte leicht, ging in die Knie und legte einen Arm auf ihrer Schulter ab. "Kein Ding. Ich helfe gerne."
Ich sah zu wie sich zwischen den beiden ein freundschaftliches Band entwickelte, stand auf und stemmte die Hände in die Hüfte. "Ich weiß ja nicht, wie es bei euch ist, aber ich brauche jetzt eine heiße Schokolade. Wollt ihr auch eine?"
Beide beäugen mit etwas überrascht, nicken aber trotzdem. Dylan half Sophie hoch, danach folgten mit beide vom Badezimmer hinüber ins Wohnzimmer. Unser Nachbar und meine Mitbewohnerin setzten sich am Esstisch, während ich unsere Getränke zubereitete. Während die Maschine den Kakao in die Tasse goss, stellte ich den Obstkorb auf den Tisch. Ich schob ihn extra weiter zu Sophie, die jetzt Vitamine für zwei aufnehmen musste. Derweil war die Tasse gefüllt, die ich Sophie vor die Nase stellte. Gefolgt von der zweiten Tasse für Dylan und zum Schluss meine. Diese ganze Situation erinnerte mich wieder daran, dass ich mich noch wegen dieser Drei-Monats-Spritze erkundigen musste. Ich wollte definitiv nicht die Nächste sein. Keine Frage ich liebe Niall, aber dafür fühle ich mich nicht bereit. Ein Kind ist anstrengend und benötigt viel Zeit und Liebe. Liebe könnte ich sicherlich genügend aufbringen, aber ich wusste, dass ich jetzt noch nicht die Nerven dazu hätte, geschweige denn, dass Niall Zeit für mich und ein Kind haben würde.
Es war still. Niemand wusste so recht, was er jetzt sagen sollte. Sophie umklammerte die heiße Tasse, Dylan schien in Gedanken zu sein und ich nippte vorsichtig an meinem Kakao.
"Ich werde dieses Kind nicht bekommen."
Erschrocken stellte ich die Tasse ab. Es war nicht, dass ich sie für so eine Entscheidung verurteilen würde, weil es mich nichts anging, es ihr Körper war und sie wissen müsste, was am besten für sie war. Ich war nur durch ihre plötzlichen Worte überraschte.
"Wenn du das willst, unterstützte ich dich, aber auch dann, wenn es du es dir anders überlegst." Ich streckte wieder eine Hand über den Tisch zu ihr aus. Und auch Dylan schien aus seiner starre neben Sophie erwacht zu sein. Er drehte sich ihr zu und sagte: "Du musst dein Kind aber nicht abtreiben. Wenn du es wirklich nicht möchtest, kannst du auch eine Adoption wählen. Es gibt genügend Paar, die sich Kinder wünschen, aber keine bekommen können." Der verletzliche Ton in seiner Stimme, brachte mich zum Grübeln. Ob er wohl aus Erfahrung spricht?
Ich ignorierte die Stimme in meinen Kopf und wendete mich wieder an Sophie. "Sophie, wie gesagt, ich werde für dich da sein, egal was, aber ich denke, du solltest zuvor mit dem Vater sprechen. Vielleicht möchte er ein Kind und-"
"Nein! Das ist mein Körper und wegen einem Kerl lasse ich mir nicht die Figur zerstören", unterbrach sie mich mitten im Wort. Sie ließ meine Hand los und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
Auch Dylan nickte. "Ja, Amara hat vollkommen recht. Ich finde auch, dass du den Kerl Bescheid sagen solltest. Ihr solltet das zusammen machen und nicht du alleine. Schließlich seid ihr für die Folgen eurer Nacht verantwortlich."
Sophie schloss seufzend die Augen und schüttelte den Kopf. "Als würde das so einfach sein ...", murmelte die vor sich hin.
Verwirrt runzelnde ich die Stirn. Ich verstand nicht, was daran so schwer sein würde. Ich meine, sicherlich wird es ihr etwas an Überwindung kosten, aber dafür bin ich doch als ihr Unterstützung da. Wenn sie mich brauchen sollte, bin ich da. "Was meinst du damit, Sophie? Ich werde dir helfen ..."
Wieder schüttelte sie den Kopf. "Nein, Amara. Hier kannst du mir nicht helfen. Ich habe mich selbst in dieses Schlamassel getrieben. Davina wird mich kündigen, wenn Valerie es ihr erzählt."
Was hatte nun Valerie mit der Sache zu tun? Hatte Sophie Sorge, dass Valerie es ihr erzählen würde, wenn sie es wusste? Ich war mir sicher, dass ich auf meine Schwester zählen konnte. Auch wenn sich die Beiden zu Beginn nicht sonderlich verstanden hatten, war es jetzt anders. "Hey, mach dir um Valerie keine Sorgen, auch wenn ihr euch zu Beginn nicht ausstehen konntet, bin ich mich sicher, dass es jetzt anders ist. Außerdem ist sie meine Schwester. Sie wird auf mich hören und Davina nichts davon erzählen ... eigentlich müssen wir ihr auch überhaupt nichts davon erzählen. Problem gelöst."
Schnaufend verzieht Valerie das Gesicht. "Amara du lebst in einer Traumwelt. Wenn ich es behalten würde, würde ich es erzählen müssen. Aber ich will jetzt auch überhaupt nicht mehr darüber reden ...", sie stand auf. "Ich möchte mich jetzt einfach nur hinlegen und brauche etwas Zeit für mich." Sophie schob den Sessel zur Seite, nahm ihre Tasse und verschwand ohne einen weiteren Blick in ihrem Zimmer. Ich überlegte, ob ich ihr folgen sollte, da ich sie nicht alleine lassen wollte, aber sie hatte klar gemacht, dass sie Zeit brauchte.
"Willst du ihr nicht hinterhergehen?", fragte Dylan, der mit dem Daumen in Sophies Richtung zeigte.
"Nein", verneinte ich kopfschüttelnd. "Ich lasse ihr ihren Freiraum. Sie muss selbst entscheiden, was sie möchte. Ich will ihr da nicht hineinreden."
Die gesamte Nacht über hörte ich, wie Sophie schluchzte. Egal wie oft ich zu ihr gegangen war, um ihr Trost zu spenden, meinte sie, dass alles okay wäre. Derweil sah ich es in ihrem Gesicht: nichts war okay. Sie wollte nicht schwach wirken, was absoluter Mist war. Gerade vor ihrer besten Freundin konnte sie sich schwach und verletzlich fühlen. Auch Tobi merkte, dass etwas nicht stimmte. Er machte ihr einen Früchtetee mit Zucker und brachte ihr eine Kanne voll in ihr Zimmer. Ich nahm die Last auf mich, um Tobi einzuweihen, was hier abging. Er war geschockt, verstand aber, warum so deshalb so viel weinte. Tobi hatte mir klargemacht, dass er vermutlich wusste, warum sie so viel weinte. Nicht nur wegen der Schwangerschaft, sondern auch wegen des Vaters. Mit diesem Kerl hatte sie sich anscheinend ins Knie geschossen. Er erzählte mir aber leider keinen weiteren Details. Sophie selbst sollte mir das erzählen.
Heute war der Tag von Nialls zweiten Konzert in London und dazu der letzte Tag, an dem ich ihn noch sehen konnte. Ich hoffte bereits, dass diese lange Zeit bis Dezember schnell vergehen würde. Jetzt, mit dem ganzen Chaos, war ich froh mich heute endlich auf Niall freuen zu können. Vier Stunden Schlaf bekam ich letzte Nacht wieder nur und ich hoffte, dass es heute Nacht mehr werden würden. Als ich das Schlafzimmer verließ und das Wohnzimmer betrat, roch es bereits nach angebratenem Speck. Der Tisch war gedeckt und der Duft von Kaffee lag in der Luft. Mein Magen machte einen Freudensprung.
„Ist Sophie auch schon wach?", fragte ich, während ich mich auf meinen üblichen Sitzplatz am Ende des Tisches setzte. Hungrig griff ich dabei in das Körbchen mit dem warmen Gebäck.
„Denkst du, dass sie auch nur ein Auge zubekommen hat?" Tobi hob die Pfanne vom Herd und teilte mit einem Pfannenwender das Rührei auf drei Tellern auf.
Er hatte recht. Sie lag bestimmt die ganze Nacht lang wach in ihrem Bett und wälzte sich hin und her. Ich würde nur ungern in ihren Füßen stecken. Ich erwiderte nichts auf die Gegenfrage von Tobi und riss mir stattdessen ein Stück des warmen Brötchens hinunter. Wie gerufen, stampfte Sophie verschlafen aus ihrem Zimmer. Ohne etwas zu sagen, ließ sie sich neben mir am Stuhl nieder. Sie beäugte die Auswahl, die Tobi uns heute Morgen bat. Für Tobi war es kein Problem die drei Teller auf einmal hinüber zu tragen und jeweils eines mir und eines Sophie zu servieren.
Während ich Speck und Ei mit meiner Gabel aufspießte, überlegte ich, ob ich Sophie fragen sollte, wie es hier ging. Ich sah aber ein, dass ich es für diesen Moment sein lassen sollte. Außerdem wollte ich mich heute noch ein letztes Mal auf Niall fokussieren. „Heute ist Nialls Konzert. Ihr kommt doch mit, oder?"
„Klar", schmatzte Tobi nickend. Sophie zögerte und stocherte nachdenklich mit ihrer Gabel im Ei herum. Sie ließ die Gabel fallen, die scheppernd auf den Teller fiel. Ihre Handflächen versteckten ihr gerötetes Gesicht. „Ich ... ich ähm ...", hörte ich sie schluchzend murmeln, „Ich werde z-zu ... Hause bleiben." Sie nahm sie zitternden Hände von ihrem Gesicht und mir brach das Herz.
„Willst du..., dass ich heute hier bleibe? Ich möchte dich nicht alleine lassen und Niall versteht das sicher." In solch einem aufgelösten zustand, konnte ich sie doch nicht alleine für sich lassen.
Meine beste Freundin blinzelte ihre Tränen weg. „Das kann ich nicht verlangen. Geh mit Tobi und verabschiede dich gebührend von Niall. Der ... der dich liebt", ihre Stimme brach, „der sich freut dich zu sehen, ... der jetzt auf Tour gehen wird." Dann legte sie den Kopf nach unten und betrachtete ihren Bauch. „Wenn er zurückkommt, bin ich vielleicht schon fett. Keine Ahnung, was ich jetzt tun soll."
Mit dem Kopf an dem Fenster lehnend beobachtete ich, wie wir an den Häusern und Passanten vorbeifuhren. Die Sonne war bereits verschwunden und die Laternen und Ampellichter spiegelten sich am nassen Beton wider. Vor knapp sechsunddreißig Stunden, musste ich mir noch nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie wir mit einer Schwangeren im Apartment zurechtkommen sollten. Ich wäre wirklich sehr gerne mit Sophie zu Nialls Show gegangen. Zwar begleitete mich Tobi, aber trotzdem, fühlte ich mich, als würde etwas fehlen. Ich hätte gestern gerne einen Mädels-Tag mit Sophie verbracht. Ganz klischeehaft in der Mall beim Shopping und später ein Besuch im Starbucks. Früher hingen wir jeden Tag zusammen ab, wir waren eine Einheit. Mir wurde immer gesagt, dass es so nicht ewig bleiben würde, aber ich wollte es nicht glauben. Egal ob zwanzig, vierzig oder sechzig ... Amara und Sophie würden immer unzertrennlich sein. Vielleicht konnte ich mir jetzt eingestehen, warum ich Sophie dazu bringen wollte hierher zu ziehen: ich wollte nicht ohne sie sein, ich wollte den anderen zeigen, dass sie Unrecht hatten. Sie ist mein Fels in der Brandung. Ich brauchte sie um mich, um zu wachsen. Nicht körperlich, aber geistig. Außerdem wollte ich mir nicht ausmalen, dass sie sich in meiner Abwesenheit eine neue beste Freundin anschafft.
Heute war es oft genauso, wie ich es damals nicht wollte. Das Erwachsenenleben machte uns einen Strich durch die Rechnung, durch den ich verstand, warum Peter Pan nicht erwachsen werden wollte. Versteht mich nicht falsch Geld, Sex und weit weg von seinen Eltern zu sein ist toll ... aber so eine Hüpfburg oder ein Bällebad mit seiner besten Freundin unsicher zu machen hat schon etwas Tolles an sich. Nun wusste ich meistens nicht, wo Sophie überhaupt war. Durch den Model Job kam sie mehr herum als ich. Und wenn ich mir ehrlich war, ist ihr Leben vermutlich viel aufregender als meines. Meine Routine war einfach nicht so speziell wie ihre. Mein Tag bestand ausschlafen, Uni, Essen, Niall und mir um unnötige Dinge Sorgen zu machen. Genau wie jetzt. Worüber dachte ich hier überhaupt nach? War ich nun schon eifersüchtig auf Sophies Leben? Nein, das wäre komisch. Sie ist eben hübsch und scheint das Talent dafür zu haben zu strahlen. Die Menschen mochten sie, während ich eher schüchtern und verschlossen auf die Leute wirken musste. An mir strahlte nichts, außer meine Taschenlampe, wenn ich wiedermal meinen Lieblingsfüller verlegt hatte.
Etwas müde setzte ich mich wieder aufrecht hin und versteckte meine kalten Hände in den Taschen meines Mantels. "Kommt Peter auch hin?"
"Hätte ich ihn fragen sollen? Das wusste ich nicht", meinte Tobi, der mich für eine Sekunde ansah und anschließend wieder den Blick auf den Verkehr richtete.
Ich zuckte mit den Schultern. "Du hättest. Aber ich hätte es wohl erwähnen sollen. Tut mir leid."
"Ach, macht doch nicht, "Tobi drehte das Radio leiser, "Er hätte heute sowieso keine Zeit. Peter muss heute zu einem Redaktion-treffen. Der nächste Monat wird besprochen oder irgendwie so."
"Aha", erwiderte ich nur. Es waren heute also nur Tobi und ich. Nicht mal meine Schwester hatte Zeit. "Sag mal ... bei welcher Zeitschrift arbeitet Peter eigentlich?"
Tobi bremste und ließ den Wagen zur roten Ampel rollen. Dann sah er zu mir. "Daily Star."
"Bei diesem Klatsch und Tratsch Schmierwerk arbeitet er? Das ist doch diese Zeitung, die mein Foto mit Niall bei dieser Party von Cara veröffentlicht hat. Oder das eine Mal, als sie zufällig irgendwie wohl davon erfahren hatten, dass wir eine Überraschungsparty für Niall geschmissen hatten, bei der Harry zu viel getrunken hatte und auf der Couch eingeschlafen war. Wenn ich so darüber nachdenke sind das schon komische Zufälle. Findest du nicht?"
Tobi runzelte die Stirn. Er sah zur noch immer roten Ampel hoch und wieder zu mir. "An was willst du anspielen? Doch nicht, dass Peter nur mit mir zusammen ist, um an dich und Niall heranzukommen. Oder ..., dass er das alles veröffentlicht hat."
Ich presste die Lippen aufeinander. Peter bekam sicherlich mehr von allem mit, als wir dachten. Zwar hatte ich damals, als Niall und ich noch in öffentlich zusammen waren, versucht darauf zu achten, nicht aufzufallen, aber wer weiß. Peter war mit uns auf der Party ... und hatte ich nicht von Nialls Überraschungsparty erzählt, als Peter zu Besuch war? Ich könnte recht haben, aber auch komplett falsch liegen. Eigentlich kenne ich Peter überhaupt nicht. Bis jetzt hatte ich noch nie eine ordentliche Unterhaltung mit ihm gehabt. Ich konnte ihn nicht einschätzten.
Die Ampel schaltete indessen wieder auf grün um und Tobi fuhr an. "Sag mir was du denkst Amara", forderte er.
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, da ich mir wünschte, dass ich einmal meine Gedanken für mich behalten könnte. "Naja ... wenn man darüber nachdenkt, kann es schon sein. Er war mit, als wir bei von Valerie zu Cara geschliffen wurden. Ich möchte Peter auch überhaupt nichts unterstellen ... aber bei euch ist das doch schon ganz schön schnell gegangen und-"
"Amara sprich jetzt ja nicht weiter!", unterbrach mich Tobi scharf. Ich erschrak etwas an dem Tonfall. "Peter würde so etwas nie tun! Warum würdest du ihn so etwas unterstellen?! Es dreht sich nicht immer alles um dich und Niall!" Er schüttelte den Kopf. "Eigentlich habe ich jetzt überhaupt keine Lust mehr auf den Scheiß. Ich liebe ihn und ich weiß, dass er das nicht tun würde."
Traurig senke ich den Kopf. Ich wollte nicht das Tobi sauer auf mich werden würde, aber es waren eben meine Gedanken. Klar, konnte ich mich irren, aber es schien Sinn zu ergeben. Tobi trug die bekannte rosarote Brille und sah die Makel an Peter nicht. Niemand ist perfekt, weder Peter, ich oder Niall. Wir alle machen Fehler. Außerdem schmerzte es zu hören, dass Tobi dachte, dass ich anscheinend zu denken glaubte, dass alles immer nur um mich ging. Doch ich wusste, dass es das nicht tat. "Ich wollte dich nicht gegen mich aufbringen. Aber du wolltest hören, was ich denke. Peter scheint mir ein netter Kerl zu sein, aber ich kenne ich ihn nicht wirklich. Ich kann ihn nicht einschätzten ... aber wenn du dir so sicher bist, täusche ich mich wohl."
"Natürlich kenne ich ihn besser als du", erwiderte Tobi neben mir trocken. Die Stimmung im Auto wurde eisig und ich war froh, als wir bei der Arena ankamen. Beim Hintereingang, mussten wir unsere Namen angeben, die eine Frau in ihrem Tablett überprüfte. Wir hatten Zugang.
Stumm gingen ich und Peter den Flur entlang. Das sonst so fröhliche Gesicht hatte er gegen ein aufgebrachtes getauscht. Nun fühlte ich mich komplett alleine gelassen. Sophie wollte alleine sein, da sie alleine mit ihrem Problem klarkommen wollte und Tobi hatte die Nase voll von mir, da ich seinen Freund für etwas beschuldigte, das er für Unsinn hielt. Was kam als Nächstes? Vielleicht ist auch Niall jetzt noch sauer auf mich, weil ich ihn gestern nicht mehr zurückgerufen hatte.
Jedoch verschwand meine Sorge, als ich ihn, in der Garderobe am Sofa sitzend sah. Er grinste, kam auf mich zu und küsste mich zur Begrüßung.
"Seid ihr nur zu zweit?" Niall sah zwischen mir und Tobi hin und her.
"Ja sind wir", nickte ich nüchtern.
"Nein sind wir nicht." Überrascht sah ich zur Tobi. "Eigentlich setzte ich Amara hier nur ab. Ich werde jetzt gehen."
Niall kratzte sich am Nacken. "Oh."
Als sich Tobi umdrehte, um zu gehen, packte ich ihm am Arm. "Warum gehst du jetzt?"
Er zog eine Augenbraue hoch. "Als ob du das nicht wüsstest. Ich will jetzt nicht bei dir sein." Mit diesem letzten Satz riss seinen Arm aus meinen Fingern und verließ den Raum.
Niall sah mich vollkommen verwirrend an. Er hob beide Hände fragend. "Was geht bei euch ab? nicht mal Sophie ist hier und ich dachte, sie hat die Woche frei."
"Ich wollte doch nicht streiten...", flüsterte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Aufmerksam wie immer umarmte mich Niall. Ich lehnte mich an ihn und ließ mich von ihm halten.
"Das wird schon wieder Amara. Jeder hat mal Zoff." Ich hörte seine sanften Worte, konnte ihnen aber gerade keinen Glauben schenken. Ich und Tobi hatten noch nie Zoff. Würde jemand so etwas über Niall sagen, wäre ich auch sauer. Aber ob ich dann auch so reagieren würde, glaubte ich nicht. Vielleicht würde ich mich fragen, ob ein Funken Wahrheit dahinterstecken könnte. Vielleicht tut Tobi das sogar und ist eigentlich nicht wütend auf mich, sondern auf ihn selbst, weil er es selbst nicht sehen konnte.
Ich stemmte mich gegen Niall und machte einen Schritt weg von ihm. "Entschuldige Niall", ich seufzte, "... heute sollte es nur um dich gehen. Ich will diesen letzten Abend mit dir genießen."
"Du musst dich bei mir wegen nichts entschuldigen. Glaub mir, du hast wirklich keinen Grund."
Hinter mir räusperte sich jemand. Ich war mehr als überrascht ihn hier zu sehen.
"Hallo." Er hob die Hand zum Gruß. "Ist Sophie auch hier?"
"Ich dachte, Valerie kommt nicht?", hörte ich Niall in mein Ohr flüstern. Und ich nickte.
"Jacob, was willst du hier? Valerie ist doch heute arbeiten. Ich hatte nicht gedacht, dass du kommen würdest. Und nein, Sophie ist nicht hier. Ihr geht es nicht gut."
Jacob fuhr sich durch sein dunkelblondes Haar und schob anschließen die Ärmel seiner schwarzen Lederjacke hoch. "Ja, Val ist arbeiten. Aber sie hat gesagt, Sophie würde kommen und wir sind ja sozusagen befreundet."
Davon hörte zum ersten Mal. Gerade Jacob hatte Sophie doch zu Beginn auf das Kreuz gelegt und den Streit zwischen meiner Schwester und meiner besten Freundin provoziert.
Die gesamte Situation war heute schon blöd genug und wurde durch seine Anwesenheit wesentlich eigenartiger. Niall nahm es locker und vertrieb Jacob nicht. Er bot ihm sogar ein Bier an.
Während Niall sein Konzert spielte, standen ich und Jacob abseits von der Bühne und sahen zu. Es waren komisch mit Valeries Freund allein zu sein. Wieder ein Freund von jemanden, der mir etwas bedeutete, aber mit dem ich noch nicht viel zu tun hatte. Wie oft habe ich diesen Typen schon gesehen? Zweimal? Vielleicht dreimal mit heute? Etwa so in der Art.
