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Kapitel 1: Schlachten

Abgetrennte Hände flogen durch die Luft, die Klingen noch fest umklammert. Blutfäden der abgetrennten Gliedern, die die abgetrennten Glieder und den dazugehörigem Torso verbanden, wurden länger und dünner, bis sie schliesslich kappten und der dazugehörige Krieger leblos und am eigenem Blut erstickend zu Boden fielen. Ein grausames Blutbad verrichtend schlugen sich die namenlosen Banditen ihren Weg Richtung Drachenauge. Doch sie hatten nicht mit der überwältigen Gegenwehr der gordovanischen Garde, die im Burg hausten, gerechnet.

»Haltet Stand!«, brüllte der Feldmarschall der Verteidiger. »Sie dürfen die Festung nicht erreichen!«

Mit letzten Kraftreserven und einem ohrenbetäubenden Kampfgebrüll stiessen die Gardisten ihre Schwerter in die Leiber der Banditen, parierten die Schläge der Gegner mit ihren gewölbten Rundschildern, und stachen wieder zu. Das Blut quoll aus allen Löchern, ob natürliche oder durch Klingen erzeugte.

»Ich brauche Unterstützung!«, rief Gandor Bennet, der Kommandant, seinen Kammeraden zu.

Der Schatten Leander, der seinen Gegner eben erst ins Reich der Toten schickte, vernahm den Hilferuf seines Ausbilders, der gegen zwei Banditen zugleich kämpfen musste. Eilends lief er zu ihm, hielt sein Schwert kampfbereit und rammte einen der Gegner mit dem Schild um. Eher sich der Bandit versah, schlitzte Leander ihm die Kehle durch. Gurgelnd kämpfte dieser um sein Leben, bis ihm die Kraft nicht mehr reichte. Nun wandte er sich dem anderen Banditen zu, der sich Gandor annahm. Der Bandit blickte ungläubig zu seinem toten Kammeraden. Er kam nicht mehr dazu sich zu sammeln und zum Angriff überzugehen. Wie auf eine stumme Absprache stiessen Leander und Gandor ihre Klingen in den Leib des Banditen.

Blutgetränkte Klingen und ein ohrenbetäubender Jubel stieg dem Himmel empor, als der letzte der Banditen seinen letzten Atemzug ausstiess. Doch es war ein bitterer Sieg. Von den zwei Kompanien blieb nur noch eine handvoll am Leben.

»Der Fürst nicht sehr erfreut sein«, meinte Leander, als dieser die übriggebliebenen Gardisten sah, die mehr sterbend wirkten, als lebend.

»Halt dein vorlautes Maul, Grünschnabel!«, fuhr der Feldmarschall ihn an. Im laufe seiner Lebensjahre hatte er einen Wanst angefressen, was seine Kampfkraft nicht im geringsten minderte. Seine Arme und Brust waren nach wie vor muskulös. »Wir haben die Festung verteidigen können. Erklär mir, wieso der Fürst nicht erfreut sein sollte?«

Nach dem Anschiss bereute seinen Gedanken laut ausgesprochen zu haben. Wie konnte er nur als einen von ihnen sehen, da er nur ein Schatten, ein Rekrut der Garde, war?

»Unrecht hat er aber nicht«, trat Kommandant Gandor Bennet an seine Seite. »Obwohl wir die Schlacht für uns entscheiden konnten, sind wir nur noch ein Bruchteil von dem, was wir zuvor waren.«

»Verflucht«, stiess der Feldmarschall durch die Zähne. Sein rot gewordener Kopf bildete einen Kotrast zu seinem weissem Backenbart und dem zerzausten Zopf.

Leander erkannte im Gesicht des Feldmarschalls, dass er sich auf die bevorstehende Strafe vorbereitete, die unweigerlich kommen musste.

»Abmarsch, nach Hause!«, rief Kommandant Gandor den übriggeblieben Gardisten zu.

Die Rüstungen, die aus genieteten Eisenschienen, Arm- und Beinschienen sowohl Helme mit Wangen. und Nasenschutz bestanden, waren verbeult, verdreckt und mit Blut besudelt. Die Gesichter waren nicht minder verschont geblieben. Sei es durch die Waffen entstanden, oder durch den Gedanken an gefallene Freunde und Brüder.

Während die Gardisten den geschlungenen Trampelpfad, die von vereinzelten Grashalmen und Büscheln gesäumt waren, liefen, dachte Leander an die Schlacht. Allmählich fragte er sich, warum er jetzt, da seine erste Schlacht vorbei war und das Adrenalin versickert war, kein Leid für die Toten verspürte. War er überhaupt fähig etwas zu fühlen?

Nachdem sie die Treppe, in die der Trampelpfad mündete, hinaufgingen, sah er die Fürstentochter mit nassen Augen an eine Eiche stehen. Da begriff er, dass er doch in der Lage war, zu fühlen.

 

Der Feldmarschall ging vorsichtig zu ihr. In der ramponierten Rüstung und den Blutflecken musste er furchterregend auf sie wirken. Dazu gab es keinen Grund. Der Feldmarschall würde ihr nie etwas antun, dass wusste die Prinzessin auch, da sie ihn schon ihr Leben lang kannte.

Er rammte das Schwert in den Boden und kniete vor ihr nieder, wie zu einem Gebet.

»Erhebt euch, Feldmarschall«, bat sie mit ihrer sanften Stimme, in der Bitterkeit mitschwang. »Ich wünsche nicht, dass ihr vor mir kniet, wie vor meinem Vater.«

Der Offizier tat, wie es ihm geheissen. Unwillkürlich streifte sein Blick an dem bauchfreiem Kleid, das gefährlich nahe dran war die Intimstellen preiszugeben. Unwillkürlich fragte er sich, warum sie sich unbedingt so anziehen musste, wie es eine Bordsteinschwalbe tun würde, die keine Kleidung besass. Es war keine Kleidung für eine Adelige. Sofort wischte er den Gedanken fort, als er in ihr schönes Gesicht blickte, die vor Trauer zerfressen war. Die leichte Brise wehte ihr goldbraunes Haar vors Gesicht, so dass man nicht die ganze Nässe in ihren grünen Augen sah.

»Es tut mir unendlich Leid, dass ihr das ansehen musstet«, verkündete der Feldmarschall ehrlich und so sanft es ihm möglich war.

»Warum müsst ihr immer kämpfen?«, fragte Prinzessin Esmeralda verbittert.

»Prinzessin, wie kann ich euch verständlich machen, dass es manchmal nicht anders geht. Diese Banditen haben nichts gutes im Sinn. Sie berauben uns unsere Liebsten, reissen sich unser Hab und Gut an sich und lassen uns am Strassenrand zum sterben liegen. Solcher Dekadenz müssen wir entgegenwirken. Auf der friedliche Art funktioniert es bei diesen Banditen leider nicht so, wie ihr es euch vorstellen mag«, versuchte der Feldmarschall ihr zu erklären.

»Es muss doch einen anderen Weg geben, als sich ständig die Köpfe vom Hals zu trennen. Man kann sie doch in den Kerker einsperren.«

»Wie sollen wir sie den da reinbringen, ohne Gewalt anzuwenden? Freiwillig werden sie da nicht reingehen. Sie würden die Waffen gegen uns und der Verhaftung erheben. Ausserdem haben wir weder genug Platz für alle, noch genug Personal zu Verfügung, um alle zu beaufsichtigen. Und die Unterbringung würde Unmengen an Steuergelder verschlingen. Habt ihr vielleicht daran gedacht?«

»Dann soll mein Vater die Steuern erhöhen«, schlug die Prinzessin vor, ohne vorher über ihre Worte nachzudenken.

»Wenn euer Vater es täte, dann würde das Volk sich gegen ihn erheben und wir würden wieder im Strudel der Gewalt.«

Traurig und resignierend liess die Prinzessin den Kopf sinken. Eine frische Träne lief ihr die Wange hinab. Der Feldmarschall wusste nicht recht, ob sie wegen diesem Gespräch und wegen der Schlacht weinte, oder ob an der Tatsache lag, dass die Prinzessin vor einem Jahrzehnt, an genau dieser Klippe, das letzte mal ihre Mutter lebend gesehen hatte. Vielleicht lag es an beidem.

»Ich kann nicht verstehen, wie sich erwachsene und zivilisierte Menschen sich wie tollwütige Tiere abschlachten müssen«, hob die Prinzessin den Kopf und wischte die Träne von der Wange.

»Wolfram«, unterbrach Gandor das Gespräch. »Ich unterbreche nur ungern, wie Ihr wisst, aber der Fürst erwartet den Schlachtbericht. Und Ihr kennt seine Geduld.«

»Schatten Leander«, richtete er sich an den Jüngling. »Ich möchte, dass du solange bei der Prinzessin bleibst, bis sie wieder zurück möchte. Verstanden?«

»Jawohl, Sir«, salutierte Leander und konnte das dezente Lächeln nicht unterdrücken.

Mit einem wehmütigen Blick zur Prinzessin wandte sich der Feldmarschall zögernd zum gehen.

 

»Was heisst, wir haben die Schlacht gewonnen?!«, brüllte Fürst Estoban ausser sich vor Wut. »Wir haben fast die gesamte Mannschaft bei dieser Schlacht verloren. Wo bitte schön haben wir gewonnen?«

»Die Banditen sind alle niedergeschmettert. Keiner von ihnen konnte auch nur in die Nähe der Festung kommen. Ist das denn kein Sieg?«

»Es ist eine Schande, das so viele unserer Männer bei so einer simplen Verteidigung ihr Leben lassen mussten. Was soll denn passierten, wenn wir im Krieg lägen? Sollen wir mehr Männer verlieren, als wir überhaupt haben? Wäre das in euren Augen auch ein Sieg?«

»Nein, Sire«, gab der Feldmarschall kleinlaut von sich.

Gandor hatte noch nie erleben müssen, dass der Feldmarschall so sehr gedemütigt war, wie in diesem Augenblick. Schon oft hatte er erlebt, wie der Fürst und der Feldmarschall lautstark miteinander stritten. Doch noch nie kam es zu einer solchen Abreibung. Schon gar nicht in Anwesenden der Bediensteten oder den beiden Kampfmagiern Callisto und Csardas, die hochnäsig auf den obersten Befehlshaber der Garde blickten.

Gandor beneidete seinen Vorgesetzten nicht. Im Gegenteil, er war heilfroh, nicht derjenige zu sein, der die Strafpredigt des Fürsten abzubekommen, obwohl auch er in gewisser weise mit schuldig ist.

Nachdem sie Leander bei der Prinzessin gelassen hatte, marschierten sie und die restlichen Gardisten in die Burg, wobei Gandor und der Feldmarschall die einzigen waren, die nicht in die Kaserne begaben, um sich zu reinigen und um zu ruhen. Stattdessen bewegten sie sich in die Höhle des Löwen, dem sie die Situation auf dem Schlachtfeld erklären durften. Auf dem grossen Tisch, auf dem man stiess, wenn man den Thronsaal betrat, lag die Karte der Gotha Region, die von Bechern an den Enden fixiert waren. Darüber waren Neal Gomez und Chavo Almeida gebeugt und schienen über irgendetwas zu grübeln. Die beiden erfahrenen Kampfmagier Csardas und Callisto standen unmittelbar dahinter und tuschelten miteinander.

»Was, wenn noch mehr Banditen auftauchen?«, fragte Fürst Estoban erzürnt. Sein Gesicht hatte sich dem roten Wappenrock, auf dem ein Drache mit gespreizten Flügeln zu sehen war, angepasst. »Wollt ihr, dass sie in unsere Katakomben eindringen? Wollt ihr, dass unser kleines Geheimnis an die Öffentlichkeit gelangt?«

»Nein, Sire, ganz gewiss nicht«, schüttelte der Feldmarschall vehement den Kopf. »Nichts läge mir ferner das das.«

»Ich habe eine Aufgabe für dich, Wolfram«, schien sich der Estoban beruhigen, auch wenn es seine Augen nicht taten. »Ich verlange von euch, dass ich durchs Land zieht, um neue Gardisten für das Drachenauge findet. Es sollen mindestens so viele sein, wie ihr heute bei der Schlacht verloren habt. Verstanden?«

»Aber Sire, wie soll ich so viele Leute finden?«

»Das ist euer Problem«, beendete Fürst Estoban das Gespräch. »Und jetzt geht.«

Kaum hatten sich die Offiziere zum gehen gewandt, flog Leander durch die Tür in ihre Arme.

»Sie sind... hier. Sie haben... sie«, röchelte Leander schwach.

»Wer ist hier?«, hackte Gandor nach. »Und wenn haben sie.«

»Die Dunklen... Esmeralda«, waren seine letzten Worte, bevor er zusammenbrach.

 

Kurz zuvor

»Gehen wir ein Stück spazieren?«, fragte Leander vorsichtig.

Er wusste, wie traurig dieser Ort sie machte. Als ihre Mutter vor einem Jahrzehnt starb, war sie die ersten Wochen und Monate nicht mehr wieder zu erkennen. Sie war nicht mehr das fröhliche und lebensbejahende Mädchen, dass sie zuvor war. Mit der Zeit hatte sie sich zwar wieder erholen können, aber es gab Tage, an denen traurig und nostalgisch an ihre Mutter zurückdachte. Besonders an den Jahrestagen wurde sie besonders deprimierend.

Zu Leander’s Überraschung willigte sie ein. Eigentlich hatte er erwartet, dass sie ihm widersprach, wie sie es sonst tat. Nachdem die Überraschung abebbte, kam in ihm ein mulmiges Gefühl hoch. Es war nicht typisch für sie. Er fragte sich, woher dieser Sinneswandel kam. Schliesslich kam ihm der Leitsatz seines Vaters in den Sinn, dass sich alles veränderte, egal ob man es will oder nicht.

»Warum bist du der Garde beigetreten, Leon?«, wollte die Prinzessin wissen.

Darauf hatte Leander keine passende Antwort parat. Es gab so viele Gründe, und doch schien keine von ihnen eine passende Antwort zu sein.

»Magst du es wirklich das Leben von Menschen auf diese barbarische Art zu beenden?«

»In der Tat nicht. Ich bin der Garde beigetreten, um genau dies zu verhindern.«

Skeptisch musterte Esmeralda ihn vom Scheitel bis zur Sohle und sagte schliesslich: »Dann kannst du gleich versuchen unter Wasser zu atmen, um nicht zu ertrinken.«

Darauf hatte Leander keine Antwort parat, weshalb er bei dem Seitenhieb beliess.

»Wie weit seid Ihr mit dem Garten?«, wechselte er schliesslich das Thema.

Sie sah ihn liebevoll an, streichelte ihn an der Wange und strich ihm seine dunkle, und von Schweiss verklebte Strähne aus der Stirn und lächelte das erste an jenem Tag. Leander bemerkte erfreut, dass ihre Tränen versiegt waren.

»Komm mit, Leon«, hackte sie ihren Arm unter seinem und zog ihn hinter sich her.

Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Die plötzliche Änderung ihres Gemütszustandes bereitete ihm Sorgen. So hatte er sie noch nie erlebt. Erst war sie am Boden zerstört wegen der Schlacht und dem bevorstehenden Todestages ihrer Mutter und nun schien dies sie in keiner Weise mehr zu berühren. Bei der Gelegenheit musste Leander seine Besorgnis gegenüber jemanden, egal ob Gandor, dem Medikus oder ihrem Vetter Neal äussern. Hauptsache es würde etwas in die Wege geleitet, damit sich die Prinzessin keinen Schaden erlitt.

Im Garten angekommen, der sich zwar ausserhalb der schützenden Mauern der Festung befand, aber immer noch von Steinmauern umzäunt war. Genau hier sah Leander die grösste Schwäche der Festung. Aus dem Garten aus konnte man sowohl in den Hof gelangen, als auch hinaus aufs Plateau. Beide Durchgänge waren mit simplen Holztüren versehen.

Im Gartenschuppen angekommen, beugte sich Esmeralda zu einer Kiste vor, und kramte darin herum. Ihr pfirsichförmiger Hintern, der sich unter dem Kleid abzeichnete, brachte Leander’s Blut in Wallung. Als sie das Objekt ihrer Begierde fand, wandte sie sich wieder ihm zu. Leander betrachtete das hölzerne Etui in ihren Händen, das sie öffnete und einen Anhänger mit einem oval geschliffenen Saphir.

»Als meine Mutter und ich anfingen den Garten aufzubauen, hatte sie mir diesen Saphir geschenkt. Saphir ist der Kristall des Saturn und der Patron des Ackerbaus. Mit seiner Hilfe soll der Garten erblühen. Saphir heisst soviel wie heiss geliebt und die Liebe des Saturn. Nun denke ich, dass es Zeit ist, es dir zu schenken.«

»Das kann ich doch nicht annehmen, Prinzessin. Es ist doch ein Geschenk an euch von eurer Mutter.«

»Leander«, sah Esmeralda ihn streng an. »Es ist mein Wunsch dir dieses Geschenk zu überreichen. Ich denke nicht, dass meine Mutter ein Problem damit hätte, wenn ich diesen Anhänger einem Menschen gebe, der mir so nahe steht«, drückte sie ihm das Schmuckstück in die Hände.

Irritiert sah Leander sie an. Als er sich wieder gefasst hatte, fragte er sie: »Warum willst du mir den Anhänger schenken?«

»Es gibt eine alte Legende über acht sagenumwobene Steine. Sie besagt, dass wenn ein Mensch sie alle in seinem Besitz hat, dass die Götter diesem Menschen unvorstellbare Macht, die den der Götter gleichkommt, geben. Dir, lieber Leon, traue ich vollkommen zu, diese Macht weise nutzen zu können.«

Leander wusste abermals nicht, was er sagen konnte. Nicht das er undankbar wäre, aber es bereitete ihm kein gutes Gefühl der Prinzessin ein Erinnerungsstück an ihrer Mutter an sich zu nehmen.

»Lass uns wieder rein gehen«, unterbrach sie schliesslich das Schweigen, das Leander sichtlich Unbehagen bereitete. »Du könntest wirklich ein Bat gebrauchen.«

kaum hatten sie sich zum gehen gewandt, sprang die Tür des Schuppens auf und ein Hüne in einem schwarzen Habit erfüllte den Rahmen.

»Wer seid Ihr und was habt Ihr hier zu suchen?«, zog Leander sein Schwert aus der Scheide.

Der Hüne streckte seine Hand nach ihm aus, an dessen Innenseite ein, in verschiednen Farben fluorisierendes Kristall eingelassen war. Leander’s Blut gefror in seinen Adern, da er auf anhieb erkannte, was für ein Mensch der Hüne war. Das Adrenalin drang die Starre aus seinen andern und er schwang sein Schwert Richtung des Handgelenks. Noch bevor die Klinge das Fleisch erreichen konnte, schien es an einem unsichtbaren Schild abzuprallen. Ein erneuter Versuch brachte das gleiche Ergebnis. Der Hüne ballte seine Handfläche zu einer Faust. Leander’s Kehle war wie festgeschnürt, als hätte der Hüne am Hals gepackt. Verzweifelt rang Leander nach Atem. Sein Kopf färbte sich rot. Mit den Fingern beider Hände versuchte er sich vom unsichtbaren Griff zu befreien. Vergebens. Als der Hüne dann seine Hand ruckartig nach oben zucken liess, flog Leander in die Lüfte. Er zappelte um sein Leben ringend, wie ein Fisch auf dem Trockenem.

Als der Hüne seinen Kopf zu ihm hinaufbewegte, rutschte ihm die Kapuze ein Stück weit zurück. Dabei kamen die gezackten und und gewundenen Linien, die zu pulsieren Schienen, auf seiner rechten Gesichtshälfte zum Vorschein. Seine Augen waren durch und durch weiss, als würde es keine Pupillen haben.

Mit einer raschen Bewegung schleuderte der Hüne ihn gegen die Wand. Benommen und halb in der Finsternis versunken nahm er Entfernt ein Schreien und Kreischen war, das sich wie die Prinzessin anhörte.

NEIN!!!

Er versuchte sich wieder aufzurichten, um die Verfolgung aufzunehmen. Vergebens. Seine Glieder gehorchten ihm nicht. Er konnte noch die Anwesenheit des Hünen spüren, die jedoch immer schwächer wurde. Erst als die Präsenz nicht mehr spürbar war, kam die gesamte Kraft zurück. Doch es war zu spät. Der Hüne war bereits mit der Prinzessin verschwunden.

Kapitel 2: Die Jagd beginnt

Der dunkle Assassine trieb sein Pferd zu Höchstleistungen an. Er wollte so schnell wie Möglich im Schwarzdorn ankommen, um dieses plärrende Gör bei seinem Meister abzuliefern. Er wusste nicht, was er mit dem Gör vorhatte, interessierte ihn auch herzlichst wenig. In seiner Branche hat man keine Fragen zu stellen, sonder Befehle auszuführen.

»Lass mich frei«, forderte die Prinzessin, die wie ein zusammengerolltes Zelt auf dem Pferd lag.

Statt auf ihre Forderung einzugehen, gab er seinem Pferd die Sporen.

»Lass mich sofort frei, dann werde ich ein gutes Wort für dich einlegen, damit dein Tod weniger grausam sein.«

Aus dem Lederbeutel an seinem Beutel kramte er ein Dragee heraus und steckte es in ihren Mund. Trotz ihrer Bemühungen und ihrer Wehr, konnte sie die übermenschlicher Kraft ihren Kiefer zuhalten, sodass die Wirkung des Dragees einsetzen konnte. Erst als die Prinzessin sich nicht mehr rührte, nahm er seine Hand von ihrem Mund. Er verfluchte sich, weil er nicht gleich daran gedacht hatte.

 

Als Leander wieder zu sich kam, erzählte er, was vorgefallen war. Zwar hatte er das Geschenk, das die Prinzessin ihm gemacht hatte, verschwiegen, genau wie die Tatsache, das er auf ihren Hintern geklotzt hatte, aber ansonsten wussten der Fürst und seine Bediensteten und die wenigen Offiziere im Thronsaal über die Ereignisse. Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Fürst ihn an. Er konnte nicht glauben, was er zu hören bekam. Seine Tochter, entführt? Von einem dunklen Assassinen?

Leander hatte erwartet, dass der Fürst ihn für die Unfähigkeit, seine Tochter zu beschützen, bestrafet. Doch dem war nicht so.

»Ich mache mich auf dem Weg machen ein Suchtrupp zusammen zu stellen«, ergriff der Feldmarschall das Wort.

»Das werdet Ihr nicht«, widersprach der Fürst. »Kommandant Gandor wird das übernehmen. Ihr habt nach wie vor die Aufgabe neue Gardisten zu rekrutieren.«

»Jawohl, Sire«, biss der Feldmarschall die Zähne zusammen. Seine wutentbrannte Augen warfen ihm einen zornigen Blick zu, eher er sich verzog.

»Ich werde mich der Suche anschliessen, wenn es euch recht ist, verehrter Onkel«, trat Neal vor.

»Ich möchte mich auch anschliessen«, meldete sich auch Chavo, des Fürsten Leibwache, zu Wort.

»Ihr beide habt meinen Segen«, nickte der Fürst.

»Auch ich schliesse mich an«, sagte Leander.

»Wirst du nicht, Schatten«, wehrte Gandor ab.

Neal zog Gandor einige Schritte zur Seite und sagte ihm: »Er weiss, wie der Dunkle aussieht. Er kann uns noch vom Nutzen sein.«

»Er ist noch zu unerfahren und noch kein Mitglied er Garde.«

»Dann lass ihn die Erfahrung machen. Ich denke er hat genug Ambition für diese Aufgabe. Und ausserdem können wir jede Hilfe gebrauchen die wir kriegen können. Glaube mir, ich will meine Base in möglichst schnell und möglichst unversehrt zurückhaben.«

Gandor warf einen prüfenden Blick zu dem Schatten. Er bezweifelte, dass dieser Grünschnabel eine Hilfe sein könnte. Aber andererseits hatte er Mut und Stärke in der Schlacht gezeigt und kann noch atmen und stehen.

»Nun gut«, entschied sich Gandor, der nach wie vor seine Zweifel hatte. »Du kommst mit. Aber wehe du baust Mist.«

»Danke sehr«, kniete Leander nieder und senkte seinen Haupt.

»Ich werde noch jemanden dazu holen, die wir gut gebrauchen könnten.«

»Du denkst an deinen Bruder und seinen Handelspartner?«

»Sehr Richtig.«

 

»Ist das alles? Mehr hast du nicht zu bieten?«, fragte Mateo skeptisch. »Ich bin von die enttäuscht. Von dir bin ich bessere Ware gewohnt.«

»Es sind schwierige Zeiten«, erklärte Tyson seinem Geschäftspartner.

Es war nicht so, dass er als Jäger faul geworden war, sondern dass er als Reservegardist derzeit nicht die Festung verlassen durfte. Da er derzeit keine bessere Ware im Besitz hatte und ihm nicht gestattet war die Festung zu verlassen, war er gezwungen dem Händler Mateo dieses billige Produkt anzubieten.

»So sehr ich dich verstehen kann, kann ich von dir keine mangelhafte Ware abkaufen. Was soll denn meine Stammkundschaft denken, wenn ich ihnen für den selben Preis ein schlechteres Produkt anbiete?«

»Ich verlange dafür auch nur denn halben Preis. Du könntest doch daraus ein Fussabtreter basteln und es einigen Schatten verjubeln. Sie brauchen doch keinen Luxus«, zwinkerte Tyson ihm lächelnd zu und hoffte, dass er trotz der niedrigeren Qualität die Ware nehmen wird.

»Nun gut«, stimmte Mateo schliesslich ein. »Aber das tu ich nur, weil du es bist. Das nächste mal will ich die gewohnte Qualität haben. Verstehen wir uns?«

»Natürlich«, freute sich Tyson, dass er wieder an Dukaten kommen konnte.

Als die beide den Handel vollendet hatte, klopfte es an Tyson’s Tür.

»Erwartest du jemanden?«, wollte Mateo wissen.

»Nein. Du?«

Als Tyson die Tür öffnete, erblickte er seinen Bruder Gandor in Begleitung von Neal Gomez.

»Gut das ihr beide hier seid«, begrüsste Gandor ihn und dessen Gast.

»Was ist los?«

»Meine Base wurde entführt und wir stellen ein Suchtrupp zusammen«, antwortete Neal statt Gandor.

»Was?«, schoss es aus Tyson und Mateo wie aus einem Mund.

»Es war ein dunkler Assassine. Wir müssen uns beeilen.«

 

Auf dem Weg zum Plateau erzählte Gandor in kürze, was vorgefallen war. Tyson hatte kaum die Zeit gefunden in seine Uniform zu schlüpfen. Stattdessen trug er die Plattenrüstung über sein feines, rotes Hemd.

»Und du glaubst ihm?«

»Er hat kein Grund zu lügen. Und wenn doch, dann weiss er auch, was ihn zu erwarten hat.«

»Die Mienen«, murmelte Tyson vor sich hin,

»Sehr Richtig«, pflichtete Gandor ihm bei.

Als den Garten der Prinzessin, und somit das Plateau, erreichten, warteten schon Leander und Chavo auf die Truppe.

»Können wir endlich los?«, drängte Leander.

»Du bist viel zu ungeduldig«, mahnte der Kommandant. »Wir sollten nie etwas überstürzen. Dies führt für gewöhnlich zu Versagen. Und bei dieser Sage können wir uns kein Versagen leisten. Du musst lernen damit umzugehen.«

Leander biss sich die Zähne zusammen und zwang sich zu einem Nicken. Obwohl ihm immer wieder eingedrillt wurde, dass er mit einem »Jawohl«, zu antworten, konnte er dieses eine mal nicht antworten.

»Siehst du schon was?«, wandte sich Gandor an seinen Bruder, der sich die Fussspuren genauer untersuchte.

»Hier sind die Abdrücke des Dunklen«, deutete er mit dem Finger auf den Boden.

»Hier sind dutzende Gardisten marschiert«, meinte Chavo halb skeptisch, halb interessiert. »Woher willst du denn wissen, dass die Abdrücke des Dunklen dabei sind?«

»Schau es dir mal genauer an«, bat der Jäger ihn. Chavo folgte seiner bitte. »Die Abdrücke sind tiefer und grösser, als die der unseren Stiefel. Ausserdem sind die Strukturen anders, als die der unseren.«

Um für Chavo einen Vergleich zu bekommen, stampfte Tyson seinen Stiefel neben den des Dunklen.

»Alles klar«, nickte Chavo, von dem die Skepsis abgefallen zu sein schien.

Die Truppe folgten den Spuren bis zur Treppe und weiter hinab, wo sich die Abdrücke des Dunklen durch die eines Pferdes ersetzt wurden. Tyson folgte mit den Augen in die Richtung, in die die Spuren liefen.

»Sieht aus, als ob der Dunkle nach Reddok gezogen sei«, meinte Tyson schliesslich.

»Dann sollten wir keine Zeit verlieren«, trieb Gandor die Gruppe zur eile an.

 

Die Schritte hallten durch den grossen, fast leeren Saal. Die Stiefel aus gehärtetem Leder schritten zielstrebig zum Thron, vor den der Träger stehen blieb. Die dürre und blasse Gestalt des Totenpriesters, wurde von Schatten verhüllt und wirkte dadurch durchsichtiger, als er es tatsächlich war.

»Ich habe dich nicht so früh erwartet, Sagat«, krächzte die schwache Stimme.

