Halloween. Einmal im Jahr.
Halloween.
Was ist Halloween?
Halloween ist diese Zeit im Jahr, in der die Menschen ihre Masken ablegen um andere aufzutragen, die ihre Persönlichkeit manchmal besser wiederspiegeln, als die die sonst immer tragen. Halloween entspricht manchmal mehr der Wahrheit als die restlichen 364 Tage im Jahr.
Man setzt Masken auf, kleckst sich etwas ins Gesicht und gibt vor jemand zu sein der man nicht ist. Was unterscheidet Halloween also wirklich vom normalen Leben?
Ohne es zu wissen ist man zu Halloween genau die Person die man wirklich ist. Ein Kostüm verdeckt das Äußere und treibt gleichzeitig das Innere an die Oberfläche.
Zu Halloween sehen die Menschen an jeder Ecke Übernatürliches und doch übersehen sie es.
Warum zu Halloween?
„Übernatürliches“ ist immer da, aber die Menschen tun es „normal“ ab.
Ein Mann stirbt an Krebs.
Übernatürlich?
Nein, natürlich nicht. Eine tödliche Krankheit, nichts weiter.
Eine Frau verliert ihr Kind im zweiten Monat
Übernatürlich?
Warum? Die Frau war Raucherin. Da ist sie doch selber schuld.
Ein Kind erstickt an seinem Lieblingsspielzeug.
Übernatürlich?
Ach bitte, die Eltern hätten halt besser aufpassen sollen.
Der Tod ist das Übernatürlichste und Natürlichste auf dieser Welt, beides zur selben Zeit, aber die Menschen sehen das nicht.
Für sie ist Tod einfach Tod.
Tod ist grausam und Tod ist ungerecht.
Tod ist neutral.
Tod unterscheidet nicht zwischen Alt und Jung.
Zwischen Reich und Arm.
Zwischen schön und hässlich.
Tod ist kein Richter. Er nimmt was ihm gehört, zur rechten Zeit und am rechten Ort.
Ganz natürlich.
Was ist Übernatürlich?
Nicht der Tod selbst, die Art wie die Menschen damit umgehen.
Gelassen, sie sehen das sowieso jeden Tag.
Geschockt, dabei kannten sie den Toten nicht einmal.
Erschüttert, was soll man anderes sein, bei der Verwandtschaft?
Das Herz wird entzwei gerissen, der Tote hatte die eine Hälfte.
Sie alle verfluchen den Tod, selbst wenn sie ihn selbst herbeirufen. Nie sagen sie es war ihre Schuld, nein, der Tod ist schuld, der Tod hat das getan.
Anders können Menschen nicht mehr denken. Sie suchen die Schuld immer zuerst bei jemand anderem, bevor sie auf sich selbst sehen. Und wenn man zu lange etwas die Schuld gibt, was gar nicht da ist, ist es irgendwann einmal da.
Halloween.
Die Zeit in der alles anwesend ist, was die Menschheit sich einmal ausgedacht hat. Die Fantasie der Menschen ist grenzenlos, wie ihre Dummheit. Für das Offensichtliche allerdings scheinen sie blind zu sein.
Nehmen wir ein klassisches Bild zu Halloween.
Eine belebte Straße, vollgestopft mit Menschen unter Masken, in Kostümen. Auf beiden Seiten der Straße sind Clubs, Bars und Discos. Die Menschen stürmen eine Bar um sich in der nächsten Disco zu übergeben und sich dann im Club gegenüber wieder zu betrinken.
Man taumelt, man stöckelt. Man rennt, man wackelt. Man geht, man hüpft.
Hunderte Menschen. Es werden mehr, es werden weniger. Fünf fallen hin, acht stehen auf. Es wird gelacht, gelallt, gefeiert, gejubelt, getaumelt, getrunken und gekotzt. Kostümwettbewerbe werden veranstaltet, ohne Sieger und ohne Verlierer. Alles ist brechend voll, niemand kann sich bewegen, aber alle glauben Spaß zu haben.
In der Menge vor den Clubs, Bars und Discos stehen zwei Gestalten. Keine auffälligen Kostüme.
Leder.
Lange Haare.
Mädchen oder Frauen, wie man das auch immer definieren möchte.
Sie stehen da und starren in die Menge. Wer noch sehen kann starrt zurück. Für einen Moment, flüchtig, einen kurzen Blick auf ihre Gesichter werfend.
Die eine, immer auf der rechten Seite stehend, geschminkt wie ein Totenkopf. Ziemlich realistisch und doch wieder nicht. Weiß im Gesicht, greller und blendender als jedes mögliche Weiß dieser Welt. Die Augen eingefallen und dunkel. Mit schwarz wurden riesige Augenhöhlen drumherum gemalt. Ein scheinbar aufgemalter schwarzer Schlund, der sich von Ohr zu Ohr zieht, als Mund.
Man bleibt stehen, sagt coole Maske, erwartet ein abgefahrenes Kostüm dazu, wird enttäuscht, geht weiter.
Leder, mehr nicht.
Schwarze Lederstiefel, dreckig, als wären sie durch den dichtesten Morast gezogen worden.
Schwarze Lederhosen, im Licht der Clubs, Bars und Discos schimmernd und unruhig.
Schwarze Lederjacke, schlicht aber trotzdem auffällig.
Schwarze Lederhandschuhe.
Langen, dichtes Haar, keine definierbare Farbe.
Auf die Frage was sie darstellen solle, keine Antwort, keine Reaktion.
Die andere, immer links stehend, blass, totenblass, ein Nasenring, dunkle Augen. Augen die keine Farbe zu haben scheinen und zugleich jede.