Während ich versuchte dieser Situation zu ignorieren, knipste ich mit meiner Kamera mehrere Fotos von Niall und sang ohne Scham lauthals mit. Ich fragte mich schon, warum Jacob hier ohne Valerie aufgetaucht war. Egal ob er Sophie hier anscheinend treffen wollte oder nicht. Für mich war das ein No-Go. Ob Valerie wohl wusste, dass er hier war?
Nachdenklich kaute ich an der Innenseite meiner Wange herum. Ich speicherte das Video an meiner Kamera ab und schaltete diese danach aus. Dann drehte ich mich zu Jacob. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass er nicht gut aussah. Er hatte ein definiertes Gesicht, war sportlich gebaut. Seine blau-grünen Augen waren definitiv ein Hingucker. Kein Wunder also, dass ich ihn damals im Club nicht sofort von mir gestoßen hatte, als ich das erste Mal mit Tobi tanzen war.
"Du und Sophie seid also Freunde?", ich schrie etwas gegen die laute Musik an. Jacob bückte sich etwas zu mir hinab und hielt mir sein Ohr zu. Also wiederholte ich mich. Er nickte bestätigend. "Ja, sind wir. Sie hängt oft mit mir Val herum."
Ich spielte mit der Schnur meiner Kamera. "Und Valerie hat nichts dagegen, dass du hier bist? Also ... ohne sie?"
Jacob runzelte die Stirn. Bestimmt dachte er das ich nicht mehr alle am Zaun hatte. "Was geht dich das an? Ich wurde doch auch hierher eingeladen. Nur weil meine Freundin keine Zeit hat, muss ich nicht zu Hause hocken bleiben."
Ich zog scharf die Luft ein und drehte mich wieder weg von ihm. Er war mir nicht sonderlich freundlich gestimmt. Man kann sagen, was man will, aber ich war mir sicher, dass er nicht wegen Nialls Musik hier war.
Der nächste Song war Fools Gold, den Niall erneut an mich widmete. Egal wie oft ich ihn schon gehört habe, in Nialls Version konnte ich einfach nie genug davon bekommen.
Später, nach einer zweiten Zugabe beendete Niall die Show und kam verschwitzt nach hinten. Er nahm sich ein Handtuch und rieb sich damit das feuchte Gesicht ab, während ich ihm eine Flasche Wasser bereithielt. Dankend nahm Niall mir diese ab. "Wo ist Valeries Typ?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Der ist vor etwa fünf Minuten gegangen. Ich weiß nicht mal, warum der überhaupt da war. Aber eines weiß ich, scharf darauf mit Valerie und ihn mal auf ein Doppeldate zu gehen, bin ich nicht."
Niall trank die Flasche aus und schraubte den Verschluss wieder zu. Sein Handtuch warf er sich um die Schulter. "Klasse. Ich auch nicht, so muss ich mir wenigstens keine Ausrede einfallen lassen."
Spielerisch schlug ich ihm gehen die Schulter. Er lachte leicht, wurde aber schnell wieder ernst. Er leckte sich über die Unterlippe und raufte sich mit seiner freien Hand durch seine Haare. Mir gefiel der Schlafzimmerlook. "Ich ähm muss mich jetzt umziehen. Wir müssen den Flieger bekommen."
Da war er also der Abschied. Ich hatte gehofft doch noch nach der Show etwas Zeit mit ihm verbringen zu können. Niall legte eine Hand auf meine Wange und ich machte einen großen Schritt auf ihn zu, um ihn zu umarmen. Mein Kopf passte perfekt an seine Brust. Ich spürte, wie er mir einen Kuss auf den Haaransatz drückte und schmolz sofort dahin. Warum musste er mich für so lange verlassen? Warum kann er nicht einfach bei mir bleiben? Gerade jetzt, wo Sophie schwanger und Tobi sauer war. Ich sah hoch in sein Gesicht und versuchte mir den Augenblick gut einzuprägen, versuchte das Gefühl abzuspeichern, dass er in mir auslöste. Ich wollte mich genau daran erinnern können.
"Ich liebe dich, Niall", bekomme ich gerade noch so raus, bevor meine Stimme versagen konnte. Mit seiner Hand an meiner Wange küsste er mich. Zuerst ganz langsam, bis uns die Gefühle übermannten. Die Leidenschaft riss und beide förmlich mit. Die Luft war das einzige, dass uns jetzt noch voneinander trennen konnte. Jedoch blieben wir trotzdem wie aneinander angeklebt stehen. Unsere Lippen nur Millimeter voneinander getrennt.
Ich spürte Nialls warmen Atmen an meiner Haut. "Verdammt, ich weiß überhaupt nicht wie ich das ohne dich aushalten soll."
"Mir geht es da nicht anders." Ich biss mir auf die Unterlippe.
Niall zog die Luft scharf ein, legte seinen Daumen auf meiner Unterlippe und zog die von meinen Zähnen. "Mach das nicht. Das macht mich heiß."
Kichernd machte ich es gleich nochmals mit Absicht und spürte Nialls gierigen Blick auf mir. Er lehnte sich noch ein letztes Mal zu mir herab und mir einen Kuss auf den Mundwinkel zu drücken, bevor er sagte: "Ich liebe dich so sehr Amara. Wenn ich zurück bin, muss ich etwas mit dir besprechen."
"Du ... du musst etwas mit mir besprechen?"
Er nickt leicht. "Mach dir jetzt keinen Kopf darum. Du musst dir absolut keine Sorgen machen. Versprochen."
Der Abschied von Niall war hart. Gerne hätte ich mich an ihn geklammert, um ihn am Gehen zu hindern, aber schlussendlich kam mir das doch etwas kindisch vor. Ich musste mich einfach an das getrennt sein von Niall gewöhnen. Die letzten Monate hatte ich doch eh viel von ihm. Wären wir während der One Direction Zeit zusammengekommen, hätte ich sicherlich überhaupt nichts von ihm gehabt. Ich war froh darüber, dass es anders gekommen war. Wer weiß, ob er sich damals überhaupt für mich interessiert hätte. Die Schar an jungen hübschen Mädchen, die ihm und seine Freunde damals auf Schritt und Tritt verfolgten, waren bestimmt allesamt verlockender als ich. Und ganz geschweige davon das seine Teenagerhormone damals ganz bestimmt viel verrückter gespielt hatte als jetzt. Heute ist er kein Teenager mehr, er ist ein Erwachsener Mann der an seine Zukunft denkt. In unserem Alter geht es nicht mehr nur darum einen festen Freund beziehungsweise Freundin zu haben. Man sucht den Partner, mit dem man glücklich werden möchte, mit dem man sich eine Zukunft und eine Familie aufbauen will. Ich liebe Niall und daran wird auch diese Entfernung nichts ändern. Daran werden wir erst merken, wie wichtig wir uns sind und ob wir die Richtigen füreinander sind.
Als ich nach der Taxifahrt nach Hause kam und unsere Wohnung betrat, war es bereits Mitternacht. Alle Lichter waren aus und es war totenstill. Ich zog mir Schuhe und Mantel bereits im Flur aus. Auf Zehenspitzen tippte ich leise in mein Zimmer. Ich hätte mich noch gerne geduscht, wollte aber keinen Lärm machen, deshalb schlüpfte ich in meinen Schlafanzug und verkroch mich unter meiner Decke. Nach Konzerten konnte ich noch nie sonderlich schnell einschlafen. Ich erwischte mich immer dabei, wie ich mir die Songs der Show nochmals im Bett anhörte - wie auch jetzt. Niall hatte mir in diesen Moment ein Foto von sich im Flieger gesendet, dahinter zwischen den Sitzen, sah ich Clare, seine Tourmanagerin, die konzentriert auf ihr Handy sah. Ich wüsste gerne, wie das Leben auf so einer Tour ist. Ganz bestimmt anstrengend, aber auch witzig. Familiär, den mit diesen Menschen ist man Wochen, manchmal auch Monate unterwegs. So eine Erfahrung machen zu dürfen, wäre aufregend.
Ich schrieb Niall eine gute Nachtnachricht und legte mein Telefon auf meinen Bauch nieder. Die Dunkelheit und Nialls Stimme in den Ohren ließen mich in Erinnerungen schwelgen. Ich erinnerte mich an das Gefühl von Nialls Lippen an meinen, die Wärme die er in mir auslöste und die Gänsehaut die ich bekam, wenn er meinen Hals sanft mit den Lippen entlangfuhr. Dabei ertappte ich mich wie ich sanft meine Fingerspitzen an meinen Hals gleiten ließ. Meine eigenen zarten Berührungen ließen mein Herz klopfen. Scheiße, warum kann Niall nicht hier bei mir im Bett sein? Zielgerecht wanderte meine Hand an meine Brust, die ich leicht knetete. Meine Nippel wurden hart, als ich sie unter meinem Shirt berührte. Ich rieb an ihnen und drückte sie leicht. In meinem Kopf war es nicht meine, sondern Nialls Hand, stellte mir vor, wie er mit seinen Lippen sanft daran saugte. Ungewollt zog ich die Luft ein. Meine Hand spielte währenddessen mit dem Bund meiner Hose. Ich strich über den Stoff an der Innenseite meiner Schenkel entlang, bis hin zu meiner Mitte. Zuerst war es komisch mich selbst so zu berühren, aber Niall, dessen Job das eigentlich war, war nicht hier. Ich rieb meine Hand an mir und biss mir auf die Unterlippe. Es war anders als von einem Kerl so berührt zu werden, aber mit Niall im Sinn und den Vorlieben dich von mir selbst kannte, trieb ich mich selbst mit Streicheleinheiten und dem richtigen Fingerspitzengefühl zum Höhepunkt.
Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, hörte ich nichts als Stille. Ich drehte mich zur Seite und sah den trüben grauen Himmel durch das Fenster. Der Himmel spiegelte mein Inneres wider. Zwar war es nicht das erste Mal, das Niall mit Abwesenheit glänzte, aber jedoch war es das erste Mal das er länger nicht hier war. Die drei Wochen am Ende des Sommers waren schon hart, vergingen aber auch. Bei den knapp sieben Wochen die ich jetzt ohne ihn auskommen musste, war schon etwas Angst da, dass es uns schaden könnte. Ich wollte mich aber nicht von dieser Angst beherrschen lassen und redete mir positiv ins Gewissen. Nun konnte mich zumindest kein Mann mehr abhalten fleißig zu lernen. Ich hinkte sowieso schon hinterher - was in Sachen lernen überhaupt nicht meiner Art entsprach. Ich hatte wirklich Bammel davor beim Midterm versagt zu haben. Es war mir egal wie unwichtig die Notendurchschnitte im ersten Semester für einige wohl sein würden, für mich war das anders. Bei diesem Thema wurde erste recht mein Ehrgeiz geweckt. Früher gehörte ich zu den Klassenbesten und nicht zu den schlechtesten. Ja, Niall war meine eigene kleine wunderschöne Ablenkung, die mich jetzt nicht mehr stören konnte.
Ich blieb noch ungefähr eine Viertelstunde, wie in einem Kokon zusammengerollt in meiner Decke liegen, bis ich mich mein knurrender Magen aus dem Bett zwang. Doch zuerst wollte ich mich endlich duschen. Zielstrebig stolperte ich zu meinem Kleiderschrank von dem ich mir eine Jeans, ein frisches Shirt, eine Strickjacke und Unterwäsche holte. Im Badezimmer legte ich alles ab, dabei beschloss ich einen Blick in Sophies Zimmer zu werfen. Ich wollte wissen wie es ihr nach der zweiten Nacht erging. Vorsichtig klopfte ich zuerst an ihrer Tür - etwas das ich sonst nie tat, weil sie es auch nicht bei mir angebracht fand. Ihr Zimmer war leer. Jedoch wunderte mich, wie ordentlich es heute war. Die Bettdecke war perfekt zusammengelegt, das Leintuch hatte keine einzige Falte. Es steckte stramm in der Rille. Alle ihre Klamotten waren im Schrank verstaut und auch ihr Reisekoffer stand nicht mitten immer Zimmer herum. Da sie anscheinend sonst wo war, ging ich wieder ins Badezimmer und erledigte mein morgendliches Reinigungsritual.
Während des Duschens ging ich durch, wie ich mich bei Tobi ordnungsgemäß entschuldigen konnte. Meine Fantasie war wohl wieder einmal mit mir durchgegangen. Aber in diesen Moment erschien es Sinn zu ergeben. Ich habe bis jetzt schon so viel durchgemacht in meinen Leben, das mich so etwas vermutlich nicht mehr schocken würde. Tobi ist neben Matt mein bester männlicher Freund. Ohne ihn hätte ich mich hier in London niemals so schnell eingelebt oder hätte auch nur den Hauch einer Chance gehabt so schnell einen Job zu finden. Er war es der Niall die Tür zum Apartment geöffnet hatte. Natürlich hatte er keine Ahnung, wer sich hinter der Tür befand, aber alles in allem hatte diese Begegnung alles ins Laufen gebracht. Damals hatte ich mir wirklich vorgenommen nichts mehr mit Niall tun haben zu wollen. Diese Lügen rund um Holly und die Eifersucht um Matt war mir zu viel. Meine heimlichen Telefonanrufe an ihm, nur um seine Stimme zu hören, waren mir noch immer peinlich. Niall hatte damals, ohne dass ich es mitbekam mein Herz gestohlen. Niemals hätte ich geahnt, wie sich mein Leben durch diesen Umzug ändern würde. Ich wäre schon auch neugierig darauf, was gewesen wäre, wenn ich nicht mit nach Mullingar gezogen wäre. Immerhin war ich neunzehn Jahre alt. Ich hätte mich auch während meines freien Jahres allen auf nach London machen können, hätte mir einen Job gesucht und ein billiges Apartment außerhalb der Stadt gemietet. Irgendwie hätte ich auch das bewältigt. Niall hätte ich erst später, vielleicht erst bei der Hochzeit getroffen. Und dadurch das ich nicht da gewesen wäre, hätte Holly ihn wieder für sich gewinnen können. Ihre erste große Liebe, die sie viel zu sehr wollte. Diese was-wäre-wenn Szenarien fand ich schon immer sehr erstaunt. Manchmal musste man nur eine kleine Sache anders machen und alles könnte sich ändern. Hätte Niall nicht den Mut gehabt hier aufzutauchen, hätte ich nie nachgegeben.
Auch im Wohnzimmer war wieder mal keiner anzufinden. Heute stand kein Tobi am Herd und bereitete Frühstück vor. Der Tisch war nicht gedeckt und die Kaffeemaschine war noch nicht warm. Nach einem Blick in den Kühlschrank, wusste ich, dass ich mir mein Frühstück woanders holen musste.
Mit dem Bus fuhr ich zu Lydia und Martin. Ich war seit meiner Kündigung nicht mehr hier. Der Geschmack der Blaubeermuffins fehlte mir und außerdem gab es hier besseren Kaffee als bei Starbucks - den Preisunterschied erwähne ich an dieser Stelle überhaupt nicht. Das mir noch bekannte Glöckchen klingelte, als ich die Tür aufdrückte und eintrat. Den feuerroten Schopf von Lola erkannte ich sofort.
"Amara!", lächelte sie breit. Wir waren erst vor kurzem etwas trinken, es war aber trotzdem schön zu sehen, dass sie sich freute mich hier zu treffen.
Sie wischte sich ihre Hände an ihrer Schürze ab und kam von hinter der Theke nach vorne um mich in einer Umarmung zu begrüßen. "Hey Lola."
"Bist du heute ganz alleine?", fragte ich, weil ich sonst niemand sah. Außer zwei besetzten Tischen, war niemand hier.
Lola schüttelte den Kopf. Ihre roten Locken sprangen dabei hin und her. "Nein. Nachdem du gekündigt hast, mussten wir jemand neuen aufnehmen. Ich habe Mike mit dem Müll hinausgeschickt. Ich mache mir doch nicht meine Finger schmutzig."
Das war typisch Lola. Während ich mich setzte und mein Telefon aus meiner Handtasche kramte, holte Lola mir einen Latte Macchiato und einen Muffin. Da bei den beiden anderen Tischen noch alles in Ordnung war, setzte sich meine frühere Arbeitskollegin mit einem Glas Wasser zu mir. "Erzähl mal, wie geht es dir? Ich habe von Nialls Konzert gehört. Ihr beide hatte einen schönen Moment."
Ich umklammerte die warme Tasse Kaffee, um mir meine Hände aufzuwärmen. "Ja, es war toll. Ich bin froh, dass Matt mich dazu überreden konnte."
Lola lehnte sich auf den Tisch, dabei stemmte sie den Ellbogen ihrer rechten Hand gegen die Tischplatte. Mit der Faust an ihrer Wange sah sie mich schmunzelnd an. "Wie lange seid ihr eigentlich schon zusammen?"
"In zwei Wochen sind es drei Monate."
"Wow. Du musst mir unbedingt erzählen, wie du dir diesen Fisch geangelt hast. Ich meine, hey, wenn du ihn irgendwann heiratest, hast du für dein ganzes Leben ausgesorgt."
Ich setzte die Tasse an meinen Lippen an und nippte vorsichtig. "Glaub mir, ich weiß selbst nicht so ganz wie das alles passiert ist. Die Gefühle waren einfach da." Ich konnte mich wirklich nicht an einen bestimmten Moment erinnern, in dem ich mir dachte, dass ich begonnen hatte Gefühle für Niall zu hegen. Es ist einfach passiert. Die Chemie zwischen uns passte.
Ich nahm meinen Muffin und biss ab. Wie sehr ich diesen Geschmack vermisst hatte ... Lydia macht einfach die besten Muffins und Torten.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich einen Jungen hinter der Theke stehen. Das musste wohl der Neue sein. Er war klein, hatte strubbeliges dunkles Haar und eine Runde Brille. Mike blickte zu uns an den Tisch und kaute an seiner Unterlippe herum. Lola sah meinen Blick und drehte sich zu Mike um. "Du kannst schon mal mit der Vitrine anfangen." Er nickte stumm und begann die Vitrine mit den Tortenstücken auszuräumen, um sie zu säubern.
"Er wirkt schüchtern", stellte ich fest.
"Ja, das ist er auch. Als ich das erste Mal mit ihm Dienst hatte, brachte er kein Wort heraus. Sehe ich so angsteinflößend aus?" Lola hob fragend die Augenbrauen.
Ich presste die Lippen zusammen und wippte den Kopf leicht nach links und rechts. "Na ja ... mit den Feuerroten Haaren und den roten Lippen ... Du musst schon zugeben, dass du wie die Tochter des Teufels aussiehst."
Empört öffnete Lola den Mund. Sie musste sich ein Lachen verkneifen. "Aber ich bin die netteste Person überhaupt. Ich sehe eben nur gerne heiß aus."
Einige Minuten später musste Lola wieder zurück an die Arbeit gehen. Die Kunden wollten zahlen. Ich widmete mich derweil meinen Muffin. Meine Mutter rief mich an. Sie und die ganze Horan Familie fuhren heute nach Dublin zu Nialls Konzert. Danach fragte sie mich noch, wie es in der Uni lief. Außerdem musste ich ihr versprechen bald wieder nach Dublin zu kommen. Im Dezember wollte ich die Feiertage sowieso zu Hause verbringen und nicht hier alleine in der WG.
Eine Stunde später saß ich wieder im Bus auf den Weg nach Hause. Ohne Tobi, Sophie oder Niall fühlte ich mich komplett alleine. Dylan wäre noch eine Option gewesen, aber ich wollte es mit ihm langsam angehen. Lilly konnte ich auch nicht die ganze Zeit über nerven. Bei ihr und Stephen schien es gefunkt zu haben. Auf Facebook posteten die zwei oft Bilder voneinander bei verschiedenen Events und wenn ich mir ehrlich war, zu diesen Leseratten passte ich eh nicht unbedingt gut dazu. Die Lesung in diesem Café war nett, aber eben nichts für mich. Valerie war ständig am Arbeiten und Connor ebenfalls. Er ist zwar mein leiblicher Vater, aber trotzdem möchte ich nicht ständig an ihm kleben. Ich durfte ihm schon kennenlernen und eine starke Verbindung entsteht nicht auf die Schnelle. Das braucht alles seine Zeit. Zeit die ich uns geben werde.
Eine Haltestelle zu früh stieg ich aus. Ich wollte Luft schnappen und mir über einige Dinge klar werden. Während ich die Straße nachdenklich hinunterging, kickte ich einen kleinen Stein vor mir her.
Schon als ich den Schlüssel in das Schlüsselloch steckte, vernahm ich Stimmen. Peter saß auf der Couch im Wohnzimmer, während ich gerade sah, wie Tobi in sein Zimmer ging. Die Tür ließ er dabei offen.
"Hey Peter." Ich fühlte mich etwas unwohl, da ich nicht wusste, ob Tobi seinen Freund etwas von meinen Anschuldigungen erzählt hatte. Bei dem finsteren Blick, den mir Peter zuwarf, war ich mir schon fast sicher.
"Ignoriere sie", zischte Tobi matt, der mit vollgepacktem Rucksack aus seinem Zimmer kam. Verletzt verlagerte ich mein Gewicht. Er hatte alles recht der Welt auf mich sauer zu sein, aber ich fand, dass er nun schon ein bisschen übertrieb war. Ich hatte doch wirklich nur gesagt, was ich mir gedacht hatte - was er auch so wissen wollte. Wenn er meine Gedanken nicht verkraften konnte, hätte er mich erst überhaupt nicht danach fragen sollen.
Peter stand von der Couch auf und Tobi stopfte Süßkram aus dem Schrank in seinen Rucksack.
"Tobi, kann ich bitte mit dir reden?"
"Nein." Er würdigte mir keinen Blick, genau, wie er es mit Sophie gemacht hatte. Ich wusste nicht, wie stur er sein konnte. Wir hatten aber auch noch nie eine Situation wie diese, in der ich ihm anscheinend zu tiefst verletzt hatte.
Ich machte einige Schritte an die Theke und lehnte mich daran mit verschränken Armen an. Wenn er dachte, auf Stur schalten zu dürfen, konnte ich das auch. "Findest du nicht, dass du übertreibst?"
Tobis scharfer Blick traf mich. Peter blieb kommentarlos neben ihm stehen. "Wie kommst du darauf das ich übertreibe? Wärst du in meinen Schuhen und ich hätte diese Art von Betrug deinen ach-so-perfekten Niall in die Schuhe geschoben, dann würdest du mich verstehen."