»Ihr wisst, dass ich meine Aufträge schnell und präzise erledige, eure Eminenz«, hallte die tiefe Stimme Sagat’s, der auf den Hintern des Görs auf seiner Schulter klatschte,

»Dar Sarkophag ist noch nicht bereit«, verkündete der Totenpriester. »Ich brauche das Lebenselixier der Menschen. Dank dir haben wir genug Freiwillige, die sich mir zur Verfügung gestellt haben. Nur noch wenige Nächte, dann hab ich genug Kraft, um mich aus dem Bann zu befreien.«

Geduldig hörte Sagat seinem Meister zu und wartete auf weitere Oder.

»Da das Gör nicht Jungfräulich sein muss, kannst du noch deinen Spass haben, bis der Sarkophag bereit steht«, verkündete der Totenpriester schliesslich.

Ein Lächeln voller freudiger Erregung zeichnete sich auf dem tätowiertem Gesicht, als dieser den Saal verlies. Ohne sich nochmals zum Totenpriester umzublicken, wusste er, dass sein Meister mit dem Schatten verschmolz und nicht mehr auf dem Thron zu sehen war.

Kapitel 3: Reddok

Leander stocherte mit dem Stock einem Stock in der Glut des Lagerfeuers. Es missfiel ihm, das Gandor eine Rast beordert hatte. In einer Waldlichtung hatte die Gruppe ihr Lager aufgeschlagen. Mateo, der Händle, war der einzige, der in das Dorf geritten war, um sich dort umzuhören. Auch wenn Leander den Zug nachvollziehen konnte, da nicht überall die Uniformierte gern gesehen waren, konnte er das Warten nicht abhaben. Er musste etwas unternehmen, es musste was geschehen. Schliesslich ist er nicht zu Garde gegangen, um auf einer Waldlichtung am Lagerfeuer zu sitzen, obwohl er von einigen gehört hatte, dass die genau wegen dem bei der Garde waren.

»Wann werden wir endlich aufbrechen?«, wollte Leander wissen. Er versuchte seine Stimme ruhig zu halten, konnte die Ungeduld aber nicht verbergen.

»Erst wenn Mateo wieder zurückkehrt und uns Bericht erstattet«, antwortete Gandor ruhig. »Vorher können wir nichts machen, da ansonsten wir unser Ziel nicht erreichen werden.«

»Ich trage die Uniform nicht, weil man darin gut faulenzen kann.«

Der Kommandant lachte auf. Auch in den Gesichtern der anderen war ein Anflug von Lächeln zu erkennen.

»Wenn du die Uniform lange genug tragen wirst, wirst du solche Momente herbeisehnen«, antwortete Gandor väterlich. »Du wirst noch viele Schlachten schlagen und viele Übungen absolvieren um in den Schlachten zu überleben. Du bist noch jung. Du spürst es noch nicht. In ein paar Jahren wirst du jeden Knochen und jeden Muskel spüren. Da wirst du dich an Zeiten wie diesen zurücksehnen.«

»Aber im Grunde hat er recht«, meldete sich Tyson zu Wort. »Es geht hier um Leben und Tod der Prinzessin. Da können wir doch nicht gemütlich vor uns her träumen«

»Wenn wir die Suche überstürzen und jedem die Klinge an den Hals legen würden, wären die dunkeln Assassinen aufgescheucht und die Prinzessin wäre zum Tode verurteilt«, gab Gandor zu bedenken. Da keiner eine Antwort parat hatte, nahm Gandor dies als Bestätigung wahr.

Leander verzog grimmig das Gesicht, wollte aufspringen, denn Kommandanten anschnauzen, herumtoben. Doch er riss sich zusammen, da es ihm bewusst war, dass es ihm mehr Schaden würde, als es je nutzen konnte.

»Du magst die Prinzessin sehr, wie?«, schien Tyson in ihm lesen zu können wie in einem offenem Buch.

Leander zog die Luft tief durch die Nase, als er seinen Blick zu dem Jäger warf, gab aber keinen Ton von sich.

»Ja, du magst sie?«, grinste Tyson ihn an. »Wenn die Prinzessin befreit ist, wirst du ihr das gefälligst sagen. Hast du mich verstanden?«

Leander's Hände zitterten nervös. Es schien so, als ob der Jüngling mit dem Gedanken spielte würde aufzustehen und fortzulaufen, um von diesem unangenehmen Gespräch zu fliehen.

»Wovor hast du denn solch große Angst?«, fragte Tyson.

»Davor, dass sie mich nicht so sehr mag, wie ich sie«, gestand Leander, dem diese Tatsache nun zum ersten mal selbst bewusst wurde. Die Erkenntnis schien ihn wie ein kalter Schlag getroffen zu haben. Denn nie hatte er auch einen Hauch eines solchen Gedankens zugelassen

»Das ist nun mal das Risiko, das die Liebe nunmal mit sich bringt«, antwortete Tyson.

»Ich kann mich noch erinnern, wie es war, als ich meine Frau traf«, beteiligte sich nun Chavo am Gespräch. »Als ich sie damals für ein Abendessen einladen wollte, dachte ich, dass mein Herz versagen und ich auf der Stelle tot umfallen würde, eher die ersten Worte meine Lippen verlassen würden. Schliesslich hatte ich meinen gesamten Mut zusammengenommen und sie gefragt. Und sie hatte zugestimmt. Beim Abendessen hatte ich mich wie ein echter Volltrottel benommen, weil ich nicht Fähig war meine Nervosität unter Kontrolle zu bekommen. Und nun bin ich mit ihr seit über zehn Jahren verheiratet. Glaub mir, Leander, das wird sich niemals legen. Wenn du eine Frau liebst, wirst du dich immer wie ein Dorftrottel benehmen, weil du nicht weisst, wie du sie beeindrucken sollst.«

Leander sah die beiden Männer an, die über Leander’s innere Welt besser zu kennen schienen, als er selbst.

»Was, wenn sie mich doch nicht mag, wie ich es gern würde?«, war Leander nach wie vor verzweifelt.

»Dann würde sie nicht so oft von dir reden«, antwortete Neal.

»Wie meint Ihr das?«, wurde Leander hellhörig.

»Wenn ich mit meiner Base alleine bin, redet sie oft von dir. Sie fragt ständig nach dir, wie es dir geht, ob du eine Frau an deiner Seite hast. So was eben. Ich glaube, sie hat sich in dich verguckt«, meinte der Vetter der Prinzessin nachdenklich. »Und ich würde mich freuen, wenn du in meine Verwandtschaft kommen würdest.«

Leander konnte kaum glauben, was er zu hören bekam. Sein Herz raste vor Freude. Doch allmählich beschlich ihn das Gefühl auf den Arm genommen worden zu sein. Beschämt blickte er zu Boden und wünschte sich, dass das Thema gewechselt wird.

Leander glaubte, dass die Götter ihn erhört haben musste, da im selben Augenblick der Händler zurück zur Gruppe kam.

»Was hast du zu berichten?«, fragte Gandor.

Das Thema über Leander und seiner inneren Welt waren vergessen.

»Ich habe mich umgehört. Die Leute hier scheinen nicht sehr gesprächig zu sein. Aber ich habe mehrmals denn Begriff Schwarzdorn aufschnappen können.«

»Schwarzdorn?«, war die verblüffte Reaktion der Gruppe.

»Was ist Schwarzdorn?«, Leander war der einzige, der nichts mit dem Begriff anzufangen wusste.

»Schwarzdorn ist, oder viel mehr war, die Burg des Totenpriesters Lucor«, antwortete Chavo ernst dreinblickend.

»Und wer zur Hölle ist Lucor? Und wieso Totenpriester?«

»Lucor war einst ein Berater des Fürsten, bis er sich der Dämonenbeschwörung zuwandte. Er wurde dafür gehängt«, erklärte Chavo weiterhin.

»Wann war das?«

»Wir haben jetzt keine Zeit dafür«, beendete Gandor Leander's Befragung. »Konntest du noch was herausfinden, Mateo?«

»In der Gaststätte ’Zum weissen Gargoyle’ sitzt ein gewisser Berserker, denn wir gut gebrauchen könnten.«

»Orlando Gaan? Was zur Hölle macht er in Reddok?«

»Das kannst du ihn selbst fragen, Gandor«, erwiderte der Händler.

 

Als die Gruppe die Gaststätte betraten, kam ihnen ein Schwall süßlichem Duft entgegen. Gegenüber dem Eingang war die Theke mit einer Durchreiche zur Küche. Links und rechts vom Eingang befanden sich Sitznischen für die hungrigen und durstigen Gäste. Die Kellnerinnen waren mehr als nur freizügig. Ihre Kleidung bestand nicht mehr als aus einem feinen Lendenschurz, der beinahe durchsichtig wirkte, und einen Oberteil, das gerade mal das nötigste bedeckte.

»Ist das eine Gaststätte oder ein Bordell?«, dachte Neal laut nach.

»Alles was ihr wollt, ihr Süssen«, tauchte eine der Kellnerinnen neben ihnen auf. Ihre dunklen, lockigen Haare umrandeten ihr wohlgeformtes Gesicht. Die dunklen Lidschatten betonten zwar ihre Augen und passten zu der schwarz-roten Kleidung, konnten den offensichtlichen Schmerz darin, der ihr Beruf mit sich brachte, nicht gänzlich retuschieren.

»Mein Name ist Luna. Wie kann ich euch behilflich sein?«, fragte die Kellnerin.

»Wo finden wir Orlando Gaan?«, übernahm Gandor das Wort.

»Ich muss euch enttäuschen. Er steht auf Frauen und nicht auf Jungs«, lächelte sie belustigend.

»Ihr versteht es falsch, holde Meid. Er ist ein Mitglied der Garde. Und er hat gefälligst zum Dienst zu erscheinen«, versuchte Gandor die Sache richtig zu stellen.

»Ich kann euch keine Auskünfte geben«, meinte Luna kopfschüttelnd. »Die Vorschrift des Hauses.«

Gandor und Neal tauschten für einen kurzen Moment die Blicke, eher Gandor wieder das Wort übernahm: »Was verlangt ihr für diese Information? Was können wir tun, um herauszufinden, wo sich Orlando befindet?«

Luna stemmte ihre Hände gegen ihre Hüfte und rollte ihre Augen nachdenklich nach oben.

»Ihr seit von der Garde, richtig?«

»Sehr, richtig«, nickte Gandor.

»Dann könnt ihr sicherlich Orlandos Schulden begleichen, die er hier hat?«

»Wie viel?«, verfinsterte sich Neal's Mine, der nicht sonderlich froh war das Geld seines Onkels für einen Nichtsnutz wie Orlando zu verschwenden.

»Fünfhundert Dukaten.«

»Wie viel?!«, schoss es aus Neal und Gandor wie aus einem einzigen Mund.

»Ihr habt recht gehört. Fünfhundert Dukaten.«

Neal und Gandor traten einige Schritte zurück, um die Lage zu besprechen.

»Wie viele Münzen habt ihr dabei?«, fragte Gandor in die Runde.

Nachdem sie das Geld rausgeholt hatten und gezählt hatten, gaben sie es Gandor, der wieder zur der Kellnerin kam.

»Wir können euch für den Moment gerade einmal vierhundert geben«, sagte Gandor. »Wenn wir wieder kommen, werdet ihr noch einmal den selben Betrag erhalten.«

»Wie kann ich sicher sein, dass ihr wieder zurückkehrt?«

Die Gardisten hatten keine Antwortet darauf. Doch Leander hatte eine Idee, die ihm selbst nicht gefiel. Er biss die Zähne zusammen und überwand sich die Kette mit dem Saphir vom Hals zu nehmen und es der Kellnerin anzubieten: »Es hat für mich einen sentimentalen Wert. Ich werde es mir zurückholen.«

Mit großen Augen nahm Luna die Kette an sich und sagte: »Er ist oben im hintersten Raum.«

 

In einem Schlafraum des weißen Gargoyle sass der breitschultriger Mann auf einem Stuhl. Nur die hinteren Beine hatten Bodenkontakt, da die Füsse des Mannes auf dem Tisch ruhten.

»Leutnant Gaan«, schrie Gandor ihm ins Ohr.

Orlando machte seine Augen auf, ohne sich die Mühe zu machen sich schnell aufzurichten um zu salutieren.

»Was gibt’s?«, gähnte er gelassen.

»Du wirst gebraucht«, antwortete Gandor mit vor Wut gezeichneter Stimme. Am liebsten würde er dem Leutnant einige Tage in den Kerker schmeissen, dafür, dass der sich ein schönes Leben auf Kosten des Fürsten machte. Doch für den Moment gab es wichtigere Angelegenheiten.

»Und für was, wenn ich fragen darf?«

»Wir sind auf der Suche nach dem Entführer der Prinzessin.«

»Die Kleine ist einfach getürmt«, winkte Orlando ab. »Wenn man so einen Sack wie unseren, ach so geliebten Fürsten zum Vater hat, ist es auch nicht verwunderlich.«

»Sie ist nicht getürmt. Sie ist tatsächlich entführt worden.«

Mit einer hochgezogener Augenbraue sah Orlando den Kommandanten an.

»Kurz nach der Schlacht mit einigen Banditen tauchte einer der dunkeln Assassinen auf und nahm die Prinzessin mit.«

»Wir hatten eine Schlacht?«, sprang Orlando auf. »Verdammte Scheisse. Und keiner sagt mir was?«

»Wenn du im Drachenauge gewesen wärest, hättest du einige Köpfe einschlagen können.«

»Moment Mal. Hast du eben was von dunkeln Assassinen gesagt?«

»Das hab ich. Wirst du mit auf die Suche gehen?«

»Verfluche Scheisse, ja«, strahlte Orlando über das ganze Gesicht. »Wann geht die Schlacht los?«

»Nicht so hastig«, dämpfte Gandor ihn ein. »Erst müssen wir einen Weg in die Burg Schwarzdorn finden.«

»Schwarzdorn?«, rollte der Orlando nachdenklich die Augen nach oben. »Ich kenne da zufälligerweise einen Geheimgang.«

»Was?«, sah Gandor den Berserker ungläubig an.

»In der Zeit als Söldner hatte mich ein schmieriger Sack beschäftigt, der einen Zugang zum Schwarzdorn hatte. Der blöde Bastard hatte nicht den Anstand gehabt mich richtig zu bezahlen. Geschweige Weiber zu geben.«

»Führe uns zum Geheimgang.«

»Geht nicht«, erwiderte Gaan.

»Und warum nicht?«

»Weil der alte Bastard denn Schlüssel hat.«

»Du könntest doch zu ihm gehen und dich wieder von ihm anheuern lassen«, schlug Gandor vor.

»Geht nicht. Bei unser letzten Begegnung hab ich ihm die Nase gebrochen.«

»Und er lebt noch?«, wunderte sich Gandor.

»Leider ja«, knirschte der Leutnant mit den Zähnen. »Wenn die Stadtwache nicht aufgetaucht wäre, dann wäre nicht viel von diesem Hundesohn geblieben.«

»Wo kann ich ihn finden?«

Orlando griff nach der, auf dem Tisch liegende Karte der Siedlung, und zeigte mit dem Finger auf ein Haus ausserhalb der Siedlung.

»Ich werde mich darum kümmern«, verabschiedete sich Gandor und ging wieder zurück zur Gruppe.

Kapitel 4: Aufbruch zum Schwarzdorn

Ein Wanderer, der sich diese Pfade im Wald aussucht, würde die Hütte nicht als solchen erkennen. Stattdessen würde der Wanderer nur Ranken und Efeu sehen. Nur wenn man genau hinsah konnte man dieses auch als eine Hütte erkennen, die sich verstand mit der Umgebung zu verschmelzen.

»Bist du dir sicher, dass es hier ist?«, fragte Tyson seinen Bruder skeptisch.

»Das ist die einzige Hütte weit und breit.«

»Hätte ja sein können«, zuckte Tyson mit den Achseln. »Orlando ist ja nicht gerade für seinen Orientierungssinn bekannt.«

»Wollen wir endlich weiter, oder wollt ihr zwei weiter debattieren?«, mischte sich Neal ein. »Ihr könnt ja die zweite Option wählen. Ist ja nicht so, dass das Leben meiner Base auf dem Spiel steh.«

Ohne die Antwort abzuwarten klopfte Neal an der Tür und wartete vergebens auf eine Reaktion.

»Vielleicht ist er nicht zuhause«, überlegte Chavo laut.

»Oder er will schlichtweg nicht aufmachen«, holte Neal sein Bein für einen Tritt aus. Statt wie erwartet die Tür zu treffen, landete die Fusssohle im Bauch des alten Mannes, der diese soeben aufgemacht hatte.

Vor Schmerzen stöhnend klappte der Alte zusammen.

»Er ist also doch zuhause«, konnte sich Chavo den Spruch nicht verkneifen.

»Bist du Darius?«, fragte Gandor, ohne auf dessen Schmerzen acht zu nehmen.

»Wer zum Teufel seit ihr?«, röchelte der Alte.

»Bist du Darius?«, wiederholte sich Gandor.

»Das ist mein Name«, nickte der Alte, dessen Schmerzen nachzulassen schienen.

»Wir haben einen gemeinsamen Freund, der behauptet, dass du bei unserem Problem helfen könntest.«

»Doch nicht etwa den schmierigen Geldeintreiber Xanatos? Sagt dem Bastard, dass ich ihm das Geld erst nächste Woche bringen kann.«

»Wer ist Xanatos?«, fragte Tyson seinen Bruder, der genau so ahnungslos war.

»Wir reden von Orlando Gaan«. meinte Gandor zu Alten. »Kommt dir sicherlich bekannt vor.«

»Diese Huren prellende Schädelspalter, den nichts interessiert, als die Schnapsflasche in der Hand und das nächste Weib in seinem Bett?«

»Hört sich nach ihm an«, packte Neal den Alten am Kragen und drückte ihn unsanft gegen die Wand.

»Was fällt euch ein in mein Heim einzudringen und mich zusammenzuschlagen? Was glaubt ihr eigentlich, was ihr seid?«

»Wir sind di imperiale Garde. Wir haben immer das Recht in Häuser einzumarschieren, wenn Gefahr für die Fürstenfamilie oder die Bevölkerung besteht. In diesem Fall seit Ihr ein wichtiger Hinweis auf den Verbleib der Fürstentochter. Wenn Ihr heil aus der Sache kommen wollt, dann bitte ich Euch um eure Kooperation. Was sagt ihr dazu?«, drohte Neal ihm.

»Die Tochter des Fürsten ist entführt?«, schien der Alte sichtlich überrascht zu sein. »Dann wird sie nicht mehr lange Jungfräulich bleiben, wenn sie es überhaupt noch war. Am Leben wird sie erst recht nicht bleiben. Dann wird ihr geliebter Herr Papa, dieser nichtsnutziger Bastard, sie aus irgendeinem Loch ausbuddeln müssen.«

Bei diesen Worten verlor Neal die Beherrschung und drosch auf den Alten ein, dessen schmerzverzehrter Schrei in der Hütte schalte. Nur mit müh und not konnten die Gebrüder Bennet ihn davon abzuhalten den Alten zu erschlagen.

»Der Entführer war einer der dunklen Assassinen«, kniete sich Gandor zum Alten nieder.

Er vermochte nicht zu sagen, ob der Alte sein geprelltes Gesicht vor Schmerz verzog, oder ob es ein Zeichen dafür war, dass die Prinzessin am Arsch war.

»Du kennst den Weg zum Schwarzdorn?«, fuhr Gandor fort.

»Gewiss, aber euch werde ich ihn sicherlich nicht zeigen.«

»Um warum nicht?«

»Ihr dreckigen Gardisten seid in mein Heim eingedrungen und mich zusammenschlagen. Warum sollte ich euch Mistkerlen helfen?«

»Eine Beleidigung der Beschützer des Volkes. Was meinst du Ty, wie viele Monate muss er im Kerker verbringen, um diese Sünde abzusitzen?«

»Zu viele für einen alten Mann wie ihn. Ausserdem hat er eine Falschaussage gemacht. Oder kannst du dich daran erinnern, wie wir in sein Heim eingedrungen sind und ihn verletzt haben?«, gab Tyson zurück.

»Ihr dreckigen Bastarde«, fluchte der Alte vor sich hin. »Nie hat man Ruhe vor euch,«

»Wirst du uns nun zum Schwarzdorn bringen, oder nicht?«

»Was wollt ihr dort überhaupt? Wisst ihr denn nicht, dass das Schwarzdorn eine Hochburg der Dunklen ist?«

»Und deswegen müssen wir dorthin. Und wir wissen, dass ihr den Weg kennt. Werdet ihr uns helfen, oder sollen wir dir eine Kur im Kerker organisieren?«

Knurrend wandte der Alte seinen Kopf weg und schien den Wandschrank anzusehen.

»Rede, alter Mann, sonst...«, drohte Neal.

Die Gruppe versammelt sich um den Alten und zogen ihre Klingen. Alle, bis auf Leander, der zum Wandschrank ging und es öffnete. Bis auf ein paar wenige Kleidungsstücke, die er mit dem Schwert zur Seite schon, war dieser leer.

»Wird’s bald?«, knurre Neal, als er sein Schwert dem alten an die Kehle drückte.

»Leute«, rief Leander seinen Kammeraden zu.

»Was?!«, schnauzte Neal ihn an, als er seinen Kopf ihm zuwandte. Leander stand an der geöffneten Schranktür und deutete hinein.

»Der Jüngling schein klüger zu sein, als ihr alle zusammen«, konnte der Alte diesen Seitenhieb nicht verkneifen. Mit einem kräftigem Schlag ins Gesicht, beförderte Neal den alten in die Bewusstlosigkeit.

»Musste das sein?«, fragte Gandor.

»Ja«, knurrte Neal und marschierte zur Geheimtür.

Überraschenderweise öffnete diese widerstandslos. Dahinter verbarg sich eine Treppe, die ein halbes Stockwerk in den Keller führte, die mit einer weiteren Tür endete. Bei näheren Betrachtung konnte man schnell erkennen wie morsch die Tür war. Mit zwei, drei wütenden Tritten konnte Neal daraus Kleinholz machen.

»Wollt ihr warten, oder folgt ihr mir?«, fragte er mit gedämmter Stimme.

Die sechsköpfige Gruppe folgte der Treppe hinab zum Korridor mit Wänden aus grob gehauenem Backstein. Alle zehn Schritte hing eine Fackel an der Wand. Neal griff nach einer unbenutzten Fackel und entzündete es am flackernden Stumpf der nächsten Fackel. Geduldig wartete er ab, bis sich die Flammen auf die teergetränkte Stofffasern übersprangen und zu feurigen Leben erwachte.

Als sie ihren Weg weiter beschritten, kamen sie an vergitterten Alkoven vorbei, die mit missgestalteten Kreaturen, die nur entfernt an Menschen erinnerte, bewohnt waren. Einigen fehlte es an Armen oder Beinen. Andere waren mit Beulen übersät und hatten aufgekratzte Haut. Die Kreaturen zeigten ihre Reißzähne, als sie die Gruppe anknurrten.

»Grund Gütiger«, hielt sich Mateo die Hand vor Mund und Nase. »Wo zur Hölle sind wir da geraten.«

»Eben da«, kommentierte Chavo mit der selben entsetzten Miene.

»Sind diese Krankheiten übertragbar?«, wollte Leander wissen.

»Ich denke nicht«, schüttelte Tyson den Kopf. »Zumindest hoffe ich es.«

Am Ende des Korridors glaubte Leander einen Mann im Schatten zu sehen, der in einem dunklen Habit gehüllt war. Sein Hand griff nach dem Schwertknauf.

»Was ist los?«, fragte Chavo ihn.

Leander ließ nicht den Blick von dem mysteriösen Schatten. Chavo folgte seinem Blick und griff ebenfalls nach seinem Schwert. Der Fremde streckte seine Arme nach der Gruppe aus und ballte schliesslich seine Hände zu Fäusten. Wie aus Geisterhand öffneten sich die Gittertüren. Die missgestalteten Kreaturen schlenderten aus ihren Alkoven auf die Gruppe zu. Ihre hungrigen Augen sahen sie lüstern an. Ihre Münder gingen gurgelnd auf.

Neal warf die brennende Fackel in die Menge hinein und zog im gleichen Atemzug sein Schwert. Einige der Kreaturen gingen schmerzschreiend in Flammen auf, rannten ziellos hin und her, eher sie kraftlos zusammenbrachen. Im Licht der Flammen, die neue Nahrung gefunden hatte, tanzten die riesigen Schatten der angreifenden Kreaturen gespenstisch auf den Wänden.

Die glattpolierten Klingen glitzerten im Schein des Feuers orangen, als sie den den Weg in die Leiber suchten und sich rot färbten. Leander durchtrennte einem die Kehle und duckte sich sogleich unter dem Hieb einer weiteren Kreatur, dem Leander sogleich in die Brust stach. Er drückte ihn in die Menge der anderen missgebildeten Kreaturen. Einige landeten in den Flammen der ihre Artgenossen längst aufgefressen hatte.

Neal machte einen der Missgestalten einen Kopf kürzer, der sich an Leander von hinten genähert hatte. Verwirrt sah Leander dem wegfliegenden Kopf der zusammensackenden Kreatur nach. Nach dem er sich wieder gesammelt hatte, nickte er Neal zum dank zu. Neal näherte sich ihm schnellen Schrittes und schwang sein Schwert, und verfehlte Leander's duckenden Kopf nur um Haaresbreite. Als der sich wieder aufrichtete, nahm er sein Schwert, und führte seine Klinge elegant an seinem eigenem Torso vorbei, nur um im Körper des Missgebildeten zu versinken, dass sich an ihn angeschlichen hatte. Im selben Schwung, als er seine Waffe aus dem Körper zog, schlug er den Arm eines weiteren Kreatur weg, der mit Tyson beschäftigt war.

»Denn hätte ich mit links gepackt«, rief Ty ihm zu.

»Rede keinen Scheiss«, rief Gandor ihm zu, der Rücken an Rücken mit Mateo stand und die Kreatur abwehrte.

Einer der Kreaturen sprang auf Leander zu und schlug ihm das Schwert aus den Händen. Das es sich die Hand aufschlitzte und das Blut aus der Wunde herausfloss, schien der Kreatur nicht aufzufallen.

Als Leander denn ersten Schock überwand, eilte er zur seiner Waffe und stiess dabei die ihm im Weg stehenden Kreaturen zur Seite. Kaum hatte er das Schwert erreicht, zerrte ihn ein Missgebildeter zurück. Mit Ellenbogen und Fäusten schlug er sich wild um sich. Ein kräftiger Schlag auf den Kopf ließ ihn schlaff werden. Ein Nebelschleier bildete sich vor seinen Augen. Er konnte noch erkennen, dass es seinen Kammeraden ähnlich erging.

Eine gross gewachsene Gestallt bannte sich den Weg durch die Horde der missgebildeten Kreaturen. Ehrfurchtsvoll schritten die Kreaturen zurück, als der Hüne seinen Weg suchte. Der Hüne blieb vor Leander's Schwert stehen. Er richtete seine weit geöffnete Hand nach der Waffe. Wie durch Geisterhand schwebte das Schwert in dessen Hand, als gebe es keine Schwerkraft.

»So sieht man sich wieder, junger Bastard«, sprach der Hüne Leander an.

Er spürte sein eigenes Schwert an seiner Kehle. Sein Herz raste. Kalter Schweiss bildete sich auf der Stirn. Er schluckte schwer und war bereit sein Schicksal zu akzeptieren.

»He, Bimbo«, rief Neal ihm zu, der sich endlich von den Kreaturen befreien konnte.

Der dunkle Assassine sah überrascht zu ihm um und eher er sich versah, warf Neal sein Schwert auf ihn zu. Geschickt wich der Hüne aus, doch das fliegende Schwert riss dem Assassinen die Waffe aus der Hand.

Neal rannte auf ihn zu, nahm die leblosen Kreaturen auf dem Boden als Sprungschanze und traf mit beiden Stiefeln die Brust des Hünen, der sein Gleichgewicht verlor und nach hinten taumelte eher er zu Boden stürzte. Neal wälzte sich zur seiner Waffe, sprang auf und hackte der Kreatur, die Leander im Griff hatte, im selben Schwung den Kopf ab.

»Wo ist die Prinzessin?«, richtete er sich brüllend dem Hünen zu.

»Nur über meine Leiche werdet ihr es erfahren!«, brüllte der Assassine zurück.

»Mit vergnügen«, ging Neal auf den Assassinen los, der überraschenderweise mit dem Dolch parierte. Das die Assassinen schnell waren, war allgemein bekannt. Doch das sie schneller waren, als das Auge sehen konnte, war selbst ihm neu. Er hatte Mühe denn Assassinen auf die Knie zu zwingen, auch wenn er es ihm kurz zuvor, Dank der Überraschung, gelang.

Sagat stiess ihn mit einem Fusstritt von sich. Der Kommandant sprang wieder auf ihn zu und versuchte sein Schwert in den Unterleib seines Gegners zu rammen, der mit einem eleganten Schwung mit dem Dolch abwehrte. Der Stoss war stark genug um Gandor um die eigene Achse drehen zu lassen. Aus dem Schwung heraus versuchte er erneut einen Treffer zu landen. Der Dunkle wich geschickt aus. Neal's überraschtes Gesicht verriet, dass er nicht erwartet hatte, dass er mit einen so schweren Gegner zu tun bekommen würde. Nun war der Assassine bereit für einen Gegenangriff und hab seinen Dolch in die Höhe seines Kopfes. Neal tat es ihm gleich und beide Gegner liefen auf einander zu. Der Gardist erkannte zu spät dass der Dunkle seinen Dolch warf und anschließend wegrollte. Der Dolch streifte Neal's linke Augenbraue und Stirn. Blut spritzte aus der klaffenden Wunde. Vor Schmerzen schrie er auf. Die restlichen Gefährten gingen nun alle auf einmal auf den Assassinen los. Mit einer scheinbar leichten Handbewegung schleuderte der Dunkle die Gruppe durch die Luft.

