Perfektion ist etwas Unerreichbares, schlichtweg unmöglich. Jedoch ist das Streben nach Perfektion etwas, das jedem von uns ermöglicht wird. Vielleicht ist „ermöglichen“ das falsche Wort hierfür. Also nochmal von Vorn. Das Streben nach Perfektion ist etwas, das manchen Menschen auf ihrem Weg im Leben die Pläne durchkreuzt. Ein Karriereplan, bei dem man sich die Sache zu Kopf steigen lässt und man in Arbeit und Ehrgeiz ertrinkt. Eine einfache Diät, die sich schleichend und zunächst nicht sichtbar in einen Abnehm-Wahn und anschließend sichtbar zur Magersucht entwickelt. Oder vielleicht eine neue, einzigartige Liebe. Eine bedingungslose Liebe, bei der man sich der Person so hingeben möchte wie noch nie, die eigene Nicht-Perfektion einem selbst jedoch im Weg steht. Alles Pläne, die doch so wunderbar und einfach erscheinen. Pläne, die uns jedoch selbst zerstören. Der Kollateralschaden der Perfektion. Dieses Wort zu erfinden, war ein Fehler. Ohne diesen Begriff gäbe es weniger Mobbing, weniger Depressionen, weniger Entfremdung der Mitmenschen gegenüber und vor Allem weniger Hass. Und hier spreche ich ganz klar vom Selbsthass.
Wenn ein Mensch nicht deinen Vorstellungen entspricht, sich dir nicht unterwirft oder deinen Regeln folgt, ist das ärgerlich. Nur ärgerlich. Es macht dich vielleicht für einen gewissen Zeitraum wütend, aber das war's auch schon.
Wenn du selbst nicht den Vorstellungen deiner Mitmenschen entsprichst, ist das auch ärgerlich. Man fragt sich, was an einem nicht stimmt. Liegt der Fehler bei der Person oder bei einem selbst? Eine unbeantwortete, ewig offene Frage. Das sieht jeder anders, doch ich finde, mit einer offenen Frage zu leben ist meist einfacher, als mit einer Antwort, die dich mental umbringt und leer macht.
Und so ist es in Fall drei: Wenn man seinen eigenen Vorstellungen nicht entsprechen kann. Zu viele Fehler, ein Fleißiger oder ein Fauler, ein Klugscheißer oder ein Dummkopf, zu oberflächlich oder zu hässlich, zu unreif oder zu alt, zu unehrlich oder zu ehrlich.
Man kann aus jeder menschlichen Eigenschaft wohl etwas negatives schaffen. Das liegt, wie man so sagt, dann im „Auge des Betrachters“. Jetzt sind es aber deinen eigenen Augen, durch die du hindurchsiehst. In den Spiegel, in dein dunkles Zimmer, an die Decke und du bist am nachdenken, wieso du nicht so bist, wie du es gerne hättest. Du denkst nach, überlegst stundenlang, was du besser machen könntest und ab da an beginnt die Selbstzerstörung. Dann hast du es geschafft, einen Störfaktor aus dem Weg zu räumen, doch es kommen tausend neue dazu.
Wie eine alte, abgestandene und verschimmelte Badewanne, die du reinigst und neu lackierst, der Lack sich jedoch nach einigen Stunden aufgrund von der Luftfeuchtigkeit verflüssigt und in das Abflussrohr der Wanne rinnt. Am nächsten Morgen bist du begeistert, wie schön die Badewanne aussieht und willst dich waschen. Doch der ganze Lack, die ganze Farbe ist im Abfluss getrocknet und nun ist das Rohr verstopft. Das Ergebnis: Du hast eine schöne Badewanne, in der du nicht mehr baden kannst. Dieses Szenario kann man durchgehend weiterführen. Wie gesagt, ein einziges Problem, dass du beheben willst, schafft viele neue Probleme. Du kannst dich nicht waschen, gibst Geld für Rohrreiniger und andere Chemikalien aus und musst den Vermieter anrufen, der sich darüber aufregt, dass wieder einmal etwas kaputt ist. Drei neue Probleme, die jetzt an Stelle von einem kleinen Problem davor da sind.
Man kann es sich bildlich vorstellen. Aber na klar, dieses Szenario ist lange keines, das einen Menschen zum zerbrechen bringt. Eine Metapher ist das, nichts weiter.