"Niall würde so etwas nie tun." Ich versuchte wirklich ruhig zu bleiben und genau diese ruhige Art, schien das Fass zum Überlaufen gebracht zum Haben. Denn nun wurde Tobi laut.
"Ja und warum sollte es mein Freund dann machen?! Nur weil er für eine Zeitschrift arbeitet?! Du bist unmöglich Amara!" Tobi drückte Peter den Rucksack wütend in die Hand und kam mir gefährlich nahe. Mit dem erzürnten Gesichtsausdruck machte er mir etwas Angst. Er atmete ein und aus um sich wieder etwas zu beruhigen. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht verschreckt in mein Zimmer zu laufen. "Du hältst dich für besser als wir alle. Du bist egoistisch und denkst nur an dich selbst. Ich kann nicht verstehen, was Niall überhaupt von dir will oder was Dylan von dir wollte!" Tobi schüttelte den Kopf. "Warum der jetzt überhaupt noch dein Freund sein will, kann ich nicht verstehen. Zuerst gehst du mit ihm aus, weil er anscheinend in diesen Moment das Beste war, das du bekommen konntest und nur nach einem einzigen Wochenende tauschst du ihn gegen einen Reichen ein!"
"So ... so war das nicht", murmelte ich Kleinlaut. Ich habe Dylan doch nicht einfach so eingetauscht. Zum Teufel nochmal, was konnte ich für meine Gefühle dafür und weswegen sollte ich mich vor Tobi dafür rechtfertigen. Den einzigen dem ich Rechenschaft dafür geschuldet hatte, war Dylan - sonst niemand. Weder Tobi, Sophie noch Niall. Wirklich niemand hatte das recht mich an dieser Entscheidung kritisieren zu dürfen. Außerdem ging es sie nichts an!
"So war das nicht?!", äffte Tobi mich schon beinahe hysterisch nach. "Natürlich war das so! Spiel dich mal hier nicht so runter! Es ist echt lächerlich von dir dich bei Sophie zu beschweren, dass sie alle ihn ihr Bett lässt, wenn du in Wahrheit kein Stück besser bist!"
Ich öffnete meinen Mund und wollte etwas erwidern, aber ich wusste nicht was. Ich war so enttäuscht. Nicht von mir, sondern, dass es wirklich so weit gekommen war. Hier zerbrach eine Freundschaft. Ich wusste, dass er wütend war und alles nahm, um mich schlecht zu machen, aber das fand ich fies.
Tobi zeigte mit dem Zeigefinger auf mich. "Schau doch, du kannst es nicht mal leugnen!" Mein ehemaliger Freund drehte sich zu Peter und nahm ihm den Rucksack ab. Er packte ihn auf seinen Rücken. Beide gingen an mir vorbei und marschierten zur Tür. Doch Tobi konnte nicht anders, als sie ein letztes Mal zu mir zu drehen. "Eigentlich wollte ich es dir nicht sagen, aber frag doch mal deine beste Freundin wer die Fotos von dir und Niall gemacht hat. Und wenn du schon dabei bist, frag sie doch, warum sie es mit dem Freund deiner Schwester hält." Mit diesem letzten Satz schlug er die Tür vor mir zu.
Ich atmete erstmals tief durch, setzte mich nieder und kniff mir den Nasenrücken. Musste es ausgerechnet so enden? Gerade dieses Szenario war das vor dem ich am meisten Angst hatte. Ich hasse es zu streiten. Nicht nur, weil ich sehr schlecht bin eine passende und feixende Antwort auf fiese Kommentare zu finden, sondern auch, weil ich niemanden verlieren möchte. So viele Freunde wie jetzt hatte ich noch nie. Sophie war immer die Einzige die mich verstanden hatte. Bibi und Tina, Maja und Willi, Amara und Sophie: beste Freunde fürs Leben. Genau das hatten wir uns schon im Kindergarten geschworen, als wir und vor den Erziehern versteckt hatten, um den morgendlichen Begrüßungskreis zu entkommen. Hinter unseren Jacken auf der Heizung sitzend, hatte ich davon gesprochen, dass ich Matthias Gärtner aus der anderen Gruppe heiraten wollte. Einen blondhaarigen Jungen mit Harry Potter Brille. Was wohl nur daran lag, weil er immer Süßigkeiten mithatte und mir welche abgab. Doch das Leben nimmt seinen Lauf. Schlägt unerwartet neue Wege ein und verdreht alles. Einige Dinge zum Guten aber andere zum Schlechten.
Es gefiel mir überhaupt nicht, was Tobi eben gesagt hatte. Seiner Rede nach, wusste Sophie, wer die Fotos gemacht hatte und der Überknüller war, dass sie anscheinend etwas mit Jacob hatte. Sophie würde doch nicht die Freundschaft zu Valerie riskieren ... oder? So verhasst wie die Beiden zu Beginn waren, konnte man damals kaum glauben, dass sie sich jemals verstehen würden. Auch die Karriere der Beiden brachte sie näher zusammen. Wenn Tobi mich hiermit nicht ärgern wollte, wäre das eine Katastrophe. Denn wenn ich eins uns eins zusammenzählte, würde es Sinn ergeben, wenn Jacob der Vater sein könnte. Ich meine, ich wusste natürlich nicht, wie lange das ging, oder wie lange es her war, aber ... vielleicht habe ich mit meiner Vermutung dieses Mal recht.
Seufzend lehnte ich mich zurück und sah zu Deckel hoch. Ich konnte mir einfach nichts von alledem vorstellen. Wenn Sophie wirklich gewusst hatte, wer hinter den Fotos steckte, fragte ich mich, warum sie es mir nicht erzählt hatte. Sie verschwieg mir doch sonst auch nichts - außer das mit Jacob entspricht ebenfalls der Wahrheit, dann wäre sie eine Fremde für mich. Eigentlich konnte ich sie gerade einfach nicht einschätzen und die Schwangerschaft tat ihr Übriges.
Ich beschloss sie anzurufen, wurde aber nur zweimal weggedrückt - auch etwas, das sonst nie der Fall gewesen ist. Sie hat sich verändert. Diese Stadt hat sie verändert. Die Leute und ihr Job haben sie verändert. Doch ... habe ich mich auch verändert? Oder bin nur ich komisch und sie verhält sich wie immer? Nein, es lag nicht an mir. Sophie hat eine starke Veränderung durchgemacht. Wenn ich so zurückdenke, wie sie war, als sie Niall das erste Mal getroffen hatte, hatte sie eine hundertachtzig Grad Wendung hingelegt. Bevor ich sie in unserer Heimatstadt zurückgelassen hatte, war sie ...
Ich habe sie alleine gelassen.
Es hat zwar etwas gebraucht, aber sie hatte sich wirklich von mir überreden lassen hierher zu ziehen. In ein Land, ganz weit weg von ihrer Mutter und ihren Verwandten. Sie kannte niemanden außer mich, hatte keine Aussichten auf einen Job, arrangierte sich mit der Idee hier in einem Haus voll mit Studenten zu wohnen und ließ sich von meiner Zwillingsschwester schikanieren mit der sie sich meinetwegen auch noch anfreundete. All das nur um bei mir zu sein.
Ich fühlte mich schlecht. Tobi hatte recht. Ich war ein egoistischer Mensch. Ich hatte nie auch nur eine Sekunde daran gedacht, was alle hätte schiefgehen können für Sophie. Wie konnte ich das alles von ihr abverlangen? Nur weil ich sie bei mir haben wollte? Weil mir Tobi als Freund alleine nicht genug war?
Als die Wohnungstür das nächste Mal aufging, saß ich schon seit einer Stunde nachdenklich auf der Couch. Schon am Geräusch der Schuhe wusste ich, dass es sich hierbei um Sophie handelte. Ich hatte auch überhaupt nicht angenommen, dass es Tobi sein würde, der nach Hause kam, da der den Rucksack gepackt hatte. Er wollte wohl meine Visage nicht mehr sehen.
"Warum hast du mich weggedrückt?", fragte ich Sophie leicht sauer und ohne Begrüßung. Sie bliebt ruhig legte ihre Handtasche ab und zog den Reißverschluss ihrer dunkelblauen Jacke auf. Das rosarote Haar hatte sie sich zu einem schlichten Pferdeschwanz zusammengebunden.
Sie schlüpfte aus den Sneakern und wandte sich gleichgültig an mich: "Ich hatte ein Gespräch mit der Frauenärztin. Es wäre unhöflich gewesen, wenn ich abgehoben hätte."
"Du warst bei der Ärztin?" Ich stand von der Couch auf. "Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte dich begleitet. Du hättest nicht alleine gehen müssen."
Sophie nickte leicht. "Ja, schon. Aber ich bin schon ein großes Mädchen, Amara. Außerdem ... hatte ich eigentlich wirklich nicht daran gedacht, dich zu fragen. Ich hatte nicht gedacht, dass du Zeit für so etwas hättest."
Das zu hören tat weh. Für meine beste Freundin hätte ich diese Zeit sicher gefunden. "Aber Sophie ... natürlich wäre ich mitgekommen. Wie kommst du nur darauf, dass ich keine Zeit gehabt hätte? Ich habe dir doch gesagt, dass ich für dich da bin."
Sophie zuckte mit den Schultern und ging zum Kühlschrank hinüber. Sie nahm sie die angebrochene Wasserflasche heraus.
"Und? Was hat die Ärztin gesagt? Oder was hast du jetzt eigentlich vor?" Sie hatte zu ihrer angedeuteten Abtreibung kein Wort mehr gesagt. Eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass Sophie einen Abbruch machen würde. Sie sagte es nicht oft, aber dafür sah ich: sie mochte Kinder und vor allem kleine niedliche Babys.
"Dritte Woche", erzählte meine beste Freundin knapp und setzte danach die Flasche an den Lippen an.
"Das heißt, du behältst es?" Ich konnte mir schon vorstellen wie meine kleine Schwester und Sophies Baby beste Freunde werden würden.
Sophie schraubte die Flasche wieder zu, drehte sich zum Schrank und nahm einen Karton mit Keksen heraus. Ich hörte das Geräusch, als sie den Karton aufriss. Dann drehte sie sich zu mir und hielt mir die geöffnete Packung einladend nahe hin. Ich schüttelte den Kopf. Wieder zuckt sie mit den Schultern, bevor sie sich einen Keks in den Mund stopfte. Während sie kaute, hörte ich sie ein Nein sagen. "Nächste Woche muss ich zu einem Gespräch mit einem Psychologen. Erst danach kann ich einen Abbruch machen lassen."
"Du weißt, ich respektiere deine Entscheidung, aber ... bist du dir ganz sicher dabei. Vielleicht bereust du es irgendwann."
"Kann schon sein, aber woher soll ich das jetzt wissen? So etwas ist immer leicht gesagt, aber wie soll man schon wissen, was passieren wird? Ich brauche kein Kind. Ich bin zufrieden und arbeite gerne für Davina und deinen Vater."
Seufzend ging ich zu Sophie hinüber und setze mich auf die Arbeitsplatte gegenüber von ihr. Derweil aß sie einen Keks nach den anderen. Prüfend begutachtete sie dabei jedes einzelne Stück. "Ich bin gerade mal drei Wochen schwanger und stopfe schon haufenweise Kalorien in mich hinein. Hundert Gramm dieser Packung haben vierhundert-zehn Kalorien. In neun Monaten wäre ich damit eine Kugel, die niemand mehr buchen würde. Ich hätte kein Geld, müsste aber alleine ein Baby ernähren. Das will ich nicht ..."
"Sophie ...", sagte ich mitfühlend. "Geht es dir bei dieser Sache nur um dein Gewicht und deinen Job? Als schwangere nimmt man eben zu. Du hast schließlich einen kleinen Menschen in dir. Mit ein bisschen Sport würdest du das sicher in Griff bekommen und ich denke nicht, dass Davina dich fallen lassen würde. Sie ist auch Mutter."
Sophie räusperte sich, aß noch einen letzten Keks und räumte die Backwaren wieder zurück in den Schrank.
Ich biss mir auf die Lippe. Tobis Worte schwirrten in meinen Kopf herum. Sophie wusste nach seinem Reden nach mehr, als sie zugab. "Sag mal ... kann es sein ...", murmelnd kratze ich mich am Nacken.
"Kann es was sein?", fing Sophie meine Worte auf. Sie legte den Kopf prüfend zur Seite.
"Tobi hat da etwas gesagt ... Dass du und ... ähm, na ja ..."
"Amara? Was willst du wissen. Spuck es schon aus und stammle hier nicht herum."
Schluckend sprach ich meinen Satz zu Ende: "Dass du Jacob eine Affäre am Laufen habt?"
Wie erstarrt sah mich meine beste Freundin an. Ihr wich alle Farbe aus dem Gesicht. Ich hatte sie ertappt und war schockiert, dass es zu stimmen schien. "Scheiße, Sophie! Wirklich?! Sie ist meine Schwester!"
Frustriert warf sie die Hände hoch. "Verdammt, ich kann doch nichts dafür! Es ist einfach passiert, Amara. Wirklich!"
Aufgebracht rutschte ich von der Arbeitsplatte hinunter um etwas Abstand zu ihr zu gewinnen. Ich wusste, wie Sophie war, aber mit dem Freund meiner Zwillingsschwester zu schlafen, obwohl sie befreundet waren, ging auch für mich zu weit. Ich möchte nicht wählen müssen zwischen meiner besten Freundin und meiner Schwester. Egal wie kurz ich Valerie erst kannte, sie ist Familie.
Mit ausgestreckten Armen lief mit Sophie hinterher. "Amara, bitte ... du darfst Valerie nichts davon erzählen! Sie wird es ihren Eltern sagen und die werden mich kündigen! Ich will diesen Job nicht verlieren! Bitte!"
"Ich dachte wirklich, du hättest etwas mehr anstand!" Kopfschüttelnd ging ich im Wohnzimmer auf und ab.
Japsend nickte Sophie. "Ich wollte doch auch nicht, dass das so passiert. Du musst mir glauben! Und ich werde nach dieser Aktion auch nie wieder etwas mit ihm haben! Versprochen!"
Ich senkte unglaubwürdig den Kopf. Ich kannte sie besser. "Das hast du schon oft gesagt. Klar, wir sind jung und wollen unseren Spaß haben, aber irgendwo muss man eine Grenze ziehen. Und die hast du hier überschritten."
"Amara ...", fleht sie schon beinahe. "Bitte ... ich bringe das doch wieder in Ordnung. Ich mache einen Abbruch und dann ist alles wieder Ok-"
"Dann ist alles okay!?" Ich konnte wirklich nicht fassen, was sie da von sich gab. Ein Baby musste sterben. Seufzend schloss ich kurz die Augen. "Wenn wir hier schon bei der Wahrheit sind ... Wer hat die Fotos von mir und Niall gemacht und an die Klatschzeitschrift geschickt. Du weißt es ... und bitte lüge mich nicht an."
Sie runzelte die Stirn. "Das ... das weiß ich nicht. Wie kommst du darauf?" Sophie zupfte an ihren Fingerkuppen herum.
"Ich habe doch gesagt, du sollst mich nicht anlügen", stellte ich klar.
"Dass ... na gut ... aber, dass ..., dass willst du nicht wissen." Schuldig sah sie zu Boden. Die ungute Spannung in der Luft war zum Greifen nahe. Und da traf mich die Erkenntnis. Sie war es. Meine beste Freundin hat mich verraten. Was habe ich ihr getan?
Ohne es zu kontrollieren, füllten sich meine Augen mit Tränen. Die Enttäuschung schmerzte und saß tief. Der Verrat war das schlimmste. "Warum?" Bringe ich gerade noch laut genug heraus, bevor mein Hals sich zuschnürte.
Sophie weinte mit mir. "Deine Welt ... hat sich nur noch ... um ihn gedreht." Sie schluckte ein Wimmern hinunter. "Ich habe es einfach ... getan. Ich bin deinetwegen hierhergezogen! Er hatte dich verletzt! Wie könntest du ihn nur so einfach vergeben?!" Lauthals brüllte sie den letzten Satz.
"Ich ... ich habe ihn vergeben, denn ich liebe ihn. Ich hatte, du hättest deinen Hass überwältigt."
Sophie schüttelte den Kopf. "Ich fand nicht okay, was er dir angetan hat. Vergiss nicht, wem du dein Herz nach der Hochzeit ausgeschüttet hast. Du warst ein Häufchen Elend nach diesem Kerl, dass konnte ihm nicht einfach so, wie du, verzeihen."
Wie konnte ich, dass sie ganze Zeit nicht sehen? Sie war so wütend auf ihn. Da erschien, es mir plausible warum sie ihr Fan-Gehabe abgelegt hatte.
"Warum hast du nicht mit mir darüber gesprochen?" Ich wischte mir frustriert über das Gesicht.
"Für dich war die Sache doch gegessen. Du hättest mir doch sowieso nicht zugehört!"
"Natürlich hätte ich dir zugehört!", schrie ich aufgebracht. "Was ist dein Problem?! Warum verhaltest du dich so komisch?!"
"Das tue ich doch überhaupt nicht!", brüllte Sophie auch.
"Doch!"
"Nein!"
"Ich habe echt die Schnauze voll von euch!" Ich raufte mir mein Haar. Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand. "Ich bin total enttäuscht von dir", sagte ich nach einigen Atemzügen. Dann ging ich an ihr schultern stoßend vorbei und begann in meinem Zimmer einen Koffer zu packen. Ich konnte es hier keine Minute länger mehr ertragen.
Der Tag nachdem ich die Wahrheit erfahren hatte, fand ich mich in Nialls Apartment wieder. Verletzt und enttäuscht benötigte ich Abstand zu Sophie. Tobi wollte mich sowieso nicht sehen. Ich versuchte mich an die Momente zu erinnern, die Sophies Wut schürten. Die dazu veranlassten, dass sie sich dazu bereit entschloss sich in meine Beziehung einzumischen. Sie tat es, weil sie mich für sich wollte, wie auch ich es getan hatte, als ich sie dazu überredete nach London zu ziehen. Doch diese Tat fühlte sich wie Verrat an. Sie hatte genau gewusst, dass wir die Beziehung zueinander nicht öffentlich machen wollten.
Eine Woche danach fühlte es sich nicht mehr so fremd in Nialls vier Wänden an. Er wusste inzwischen, dass ich mir hier aufhielt. Es machte ihm nichts aus, denn er hatte mich an seine Worte von vor einem Jahr erinnert. Wenn es irgendwann mal nicht so laufen würde, wie ich es mir erhofft hatte, dann würde er mich immer aufnehmen. Ich hatte meine Möglichkeiten genau abgeschätzt. Entweder ich ging zurück und bereitete mich auf eine erneute Konfrontation vor, nahm mir ein Zimmer in einem Hotel, fragte Connor, ob er ein Zimmer für mich übrighätte und müsste so eventuell erzählen, wie es zum Streit kam oder ich schlief hier. Das Einzige, dass ich direkt von der Liste strich, war Lilly um Platz zu bieten, denn bei ihr müsste ich ständig in Ambers Gesicht blicken und darauf hatte ich absolut keine Lust. Das Einzige gut in dieser Woche war, dass Nialls Album Flicker direkt auf Platz Eins ging.
In der zweiten Woche brachte ich es endlich hinter mich zurück in die Wohnung zu fahren, in der ich meine restlichen Sachen packte. Erneut begab ich mich an diesen Tag wieder in einen Streit mit Sophie und Tobi. Es war genau dieser Tag, an dem ich beschlossen hatte nicht wieder zurückzukehren. Ich hatte mich in dieser Woche darum gekümmert, wie ich aus dem Mietvertrag rauskam.
In der dritten Woche befand sich mein gesamtes hab und gut in Nialls Apartment. Ich hatte nicht vor hier auf langer Dauer sein Gast zu sein, denn das würde für mich viel zu schnell gehen. Ich fand nicht, dass ich nach drei Monaten schon bei ihm einziehen sollte. Doch für den Moment ging es nicht anders. Außerdem war er noch für vier weitere Wochen nicht im Land. Diese Woche nahm ich mir auch Zeit mich zum Arzt zu schleppen und mir das erste Mal diese drei-Monatsspritze geben zu lassen. Zudem wurde ich von Connor und Davina zum Familienessen eingeladen. Hier lernte ich Connors Eltern und die von Davina kennen, sowie Connors jüngere Schwester, während Valerie in Mullingar Mum und Bobby einen Besuch abstattete.
Woche vier startete mit Fieber für mich. Hier hätte ich mir gerne meine Mutter herbeiwünscht. Ganz alleine mit glühendem Kopf und Brechreiz saß ich drei Tage in der Wohnung fest. Ich vermisste Niall immer mehr und hoffte, dass er bald wieder bei mir sein würde. Beinahe zwei Monate von ihm getrennt zu sein, war viel zu lange.
In der darauffolgenden Woche drehte sich alles nur um die Universität. Wichtige Prüfungen standen an und mein zwanzig Seitiger Aufsatz, an dem ich zehn Tage alleine schrieb. In diesen Tagen hatte ich so gut wie kein Privatleben. Valerie hatte inzwischen von Jacob und Sophie erfahren. Sie verbrachte zwei Nächte weinend bei mir. Von ihr erfuhr ich auch, dass Sophie den Abbruch wirklich durchgezogen hatte. Sie selbst hatte Valerie unter Tränen von der Affäre erzählt. Ich verstand nicht, warum sie es plötzlich getan hatte, ich hatte aber dadurch gehofft, dass sie sich so irgendwie bei mir entschuldigen wollte, aber ein Gespräch blieb aus.
In der sechsten Woche ging ich das erste Mal seit langem wieder aus. Lola schlief mich praktisch mit in die nächste Diskothek. Am Morgen danach fand ich sämtliche Bilder von mir beim Tanzen im Netz wieder. Niall war nicht sonderlich begeistert von der Aktion, den bei diesen Bildern sah man mir an, dass ich zu tief ins Glas geschaut hatte. Zudem wurde der kleine Bruder von Theo vier Wochen zu früh geboren.