Eher sie sich wieder aufrappeln konnten um einen erneuten Angriff zu starten, rief von irgendwoher eine Stimme: „Stopp! Sofort aufhören!“

Ein Mann in einem schwarzen Habit kam zum Vorschein. Sein Gesicht war von der Kapuze verdeckt. An seiner Stimme konnte man erkennen, dass der Mann in die Jahre gekommen sein musste. Hinter ihm war eine Scharr von Assassinen.

„Ihr seid in meine Welt eingedrungen. Dafür müsst ihr bezahlen!“, schrie der Schwarze.

»Lucor«, stieß Gandor entsetzt und kaum hörbar aus.

Kapitel 5: Vergesst mich nicht

Esmeralda verspürte Glückseligkeit. Reine, unschuldige Glückseligkeit. Sie verspürte immer diese Fröhlichkeit, wenn sie mit ihrer Mutter fangen spielte oder wenn sie ihr bei der Gartenarbeit zusah. Vor allem genoss sie es, wenn sie in der Umarmung ihrer Mutter lag, während sie ihr Märchen vorlas.

»...und sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihres Lebens«, beendete ihre Mutter das Märchen

Esmeralda kuschelte sich an sie, legte ihren Arm um sie. Esmeralda spürte die Wärme, die von ihrer Mutter ausging. Die diese wohltuende Wärme wurde von einer unangenehmen Kälte mit aller Macht verdrängt. Als Esmeralda ihre Müden Augen öffnete, sah sie ihre lächelnde Mutter an. Nein. Eher durch sie hindurch. Sie löste sich allmählich in Luft auf. Ein entsetzter Schrei verliess Esmeralsa’s Lippen.

Esmeralda schrie abermals auf, als sie erkannte, dass sie nicht mehr in ihrem Gemach war, sondern an der Klippe, an dem der Garten ihrer Mutter angelegt war. Sie war auch keine fünf Jahre alt, sondern schon zehn. Die untergehende Sonne färbte den Himmel in roten und violetten Tönen. Sie sah ihre Mutter an der Eiche mit einem Mann streiten. Der Mann holte aus seinem Gürtelbund einen glänzenden Gegenstand, denn er ihrer Mutter in den Bauch rammte.

Esmeralda schrie vor entsetzten, doch kein Laut konnte ihre Lippen verlassen. Sie lief zu ihrer Mutter und wollte sich zwischen ihr den Mann stellen. Doch die Entfernung verringerte sich nicht. Es schien beinahe so, als ob sie weiter vom Geschehen fortgetragen wurde. Dunkle Wolken schoben sich vor der Sonne. Der Wind wehte um sie herum. Esmeralda fror. Ob vom kalten Wetter oder von der grauenhaften Tat, dessen Zeugin sie wurde.

Schluchzend fiel sie auf die Knie, als sie die Zwecklosigkeit, ihre Mutter zu erreichen, erkannte. Ihre Tränen liefen ihr die Wangen herab, als sei ein Damm gebrochen.

Eine Hand, die ihrer Schulter berührte, ließ ihren Kopf heben. Sie wahr nicht mehr auf der Klippe, sondern in der Familiengruft, wo ihre Mutter zur letzten Ruhe getragen wurde. Leander hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt, um ihr Trost zu spenden. In seinem Gesicht erkannte sie ehrliches Mitgefühl und Trauer. Neben ihm stand auch die Bedienstete Azura Teal, die die Prinzessin für die Trauerfeier fein gemacht hatte. Sie hatte ihr rostbraunes Haar zu einem Zopf geflochten, das auf ihrer rechten Schulter ruhen lies. Auch ihre Augen waren feucht aus Trauer um den Verlust der Fürstin.

Esmeralda’s Augen brannten wie tausend Nadelstiche, als sie den Sarg auf dem Podest sah. In der Kappelle hatten sich die Fürstenfamilie versammelt, wie deren Bedienstete und die wichtigsten Offiziere mit ihren Familien. Der Priester hielt eine Rede über das Leben der Fürstin. Die Tränen lies alles um sie herum verschwimmen, weshalb sie die Augen schloss und die Tränen wegwischte.

Als sie die Augen wieder öffnete, war sie in einer dunklen und geräumigen Kammer. Auf dem Bett, dass gegenüber der Tür stand, war ein Liebespaar mit einander beschäftigt. Wie war sie hier reingeraten? Bemerkten die beiden sie nicht? Als Esmeralda näher kam, erkannte sie den tätowierten Körper des Hünen. Eine schlimme Vorahnung keimte in ihr auf. Als sie nahe genug am Bett stand, erkannte sie den leblosen Körper unter ihm. Es war sie selbst. Der Raum um sie herum schien zu gefrieren. Eine eisige Klaue umschlang ihr Herz in einen eisernen Griff. Sie verspürte den Drang sich zu übergeben. Der Anblick ihrer Vergewaltigung, wie sich ihr Peiniger in sie eindrang, sie stiess und dabei lustvolle Laute von sich gab, war zugleich verstörend auch als abstossend. Sie konnte denn eisigen Nebel nicht daran hindern ihren Verstand zu umhüllen, auch wenn sie es gewollt hätte.

»Nein!«, schrie sie. Ihr Schrei wurde nicht gehört. »NEIN!« Ein neuer Tränenfall überkam sie.

Esmeralda fiel auf die Knie. Zu schwach um aufzustehen. Zu müde um gegen den wiederkommenden Schmerz anzukämpfen. Zu willenlos um die Tränen im Zaum zu halten.

Das Frösteln, das sie beherrschte, wurde zu einem eisigen Schauder. Als sie endlich wieder fähig war ihre tränennassen Augen zu heben, erkannte sie, dass nicht mehr ihm Schlafgemach war. Erst als sie ihre Tränen trocknete, sah sie die Kammer um sie herum. In der Kammer befanden sich sechs grobgehauene Steinblöcke.

Esmeralda zuckte zusammen, als die Tür aufging und ihr Peiniger hereintrat. Auf der Schulter trug er eine leblose Gestallt. Ihre Gestallt. Es fühlte sich nach wie vor surreal an, sich selbst aus einem anderen Winkel zu sehen. Sie verstand nicht, wie es möglich sein konnte. Und dennoch war es so.

Der Dunkle ging zur Kopfseite eines Blocks und berührte dort etwas. Was auch immer er berührte, sorgte dafür, dass sich die Platte auf dem Block teilte und denn Innenraum freigab. Vorsichtig legte der Dunkle den leblosen Körper hinein.

Ist das ein Traum?

Starr und ungläubig sah sich die Prinzessin die Szenerie an. Dann schoss das Adrenalin durch ihre Adern. Sie sprang den weggehenden Dunklen an um ihn zu schlagen. Anstatt ihm Schmerzen zuzuführen, glitt sie durch ihn hindurch wie ein Geist.

Ihr stockte der Atem, als ihr bewusst wurde, was da eben passierte. War sie Tot? Ist sie in diesem steinigen Block ums Leben gekommen? Oder träumte sie das alles nur? Was auch immer es war, sie musste diesem widerlichen Typen hinterher.

Als der Schock verflogen war, stand Esmeralda auf und rann dem Dunklen hinterher. Sie fand sich nicht ihm Flur wieder, wie sie es erwartet hatte. Stattdessen landete sie in einem Kerker. An den Wänden waren sechs Männer angekettet. Sie trugen nichts weiter als einfache Lendenschurz aus Leinen. Ihre Köpfe waren in die Brust gesunken, als wären sie erschöpft. Denn blauen Flecken und den roten Striemen zu urteilen waren sie es vermutlich auch.

Sie brauchte Zeit, damit sich ihre Augen an das schwache Licht der Fackel, das im Korridor an eine Wandhalterung hing, gewöhnten. Doch dann, als es soweit war, überfiel sie erneut der eiskalte Schauder. Sie erkannte die Männer. Einer von ihnen war ihr Vetter Neal. Neben ihm hing dessen ewiger Leibwächter und bester Freund seit den Kindertagen Chavo Almeida und der Kommandant Gandor Bennet. An der Gegenüberliegenden Seite hingen der Jäger Tyson, der Händler Mateo und zwischen ihnen der Schatten Leander.

Die Tränen jagten sich wieder in die Augen, als sie ihm näher kam und versuchte seine Wange zu berühren.

»Oh, Leon«, sagte sie tonlos.

Er hob den Kopf. Seine müden und geröteten Augen schienen sie direkt anzusehen. Erst glaubte sie tatsächlich, dass er sie sah, eher ihr wieder bewusst wurde, dass es nicht möglich war, da sie doch träumte. Oder war sie bereits Tot und erschien ihm als Geist?

Sie konnte es nicht genau sagen. Über diese Ungewissheit war sie zwar entsetzt, musste aber in den Bewusstsein bringen, dass die Gruppe hier keineswegs Tot waren, auch wenn sie nicht mehr weit davon weg waren.

Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und flüsterte ihm ganz sanft ins Ohr, wo sie sich befand. Auch wenn sie nicht recht daran glaubte, dass es eine Wirkung haben mochte, und die Gruppe vielleicht nicht in diesem verfluchten Ort gefangen waren, wollte sie es nicht unversucht lassen.

»Vergesst mich nicht«, flehte sie in verzweifelter Hoffnung.

»Esmeralda«, verliess ihr Name kaum hörbar Leander's Lippen.

Schritte waren im Korridor zu hören. Kampfgeschrei und schwingende Klingen waren zu hören. Esmeralda sah zu den Gitterstäben, um zu sehen, ob der Tumult bereits hier war. Das schwache Fackellicht brannte in ihren Augen. Die Welt um sie herum erfüllte sich in einem gleissendem Licht, das in ihren Augen brennende Schmerzen verursachte. Sie schrie auf, schloss die Augen und fiel kraftlos zu Boden. Als sie wieder zu sich kam, war alles dunkel um sie herum. Sie versuchte aufzustehen. Schnell stellte sie fest, dass sie in einem kleinen und engem Raum eingeschlossen war.

»Vergesst mich nicht«, seufzte sie.

Kapitel 6: Unverhoffte Hilfe

Dumpfe Schritte hallten durch die Halle der ewigen Ruhe. Die Füsse, die den Thron zusteuerten, zermalmten die uralten Knochen, die überall auf dem Boden verteilt waren. Darius’ Herz pochte ihm bis zum Hals, als er die transparente Gestalt auf dem Thron sah.

»Wieso hast du sie hereingelassen?«, fragte die Gestalt mit ruhiger aber zorniger Stimme.

»Sie hatten mich überrumpelt und den Weg ins Innere gefunden, Gebieter«, Darius' Kopf war gesenkt. Er wagte kaum den Totenpriester anzusehen.

»So, so. Überrumpelt hatten sie dich.«

»Ja, Gebieter«, es war mehr ein Winseln, was seine Lippen verlies.

»Wie konnte es passieren? Du warst einst mein bester Assassine. Wie kam es zu deiner Nachlässigkeit?«

»Gebieter«, Darius' konnte die Frage nicht beantworten, so sehr er es sich auch wünschte.

»Antworte mir!«, überschlug sich Lucor's Stimme.

Darius' Leib zitterte. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte einfach keine Antwort geben, da er es sich selbst nicht erklären konnte.

»Ich brauche die Essenz der Seelen dieser Menschen, das weisst du genau. Besonders die Essenz dieser Göre. Sie hat nicht so viel auf dem Kerbholz wie die anderen, die wir bisher eingesammelt hatten. Die Essenz ihrer Seele ist stark. Das macht sie so rein und edel. Deshalb sollte sie das letzte Opfer sein, bevor ich wieder Gestallt in der irdischen Welt annehmen kann. Das einzige was du hättest machen sollen war einen Posten zu bewachen. Einen Posten, der gut in der Umgebung versteckt ist und höchstens von irgendwelchen Waldtieren gefunden werden konnte. Und was machst du stattdessen? Du lässt dich von ein paar unfähigen Gardisten überrumpeln!«

In der Rage von Lucor's Rede kam Darius den Tränen nahe. Er konnte sich nicht leisten seine nassen Augen dem Totenpriester zu zeigen. Das würde sein Ende bedeuten.

»Was gedenkst du nun zu tun, Darius?«

»Ich werde die Gardisten abschlachten lassen, nachdem sie ihre Seelen an euch gespendet haben«, war das einzige, was Darius in diesem Moment sagen konnte, ohne sein Leben lassen zu müssen.

»Und wehe du wirst dabei versagen«, drohte Lucor ihm. »Und nun geht, bevor ich es mir anders überlege.«

Er war heilfroh, dass er die Halle verlassen durfte. Erleichtert darüber, dass der Totenpriester ihn nicht für sein Frevel geschändet hatte. Vorerst.

Er musste schnellst möglichst einige Assassine zusammenkriegen, die für ihn die Gardisten in den Raum der Schlafenden brachten. Er würde es selbst machen, wenn er noch stark genug wäre. Aber diese Zeiten lagen längst hinter ihm.

Als Darius in die Korridor für die Schlafkammern der Assassinen ankam, lagen die meisten auf dem Boden zu Füssen eines hünenhaften Mannes. Sein Herz sackte zusammen, als Darius ihn wiedererkannte.

 

Oh Leon

Leander hob seinen Kopf von seiner Brust und sah ins Antlitz der Prinzessin. Er spürte ihre Hände auf seinen Wangen. Ihren Duft in seiner Nase.

Bitte hilf mir. Ich bin in einem steinernen Sarkophag gefangen. Ich kann nicht mehr lange durchhalten.

Es schien ihm so, als ob ihre Stimme in seinem Kopf wäre. Dann erschien im ein flackerndes Bild einer Kammer mit sechs Steinblöcken. Aus einem ihm unempfindlichem Grund wusste er auch, wie er von hier aus in diesem Raum kommen konnte. Diese Vision, oder was auch immer es sein mochte, fügte ihm Kopfschmerzen zu.

Vergesst mich nicht

»Esmeralda«, verliess ihr Name kaum hörbar seine Lippen.

Leander sah, wie sie ihre Lippen zu einem stummen Schrei aufriss und zu Boden fiel. Allmählich löste sie sich ihm Nebel auf und war verschwunden. Wie auch seine Vision und die Kopfschmerzen.

Eine Träne kullerte seine Wange hinab.

»Ist alles in Ordnung, Leander?«, fragte Gandor besorgt.

Verwirrt sah sich Leander um, eher er kaum überzeugend antwortete: »Alles bestens.«

Hatte er tatsächlich die Prinzessin hier gesehen? Hatte sie ihm wirklich etwas ins Ohr geflüstert? Oder war das doch nur ein Traum? Die Abwesenheit des Tageslichtes, und der Verlust des Gefühls für die Zeit, konnte einem Trugbilder zeigen. Ihr Duft in seiner Nase war nach wie vor da.

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte Chavo den Kommandanten.

»Mir wird schon was einfallen«, antwortete Gandor.

»Dir wird schon was einfallen, ja klar«, verhöhnte Chavo ihn lachend. »Als nächstes wird wohl der Schädelspalter Orlando hier antanzen und das Schloss knacken. Ist es nicht so?«

»Sei still!«, befahl Gandor.

»Wir sind in einem Kerker tief unter der Erde, wo uns niemand hören kann. Und ich soll still sein?«

»Sei still, du Narr! Ich habe was gehört. Da kommt jemand«, wurde Gandor wütend.

Hinter dem Gitter trat tatsächlich eine hünenhafte Gestallt hervor und schob den Bolzen zur Seite. Als die Tür aufflog und die Gestallt in die Zelle eintrat, erkannten die Gruppenmitglieder, dass es sich nicht um den dunklen Assassinen handelte.

»Na, habt ihr mich vermisst?«, fragte die vertraute Stimme.

»Na wer sagt's denn?«, lachte Gandor auf. »Chavo, du hattest recht. Der Schädelspalter Orlando ist gekommen.«

Chavo warf dem Kommandanten einen giftigen Blick zu.

»Wo ist die Prinzessin?«, wollte Neal wissen.

»Keinen blassen Schimmer«, zuckte Orlando die Achseln, als er anfing die Gruppenmitglieder aus ihren Fesseln zu befreien. »Ich dachte ihr hättet sie gefunden.«

»Wie kommt es, dass du jetzt hier bist?«, wollte Gandor wissen, als er seine Handgelenke massierte.

»Ich dachte, ihr könntet meine Hilfe gebrauchen.«

Ungläubige Blicke wanderten zu ihm.

»Na schön«, gab er dann zu. »Mir war danach einige Schädel zu spalten. Da ich die Schlacht vor dem Drachenauge verpasst habe, wollte ich mich wenigstens hier austoben.«

»Das klingt jetzt nach dir«, meinte Gandor. »Und jetzt raus hier.«

Als sie die Zelle verliessen, stiessen sie mit Darius zusammen.

»Was zur Hölle will der denn hier?«, erhob Neal die Faust, bereit jederzeit zuzuschlagen.

»Er war so freundlich mir den Weg zu euch zu zeigen«, antwortete Orlando. »Oder glaubt ihr, ich wäre hierher spaziert wie in meinem eigenen Heim?«

»Und das hat er aus purer Freundlichkeit getan«, kommentierte Neal den Alten anblickend.

Mit einem diabolischem Grinsen knackste Orlando seine Fingerknöchel.

»Also, wo finden wir sie?«, richtete sich Neal an Darius.

»Ich habe keine Ahnung«, gestand der Alte.

Neal packte ihn am Hals, hob ihn in die Lüfte, als sei er eine Stoffpuppe, und presste ihn an die Wand.

»Wehe du nicht sagst wo sie ist.«

»Schwarzdorn ist ein riesige Burg mit einem noch riesigeren Areal an unterirdischen Höhlensystemen und Katakomben. Sie könnte überall sein. Es könnte Tagen oder Wochen dauern sie zu finden.«

Leander verspürte einen unerklärlichen Drang den Korridor entlang zur Wendeltreppe zu gehen. Es war nicht mehr als eine Ahnung, die ihn veranlasste gerade dorthin zu gehen. Beinahe schien es so, als würde ihn jemand oder etwas auf magische Weise anziehen.

»Hier geblieben«, rief Gandor ihm mit einer gedämpften Stimme hinterher.

»Folgt mir einfach«, widersprach Leander seinem Vorgesetzten. Er war sich im klaren, dass er dafür eine saftige Strafe bekommen würde, wenn er falsch liegen sollte. Doch dieses Risiko musste er einfach eingehen. »Ich habe so ein Gefühl.«

Vor seinem inneren Auge sah er einen Weg, der möglicherweise zu Esmeralda führte. Aus dem Lauf heraus griff er nach einer brennenden Fackel. Am Ende des Korridors kam er die Wendeltreppe, die er ihr hinauf folgte. Zu ihren linken Seite befand sich die äussere Mauer, wo sich alle paar Schritte eine Tür befand. Zu ihren rechten Seite befand sich ein Schlund, der tiefer ging, als das die Fackel leuchten oder gar das Auge überhaupt sehen konnte.

Eine Tür zog Leander magisch an. Er vermochte nicht zu sagen warum, aber es schien, als wüsste sein Gespür, dass es die richtige Tür sein musste.

Er drückte die Klinge nach unten. Verschlossen. Er versuchte es noch mal und nahm seine Schulter zu Hilfe. Schließlich nahm er Anlauf, was nur zu einem schmerzhaften Pochen führte.

»Geh zur Seite, Grünschnabel«, riss Orlando ihn zur Seite und steckte einen Schlüssel, das er höchstwahrscheinlich dem Alten abgemurkst hatte, ins Schloss. Dieser passte nicht, weshalb er mit dem nächsten Schlüssel des Bundes versuchte. Erst beim siebten Schlüssel entriegelte sich das Schloss. Dahinter kam eine Kammer zum Vorschein, in dem sechs Steinblöcke in zwei Reihen aufgeteilt standen. Genau wie in Leander's Vision.

Leander konnte Esmeralda's Anwesenheit hier spüren. Er lies sich von der Intuition zum mittleren Block der linken Seite leiten. Sie waren mit merkwürdigen Runen versehen, und in der Mitte war ein Schlitz eingebracht. Aber für eine natürliche Ursache waren die Linien zu akkurat und zu mittig. Am Kopfende entdeckte er einige Hebel, Kurbeln und Knöpfe.

»Was zur Hölle ist das?«, stammelte Mateo.

»Das ist der Raum der Schlafenden«, verkündete Darius. »Hier im Schwarzdorn gibt es hunderte, wenn nicht sogar tausende solcher Räume. Deshalb konnte ich nicht sagen, in welchem eure Prinzessin steckte. Aber der Jüngling scheint es zu wissen.«

»Aber woher?«, sah Mateo Leander an.

»Warum erzählst du das?«, schob Tyson die Frage des Händlers beiseite.

»Ich erhoffe mir eine Belohnung, wenn ich euch helfe«, erklärte der alte Mann.

Keiner konnte ihm trauen. Doch Gandor wusste, dass dies für den Augenblick nicht von Bedeutung war, weshalb er sagte: »Erzählt weiter.«

»Hierher werden entführte Leute wie Bauern, Sklaven, einfache Kaufleute aber auch reiche Händler, Adelige und, wie in eurem Fall, die Prinzessin gebracht. Für Lucor sind alle Menschen gleich. Dies, was ihr hier seht, nennt man steinerne Sarkophage. Die Leute werden da reingelegt. Hier kann der Priester seine Rituale abhalten, denn Leuten Gehirnwäsche verpassen. Wenn er zu viele Assassine verloren hatte, kann er hier den Nachschub rekrutieren. Oder einige Erpressungen einkassieren. In manchen Fällen kassierte er ein Kopfgeld. Wenn er einen seiner möglichen Rekruten hergibt, muss das Kopfgeld sehr hoch sein«

»Wie kriegt man diesen Sarkophag auf?«, wollte Leander wissen, kaum dass der Alte ausgesprochen hatte. Darius schlenderte zum Sarkophag.

»Na wird’s bald?«, packte Leander ihn wütend am Nacken und schob ihn grob hinter den Sarkophag.

»Sachte, sachte. Ich bin nicht mehr der Jüngste«, rieb sich der Alte am Nacken.

»Soll ich dich erst prügeln, eher du was machst?«, drohte Leander ihm. »Glaube mir, ich werde nicht so sanft mit dir umgehen.«

Mit einem mürrischem Blick fing Darius an die Hebel zu betätigen, die Kurbeln zu drehen und Knöpfe zu drücken. Die Platte spaltete sich in der Mitte wie die Flügeldecken eines Skarabäus.

Darin lag eine junge Frau in einem Lendenschurz, an der mehreren Schläuche und Nadeln befestigt war. Dieser Anblick lies den Gardisten den Atem stocken.

»Wie kann man diese Dinger aus ihr holen, ohne sie zu verletzten«, kam Neal als erster zur Besinnung.

Mit vorsichtigen Handgriffen entfernte Darius die Prinzessin von den Gestrüpp aus Nadeln und Schläuchen. Gemeinsam holten Leander und Neal die bewusstlose Prinzessin mit Vorsicht aus ihrem steinigen Sarg.

»So, und jetzt raus hier!«, forderte Gandor.

»Und was ist mit meiner Belohnung?«, wollte Darius wissen.

»Wie wär's, wenn wir dich am Leben lassen?«, schlug Neal vor.

»Ich hatte da an was handfestes gedacht«, versuchte der Alte zu verhandeln.

»Keiner hat gesagt, in welchem Zustand wir dich am Leben lassen«, kommentierte Leander zynisch. »Und gib uns jetzt etwas, womit wir ihre Blösse bedecken können.«

Bitter dreinblickend und enttäuscht über seinen missglückten Versuch, drückte der Alte auf einen Stein in der Wand. Wie von Geisterhand schob sich dieser Stein heraus.

»Was für Teufelswerk ist das?«, fuhr Orlando hoch.

»Kein Teufelswerk, sondern Handwerk«, korrigierte Darius mürrisch.

Bei näherer Betrachtung stellte man fest, dass es kein richtiger Steinblock war, sondern ein Lade mit einer Steinfassade. Daraus holte Darius eine einfache Tunika hervor, die Leander und Neal über die Prinzessin stülpten

»Wo habt ihr unsere Ausrüstung?«, wollte Gandor wissen.

»Vermutlich schon in Einzelteile zerlegt.«

»Verflucht«, gab Gandor leise von sich. »Wo habt ihr eure Ausrüstung?«

»An den Leibern der Assassinen«, meinte Darius achselzuckend. »Und die sind selten allein.«

»Waffen?«

»In den Kammern.«

»Bring uns dahin!«

Darius wusste, dass die Gardisten wussten, wo er wohnt, weshalb er sich widerwillig bereit erklärte ihnen den Weg zu den Waffenkammer zu zeigen. Er spielte mit dem Gedanken sein Heim zu verlassen und sich an einem weit entfernten Ort niederzulassen. Doch der Totenpriester würde ihn schnell finden und das würde dem Alten keine Freude bereiten.

Verbittert über die Erkenntnis seiner misslichen Lage drückte Darius auf einige Steine in der Wand gegenüber dem Eingang. Grollend schob sich ein Teil des Mauerwerks in den Boden. Es hatte den Anschein, als würde ein riesiges Ungeheuer sein steiniges Maul aufmachen. Darius führte die Gardisten in den geheimen Gang, der dunkler war als eine sternlose Nacht.

Kapitel 7: Aussichtslos

Die Insel Montgorda bestand aus drei Regionen. Gotha im Nordwesten, Sizil im Nordosten und Varantia im Süden. Die Burg Drachenauge, der Sitz des Fürsten der Gotha-Region, lag zwischen den Schwesternhafenstädten Kap Ardea und Kap Drago in der Gotha-Region.

In den Beiden Städten konnte Feldmarschall Wolfram Wolfson einen Major zwei Hauptmänner und ein halbes duzend Schatten rekrutieren. Eine magere Ausbeute, wenn man bedachte, dass die Schwesterstädte die größten Einwohnerzahlen der Gotha-Region hatten. Er musste noch mehr Freiwillige auftreiben können, auch wenn es nur Bauern mit Mistgabeln wären.

Die Sonne war bereits zur hälfte hinter dem Horizont verschwunden und färbte die wenigen Wolken am Himmel gelblich rot, als er mit der Truppe im Gasthof »Zum weissen Gargoyle« ankam. Er erhoffte sich in diesen Räumlichkeiten einige kampffähige Leute auftreiben zu können. Aber vor allem wollte er sich und seiner neuen Gefolgschaft eine Rast gönnen.

»Was darf es sein?«, fragte Luna. »Oh, ihr seit es.«

»Hallo Luna«, grüßte der Feldmarschall die Bedienung. »Wie geht es dir?«

»Den Umständen entsprechend.«

»Was ist passiert?«, wurde er hellhörig.

Sie blickte kurz zur Seite, unsicher ob sie es ihm erzählen sollte.

»Vor einigen Stunden waren hier schon mal einige Gardisten«, entschied sie sich doch zu erzählen. »Das hatte die Gäste beunruhigt. Und da ihr mit gut ein duzend uniformierten Leuten auftaucht, befürchte ich, dass die Leute für die nächste Zeit gar nicht mehr in die Gaststätte kommen werden.«

»Gardisten?«, hackte der Feldmarschall nach. Waren es Gandor uns sein Suchtrupp?

»Ja, Gardisten. Einer von ihnen, Orlando glaub ich, hiess er, war schon seit Tagen hier und hat sich volllaufen lassen und verlangte ständig nach jungen und bildhübschen Frauen. Das es den Gästen nicht gefallen hat, könnt ihr euch ja vorstellen.«

»Orlando Gaan«, knurrte der Feldmarschall. »Dieser nichtsnutzige, Nutten prellender Schädelspalter. Was hat er angestellt?«

»Er hatte hier einige Schulden gemacht. Die Gruppe hat seine Zeche bezahlt. Unter anderem auch mit diesem Anhänger«, sie holte den Saphir hinter dem Tresen hervor und reichte es ihm.

»Das ist doch der Anhänger der Fürstin.«

»Was?«, riss die Bedienstete ihre Augen weit auf. »Der Fürstin?«

»Wer hat es euch gegeben?«

»Es war der jüngste von ihnen. Ich glaube er war noch ein Schatten. Er hatte es als Pfand für die restlichen Dukaten angeboten.«

»Wie viel?«, wollte der Feldmarschall wissen.

Als sie ihm die Summe nannte, holte er aus seinem Beutel die nötigen Dukaten heraus und reichte es ihr.

»Wenn es dir genehm ist, würde ich den Anhänger an mich nehmen.«

Widerstandslos übergab sie ihm den Saphir.

»Wisst ihr, wohin sie geritten sind?«

»Nein«, schüttelte sie den Kopf. »Wartet. Mir fällt gerade ein, dass der Schädelspalter mir eine Karte und einen Brief hinterlassen hatte, die ich dem nächsten Gardisten geben soll, der hier auftaucht. Und das seid dann wohl ihr, verehrter Onkel.«

Als er die Papiere entgegennahm, lass er den Brief und sah sich die Markierung auf der Karte an.

»Schwarzdorn«, murmelte er vor sich hin, eher er an seine Gefolgsleute wandte. »Wir müssen unsere Rast hier beenden. Wir haben ein neues Ziel. Wir werden eine Burg stürmen.«

Als die Gardisten enttäuscht aus dem Gasthof eilten und auf ihre Pferde stiegen, kam ein junger Mann mit einem Ziegenbart und gebundenen Haaren zum Feldmarschall und sprach ihn an.