Doch genauso wird es zum immer größer werdenden Teufelskreis, wenn man nicht einen Makel seiner Badewanne, sondern einen an sich selbst beheben möchte. Ein Makel, der nur dich selber stört, etwas, das du versuchst, abzuwerfen auf deinem Weg in die Perfektion. Ein Stück deiner Selbst wird zur Perfektion und du bist stolz darauf. Doch was du nicht weißt, ist dass dieses Stück Perfektion voller Klingen ist. Klingen, die neue Teile deines Wesens zerreißen, die dich für dich selbst imperfekt machen. Man kann es betrachten, wie eine unumgängliche, unveränderbare Mathematikformel. Imperfektion > Perfektion oder Perfektion - 1 = Imperfektion x 1000 oder so.
Die Auswirkungen so einer Selbstzerstörung sind unterschiedlich. Was jedoch immer gleich ist: Man spielt einen anderen Menschen. Man spielt den Menschen vor, der man sein will. Um nicht perfekt zu sein, aber wenigstens perfekt zu wirken. Menschen kaufen dir das ab, solange du in deiner Rolle bist und das Schauspiel zu Ende bringst. Die Bühne gehört dir allein. Sei, wer auch immer du willst. Es macht dich kaputt, aber das stört dich nicht. Der immer lauter und stärker werdende Applaus bringt dich dazu, immer weiter zu machen und das Spiel fortzuführen. Zugabe!
Alle werden weiter Zugabe rufen, und zwar ohne zu realisieren, dass das ganze ein Theater ist. Ein Spiel, nichts weiter.
Bis zu dem Tag, an dem einer der Zuschauer etwas entdeckt. Etwas, das die anderen vor lauter Begeisterung nicht sehen können oder wollen. Deine Unvollkommenheit. Das, was du doch so sehr versuchst, zu verstecken. Dieser bestimmte Zuschauer erkennt dein Spiel, und er ist ganz klar kein Fan deiner Show. Er will mehr sehen, als das, was du vorgibst zu sein. Und er allein weiß, dass da was ist. Er wird nicht rein rufen „Das ist alles nur eine Inszenierung Leute, verschwindet lieber. Was ihr da seht, ist nicht echt und reine Zeitverschwendung!“. Er bewahrt den Schein, deinem Auftritt zu folgen, bis er dich nach der Show abfängt. Am Anfang spielt er das ganze vielleicht noch mit, aber dann packt er dich in einem verwundbaren Moment und zieht dir die Vorhänge runter. Wo versteckst du dich jetzt, wenn sie weg sind und du deinen Text nicht einstudiert hast? Jetzt ist es zu spät. Du musst improvisieren. Und improvisieren konntest du noch nie wirklich gut, geschweige denn lügen. Einer geplanten Routine zu folgen ist einfach, Spontanität jedoch macht dich unberechenbar. Unberechenbarkeit ist gegen deine Prinzipien, du gerätst in Panik. Also hast du keine Wahl, außer zu sein wie du bist, ohne deine geplanten Abfolgen, Reaktionen und Antworten. Du bist einfach du und weißt, dieser eine Zuschauer hat dich entlarvt. Du denkst er wird dein Nicht-Perfektsein direkt erkennen. Er wird bei deiner nächsten Show dem ganzen Publikum verraten, dass das alles ein bespielter Vorgang ist. Ein jämmerlicher Plan, perfekt zu sein. Und das wird dich kaputt machen. Der Zuschauer hat aber gar nicht vor, dich zerbrechen zu lassen. Er bewundert die Unvollkommenheit, die er direkt in dir gesehen hat, er bewundert jeden deiner Fehler und will dir beibringen, sie zu lieben. Dein komisches Denken, dein Aussehen, deine zu sensible Art zu lieben und zu schätzen, so wie er es tut. Doch du wehrst dich anfangs. Und das macht dich noch kaputter.
Es ist schwer, geliebt zu werden, wenn man sich selbst hasst. Es ist schwer gesagt zu bekommen, man sei perfekt, wenn man es doch gar nicht ist. Es ist schwer zu glauben, dieser einzigartige, wundervolle Zuschauer hätte eine Imperfektion wie dich verdient.
Ein Stück von dir würde die Perfektion dieses Zuschauers doch imperfekt machen, oder etwa nicht? Es zuzulassen, ist egoistisch, aber befreiend und warm. Es nicht zuzulassen, ist herzzerbrechend, ungerecht und kalt. Da sind wir wieder beim Relativen, aus Allem kann man etwas negatives machen. Es liegt bei dir.
Also, wählst du lieber die schöne Badewanne, bei der du riskierst, dass danach tausend weitere Hindernisse auf dich warten? Oder folgst du der Gewohnheit, dich auf deine alte Badewanne zu verlassen, die du doch eigentlich so verabscheust, dir aber weniger Probleme bereitet?
Ich wähle die Herausforderung der neuen Badewanne.
Er hat es schließlich auch.
Für die Liebe.
Für ihn.
Texte: me
Bildmaterialien: idk
Tag der Veröffentlichung: 26.02.2019
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