Die siebte und letzte Woche ließ ich ruhig angehen. Ich telefonierte viel mit meiner Mutter und meinen Großvater. In dieser Woche schaffte ich auch endlich das lang erwartete Wiedersehen mit Cheryl. Mit dem kleinen Bear im Kinderwagen gingen wir außerhalb von London spazieren und anschließend etwas essen. Außerdem beendete ich mit Stolz das erste Drittel des Trimesters. Den Autumn Term konnte ich mit Stolz abhacken. Jetzt durfte ich mich auf die Weihnachtszeit freuen, bevor Ende Januar der Spring Term und somit das zweite Drittel des Studienjahres begann.
Heute brach die achte Woche an. Ungeduldig sah ich immer wieder aus dem Fenster hinunter. Von hier aus sah alles klein und weit weg aus. Aber trotzdem hoffte ich, dass ich den Wagen von Niall erkennen würde. Die Straßen waren angezuckter, denn in der Nacht hatte es zu schneien begonnen. Die Flocken flogen wie dicke Federn durch die Luft. Aufgeregt und mit einem Schwarm Schmetterlingen im Bauch kaute ich an meinen Fingern herum. Wie wird das wohl sein, hier mit Niall zu wohnen? Ich hatte sichtlich bedenken und hatte zu Beginn daran gedacht, vor Niall Rückkehr bereits woanders zu wohnen, aber da hatte ich nicht bedacht, wie vergriffen die Wohnungen in dieser Stadt waren. Das Zimmer in Tobis Wohnung hatte ich auch erste nach Stunden gefunden.
Ich machte mir einen Kaffee und setzte mich schlürfend auf die übergroße Couch, die ich die letzten Wochen mehr als einmal für ein Nickerchen genutzt hatte. Als ich das Klingeln des Aufzuges hörte, sprang ich freudig auf und huschte die drei Treppen zum Apartmenteingang hoch. Die schweren Türen gingen auf und Niall stand mit drei Reisekoffern, einer Trainingstasche und zwei Gitarrenkoffern da. Sein Gesicht erhellte sich, als sich unsere Augen trafen. Er ließ die Tasche fallen und stürmte auf mich zu um mich mit einem dicken Kuss zu begrüßen. Die Sehnsucht nach ihm verschlang mich. Endlich wieder in seinen Armen zu sein, seine Nähe zu spüren und sein Aftershave zu riechen, war das schönste und beste überhaupt.
"Ich habe dich so vermisst", sagte ich, als sich unsere Lippen lösten und er seine Stirn an meine legte.
"Und ich dich erst", erwiderte Niall mit einer Hand an meiner Wange. Dann drückte er mir einen Kuss auf den Haaransatz und drehte sich um, um den Lift auszuräumen. Ich half ihm seine Sachen in das Wohnzimmer zu ziehen. Still sah er sich um, bis sich unsere Blicke wieder trafen. Er sah so glücklich aus und ich musste Mitlächeln. Wie ich das vermisst hatte ...
"Weißt du...", begann er. "Ich könnte mich daran gewöhnen, immer jemanden zu haben der zu Hause auf mich wartet." Ich ging auf ihn zu und lehnte meinen Kopf an seine Brust. Ich wollte einfach nur von ihm umarmt werden. Er schlang seine Arme um mich und legte sein Kinn auf meinen Kopf ab. "Du hättest mich gebraucht", flüsterte er leise. Ich drückte ihn etwas fester und er seufzte.
"Das ist jetzt egal. Hauptsache, du bist wieder da", murmelte ich gegen seine Brust.
In den darauffolgenden vier Tagen bereiteten wir und auf den Abflug nach Mullingar vor. Das Zusammenleben mit ihm war harmonisch und voll mit kleinen romantischen Gesten. Er hatte an allen Tagen gekocht, sah sich mit mir romantische Komödien an, ließ mir das Badewasser ein und massierte mich vor dem Schlafen gehen. Also wenn ich jetzt noch nicht im siebenten Himmel war, dann wusste ich auch nicht. Da es nicht anders ging, musste er mir schon mein Weihnachtsgeschenk verraten. Ein Traumurlaub irgendwo am Meer. Ich wusste nicht wo, wusste nur, dass ich mir einen zweiten Koffer packen musste, in dem ich leichte Kleidung einpacken musste. Für diesen Anlass ließ ich es mir nicht nehmen noch einkaufen zu gehen und Niall durfte dabei meine Taschen tragen. Mein Geschenk für ihn hatte ich auch bereits. Es war nichts Großartiges, so wie sein Geschenk an mich. Es war doch eh immer dasselbe, was konnte man ihm den schon schenken? Ich hatte mich für ein einfaches Fotobuch entschieden. Es waren vierzig Seiten voll mit Erinnerung an uns Beide. Das Coverbild, was unser Kuss im Heißluftballon, nachdem er mir diese wunderschöne Kette, die ich jeden Tag trug, geschenkt hatte. Gleich auf der ersten Seite, wenn man das Buch aufschlug, war das Bild, das geschossen wurde, als wir das Pub verließen, an dem Tag, an dem ich Niall kennengelernt hatte. So arbeitete ich mich hoch, bis zum letzten gemeinsamen Foto das wir voneinander gemacht hatte. Ich hoffte wirklich, dass er sich darüber freuen wird.
Am Flughafen in Dublin wurden wir von Bobby abgeholt, der die ganze Fahrt nach Mullingar über von meiner Mutter, ihren wunderschönen Babybauch und seinen neuen Enkelsohn Jake erzählte. Niall und ich freuten uns schon darauf den Kleinen zu sehen. In Irland lag viel mehr Schnee als in London. Die gesamte Gegend war in Weiß getaucht. Vor dem Haus unserer Eltern stand ein Schneemann in der Auffahrt. Er war nicht sonderlich groß, es war eher ein Kinderschneemann. "Den hat Theo mit mir gebaut, während er letztes Wochenende hier geschlafen hat", teilte uns Bobby mit.
Bobby fuhr mit seinem Wagen nicht in die Garage, da dort drinnen kein Platz war. Denn mein und Nialls Wagen standen darin. Ich zog mir die Kapuze meiner Winterjacke über den Kopf, als wir, mit den Koffern, durch den Schnee zur Haustür stampften. Der Wind peitschte mit dicken Schneeflocken gegen uns. Im Haus war es warm. Die Wärme prickelte an meinen kalten Wangen und die Duftkerze neben der Tür roch noch Bratapfel. Meine Mutter begrüßte uns voller Freude mit einer Umarmung. Ihr Bauch war schon sehr groß und sie hatte etwas zugenommen. Ihr Gesicht war nicht mehr so schmal und glatt, wie es sonst immer war. Einen Monat hatte sie noch vor sich.
"Mum, wie geht es dir?"
"Den Umstanden entsprechen." Sie rieb sich strahlend den Bauch. "Aber jetzt zieht euch doch mal aus und lasst uns etwas Warmes trinken."
Zwei Stunden lang, saßen wir anschließend mit warmen Getränken und Keks im Wohnzimmer auf dem Sofa und redeten. Als das Thema mit meiner Wohnsituation aufkam, rümpften Mum und Bobby beide leicht die Nase.
"Das ist nur vorübergehend. Ich suche mir etwas Neues", meinte ich verteidigend und wusste, dass ich sie mit dieser Antwort eher für mich gewinnen konnte.
Meine Mum runzelte die Stirn. "Warum gehst du nicht wieder zurück zu Sophie und diesen Tobi? Findest du nicht, dass das ein bisschen schnell mit euch beiden geht? Ihr seid jung, ihr solltet noch nicht so zusammenwohnen."
"So jung sind wir auch wieder nicht Kate", murrte Niall neben mir. "Außerdem sind wir zusammen. Ich habe nichts dagegen, dass Amara bei mir wohnt. Von mir aus will ich auch überhaupt nicht, dass sie mich verlässt. Wir lieben uns, die Chemie stimmt, wenn man den Menschen fürs Leben findet, warum sollte man länger warten und ihn gehen lassen?"
Ich drückte Nialls Hand sanft. Ich hatte nicht erzählt worum es in den Streits mit Tobi und Sophie ging, denn ich fand nicht, dass ich ihr das erzählen musste. Niall hatte mir bei einem Gespräch zu Hause schon mitgeteilt, dass er nicht wollte, dass ich wieder auszog, aber ich war mir noch nicht sicher.
Meine Mum seufzte und rieb sich die Stirn. "Na ja, ich kann ja eh nichts dagegen tun. Ihr macht doch sowieso immer, was ihr wollt."
****
Heute war die erste Nacht, die wir offiziell in einem Bett in Mullingar verbrachten. Zu Beginn hatte ich damit gerechnet, dass Mum vielleicht von uns verlangen würde, dass die Tür offenbleiben müsste. Aber so war es nicht. Mum hatte kein einziges Kommentar zu diesem Thema verloren. Nur Bobby zog Niall einmal zu Seite, da er ihm etwas sagen musste. Als ich bei Niall nachfragte, um was es ging, winkte er nur grinsend ab.
Müde schmiegte ich meinen Kopf an seine Brust.
"Amara?"
"Ja?", fragte ich in die Dunkelheit. Ich konnte hören, wie sein Herz etwas schneller zu pochen begann.
"Ich habe doch damals vor der dem Abflug gesagt, dass ich mit dir über etwas reden muss."
Ich nahm meinen von seiner Brust und legte mich neben ihn. Mit den Händen stützte ich meinen Kopf. "Ja, du hast gesagt, ich müsse mir keine Sorgen machen. Du hast es versprochen und das tue ich auch nicht."
Jetzt drehte auch er sich in meine Richtung und stützte seinen Kopf mit seiner linken Hand ab. "Seitdem ich zurück bin, denke ich darüber nach, wie ich es sagen soll. Um ehrlich zu sein, habe ich Angst davor, was du davon halten könntest."
Augenblicklich wurde mir doch etwas mulmig. Wenn er es so sagte, gefiel mir sicher nicht, was er zu sagen hatte. Wenn es wieder etwas mit Holly zu tun hat, dann flippe ich aus. Schnaufend setzte ich mich auf. Ich kniff mir den Nasenrücken und schüttelte den Kopf. "Hat es etwas mit Holly zu tun?" Die Genervtheit in meiner Stimme klang deutlich mit.
Im Dunkeln sah ich, wie seine Umrisse nickten und ein leises Ja folgte kurz darauf.
"Niall, bitte! Ich kann es nicht mehr hören! Ich will nichts mehr von dieser Frau wissen. Also, was auch immer du mir sagen willst .... behalte es für dich."
"Aber das solltest du wissen." Er setzte sich ebenfalls auf und legte eine Hand auf meine Schulter. "Ich muss es dir sagen, Amara. Es muss sein."
"Nein!" Ich stieß seine Hand von mir. "Ich will nichts davon hören!" Sauer stieg ich aus dem Bett. Was auch immer er und dieses Biest schon wieder gemacht hatten, konnte er für sich behalten. Nur dieses eine Mal, wollte ich es nicht wisse. "Ich liebe dich Niall, aber diese Frau ist Gift unsere Beziehung. Lass sie endlich hinter dir!"
Niall kroch an das Ende des Bettes und zog mich mit den Armen wieder zu ihm an die Bettkante heran. "Aber du wolltest doch die ganze Zeit über wissen, was mit mir los war. Was hat sich geändert?"
Ich räusperte mich, um den Klos in meinen Hals loszuwerden. "Ich ... ich habe doch schon ... Sophie und Tobi verloren", nur mit beschlagener Stimme brachte ich diese Worte über die Lippen. "Ich kann ... ich kann dich doch nicht auch noch verlieren." Die Tränen brannten mir in den Augen.
"Du verlierst mich doch nicht", sagte Niall aufmunternd. "Ich muss Angst haben dich zu verlieren und nicht andersrum." Er zog mich auf seinen Schoss und ich schloss sie Arme um seinen Nacken. Seine Worte trafen mich und die Heulsuse in mir erwachte zum Leben. So viel wie in den letzten zwei Monaten hatte ich noch nie geweint. Eigentlich bin ich keine Heulsuse, aber meine Gefühle fuhren Achterbahn. Der Schmerz saß einfach zu tief.
"Amara, bist du sicher, dass du jetzt nicht hören möchtest? Denn es ist etwas, dass ich dir unbedingt sagen muss. Schließlich meine ich das mit dir Todernst und du wohnst auch bei mir ... Das hier ist kein Spiel für mich oder ein Zeitvertreib."
Lauf seufzend lehnte ich etwas zurück um in sein besorgtes Gesicht sehen zu können. Es schien ihn wirklich wichtig zu sein. "Denkst du, dass ich es verkrafte? Sei ehrlich Niall."
Er blieb still.
Das Schweigen war mir Antwort genug.
"Was ist es, Niall. Was willst du mir sagen?", fragte ich ihn trocken. Er hatte schon recht, ich wollte die ganze Zeit über wissen, was los mit ihm war, hatte sogar befürchtet, dass er mir nicht genug vertraut, um mit mir über seine Probleme sprechen zu können. Aber jetzt hatte ich Angst vor der Wahrheit. Er selbst meinte mich damit verletzten zu werden.
Er spannte sich an und verfestigte den Griff um mich, als würde er ahnen, dass ich mich von ihm reißen würde. Inzwischen kennt er mich wohl besser, als ich mich selbst.
"Holly wohnt bei uns im Haus, weil-"
"Sie tut was!?", fragte ich viel zu laut und aufgebracht. "Was zum Teufel meinst du, mit sie wohnt bei uns im Haus? Dann wäre sie mir doch bestimmt schon mal in den sieben Wochen über den Weg gelaufen!"
Er schüttelte den Kopf. "Ich habe ihr gesagt, wann deine Kurse stattfinden und das sie aufpassen soll. Sie hat ihr Wort gehalten und dich in Ruhe gelassen."
Entsetzt über den Verrat den ich fühlte, stemmte ich meine Hände gegen ihn. Ich hatte es satt, so satt! Ich wusste doch, warum ich es von Anfang an nicht wissen wollte.
"Niall, warum hast du mir das verschwiegen?! Und warum dieser ganze Aufwand?! Ich möchte nichts mit dieser Schlampe zu tun haben! Und warum musste sie ausgerechnet in dieses Haus ziehen? Das kann doch kein Zufall sein. Bestimmt will sie sich wieder einmischen, so wie sie es immer tut! Ich will nichts mit ihr reden und möchte auch, dass du nichts mit ihr sprichst! Und wenn du mich wirklich liebt, so wie du es immer sagst, dann tust du das auch für mich."
"Aber das ist nicht so leicht wie du denkst." Er hielt mich fester. "Das kann ich nicht tun, Amara. Natürlich liebe ich dich, aber das liegt nicht in meiner Macht. Ich wäre ein schlechter Mensch, wenn ich das tun würde."
"Warum wärst du ein schlechter Mensch, wenn du nichts mehr mit ihr sprichts!?", fuhr ich ihn an. Immer diese Ausreden ... "Sie ist deine Ex! Zum Teufel nochmal! Schon klar, in manchen seltenen Fällen kann man mit seinem Ex befreundet sein, aber das trifft nicht auf sie! Nicht auf Holly!"
Ich räusperte mich. "Lass mich endlos los. Ich habe keine Lust, heute das Bett mit dir zu teilen!"
Nur widerwillig ließ er mich los. Sauer griff ich nach seiner Decke und sein Kissen. Kraftvoll drückte ich ihm beides in die Arme. "Bitte geht jetzt! Ich will meine Ruhe haben! Ich muss nachdenken."
"Aber ... komm schon ... ich muss dir noch was sagen. Ich weiß, du bist aufgebracht, aber ich habe noch nicht mal erwähnt, was ich eigentlich sagen wolle. Schmeiß mich jetzt nicht aus dem Zimmer", flehte er. Aber ich blieb hart.
"Ich will es nicht hören! Geh endlich. Du wusstest es und hast mir nichts erzählt. Du hast dich sogar gegen mich verbündet!"
Er öffnete den Mund, um wieder etwas zu sagen, aber ich ließ ihn nicht. "Egal was es ist. Ich. Möchte. Es. Nicht. Hören."
Niall atmete laut aus, sah mich verletzt an und ging aus dem Zimmer. Warum sah er verletzte aus?! Ich wurde dich hintergangen!
Ich hasse Holly.
Ich hasse sie so sehr.
Völlig überdreht wälzte ich mich die gesamte Nacht im Bett hin und her. Ich ging unser Gespräch im Kopf durch und spielte mit dem Gedanken, wie oft ich Holly wohl schon über den Weg gelaufen sein könnte. Außerdem hätte ich gerne gewusst, wie lange er schon davon wusste und mich wochenlang im Dunkeln ließ. Warum hing er so an ihr? Hegte er vielleicht noch Gefühle für sie, ohne es zu wissen? Was würden Sophie und Tobi zu dem sagen? Die einzige Person die ich diesbezüglich um Rat beten konnte, war meine Schwester. Mit Lola hatte ich nicht mehr allzu viel zu tun und Lilly war eher eine Studienfreundin. Keine der beiden wollte ich mit meinen Sorgen belasten.
Nach dem Aufstehen, wusste ich nicht, was mich wohl erwarten würde. Ich ging ins Bad, um mich frisch zu machen und zog mich um. Gerade als ich den letzten Knopf meiner Jeans zuknöpfte, klopfe jemand an der Tür. Es war Niall - natürlich - der mit Decke und Kissen zurück ins Zimmer kam.
"Hey."
"Hey", echote ich eisig. Ich spürte seinen Blick auf mir, während ich zu meiner Bettseite ging und die Decke faltete. Ich strich eine Falte hinaus und setzte zum Gehen an.
"Du bist wohl noch immer sauer auf mich", sagte Niall leise. Als Antwort schlug ich die Tür hinter mir zu. Ja, ich war noch wütend.
In der Küche warf mir Mum einen fragenden Blick. Ich hatte schon damit gerechnet, dass man unseren Streit im gesamten Haus gehört hatte.
Zu müde um diese Konversation anzufangen schnappte ich mir eine Tasse und füllte sie mit Kaffee auf. Bobby betrat im Morgenmantel die Küche. Er küsste meine Mum auf die Wange und kniete sich anschließend hin, um auch dem Baby einen guten Morgen zu wünschen. Doch dann sah er mich an der Theke lehnen. Ich machte einen Schritt zur Seite und lies Bobby zur Kaffeemaschine. Während die Maschine das Wasser erhitzt, sah er mich mit hochgezogener Augenbraue an. "Warum hat mein Sohn gestern auf der Couch geschlafen?"
"Weil er anscheinend immer noch an seiner Ex hängt", erwiderte ich belanglos und nippte an meinem Kaffee. Bobby sah mich sichtlich verwirrt an und auch Mum folgte seinem Beispiel.
"Also das kann ich mir im besten Willen nicht vorstellen. Bist du dir sicher, dass du da nicht etwas hineininterpretierst?"
"Tue ich nicht", grummelte ich genervt. Ich stieß mich von der Theke ab und setzte mich auf einen Stuhl am Tisch. Bobby folgte mit mir seiner Tasse. Ich sah starr auf mein warmes Getränk hinab und mein Stiefvater angelte sich die Zeitung. Er schien zu verstehen, dass es besser war, nicht mehr weiter zu bohren.
****
Am späten Nachmittag kamen Gregor und Denise mit den Kindern zu Besuch. Da gerade in der Stadt der jährliche Weihnachtsmarkt war, beschlossen wir dort hinzugehen. Der kleine Jake war mit mehreren Decken und Wärmeflaschen in seinem Kinderwagen versteckt. Das bisschen Haar, dass der neuste Horan hatte, war eher dunkel. Seine Nase war klein und rundlich so wie die von Denise. Jake hatte lange Finger, was darauf hinwies, dass er einmal groß werden würde.
Da es drei Grad minus hatte, zogen wir uns alle warm an. Mit Haube, Schal und Handschuhen war es gerade noch ertragbar. An mehreren Häusern hingen Lichterketten und ich sah mehrere beleuchtbare Figuren im Nachtbargarten. Während Mum und Bobby, mit Denise und Gregor tratschten, gingen, Niall, Theo und ich führend voraus. Theo stand in der Mitte und gab uns jeweils eine Hand. Er sprang herum und lachte, wenn wir ihn wie einen Sack nach vorne hoben. Man könnte gerade denken, dass alles gut zwischen uns wäre, war es aber nicht. Wir taten es nur für Theo, der uns nicht anders kannte. Er wusste, dass wir zusammengehörten.
"Und Theo, wie findest du deinen kleinen Bruder? Er ist süß, oder?" Als er mich fragen hörte, sah er zu mir hoch. Die blauen Augen glänzen.
Er schwenkte den Kopf leicht hin und her. "Also als ich ihn gesehen habe, bei Mama im Krankenhaus, sah er nicht schön aus." Theo verzog die Lippen. "Er hatte so viele Falten. Das war nicht süß."
Niall und ich werfen uns einen belustigenden Blick zu. Ich war immer wieder überrascht von den Antworten des kleinen Kerls. Doch ich blickte schnell wieder zu Theo, als ich mich dabei ertappte.
"Onkel Niall, Oma Kate hat auch ein Baby", er ließ meine Hand los und tippte auf seinen Bauch, "... da drinnen. Aber wie kommt das Baby da rein?" Theo schüttelte den Kopf und seufzte. "Ich verstehe das nicht. Ich dachte immer, sie hat ein Baby gegessen, aber Papa sagt, man isst keine Babys."
Niall sieht mich kurz Hilfe suchend an, aber ich grinste einfach nur. Sollte er sich doch selbst aus dem Schlamassel befreien. Er überlegte und begann Theo zu erzählen, dass Denise sicherlich zu viele Äpfel gegessen und einen Kern verschluckt hatte. Und aus diesem Kern entstand sein Bruder. Theos Augen wurden groß, dann schüttelte er den Kopf und meinte, dass er nie wieder einen Apfel essen möchte, da er nicht noch einen Bruder haben möchte.
Dann drehte sich Nialls Neffe zu mir und tippte mir auf den Bauch. "Ist da auch ein kleiner Bruder drinnen? Der aussieht wie ich oder schaut er aus wie Onkel Niall? Ihr seid doch so wie Mama und Papa."
Ich nahm seine Hand wieder. "Nein, da ist kein kleiner Bruder drinnen. Und für so ein Geschenk war dein Onkel in letzter Zeit viel zu schlimm."
Theo schlug sich kichernd eine Hand vor den Mund. "Onkel Niall war schlimm."