»Hab ich recht gehört? Ihr wollt zum Schwarzdorn? Zu dem Totenpriester?«

»Wer will das wissen?«, fragte der Feldmarschall barsch.

»Jemand, der sich euch anschliessen möchte.«

Der kommandierende Gardist überlegte einen Augenblick. Es war nicht gut, wenn er jemanden in seine Reihen liesse, der nicht zu der Garde gehörte. Doch auf der anderen Seite hatte er keine Zeit zu verlieren und er konnte jeden Mann gebrauchen, der bereit war ihm zu folgen.

»Wie ist euer Name, junger Freund?«

»Mann nennt mich Scipio«, stellte sich der Fremde vor.

»Und was seid ihr?«

»Ich bin Söldner und Kopfgeldjäger«, antwortete Scipio stolz. »Und der beste in der ganzen Gegend hier, wenn ich es erwähnen darf.«

»Darf ich euch fragen, weshalb ihr euch uns anschliessen wollt?«

»Um nach Schwarzdorn zu gelangen. Dort befindet sich jemand, auf dem ein Kopfgeld ausgesetzt ist, das ich gerne einstreichen würde.«

»Und wer ist es?«

Scipio hotte einen Steckbrief aus der Innentasche seines Wams und reichte es dem Feldmarschall, der den Brief begutachtete.

Darauf wer die Zeichnung eines Mannes zu sehen, dessen rechte Gesichtshälfte mit gewundenen und gezackten Linien übersät war. Darunter war eine erstaunliche Summe von 50'000 Dukaten zu sehen.

»Die Summe dürfte mir als Honorar genügen«, lächelte Scipio süffisant, als er die Miene des Feldmarschalls sah.

»Nun gut«, gab der Feldmarschall ihm denn Steckbrief zurück. »Ihr dürft mitkommen.«

Gemeinsam ritten sie Richtung Schwarzdorn. Doch keiner aus der Truppe bemerkte die Gestalt auf dem Baum.

Die Waldläuferin hielt sich in der Krone des Baumes versteckt. Ihre enganliegende Kleidung, die bei genauerer Betrachtung wie Schuppen eines Reptils aussahen, waren in den Farben des Baumes gehalten, weshalb es nicht verwunderlich war, dass man sie nicht sehen konnte, wenn man nicht wusste, dass sie da war. Ihre rostbraunen Haare umrahmten die glattgeschliffene Holzmaske.

Es war schon lange her, dass sie das letzte mal den Feldmarschall gesehen hatte. Damals war er noch ein Kommandant gewesen. Und hatte einen kleineren Bauch. Wehmütig dachte sie an die Zeit zurück, als sie noch eine Magd im Drachenauge war. Sie wurde von Wolfson im Auftrag des Fürsten aus der Burg verbannt, weil ihr jemand die Schuld an einem Diebstahl zuschob, denn sie nicht begehen konnte. Aber das gehört nun der Vergangenheit an.

Sie kannte auch den Mann, der sich der Truppe anschloss. Er war nicht der, für denn er sich ausgab. Er war ein Dunkelgeborener. Sie ahnte eine böse Überraschung für das Drachenauge. Sie musste die Leute da warnen. Doch wie sollte das anstellen?

Dafür kannte sie jemanden, der ihn wohlgesonnen war. Jemand, der nicht an ihre Schuld glaubte. Und dieser Jemand war regelmässig in der Wildnis. Oft genug, dass sie mit ihm in Kontakt bleiben konnte. Doch zur Zeit war er mit einem Suchtrupp im Schwarzdorn.

Sie kletterte vom Baum herunter und folgte, im Schutze der länger werdenden Schatten, der Truppe. Obwohl, oder vielleicht weil, die Gardisten zu Pferd waren und sie nicht, konnte sie schneller am Ziel sein. Zwar konnte sie nicht mit Sicherheit sagen zu welchen Eingang Scipio sie brachte, hatte aber eine Ahnung.

Allein die Fackel in Gandor's Hand, der neben dem Alten schritt, erleuchtete ihnen den Weg. Zwar reichte der Schein nur ein paar Schritte, war immerhin weiter, als das Vertrauen der Gruppe zu diesem Darius.

Hinter den beiden lief Tyson und Mateo, die jederzeit darauf gefasst waren auf den Alten loszugehen, falls er auf dumme Ideen kommen sollte. Direkt hinter ihm wurde Esmeralda von Neal getragen. Neben den beiden lief Leander, der immer wieder einen besorgten Blick auf die nach wie vor schlummernde Prinzessin warf. Sie sah so friedlich aus. Doch Leander wusste, dass der Schein trog.

Ein mulmiges Gefühl überfiel Leander. Er konnte nicht sagen warum, aber irgendwie war es viel zu einfach die Prinzessin zu finden. Sie war nur wenige Schritte von der Zelle, in der die Gruppe angekettet hingen, gefangen. Er kannte diesen Lucor nicht sonderlich gut. Auch nicht seine dunklen Assassinen. Aber so dämlich konnten sie nicht sein, dass sie eine Gruppe gut ausgebildeter Gardisten, die auf eine Befreiungsaktion der Prinzessin aus waren, sie unweit von ihr einsperrten. Und wo waren überhaupt die Wachen, die sie in die Zelle angekettet hatten? Irgendwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht.

»Du bist derjenige, der uns zu ihr gebracht hatte«, meinte Neal flüsternd, als Leander ihm seine Gedanken schliesslich preisgab. »Woher wusstest du das überhaupt?«

»Ich hatte ein Gefühl. Einen Ahnung«, versuchte Leander zu erklären, ohne wirklich die richtigen Worte zu finden. »Eine Vision, wenn du das so willst.«

»Die Wachen sind Geschichte«, hörte Leander den Schädelspalter, der mit Chavo das Schlusslicht bildete, hinter sich prahlen. »Um deine Frage zu beantworten, Grünschnabel.«

»Und du konntest ihre Waffen nicht mitnehmen?«, drehte Neal schimpfend seinen Kopf zu Orlando.

»Ich hab doch die Schlüssel genommen. Reicht es nicht?«, spottete Orlando.

Eher einer der beiden noch ein Wort des Protestes aussprechen konnten, hielt die Gruppe an. Darius öffnete eine schwarzgefärbte Tür, hinter der die Waffenkammer lag.

Gandor steckte die Fackel in eine Wandhalterung. Das Licht der Fackel wurde gespenstisch von dem glänzenden Metall der Waffen zurückgeworfen. Gandor und Mateo verteilten die Kurzschwerter samt Scheide und Gurt, sowie hölzerne Rundschilder an die Gruppe.

»Neal, Leander und Mateo, Darius wird euch denn Weg nach draussen bringen. Ihr begebt euch unverzüglich zum Drachenauge. Ihr werdet den Fürsten über diese Situation hier berichten«, ordnete Gandor an.

»Und ihr vier?«, fragte Neal forschend. »Was werdet ihr machen?«

»Wir werden hier ein wenig aufräumen. Der Fürst soll euch einige Truppen mitgeben. Dann macht ihr euch unverzüglich auf denn Weg hierher, damit dieses dreckige Loch hier endlich ausgehoben werden kann.«

»Das werdet ihr nicht«, hallte es hinter ihnen im Korridor.

Unverzüglich holten die Gardisten die Schwerter aus den Scheiden. Leander erkannte die hünenhafte Gestallt wieder. Wie betäubt stand Leander da, hielt das Schwert angespannt in der Hand und sah ihn mit einem fürchtenden Blickes an.

»Hallo, Sagat«, grunzte Orlando erregt.

»Orlando«, stiess der Dunkle kurze Geräusche hintereinander aus, was wohl ein Lachen darstellen sollte. »Immer noch ein bezahlter Auftragsmörder? Oder haben dich die Frauen und der Wein schwach werden lassen?«

»Komm her und finde es heraus«, liess Orlando sein Schwert provozierend in der Hand kreisen.

»Ihr kennt euch?«, bekam Leander endlich ein Wort heraus. Doch eine Antwort bekam er nicht mehr, da der Dunkle auf Orlando sprang.

Geschickt wich Orlando zur Seite aus, drehte sich um die eigene Achse, und nutzte den Schwung um die scharfe Seite des Schwertes in Sagat's Bauch zu rammen. Der Dunkle taumelte einige Schritte zurück, hielt seine rechte Hand an die blutende Wunde und lachte diabolisch. Das fast schon schwarz wirkende Blut quoll aus der immer kleiner werdenden Wunde, bis es endgültig versiegte.

»Was zu...«, stammelte Mateo.

Orlando schwang erneut sein Schwert und trennte Sagat's rechte Hand vom Arm. Das Blut spritzte aus dem Stumpf wie ein Geysir. Ein schmerzverzerrter Schrei echote im Korridor. Es war so schmerzhaft, dass die Gardisten gezwungen waren sich die Ohren zuzuhalten.

Die abgetrennte Hand schrumpfte zusammen und nahm das Grau einer verwesten Leiche an. Der darin eingelassene Kristall, der sonst immer fluorierte, erlosch.

Orlando rammte dem Dunklen das Schwert in die Kehle, der wiederum gurgelnd zu Boden sackte.

»Und jetzt raus hier!«, brüllte Orlando.

»Wie hast du das geschafft?«, konnte Leander sich die Frage nicht verkneifen, als die Gardisten den Weg zurückliefen, aus dem sie gekommen waren. »Bei unserer ersten Begegnung konnte ich ihm nichts antun.«

»Du kennst ihn eben nicht so gut wie ich, Grünschnabel«, entgegnete Orlando.

»Was mich zu meiner ursprüngliche Frage führt; Ihr kennt euch?«

»Eine lange Geschichte. Die erzähl ich dir ein anderes mal.«

Die Gruppe kam in der Kammer mit den Sarkophagen wieder heraus, und eilten hinaus zu der Wendeltreppe. Die Gruppe folgte Orlando nach oben, an der Zelle vorbei, wo die Gruppe zuvor noch eingesperrt waren.

Die Prinzessin in Neal's Armen stöhnte auf.

»Wir brauchen eine Rast«, meinte Neal. »Die Prinzessin ist ausser Kraft.«

»Wir können uns keine Rast leisten. Ansonsten verrecken wir hier noch. Die Kleine wird es noch die paar Minuten durchhalten müssen«, erwiderte Orlando grob.

»Da hat er recht«, pflichtete Gandor ihm bei, was nicht all zu oft geschah.

Aus dem vor ihnen befindenden Korridor waren schwere Schritte zu hören. Die Gardisten hielten inne und wagten kaum zu atmen. Die verfluchten Assassinen waren auf dem Marsch zu ihnen.

Neal setzte vorsichtig seine Base auf dem Boden ab, zog so geräuschlos wie möglich das Schwert aus der Scheide und begab sich in Kampfstellung, wie seine Kammeraden es ebenfalls taten.

Als eine Scharr von Leuten in die Sichtweite der Gardisten kam, griffen sie an. Doch mitten im Lauf hielten sie an, weil sie die Uniformen als ihre eigenen erkannten. Mitten unter ihnen war der Fürst höchstpersönlich zu Gange.

»Fürst Estoban«, fuhr Gandor zusammen. »Was macht ihr denn hier?«

»Es geht um meine Tochter«, antwortete der Fürst grimmig. »Denkst du etwa, dass ich das Schicksal meiner Tochter einer handvoll Männern überlasse?«

»Nein, Sire«, senkte der Kommandant den Kopf.

»Vater?«, war die Prinzessin wieder zu Bewusstsein gekommen. Zwar immer noch schwach und orientierungslos, aber wach.

»Esmeralda«, lief der Fürst zu ihr. »Geht es dir Gut, mein Engel?«

»Wir müssen weiter, bevor noch weitere Assassine hier auftauchen«, mischte sich Darius ein.

»Und wer ist das?«, verlangte der Fürst zu wissen.

»Eine lange Geschichte«, wehrte Gandor ab. »Aber recht hat er. Wir müssen weiter.«

Kaum waren sie einige Schritte gelaufen, tauchte auch schon eine Scharr von den Dunklen auf. Unter ihnen war ein nackter, hochgewachsener Mann mit gezackten und gewundenen Linien auf der rechten Körperhälfte.

»Na, habt ihr mich vermisst?«, grinste Sagat diabolisch. Er war unversehrt, als wäre er nie von einer Klinge bearbeitet worden.

»Aber das ist doch unmöglich!«, stiess Leander empört aus.

Kapitel 8: Die Flucht

»Aber das ist doch unmöglich!«, stiess Leander empört aus.

Der Hüne hätte doch Tot sein müssen. Orlando hatte ihm die Hand abgetrennt und dessen Kehle durchtrennt. Leander war keine fünf Schritte davon entfernt. Eigentlich hätte er im Korridor vor der Waffenkammer verwesen sollen. Stattdessen stand der Hüne vor ihnen, als sei nichts gewesen.

»Du hättest den Kristall in seiner Hand zerstören sollen«, meinte Darius beiläufig.

»Und das sagst du mir erst jetzt?«, fuhr Orlando den Alten zornig an.

»Ich dachte, du wüsstest es«, zuckte Darius gelassen die Achseln.

Eher Orlando den Alten zusammenschlagen konnte, stürmten schon die ersten Assassinen auf die Gardisten zu. Die Suchtrupp und Fürst Estoban's Gefolgschaft parierten die Attacken. Zwei der Gardisten blieben bei dem Fürsten. Sie waren nicht für den Nahkampf geeignet. Sie waren eigentlich schon zu alt um überhaupt noch eine Waffe richtig halten zu können. Sie gehörten den wenigen Grossmeister der Gilde der Magier an, die im Drachenauge lebten.

Sie hielten die Handflächen horizontal zu einander, damit sich ein kleiner, zischender Windball bilden konnte. Sie konzentrierten sich auf den Aufbau der Windbälle um sie anschliessend auf ihre Gegner zu schleudern. Im Flug wuchsen die Windbälle schneller als das menschliche Auge zu sehen vermochte. Die Magier waren geübt genug um die Windbälle so zu erschaffen, dass sie die Gegner umhauten, aber die eigenen Leute verschonten. Die Assassine flogen wie Puppen durch die Luft und landeten auf ihre Kammeraden, wenn sie nicht gegen die Wände prallten und leblos zusammensackten.

Die Gardisten nutzten die Gelegenheit um sich auf die Dunklen zu stürzen. Sie hatten kaum die Chance gehabt um sich wieder zu sammeln, geschweige gegen die wildgewordenen Gardisten standzuhalten. Mit schnellen und präzisen Hiebe und Schläge fielen die Gardisten über ihre Gegner her.

Sagat hielt sich im Hintergrund zurück. Wie er erwartet hatte, fielen diese Amateure. Dem Totenpriester hatte er schon oft genug gesagt, dass die Assassine eine vernünftige Militärausbildung brauchten. Doch der alte Narr beharrte immer darauf, das sie nicht sterben konnten, da sie bereits Tot waren. Bei solch einer Einstellung durfte er sich nicht wundern, dass er damals aus dem Drachenauge verbannt wurde.

»Komm her!«, riss Orlando ihn aus seinen Gedanken.

Mit wutverzerrtem Gesicht rannte Orlando auf den Hünen zu. Sagat ging in die Hocke um dem herbei sausendem Schwert auszuweichen. Als er sich wieder aufrichtete, nutzte er den Schwung um seine rechte Hand gegen die Brust des Gardisten zu stemmen. Es schien beinahe so, als würde Sagat eine leichte Stoffpuppe in der Luft halten. Es war ein absurder Anblick, Orlando wie einen Fisch auf dem Trockenem zappelte zu sehen, wenn man bedachte, das der Schädelspalter nicht viel kleiner war als der Hüne.

Sagat holte seine geballte Faust aus um dann inne zu halten. Aus seiner Faust war nun ein knistern zu hören. Erst kaum wahrnehmbar, dann immer lauter, bis die Faust anfing blitzartige Funken zu sprühen, die immer heftiger und heller wurden. Erst als die Faust so hell wie die Sonne schien, schlug Sagat mit voller Wucht zu. Doch eher die Faust sein Ziel erreichte, dämmte eine magische Welle die Wucht des Schlages. Der Aufprall der Faust auf dem Gardisten war dennoch kräftig genug, damit der Gardist durch die nächste Wand brach.

Ein zorniger Schrei verliess Sagat's Lippen. Es machte ihn rasend, dass er seinen Erzrivalen nicht so stark verwunden konnte, wie er es vor hatte. Er drehte wütend seinen Kopf zu den beiden Magiern.

Die angespannten Muskeln und das wilde Schnauben des Hünen liessen ihn wie einen Bullen erscheinen. Er rannte auf die beiden Magier zu, stiess jeden Gardisten mit einem leichten Hieb zur Seite, der ihm im Weg war. Die Magier warfen einen Windball nach dem anderen auf ihm. Für gewöhnlich reichte es aus um eine ganze Mannschaft durch die Luft zu schleudern. Doch aus irgendeinem Grund schien es bei Sagat die Wirkung zu verfehlen. Bei jedem Schritt, den Sagat auf sie tat, verwandelt sich die Nervosität der Magier in Panik.

Leander sprang mit Anlauf von der Seite auf den Hünen und schaffte auf Anhieb das halb aus der Scheide gezogenes Schwert über den Kopf des Hünen zu schwenken und an den Hals zu bringen und mit den Ellbogenkehle zu verankern. Mit beiden Händen krallte er sich an den Ohren seines Opfers fest und versuchte die Klinge in dessen Hals zu drücken. Überraschenderweise funktionierte es nicht. Die Klinge bewegte sich nicht einmal ein Haaresbreite in das Fleisch des Hünen. Leander versuchte mit den Knien gegen den Rücken zu stemmen um mehr Zugkraft zu bekommen. Doch er rutschte immer wieder aus. Zu allem Überfluss flog Leander hin und her wie eine Puppe, da Sagat versuchte ihn herunter zu holen in dem er kräftig hin und her schwank, eher er mit seinen Hände nach dem Kopf des Schattens suchte. Leander lockerte seinen Griff nicht. Kaum hatten Sagat's Finger seinen Kopf erspürt, wandte Leander ihn weg.

Es schien eine Ewigkeit gedauert zu haben, als Leander endlich Hilfe von den Bennet-Brüdern erhielt. Sie versuchten seine Arme soweit auseinander zu bringen, bis sie anschliessend in die Knie zwingen konnten. Dies verschaffte ihm genug Zeit um endlich die Knie in den Rücken zu rammen. Das einzige, was Leander mit der Hebelwirkung erreichte, waren Schmerzen in den Ellenbogenkehlen. Doch er gab nicht auf.

Aus dem Loch in der Wand stieg Orlando empor und wischte sich ein wenig Staub aus dem Gesicht.

»Du bist unverletzt?«, wunderte sich Darius.

»Bin schon einigen Ehemännern über den Weg gelaufen«, ging der Gardist an dem Alten vorbei zu seinem Schwert. »Nachdem die aufhörten zu atmen kamen deren wütenden Weiber.«

»War ja klar.«

Orlando ging ruhigen Schrittes zu Sagat. Die Brüder hatten Mühe die Arme des Hünen auseinander zu bringen. Selbst dann, als Chavo und Neal mit anpackten.

Eher das Gegenteil war der Fall. Zentimeter um Zentimeter bewegte Sagat seine Hände zum Kopf von Leander, der sich nach wie vor abmühte die Klinge in den Hals zu stemmen. Mit einem gezielten Hieb durchbohrte Orlando den Kristall in Sagat's Hand und verfehlte um Haaresbreite Leander's Kopf.

»He«, stieß Leander verärgert aus.

Sagat's brodelnde Wut verwandelte sich in blankes Entsetzen. Ohne es zu wollen entspannten sich Sagat's Muskeln. Er fiel auf die Knie.

Endlich drang Leander's Klinge in Sagat's Kehle. Als Leander das Schwert ruckartig herauszog, schoss ein Schwall Blut aus der aufklaffenden Wunde. Sagat griff nach seiner Kehle um das ausströmende Blut zu stoppen. Orlando holte mit dem Schwert aus und schlug den Arm erneut ab und stach in die Kehle Sagat’s. Die Klinge blieb im Hals des Hünen stecken. Die Hand kullerte zu Boden. Mit einem Ruck zog Orlando das Schwert heraus. Sagat sackte leblos zu Boden.

Orlando hob die abgetrennte Hand mit dem Kristall auf und ging zum Loch. Er warf die blutige Hand vor sich auf den Boden, suchte sich einen handgroßen Steinbrocken aus, der noch recht massiv wirkte, und lies es auf den Kristall hinabsausen. Er wiederholte den Vorgang so oft, bis der Kristall endlich in die Brüche ging.

»Ist es jetzt vorbei?«, wollte Leander wissen.

»Das werden wir sehen«, knurrte Orlando mürrisch.

»Wo ist der Alte?«, wunderte sich Mateo.

Alle schauten nach ihm um, konnten ihn aber nirgends finden.

»Das ist jetzt auch egal«, meinte Gandor. »Wir haben unser Ziel erreicht. Lasst uns wieder heimkehren.«

Der Fürst, der seit gut zwei Jahrzehnten keine Schlacht mehr von der Nähe betrachtet hatte, erholte sich nur langsam davon. Er wandte sich seiner Tochter zu, die wieder in Neal's Armen lag.

»Wollt ihr sie tragen, verehrter Onkel, oder soll ich?«

Der Fürst streckte seine Arme nach ihr aus. Sie war noch ein Kind, als er seine Tochter getragen hatte. Inzwischen war sie eine junge, wunderschöne Frau geworden. Er hätte nie geglaubt, dass er sie wieder tragen würde. Als er ihr Gewicht in seinen Armen spürte, wurde ihm Bewusst, dass sie kein kleines Kind mehr war und er nicht mehr der Jüngste.

 

Die Waldläuferin hatte Recht mit ihrer Vermutung gehabt. Der Feldmarschall hatte mit seiner Gefolgschaft auf die unter dem Efeu gut versteckte Hütte zugesteuert. Was sie aber nicht erwartet hatte, waren die dutzend Pferde vor der Hüte. An den mit dunkelrotem Stoff überzogenen Satteln erkannte sie sofort die Zugehörigkeit zum Drachenauge. Kaum war Wolfram von seinem Pferd gestiegen, flog die Tür der Hütte auf. Reflexartig zog der Feldmarschall das Schwert. Schnell erkannte er, dass er die Klinge nicht in Gebrauch nehmen musste. Er war mindestens genau so überrascht darüber die Gardisten aus der Hütte kommen zu sehen wie die Gardisten über seine Anwesenheit. Zu guter letzt kam der Fürst mit der Prinzessin im Arm heraus.

Die Waldläuferin kannte die Wutausbrüche des Fürsten nur zu gut, weshalb es sie überraschte, dass er nur einen strengen Blick zum Feldmarschall warf. Statt wie ein Wahnsinniger zu schreien, lies er sich von seinem Neffen helfen, aufs Pferd zu steigen.

Unter den Männern in Lendenschurz erkannte die Waldläuferin den Jäger Tyson. Sie trat einen Schritt aus dem Schatten in der Hoffnung von ihm gesehen zu werden. In der Tat fiel sein Blick auf sie. Die Waldläuferin legte ihre Faust mit dem gespreizten Daumen und kleinen Finger auf der Brust. Dies tat sie immer, wenn Tyson in einer Gruppe unterwegs war und sie ihn alleine sprechen musste. Obwohl Tyson sich von ihr abwendete und aufs Pferd steig, als hätte er sie nicht bemerkt, spreizte er unauffällig den Daumen und den kleinen Finger.

»Abmarsch!«, gab der Feldmarschall den Befehl.

Jetzt musste die Waldläuferin warten, bis er die Zeit fand die Burg zu verlassen. Dies konnte unter gegebenen Umständen Tage, wenn nicht Wochen dauern. So lange konnte sie nicht darauf warten. Sie musste ihm ihre Erkenntnis so schnell wie möglich mitteilen. Wenn es sein musste, würde sie einen Weg ins Innere der Burg finden.

Kapitel 9: Das Erwachen

Es war ein seltsames Gefühl den Fürsten in diesem Zustand zu sehen. Er war für sein selbstbewusstes Auftreten und die gnadenlose Strenge bekannt. Seit der Entführung seiner Tochter war er Niedergeschlagen, verängstigt und kehrte mehr und mehr in sich zurück.

Es tat Neal in der Seele weh, seinen Onkel so zerbrechlich zu sehen. Als sie vor zwei Tagen aus dem Kerker in die Freiheit stiegen, hatte bereits der Feldmarschall auf sie gewartet. Neal hatte erwartet, dass der Fürst ihn verbal niederschmettern würde. Oder ihn zumindest schroff darauf hingewiesen, dass er gefälligst seine Aufgabe nachgehen sollte. Nichts dergleichen geschah. Selbst dann nicht, als Neal den Saphir Anhänger vom Feldmarschall entgegennahm. Später, als der Fürst ausser Sicht- und Hörweite war, gab Neal den Saphir dem Schatten Leander, der sich sehr darüber zu freuen schien.

Als die Kompanie schließlich im Drachenauge ankam, brachte Fürst Estoban seine Tochter unverzüglich zu Elliard, dem Medikus. Ihm musste der Fürst nicht sagen, dass er sofort bescheid geben musste, wenn Esmeralda aufwachte.

Seit zwei Tagen hatte sich der Zustand der Prinzessin nicht verändert. So oft es ging war der Fürst bei ihr gewesen. Der Medikus musste erst auf den Fürsten einreden, damit dieser das Krankenzimmer verlies.

Wenn der Fürst nicht im Krankenzimmer bei seiner Tochter war, dann sass er in einem Dämmerzustand auf seinem Thron. Seine roten Augen waren in die Leere gerichtet. Seine Gedanken waren an einem anderen Ort.

Allmählich machte sich Neal Sorgen um seinen Onkel. Noch nie hatte er ihn in so einer schlechten Verfassung gesehen. Er ass kaum, schlief nicht mehr viel. Neal spielte mit dem Gedanken den Medikus zu ihm zu schicken um den Gesundheitszustand zu überprüfen. Schnell verwarf er den Gedanken, denn der Fürst hatte Angst um seine Tochter. Nur wenn es ihr wieder gut ginge, wäre der Fürst wieder ganz der alte.

Neal richtete seine Aufmerksamkeit den Stapel von Dokumenten vor sich. Zumindest versuchte er es. Seine Gedanken wanderten sich immer wieder zu den Ereignissen im Schwarzdorn zurück. Eine innere Stimme sagte ihm, dass es noch nicht vorbei sei. Je mehr er versuchte die Stimme zu ignorieren, desto lauter wurde sie. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Orlando den dunklen Assassinen die Kehle durchschnitt und die Hand vom Arm abtrennte. Zwei mal. Wie konnte das überhaupt möglich sein? Und wo war eigentlich dieser ominöse Darius abgeblieben?

Sein Kopf dampfte vor lauter Fragen. So konnte er nicht die Berichte durcharbeiten. Er brauchte eine Pause.

»Onkel, ich gönne mir eine Auszeit«, richtete er sich an den Fürsten. »Soll ich dir was bringen? Was zu essen? Oder zu trinken?«

Der Fürst reagierte nicht auf seinen Neffen.

»Onkel? Alles in Ordnung?«

Erst als Neal seine Hand auf seinen Arm legte, zuckte der Fürst zusammen.

»Ich bin es nur«, versicherte Neal ihm, als er die Verwirrung in seinem Gesicht sah.

»Nein, danke«, antwortete der Fürst, der einige Zeit brauchte, bis die Worte seines Neffen zu ihm durchdrangen.

»Wie ihr wünscht, Onkel«, verabschiedete sich Neal.

 

Esmeralda träumte davon in der Familiengruft zu sitzen, das Kinn auf den Knien ruhend und die nassen Augen auf das in der Wand eingelassenes Grab gerichtet. Das Licht der Fackel, das neben der Tür an der Wandhalterung hing, lies die Schatten gespenstisch tanzen.

War es wirklich schon zehn Jahre her, dass sie ihre Mutter verloren hatte?

»Mutter«, kam es kaum hörbar aus Esmeralda's Lippen.

»Weine nicht, mein Kind«, hörte sie eine geisterhafte Stimme zu ihr sprechen.

Ihr Kopf fuhr hoch. Ihr Blick wanderte durch die Kammer. Durch die nassen Augen konnte sie nichts erkennen. Als sie die Tränen wegwischte, setzte ihr Herz für einen Augenblick aus, als sie die Gestalt vor dem Grab ihrer Mutter erkannte. Ein bläulicher Schein umgab die Gestalt. Das Kleid und das Haar wirbelte wie von einer leichter Brise getragen und schmiegte sich um den grazile Figur der Frau.

»Mutter?«, fragte Esmeralda ungläubig.

»Ja, mein Kind. Ich bin es«, antwortete die geisterhafte Gestallt liebevoll.

Esmeralda stand auf und wollte sie umarmen. Anstatt sie zu berühren glitt sie durch sie hindurch.

»Was passiert hier?«, stockte ihr der Atem.

»Hör mir zu, mein Kind. Du musst hier fort. Du bist hier nicht mehr sicher. Es werden ein paar böse Menschen kommen und werden die Burg dem Erdboden gleich machen«, warnte ihre Mutter sie.

Ungläubig sah Esmeralda sie an, eher sie mit einer leisen, schwachen Stimme fragte: »Aber... wohin?«

»Soweit weg von hier wie möglich.«

»Ich vermisste dich, Mutter. Ich will dich wieder zurück haben«, liefen ihr erneut die Tränen hinab.