Eine Netzstrumpfhose, Lederstiefel.
Blut auf ihrem weißen Shirt.
Ein Licht verschluckender schwarzer Mantel über ihren Schultern.
Ein Blick, vor dem die Menge kuscht und scheucht.
Die Augen immer in Bewegung.
Von einem Gesichtsausdruck zum anderen.
Hochmütig.
Neidisch.
Zornig
Träge.
Habgierig.
Hungrig.
Begehrend.
Man richtet seinen Blick auf diese Menschen und wendet ihn genauso schnell wieder ab. Man hat Angst und ist zur selben Zeit beeindruckt. Nicht von ihrem Aussehen, nein, das nicht, aber von ihrer Ausstrahlung. Man weiß augenblicklich, mit ihnen sollte man es sich nicht verscherzen.
Sie stehen da und starren. Gelassen, geduldig.
Ein Schrei erschallt in der Dunkelheit, außerhalb des Einflussbereiches der Lichter der Clubs, Bars und Discos. Selbst die, die dem Schrei am nächsten stehen, wenden sich kurz um und sehen dann wieder weg. Was interessiert sie ein Schrei? Es ist Halloween. Wer nicht schreit hat keinen Spaß.
Die Gestalten setzen sich in Bewegung. Niemand achtet darauf. Ohne ersichtlichen Grund bilden sich Gassen durch die die Gestalten schreiten, ohne dass sich jemand nach ihnen umdreht.
Niemand sieht mehr das Offensichtliche.
Das Ende der Straße kommt näher, am Rande der Dunkelheit.
Zusammengekrümmt liegt dort ein Mädchen, gekleidet wie eine Krankenschwester. Doch keine Krankenschwester dieser Welt wäre jemals so gekleidet. Es ist mehr Haut als Stoff vorhanden.
Und Blut.
Auf dem Bisschen Stoff das sie am Körper trägt.
Auf ihrer Haut.
Um sie auf den Pflastersteinen.
Sie atmet aber nicht mehr lange.
Die Gestalten erreichen sie in dem Moment, als ein junger Mann vom Ort des Geschehens flüchtet. Eine Koboldmaske über seinem Gesicht, ein Messer in der Hand.
Er rennt und rennt, auf die Straße, in die Windschutzscheibe des nächsten Autos.
Das Mädchen liegt da und verblutet. Die Gestalten machen keine Anstalten ihr zu helfen.
Die eine, immer rechts stehend, hockt sich vor das Gesicht des Mädchens und wartet. Ihr schwarzer Schlund zu einem immer andauernden, grausamen Lächeln verzogen.
das Mädchen auf dem Boden starrt in die Unendlichkeit der schwarzen Augen ihres Gegenübers. Keine Wärme ist zu sehen, ein bodenloser Abgrund, in dem das Feuer der Verdammnis lodert, kalt und verzerrend.
Das Mädchen haucht ihren letzten Atemzug. Die vor ihr hockende Gestalt ergreift diesen und hält ihn fest. Das Mädchen erschlafft, ihr Herz bleibt stehen, eine Seele geht vorüber.
Die Gestalt nimmt den letzten Atemzug und zieht ihn zu sich. Licht folgt ihr. Zart nimmt sie Hauch und Licht in ihre Arme, hält sie vorsichtig, wie ein Neugeborenes, wartet.
Eine zerbrechliche Seele, geformt aus dem Licht des Lebens und dem Hauch des Todes.
Die Gestalt wendet sich ab und dem zweiten Opfer der Nacht zu. Er lebt noch, doch nicht mehr lange.
Erneut hockt sich die Gestalt neben den dahinscheidenden Menschen. Er war heute Nacht zum Sterben verurteilt. Begierde, Hochmut und Zorn hatten ihn in sein Verderben laufen lassen.
Nun haucht auch er seinen letzten Hauch und geht über in die Arme des Todes. Beschützend und beinahe liebevoll, nimmt die Gestalt auch die zweite Seele in die Arme und stand auf. Die andere, immer links stehend, steht daneben und wartet. In ihrem Gesicht sind Begierde, Hochmut und Zorn zu sehen.
Heute, in dieser einen Halloween-Nacht, einer Nacht die gerade erst begonnen hatte, waren ein Mann der Macht von Begierde, Hochmut und Zorn erlegen und ein Mädchen waren diesen zum Opfer gefallen.
Und es sollen noch viele folgen. In einer Nacht, wie jede andere, in der die Menschen sehen was sie sehen wollen, aber das Offensichtliche übersehen, treiben sich wie jede Nacht Tod und Sünde umher, bereit jene zu holen, die der Menschlichkeit nachgeben.
Denn Menschlichkeit war Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, Habgier, Hunger und Begierde. Doch fehlt es den Menschen an Verstand die Verbindung zu sehen. Die Verbindung zwischen alldem und der Menschlichkeit. Ein anderes Wort musste her.
Todsünden.
Ein schlechtes Wort für schlechte Taten, von Menschen verursacht, von Menschen verleugnet.
Denn Mensch zu sein bedeutet dem nachzugeben, was die Menschen als schlecht und falsch empfanden.
Mensch zu sein bedeutet der Menschlichkeit nachzugeben.
Mensch zu sein bedeutet an der eigenen Menschlichkeit zu sterben oder der Menschlichkeit eines anderen zum Opfer zu fallen.
Menschlichkeit und Tod gehören zusammen.
Menschlichkeit und Tod gehen einher und holen was ihnen zusteht.
Zur rechten Zeit und am rechten Ort.
Tag der Veröffentlichung: 23.11.2015
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