Schneller als gedacht, trafen wir am Hauptplatz ein. Mit Theo an der Hand drehten wir uns nach unseren Eltern um, die etwas langsamer gegangen waren. Der Weihnachtsmarkt war nichts, dass ich noch nie gesehen hatte. Mehrere Holzhütten, mit Schneebedeckten Dächern waren aneinandergereiht. Alle paar Meter stand eine dieser Feuertonnen zu denen man sich mit einer Tasse Glühwein stellen konnte, um sich zu wärmen. Ich vernahm den Duft von heißen Waffeln und bekam sofort Hunger. Doch die Hauptattraktion musste wohl der Eislaufplatz gewesen sein. Ich musste daran denken, dass Holly mir erzählte hatte, dass sie und Niall dort am Eis ihren ersten Kuss hatten und verzog augenblicklich den Mund.
Als uns Mum und Co erreicht hatten, nahm Gregor uns Theo ab. "Lassen wir deinen Onkel und Amara doch etwas Zweisamkeit. Ich glaube, sie müssen noch über etwas reden." War doch klar, dass Mum wieder ausplaudern musste, dass wir streit hatten.
"Aber, warum?" Theo legte fragend einen Finger auf seine Lippen.
Während ich den Beiden zuhörte, nahm Niall meine Hand und hatte somit meine gesamte Aufmerksamkeit. "Gehen wir eine Runde?"
Ich nickte und ließ mich von ihm den Weg entlangführen. Irgendwann mussten wir uns doch über die Auseinandersetzung unterhalten. Die Stimmung am Markt war ausgezeichnet und sogar ich verspürte Weihnachtsstimmung. Es lag bestimmt am Schnee. Und ohne Schnee fehlte doch etwas zur Weihnachtszeit. Ich drehte mich einmal um, um zu schauen, wohin es unsere Eltern getrieben hatte. Sie standen noch immer beim Eingang zum Weihnachtsmarkt und schienen gerade zu studieren, wo sie den ersten halt machen sollten. Theo deutete mit dem Finger die gesamte Zeit über auf die Hütte, die aussah wie ein Lebkuchen Haus. Die kleine Naschkatze roch auch die süßen Waffeln.
"Willst du dir die Stände ansehen?", fragte mich Niall und ich bejahte. Dann zog ich ihm zu den Stand der am meisten strahlte und glitzerte. Christbaumkugel hingen von der Decke, in allen erdenklichen Farben und Motiven. Daneben hingen Weihnachtsmann-Mützen mit blinkenden roten Steinchen, die man auf jeden Weihnachtsmarkt bekam. Ich fand sie nicht schön, kaufte mir aber fast immer wieder eine davon, wie auch jetzt. Niall sah mich zuerst stutzig an, als ihm ihn eine Mütze hinhielt, nahm sie aber doch an. Sicherlich wollte er mich nicht noch mehr verärgern und auf Nummer sicher gehen.
Wieder nahm er meine Hand. Wir gingen still zwischen den Ständen entlang. Ich wollte nicht die Unterhaltung starten. Niall sollte beginnen unseren Streit zu schlichten.
"Du weißt, dass ich dich niemals mit Absicht verletzten würde, oder?", fragte er, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Ich ließ seine Worte auf mich wirken. "Ja, ich denke schon."
"Du denkst?" Abrupt bleib Niall stehen. Er nahm mein Gesicht und zwang mich ihn anzusehen. Ich konnte den Schmerz in seinen Augen sehen. Die Verzweiflung und die Furcht. "Ich habe es nur geheimgehalten, weil ich wusste, wie du reagieren würdest. Ich sorge mich um dich, Amara."
So gut es mein Kopf in seinen Händen zuließ, nickte ich.
Noch immer sah er mich fest an. "Auch wenn du es jetzt noch nicht wissen willst, irgendwann muss ich dir sagen, was ich dir sagen möchte. Ich muss es dir sagen. Und bitte denke nicht, dass mich der Gedanke nicht die letzten Wochen schon ständig gequält hat."
"Ist es so schlimm?"
Niall nickte leicht und nahm den Blick von mir. Schuldig ließ er den Kopf hängen und zog mich in eine Umarmung. Ich legte meine Hände um ihn. Diese Sache schien in innerlich aufzufressen.
"Niall?" Ich legte meine Arme auf seine Oberarme und schob ihn aus der Umarmung um in sein Gesicht schauen zu können. "Das scheint dich wirklich sehr mitzunehmen. Und das macht mir Angst. Es muss wirklich schlimm sein und wie ich mir schon denken kann, werde ich nicht erfreut über diese Sache sein."
"Ja", hörte ich ihn zustimmend.
"Ich möchte zu Weihnachten nicht sauer auf sich sein und auch nicht, wenn wir in Urlaub sind. Lass uns das für jetzt beiseitelegen. Sobald wir wieder zurück in London sind, setzten wir uns zusammen und reden über alles. Und ich verspreche, dass ich versuchen werde nicht gleich wieder in die Luft zu gehen. Ich werde dir zu hören und ich werde versuchen es zu verstehen. Ich weiß, dass ich ein kleiner Hitzkopf bin, der gleich durchdreht, wenn etwas nicht so läuft, wie ich es gerne möchte. Deshalb, bitte weiß, dass ich mir wirklich versuche Mühe zu geben." Ich legte meine Hand an seine kalte Wange. Er schmiegte seinen Kopf in meine Handfläche. "Egal was ist, ich liebe dich. Und solange du mir nicht erzählst, dass du mich betrügst, werde ich dich nicht verlassen."
Weihnachten, die schönste Zeit des Jahres, wie es immer überall beworben wurde. Es sind die Feiertage die man mit der Familie verbringen sollte, mit allen denen die man liebt.
Dieses Weihnachten war um eine Spur gefühlvoller für mich als letztes. Letztes Jahr, waren ich und Niall um diese Zeit noch weit entfernt ein Paar zu sein. Wir versuchten mit der Tatsache klarzukommen, dass unsere Eltern in den Bund der Ehe eintreten wollten. Wir wurden zu Stiefgeschwistern und das machte alles irgendwie ... komisch.
Mittlerweile wusste ich, dass es zu den Traditionen der Horans gehörte an Heiligabend in die Messe zu gehen. Die Kirche war bis an den letzten Platz ausgefüllt. Jung und Alt saßen fröhlich nebeneinander und sangen die Weihnachtslieder mit.
Denise und Gregor feierten mit den Kindern bei ihren Eltern. Nialls Mum Maura und ihr neuer Lebensgefährte kamen zu uns. Die Überraschung in Nialls Gesicht war groß, als er davon hörte, dass seine Mutter einen neuen Freund hatte. In etwa so sah ich damals aus, als es bei meiner Mutter so weit war.
Es war mein erstes Treffen mit Maura als Nialls Freundin. Gut kannte ich sie eigentlich nicht, deshalb war ich doch etwas nervös - was völlig unnötig war. Maura ist eine friedliche und ruhige Seele. Sie schloss mich sofort in eine feste Umarmung und schimpfte Niall dafür, dass sie es durch die Klatschzeitschriften erfahren musste.
Richard, der Lebensgefährte, war zu Beginn etwas still. Niall warf ihm prüfende Blicke zu. Ich konnte mir vorstellen, was durch seinen Kopf ging. Er wollte seine Mutter in guten Händen wissen, was er bei diesem Kerl noch nicht ausmachen konnte. Er sah nett aus, gepflegt und interessiert. Richard kam mir sehr aufmerksam vor. Als Geschenk, hatte er meiner Mutter einen Strauß Rosen und Bobby eine Flasche Rotwein mitgebracht.
Am Tisch musste ich Niall öfter mit meinem Knie anstoßen. Sein Blick auf den schwarzhaarigen Mann war einfach zu viel des Guten. Als hätte er versucht in Gedankenübertragung alles über diesen Mann in Erfahrung zu bringen. Hierbei hätte mich die erste Begegnung von ihm und meiner Mutter interessiert. Ob er ihr auch ein Loch in den Kopf gestarrt hat? Das hätte ich wirklich zu gerne gewusst. Zumindest Mum war mit den ersten Treffen von ihr und Niall hin und weg von ihm. Ständig predigte sie mir vor, was für ein netter Kerl er doch sei.
Heute wusste ich, dass sie vollkommen recht hatte.
Während den Feiertagen versuchte ich mich stets zu bemühen nicht an den Streit mit Niall zu denken. Mir kribbelte es in den Finger. Ich konnte - wollte - mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen, was er mir zu sagen hatte. Ich befürchtete aber das schlimmste: eine gemeinsame Nacht mit Holly. Alles, nur bloß das nicht. Er würde mir damit das Herz brechen. In seiner Sicht war es so schlimm, dass er Angst hatte mich zu verlieren. Er hatte Angst davor es mir zu erzählen. Es konnte also nur etwas sein, das alles infrage stellen würde.
Ich liebe Niall und das macht alles nur noch schlimmer. Ich wollte nicht verletzt werden und ich wollte ihn nicht verlieren. Sich mit ihm zu streiten ist nicht schön und ich verabscheue es. Meine Gefühle fahren aber eben Achterbahn, wenn es um ihn geht.
In seiner Nähe fühle ich mich geborgen, glücklich, geliebt, geschätzt, wertvoll ... Noch nie hatte ich all das bei jemanden gefühlt. Er ist meine erste große Liebe. Es ist kein Geheimnis, aber ich kann mir eine Zukunft mit ihm vorstellen. Sein Beruf war mir egal, der Hass war mir egal, alles war egal, Hauptsache er war bei mir und hielt mich, wenn ich es brauchte. Beschützte mich, verteidigte mich und liebte mich.
Mein Fotobuch kam besser an, als ich es gehofft hatte. Nialls Freude war nicht gespielt, nein, sie war echt. Außerdem rührte es mich zu Tränen, wie Niall mir begann zu erklären, was genau er in jene Bilder gedacht hatte. Dabei begann auch Maura zu schniefen, die unsere Unterhaltung mitanhörte. Es war eine lange und ausführliche Liebeserklärung an mich und ich konnte mich nicht glücklicher schätzen. Ja, diese Weihnachten waren etwas ganz Besonderes.
Heute war der achtundzwanzigste Dezember. Silvester stand kurz vor der Tür und somit der Monat, in dem unsere kleine Schwester geboren werden würde. Schon beinahe fühle ich mich wieder ein bisschen schlecht, dass ich damals so durchgedreht bin, als ich es erfahren hatte. Jetzt in diesen Moment wäre ich gerne an Mums Seite geblieben. Ich hätte ihr gerne für das letzte Monat zur Seite gestanden. Schon jetzt sah man ihr an, wie schwer sie es bei gewissen Tätigkeiten hatte. Von der Couch kam sie fast nur noch mit Hilfe auf, sie beschwerte sich ständig wegen unerträglicher Rücken- und Kopfschmerzen. Manchmal hörte ich auch, wie sie sich nachts übergab. Auf meine Bitte hin, einen Arzt aufzusuchen winkte sie nur ab, denn bei der Schwangerschaft mit mir, ging es ihr noch schlechter. Sie ist stur, genauso wie ich, also wusste ich auch, dass ich sie nie dazu überreden konnte.
Mit Niall an meiner Seite verabschiedeten wir uns von unseren Eltern, um in den geplanten Überraschungsurlaub zu fliegen. Auf den Boardticktes stand "Französisch-Polynesien: Bora Bora". Ich war klug genug zu wissen, dass Bora Bora das Urlaubsparadies der Reichen war. Von Justin Bieber angefangen bis hin zu Rihanna und Nicole Kidman.
Der Neunzehn-Stündige Flug war eine Qual. In der ersten Klasse hatte man zwar genügend Platz und wurde die gesamte Zeit über mit Leckereien und Trinken versorgt, aber die Zeit verging dadurch auch nicht schneller. Ich versuchte zu schlafen, konnte aber nicht. Ich war einfach viel zu aufgeregt. Niall versuchte mich mit Geschichten aus seinem Tour-Alltag abzulenken, sang mir leise Lied ins Ohr und schlief schließlich lange vor mir ein.
Ich sah durch das runde Fenster. Hin und wieder konnte ich zwischen den Wolken das Meer sehen. An manchen Stellen war es dunkler als an anderen, was an der Tiefe lag. Wenig später war das Tageslicht verschwunden und die Nacht brach über uns. Niall schlief noch immer friedlich vor sich hin und ich wünschte mir ebenfalls einen so festen Schlaf haben zu können. Mit dem Fernseher konnte ich mich schließlich doch noch irgendwie ablenken und später einschlafen.
Von einem unangenehmen feuchten Gefühl am Ohr wurde ich wach. Wie aus Reflex schob ich meine Schulter an mein Ohr hoch, dabei hörte ich, wie jemand leise kicherte. Ich stöhnte leise und versuchte es mir wieder einigermaßen gemütlich im Sitz zu machen.
Bis ich es wieder an meinem Ohr fühlte.
"Hör auf", murmelte ich leise.
Ein Kuss auf meine Wange folgte.
Ich drehte mich auf den gepolsterten Sitz in seine Richtung. Durch meine Wimpern hindurch beobachtete ich das verschmitzte Lächeln auf seinen Lippen. Er nahm die Spitze seines Zeigefingers in den Mund und lehnte sich wieder zu mir, um mir damit ins Ohr zu tupfen. Doch ich wehrte mich. Ich hielt seinen Arm fest. Niall drückte dagegen, um aus meinem Griff zu entkommen. Hätte er wirklich aus meinem Griff gelangen wollen, hätte er es bestimmt geschafft. Aber er tat so, als wäre ich die Stärkere von uns. Unsere Rangelei atmete in einen Kitzelkampf aus, den ich verlor und er gewann. Ich war ganz außer Atmen, als er endlich seine Hände von mir nahm und ich Luft zum Verschnaufen schnappen konnte.
In der näheren Umgebung von Bora Bora landeten wir nach einmal umsteigen in einem Taxiboot. Es hätte auch noch die Möglichkeit gegeben mit einem Hubschrauber auf die Insel zu gelangen, aber dafür hätten wir noch über zwei Stunden auf der Insel mit dem kleinen Flughafen verweilen müssen. Außerdem wollte ich sogar dieses Taxiboot nehmen. Erstens, weil ich mit so etwas noch nie gefahren bin und zweitens da ich nach dem langen Flug auch gerne wieder die Füße am Boden hatte.
Der Unterschied zwischen den achtunddreißig Grad hier und den minus neun Grad in Irland traf mich wie eine Backpfeife, deshalb zog ich mich auf der Flughafentoilette um. Mit den Hotpants und dem dünnen bauchfreien Shirt fühlte ich mich gleich viel wohler. Auch Niall hatte seinen warmen Klamotten gegen eine Knielange Shorts und Tanktop ausgetauscht.
Während der Bootsfahrt sah ich auf das Meer hinaus. Angenehmer Wind schlug mir ins Gesicht, gepaart mit feinen Wassertropfen. Ich konnte das Salz an meinen Lippen spüren, roch den Duft von Kokos - den ich mir vermutlich nur einbildete. Das Meer war so blau und türkis wie ich es nur von Fotos kannte. Ich fühlte mich frei von Sorgen und überglücklich.
Niall küsste meine Schulter und legte seine Hände um meinen Bauch. Ich lehnte mich an ihn und genoss die Geborgengeit die er mir gab.
In hohen Tempo näherten wir uns der Insel. Wir konnten eine Gruppe von Bungalows sehen, die sich auf Pfählen direkt über Meer befanden. Ein kleines Schiff schipperte etwas weiter entfernt vom Strand an nach Osten.
An der Anlegestelle wurden wir bereits von jemanden erwartet. Es war ein Mann, der mir nach einem Hotelangestellten aussah. Er reichte uns die Hand und half uns beim Aussteigen. Danach wurde unser Gepäck hochgehoben und der braungebrannte Mann nahm es entgegen und stellte es auf eine Art Wagen. Er schob es hinter sich her und wir folgten ihm. Der Steg hier ähnelte den, den man von der Raffaello Werbung kannte. Am Ende des Stegs wartete ein kleiner Wagen auf uns. Das Gepäck wurde verstaut und Niall und ich nahmen hinten Platz.
Ich hatte keine Ahnung, wie das alles hier ablaufen würde, deshalb ließ ich mich einfach von Niall führen. Er legte einen Arm um meine Schulter und zog mich an sich. "Ich hoffe, es wird dir hier gefallen."
Ich sah auf und küsste ihn auf die Wange. "Es ist ein Traum." Er lächelte mich an und strich mir durch mein Haar.
Wenig später trafen wir am Empfang des Hotels ein. Wir wurden herzlichst begrüßt und bekamen als Gastgeschenk eine dieser Hawaii-Blumenketten. Die grünen Blumen rochen sogar, da es echte Blumen waren. Niall erledigte den schriftlichen Teil, während ich mich umsah. Alles war aus dunklem Holz. Die Fenster waren nicht aus Glas, sondern waren einfach leere Raume durch die man hindurchfassen konnte. Unter den Palmen sah ich, wie das Meer sanfte Wellen schlug.
"Amara?"
Ich drehte mich und nahm Nialls Hand. Jetzt konnte ich es kaum noch erwarten das Zimmer zu sehen. Wir wurden wieder mit dem Fahrzeug gefahren. Ich sah verliebte Paare die Hand in Hand durch den Sand spazierten, einen Mann der sein Kanu ins Meer trug, Mitarbeiter an den Strandbars die servierten und die Gäste unterhielten.
Wir fuhren immer weiter zum Meer, in die Gegend in denen ich schon die Bungalows am Wasser gesehen hatte. In so einem Bungalow zu übernachteten wäre ein Traum und so gut wie ich Niall schon kannte, ließ er sich keine Kosten und Mühen scheuen, um alles perfekt zu gestalten.
"Werden wir in einen dieser Bungalows übernachten?" Ich war einfach zu neugierig, als dass ich mich überraschen lassen wollte.
Er nickte und ich konnte mir mein übergroßes Grinsen nicht verkneifen.
Die erste Reihe von Bungalows ließen wir hinter uns. Sie waren nicht allzu groß und lagen enger beisammen, während die, bei denen wir hielten, deutlich größer gebaut waren und weiter auseinanderlagen. Vermutlich für mehr Privatsphäre. Auch hier war der Steg aus dunkeln Holz. Staunend folgte ich Niall und den Mann vom Hotel zu unserem Gemach. Es bestand nur aus Holz und Stroh. Innen gab es eine moderne kleine Küche, einen Glasboden im Wohnzimmer durch den Mann auf das Meer sah. Kleine Fische und ein Rochen, schwammen gerade unter uns durch. Die Front vor mir bestand aus zwei großen gläsernen Türen auf die man auf die Terrasse sah. Ich schob eine davon auf und hörte das Rauschen der Wellen, bestaunte den kleinen Pool der am Rand des Holzes war und den atemberaubenden Ausblick in die Ferne.
"Vielen Dank", hörte ich Niall sagen und kurz darauf wurde die Tür geschlossen. Er hatte sicher den Mitarbeiter des Hotels verabschiedet. Bevor ich mich umdrehen konnte, schlangen sich zwei starke Arme um meine Taille. Ich spürte einen warmen Atem an meinen Hals und kurz darauf ein paar Lippen, die sanfte kleine Küsse auf meiner empfindlichsten Stelle drückte. Er lehnte sein Kinn auf meine Schulter und beobachtete, wie ich, die Ferne.
Wäre ich nicht so verdammt überdreht vom Flug gewesen hätte ich mich entweder sofort ins Wasser gestürzt oder auf meinen Freund. Aber es nützte nicht, für beide Aktivitäten fühlte ich mich nicht fit genug. Niall war das sicherlich gewöhnt, aber nicht ich.
"Wir sollten und eine Weile aufs' Ohr hauen", sagte er und ich stimmte zu. Es war, als hätte er meine Gedanken gelesen. Niall verhakte unsere Finger und zog mich mit ins Schlafzimmer, das wieder durch eine gläserne Tür erreichbar war. Es war klimatisiert und ich danke Gott dafür. Wir zogen uns nicht um, sondern warfen und in unseren Klamotten auf das Bett, kuschelten uns aneinander und schliefen ziemlich schnell ein.
Ich spürte den Sand zwischen meinen Zehen, die anhaltende Wärme an der Haut, die Feuchtigkeit in der Luft und genoss die letzten Sonnenstrahlen. Die Sonne war kurz davor am Rande des Meers von der Dunkelheit verschluckt zu werden. Der Himmel färbte sich von gelb zu orange, von orange zu rot, von rot zu lila und dann in dunkle Blautöne. Das Meer war still und spiegelte die färbende Pracht des Himmels wider.
Der Moment war einfach viel zu schön um ihn verstreichen zu lassen. Ich schoss ein Foto, zwei Fotos, drei Fotos und ein Selfie, dann eines von Niall, der aus seiner Kokosnuss trank. Ich kicherte, als er sich erschrocken auf sein Herz fasste, nachdem der Blitz meines Telefons ihn geblendet hatte.
Ich legte mein Telefon vor mir auf den Tisch, dann zupfte ich das Stück Ananas von meinem Cocktail Glas und aß es. Die Stimmung war ausgelassen, entspannt und frei von Sorgen. Alles war wie weggeblasen. Und so ging es nicht nur uns, auch die weiteren Paare schienen sich pudelwohl zu fühlen.
"Sag mal, hast du eigentlich vor dich wieder mit Sophie und Tobi zu vertragen?"
Ich runzelte die Stirn. Wie kam er so plötzlich auf diese Frage? Es passte hier in diesen Moment überhaupt nicht zum Thema.
"Ich denke nicht, dass ich im Moment mit einem der Beiden reden möchte. Warum fragst du?"
Er zuckte mit der Schulter. "Nur so." Niall atmete tief aus. "Ich will nur nicht, dass du es später bereust. Ich verstehe schon, dass das alles ziemlich scheiße gelaufen ist, aber na ja ... Freunden kann man doch vergeben." Er sah mich an. "Konntest du doch bei mir auch. Und im Vergleich zu denen fand ich meine 'Tat' schlimmer."
Genervt verschränkte ich die Arme vor der Brust. Ich wollte im Urlaub nun wirklich nicht über Sophie oder Tobi sprechen ... oder den vergangenen Streit von uns. "Niall", seufzte ich. "Ich will jetzt wirklich nicht darüber reden. Könnten wir das bitte lassen?"