»Weine nicht, mein Kind. Ich war nie fort von dir. In deinem Herzen war ich immer zuhause, dass weist du auch. Ich werde immer bei dir sein um auf dich aufzupassen, so wie ich es immer getan habe...«

Kaum hatte sie den Satz beendet, schwanke ihr Blick zur Tür. Als Esmeralda ihren Blick folgte, war da nichts zu sehen. Als sie sich wieder ihrer Mutter zuwandte, war sie bereits verschwunden. An ihrer Stelle war nur noch weisser Nebel zu sehen.

 

Das erste, was sie wahrnahm, war der seelische Schmerz der Trauer. Das nächste waren ihre nassen Wangen.

»Es ist wieder alles in Ordnung«, hörte sie eine vertraute Stimme. »Ihr seit in Sicherheit.«

Sie blickte sich in dem weiss gehaltenen Raum um und erblickte schliesslich das Antlitz von Elliard, dem Medikus, der vor ihrem Bett im Krankenzimmer stand. Sie richtete sich mit der Decke über den Schultern auf und sah ihn verwirrt an.

Allmählich keimte ihn ihr die Erkenntnis, dass sie nur geträumt hatte. Sie war nicht in der Gruft und hatte nicht mit ihrer Mutter gesprochen. Doch es fühlte sich so real an. Ihr Herz krampfte sich bei dem Gedanken zusammen. Esmeralda konnte die neue Welle der Tränen nicht mehr aufhalten.

Elliard nahm sie in den Arm und wippte sie hin und her. »Es ist alles in Ordnung.«

Hinter dem Türspalt glaubte Elliard eine Bewegung ausgemacht zu haben. Vorsichtig reckte er seinen Kopf zur Tür.

»Ist da wer?«, erkundigte er sich vorsichtig.

Die Tür ging zaghaft auf. Ein junger Bursche in einer Knielangen Hose und einer schwarzen, schmucklosen Weste trat einen Schritt ins Krankenzimmer.

»Ist sie...? Geht es ihr...?«, traute sich Leander nicht die Fragen zu beenden.

»Leon«, streckte die Prinzessin ihren Arm nach ihm aus, während sie mit der anderen Hand die Decke an ihrem Platz hielt.

Unsicher, was er nun tun sollte, sah er den Medikus an, der ihm freundlich zunickte. Leander erwiderte die Umarmung der Prinzessin. Er drückte sie fest an sich. Sie legte ihren Kopf auf seine Schultern. Es verging einige Zeit, bis ihre Tränen nicht mehr flossen.

»Bleibe bitte bei ihr. Ich gehe den Fürsten benachrichtigen«, bat der Medikus Leander und ging.

Als sie sich von der Umarmung lösten, rutschte die Decke ihrer Schulter hinab. Beschämt drehte Leander den Kopf zur Seite.

«Was ist los?«, fragte Esmeralda verwirrt.

»Die Decke«, meinte er nur.

Sie blickte auf sich hinab und bemerkte jetzt erst, dass die Decke den Blick auf ihre nackten Brüste freigab.

»Verdammt«, zog sie die Decke wieder hoch. Ihr Kopf lief rot an. Am liebsten würde sie im Erdboden versinken, als ihr klar wurde, dass lediglich die Decke sie von der Nacktheit trennte. Die einzigen Menschen, die sie je ohne Kleidung gesehen hatten, waren ihre Eltern, als sie noch ein Kleinkind war, und der Medikus, wenn er sie in gewissen Regionen untersuchen musste, wenn es sich nicht vermeiden liess.

»Entschuldung«, meinte Leander kleinlaut.

»Du hattest sicherlich schon die ein oder andere Frau nackt gesehen«, versuchte sie ihren Scham zu kaschieren.

Doch er gab keine Antwort.

»Oh«, gab Esmeralda von sich. »Also eher weniger.«

»Sehr viel weniger.«

Esmeralda erkannte, wie schwer es ihm fiel dies zuzugeben.

»Ich auch nicht«, versuchte sie die Situation aufzulockern.

Leander gab ein unbeholfenen Lacher von sich.

 

Fürst Estoban riss die Augen auf. Auf dem Thron sitzend ist er eingeschlafen. Denn Traum, denn er hatte, war ihm noch frisch vor den Augen, als sei es tatsächlich geschähen. In seinem Traum befand er sich in der Familiengruft. Er sah dort seine Tochter vor sich kauernd. Vor ihr war eine geisterhafte Gestallt, die seiner verstorbenen Frau zum verwechseln ähnlich sah. Und genau so zu seiner Tochter sprach, wie es ihre Mutter früher getan hatte. Doch was er von ihr zu hören bekam, war erschreckend. Sie verlangte von der Prinzessin so weit wie möglich von hier zu verschwinden, weil irgendwelche Männer unterwegs zum Drachenauge sein sollen. Als die geisterhafte Erscheinung der Prinzessin versicherte es wäre immer bei ihr, schwank sie den Kopf zu ihm und blickte ihn direkt an, eher sie sich in einem Schwall weissen Nebels auflöste.

»Verdammte Scheisse«, fluchte der Fürst vor sich hin.

War das eine Vision? Oder doch nur ein nichts sagender Traum? Versuchte seine verstorbene Frau ihn aus dem Jenseits zu warnen? Oder verlor er langsam den Verstand?

Er erhob sich vom Thron und schritt gedankenverloren zum Fenster. Die Sonne hatte beinahe den Horizont erreicht und tauchte die Wolken in ein purpurrotem Schein.

Nicht weit unter ihm, im äusseren Ring der Burg, lag die Arena, von wo aus er Kampfgeräusche und grölende Jubelschreie zu hören waren. Er öffnete das Fenster, lehnte sich hinaus und blickte direkt ins Geschehen der Arena. Auf dem Wehrgang erkannte er seinen Neffen, der sich zum Feldmarschall gesellte. Seine Gedanken an den Traum hinderte ihn daran die Kämpfe zu verfolgen.

»Eure Hoheit«, riss ihn jemand aus den Gedanken. Mit dem Blick über die Schulter erkannte er Elliard.

»Was gibt es?«, fragte der Fürst gedankenverloren.

»Die Prinzessin ist aufgewacht.«

»Was?«, schlagartig änderte sich sein Gemütszustand und eilte dem Medikus hinterher.

 

In einem dunklem Raum befand sich eine runde, von Zinnen umsäumte Steinplatte. Die in den Zinnen eingelassenen Kristalle fingen leise an zu summen, das sich zu einem Knistern umschlug und an Lautstärke gewannen, bis sich die Kristalle überluden und Blitze zum Mittelpunkt der Steinplatte warfen und zu einem hellerleuchteten und immer grösser werdenden Lichtkugel verschmolzen. Ein entsetzlicher Schmerzensschrei drang aus dem inneren der Lichtkugel. Als die Kristalle verstummten, wurde der Raum so dunkel wie zuvor. Wo zuvor die Lichtkugel den Raum erhellte, blieb nur noch eine hünenhafte Gestallt übrig, die sich vor Schmerzen krümmte.

»Verdammte Scheisse«, fluchte Sagat und wollte sich mit beiden Händen an den pochenden Kopf halten.

Erschrocken stellte er fest, das sein rechter Unterarm fehlte.

»Was zur...?«

Aus einem der Nebenräume erkannte er ein Zischen, Poltern und ein metallisches Hämmern. Mit letzten Kraftreserven er sich und bewegte sich schwankend in diesen Raum. Dort fand er vier deckenhohe, zylinderförmige Behälter mit unzähligen Druckmesser samt Regler und Leitungen, die mit der Wanne in der Mitte verbunden waren. In der brodelnden, rötlich blauen Flüssigkeit lag der glatzköpfige Mann zum Sagat unaufgefordert ging.

»Wo ist mein Arm?«, hob Sagat wütend seinen Armstumpf in Richtung des Totenpriesters. »Warum hat mich der Seelenporter nicht vollständig regeneriert?«

»Weil der Kristall zerbrochen ist«, erklärte Lucor nüchtern. »Wenn dein Arm nachgewachsen ist, kreiere ich einen neuen Kristall.«

»Wie soll ich die Eindringlinge denn mit nur einem Arm und ohne die Kraft des Kristalls erledigen?«

Lucor lachte auf, was den Hünen verwirrte.

»Wie lange war ich weg?«, dämmerte es ihm allmählich. Wenn er ehrlich zu sich selbst wäre, dann würde er sich eingestehen, dass er Angst vor der Antwort hatte.

»Die Göre ist weg«, gab Lucor nüchtern bekannt. »Die Eindringlinge sind schon lange fort.«

»Wie lange?«, wurde Sagat ungeduldig.

»Zwei volle Tage.«

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Wieso hatte es so lange gedauert?

»Und der Lebenselixier?«, fragte er stattdessen.

»Was glaubst du, worin ich bade?«, antwortete Lucor schroff. »Ausserdem hat Darius veranlasst, dass ein Kopfgeldjäger auf dich aufmerksam wird und auf der Suche nach dir ist. Und das schon seit Wochen.«

»Bitte was?«, konnte Sagat seinem Meister nicht mehr folgen.

»Keine Sorge. Der Bursche kann dir nichts anhaben. Die Sache dient nur dazu, dass er sich den Gardisten anschliesst. Der Bursche weiss nicht, das er ein Dunkelgeborener ist. Das heisst, dass ich seine Gedanken anzapfen kann und so die Schwachstellen der Burg ausspähen kann, ohne das der Fürst es mitbekommt.«

»Wenn wir schon bei der Ratte Darius sind, dir ist schon klar, dass er den Gardisten geholfen hat?«

»Natürlich weiss ich das. Für wie blöd haltest du mich?«

»Wo ist er? Er muss seine Lektion lernen.«

»Er hat sich nach Süden abgesetzt«, antwortete Lucor gelassen. »Keine Sorge er kommt zurück. Er kommt immer zurück.«

»Und was soll ich jetzt tun?«, wechselte Sagat das Thema.

»Warten, bis du vollständig geheilt bist. Dann wirst du wieder in den Dienst antreten. Ausserdem habe ich eine Söldnertruppe in das Drachenauge geschickt. Angeführt von einem Mann, der bereits vor Jahren da war.«

»Und wozu braucht ihr dann noch diesen Kopfgeldjäger?«

»Ich erwarte, dass der Truppenführer erkannt und verfolgt wird. Der Kopfgeldjäger soll sich beweisen und das vertrauen des Fürsten erschleichen.«

Kapitel 10: Arena

Wenn man im Drachenauge in Form bleiben wollte und gleichzeitig mit anderen Gardisten zu messen, wenn keine Schlachten stattfanden, dann war die Arena im äusseren Ring die ideale Gelegenheit. Hier konnten die kommandierenden Gardisten und die Offiziere am besten erkennen, wo sich die Einzelnen in der Schlacht am besten eingesetzt werden konnten. Ein flinker Kämpfer war ideal für die erste Welle gut geeignet. Denn sie können den Gegnern gut ausweichen und sie so sehr ermüden, dass die nächsten Wellen keine Problemen haben die Überhand zu gewinnen.

Ausserdem veranstaltete das Drachenauge in regelmässigen Abständen, sofern sie nicht im Krieg mit irgendeinem Volk waren, Wettkämpfe und Turniere. Mutige Streiter aus ganz Gotha Region bannten sich den Weg zu dieser Arena und hofften auf saftige Gewinnprämien. Hin und wieder kam es vor, dass der ein oder andere Streiter auch für die Garde rekrutiert wurde.

In der ganzen Geschichte dieser Arena gab es nur einen einzigen Mann, der es auf fünfzehn aufeinanderfolgende Gegner in einem Zug bezwang und dreist genug war Nachschub zu fordern. Seit diesem Abend trug Orlando Gaan den Beinamen Schädelspalter. Der Fürst war so sehr begeistert, dass er ihm ein Angebot unterbreitete für die Garde zu streiten. Erst Jahre später hatte Orlando das Angebot wahrgenommen. Im Nachhinein bereute der Fürst seine Entscheidung, da er zu spät seine Undiszipliniertheit erkannte und seine ungebrochene Leidenschaft an Alkoholflaschen und den Brüsten junger Frauen zu nuckeln.

»Wer ist der nächste?«, brüllte der Kämpfer den Menschen zu, die sich in der Arena versammelt hatten.

 

»Traut ihr euch nicht, ihr feiges Pack?«, brüllte Orlando in die Menge.

Mit nackten Oberkörper taumelte er im Sand der Arena von der einen Seite zur anderen. In der einen Hand hielt er ein Kurzschwert, dass in seiner Hand eher wie ein langes Messer wirkte, während er mit der anderen die halbleere Weinflasche zu seinen Lippen führte.

»Prügelt diesen Idioten endlich aus der Arena«, brüllte ein älter Gardist zurück und wurde von einem tobenden Beifall unterstützt.

»Wer soll mich raus prügeln? Du etwa, alter Mann?«

»Wie wäre es mit mir?«

Taumelnd drehte sich Orlando um und sah den jungen, hageren Mann mit dem Pferdeschwanz und Ziegenbart an. War das nicht der Kerl, den Wolfson aufgegabelt hatte? Wie hiess er gleich noch man? Skipper? Skipo?

»Ich brauche Gegner, keine Opfer«, pöbelte Orlando ihn an. »Gibt es keine ernstzunehmenden Gegner mehr?«

Zornig stürmte Scipio auf den Schädelspalter zu. Im letzten Moment trat Orlando zur Seite, drehte sich um die eigene Achse und rammte den Knauf des Schwertes in den Nacken seines Gegners. Scipio ließ ein schmerzverzerrtes Stöhnen von sich, als er gegen die Wand knallte.

»Kommt schon, Leute. Will den keiner mehr gegen mich antreten?«, rief Orlando ins Publikum. »Nicht ein einziger?«

»Bleib stehen!«, richtete Scipio seinen Degen gegen ihn.

»Sonst was?«, sprang Orlando demonstrativ von einem Bein aufs andere. »Kitzelst du mich dann mit diesem Zahnstocher?«

Die Zuschauer konnten das Gelächter nicht zurückhalten. Auch Neal, der sich vor einigen Moment auf dem Wehrgang zum Feldmarschall und den Bennet Brüdern gesellte, liess sich vom Gelächter mitreisen.

»Der Typ ist witzig«, meinte Neal lächelnd. »Er glaubt offensichtlich allen ernstes eine Chance gegen den König dieser Arena bestehen zu können. Wo habt ihr in aufgegriffen, Feldmarschall?«

»Vor dem weissen Gargoyle«, antwortete Wolfram mürrisch. »Und er hat mich aufgegriffen.«

Neal, der das erste mal seit der Entführung seiner Base gut gelaunt war, musste das Lachen unterdrücken, da ihm wieder einfiel, unter welchen Umständen der Feldmarschall Leute rekrutieren musste.

»Tut mir Leid«, sank Neal beschämt seinen Kopf.

»Muss es nicht, mein Junge«, legte Wolfram seine Hand auf Neal's Schulter. »An mir soll dein Vergnügen nicht scheitern. Wenn ich schon keinen Krieger gefunden habe, dann vielleicht einen Narren für die Arena.«

Ein Lächeln huschte über Neal's Gesicht. In Wolfram's steinernen Miene, die versuchte ein väterliches Lächeln aufzusetzen, konnte Neal aber deutlich das harte Selbsturteil erkennen.

»Wie geht es der Prinzessin?«, wechselte Wolfram das Thema.

»Sie ist nach wie vor Bewusstlos.«

»Verdammt«, fluchte Wolfram vor sich hin.

Neal sah den Feldmarschall von der Seite an. Sollte er ihm von seiner Ahnung erzählen? Lieber nicht, entschied er sich. Vielleicht ist es einfach nur die Sorge um seine Base, die ihm solche Gedanken einflössten.

Wolfram starrte missmutig hinab in die Arena und sah zu, wie sich Scipio zum Affen machte.

»Und das soll ein Kopfgeldjäger sein?«, schimpfte er vor sich hin.

»Vergesst nicht, dass ihr es wart, der ihn rekrutierte«, gab Neal zu bedenken. »Wenn mein Onkel sich wieder erholt hat und er den Neuling begutachtet, dann will ich nicht in der Nähe sein.«

»Ich weiss, mein Junge. Ich kenne euren Onkel schon lange genug, um zu wissen, dass ich früher oder später leiden werde. So war er schon immer.«

»Da habt ihr recht«, lehnte sich Neal an die Brüstung.

Die Menge jubelte dem Schädelspalter zu, als dieser seinem Gegner mit seiner Weinflasche in die Bewusstlosigkeit geschickt hatte.

 

Die Waldläuferin war schon lange nicht mehr in der Burg Drachenauge. Dennoch traute sie sich in seine Nähe. In der Regel, wenn sie sich mit Tyson verabredet war, oder wenn sie ihn abfangen wollte, wenn er auf die Jagd ging. Sie verharrte bereits seit zwei Tagen auf einem Baum. Allmählich machte sie sich sorgen. Vielleicht hatte er sie nicht bemerkt. Aber warum hatte er sonst das geheime Handzeichen gemacht, nachdem sie es tat? Vermutlich liessen ihn seine Vorgesetzten ihn nicht raus. Wenn man die Geschehnisse der letzten Tage in Betracht zog, war das der logischste Grund, entschied sie.

Aus dem Inneren der Burg konnte sie eine johlende Menge hören, die teilweise jubelten und teils Buhrufe von sich gaben. Die Waldläuferin erinnerte sich noch gut an die Zeit in der Burg und an dessen traditionellen Schaukämpfen. Es widerte sie an solchen Spektakeln beizuwohnen. Doch als Magd der Fürstenfamilie blieb man selten fern. Da war sie für fast jede Aufgabe dankbar, die nicht mit den Kämpfen zu tun hatten. Das einzig gute an ihrer Verbannung war, dass sie nicht mehr gezwungen war dieses Blutvergießen anzusehen.

Schmerzlich erinnerte sie sich an die Verbannung. Mit dem Tod der Fürstin wünschte sich der Fürst eine Bettgespielin. Obwohl ihm einige Mädchen zu Verfügung standen, wollte er unbedingt sie haben. Sie weigerte sich vehement. Nach Wochen und Monaten vergebenen Versuchen gab der Fürst dann auf. Nicht lange darauf wurde sie wegen eines Diebstahls angezeigt. Obwohl sie zur besagten Tatzeit in der Waschküche war, wollten Zeugen sie angeblich gesehen haben, wie sie den Schmuck der Fürstin aus dem Gemach entwendet habe. Trotz der ihrer wahrheitsgemässer Aussage glaubte der Fürst ihr nicht und sah sich gezwungen sie auf Lebenszeit aus der Burg zu verbannen. Tief im Inneren wusste sie, dass der Fürst in jenem Moment keine andere Option hatte.

Knackende Zweige vertrieben die Gedanken aus ihrem Kopf. Ihre geschulte Ohren verrieten ihr, dass es kein Wild war, das sich hier herum trieb. Dafür waren die Schritte zu schwer und zu viele für ein Tier. Ihre Augen unter der hölzernen Maske suchten nach der Geräuschquelle und wurde schnell fündig. Es waren vier schwer bewaffnete und finster dreinblickende Männer, die in Richtung des Burgtores marschierten.

Der Anführer der Gruppe überragte seine Gefährten um mindestens einen Kopf. Er war auch der am kräftigsten gebaute. Eine Narbe zierte quer über dessen kantiges Gesicht und an den Schläfen rankten silberne Strähnen. Ein Zwicker mit dunklen Gläsern sass auf seiner Nase.

Er kam ihr merkwürdig vertraut vor. Aber woher? So sehr sie versuchte ihn einzuordnen, schaffte sie es nicht. Dabei musste solch ein Mensch doch im Gedächtnis bleiben. Oder nicht?

Still verharrte sie auf dem Ast. Versuchte kein Laut von sich zu geben. Mit ihrer grünbrauner Kleidung passte sie sich ideal in die Umgebung an. Für ungeschulte Augen war es fast unmöglich sie zu erkennen, wenn man nicht wüsste, wo sie hinschauen sollten. Doch waren die Augen dieser Männer wirklich so ungeschult? Der hintere Mann drehte seinen Kopf um, als habe er etwas hinter sich bemerkt. Seine steingrauen Augen suchten hasserfüllt die Umgebung. Seine strohblonden Haare klebten ihm auf der Stirn.

Für einen Moment blieb der Waldläuferin das Herz stehen. Nicht, weil der Mann sie gesehen hatte, sondern weil sie ihn wiedererkannte. Er war der Grund, warum sie gezwungen war die Maske zu tragen.

 

»Ich muss wieder auf die Jagd gehen«, sagte Tyson seinem Bruder mit Nachdruck, als die Gardisten nach und nach die Arena verliessen.

Nach solchen Veranstaltungen gab es immer eine Saufgelage in der Taverne, wo die Leute auf ihre Sieger anstiessen oder die Niederlage ihrer Favoriten ertränkten. Andere wiederum brauchten keinen Grund um sich in die Bewusstlosigkeit zu saufen.

»Das kannst du nicht machen«, sagte Gandor entschieden. »Wir können die Burg nicht verlassen.«

»Aber warum? Mateo hat die Burg ja auch verlassen.«

»Er ist auch ein Händler. Er muss zusehen, dass sein Geschäft läuft.«

»Und ich bin ein Jäger, verdammt noch mal. Auch ich muss zusehen, das ich meine Dukaten bekomme.«

»Als Reservegardist hast du die Aufgabe die Truppe zu unterstützen, wenn es von Nöten ist.«

»Du sagst es. Reserve.«

Gandor blickte ihn nachdenkend an und fragte dann: »Warum tritt's du der Garde nicht komplett an? Ist ja sowieso eine Art Familiengeschäft.«

»Unser Familiengeschäft ist nicht die Garde, sondern die Viehzucht. Hast du das schon vergessen? Unsere Schwerstern und unser Bruder sind immer noch auf dem Hof unserer Eltern. Die sind in unserem Familiengeschäft. Du wolltest dich ja unbedingt der Rangertruppe anschließen.«

»Und du bist mir gefolgt«, stellte Gandor lachend fest.

»Wer soll denn sonst auf dich aufpassen?«

»Wenn du ein Gardist in der Vollzeit wärest, dann könntest du besser auf mich aufpassen können. Und du wärest besser bezahlt, als in der Reserve.«

»Du weisst ganz genau, dass ich gerne auf der Jagd bin. In der Reserve bin ich nur, weil ich nicht das ganze Jahr über jagen kann.«

»Und dennoch kannst du derzeit nicht weg«, mischte sich auch Neal ein. »Ich glaube nicht, dass die Sache ausgestanden ist.«

Die Blicke der Brüder wanderten zu ihm. Auch der Feldmarschall sah ihn fragend an.

»Wie meinst du das?«, wollte Tyson wissen.

»Wer die Tochter eines Adeligen entführt, plant mit Sicherheit etwas grösseres.«

»Verdammt, daran hab ich gar nicht gedacht«, gestand Tyson nachdenklich.

Neal setzte zum sprechen an um seine Gedanken zu erläutern. Doch sein Blick blieb am Tor hängen. Genauer gesagt an der vierköpfigen Truppe, die sich diesem zusteuerte.

»Spinn ich?«, murmelte Neal vor sich hin.

»Was ist los?«, fragte Gandor.

»Sie dir das an«, deutete Neal mit einem Kopfnicken auf den Truppenführer. »Trügen mich meine Augen, oder ist er es tatsächlich?«

Gandor folgte dem Blick und musste genauer hinschauen um zu verstehen, was Neal meinte.

»Gott verdammte Scheisse«, fluchte Gandor erfreut und ungläubig zugleich. »Das muss ich mir von der Nähe anschauen.

Kapitel 11: Das Lagerhaus

Die Wellen schlugen in regelmässigen Abständen gegen die Kaimauer und zogen sich schäumend zurück. Das salzige Geruch des Ozeans war allgegenwärtig. Mateo liebte es hin und wieder in die Bucht, die unweit des Hafens war, zurückzuziehen, ein Lagerfeuer zu machen und den langen Tag die Sonne hinter dem wässrigem Horizont verschwinden zu sehen.

Er bedauerte diese Gelegenheit nicht immer nutzen zu können. Vor allem nicht nach Ereignissen wie in den letzten Tagen. Nach den Kämpfen mit den Dunklen, der Gefangenschaft und der Befreiung der Prinzessin hatte er die einsame Ruhe in der Bucht bitter nötig. Da ihm die Befreiungsaktion keine Einnahme gebracht hatte und Tyson, sein wichtigster Lieferant für Pelze und Felle, ihm nur minderwertige Ware verkauft hatte, war er gezwungen einigen Nebentätigkeiten zu leisten, um seine Verluste zumindest ein klein wenig auszugleichen. So hatte er sich im alten Lagerhaus im Hafen wiedergefunden.

Lehmar, der Geldverleiher, hatte ihm einige Dukaten angeboten um den Lageristen einen Besuch abzustatten, damit dieser dem Geldverleiher die Schulden zurückzahlt. Das einzige, was Mateo im Lagerhaus fand, waren verwahrloste Kisten und Fässer mit verfaultem Essen und zerrissenen Lumpen, das einst Kleidung gewesen sein mochten.

»Verdammt«, fluchte er vor sich hin, als er alle Räumlichkeiten durchsucht hatte. »Schon wieder kein Gewinn.«

Enttäuscht machte er sich auf dem Weg das Lagerhaus zu verlassen um dem Verleiher die schlechte Nachricht zu überbringen. Im Geiste legte er schon einmal die rechten Worte zurecht, die den alten Verleiher nicht allzu sehr erzürnen würden.

Kaum hatte er den Ausgang des Lagerhauses erreicht, wurde er von zwei bulligen Hafenarbeiter in zerlumpten Arbeitskleidung zurückgeschupst.

»Du kleine Ratte«, beschimpfte einer der beiden drohend. »Was fällt dir ein uns minderwertige Waffen anzudrehen?«

Irritiert sah er seine Gegenüber an und wusste nicht zu sagen, was er damit meinte.

»Mit deinen Schwertern hatte der Schädelspalter ein leichtes Spiel mit uns«, half der Hafenarbeiter ihm auf die Sprünge.

»Was erwartet ihr eigentlich für zehn Dukaten zu bekommen?«, fiel ihm wieder ein, wer diese Halunken waren. »Ihr hättet ihn noch nicht einmal mit hochwertigen Waffen bezwingen können. Ihr seit und bleibt billige Hinterhofschläger.«

Wutentbrannt über diese Beleidigung schleuderte der Hafenarbeiter seine Faust mit voller Wucht in Richtung von Mateo's Gesicht, der elegant auswich, griff sogleich nach dem Arm seines Angreifers und zog sich zu ihm, um sein Knie in die Magengegend des Hafenarbeiters zu rammen. Zuckend und nach Luft ringend brach dieser dann zusammen.

Der zweite Hafenarbeiter zog sein Schwert und schwang es demonstrativ in der Luft. Mateo griff nach dem Paddel, das auf einem der Fässer lag und zielte auf den Schwertarm seines Gegners, der die Klinge schmerzschreiend fallen liess. Mit dem restlichen Schwung donnerte Mateo den Paddel gegen den Kopf des Hafenarbeiters. Er glaubte das Brechen des Schädels gehört zu haben.

»Wer nicht kämpfen kann, soll es sein lassen«, kommentierte Mateo zynisch, als er über die bewusstlosen Leiber stieg um endlich aus dem verdammten Lagerhaus zu kommen.

Kaum hatte er das Tor erreicht, hörte er hinter sich ein Geräusch, das ihm nicht geheuer war. Es war ein Knistern und Knacken, das ihm einen Schauder über den Rücken laufen lies. Erst dachte er an ein ausbrechendes Feuer. Als er dann den Kopf nach hinten drehte um nach der Quelle des unheilvollem Geräusches zu finden, bekam er jedoch kein ausbrechendes Feuer zu sehen. Es war eine Kugelförmige Lichterscheinung, die rasch anwuchs, bis es eine Grösse erreichte, in die er selbst Platz finden konnte. Durch die bläulich schimmernde Membran, die sich aus den zuckenden Blitzen entwickelte, konnte er tatsächlich eine Silhouette eines menschlichen Körpers erkennen. Oder spielte ihm sein Verstand einen Streich?

So plötzlich das Phänomen kam, verschwand es auch wieder. Für einen Augenblick glaubte Mateo die Sehkraft verloren hatte. Nach einigen Zwinkern gewöhnten sich seine Augen wieder an die eigentliche Helligkeit. Zunächst glaubte er an eine Sinnestäuschung, als er an die Stelle sah, wo kurz zuvor der merkwürdige Lichterscheinung war. Es schien ihm so, als sei die Gestallt, die er in der Kugel sah, auf dem Boden liegend zurück geblieben sei. Vorsichtig trat er näher und erstarrte, da ihm klar wurde, dass vor ihm tatsächlich der nackte Körper einer leblosen Frau lag.

Er kniete zu ihr nieder, legte den Zeige- und Mittelfinger an ihren Hals um nach dem Puls zu spüren. Unter ihrer kalten Haut spürte er ein kaum spürbares pulsieren, aber deutlich genug.

»He, Madam«, rüttelte er dann an ihrer Schulter, in der Hoffnung, sie würde zu sich kommen. Als keine Reaktion kam, drehte er sie auf den Rücken und ein Schock durchfuhr seinen ganzen Körper, als er die Frau wieder erkannte.