"Wenn du es willst. Aber du solltest dich wirklich mit dem Auseinandersetzten. Nimm dir die Zeit, wenn wir zurück in London sind, und rede dich mit ihnen aus."
"Sonst noch etwas .... Dad?" Nach seinem letzten Rat an mich, schwiegen wir. Zu Beginn war es ein unangenehmes Schweigen, da ich mir vorkam, als hätten wir uns erneut gezofft. Das Gefühl verschwand erst, als er mit seiner Hand nach meiner fasste und sie drückte. Er nahm mir damit die Last von den Schultern.
Aus dem Radio an der Strandbar dudelten karibische Klänge. Niall nahm die Gelegenheit am Schopf und zog mich grinsend hinter sich her. Er drehte mich unter seinen Arm durch und ich landete in seinen Armen. In kleinen Bewegungen schritten wir hin und her. Ich legte meinen Kopf an seine Brust und saugte sein Parfum ein. Er roch so gut.
Umso mehr die Nacht über die Insel zog, umso mehr Passanten tummelten sich auf den Weg aus Holz und Stein. Mehrere Stände mit Ketten, Kleidungen, Ansichtskarten und allem was ein Touristenherz höherschlagen lassen würde, wurde aus dem Boden gestampft.
Eigentlich wollte ich mich nur umsehen, was damit endete, dass ich zwei Tüten voll mit Souveniren gekauft hatte. Schließlich konnte ich nicht wissen, wenn ich das nächste Mal die Chance haben würde, auf dieser atemberaubenden Insel Urlaub zu machen. Wenn ich so darüber nachdachte, ist das letzte halbe Jahre wie ein Traum für mich gewesen. Niall tat immer so viel für mich. Er gab mir die Welt - so fühlte es sich zumindest an.
Ich lächelte in mich hinein, während Niall ein Foto mit einer jungen Frau machte. So etwas war zu erwarten. Schließlich ist er nicht ein unbekannter. Aber es störte mich nicht. Das war eben das, was mit seinem Beruf mitkam.
Er strahlt in die Kamera und umarmte die Frau, die mit breitem Lächeln sich bei ihm bedankte und ohne weitere Faxen abzog. Wäre das nur immer so friedlich ...
"Habe ich was ihm Gesicht oder warum lächelst du so?" Er legte den Kopf zur Seite und musterte mich skeptisch.
"Habe ich dir schon gesagt, wie sehr ich die liebe?", fragte ich stattdessen.
Niall zog die Lippen zur Seite und kniff die Augen zusammen. "Ich weiß nicht, hast du das?"
"Bestimmt."
Den Weg zurück zu unserem Bungalow lauschten wir den Wellen. Ich hielt seine Hand und fragte mich, was ihm wohl gerade durch den Kopf ging. Er sah nachdenklich aus, aber im positiven Sinne. Es war nicht, dieser abwesende Gesichtsausdruck, den er immer trug, wenn etwas Schlimmes passiert war. Ich hätte sogar behauptet, dass er leicht lächelte.
Eine warme Brise ließ mein dünnes Kleid im Wind flattern. Ich hatte mich wirklich dazu entschlossen ein leichtes Kleid zu tragen. In meiner Jeans und dem Top von vorhin hatte ich mich in dieser Hitze nicht wohlgefühlt. Den Blick von Niall, als ich freiwillig ein Kleid anzog, nachdem wir von unseren Nickerchen wach wurden, werde ich nie vergessen. Es war eine Mischung aus ist-das-wirklich-meine Freundin und verdammt-lass-mal-ausziehen.
Niall blieb plötzlich stehen. Ich hielt ebenfalls an und stellte mich vor ihn, mit den Tüten in meiner Hand.
"Was ist los?"
Mit einer Hand an meiner Wange sagte er: "Eigentlich wollte ich überhaupt nicht damit anfangen, aber ... mir liegt etwas auf den Herzen."
Mein Herz flatterte bei seiner sanften Berührung. Sein Blick war warm und voll mit Liebe. Ich nickte, um ihn anzudeuten fortzufahren.
Mit der Hand, die an meiner Wange lag, strich er mir lose Haare hinter mein Ohr. Er sah mich an und seine Lippen formten ein Lächeln. "Du wolltest doch, dass wir die .... Unterhaltung ... erst führen, wenn wir wieder bei uns zu Hause sind. Es ist nur ..., dass ich etwas geplant hatte. Ich wollte dir alles erklären und es schaffen, dass alles gut zwischen uns ist. In meiner Vorstellung wärst du zu Beginn an die Decke gegangen, hättest mich aber verstanden. Dann wären alles okay und mir würde dieses Gespräch nicht im Weg stehen, um das zu tun, was ich hier eigentlich wollte."
"Und was willst du tun?" Ich runzelte irritiert die Stirn. Ich konnte mir nicht vorstellen, wovon er sprach. Wollte er einen Tauchkurs mit mir machen? Eine Paar-Massage? Ich hätte damit kein Problem.
"Das verrate ich dir doch nicht", zwinkerte Niall grinsend. "Das wäre doch langweilig. Sag mir einfach, ob du dich darauf einlassen möchtest oder nicht. Bitte bedenke, dass es eigentlich gedacht war, nachdem ich dir von was-auch-immer erzählte hatte."
Mit dieser kurzen Ansprache machte er mich natürlich neugierig. Aber er sagte selbst, dass es eigentlich dafür gedacht war, nachdem wir unser Gespräch hatten. Es war gut zu wissen, dass Niall davon ausging, dass er es wieder hinbekommen würde, wenn ich sehr sauer auf ihn werden würde. Obwohl er doch mal gesagt hatte, dass er sich davon fürchtete mich zu verlieren.
"Denkst du, dass es mir gefallen könnte? Also die Überraschung?"
Niall schwenkte den Kopf hin und her. "Ähm, ich weiß nicht. Ja? Es gäbe bestimmt viele die sich darüber freuen würden, aber ich kann dir das nicht wirklich beantworten."
Na toll, jetzt wusste ich genau so viel wie vorher.
"Na gut, ich lasse mich darauf ein. Schieß los, was ist es?" Ich biss mir in die Wange um nicht zu sehr zu Grinsen. Die Neugier war ein Luder.
Niall schüttelte schmunzelnd den Kopf. "Nicht so schnell, Kleines." Er ließ die Hände in die Taschen seiner luftigen Hawaii Hose wandern. "Ich hoffe, du hast Hunger."
"Ich könnte etwas vertragen, ja."
****
Nach einer viertel Stunde gehen, und einem kurzen Abstecher in unserem Bungalow, um die Tüten abzustellen, erreichten wir unser Ziel. Es war ein Steg aus Holz direkt am Meer, inzwischen von saftig grünen Gras, Bäumen und Palmen. Wir nahmen an einen alleinstehenden Tisch mit weißem Tischtuch Platz. Es war so lange, dass es den Boden streifte. Mehrere Kerzen und Fackeln gaben der Umgebung eine warme Aura.
Ich musste schmunzeln. "Sag mal, was wäre gewesen, wenn ich jetzt Nein gesagt hätte. Also, wenn ich auch keinen Hunger gehabt hätte?"
Niall kratzte sich am Nacken. "Ja, dann ... ähm, hätte ich wohl das alles abblasen müssen. Was schade wäre, denn ich habe schon von vielen gehört, dass das Essen hier spitze ist."
"Na, dann sollten wir das wohl testen", grinste ich.
Ich konnte nicht anders, als viel zu breit zu Lächeln. Es war so schlimm, dass mir meine Wangen wehtaten. Ich ließ mich in meinen Stuhl zurückfallen und betrachtete die Gegend. Ein wahres Paradies.
"Es ist so schön schon hier", seufzte ich glücklich und verträumt.
Ein junger Mann in weißem Anzug und schwarzer Fliege kam auf uns zu. Er sah mir verdächtig nach Kellner aus.
Was er auch war.
"Mr Horan, Ms Julien." Er nickte uns grüßend zu. Und ich war überrascht, dass er unsere Nachnamen kannte, was sicher zu dem Ganzen hier dazugehörte. "Mein Name ist Ronald Eddington und ich bediene Sie heute. Es freut mich sehr, Sie heute hier in unserem Paradies-Garden begrüßen zu dürfen. Ich werde alle ihre Wünsche zu Ihrer Zufriedenheit erfüllen." Ich wendete meinen Blick von Mr Eddington ab und warf Niall einen kurzen Blick zu. Das hier ist echt der Hammer. Es überrascht mich immer wieder, was alles möglich ist. Ein eigenen Kellner - so etwas hatte ich noch nie. "Zur Begrüßung möchte ich Sie auf eine Flasche unseres besten Champagners einladen." Er nahm die Hand hinter dem Rücken hervor. Sie war aus dunklem Glas und mit gemalten Blütenknospen verziert. "Perrier Jouet Elle Epoque" Von dieser Marke hatte ich noch nie in meinen Leben gehört. Mit meinen Fetzen an Fremdsprachen, dass ich beherrschte, hätte ich nicht annähernd gewusst, wie man das überhaupt ausspricht.
Eddington löste die Folie über den Verschluss, fasste in seine Hosentasche und holte einen Korkenzieher heraus. Dann stellte er die Flasche an den Kellnertisch zwei Meter von unserem Tisch entfernt nieder, drückte die geringelte Spitze in den Korken und begann zu drehen. Es ploppte und die Flasche war geöffnet.
Der Champagner prickelte erfrischend auf der Zunge. Es war aber keiner, denn ich ein zweites Mal trinken würde. Höflichkeitshalber tat ich aber trotzdem so, als wäre es der Beste, den ich je getrunken hatte, bat aber trotzdem um ein Glas Wasser zum Nachspülen.
Irgendwie musste ich an unserem ersten Date denken. Die verträumten Blicke, die er mir zuwarf, wie er sich darüber aufregte, weil er die Blumen vergessen hatte, die Tatsache, dass alle Preise aus der Speisekarte verschwunden waren, nur damit ich ihm am Ende des Tages kein Geld zustecken konnte, der Flug mit dem Heißluftballon und meine wunderschöne Kette, die ich jeden Tag seitdem trug. Auch jetzt.
Bei den Gedanken daran musste ich nach meinem A-förmigen Anhänger greifen. Niall beobachtete mich dabei.
"Das ist schon ein halbes Jahr her", sagte Niall. Ich wusste, dass er von unserem damaligen Date sprach.
Ich kicherte. "Ja, aber es kommt mir wie eine Ewigkeit vor."
Niall lehnte sich nach vorne. "Und du trägst die Kette noch immer. Ich scheine wohl etwas gutzumachen."
Unser Kellner kam in diesen Augenblick mit meinem Wasser und zwei Speisekarten zurück. Er ratterte noch die Empfehlung des Hauses herunter und ließ uns anschließend in der Karte schmökern. Wären in dieser Karte Preise gewesen, hätte es mich gewundert.
Ich musste gestehen, auf den ersten Blick fand ich nichts, dass sich auch nur annähernd lecker anhörte, was wohl daran lag, dass ich mich mit Meeresfrüchten und Tieren nicht anfreunden konnte. Ich mochte keinen Fisch, keine Muscheln, keinen Tintenfisch - nichts dergleichen. Und genau das wurde hier in Hülle und Fülle angeboten. Einfache Spaghetti hätten mir schon gereicht.
"Stimmt was nicht, Amara?", fragte mich Niall und ich legte die Speisekarte ab.
"Ähm, ich ähm", murmelte ich, da ich Niall nicht das Gefühl geben wollte, dass mir das hier nicht gefiel. "Ich weiß nicht, was ich essen soll", entschloss ich mich zuzugeben. "Meeresfrüchte und Fisch ist nicht so meines. Verstehst du?"
Er nickte und klappte die Karte zu. "Und auf was hättest du Lust? Was würdest du gerne essen?"
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. "Spaghetti? Oder ... Pizza?"
Ohne Reaktion sah er mich an, bis er lauthals zu Lachen begann. Er schüttelte lächelnd den Kopf. "Wir hatten wohl eben denselben Gedanken. Teilen wir und eine Pizza?"
Etwas verdutzt sah ich Niall nun an. Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. "Was?"
Er zuckte mit einer Schulter. "Ich hätte mich sicher irgendetwas von der Karte bestellt, da ich ein schickes Date wollte, aber ich schätzte, wir beide bevorzugen Pizza gegenüber", er nickte auf die geschlossene Speisekarte, "dem hier."
"Das heißt, wir gehen in eine Pizzeria essen?" Eigentlich war es schade, denn hier war es traumhaft.
"Nein", unterbrach Niall meine Gedanken. "Ich will ja nicht angeben, aber ... ich bin reich. Und wenn meine Lady eine Pizza will, dann bekommt sie die überall." Niall lehnte sich lässig an den Stuhl zurück und deutete den Kellner. Er sah uns etwas komisch an, als Niall eine große Pizza mit Schinken, Käse und Pfefferoni bestellte. Aber er schlug uns unseren Wunsch nicht ab. Er selbst hatte doch zu Beginn gesagt, dass er uns heute alle unsere Wünsche erfüllen würde.
Anstellte von edlem Wein oder weiterem Champagner hatten wir uns zu unserer Pizza Cola bestellt. Ich glaubte wirklich, schon lange nicht mehr solchen Spaß mit Niall gehabt zu haben. Wir rülpsten um die Wette, machten einen Wettkampf darauf, wer am meisten von der Pizza, die so groß wie ein Autoreifen war, schaffen würde und versuchen den anderen mit lustigen Geschichten aus dem Alltag zum Lachen zu bringen, während der andere von der Cola trank.
Nachdem ich mich in einem Häuschen mit WC Einrichtung und Waschbecken sauber gemachte hatte, ging ich zurück an unserem Tisch. Er war bereits abgeräumt und Niall wartete auf mich. Wir wollten spazieren gehen, an den Sandstrand der von dieser Plattform direkt hinunter an das Meer führte. Fackeln beleuchteten den Weg entlang des Ufers. Es war schön, wie aus einer Romanze.
Wir hielten an, um uns zu küssen. Wir waren wie gemacht füreinander und nichts und niemand konnte und das nehmen.
Er hielt meine Hände und lehnte seine Stirn an meine. "Wie ich vorhin schon erwähnt habe, habe ich geplant gehabt, zuvor mit dir über Holly und dieses eine Thema zu sprechen ..."
"Was auch immer es ist Niall ... ich liebe dich", unterbrach ihn ihm mitten im Satz. Es war die Wahrheit. Er ist der Mann, der mein Herz besitzt.
Er trat einen Schritt von mir weg. "Ich liebe dich Amara. Mehr als jeden anderen." Er sah auf seine Füße hinab, versteckte seine Hände in den Hosentaschen seiner Shorts, biss sich auf die Unterlippe und atmete tief durch, als sei er nervös.
Dann ging er auf die Knie.
Nialls Sicht
Ich ging vor den schönsten Mädchen der Welt auf die Knie.
Amara schlug eine Hand auf ihren Mund. Sie wusste, was kam.
In mir brodelte die Nervosität auf. Mein Herz schlug derart heftig, wie schon lange nicht mehr. Kein Konzert der Welt hätte das je mit mir anstellen können. Keine andere Frau hätte mich je auf die Knie zwingen können. Nur sie. Ich wollte das hier nicht, um sie an mich zu binden, um sie davon abzuhalten mich zu verlassen. Ich wollte das, weil sie die Eine für mich ist.
Alles an uns fühlte sich richtig an.
Wir sind eins.
Ich atmete tief durch, um meine Hand vom Zittern zu hindern. Die kleine Schmuckbox trug ich schon seit Wochen und den gesamten Tag mit mir mit. Auch im Flieger.
Ich sah zu Amara hoch und schmunzelte zaghaft. "Ich weiß, dass hier ist alles sehr klischeehaft und vermutlich nicht sehr ... speziell, aber ...", sie schüttelte den Kopf. "Für mich gibt es niemand anderen mit dem ich mehr hier sein möchte. Niemand anderen den ich mir an meiner Seite wünsche. Seit ich dich kenne, gibt es für mich kein Ich mehr, sondern immer nur ein Wir. Ein gemeinsames Leben mit dir wäre die schönste Vorstellung für mich." Aufgeregt nahm ich die schwarze Box aus meiner Hosentasche. Ich klappte sie auf, sah von der Schmuckbox hoch in Amaras Gesicht, die sich mit der Hand Luft zu wedelte.
"Willst du mir die Ehre erweisen und ... meine Frau werden?"
Sie schnappte nach Luft. Die Hand die über ihren Lippen lag, zitterte wie ich innerlich.
Amara nickte und nahm mir die Last ab, die sich in mir angestaut hatte. Genau so aufgeregt und aufgewühlt wie sie, bat ich mit einer Geste nach ihrer Hand, um ihr den Diamantring anstecken zu dürfen. Der Ring passte wie angegossen an ihren dünnen Finger. Ich hatte schon Sorge, dass er zu groß sein könnte.
Ich ließ die Box in den Sand fallen, stand auf und zog sie in einen innigen, tiefen, mit vollen Gefühlen, langen Kuss. Er schmeckte salzig, nach ihren Tränen.
"Du hast ja keine Ahnung, wie glücklich du mich machst, Amara." Ich sah den Glanz in ihren Augen, das Feuer der Fackeln spiegelte sich darin wider. Ein atemberaubender Anblick der mir meine Worte raubte. Freudentränen glitten mir über meine rot gefärbten Wangen, meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding im Sand an. Eine Meeresbrise fegte über unsere Haut. Amaras Haar sah so elegant aus, wie es im Wind wehte. Ihre Hand in meiner zitterte wie Ästenlaub.
"Du bist so ... so verrückt, Niall", schluchzte sie. Mit ihrer linken Hand wischte sie sich die Tränen aus den Augen. "Ich liebe dich so sehr."
Ich sah sie an, zog sie näher an mich, legte meine freie Hand auf ihre Wange und betrachtete ihre wunderschönen Augen. Wie konnte jemand nur so perfekt sein? Und wie konnte es sein, dass ausgerechnet sie Ja gesagt hat? Zu mir?
"Ich bin nur verrückt nach dir Amara Marie Julien."
Wir beide lachten und weinten gleichzeitig. Sie löste ihren Blick von mir und betrachtete den Ring an ihrem Finger. "Er ist ... so schön." Amara schluckte. "Der war bestimmt teuer."
Und da war sie wieder. Meine kleine süße Amara, die vermutlich schon wieder daran dachte mir Geld geben zu müssen.
Ich schloss meine Finger um ihre. "Ich weiß, was du denkst. Streich den Gedanken gleich wieder." Der Ring war teurer als mein Porsche, aber das würde ich ihr nie verraten.
Wir schlenderten über beide Ohren grinsend zu unserem Bungalow zurück. Im Moment als sich die Tür hinter uns schloss viel die Stimmung. Amara presste ihre Hände an meine Brust, schob mich gegen die Tür und küsste mich stürmisch. Sie zog an meinem Shirt und ich ließ es ihr mir über den Kopf ziehen. Mit ihren feuchten Lippen zog sie eine Spur aus Küssen über meine Haut bis an meinen Hals hoch. Ich zog die Luft scharf ein.
"Babe ...", keuchte ich und legte meine Hand sanft auf ihre Schultern, um sie zu stoppen. Wenn sie so weiter tat, wäre es gleich um mich geschehen. Das Blut kroch ihr in die Wangen. Ich sah sie sanft an. "Nicht so schnell. Wir haben alle Zeit dieser Welt. Die Nacht gehört uns."
Sie legte den Kopf zur Seite und kaute an ihrer Lippe herum. Ich legte meinen Daumen an ihre Lippen und zog sie zwischen ihren Zähnen heraus. Sie machte mich heute mit jeder dieser Gesten verrückt und vor allem ... spitz. Sie schien wirklich überhaupt keine Ahnung zu haben, wie ich mich oft zusammenreißen musste, um nicht über sie herzufallen, ihr nicht die Klamotten vom Leib zu reißen und sie an Ort und Stelle zu nehmen.
"Lass uns doch den Pool ausprobieren", sagte ich und deutete an ihr vorbei. Sie drehte sich um und sah durch die Scheibe der Tür ins Freie. Ich nahm an, dass es um den in das Holz eingebaute, quadratische Wasserbecken, um einen Whirlpool handelte.
"Na gut. Ich ziehe mir eben mal meinen Bikini an", meinte Amara unschuldig und machte einen Schritt Richtung Schlafzimmer.
"Der ist unnötig."
Ich ging zur Tür und schob sie auf, während sie innehielt und über meine Worte nachdachte. Ich trat hinaus zum Pool. Es gab mehrere Knöpfe an der Seite des Beckens, mit denen man die Farbe des Lichtes ändern konnte, so wie die Stärke des Sprudelns. Doch bevor ich mich damit beschäftigte, zog ich mich nackt aus und ließ meine Klamotten am Holzboden liegen. Amaras Blick brannte mir auf den Rücken, als ich in das Wasser stieg und mich auf der Bank im Wasser niederließ. Ich setzte mich, um in ihre Richtung sehen zu können. Dann breitete ich die Arme aus und sah sie abwartend an. Etwas schüchtern lehnte sie an der Glastür. Sie kaute an einen ihrer Finger an der Hand, an der sie ihren neuen Ring trug, herum. Er glitzerte und mir wurde warm ums Herz.
"Das Wasser ist toll. Komm rein." Ich streckte mich und drückte den ersten Knopf den ich erreichte. Das Wasser änderte seine Farbe in ein dunkles Rot. Danach drückte ich auf den nächsten Knopf. Prompt sprudelte Wasser aus den Düsen und massierte mir damit den Rücken.
"Welche Farben gibt es noch", hörte ich Amara fragen.
Ich zuckte mit den Schultern. "Komm herein und finde es heraus."
Etwas zögernd stieß sich Amara von der Tür ab. Ihr dünnes Kleid flatterte im Wind. Sie sah sich um, als hätte sie Angst. Aber wovor?
"Du musst dich vor mir nicht schämen Amara. Ich habe dich doch schon nackt gesehen."
Sie schüttelte den Kopf. "Das ist es nicht", meinte sie, wurde aber deutlich rot im Gesicht. "Aber hier könnte uns jeder sehen."
Ich deutete mit den Daumen hinter mich. "Wer soll uns hier sehen? Hinter uns ist nur das Meer."
Sie trat von einem Bein auf das andere. Schließlich ließ sie die Träger ihres Kleides über die Schultern fallen, bis sich der gesamte Stoff am Boden wiederfand. Die feine helle Spitzenunterwäsche folgte kurz darauf.
Ich hielt den Atem bei ihrem Anblick an. Sie stieg neben mir ins Wasser und legte sich ihr Haar über die rechte Schulter zusammen. "Also, wo kann man die Farbe ändern?" Sie grinste und ich rutschte näher an sie heran und zeigte ihr die Knöpfe. Amara drückte so lange auf den Knopf, bis sich das Wasser durch das Licht rosa färbte.
Sie legte eine Hand auf meine Schulter und kletterte auf meinen Schoß. "Ich kann es noch immer nicht glauben, dass du mich das gefragt hast." Amara hielt die Hand mit dem Ring zwischen uns hoch. "Hast du meine Mum davon erzählt, was du vorhattest? Oder deinen Dad?"
"Nein, das habe ich nicht", gestand ich. "Ich hätte sie gefragt, aber da wir gestritten haben und ich die Nacht auf der Couch verbracht habe, hatte ich kein gutes Gefühl dabei, deine Mutter um Erlaubnis zu fragen." So wie ich Kate kannte, hätte sie in dieser Situation bestimmt Nein gesagt. Und Connor um Erlaubnis zu fragen, kam mir nicht als gute Idee vor. Dazu kannten sich die Beiden viel zu wenig. Ich hatte nur kurz Holly davon erzählt. Schließlich hatten wir ein Kind zusammen. Natürlich war mir ihre Meinung egal. Ich suchte mir schließlich meine Frau aus und nicht umgekehrt.
Was Amara wohl zu Charlotte sagen wird ... Ich hätte das wirklich schon sehr gerne hinter mich gebracht. Ich will endlich nichts mehr zwischen uns haben. Es war schon so immer schwer genug ihr die Wahrheit zu verbergen, aber nun gab es nichts mehr, dass ich ihr verheimlichen wollte. Ich wusste lange nicht, wie ich es ihr sagen sollte. Die Angst war groß sie zu verlieren, ist sie auch jetzt noch. Ich hoffe wirklich, dass sie alles zum Guten entwickelt.
Amaras Lippen kollidierten mit meinen. Ich fühlte, wie eine ihrer Hände an meinen Körper nach oben wanderte, sanft an meinen Hals entlangfuhr und sich in meinen Haaren vergrub. Sie zog daran und ich packte sie an ihrem Hintern. Sie begann sich an mir zu reiben und dabei schoss mein Puls in die Höhe. Als auch ihre andere Hand den Weg an meinen Nacken fand, drückte sie ihren Oberkörper an meinen. Ihre harten Nippel drückten sich an meine Haut. Ich packte ihre Hüfte und zog sie auf Glied. Dann fühlte ich sie auf mir, merkte, wie ihr Atem schneller wurde, als sie meine Lippen verließ und in meine Halsbeuge atmete. Ich überließ ihr die Kontrolle, wollte, dass sie es nach ihrem Tempo anging, obwohl ich viel zu ungeduldig war. Ich biss mir in die Lippe, überlegte sie an der Hüfte zu packen, sie umzudrehen und sie von hinten zu nehmen, aber das erschien mir nicht im Sinn es nach ihrem Tempo angehen zu wollen. Amara nahm mein Glied in die Hand und ließ sich langsam darauf hinab. Sie keuchte auf und drückte ihre Nägel in meine Schulter. Es tat weh, trieb mich aber nur weiter an. Ihr Kopf lag in ihrem Nacken. Mit geschlossenen Augen bewegte sie sich langsam auf und ab. Ich spürte ihre enge, ihre Wärme, ihre Lust.
Fuck. Es war etwas ganz anders kein Kondom benutzen zu müssen.
Unterstützend hielt ich ihre Hüften fest, half ihr dabei sich zu bewegen. Mir war es viel zu langsam. Es war schon beinahe wie eine Folter.
"Oh, scheiße. Fuck!", fluchte sie.
Ich lehnte mich zurück, packte ihre Hände und positionierte sie über mir. Sie hielt sich an meinen Schultern fest, während ich von unten mit schnelleren Drängen hoch stieß. Amara schloss ihre Augen, presste bei jeden weiteren Stoß die Lippen fester zusammen und verkrampfte ihre Fingern. Ich fühlte, wie ich kurz davor war zu kommen, deshalb zog ich mich aus ihr und atmete einige Male tief durch. Ihr Blick brannte auf mir und ich küsste sie auf die Wange.
"Ich würde gerne etwas ausprobieren. Nur wenn das Okay für dich ist."
Sie nickte und ich setzte sie neben mir auf die Bank. Ich drehte sie um, legte ihre Hände an den Rand des Beckens, damit sie sich festhalten konnte. Dann stand ich hinter ihr mit meinen Händen an ihrer Hüfte. "Amara ..., wenn du das nichts willst, musst du es nur sagen."
Sie warf mir einen Blick über die Schulter zu. "Lass mich hier nicht zappeln, Horan."
Ohne Vorwarnung glitt ich in sie. Ich stellte ein Bein auf die Bank, um besseren Halt zu haben und schneller zu sein. Ihr Stöhnen und Keuchen war wie Musik in meinen Ohren. Mit jedem Ruck, rutschte sie ein Stück mit den Knien an der Bank nach vorne.
Sie schnappte einmal laut nach Luft. Vermutlich hatte ich sie genau vor eine Düse gedrängt. Sekündlich würde sie immer enger um mir, bis ihre Beine heftig zu zittern begannen. Zwei weitere Mal stieß ich ins sie, bis ich mich nicht mehr halten konnte und ebenfalls kam.
****
Am nächsten Morgen wachte ich auf, da mein Telefon, wie verrückt piepste. Auch Amara drehte sich rauend in ihrer Decke herum. Ich gab ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn, den sie nur mit einem Murren erwiderte. Sie sah so niedlich aus mit den strubbeligen Haaren. Schläfrig rieb ich mir die Augen und torkelte zu der Kommode hinüber, an der mein iPhone am Ladekabel steckte.
Ich hatte mehrere verpasste Anrufe von meinen Dad. In genau diesen Moment kam eine Nachricht von ihm herein: "Ich bin mit Kate im Krankenhaus. Irgendetwas stimmt nicht. RUF MICH AN!"
*****
Du bist da, auch wenn wir dich nicht sehen können.
Du bist uns nah, obwohl deine Welt anders ist.
Du bist in unseren Herzen und in unseren Gedanken.
Ein Teil unseres Lebens für immer.
*****
Amaras Sicht
Wie gelähmt stand ich vor meinen Spiegel. Das schwarze Kleid schmiegte sich elegant an meinen Körper. Mein Kopf war leer, ich hörte nur ein Rauschen und einen lauten nervigen Ton.
Getrocknete Tränen zierten meine Wangen und unterstrichen meine geschwollenen Augen.
Ich war fertig, fix und fertig. Es tat mir einfach so schrecklich leid und ich konnte mir erst überhaupt nicht vorstellen, wie es ihr wohl damit ging.
Die vergangenen Tage waren wie aus einem schlechten Film. Auch wenn ich zu Beginn dagegen war, war es jetzt umso schlimmer mit den ganzen fertig zu werden. Ich wusste, dass es die Schuld von niemanden war, aber irgendwo wollte man doch einen Schuldigen dafür finden. Dinge wie diese passieren, jeden Tag, irgendwo.
"Amara?", fragte Niall und ich hörte, wie er die knarrende Tür aufdrückte. Seine Haare standen ihn verwuschelt in alle Richtungen, genau wie ich es am liebsten hatte und sein schwarzer Anzug ähnelte den, den er bei der Hochzeit unserer Eltern trug. "Hey", sagte er leise und kam auf mich zu. Er legte seine Hände von hinten um mich und drückte mir einen Kuss auf die Schulter.
Ich betrachtete unser Spiegelbild und dabei war mir völlig klar, dass es ihm genauso ging wie mir, nur versuchte er die Ruhe zu bewahren. Die Ruhe, die in nur wenigen Minuten von einem Sturm verschlungen werden würde. Wie ein Tornado wird er durch unsere Emotionen rasen und keinen Stein auf den anderen lassen.
Ich war definitiv nicht bereit dazu, Abschied von jemanden zu nehmen, denn ich nicht kennenlernen durfte. Es war nicht fair. Durch den Kloß in meinem Hals wurde es mir immer schwerer zu sprechen. Ich hätte gerne etwas gesagt, nur wusste ich, dass ich sofort in Tränen aussprechen würde. Sanft umarmte Niall mich von hinten, während ich mir in Gedanken einen Song vorsang, um meine Tränen zurückzuhalten. Es funktionierte besser als erwartet.
"Bist du bereit?", flüstert er nur leise an mein Ohr. Ich nickte, nicht in der Lage zu sprechen. Ich wusste nicht warum, aber ich hatte mir vorgenommen nicht zu weinen. Für meine Mutter und Bobby wollte ich stark sein.
Niemand wusste etwas von unserer Verlobung. Ich trug den Ring nicht, weil wir uns beide einig waren, dass wir unser Glück für den Moment hintenanstellen mussten. Es passte nicht zum Thema. Es war schwer genug nach der Nachricht, dass meine Mutter im Krankenhaus war und Annabelle ohne zu atmen auf die Welt kam. Wir brachen unseren Urlaub ab und flogen zurück. Das ist nun eine Woche her und das neue Jahr hätte nicht schlimmer beginnen können.
Hand in Hand stiegen wir die Stufen des Hauses hinunter. Unten tummelten sich bereits die Gäste. Die meisten Gesichter kannte ich nicht. Es mussten sich wohl um Bekannte von Bobby handeln. Die Mädels aus Mums Buchclub standen zusammen und schwiegen sich an. Rosa Rosen mit schwarzen Schleifchen wurden verteilt. Mir zog es denn Magen zusammen, als ich das große Buffet sah, das für später geplant war. Ein Tod ist nichts, dass man mit Essen feiern sollte.
Niall drückte sanft meine Hand. "Hast du schon wo unsere Eltern gesehen?"
Ich sah zu ihm und nuschelte ein leises: "Habe ich nicht."
"Amara, Niall ..."
Erschrocken drehte ich mich um. "Grandpa ...", sofort drückte es mir wieder Tränen in die Augen. Er drückte mich fest an sich und rieb mir den Rücken. Hinter ihm entdeckte ich Grandma, mit der ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Wie immer trug sie das Outfit der Queen und dazu noch eine schwarze Kopfbedeckung, die wie ein Netz über ihre Stirn fiel.
"Wie geht es Kate?", fragte er.
"Naja also ... ähm... Mum ist-", meine Stimme wurde immer höher und brach schließlich. Ich konnte nicht mal mehr eine einfache Frage beantworten, so emotional war ich. Niall nahm meine Hand und sprach anstelle von mir weiter: "Ich möchte nicht lügen, aber Kate geht es nicht gut. Sie ist am Boden zerstört und ich denke, sie braucht jetzt ihre Eltern." Nialls Blick glitt zu meiner Grandma, die ihn kurz musterte und anschließend kommentarlos an uns vorbeiging. Grandpa sah ihr nach, sagte aber nichts. Stattdessen seufzte er und schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. "Das ist alles so schrecklich. Ich hatte mich wirklich sehr auf eine neue Enkelin gefreut."
"Da ist mein Dad", warf Niall plötzlich ein. Bobby sah schlecht aus. Schon aus Metern Entfernung vernahm ich seine dicken Augenringe, die blasse Haut und das falsche Lächeln. Ich hätte ihn gerne daran erinnert, dass es nicht nötig war zu lächeln. Heute war ein beschissener Tag, eigentlich war es eine beschissene Woche. Bobby schüttelte freundlich wie immer alle Hände und bedankte sich für das Beileid. In der Menge sah ich auch Gregor und Denise. Denise tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen von den Augen. Sie hatte Glück, ihr Kind durfte leben. Auch mein Großvater teilte Bobby sein Beileid mit, gefolgt von einem halbherzigen Lächeln.
Als meine Mum den Raum betrat, wurde es still. Das Geflüster hatte ein Ende. Es irritierte mich etwas sie an der Seite von Grandma und Valerie zu sehen. Ich wusste nicht, dass Valerie auch hier sein würde. Sie hielten sich an den Händen. Bobby eilte an ihre Seite und löste meine Großmutter ab. Ein Mann in Schwarz, öffnete die große Balkontür, die in den Garten führte. Niall ließ mich für einen kurzen Moment los, um unsere Mäntel zu holen. Er hielt ihn mir auf, während ich meine Arme in die Ärmel einführte. Wir traten gemeinsam in den Garten hinaus, hinüber in die linke Ecke, in der ein alter Apfelbaum stand. Auf einem eisernen Stück Metall stand eine kleine weiß- gold verzierte Urne. Sie war nicht groß und sah aus wie eine Vase mit Deckel. Natürlich war die Urne nicht groß, Annabelle durfte auch nicht groß werden.
In die Erde wurde ein Loch gegraben. Dahinter stand ein Gedenkstein in Form eines Engels. Es war kalt, aber windstill. Der Himmel war in Grau gehalten und vereinzelt fühlte ich kleine Tropfen an meinem Gesicht. Nicht nur meine Mutter weinte still vor sich hin, sondern auch der Himmel.
Denise lächelte mir aufmuntern zu, während ich mich an Nialls Arm klammerte. Ich hätte mich gerne zu ihr nach vorne in die Nähe der Urne gestellt, aber meine Beine wollten keinen weiteren Schritt mehr machen. Dafür waren aber meine Großeltern und Valerie vorne um sie zu halten. In mir schmissen tausend schmerzhafte Gefühle eine wilde Party. Ich befand mich kurz vor davor zu weinen, aber auch gleichzeitig zu lachen, da ich das alles einfach nicht glauben wollte. So etwas passiert doch normalerweise immer nur den anderen. Außerdem fühlte ich mich schlecht, dass ich Annabelle zuerst überhaupt nicht haben wollte. Nun, wo ich sie nicht haben konnte, wollte ich sie kennenlernen. Ich hätte gerne einmal ihr Lächeln sehen wollen. Ich wüsste gerne, wenn sie wohl ähnlicher gewesen wäre, Mum oder Bobby? Wäre Annabelle ein lebhaftes Kind geworden oder ein kleiner Engel? Eine Vorzeigeschülerin oder ein kleines Monster? Musikalisch, wie Niall oder untalentiert wie ich? Ich hätte ihr das Fahrradfahren beibringen können und sie später in ihren Teenager Jahren über ihren ersten Herzschmerz hinweggeholfen.
Doch dazu wird es niemals kommen.
Das Schluchzen meiner Mutter wurde immer lauter, als der Bestatter seinen Platz neben der Urne einnahm. In seiner Hand hielt er einen Umschlag der in Leder gehüllt war.
"Sehr geehrte Trauergemeinde, Familie, Freunde und Bekannte. Heute verabschieden wir uns von Annabelle Horan. Sie ist ein Sternenkind, das der Hände ihrer Eltern viel zu schnell entrissen wurde."
Schon nach den ersten beiden Sätzen war es wieder um mich Geschähen. Tränen flossen aus meinen Augen und auch Nialls Augen wurden glasig, als er zu seinem Vater hinübersah, der meine Mum festhielt, die auf den Boden sackte.
"Still, seid leise, es war ein Engel auf der Reise. Sie wollte ganz kurz bei uns sein, warum sie ging, weiß Gott alleine. Sie kam von Gott, dort ist sie wieder. Sollte nicht auf unsre Erde nieder. Ein Hauch nur bleibt von ihr zurück. In unserem Herz ein großes Stück. Sie wird für immer bei uns sein. Geht nun ein Wind an mildem Tag, so denkt: Es war ihr Flügelschlag und wenn ihr fragt: Wo mag sie sein? So wisst: Engel sind niemals allein. Sie kann jetzt alle Farben sehen und barfuß durch die Wolken gehn'. Bestimmt lässt sie sich hin und wieder bei anderen Engelskindern nieder. Und wenn wir sie auch so sehr vermissen und weinen, weil sie nicht bei uns ist, so wissen wir: Im Himmel, wo es sie nun gibt erzählt sie stolz: Ich werde geliebt!"
"Gedanken - Augenblicke - sie werden uns immer an Annabelle erinnern, uns glücklich und traurig machen und uns Annabelle nie vergessen lassen." Grandma und Grandpa bückten sich zu Mum hinunter um sie zu stützten, da auch Bobby mehr als nur aufgelöst war. Auch neben mir hörte ich, wie die Leute zu schluchzen begannen. Ich hielt mir eine Hand vor dem Mund, um keinen Ton von mir zu geben, während Gregor zu seinem Vater eilte, um ihn zu unterstützten. "Du kamst auf kleinen Füßen und hast große Spuren hinterlassen. Wo du auch weilst, im Herzen deiner Familie wirst du immer bei uns sein. Nun lasst uns eine Schweigeminute für Annabelle halten."
Ich presste die Lippen aufeinander und schmeckte dabei den salzigen Geschmack meiner Tränen. Das hier war nicht fair. Wir schwiegen, um Annabelle zu ehren. Danach fragte der Bestatter, ob noch jemand etwas sagen wollte. Mum und Bobby blieben still. Sie hatten sich bereits alleine von ihrer Tochter verabschiedet. Und ich war nicht in der Lage, um vor all diesen Menschen zu sprechen. Sie wird immer hier im Garten sein und ich werde mich alleine von ihr verabschieden. Ohne alle diese Menschen, die heute nicht hier sein sollten.
Niall ließ meinen Arm entschuldigend los und hob die Hand. Der Bestatter nickte und trat zur Seite. Ich wusste nicht, dass er etwas sagen wollte. Stattdessen war ich davon beeindruckt, wie stark er die ganze Zeit überblieb. Wie machte er das nur? Niall zog ein kleines rechteckiges Buch aus der Innenseite seines Mantels. Es war ein Märchenbuch. Er räusperte sich und blätterte durch die Seiten. Alle sahen ihn gespannt an. "Früher habe ich meinen Neffen Theo immer sein Lieblingsmärchen vorgelesen: Der gestiefelte Kater. Er wollte es jedes Mal wieder von mir hören. Irgendwann konnte ich es auswendig." Niall machte eine kurze Pause und holte tief Luft. Er schluckte: "Ich hätte gerne meiner Schwester etwas davon vorgelesen und diese Chance hier lasse ich mir nicht nehmen. Annabelle ...", Niall sah hoch in den grauen Himmel, "... das hier ist dein letztes Märchen." Niall nahm den Blick von der grauen Wolkendecke und schlug das kleine Buch etwa in der Mitte auf.
"Es war einmal mitten im Winter und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: Hätt' ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen. Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und wurde darum Schneewittchen genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Nach über einem Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, dass sie an Schönheit von jemand übertroffen werden konnte. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Ich wusste nicht, was es war, denn das Märchen war nichts besonders, es war ein altes das ich als kleines Mädchen oft gehört hatte, aber es jetzt hier in diesen Zusammenhang vorgelesen zu bekommen machte es zu etwas besonderen. Ich spürte den Schmerz, die Trauer und den Verlust. Heute hätte ich meine beste Freundin gebraucht.
Niall lass das Märchen bis zum Schluss vor. Niemand applaudierte. Es war sicher nicht, weil es ihnen nicht gefiel, es war er Respekt an den Tod. Der Respekt an Niall, dass er das für seine Schwester tat.
Er kam zurück zu mir und umarmte mich. Während wir in unseren Armen standen, wurde die Urne in die Erde eingesetzt. Meine Mutter war die erste die ihrem Kind eine Rose hinterherwarf und zwei Schaufeln voll mit Erde in das Loch kippte. Sie war schon etwas ruhiger, da Bobby an ihrer Hand war, ihre Eltern hinter ihr standen und ihre wiedergefundene Tochter neben ihr stand und ihr Kraft gab. Nur ich stand so weit abseits.
Ich wusste nicht mit Trauer umzugehen.
Ich fühlte mich nicht stark um Stärke mit ihr teilen zu können.
Ich selbst brauchte das alles von Niall.
Von meinem Verlobten.
Wir beobachteten, wie die anderen Abschied von Annabelle nahmen. Wirklich als allerletzte zwang ich mich an Niall Seite nach vorne. Ich hatte keine Rose, ich wollte auch keine. Niall warf seine Rose in das Erdloch und eine Schaufel mit Erde. Dann übergab er sie an mich. Aufgelöst stocherte ich in der Schüssel mit Erde herum. Niall nahm meine Hand und ich sah ich kurz an.
"Du schaffst das", sagte er leise.
Schweren Herzens schluckte ich meine Tränen hinunter, füllte die Schaufel auf und warf die Erde auf die Urne, die unter Rosen und Schmutz unterging.
"Mach es gut, Annabelle."
Wie ein Haufen elend hing ich mit dem Kopf über der Toilette und übergab mich. Meine Wangen waren feucht, durch die Tränen, die sich aus meinen Augen schlichen, als ich mir die Seele aus dem Leib kotzte. Der viele Wein von gestern und die überkochenden Emotionen der Beerdigung meiner kleinen Schwester, schienen keine gute Kombination zu sein. Mit Toilettenpapier wischte ich mir den Speichel von den Lippen. Der widerliche Geschmack in meinen Mund ließ mich erneut würgen. Ruhig versuchte ich ein und auszuatmen, während ich mich auf die Füße hochdrückte. Erneut wischte ich mir über die Lippen und ließ das Papier in die Schüssel fallen, bevor ich die Spülung tätigte und zum Spülbecken trat, um mir die Zähne zu putzen.
Ich betrachtete mein Spiegelbild. Meine Haut war noch blasser als sonst, die Lippen rau und ungepflegt, meine Augen waren dunkeln. Ich wusch mir mein Gesicht mit eiskaltem Wasser. Besser fühlte ich mich dadurch nicht. Das Brennen meiner Augen hörte damit nicht auf.