»Grund Gütiger, sie lebt?«

 

Obwohl die Waldläuferin schon seit Jahren kein Fuss mehr auf den Boden von Kap Ardea gesetzt hatte, kannte sie Wege um unerkannt in die Stadt zu gelangen. Die Kanalisation war die unangefochtene Herrscherin des sinnesraubenden Gestanks. Die meisten Menschen in der Stadt hatten schon lange vergessen dass es die Kanalisation überhaupt gibt, weshalb es nicht mehr wirklich genutzt wurde. Deshalb war der Gestank hier unten erträglicher, als zu der Zeit, als es von jedem genutzt wurde.

Für die Waldläuferin war es ein Gräuel diesen Weg zu nutzten, aber es war der sicherste Weg hinein. Als sie damals aus dem Drachenauge verbannt wurde, wollte sie in Kap Ardea Zuflucht suchen und wurde von der Miliz verscheucht. Kurz darauf erfuhr sie, dass ein Kopfgeld auf sei ausgesetzt wurde, um sie aus den Städten und dem Drachenauge fern zuhalten. Das Kopfgeld war nach wie vor in Kraft, weshalb sie sich in ganz Gotha nicht blicken konnte. Nur sehr wenigen Menschen war es bekannt, dass sie sich nach wie vor in der Gegend befand. Bei diesen Leuten konnte sie ihr Leben verwetten, dass sie nichts sagen würden. Tyson Bennet war einer dieser Menschen, zu dem sie regelmässigen Kontakt pflegte, auch wenn es ihn in gewisse Schwierigkeiten bringen konnte. Da sie zu ihm nicht durchdringen konnte, um ihn zu warnen, musste sie sich in die Stadt wagen, um mit jemand anderem in Kontakt zu treten. Es war der ehemalige Gardist aus der Ostküste und Händler Mateo Wilde. Er war der einzige, denn sie auf die schnelle aufsuchen konnte. Denn das, was sie wusste und gesehen hatte, konnte sie nicht verschweigen.. Es musste sofort was dagegen unternommen werden.

Sie hörte bereits das Wasser rauschen, was hiess, dass der Ausgang nicht mehr weit war. Direkt über der Stelle, an der sie sich befand, stand das alte Lagerhaus, aus dem sie Kampfgeräusche hörte. Sie erhöhte das Tempo ihrer Schritte um einschreiten zu können, falls es von Nöten sein sollte. Falls keine Miliz in der Nähe waren, versteht es sich.

Am Ende des Tunnels befand sich ein vergittertes Loch und eine Treppe, die nach oben zu einer Tür führte. Sie nahm zwei bis drei Stufen auf einmal. Zu ihrer Überraschung war die morsche Tür abgeschlossen. Mit ein paar wenigen, kräftig platzierten Tritten brach die durchnässte Tür auf. Nachdem sie aus der stinkenden Kanalisation eilte, musste sie über einen Fels klettern, um auf den Hafen blicken zu können. Just in dem Augenblick sah sie aus dem Lagerhaus, aus dem sie die Kampfgeräusche kamen, ein merkwürdig helles Licht erstrahlen, das im nächsten Moment schon erloschen war. Ihr Herz blieb für einen Moment stehen.

Nachdem sie den Schock verdaut und die Besinnung wieder hatte, eilte sie im Schutze der Schatten hinab zu dem Lagerhaus. Für den Moment war ihre Neugierde über dieses merkwürdig Licht grösser als die Sorge über das Drachenauge. Es würde sicher niemanden schaden, wenn sie ein paar Minuten später Mateo aufsuchen würde.

Als sie das Tor zur Lagerhalle erreichte, hörte sie aus dem Inneren eine vertraute Stimme vor sich murmeln: »Das kann doch nicht wahr sein.«

Sie erkannte Mateo's Stimme wieder, weshalb sie ihre Deckung aufgab und sich zu ihm Gesellte.

»Was kann nicht sein?«, fragte sie leise.

Mateo drehte sich panisch um, die Hände zu Fäusten geballt und erkannte allmählich wer sich an ihn herangeschlichen hatte. Ungläubig strich er sich übers Gesicht, als würde er nicht wissen, was er als nächstes machen sollte. Schliesslich trat er zur Seite, um der Waldläuferin den Blick auf den leblosen Körper der Frau preis zu geben.

»Haben die beiden versucht die Frau zu vergewaltigen?«, richtete die Waldläuferin ihren Blick auf die bewusstlosen Halunken.

»Das sind nur Idioten, die bei mir zehn-Dukaten-Schwerter gekauft hatten.«

»Warum bist du denn so aufgebracht?«

»Komm näher. Ansonsten wirst du mir nicht glauben«, forderte Mateo sie auf.

»Okay«, stieg sie gespannt über die Halunken hinweg um die Frau besser sehen zu können. Als sie schliesslich das Gesicht sah, brauchte sie nicht lange um ein bestürztes »Grund Gütiger«, herauszubringen.

»Ist sie das wirklich?«, fragte sie ungläubig.

»Ja, Azura, das ist die Fürstin Amidala Gomez.«

Kapitel 12: Besuch aus der Vergangenheit

Mateo und die Waldläuferin hatten die Fürstin einige Lumpen übergezogen und sie in das obere Stockwerk des Lagerhauses gebracht. Auf einer Kiste hockend sah er ungläubig zu der bewusstlose Frau vor ihm. Er versuchte immer noch den Schock zu verdauen, und zu begreifen wie das alles möglich sein konnte. Die Fürstin war vor zehn Jahren gestorben. Er hatte ihre Leiche gesehen, war sogar bei der Bestattung, als ihr Leichnam in der Familiengruft eingeschlossen wurde. Wie also konnte es sein, dass eben sie, nach all den Jahren, höchst persönlich und mehr als lebendig vor ihm lag?

»Das kann unmöglich sein«, murmelte er immer vor sich hin.

Die Waldläuferin legte ihre Hand auf seine Schulter. Mateo zuckte zusammen und blickte zu ihr hoch. Er hatte ihre Anwesenheit vollkommen vergessen.

»Mateo, ich brauche deine Hilfe«, fing sie an.

Er rieb sich mit beiden Händen über die Augen und Gesicht, um die Verwirrtheit und Müdigkeit zu vertreiben.

»Tyson muss erfahren, was im Drachenauge vor sich geht.«

»Er ist doch im Drachenauge. Wenn, dann weiss er mehr, als wir zwei zusammen.«, entgegnete er.

»Als ihr aus der Hütte vor zwei Tagen kamt, seit ihr Feldmarschall Wolfson in die Arme gelaufen.«

»Ja, und?«

»Er hatte einen Mann dabei, der von sich behauptet ein Söldner und ein Kopfgeldjäger zu sein.«

»Kann schon sein. Was ist mit ihm?«

»Sein Name ist Scipio und er ist ein Dunkelgeborener«

Ungläubig sah Mateo in die Schlitze ihrer Maske und versuchte zu erkennen ob sie mit ihm üble Scherze trieb.

»Was meinst du damit, Dunkelgeborener?«

»Er wurde als ein Wesen der Nacht geboren und kann von jemanden mit den entsprechenden Fähigkeiten manipuliert werden. Wenn Lucor noch da draussen ist und Scipio in der Festung ist, dann kann es nicht gut ausgehen.«

»Verdammte Scheisse«, zuckte Mateo innerlich zusammen. Er musste schnellstens was dagegen unternehmen. Er stand auf und wollte schon aus dem Lagerhaus stürmen, als die Waldläuferin ihn am Arm packte.

»Noch eine Sache«, sagte sie. »Es sind Ranger in die Festung gekommen.«

»Was für Ranger?«, hackte Mateo genervt nach, überdrüssig ihr alles aus der Nase ziehen zu müssen.

»Was sagen dir die die Namen Varro Mendez und Resnec?«

Mateo musste überlegen. Die Namen kamen ihm vertraut vor, auch wenn ihm nicht einfallen wollte woher.

»Varro und Resnec sind Ranger, die in der ganzen Welt unterwegs sind um Aufträge im Namen von Gordovan auszuführen. Varro war es auch, der die Bennet Brüder nach Drachenauge brachte.«

»Ach, ja, die hab ich ja fast schon vergessen«, huschte ein erfreutes Lächeln über sein Gesicht.

»Resnec, dieser grauäugiger Bastard ist hierfür verantwortlich«, sie zog ihre Maske herunter und gab eine grauenhafte Brandwunde auf ihrer linken Gesichtshälfte preis. »Er hatte mich mit einer brennenden Fackel misshandelt, kurz nachdem der Fürst mich verbannt hatte.«

»Ich dachte, es sei ein Unfall am Lagerfeuer gewesen«, wunderte sich Mateo.

»Ich hatte es aus Angst gesagt. Ich schämte mich dafür. Und jetzt will ich Gerechtigkeit haben«, antwortete sie. »Wenn es soweit ist, will ich ihn eigenhändig erwürgen. Hast du mich verstanden?«

 

»Müssen wir uns diese Dekadenz wirklich antun?«, fragte Valentino den Anführer der Ranger.

Als die vierköpfige Truppe das Tor der Festung passierten, folgten sie dem Jubel in die Arena. Das Hauptspektakel schien dieser Hüne von einem besoffenen Mistkerl zu sein, der die Menge anpöbelte und nach einem Gegner verlangte. Entweder waren die Männer zu feige, oder nicht dumm genug zu sein, um gegen ihn anzutreten.

Varro ruckte seinen Zwicker zurecht und sagte: »So läuft das hier, Valentino. Wenn du dich hier beweisen willst, dann musst du dir das antun, oder du stehst selber in der Arena um prügelst dich. Wenn du versuchst hier jemanden in den Arsch zu kriechen, wie du das so gerne machst, dann wirst du sofort wieder ausgeschissen und aufgeschlitzt.«

»Deine Ausdrucksweise lässt wieder zu wünschen übrig. Ausserdem sind das keine zivilisierte Menschen, so wie ich, sondern wilde Barbaren, die nichts weiter können als sich zu prügeln und abzuschlachten. Die sind nur für den Krieg gut um für Leute wie mich zu streiten«, hielt Valentino seine Arroganz im Zaum. »Wir sind nicht her gekommen, um einen halb nackten Trunkenbold in der Arena torkeln zu sehen, sondern um dem Fürsten unsere Dienste anzubieten.«

»Wenn du mal deinen Kopf aus denn Ärschen deiner reichen Freunde ziehen würdest, dann hättest du zumindest den Hauch einer Ahnung, wie die reale Welt funktioniert«, entgegnete Varro sachlich. »Wenn du hier im Drachenauge zum Fürsten kommen willst, müssen die Gardisten und Wachen wissen, wer du bist. Entweder bist du ein Verwandter, jemand der ihm schon mal das Leben gerettet hat, oder du bezwingst den ein oder anderen Gardisten in der Arena.«

»Oder ihr kommt gleich zu dem Kommandanten, der euch länger kennt, als den Fürsten.«

Die Ranger drehten ihre Köpfe zum Sprecher um, der sich an sie herangeschlichen hatte.

»Und wer soll das sein? Du etwa?«, fragte Varro leicht zynisch.

»Kennt ihr denn noch jemanden?«, konterte Gandor lässig.

»Ja, deinen Bruder«, antwortete Varro und versuchte seine Miene ernst wirken zu lassen, was ihm nach wenigen Momenten wie eine Sache der Unmöglichkeit erschien.

Das Lachen, das Varro von sich gab, steckte auch Gandor an: »Was treibt dich hier her, alter Freund?«

»Wir hatten gehört, was passiert ist«, wurde Varro wieder ernst. »Daher hatten wir gedacht, wie kommen vorbei und bieten dem Fürsten unsere Dienste an.«

»Fürst Estoban ist zur Zeit nicht in der Verfassung Besuch zu empfangen, geschweige eine Audienz. Und ausserdem, um diese Tageszeit lässt er keine Fremde zu sich, es sei den der Besuch hat sich vorher angekündigt und er hat zugesagt.«

Die Arena leerte sich allmählich und die Ranger schauten verwirrt drein von dem scheinbar abrupt endenden Veranstaltung.

»Wo wollt ihr hin?«, konnte man Orlando über das Gemurmel der Gardisten hinweg hören, der sich im Kreis drehte um nach einen potenziellen Kontrahenten Ausschau hielt. »Ich will endlich einen ebenbürtigen Gegnern haben!«

»Sie gehen in die Taverne«, erklärte Gandor den Rangern.

Von einem Augenblick in den nächsten änderte sich der Gesichtsausdruck und die Haltung des Schädelspaltrer’s, der umzukippen drohte. Breitbeinig und mit hängenden Schultern versuchte er sein Gleichgewicht zu halten.

»Was ist mit dem los?«, wollte Varro wissen. »Hat sein letzter Gegner ihn so sehr fertig gemacht, dass die Wirkung erst jetzt zu tage kommt?«

»Hier gibt es niemanden, der es mit ihm aufnehmen kann, Varro«, konnte Gandor das Grinsen nicht unterdrücken.

Wie aufs Stichwort kippte Orlando der länge nach um.

»Bist du dir sicher?«

»Absolut. Versuche du erst einmal zwei Tage lang, ununterbrochen und ohne Schlaf, Alkohol in dich rein zu schütten. Du würdest auch nicht lange auf den Beinen bleiben. Er hingegen kann in diesem Zustand jeden x-beliebigen Gegner mit blossen Fäusten ins Koma prügeln, auch wenn dieser in voller Kriegsmontur wäre.«

»Bitte, was?!«, konnte Varro die Worte nicht fassen.

»Du glaubst gar nicht, was für Fähigkeiten dieser Kerl hat. Er ist zwar ein chronischer Säufer und Schürzenjäger und ein undiszipliniertes Riesenarschloch, doch wenn er sich mal zusammenreisst, dann ist er eine unbändiges Kriegsmonster, dem man nicht in seiner Nähe haben will, wenn der mal ausrastet.«

Einige der Gardisten hatten den Schädelspalter auf eine Barre gelegt um ihn aus der Arena zu bringen.

»Der arme Medikus, der ihn behandeln muss«, dachte Varro laut nach.

»Er wird nicht zum Medikus gebracht.«

»Wohin denn dann?«

»In die Taverne.«

»Und wieder eine dekadente Angewohnheit des Pöbels.«

»Wie oft soll ich dir sagen, dass du ohne diese Leute nichts wert bist?«, fuhr Varro ihn böse an.

»Deren Glück, dass sie für niedere Handlungen zu gebrauchen sind. Ansonsten hätte ich sie schon längst entledigen lassen. Allesamt.«

Gandor verspürte den Drang diesem arroganten Bastard einen zweiten Mund in den Hals zu schlitzen. Stattdessen sagte er zu Varro: »Wie bist du eigentlich an ihn geraten?«

»Das ist eine lange Geschichte.«

»Wir haben Zeit«, sagte Gandor lässig. »Vor morgen früh werdet ihr sowieso nicht zum Fürsten kommen.«

Kapitel 13: Ein dunkles Geheimnis

Leander sass auf der Bank neben dem Hauptgebäude und liess seinen Blick über den Innenhof schweifen. Von hier aus konnte er durch das große Tor hinaus in den äusseren Ring, und somit auch zum Haupttor, blicken. Schon unzählige kampfeslustige Männer, und ein paar wenige Frauen, passierten den Haupttor. Zur Zeit herrschten wieder einmal in der Arena die berühmt berüchtigten Spiele. Leander war schon häufiger Zeuge von übermütige Kämpfer geworden, die ihr Leben in genau dieser Arena liessen. Er war schon selbst das ein oder andere Mal dabei. Aber diesmal stand ihm nicht der Sinn nach dem blutigem Spektakel und blieb lieber für sich allein.

Seine Gedanken gingen immer wieder zum Schwarzdorn zurück. Es schmerzte ihn die leblose Esmeralda in dem steinigen Sarkophag, gespickt mit unzähligen Nadel, vor dem inneren Auge zu sehen. Er konnte sich auch so oft einreden, dass es vorbei und Esmeralda in Sicherheit war, das Bild kam immer wieder zurück. Leander hatte es ja mit eigenen Augen gesehen, dass sie vor wenigen Minuten aufgewacht war. Ein Lächeln umspielte sein Gesicht bei dem Gedanken, und der inneren wärme, die er dabei verspürt hatte.

Ein ungewisses Gefühl überfiel ihn, dass es noch nicht vorbei war. Die Befreiungsaktion war viel zu einfach, ging zu schnell. Als ob es dem Totenpriester egal wäre, dass er sie nicht mehr in seiner Gewalt hatte. War es vielleicht sogar sein Plan? Aber welchen Zweck sollte es dienen? Je mehr sich Leander darüber den Kopf zerbrach, desto mehr keimte das Gefühl in ihm auf, sich in der Ruhe vor dem Sturm zu befinden.

»Alles in Ordnung?«, riss Neal ihn aus den Gedanken.

Nachdenklich richtete Leander seinen Blick zu ihm hoch und fragte ihn mit ruhiger Stimme: »Was ist Falsch an der Sache?«

»Was meinst du?«

»Esmeralda's Entführung«, erklärte Leander ruhig. »Irgend etwas stinkt hier zum Himmel. Sie wird entführt, ohne eine Forderung. Wir finden sofort ihren Aufenthaltsort heraus und dringen ohne weitere Probleme ein. Wir finden sie, und spazieren quasi heraus. Den Kampf gegen die dunklen Assassinen habe ich schwieriger vorgestellt, wenn man bedenkt, dass einer von ihnen mich bei der Entführung überrumpelt hatte. Nun sind es jetzt zwei Tage her. Wo bleibt die verdammte Reaktion des Totenpriesters?«

Neal hatte sich neben ihm Platz genommen und sah ihn mit einem Blick an, der sowohl finster als auch erleuchtet zu sein schien.

»Ich dachte schon, ich sei der einzige, dem es merkwürdig vorkommt«, sagte Neal eher nachdenklich. Erleichterung und Dankbarkeit schwang in seiner Stimme mit.

Leander wurde hellhörig und sah ihn fragend an: »Bist du auf eine Lösung gekommen?«

»Um die Lösung zu finden, müssen wir das Problem auf den Grund gehen. Wir kennen lediglich die Symptome«, gab Neal zu bedenken.

»Was wissen wir?«, fing Leander an laut nachzudenken. »Wir wissen, dass es viel zu einfach war, Esmeralda zu finden und zu befreien. Aber warum hat Lucor sie überhaupt entführen lassen? Und was brachte es ihm.«

»Keine Ahnung«, zuckte Neal die Achseln.

»Wer ist Lucor?«

Neal's Blick verfinstere sich merklich.

»Was ist los?«, fragte Leander verunsichert, als würde er ahnen, dass was kommen würde, was ihm nicht gefiel.

»Lucor war einst ein Berater meines Onkels«, entschied sich Neal ihm die Geschichte zu erzählen. »Er war Estoban's bester Kampfmagier und bester Alchemist. Irgendwann war sein Interesse an der schwarzen Magie geweckt und wuchs stetig heran. Er sammelte Schriftrollen, Bücher und Artefakte über diese Künste. Estoban missbilligte es offenkundig, duldete aber dessen Studium. Irgendwann fing er an Dämonen zu beschwören und Tote wieder zu erwecken. Estoban verbiet es ihm und drohte ihm mit der Verbannung, wenn er weiterhin die schwarzen Künste anwandte. Dann kam das, was kommen musste. Die Dämonen und Untote lösten sich von der Macht Lucor's und liefen Amok. Mit Müh und Not konnte die Katastrophe eingedämmt werden. Dies war der Punkt, an dem Estoban die Geduld verloren hatte und ihn Hinrichten lies. Und dann noch einmal und noch einmal. Estoban und seine Gardisten hatte alle erdenklichen Hinrichtungen bei ihm durchgezogen. Lucor hatte sie alle überlebt. Aus dem Grund waren Csardas und Callisto zu einer drastischen Massnahme gezwungen. Sie trennten seine Seele und schlossen sie in einem Kellerraum in Reddok ein.«

Mit weit aufgerissenen Augen und runtergefallenem Kinn konnte Leander nicht glauben, was er zu hören bekam.

»Warum erfahre ich das erst jetzt?«

»Das war lange vor deiner Zeit im Drachenauge. Ich habe dies auch nur am Rande mitbekommen, da ich damals um einiges jünger war als du heute.«

»Wenn seine Seele in einem Keller eingesperrt wurde, habe ich zwei Fragen. Die erste lautet: Warum Schwarzdorn? Und zweitens: Wo sind seine körperlichen Überreste?«

»Schwarzdorn gehört eigentlich einem alten Assassinen, denn wir bereits kennengelernt hatten. Offenbar ist Lucor mächtig genug um ihn aus dem Jenseits zu beeinflussen und den Turm zu seinen Eigen zu nennen. Was deine andere Frage angeht, ich weiss nicht, wo seine Leiche abgeblieben ist.«

»Und das ist auch gut so«, meldete sich Csardas zu Wort, der offenbar das Gespräch der beiden belauscht hatte.

»Neal, was fällt dir eigentlich ein, ihm diese Geschichte zu erzählen. Du weisst ganz genau, dass es nicht jeder zu hören bekommen darf«, fuhr der Magier Neal an und strafte ihn mit einem finsterem Blick.

»Verzeiht mir«, senkte Neal ehrfürchtig seinen Kopf. »Ich vertraue ihm so sehr, als sei er mein eigener Bruder. Ich bürge mich für ihn. Weder wird er es je irgendjemandem erzählen, noch wird er irgendwas in dieser Sache unternehmen. Darauf gebe ich mein Wort als Adelsmann und als Gardist.«

Mit erhobenen Hauptes und einem nachdenklichem Blick, der an seiner Finsternis nicht nachliess, sah er den Neffen des Fürsten an und sagte schliesslich: »Sollte ich je erfahren, dass es je der Fall sein wird, dann werde ich euch beide in die Hölle schicken, nachdem ich euch bei lebendigem Leibe gehäutet habe. Habt ihr mich verstanden?«

»Jawohl, verehrter Merlin«, sagte beide mit gesenktem Haupt.

»Nun gut«, wurde Csardas Stimme wieder sanfter, aber nicht minder drohend. »Dann wünsch ich euch noch einen schönen Abend.«

Als Csardas wieder im Alchemielabor verschwand sackten beide vor Erleichterung auf der Bank zusammen. Beide kannten den Magier gut genug, um zu wissen, wie ernst er seine Drohung meinte.

»Verfluchte Scheisse«, murmelte Neal. »Ich glaub es war ein Fehler es dir zu sagen.«

Leander erwiderte nichts darauf. Er hoffte nur, dass es nie soweit kommen würde. Er stellte sich die Quallen vor, die er erleiden würde, sollte er von Csardas, einer der mächtigsten Magier auf ganz Montgorda, ihn tatsächlich bei lebendigem Leibe heuten.

Aus dem Augenwinkel sah er jemanden durch den Eingang spazieren. Es schien so, als sei dieser Jemand in Eile und suchte jemanden ganz dringend. Als sich dessen Blick auf ihn richtete, setzte sich dieser Jemand in Bewegung. Als der Neuankömmling das innere Tor passierte, rief er ihm und Neal zu: »Wo ist Tyson?«

»Er muss irgendwo auf dem Wehrgang sein«, antwortete Neal dem Händler Mateo rufend. »Oder mit den anderen in der Taverne.«

»Okay«, sagte Mateo dankend und machte kehrt.

 

»Und weil die Banditen nichts bei sich hatten, konnte ich sie nicht einfach so abmurksen und ihre Leichen links liegen lassen. So habe ich sie laufen lassen. Und der Edelmann hat sich mehr oder weniger freiwillig meinem Trupp angeschlossen«, beendete Varro seine Geschichte.

Die Taverne war zum brechen voll. Die meisten der Leute hier kamen von ausserhalb um sich hier in der Arena zu beweisen und unter Umständen auch einen Posten im Drachenauge zu ergattern. Es freute Tyson zwar neue Gesichter in der Festung zu sehen, aber es hiess auch, dass er alte Bekannte nie wieder sehen würde. Wehmütig dachte er an die Übungsstunden und die Trinkgelage mit den Gardisten. Einige seiner Waffenbrüder würden ihm dabei fehlen. Und das nur, weil ein paar elende Banditen zum Angriff auf die Festung marschiert sind.

Es war nicht so, dass er noch nie jemanden sterben sah oder gar selbst jemanden verloren hatte, aber es waren noch nie so viele auf einmal gewesen. Doch obwohl einem immer eingetrichtert wurde, dass das immer geschehen kann und es auch tut, blutete sein Herz um den Verlust um einige seiner Kammeraden. Dies war schon zwei verdammte Tage her und er wusste nicht, was er machen sollte. Am liebsten wäre er wieder auf die Jagd gegangen und seine Beute erlegen. Wegen dieser verdammten Schlacht und der Befreiungsaktion konnte niemand so leicht aus der Festung kommen. Selbst er, nein, vor allem er als Reservegardist durfte nicht die Festung verlassen.

Genau zwei Dinge beschäftigen ihn seit Tagen. Erstens, warum veranstaltet der Fürst seine Arenaspiele so kurz nach der Schlacht und der Entführung seiner Tochter? Theoretisch könnten sich sowohl die Banditen als auch einige der Dunklen als Teilnehmer ausgeben und am Ende die Festung von Innen heraus in die Knie zwingen. Tyson begriff nicht, warum das noch nicht geschehen ist. Ehrlich gesagt erwartete er sogar jeden Moment zu seiner Waffe greifen zu müssen um die Festung zu verteidigen.

Und die zweite Sache die ihn beschäftige war die Waldläuferin, die ihm bei Darius' Haus aufgelauert hatte und ihm mit einem Handzeichen zu verstehen gab, dass sie ihn sprechen musste. Was mochte es wohl sein? Brauchte sie vielleicht Gesellschaft? Oder war es was anderes?

Unweigerlich zuckte Tyson zusammen, als er das Gewicht einer Hand auf seiner Schultet spürte.

»Was sagst du dazu?«, fragte sein Bruder und sah ihn durch seine leicht trüben Augen an.

»Bitte was?«

»Ich sagte, es gibt niemanden, der besser eine Prinzessin befreien können, als wir beide. Hörst du mir nicht zu?«

»Entschuldige, war mit den Gedanken wo anders. Wir sind die besten«, meinte Tyson halbherzig.

»Was ist los mit dir, Bruder? Hast du keine Lust mehr auf alte Bekannte?«, grinste Gandor ihn an.

»Ich bin Müde«, meinte Tyson dann. »Wird langsam Zeit mich aufs Ohr zu hauen.«

Mit diesen Worten verabschiedete er sich von der Gruppe und verliess die Taverne. Draussen empfang in die frische Luft, die er tief in die Nase zog. Endlich weg von den Alkoholfahnen und denn immer gleichen Geschwätz der Betrunkenen.

Als er sich dann aufmachte um endlich in seiner Stube aufs Bett zu fallen, lief er direkt in die Arme des Händlers. Überrascht sah Tyson ihn an.

»Ty, wir haben ein Problem«, kam Mateo ohne Umschweife zum Punkt.

»Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich im Moment keine bessere Ware auf Lager habe.«

»Darum geht es nicht«, winkte der Händler ab. »Sie war bei mir und bat mich dir was auszurichten.«

»Wer war bei dir?«

Mateo schaute nach links, dann nach rechts und legte dann seine Hand auf die Brust und kratzte sich mit dem Zeige-, Mittel- und Ringfinger. Es dauerte einen Moment bis es zu ihm durchdrang, aber dann verstand er das Zeichen.

»Jemand ist hier, der nicht hier sein darf«, sprach Mateo weiter und war sich selbst nicht ganz sicher, wenn genau er damit meinte. »Sie wollte es dir selber sagen, aber...«

Er brauchte den Satz nicht fertig bringen, damit Tyson verstand.

»Wo ist sie jetzt?«,

»Ardea, altes Lagerhaus.«

Kapitel 14: Die Audienz

Fürst Estoban schreckte auf, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Schlaftrunken blickte er zu verschwommenen Gestallt hinauf. Unfähig irgendwas zu machen sass er auf dem unbequemen Stuhl des Krankenzimmers.

»Ich bin es nur, verehrter Onkel«, drang die vertraute Stimme seines Neffen an sein Ohr. »Seid ihr die ganze Nacht hier gewesen?«

Fürst Estoban rieb sich die Augen wach, bis er wieder klar sehen konnte.

»Ist denn schon der Morgen angebrochen?«, sah er aus dem Fenster und erblickte den perlgrau gewordenen Horizont, der einen strahlenden Morgen ankündigte. Er vermochte nicht mehr zu sagen, wann er das letzte mal die ganze Nacht ausserhalb seines eigenen Bettes verbracht hatte. Vielleicht als seine Frau noch unter den Lebenden weilte. Da hatte er noch Ausflüge in die Städte gemacht, und in den Residenzen übernachtet. Hin dun wieder nahmen sie auch Esmeralda mit, die dann mit den anderen Kindern tobte und spielte. Er erinnerte sich noch recht gut, wie Amidala Zeit mit der kleinen Prinzessin verbrachte.

»Wie geht es ihr?«

Irritiert sah der Fürst seinen Neffen an und setzte zu einer Antwort an, um ihm zu sagen, dass seine Frau bereits seit zehn Jahren tot sei, hielt im letzten Moment inne, da ihm der Gedanke kam, dass er Esmeralda meinte, weshalb er schliesslich sagte: »Sie ist gestern wach geworden und erfreut sich bester Gesundheit.«

»Welch eine Freude«, lächelte Neal glücklich. »Jetzt zu dem Grund, weshalb ich euch aufsuche. Es ist eine Gruppe Ranger ins Drachenauge gekommen, die euch ihre Dienste anbieten wollen. Deshalb brauchen sie eine Audienz.«

»Sag ihm, er soll wieder verschwinden«, sagte der Fürst gereizt. »Ich habe keine Zeit für eine Audienz.«

»Seid ihr sicher?«

Fürst Estoban massierte ungeduldig seine Schläfe. Sein Blick ruhte dabei auf die tief schlafende Prinzessin. Sein Herz wurde schwer bei dem Gedanken, was sie in den Fängen des verdammten Totenpriesters durchmachen musste. Er hatte ja keine Ahnung, was mit ihr angestellt wurde, geschweige, wie er es wieder gut machen konnte. Mehr als Wache halten, wenn sie schlief, konnte er nicht. Sie wirkte wie ein unschuldiges, wehrloses Kind. Genau das war sie auch. Gerade dies wurde ihr zu Verhängnis. Er verfluchte sich selbst, dass er nicht zur rechten Zeit bei ihr war, um das Unheil abwenden zu können. Er wusste nicht, was er mit dem Mann getan hätte, wenn er ihn in die Finger gekriegt hätte. Mit einem Schlag kam ihm der Traum, denn er am Vortag gehabt hatte, in den Sinn. Der Traum von seiner verstorbenen Frau, wie sie seiner Tochter von bösen Männern gewarnt hatte, die zum Drachenauge unterwegs waren.

»Onkel? Alles in Ordnung bei euch?«

Mit weit aufgerissenen Augen und heruntergefallenen Kiefer starrte er seinen Neffen an. Der Schock dauerte nicht länger als einen Augenblick. Doch dann sagte er: »Sag ihnen, dass sie in einer Stunde im Thronsaal erscheinen sollen.«

»Woher der Sinneswandel?«, fragte Neal neugierig. Doch der fordernde Blick seines Onkels lies ihn wissen, dass er sich spurten sollte, statt Fragen zu stellen.

 

Leander kam noch rechtzeitig in den Thronsaal. Als Neal ihm bescheid gab, dass er bei der Audienz anwesend sein soll, hatte er sich seinen feinen Wams über das rote Hemd gestreift und sein Schwert an die Hüfte geschnallt. Denn Anhänger, denn er von Esmeralda geschenkt bekommen hatte, stülpte er unter das Kettenhemd. Er war der letzte von Fürst Estoban's Leibwache für diese Audienz. Neben Neal und dem Fürsten waren auch noch der Feldmarschall, der Leibwächter Chavo und die beiden Magier Csardas und Callisto anwesend, die dem Fürsten als Berater dienten.

Eilig stellte er sich an der Seite von Gandor und dachte im stillen, dass nur noch Tyson und Mateo fehlten würden, um die Befreiungstrupp vollzählig zu machen.

Als die vierköpfige Rangertruppe dann den Saal betraten, wischte sich Leander alle überflüssigen Gedanken fort, stellte sich stramm hin und beobachtete konzentriert die Szenerie.

 

»Wir grüssen euch, Fürst Estoban Gomez, Herrscher über die Festung Drachenauge«, sagte der Mann mit dem Zwicker auf der Nase, dessen Gläser verdunkelt waren.

»Ich grüsse auch euch, Varro Mendes«, antwortete der Fürst. »Was ist euer begehren?«

»Wir haben den Wunsch euch unsere Dienste anzubieten.«

»Und welche Dienste sollen das sein? Was genau schwebt euch vor?«

»Wir hatten gehofft an eure Seite zu sein und euch als Leibwache dienen zu dürfen.«

Nachdenklich blickte der Fürst den Anführer der Ranger an und sagte schliesslich: »Ihr wisst, dass das Vertrauen zu euch noch nicht soweit ist, dass ich euch so Nahe an mich heran lassen kann?«

»Ich verstehe nicht. Ihr kennt mich doch schon seit Jahren. Ich habe euch sogar zwei meiner Männer überlassen, als ich das letzte mal hier war.«

»Ihr sagt es. Das letzte mal wart ihr vor mehr als zehn Jahren hier. In der Zeit haben die Bennet-Brüder ihr Vertrauen verdient und sind der Garde beigetreten. Ihr seid nach wie vor ein wandernder Söldner im Aufzug eines Rangers. Und eure Begleiter sehe ich zum ersten mal«, erwiderte der Fürst sachlich.

»Wenn ich auch was sagen darf«, mischte sich Valentino ein.

»Nein dürft ihr nicht«, fuhr der Fürst ihn an. »Wer seid ihr eigentlich, dass ihr glaubt ohne Erlaubnis sprechen zu dürfen?!«

Der Anfuhr des Fürsten setzte dem Edelmann zu und spiegelte sich auch in seinem Gesicht wieder. Es fiel ihm sichtlich schwer von einem Adeligen den Mund verboten zu bekommen.

»Ich bin Valentino Vega aus dem Hause Vega«, stellte sich der Edelmann vor.

»Ihr seid niemand, denn ich kenne. Also habt ihr zu schweigen. Es sei denn, ich spreche euch an. Verstanden?«

Valentino konnte nur noch ein zögerndes Nicken geben.

»Was bewegt euch mit euere Dienste anzubieten?«, wandte sich der Fürst wieder Varro zu.

»Wir haben von der Entführung eurer Tochter gehört und beschlossen euch zu Seite zu stehen, damit es nicht noch einmal geschehen kann.«

»Edle Absichten habt ihr. Doch ich möchte einen Beweis haben, dass ich euch vertrauen kann. Was seid ihr bereit dafür zu tun?«

»Alles, was ihr wünscht.«

»Nun gut«, sagte der Fürst nachdenklich und beratschlagte sich mit den Magiern und fuhr schliesslich fort: »Ihr werdet eine Reihe von Aufgaben erfühlen müssen. Ihr kennt sich sicherlich den Garden, ausserhalb von Kap Drago.«

»Ihr meint sicherlich den großen Garten mit den hohen Mauern, der von Wachmännern beschützt wird.«

»Genau den meine ich. Wenn ihr es schafft da reinzukommen, den Anhänger mit dem Rubin zu holen und zu mir zu bringen, habt ihr die erste Aufgabe gemeistert. Dann werde ich euch die nächste Aufgabe mitteilen.«

»Ich denke nicht, dass die Wachen uns da einfach reinlassen werden, geschweige uns erlauben den Anhänger mitzunehmen«, meinte Varro verunsichert. »Wir sind Fremde, wie ihr bereits sagtet.«

»Das ist die Schwierigkeit dabei. Wenn ihr es schafft den Anhänger zu besorgen und mir bringt, dann habt ihr die erste Prüfung bestanden.«

»Und was wird die nächste Aufgabe sein?«

»Das erfahrt ihr im Anschluss.«

»Wann sollen wir mit der Aufgabe anfangen?«

»Wenn es euer Wunsch ist, jetzt gleich.«

Verwirrt sahen sich die Ranger an. Konnten nicht mit Sicherheit sagen, ob es der Fürst ernst meinte oder ob es schon der erste Test war.

»Dann ziehen wir los und besorgen das schöne Schmuckstück«, verabschiedete sich Varro und zog mit seinen Gefährten los.

 

»Neal« rief der Fürst seinen Neffen zu sich, als die Ranger den Thronsaal verliessen. »Was musste ich von Csardas hören?«

Neal zuckte innerlich zusammen, als er dies hörte. Ein ekelhafter Kloss bildete sich in seinem Hals. Er konnte spüren, wie der eiskalte Schweiß den Rücken runterlief. Auf alles gefasst trat er zu seinem Onkel und bereitete sich innerlich auf das vor, was auf ihn zukommen mochte. Aus dem Augenwinkel sah er Leander, dem es nicht besser zu gehen schien.

»Was hast du dem Schatten über Lucor erzählt?«

»Nur das er einst euer Berater war und ihr ihn wegen Anwendung schwarzer Magie hinrichten liesset.«

»Hast du auch von den Katakomben erzählt?«

»Nein Onkel. Das schwöre ich«, antwortete Neal ehrlich, obwohl das leichte Zittern in seiner Stimme durchkam.

Der Fürst blickte zu dem Schatten hinüber um ihn zu mustern. Obwohl die selbe Furcht, wie bei Neal auch, Leanders Gesicht abzulesen war, kam auch die Unwissenheit hinzu, bei der Erwähnung der Katakomben.

»Kannst du mir versichern, dass er nichts ausplaudern wird?«

»Gewiss, verehrter Onkel.«

»Kannst auch du für seine Loyalität bürgen, Gandor?«, wandte sich der Fürst an den Kommandanten.

»Ich kenne ihn zwar nicht so lange, aber in der Zeit, die er bei uns ist, konnte ich seine Entschlossenheit und Willen für die Festung zu kämpfen sehen. Ich kenne kaum einen Schatten, der mehr Ehrgeiz in seine Ausbildung zeigte als Leander«, meinte Gandor. »Ich bürge mit allem was ich habe und was mir heilig ist für diesen Jungen und seiner Loyalität.«

»Na schön«, atmete der Fürst einmal tief durch. »Ihr beide wisst, dass für Aussenstehende nicht gestattet ist zu wissen, was da unten ist. Denkt ihr, er ist würdig genug für das Wissen?«

»Fürst Estoban. Ihm haben wir zu verdanken, dass eure Tochter schnell in Sicherheit gebracht werden konnte. Er hat sich mehr dafür eingesetzt, als es von einem Schatten verlangt werden konnte. Und mehr als manch ein Gardist tun würde. Er ist mehr als würdig genug in der Garde einen Platz zu bekommen«, erklärte Gandor. »Wenn ihr es mir gestattet, dann würde ich ihm auf der Stelle die Prüfung zum Gardisten unterziehen.«

»Hast du vielleicht daran gedacht, dass er unter Umständen vom Entführer beeinflusst wurde, um uns zu Esmeralda zu führen?«

»Überlegt doch einmal, verehrter Fürst, was hätte das für einen Sinn gehabt? Wäre es nicht für Lucor besser, wenn er nicht zu sich geführt hätte?«

»Vielleicht ist das eine List.«

»Was hätte Leander zu gewinnen, wenn er dem Totenpriester helfen würde?«

»Vielleicht hat er ihm meine Tochter als Trophäe versprochen«, es fiel dem Fürsten sichtlich schwer diese Worte in Gedanken zu formen. Und noch viel schwerer sie laut auszusprechen.

»In Leander steckt zu viel Ehre, das das er ein solches Angebot je annehmen könnte. Für derlei Angebote wäre Leutnant Orlando Gaan eher am empfänglichsten. Aber ganz sicher nicht Leander. Und wie ihr vielleicht wisst, bevorzugt Orlando billige Dirnen.«

»Nun gut, Kommandant Gandor«, gab der Fürst nach. »Ihr habt mich überzeugt. Unterzieht ihm die Prüfung. Du weisst, was zu tun ist.«

»Ich leite alles in die Wege«, antwortete Gandor.

 

»Halte Still!«, schrie Lucor den dunklen Assassinen an, als er mit seinen knochigen Fingern die Kristalle in die inzwischen nachgewachsenen Hände von Sagat rein drückte.

»Ich hätte nicht gedacht diese Prozedur noch einmal durchmachen zu müssen«, knurrte Sagat durch die zusammengebissenen Zähne.

»Halt endlich die Klappe und ertrage den Schmerz wie ein verdammter Mann!«, forderte Lucor von ihm, eher er inne hielt.

»Was ist, alter Mann?«

»Unser Bote hat sich gemeldet«, flüsterte der Totenpriester vor sich hin und lächelte dann zufrieden. »Die Ranger sind zum Garten aufgebrochen.«

»Na, und?«, fauchte Sagat ihn an. »Beende, was du angefangen hast. SOFORT!«

Kapitel 15: Träume und Visionen

Esmeralda’s nackte Füsse flogen förmlich über die Pflastersteine. Das Nachthemd flatterte in der morgendlichen Brise. All die Düfte des Marktes strömten ihr entgegen. Eher sie sich versah, strömten die Stände an ihr vorbei und landete auf der Handwerksstrasse mit den fein ausgearbeiteten Schildern über den Türen und den reich verzierten Hausfassaden. Irgendwas brachte sie dazu vor dem Geschäft gegenüber der imposanten Treppe zum oberen Viertel zu halten. Esmeralda konnte im Inneren des Gebäudes eine Präsenz spüren. Eine Präsenz, die ihr so vertraut war, wie für ein Kind die Umarmung seiner Mutter. Sie musste herausfinden, wessen Präsenz sie spürte.

Keinen der tausenden Gedanken konnte sie richtig erfassen. So viele Emotionen quollen aus ihr heraus. Es war ein ziehen im Bauch und in der Brust, dass sie genau zu diesem Geschäft drängte. Sie vermochte nicht zu sagen, warum sie ausgerechnet hier diese Präsenz spürte. Aber sie wusste, dass sie es bald herausfinden würde. Esmeralda schloss die Augen und atmete tief durch. Als sie die Augen wieder öffnete, fand sie sich auf der anderen Seite der Tür wieder und lief wie fremdgesteuert in den hinteren Teil des Geschäfts, vorbei an Mateo, der in seinem Büchlein vertieft war, vorbei an den vielen Lederwaren und Pelzen und den unzähligen Utensilien, dessen genauen Gebrauch sie nicht im Stande war zu bestimmen. Im Hinterzimmer stand ein Bett, von dem die Präsenz herzukommen schien. Ohne das sie was dagegen machten konnte, schritt sie vorsichtig zum Bett. Ihr Herz pochte wild. Sie konnte schon die Haare der darin befindenden Person sehen. Der Schock durchfuhr ihre Glieder, als sie das Antlitz ihrer Mutter erkannte.

»Du bist in Gefahr«, sagte Amidala, als sie ihren Kopf zu ihrer Tochter wandte. »Du bist in Gefahr.«

 

Esmeralda riss ihre nassen Augen auf. Sie war nicht mehr Im Geschäft von Mateo, sondern im Krankenzimmer des Drachenauge. Was zur Hölle war das für eine teuflische Vision? Was hatte es zu bedeuten? Zuerst sah sie ihre Mutter in der Gruft als geisterhafte Erscheinung, und nun in einem Geschäft in Kap Ardea. Das konnte doch kein Zufall sein.

Von einem Moment in den anderen änderte sich ihr Gemütszustand. Eine innere Eingebung riet ihr der Sache auf den Grund zu gehen. Sie zog die schweissgebadete Decke zur Seite und sprang auf. Im Schrank suchte sie nach passender Kleidung, da sie schlecht in einem Nachthemd in die Stadt gehen konnte. Die einzigen Kleidungsstücke, die sie fand waren ein Paar Sandalen und ein knielanger Mantel, der nur für den Krankenbereich geeignet war. Bis zu ihrem Schlafgemach dürfte es ausreichen. Als sie aus dem Krankenzimmer stürmte, stiess sie mit Leander zusammen.

»Wohin so eilig, kleiner Wirbelsturm?«, fragte er ohne auf seine Wortwahl zu achten.

»Wie hast du mich genannt?«, sah die Prinzessin ihn irritiert an. Erst da begriff Leander, was er von sich gegeben hatte und senkte entschuldigend den Kopf.

»Ist auch egal«, packte sie ihn am Arm und zog ihn hinter sich her.

 

Im Schlafgemach angekommen lief Esmeralda zum Kleiderschrank, riss die Tür auf und wühlte in ihren Kleidungsstücken herum.

»Was ist los?«, fragte Leander besorgt.

»Ich weiss es nicht«, kam sie mit einem Bündel Kleidung zurück, die sie auf ihr Himmelbett warf.

»Was soll das heissen, du weisst es nicht?«

Esmeralda unterbrach ihr Tun und sah Leander nachdenklich an und fragte ihn: »Hattest du schon mal einen Traum gehabt, der dir so real schien, als währst du wach?«

Irritiert verzog Leander sein Gesicht und wusste nicht, wie er diese merkwürdige Fragen beantworten sollte. Er hatte noch nicht einmal eine Ahnung, wovon sie eigentlich sprach.

»Ich hatte von meiner Mutter geträumt«, erklärte Esmeralda. »Zweimal sogar. Beide male hatte sie mich vor den Männern gewarnt, die ins Drachenauge unterwegs seien.«

Je mehr sie erklärte, um so weniger verstand Leander. Um genau zu sein, fühlte er sich wie unter Fremden, die sich in einer ihm unbekannten Sprache verständigten.

»Nun will ich den Visionen, oder was auch immer es waren, auf den Grund gehen.«

»Und wie?«

»Die zweite Vision spielte in einem Geschäft, nahe dem Eingang zum oberen Viertel von Kap Ardea.«

»Du willst doch nicht dorthin?«, war Leander sichtlich schockiert. »Du bist noch nicht genesen. Wie willst du in deinem Zustand eine Reise antreten?«

»Oh, doch. Genau das will ich«, sagte sie selbstbewusst, als sie sich den Mantel und das Nachthemd entledigte. »Und ich bin gesünder als je zuvor.«

Leander wusste nicht zu sagen, was ihn mehr schockierte. Ihr vorhaben, oder die Tatsache, dass sie sich vor seinen Augen entblösste ohne ein Schamgefühl zu besitzen. Ein mulmiges Gefühl stieg in seinem Bauch hoch und sein Herz donnerte fast hörbar gegen seinen Brustkorb. Einerseits erfreute ihn der Anblick, doch andererseits wollte er sich nicht vorstellen, was der Fürst mit ihm anstellen würde, falls er je von dem hier erfahren sollte.

»Und du wirst mich begleiten«, sagte sie ihm, als sie die Reiterhose übergestreift hatte.

»Ich glaube kaum, dass dein Vater dich so einfach aus dem Drachenauge lassen wird. Schon gar nicht nach der Sache, die dir zugestossen ist. Ausserdem habe ich hier Verpflichtungen.«

»Ach, Leon, lass das bitte meine Sorge sein«, strich sie ihm lächeln über die Wange.

»Weiss der Medikus, dass du wieder wach bist?«, wechselte Leon das Thema und versuchte sie nicht unterhalb des Halses anzuschauen.

»Noch nicht«, zog sie die langärmlige, schulterfreie Bluse über und zog die Schnüre an den Seiten enger zusammen. »Das werde ich gleich nachholen.«

 

»Eure Hoheit, denkt ihr wirklich, dass die Ranger eine reelle Chance haben den Anhänger zu finden?«, fragte Csardas in einem besorgtem Tonfall.

»Das denke ich weniger. Aber wenn der unwahrscheinliche Fall eintreffen wird, dann haben wir ein mächtiges Problem.«

Sorgenfalten bildeten sich auf seiner Stirn, als er an die Worte seiner verstorbenen Frau dachte. Es gab ihm einfach keine Ruhe. Meinte sie damit Varro und seine Männer? Unruhig ging er im Thronsaal auf und ab. Zu viele Fragen schwirrten in seinem Kopf, als das er ruhig auf seinem Thron sitzen konnte. War es eine Vision, oder legte er zu viel wert in einen bedeutungslosen Traum?

Als die Tür aufgerissen wurde, zuckte er zusammen und griff bereits zu seinem Schwert. Die Kampfeslust wich der Freude, als er ins Antlitz seiner Tochter blickte.

»Kleines, warum bist du nicht im Bett?«, fragte er besorgt, als er sich wieder gefasst hatte.

»Hallo, Vater. Freut es dich nicht, mich wieder auf den Beinen zu sehen?«

»Doch, natürlich«, umarmte er seine Tochter, und gab ihr einen kräftigen, aber zärtlichen Kuss auf die Wange.

»Was bewegt dich zu mir zu kommen?«, wurde der Fürst wieder sachlich, ohne die Wärme in seiner Stimme zu verlieren.

»Ich muss raus aus Drachenauge«, kam Esmeralda ohne Umschweife auf den Punkt.

Sämtliche Farbe verlies das Gesicht des Fürsten, der glaubte nicht recht gehört zu haben.

»Ich muss das Drachenauge verlassen«, wiederholte sie sich, als ihr Vater keine Reaktion zeigte. »Hier bin ich nicht mehr sicher.«

»Was redest du da?«, fand der Fürst seine Sprache wieder. »Du kannst hier nicht weg. Das ist dein Zuhause. Du bist hier doch am sichersten.«

»Aber hier wurde ich doch entführt«, erwiderte Esmeralda. »Wer versichert mir, dass es nicht noch einmal passiert?«

Der Fürst lies sich auf den Hocker vor dem Tisch sinken. Seine Tochter erschlug ihn mit ihrer Forderung. Seine Vision kam ihm in den Sinn. Wenn es echt war, dann hatte seine Tochter recht und sie musste aus Drachenauge verschwinden.

»Wo glaubt ihr sicher zu sein?«, übernahm der Magier das Wort, da der Fürst zu keiner Reaktion mehr fähig zu sein schien.

»Meine Hoffnung lieg in Ardea.«

»Ardea?«, fragte der Fürst mit erhobener Stimme, die fast in einen entsetztes Brüllen mündete. »In diesem Rattenloch von einer Stadt, die das Gesindel der ganzen Welt anlockt?«

»Überleg doch einmal, Vater, wenn einer auf die Idee kommt die Prinzessin als Geisel zu nehmen, bekommen die anderen das mit und wollen ebenfalls ein Stück vom Kuchen haben. Mit dem darauffolgenden Streit kann ich unentdeckt fliehen. Wenn das kein ideales Versteck ist, dann weiss ich nicht, wo ich mich sonst verstecken könnte.«

»Hat der Medikus für Gesund erklärt?«, fragte der Fürst mit zitternden Händen.

»Ja«, kam die Stimme des älteren Mannes, der offenbar die ganze Zeit im Türrahmen gestanden hatte. Neben dem Schatten Leander. »Meines Erachtens ist sie wieder Gesund. Ich würde sie gerne bei der Reise begleiten. Für den Fall, dass es ihr wieder schlechter gehen sollte.«

»Gut«, nickte der Fürst ihm zu und richtete sich wieder an seine Tochter. »Ausserdem wirst du noch Geleitschutz brauchen.«

»Leander soll mein Geleitschutz sein«, sagte Esmeralda bestimmt.

Es gefiel ihm nicht, dass ausgerechnet dieser Grünschnabel sie begleiten soll. Er versuchte das innere Zittern zu unterdrücken um nicht in Zorn auszubrechen. »Ich gebe dir noch Chavo. Er ist um einiges erfahrener als der Schatten. Von ihm kann dein Freund noch einiges lernen.

Leander, wenn ich erfahren sollte, dass meiner Tochter ein Unheil widerfahren ist, dann wirst du die ganze Schuld auf dich laden. Dann kannst du zu Gott, welchem auch immer, um Gnade bitten, denn ich werde sie dir nicht geben. Verstehen wir uns?«

»Jawohl«, salutierte Leander, nicht ohne einen Anflug von Furcht in den Augen.

»Ihr werdet euch auf den direkten Weg in die Kaserne begeben. Dort sollten genug Gardisten sein, die im Fall der Fälle eingreifen können. Dort findet ihr auch Kommandant Gandor, bei dem du dich unverzüglich meldest.«

»Danke, Vater«, fiel Esmeralda ihm um den Hals.

Als sie mit ihren Begleitern den Thronsaal verlies, war Csardas ausser sich: »Seit ihr von Sinnen? Wie könnt ihr eure eigene Tochter, euer einziges Kind, mit einem so unerfahrenen Schatten ziehen lassen? Seht ihr denn nicht, dass es kein gutes Ende nehmen kann?«

»Aus dem Grund werdet ihr ihnen unauffällig folgen. Sie dürfen euch nicht sehen und greift erst dann ein, wenn es von Nöten sein wird.«

Kapitel 16: Der Garten

Das Tor mit ihren reichen Verzierungen von Bäumen, Früchten und Bannern des imperialen Reiches Gordovan wirkte fast imposanter als die zehn Meter hohe Mauer, in der sie eingelassen war. Links und rechts des Tores waren jeweils vier Schiessschanzen übereinander. Aus jedem der Löcher konnten die Ranger die Pfeilspitzen erkennen, die auf sie gerichtet waren. Auf dem Wehrsims über dem Tor hielten ebenfalls Bogenschützen die Stellung. Nur die beiden Wachen vor dem Tor waren nicht mit Pfeil und Bogen bewaffnet, sondern mit Schwertern.

»Wer seid ihr, und was wollt ihr?«, fragte einer der beiden Wachen vor dem Tor.

»Wir sind bescheidene Ranger, die dem Fürsten zu Diensten stehen wollen«, antwortete Varro sachlich. »Und wir wollen passieren.«

»Und wir sollen euch durchlassen? Einfach so?«

»Der Fürst höchstpersönlich hat uns beauftrag in den Garten zu gehen, um ein bestimmtes Objekt zu finden.«

»Welche Sicherheit könnt ihr uns geben, dass ihr keine Betrüger und Diebe seid, die den Garten plündern wollen?«

Resnec trat zur Wache und stellte sich dicht vor ihm und sprach in einem ruhigen, aber bestimmten Ton: »Wir sind keine Betrüger. Ich will, dass ihr das Tor aufmacht, um uns passieren zu lassen.«

Varro packte seinen Gefährten am Arm und zog ihn zu sich: »Was soll das werden?«

»Öffnet das Tor!«, sagte der Wachmann, dessen sicheres Auftreten sich verändert zu sein schien.

Wider allen Erwartungen von Varro wurde das Tor weit geöffnet. Irritiert vom verhalten der Wachen trat Varro zögernd durchs Tor. Er hätte erwartet, dass die Wachen ihn nur auf die Probe stellten und ihn wieder aus dem Garten heraus prügeln würden, sollte er drinnen ankommen. Doch nichts dergleichen geschah. Seine Begleiter zogen nach, als sie merkten, dass sie durchgehen konnten.

»Wie hast du das gemacht?«, fragte Varro verwundert, als die Wachen ausser Hörweite waren.

Grinsend sah Resnec seinen Vorgesetzten an und sagte selbstsicher: »Ich kann mit Menschen umgehen. Nicht so wie unser Edelmann.«

»Das muss ich mir nicht bitten lassen«, schrie Valentino auf.

»Halt endlich deine verdammte Fresse, oder ich erweitere sie dir mit meiner Axt«, zog der vollbärtige Azad seine Waffe und wedelte mit dieser vor Valentino's Gesicht.

»Varro, können wir diesen Barbaren endlich entledigen, damit ich seinen Gestank nicht länger ertragen muss?«

Der Anführer der Ranger drehte sich zu dem Edelmann, holte mit seiner behandschuhte Linken aus und donnerte seine Faust in Valentino's Gesicht. Dieser flog einige Meter zurück und schrie vor Schmerzen auf.

»Wenn hier jemand entledigt wird, dann bist du das«, schrie Varro ihn an. »Und jetzt halt dein vorlautes Maul, oder ich werde es dir persönlich stopfen!«

»Meine Nase. Meine wunderschöne Nase. Du hast meine wunderschöne Nase gebrochen«, jammerte Valentino und hielt seine Hand auf die bluttriefende Nase.

»Sei endlich still und ertrage die Schmerzen wie ein Mann, und nicht wie ein zweijähriges Mädchen«, forderte Varro, bevor er seinen Weg fortfuhr.

Die Ranger liefen weiter. Links und Rechts vom Trampelpfad wuchsen die Bäume, sorgfältig im gleichen Abstand angepflanzt, hoch in den Himmel. Zwischen den Stämmen wuchsen korrekt beschnittene Hecken, die den Wanderer hinwiesen, wo der Weg war. Der Garten roch nach Borke, Laub, nasser Erde und von weit her wehte ein Duft von Flieder den Rangern entgegen.

Nach einer Weile gelangten die Ranger an eine Gabelung, die in vier verschiedene Richtungen weiterführte.

»Was machen wir jetzt?«, wollte Resnec wissen. »Sollen wir uns aufteilen?«

»Bleibt uns was anderes übrig?«, zuckte Varro die Achseln.

»Wir könnten auch zusammen bleiben«, schlug Valentino vor, der sich einen Seidentuch unter die Nase hielt. »Ihr wisst, dass ihr mich vor allen Gefahren beschützen müsst.«

Varro zog sein Schwert aus der Scheide und Azad seine Axt und hielten es dem Edelmann an den Hals und wirkte wie eine riesige Schere, die jeden Moment die Kehle durchschneiden würde.

»Wir müssen gar nichts machen«, sagte Azad. »Warum haben wir diesen Taugenichts eigentlich dabei, Varro?«

»Damit er uns einige Tore öffnet.«

»Dieses Tor hat aber nicht er geöffnet, sondern Resnec.«

»Da hast du Recht. Also, Valentino, warum sollten wir dich am leben lassen? Schliesslich bist du für uns eine Belastung.«

»Nun... äh... ja«, stotterte Valentino, bei dem ein Schweissfilm auf der Stirn bildete. Trotz seiner typischen Redegewandtheit konnte er nicht die richtigen Worte finden.

Als ein verdächtiges Geräusch aus dem Buschwerk kam, war diese Notwendigkeit nicht mehr von belang. Eine grauenhafte Bestie sprang ihnen entgegen. Es war so lang wie ein Mann hoch, der Brustkorb doppelt so groß wie bei einem Menschen. Die Vorderpforten wirkten wie Baumstämme, wohingegen die Hinterläufe im Vergleich mickrig und unterentwickelt wirkten. Das Biest knurrte die Ranger böse an. Speichelfäden hingen an den Lefzen hinab.

Varro und Azad rissen ihre Waffen vom Hals des Edelmannes und bereiteten sich auf den Angriff der Bestie. Valentino stiess ein erleichtertes Seufzen aus.