Jeder ging anders mit der Trauer um. Meine Mum saß auf einem Stuhl in Annabelles Zimmer. Es war fertig eingerichtet. Jedes Detail war mit Liebe gemacht. Das Bettchen, das Niall und ich gekauft hatten, stand bezogen im Raum. Das dünne Tuch hing wie eine Wolke von der Decke. Windeln waren bereits in die Kommode neben den Wickeltisch geräumt worden, bereit benutzt zu werden. Fläschchen, Babynahrung, Kleidung ... alles war bereit für die Ankunft des Kindes.
Bobby verbrachte die meiste Zeit zurückgezogen in seinem Büro. Ich hatte ihm beim Zigarrenrauchen erwischt mit einer Flasche Jack Daniels. Er betäubte seine Gefühle und niemand nahm es ihm übel. Es war für alle hart, aber nichts konnte es mit den Verlustgefühlen der Eltern aufnehmen.
Mit einer Decke um den Körper geschlungen, ging ich nach unten ins Wohnzimmer. Im gesamten Haus war es so still wie schon lange nicht mehr.
Niemand lachte.
Niemand redete.
Kein Fernseher oder Radio lief.
Nichts. Als wäre niemand im Haus.
Ich zog den langen Vorhang zur Seite und sah in den Garten hinaus. Gestern noch war er voll mit Leuten, aber heute war er leer. Leer, bis auf eine Person, die am Grab meiner Schwester stand. Der Baum war umringt mit Blumenkränzen, Sträußen und Engelsfiguren. Dazwischen stand Niall. Er spielte mit seiner Gitarre. Ich sah, wie Valerie vom Rand des Gartens auf ihn zuging und ihn eine Hand auf den Rücken legte. Er sah sie an und senkte seine Gitarre. Valerie legte ihre Arme um ihn, um ihm Trost zu spenden. Auch wenn es irgendwie komisch war die Beiden so zu sehen, dürfte ich nicht vergessen, dass auch Valerie ihre Schwester verloren hatte und sie auch seine Stiefschwester ist. Sie lehnte ihren Kopf an seinen Arm an und sah auf das Grab hinab.
Ich ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Er war voll mit Resten von gestern. Alles hatten am Buffet zugelangt, außer meiner Familie. Außer Wein hatte ich gestern nichts zu mir genommen. Ich verspürte keinen Hunger, hatte eigentlich keine Lust etwas zu essen, aber ich wusste, dass das dumm war.
Mit etwas Käse, Gemüse und einer Scheibe Brot auf meinem Teller ging ich wieder hoch in mein Zimmer. Von gegenüber hörte ich, wie meine Mutter weinte. Ich setzte mich an den Schreibtisch und starrte aus dem Fenster, während ich ein Stück des trockenen Brotes in meinen Mund schob. Ich musste mich zwingen es zu schlucken.
Die Wolken zogen sich langsam zu und ich sah, wie kleinen Schneeflocken vom Himmel fielen. Mit meinen Fingern fuhr ich über meinem Shirt den Abdruck meines Verlobungsringes nach. Ich hatte ihn auf meine Kette mit den A Anhänger getan. Ich wollte ihn an mir tragen, aber nicht öffentlich zeigen. An diese Art von Neuigkeit war nun sowieso nicht zu denken.
Was würde wohl Sophie dazu sagen, wenn sie es wüsste, dass ich verlobt bin?
Was würde Tobi wohl meinen?
Wie es ihnen wohl geht?
Ob sie schon wissen, was hier passiert ist?
Ich spielte mit den Gedanken mein Telefon zu nehmen und mich bei Sophie zu melden. Nach alle den Jahren unserer Freundschaft konnten wir uns doch so nicht trennen. Oder?
Ich nahm mein Handy, wählte ihre Nummer ... und entschied mich wieder um. Natürlich wusste sie, was mit Annabelle passiert war. Schon am Tag nachdem wir zurück in Mullingar waren, stand es in der Zeitung und in sämtlichen Netzwerken. Sie wusste es bestimmt ... Sogar Lilly wusste es. Sie teilte mir ihr Beileid mit, sowie auch Lola und ihre Familie. Auch Matt hatte sich bei mir gemeldet. Scheiße, sogar Dylan rief mich an.
Seufzend lehnte ich mich an meinen Stuhl zurück. Ich biss von meinem Stück Käse ab und angelte nach der Sanduhr, die ich auf Bora Bora gekauft hatte. Der Sand im Glas war vom Strand im Urlaubsparadies. Ich drehte die Uhr um und sah zu, wie der feine Sand von einer Seite in die andere floss. Es war sehr ärgerlich, dass wir unseren Urlaub schon nach einem Tag abbrechen mussten. Zumindest konnte ich an der Erinnerung festhalten.
Jetzt wo ich hier allein war, konnte ich einen klaren Gedanken fassen. Niall hatte mich tatsächlich gefragt, ob ich seine Frau werden möchte. Und ich habe zugestimmt ... Ich kann es kaum fassen. Ob wir wohl damit keinen Fehler begangen? Sechs Monate des Zusammenseins waren nicht gerade lange, aber es fühlte sich so gut an. Im Augenblick sollte ich es wohl belassen mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Jetzt wäre sowieso nicht der richtige Zeitpunkt und in zwei Monaten bricht Niall auf große Welttournee auf. Wenn wir diese Prüfung bestehen, dann kann uns nichts mehr voneinander trennen. Mir stellte sich nun nur die Frage, was er und Holly wohlgetan haben, dass er mir sagen muss. Bitte, lass es einfach nicht zu schlimm sein ...
Haben sie sich geküsst? Oder haben sie miteinander geschlafen? Vielleicht war er mit ihr etwas trinken und fühlte sich deswegen mies. Ich durfte nicht immer den Teufel an die Wand malen und davon ausgehen, dass es das schlimmste ist, was passieren kann. Alles wird besser werden. Es musste besser werden. Was konnte wohl schlimmer sein, als jemanden zu verlieren?
Während die Schneeflocken dicker wurden, fragte ich mich, ob Niall und Valerie wohl noch immer im Garten standen.
Ich aß die letzten drei Gurkenscheiben auf, nahm den Teller und verließ mein Zimmer. Meine Mutter wimmerte leise vor sich hin. Durch den geöffneten Spalt der Tür sah ich sie am Stuhl vor dem Kinderbett sitzen. Sie hatte einen Plüsch-Elefanten in den Händen und weinte auf ihn hinab. In der letzten Woche hatte sie deutlich abgenommen. Sie aß nichts. Ab und zu sah ich sie mit einer Tasse Kaffee in der Hand.
So konnte es nicht weitergehen.
Ich machte mich auf den Weg hinunter in die Küche, stellte meinen Teller in den Geschirrspüler und schmierte ein Marmeladenbrot für meine Mutter. In die Mikrowelle stellte ich eine Tasse mit Wasser. Aus dem oberen Schrank nahm ich mir einen Teebeutel. Ich lehnte mich gegen den Tresen und wartete darauf das die Mikrowelle zu piepsen begann. Im Haus sah es aus, als hätten wir gestern eine wilde Party geschmissen. Der Cetera von gestern hatte uns sein Geschirr zum Essen zu Verfügung gestellt und wieder mitgenommen, aber trotzdem viel eine Menge an. Viele Gläser, Teller und leere Flaschen standen herum. Der Boden war schmutzig und teils voll mit Erde.
Die geöffnete Flasche Rotwein vor mir lächelte mich an. Sie stand da und schrie mich beinahe an. Ich hatte bis heute nur einmal Rotwein getrunken, sonst trank ich nur Weißwein, weil ich ihn einmal gekostet hatte und er scheußlich schmeckte. Aber dieser stand so einladen da, dass ich nicht widerstehen konnte. Ich nahm mir kein Glas, sondern setzte die Flasche gleich an meinen Lippen an. Angewidert spuckte ich den Schluck in die Spüle. Der Geschmack ließ mich würgen. Ich verzog den Mund und spülte meinen Mund mit Wasser aus, da klingelte es plötzlich an der Tür. Auch die Mikrowelle piepste vor sich hin.
An der Tür traf ich auf meine Großeltern. Sie traten ein und Grandma fragte sofort nach meiner Mutter nach. Ohne den Mantel auszuziehen, stampfte sie die Treppen hoch. Mein Großvater und ich sahen uns an, dann zog er mich in eine feste Umarmung.
"Meine Kleine", hörte ich ihn sagen.
Wir ließen voneinander ab und ich ging zurück in die Küche, um die Tasse aus der Mikrowelle zu nehmen. Grandpa folgte mir still. Sein Blick lag auf dem Chaos, unter der sich unsere Küche versteckte. Er sagte nichts, zog sich seinen Mantel aus und strickte sich die Ärmel seines Hemdes hoch. Ich ließ den Teebeutel ins heiße Wasser fallen und fügte zwei Löffel Zucker hinzu. So wie ihn meine Mutter am liebsten mochte.
"Das ist ein guter Tropfen", sagte mein Großvater neben mir. Er nahm die Flasche Rotwein in die Hand, von der ich zuvor getrunken hatte. Er hatte Manieren und nahm sich ein Glas aus einem Schrank. Grandpa roch am Wein und begutachtete ihm, während er das Glas zwischen seinen Fingern drehte. Dann trank er. Er presste die Lippen zusammen. "Er wäre gut, wäre er nicht schon ausgeräuchert. Jemand hätte die Flasche schließen müssen."
Ich ließ ihn kurz alleine, um meine Mutter ihr Essen und den Tee zu bringen. Grandma umarmte sie. Ich konnte mich nicht daran erinnern meine Großmutter je so nett und gefühlsvoll erlebt zu haben. Sie war eben auch nur eine Mutter, die das Beste für ihr Kind wollte. Mir tat es nur viel mehr für meine Mutter leid, dass sie nun nicht das Familienleben bekam, das sie nie hatte. Mich und Val bekam sie zu jung, dabei wurde ihr auch Valerie entrissen. Der Kindsvater hatte eine Frau und war von einem anderen Land. Doch jetzt, wo sie endlich jemanden hat, der sie über alles liebt und vergöttert, wurde ihr Glück wieder zerstört. Ich hatte mich anfangs wirklich nicht gefreut, weil ich neidisch war. Ich hasste mich für dieses Verhalten, denn schließlich waren Nialls Eltern in seiner Kindheit auch nicht mehr verheiratet und er hatte sich nicht so kindisch verhalten wie ich. Annabelle hätte das schönste Leben gehabt. Mutter und Vater. Ein stabiles Lebensumfeld. Genauso wie es eben sein sollte. Warum ist das Leben so unfair?
Mit meinem Fuß drückte ich die Tür auf. Grandma sah mich kurz an, während sie beruhigend den Rücken meiner Mutter streichelte, da diese wieder in Tränen ausgebrochen war. Ich stellte die Tasse und den Teller auf den Boden vor ihren Füßen. Ich nahm ihre Hand und drückte sie. "Mum, ich habe dir etwas zum Essen hochgebracht."
Sie blinzelte mich an und tupfte sich die Tränen mit einem Taschentuch von den Augen. "Danke", hörte ich sie nur leise antworten. Grandma zog sich den zweiten Stuhl von der Ecke des Raumes zu meiner Mutter, um sich neben sie zu setzten. Mit einem Blick deutete sie mir, dass sie darauf aufpassend würde, das Mum aß.
Ich drückte meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und machte mich wieder auf den Weg nach unten zu meinem Großvater. In der Zwischenzeit hatte der unten angefangen zusammenzuräumen. "Grandpa du bist doch unser Gast, das solltest du nicht tun."
Seine Hände waren im Wasser der Spüle, während er abwusch. Das Lämpchen des Geschirrspülers leuchtete ebenfalls, was bedeutete, dass er auch diesen voll beladen hatte. "Was sollte ich nicht tun?", fragte er sich und drehte sich zu mir um. "Ich sehe doch, wie schlecht es euch geht. Mir macht es nichts aus mit anzupacken. Zu Hause darf ich das sowieso nicht."
Zu Hause hatte er auch personal dafür.
Um nicht dumm in der Gegend herumzustehen, schnappte ich mir ein Geschirrtuch und begann das bereits gewaschene Geschirr abzutrocknen. Grandpa lächelte mir zu, als ich neben ich stand.
"Wie geht es dir, Amara?", fragte er ernst, während sein Blick auf seinen Fingern lag, als er ein Messer säuberte.
"Gut."
Er zog die Augenbrauen zusammen. "Das kann ich mir nicht vorstellen."
Ich seufzte, legte die Pfanne ab und nahm mir ein Teller. "Ich weiß es nicht. Ich fühle mich ... schlecht, schuldig und ... keine Ahnung."
"Warum schuldig?"
Ich biss auf meiner Unterlippe herum. Schuldig wollte ich eigentlich überhaupt nicht sagen. "Keine Ahnung warum ich das gesagt habe. Vielleicht weil ... ich damals richtig ausgetickt bin, als Mum mir von dem Baby erzählt hatte. Ich war richtig aufgebracht darüber. Das war scheiße von mir."
Im Gegensatz zu seiner Frau belehrte mein Großvater mich nicht über das Wort Scheiße. Ich wünschte, sie wäre, genauso ausgelassen wie er. "Ich kann verstehen, warum du es zu Beginn nicht gutheißen konntest. Das kann ich wirklich." Nun sah er mich direkt an. "Aber denke nicht, dass du daran Schuld hast, was passiert ist. Manchmal kommt ein Baby ohne zu atmen auf die Welt. So etwas passiert leider sicher öfter, als wir annehmen."
Nickend presste ich die Lippen aufeinander. Ich hatte Annabelle in ihrem Körbchen vor Augen, auf einer dicken weichen Decke, die aussah, als würde sie auf einer Wolke liegen. Diesen Augenblick werde ich niemals vergessen. Denn Gesichtsausdruck, den Mum und Bobby machten, als wir durch die Tür gestürmt kamen und sie ihr totes Baby vor sich liegen hatten. Unsere Schwester ...
"Was ist das?"
Seine Frage riss mich aus meinen Erinnerungen. Mein Shirt wurde nass, als er mit dem feuchten Finger meine Kette anfasste.
Verdammt, sie musste wohl aus meinem Shirt gerutscht sein.
Für den Buchstaben interessierte er sich nicht. Die Aufmerksamkeit lag nur auf meinen Ring, den er skeptisch begutachtete. Mit der freien Hand nahm er mir das Geschirrtuch ab, um sich abzutrocknen und seine Brille, die an einer Kette um seinem Hals hing, aufzusetzen.
"Das ist ... feinste Arbeit. Hochkarätig. Schick."
Mir rutschte das Herz in die Hose.
Er ließ den Ring los und schob die Brille von der Nase. Mit hochgezogener Augenbraue fragte er: "Ist es das, was ich denke, dass es ist?"
Ihm konnte ich nicht irren. Außerdem konnte ich es ihm doch erzählen. Ich wollte nur nicht, dass er ein zu großes Fass daraus machte. Mum und Bobby hatten gerade ganz andere Sorgen, als meine und Nialls Verlobung.
"Wovon redet ihr?", mischte sich jemand ein. "Hey Grandpa John."
Valerie und Niall kamen frösteln vom Garten herein. Niall sah zwischen mir und meinem Großvater hin und her.
"Die zwei sind verlobt", platze mein Großvater freudig heraus. Valeries Mund klappte auf, dann drehte sie sich zu Niall und gab ihm einen Klaps auf den Oberarm.
"Ich bin mit dir zwei Stunden im Garten gestanden! Und da konntest du mir das nicht erzählen?! Warum habt ihr nichts erzählt?" Die letzte Frage war auch an mich gerichtet. Instinktiv klammerte sich meine Hand an meinen Ring.
Niall rieb sich den Nacken. "An welchem Zeitpunkt, hätten wir es euch erzählen sollen?"
Das Lächeln von Valeries Gesicht, und auch das von Grandpa, erloschen langsam. Sie wussten, wovon er sprach.
Großvater nahm mich fest in seine Arme. "Ich freue mich sehr für euch, auch unter diesen Umständen."
"Danke", brachte ich gerade noch mit heiserer Stimme heraus. Mein Hals brannte, da ich kurz davor war zu weinen. Auch meine Schwester fiel mir in die Arme und sprach ihre Glückwünsche aus. Über Valeries Schulter hinweg sah ich, dass Großvater Niall auch umarmte. Er klopfte ihm auf den Rücken und tadelte, dass er es gerne früher von Nialls Absichten erfahren hätte.
Mit warmen Getränken setzten wir uns zusammen an den Tisch. Ich saß neben Niall. Valerie und Großvater saßen uns gegenüber. Eine seiner kalten Hände hatte Niall auf mein Knie gelegt. Die Kälte konnte ich durch die Jeans spüren.
"Wir wären euch sehr dankbar, wenn ihr das für jetzt für euch behalten könntet. Im Moment wollen weder Amara noch ich unser Glück mit der Welt teilen. Vorher müssen die Wunden heilen."
Ich nickte Niall bestätigend zu. Es war das Richtige, so zu handeln.
"Natürlich, alles was ihr wollt", sagte mein Großvater. Valerie stimmte ebenfalls zu.
Von oben waren Stimmen zu hören, dann polterte es auf den Treppen und keine zehn Sekunden später stand Grandma mit meiner Mutter und Bobby in der Küche.
"Jetzt setzt euch zu eurer Familie. Ich verstehe zwar, dass ihr euch nicht gut fühlt, aber nur schmollend herumzugammeln, ist nicht das Richtige!" Der harsche Ton meiner Grandma funktionierte. Bobby mit seiner Whiskey Fahne setzte sich an einen freien Stuhl und Mum setzte sich neben mich auf die Bank. Was mich daran erinnerte, meine Kette wieder zu verstecken. Zum Glück schenkte mir niemand der beiden Beachtung.
Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee und sah Grandma nach, die den Kühlschrank öffnete und die Nase rümpfte. "Habt ihr denn keine frischen Lebensmittel? Das ist doch ... von gestern. Vom Buffet. Meine Tochter braucht Vitamine." Sie drehte sich und ihr Blick blieb am Fenster liegen. Das Fenster, an den man in den Garten hinaussah. Sie atmete tief durch und setzte wieder ihren emotionslosen Ausdruck auf. "Niall? Während Sie so freundlich und könnten in den nächsten Supermarkt fahren? Gemüse und Obst wäre spitze. Ach, ich schreibe Ihnen eine Liste." Ihr Absatz klackerte am Boden, als sie zu ihrer Tasche hinüberging und Stift und Notizbuch herausnahm.
"Vom Kofferschlepper zum Einkäufer ... tolle Beförderung", jammerte Niall neben mir leise und ich musste zum ersten Mal seit Tagen wieder grinsen. "Kommst du mit?"
Eigentlich wollte ich nicht das Haus verlassen, aber wenn er mich mit diesem Dackelblick ansah, konnte ich nicht Nein sagen. Vielleicht würde mir die frische Luft auch guttun. Und Zeit alleine mit Niall zu verbringen war doch sowieso immer das beste am Tag.
"Ich komme mit."
Wir rutschten von der Eckbank und ich schlüpfte in meine Schuhe und eine dicke Jacke. Meine Großmutter las derweil Niall die Liste vor, als könnte er es selbst nicht.
"Gala Äpfel, das sind die schönen roten. Eine Mango, das sind grüne Faustgröße exotische Früchte. Falls Sie sie nicht kennen wir Ihnen sicher eine Verkäuferin helfen, Niall."
Niall zwang sich ein Lächeln auf. "Natürlich Mrs Julien. Da ich so dumm bin und nicht-" Ich stieß ihn mit meinen Ellbogen an. Zu streiten, wäre jetzt nicht passend. Ich hatte noch nicht vergessen, dass sie Niall damals aus dem Hause geworfen hatte, aber jetzt hier eine Diskussion zu starten war nicht in meinen Sinn. Dazu fehlte uns die Kraft.
Er räusperte sich und nahm ihr den Einkaufszettel widerwillig ab. Er brummte etwas leise neben mir, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Auch er zog sich seine Jacke wieder an und ich wartete derweil bei der Haustür, als es plötzlich klingelte.
Ich öffnete die Tür und hätte sie am liebsten sofort wieder zugeschlagen. Doch meinen Blick glitt von einen großen Mann im Anzug, einer schlanken Frau mit blonden Haaren und strengen Zopf zu einem Baby das in den Armen von Holly zu weinen begann. Sie legte den Kopf zur Seite, blinzelte mich gewollt an und fragte: "Ist Niall da?"
Mein Mund wurde trocken. Ich hätte gerne gesagt, dass sie sich verpissen sollte, aber ich fühlte mich wie erstarrt.
"Amara ..." Neben mir tauchte genau dieser auf, dessen Mund gerade versuchte etwas zu sagen. Er formte Wörter, aber ihm verklang die Stimme.
"Wollt ich uns nicht endlich reinlassen? Die Kleine wird noch krank." Holly schaukelte das Baby in ihrem Armen hin und her um es zu beruhigen. Aber es half nicht, es schrie wie am Spieß.
Ich spürte eine Hand an meiner Schulter die mich nach hinten drängte.
"Was zum Teufel ist hier los?", fragte meine Großmutter aufgebracht, die sich vor mich gestellt hatte. "Verschwinden Sie! Hier ist schon genug los! Beileidswünsche sind hier nicht mehr willkommen!"
Holly schenkte Großmutters Worte keine Beachtung. Sie übergab Niall das schreiende Kind, der sich Hilfesuchend umsah. Seine Augen streiften mich und ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschah. Mir wurde schwindelig, übel und mein Kopf drohte zu platzen.
"Niall! Sagen Sie mir sofort wer diese Leute sind! Ich rufe sonst die Polizei, wenn Sie nicht verschwinden!", drohte mein Großmutter mit erhobenem Finger.
"Aber, aber!", sagte der Mann hinter Holly. Er war sicher ihr Vater, der Anwalt. "Wir haben jedes Recht hier zu sein. Der Vater des Kindes, muss sich ebenso sehr um das Kind kümmern, wie die Mutter."
Ich sah auf den Säugling in Nialls Armen, der sich langsam beruhigte. Mein Gesicht verzog keine Miene, verriets nicht von meinen überforderten Emotionen.
Aber meine Tränen sagten alles. Der Druck in meiner Kehle und die unbedingte Wut die in mir hochkroch, wurde immer größer.
Das wollte er mir sagen.
ENDE DES DRITTEN TEILS.
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2018
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Widmung:
Gewidmet an meine treuen Leser.