»Was zur Hölle ist das für ein Biest?«, fragte Varro, nicht ohne eine Spur von Furcht in der Stimme.

»Ein Werbiest«, antwortete Resnec lässig und kramte in seiner Reisetasche herum.

»Was machst du da, verflucht?«, presste Varro durch die Zähne, als er sah, dass Resnec einige Scheiben Dörrfleisch herausholte und es dem Biest hin wedelte.

»Warte mal ab«, grinste Resnec selbstsicher und warf die Scheiben an dem Werbiest vorbei. Mit seinen kurzen aber kräftigen Beinen sprang das Biest hoch und schnappte sich das Dörrfleisch im Flug. Mit wenigen Happen verschlang es sein Mahl und wandte sich wieder seinen Opfern zu.

»Und was nun?«, fragte Varro.

»Das war so nicht geplant«, sah Resnec verwundert aus.

Mit grossen Schritten lief das Werbiest auf die Gruppe zu. Varro und Azad schwangen ihre Waffen um das Werbiest abzuwehren. Resnec zog seinen Dolch und sprang auf den Rücken der Bestie um seine Klinge in dessen Rücken zu rammen. Ein ohrenbetäubendes Jaulen verliess die Kehle des Werbiestes. Varro und Azad rammten abwechselnd ihre Waffen in den Nacken, bis das Ungetüm leblos zu Boden fiel.

»Deshalb seid ihr an meine Seite«, kommentierte Valentino herablassend. »Um mich vor Gefahren wie diesen zu beschützen.«

Diese Aussage war für Varro zu viel des Guten. Er schmiss seine Waffe zu Boden, als er wutentbrannt zum Edelmann stampfte. Ein kräftiger rechter Hacken landete im Gesicht des hochnäsigen Edelmannes. Mit blutströmender Nase fiel dieser hin und jammerte über sein schönes Gesicht. Gnadenlos kniete Varro zu ihm hinab und bearbeitete dessen ach so schönes Gesicht mit seinen geballten Fäusten.

»Du wertloses Stück Dreck«, schrie Varro ihn aus Leibeskräften an. »Du bist zu nichts zu gebrauchen. Hör auf dich wichtiger zu fühlen als du wert bist.«

Anstatt Varro in seinem Tun zu unterbrechen, sahen Azad und Resnec ihm zu.

»Was glaubst du eigentlich, wer du bist, hä? Du bist ein wertloses und nutzloses Stück Nichts«, prügelte Varro unaufhörlich auf ihn ein, bis dieser das Bewusstsein verlor. Erst als dieser sich nicht mehr rührte, lies Varro von ihm ab. Es hatte sich gut angefühlt ihm endlich die Fresse zu polieren. Er massierte seine Knöchel und sah mit feurig bösen Augen zu Valentino hinab.

»Das wurde auch Zeit, dass du was gegen diesen Bastard machst«, kommentierte Azad. »Wieso hast du das nicht schon vorher gemacht?«

»Keine Ahnung«, zuckte Varro die Achseln. »Ich hatte die dumme Hoffnung, dass er sich bessern würde.«

»Dass es nie passieren wird, hab ich dir gleich gesagt.«

»Was machen wir nun?«, fragte Resnec.

»Wir teilen uns auf. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier. Wenn wir den Stein nicht haben, suchen wir weiter.«

»Was soll aus ihm werde?«

»Er soll selbst zusehen, wie er zurecht kommt. Was den Fürsten angeht, hat ihn das Werbiest verschleppt und vermutlich schon längst gefressen.«

Kapitel 17: In der Kaserne

Die Geschichten um die Schlacht vor dem Drachenauge und die darauf folgende Entführung der Prinzessin hatte sich in Kap Ardea ausgebreitet wie ein Lauffeuer. Die Bürger und die Stadthalter hatten es mit der Angst zu tun bekommen, weshalb die Präsenz der Miliz und der Soldaten um einiges geschärft wurde. Kaum hat man einen Uniformierten aus den Augen verloren, so tauchte schon der nächste auf. Alle bis auf die Zähne bewaffnet und einem konzentriertem Blick, der jeden Menschen strengstens anblickend, pickten sie die aus, die auch nur im Ansatz verdächtig aussahen. Trotz der Angst vor einer Invasion von aussen, missbilligten die Bürger von Kap Ardea das Verhalten der Uniformierten um so mehr. So erhoben sie ihre Stimmen gegen die strenge Auflagen der Stadthalter, was noch mehr Verhaftungen hinter sich her zogen. Die Lage spitzte sich mehr und mehr zu.

»Seid ihr nicht mehr von Sinnen, Lord André?«, fluchte Gandor den Hauptmann der Miliz an. Er konnte nicht glauben, dass es wahr sein sollte, was sich die Leute auf der Strasse erzählten. Nachdem er in die Kaserne kam und die viele Gefangenen in den Zellen sah, stürmte er sofort in das Büro der Kaserne. »Ihr könnt doch nicht jeden Bürger in Haft nehmen, nur weil euch deren Nase nicht passt. Die Bürger haben rechte.«

»Kommandant Gandor, es geht hier um deren Sicherheit. Die können wir nur dann gewähren, wenn wir ausschliessen, dass sich Attentäter unter der Bevölkerung befindet.«

»Ihr tretet die Freiheit und Selbstbestimmung der Leute mit Füssen. Das kann niemals die Sicherheit wert sein. So wie ihr es handhabt, dürft ihr euch nicht wundern, wenn ihr früher oder später vom eigenem Volk gemeuchelt werdet.«

»Das werden die Leute nicht mit mir machen. Sie verstehen doch, weshalb wir das machen.«

»Verstehen ist die eine Sache, befürworten eine vollkommene andere.«

»Die Bürger von Ardea werden uns eines Tages noch dankbar sein, vertraut mir, Kommandant Gandor.«

»Ein Scheiss werden sie«, war Gandor sichtlich angewidert. »Sie wollen die Freiheit haben und über sich selbst entscheiden können. Wenn sie das nicht hier bekommen, dann werden sie es sich wo anders suchen. Glaubt mir Hauptmann. Ich habe es genauso gemacht.«

Lord André sah den Kommandanten verwirrt an. Sein sonst so gepflegtes Gesicht wies einige Stoppeln im Gesicht auf und dunkle Ringe unterstrichen seine Augen, durch die er Gandor ungläubig anblickte.

»Wollt ihr mir sagen, dass ihr nicht aus einer Militärfamilie stammt?«

»Ich dachte, dass sei hier allgemein bekannt, dass ich aus einer Bauernfamilie kommen«, wunderte sich Gandor seinerseits über die Unwissenheit seines Gegenübers. »Aus dem Grund kann ich euch versichern, dass ihr den falschen Weg für die Sicherheit gewählt habt.«

»Kommandant Gandor Bennet?«, unterbrach ein junger Rekrut der Miliz das Gespräch.

»Ja, was gibt’s?«

»Hier ist eine Gruppe von Leuten, die behaupten zu euch kommen zu wollen.«

»Und du lässt sie hier rein?«, schnauzte André ihn an.

»Wer sind diese Leute?«, wollte Gandor wissen.

»Sie sagen, sie kommen aus dem Drachenauge.«

Mehr brauchte Gandor nicht zu wissen, um die volle Aufmerksamkeit zu haben. Er marschierte sogleich dem Rekruten hinterher. Als er im Innenhof der Kaserne ankam, erblickte er die Prinzessin und ihren Leibwächter Chavo, so wie den Medikus Elliard und den Schatten Leander.

»Was macht ihr den hier?«, fragte er die Prinzessin.

»Ich wollte wieder in die Stadt kommen. Ist es mir nicht gestattet?«

»Doch. Tut mir leid. Ich bin nur überrascht, dass ihr wieder unter den Lebenden weilt. Wie geht es euch, eure Hoheit?«

Ein allgemeine Überraschung überkam es die Milizionäre, da sie nun die Prinzessin als solches erkannten. Es kam nicht oft vor, dass sich der Adel höchstselbst hinunter in die Kaserne wagte, zumindest, wenn es nicht sein musste. Aber gleich die Prinzessin, die nichts mit diesem Amt zu tun hat, geschweige noch in der Stadt ansässig ist, hier zu sehen, war für die meisten Milizanhänger ein wahrer Höhepunkt.

»Mir geht es erstaunlich gut.«

»Der Fürst hat ihr den Ausritt erlaubt, mit der Bedienung, dass wir sie begleiten und sie ohne Umwege in die Kaserne bringen«, meldete sich der Medikus zu Wort.

»Nun gut«, holte Gandor aus einem der Schränke eine Tasche und ein Stück Papier. »Da ihr schon einmal hier seid, werdet ihr vorerst in der Kaserne bleiben. Leander, du wirst mit mir kommen und wirst mit mir Steuern eintreiben.«

Fragend sah der Schatten ihn an und begriff allmählich, dass Gandor ihn wahrscheinlich für die Prüfung für die Garde vorbereiten wollte.

»Müssen wir unbedingt hier bleiben?«, fragte Esmeralda getrübt.

»Das müsst Ihr sehr wohl«, gab Gandor zurück. »Nach denn Ereignissen der letzten Tage kann ich nicht verantworten euch frei in der Stadt bewegen zu lassen.«

»Und gerade ihr habt mir von einem freiem Willen gepredigt«, schüttelte Lord André den Kopf.

»Hier liegt ein Sonderfall vor«, korrigierte Gandor ihn und wandte sich an den Medikus und Chavo: »Ihr werdet die Prinzessin nicht aus den Augen lassen, solange Leander und ich nicht da sind.«

 

Lange sah Tyson zu der leblosen Frau hinab. Er konnte kaum glauben, dass sie es wirklich sein konnte. Niemals. Als Mateo ihn letzte nacht aus dem Drachenauge geholt hatte, dachte er, es ginge um Azura, die auf ihn sehnsüchtig wartete. Unrecht hatte er zwar nicht. Aber er hätte nicht geglaubt, dass eine solche Überraschung auf ihn wartete. Eine Frau, die genau so aussah wie die Fürstin lag leblos in Stofffetzen vor ihm. Was hatte das alles zu bedeuten?

Im Schutze der Nacht hatte er mit Mateo und Azura die leblose Frau auf ein Boot verfrachtet und in die kleine Bucht nahe des Hafens verschifft. Zur rechten Zeit, wie es dann herausstellte. Kaum ein paar Minuten später kamen die ersten Hafenarbeiter für ihre Schicht an die Docks. Um die Zeit konnte sich nur Mateo unauffällig an Land gehen um Sachen für die Fürstin zu bringen. Wenn Tyson oder Azura auf dem Hafen auftauchen würden, dann gebe es zu viel Aufsehen.

Als Azura sich am seinen Arm schlängelte, kam er wieder zurück aus seinen Gedanken. Er mochte die Waldläuferin. Das hatte er schon immer. Schon allein wegen ihren Situationen konnten sie keine ernstzunehmende Beziehung aufbauen. Für ihn war sie eine der schönsten Frauen der Welt, trotz der Brandnarbe an der linken Gesichtshälfte. Manchmal bejammerte er sich selbst, dass er damals, als sie den Unfall hatte, nicht da war um sie davor zu bewahren.

»Du musst häufiger aus der Burg raus«, meinte sie sanft.

Das wusste Tyson auch. Und er wollte es unbedingt. Aber seine scheiss Verpflichtung als Reserve und die Treue zu seinem Bruder verhinderte das.

»Du wolltest mir was sagen?«, versuchte Tyson auf das Thema zurückgreifen, weshalb sie ihn eigentlich aufsuchen wollte. »Du sagtest Mateo, dass sich jemand im Drachenauge ist, der nicht dort sein sollte?«

»Das stimmt«, nickte sie und lies seinen Arm los. »Sein Name ist Scipio. Ich habe ihn schon seit einer Weile unter Beobachtung. Von daher weiss ich, dass er ein Dunkelgeborener ist.«

»Was heisst das? Was willst du mir damit sagen?«

»Wenn Lucor noch lebt, dann kann er alles sehen, was er sieht, Alles hören, was er hört und kann alles beeinflussen, was er macht und sagt. Wenn meine Vermutung richtig ist, und Lucor seine Macht wieder hat, oder immer noch, dann kann er Scipio durch die Burg schicken um eine Schwachstelle zu finden, durch die er uns seine Assassine hineindringen kann.«

»Wenn Lucor das tatsächlich kann, warum hat er es nicht schon früher getan?«

»Das weiss ich nicht«, gab Azura offen zu. »Vielleicht hat es irgendwas mit Esmeralda’s Entführung zu tun.«

Tyson schwieg und dachte daran, wie sehr sein Bruder ihm die Hölle heiss machen würden, sollte er mitbekommen, dass er längst nicht mehr in der Burg war.

»Und da gibt es noch eine Sache«, sprach Azura weiter. Es fiel ihr sichtlich schwer die richtigen Worte zu finden.

»Was ist los?«, fragte Tyson besorgt.

»Kennst du vielleicht einen Mann mit dem Namen Resnec?«

Er musste erst überlegen und nickte dann,

»Er hat damals im Drachenauge, als ich verbannt wurde«, fing sie an. »Nach meinem Rauswurf hatte er mich mit einer Fackel misshandelt.«

»WAS?!«

Tyson war nicht nur überrascht, sondern auch geschockt. Letzten Abend war er mit dem Rangertruppe angekommen und hatte mit ihm uns seinem Bruder in der Taverne getrunken. Dass er wieder ins Drachenauge kam, war eine Schamlosigkeit ohne gleichen. Hätte er schon letzten Abend das gewusst, so hätte er ihn mit den eigenen Händen erdrosselt.

»Der Mann hat eine Audienz beim Fürsten«, dachte er laut nach.

Vermutlich war die Audienz bereits vorbei. Aber dass konnte nur bedeuten, dass Gandor bereits wusste, dass er nicht mehr in der Burg war. Da kam ihm eine Frage auf: »Was zur Hölle macht er im Drachenauge?«

Kapitel 18: Bäume, Bäume überall

Varro ärgerte sich über diesen selbstverliebtes Arschloch von einem Edelmann. Viel mehr ärgerte er sich über sich selbst, da er ihn nicht schon früher loswerden wollte. Was hat ihn nur getrieben diesen Mistkerl bei sich zu behalten? Klar, er hat die ein oder andere Tür geöffnet, aber das hätte er früher oder später selbst geschafft. Dieser Taugenichts war für ihn mehr ein Klotz ab Bein, als eine echte Hilfe. Er ärgerte sich so sehr über seine Lage, dass er nicht mehr wahrnahm, wohin der Weg ihn führte. Mal hatte er dort abgebogen, mal hier lang gegangen. Und am Ende fand er sich an einer Lichtung wieder, in dessen Zentrum ein gewaltiger Baum mit rubinroten Krone stand.

Als Varro seine finsteren Gedanken verscheucht hatte, wunderte er sich, dass er hierher gefunden hatte. Seine Aufgabe war es einen Anhänger mit rubinrotem Stein zu finden. Wenn die Blätter kein klares Zeichen waren...

Bei näherer Betrachtung des Baumes entdeckte Varro ein Schild mit der Aufschrift:

 

Suche und Finde

Gebe Acht, wem du vertraust

 

Was zur Hölle sollte der Spruch? Hatte sich der Schreiber einen Scherz erlaubt? Den Sinn des ersten Satzes konnte er an sich selbst übertragen. Er suchte ja dieses Schmuckstück. Aber hatten der zweite Teil was mit dieser Suche oder dem Schmuckstück zu tun? Das konnte er beim besten Willen nicht sagen. Vorerst zumindest.

Raschelnde Zweige brachten ihn aus den Gedanken. Schnell griff er nach seinem Schwert und zog die Klinge heraus. Auf leisen Sohlen näherte er sich der Geräuschquelle, um den Verursacher zu erwischen, eher der ihn erwischen konnte.

Eine dickliche, bärtige Gestallt trat empor und beinahe hätte er Azad die Kehle durchschnitten.

»Holla, Varro, damit kannst du jemanden weh tun«, erhob sein Freund die Hände in die Luft.

Entschuldigend liess Varro die Klinge hinabsinken. Sein Herz klopfte nach wie vor.

»Hast du schon was gefunden?«

»Nur ein verdammtes Schild mit einem Reim, dass sich nicht reimt«, führte Varro seinen Weggefährten zu seinem Fund.

Auch Azad konnte nichts dazu einfallen: »Vielleicht ist das eine Warnung.«

»Undeutlicher kann eine Warnung nicht sein, oder?«

Ein erneutes Rascheln erweckte Varro’s Aufmerksamkeit. Abermals griff er nach seinem Schwert, überdachte dies aber, da Resnec noch nicht aufgetaucht war. Da er nicht den selben Fehler machen wollte, wie bei Azad, lies er sein Schwert in der Scheide. Genau dies war der Fehler, wie es sich herausstellte. Dort, wo das Rascheln herkam, tauchte ein grosses, morsches Baummonster auf. Im Stamm ragten Löcher, die wohl Augen und Mund darstellen sollten. Die Arme waren im wahrsten Sinne so dick wie Baumstämme und mündeten in knochige Äste. Dort, wo sich die Baumkrone befinden sollten, hingen vereinzelt vertrocknete Blätter. Ein tiefes, vor Schmerz erfülltes Stöhnen entwich aus dem Maul des Ungeheuers.

»Was zur Hölle...?«, stiess Varro lauthals von sich, als er die Waffe zog und zurücktaumelte.

Azad, dessen weit aufgerissenen Augen nichts als Panik verrieten, zog ebenfalls seine Axt.

»Ruhig Blut, Azad. Mit Angst können wir es nicht bezwingen«, hatte sich Varro wieder gefasst und sprintete sogleich auf das Ungeheuer von einem Baum los.

Mit einem Wisch versuchte das Baummonster ihn wegzuschlagen. Varro konnte sich unter den mächtigen Hieb tauchen. Schwerfällig drehte sich das Monstrum um und versuchte seinen kleinen Gegner zu packen. Mit einem Schwung trennte Varro die Spitze eines Astes weg und etwas, was nach einem Schmerzensschrei anhörte, drang aus dem Inneren des Baummonsters. Azad kam hinter diesem angerannt und vergrub das Blatt seiner Axt tief in das Holz seines Beines. Der Schmerzensschrei wurde qualvoller und wurde zu einem Wutschrei. Mit geballten Fäusten schlug das Baummonster nach den beiden. Die Bewegungen waren schwerfällig zu zäh. Varro und Azad konnten den Schlägen ausweichen und gingen sogleich zum Gegenschlag über. Mit voller Kraft versuchte Varro die Hand seines hölzernen Gegners abzutrennen, konnte aber nur Kerben in die Rinde schlagen.

»Verfluchtes Ding, wie kann man dich bezwingen?«, brüllte Varro aus Verzweiflung.

Mit einer Handbewegung entriss das Baummonster ihm das Schwert, das sich im Holz des Monsters verkanntet hatte, aus den Händen. Varro flog gut zwei Meter zurück und landete unsanft auf einen, aus dem Boden ragendem, Baumwurzel. Ein zuckender Schmerz breitete sich von der Aufprallstelle auf den ganzen Rücken aus. Varro krümmte und stöhnte vor Schmerzen. Er war nicht mehr der Jüngste. Er konnte sich nicht mehr so schnell aufraffen wie noch vor zwanzig Jahren. In Momenten wie diesen verfluchte er sich, dass er immer noch für solche Aufträge zur Verfügung stellte und sie tatsächlich noch ausführte.

Sich aufzuraffen bereitete ihm Schmerzen, doch er schaffte es. Mit ein paar wenigen Dehnübungen renkte er sich einige Wirbelsäulen wieder ein. Glücklicherweise hatte der Sturz ihm keinen ernstzunehmenden Schaden zugefügt und er konnte sich wieder den Kampf mit dem Baummonster widmen, auch wenn die wunde Stelle noch brannte. Er rückte sich noch den Zwicker zurecht, eher er sich auf das Monstrum stürzte.

Kaum hatte er das Baummonster erreicht, ging dies in Flammen auf. Angstverzehrtes Schreien dröhnte in Varro’s Ohren. Es schmerzte ihn so sehr, dass er gezwungen war sich die Ohren zuzuhalten. Das Baummonster wand sich verzweifelt, versuchte den flammenden Inferno, das ihn erwischte, zu löschen, eher es ihn vollständig verschlingen konnte. Das Unterfangen war zum Scheitern verurteilt. Varro sah einen faustgrosses Etwas auf das Baummonster zufliegen, dass bei dem Kontakt mit dem Holz zerplatzte und ein neuen Feuerball entfachte. Das war zu viel für den Baum und es fiel zu Boden, als habe ihn ein Holzfäller bearbeitet.

Varro’s verwirrter Blick wanderte zu der Stelle, aus dem dieses Etwas herkam. Da stand auch schon ein breit grinsender Resnec.

»Was würdet ihr nur ohne mich tun?«

»Mach nicht einen auf Valentino«, knurrte Varro ihn an, bevor er seinen alten Kumpel dankbar umarmte.

»Nichts für ungut, aber mir wäre es lieber, wenn mich eine Frau umarmt«, sagte Resnec immer breiter grinsend.

Ein erleichtertes Lachen verliess Varro’s Lippen. Doch dann wurde er wieder ernst: »Was hast du auf ihn geworfen?«

»Ein Sack voller Feuer.«

Varro war inzwischen an seine verschleierte Sprüche und die merkwürdigen Utensilien, die er mit sich führte, gewohnt. Deshalb fragte er nicht weiter nach.

»Wie kommt es, dass sich unsere Wege hier wieder schneiden?«, wechselte Resnec das Thema.

»Das kann ich dir auch nicht sagen«, zuckte Varro die Achsel. »Aber wir haben einen verdammten Spruch auf einem Baum gefunden.«

»Diesem Baum?«, deutete Resnec auf das brennende Ungeheuer.

»Dieser Baum«, zeigte Varro auf den Baum mit der rubinroten Krone und führte ihn an die Stelle, wo der Spruch eingraviert war.

Nachdenkend musterte Resnec denn Spruch und konnte sich auch nicht vorstellen, was das zu bedeuten hatte. Eher sich Resnec mehr Gedanken machen konnte, hörte er hinter sich jemanden schwer Atmen.

Die Ranger drehten sich um und erblickten Valentino. Doch sein Antlitz hatte sich verändert. Von den selbstverliebte und immerzu perfekt gepflegten Edelmann war nicht mehr viel zu erkennen. Sein leerer Blick schien durch seine Gegenüber hindurch zu blicken. Das getrocknete Blut, dass aus der gebrochene Nase getropft hatte, umspielte seinen Mund. Sein Kopf neigte sich leicht zur Seite. Das Gesicht hing schlaff hinab. Er hatte seine Arme leicht angehoben um sein Gleichgewicht zu halten, denn seine krummer Gang nicht viel davon bot. Schleifend schritt er zu den Rangern, bis er abrupt zum stehen kam. Sein Körper durchbog sich, als er einen lauten Schrei von sich gab. Die Vögel, die sich weit oben in den Ästen der Bäume eingenistet hatte, ergriffen die Flucht.

»Was ist nun mit dem los?«, fragte Azad verwundert.

Varro zuckte nur mit den Achseln.

Die Haut des Edelmannes bekam Risse, die immer grösser und breiter wurde. Aus dem Inneren kam ein orangerotes Glühen. Der Gestank erzeugte bei den Anwesenden einen üblen Brechreiz und jagte Tränen in die Augen. Schmatzend löste sich das Fleisch von den Knochen und schlugen dumpf auf dem Boden auf. Varro konnte nicht glauben was er da sah. Er musste träumen. Das Baummonster hat ihn so sehr erwischt, dass er das Bewusstsein verloren haben musste. Ja, das war die einzig logische Erklärung. Anders konnte er das, was er sah, nicht erklären. Von Valentino blieb nur noch das Skelett übrig. Die Knochen fielen nicht in sich zusammen, wie Varro es vermutet hätte, stattdessen bildeten sich neue Muskelfasern und gab ihm ein neues Äusseres. Was am Ende rauskam, war nicht mehr Valentino, sondern ein alter, kahlköpfiger Mann. Ein Mann, denn Varro schon einmal gesehen hatte.

»Lucor«, stöhnte Varro kaum hörbar und voller Verachtung aus.

»Wenn ihr diese Prüfung bestehen wollt, dann werdet ihr mir ohne Widerrede gehorchen. Habt ihr mich verstanden?«, drohte der Totenpriester.

Varro setzte zum Sprechen an, um ihm klar zu machen, was er von ihm hielt. Doch Resnec kam ihm zuvor. Und was er von sich gab, erstaunte ihn fast so sehr, wie es ihn erschreckte: »Ja, Meister und Gebieter.«

Kapitel 19: Einkaufsbummel

Esmeralda ging im Quartier auf und ab. Sie war wütend und enttäuscht zugleich. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Hatte sie wirklich geglaubt in die Kaserne zu kommen um kurz Hallo zu sagen und sich wieder aus dem Staub zu machen? Nachdem sie in das Quartier gebracht wurde, fühlte sie sich fast noch einsamer als im Drachenauge. Dort hatte sie wenigstens die Möglichkeit gehabt sich frei zu bewegen, was hier nicht der Fall war. Sie verfluchte ihren Adelsstand. Man wird in einen goldenen Käfig hineingeboren. Man konnte zwar alles mögliche leisten und andere rumkommandieren, aber einen freien Willen war im eigentlichem Sinne nicht vorhanden. Sie konnte sich nirgends frei bewegen, konnte nicht unerkannt bleiben. Aber was ihr noch mehr Kopfschmerzen bereitete, war die Tatsache, dass sie ihr Vorhaben bezüglich ihrer Mutter nicht durchziehen konnte. Der einzige, der von ihren seltsamen Träumen wusste, und somit der einzige war, der ihr bei ihrer Sache behilflich sein wollte und konnte, wurde vom Kommandanten mitgenommen. Und sie musste in diesem kleinen Quartier einer Kaserne ihre Zeit totschlagen. Chavo als Türwächter vor dem Quartier und der Medikus irgendwo auf dem Markt, um sich mit Zutaten einzulagern.

Es macht sie wütend und schwach zugleich nichts machen zu können. Sie war drauf und dran auf dem Bett weinend zusammenzubrechen. Wenn dies passiert, so wusste sie, dann würde es wieder eine Weile dauern, bis sie sich wieder zusammenraffen konnte. Esmeralda dachte angestrengt nach, wie sie aus ihre Lage rauskommen konnte. Die einzige Möglichkeit, die sie sah, war die, Chavo ihre Lage näher zu bringen. Ob er ihr helfen würde, konnte sie noch nicht sagen. Ihn kannte sie schon seit Jahren und kannte seine Loyalität. Aber die galt weniger ihr, als vielmehr ihrem Vater.

Sie überlegte, wie es von nun an weitergehen könnte. Entweder blieb sie in diesem Quartier, bis Grass über die Geschehnisse gewachsen war und sie würde nicht mehr die Möglichkeit bekommen ihren seltsamen Träumen auf den Grund zu gehen. Als nächstes malte sie sich aus, wie sie mit Leander zu diesem Geschäft ginge. Doch diese Option erschien ihr momentan für unrealistisch. Oder sie wurde in absehbarer Zeit zurück ins Drachenauge reisen um dort ihr bisheriges Leben aufnehmen. Wozu sie am wenigsten geneigt war.

Die aufgehende Tür riss sie aus den Gedanken. Chavo kam herein, was Esmeralda sehr verwunderte.

»Eure Hoheit«, verneigte er sich vor ihr.

»Chavo.«

»Ich habe eine Bitte an euch«, war Chavo nervös. Ihm war es sichtlich unangenehm damit rauszurücken. Aber es schien ihm wichtig genug zu sein, dass er die Fürstentochter damit belästigte.

»Und die wäre?«, war Esmeralda sichtlich genervt wieder ihre Pflichten als Fürstentochter nachkommen zu müssen.

»Ich habe meine Frau schon seid Tagen nicht mehr gesehen«, begann er. »Und da ich schon einmal in der Stadt bin, dachte ich mir, dass ich daheim bescheid gebe, dass es mir gut geht.«

»Solltest du nicht mein Bewacher sein, solange ich ausserhalb vom Drachenauge bin?«

»Das ist es ja. Und da ich euch eine ganze Weile kenne, will ich einmal behaupten, dass Ihr nicht grundlos her wolltet, könntet Ihr mich für einen Ausflug begleiten.«

Überrascht über die eben aufgehende Chance sah sie ihn sprachlos an. Konnte es sein, dass die Götter ihr endlich gnädig waren?

»Eure Hoheit?«

»Ja«, gab sie endlich die erwünschte Antwort. »Ja. Natürlich kann ich dich begleiten. Ich würde auch gerne deine Familie kennenlernen. Können wir einen kleinen Abstecher zu einem Geschäft machen? Dann könnte ich ein kleines Geschenk für deine Familie besorgen.«

»Natürlich.«

Esmeralda konnte ihr Glück kaum fassen. Sie hatte mit allem möglichem gerechnet, aber nicht mit so etwas. Sie richtete sich auf, strich ihr Oberteil glatt und spazierte Seite an Seite mit Chavo zu Lord André, damit er bescheid wusste, was Sache war.

»Ihr könnt hier nicht weg«, war die Antwort des Lords.

»Hört mir zu. Ich bin hier die Prinzessin. Das heisst, ich steh weit über Euch. Wenn ihr mich wie eine Gefangene behandelt, dann werden es alle erfahren. Und wenn die Tatsache herauskommt, dass ihr versucht hattet mich zu schänden, dann werdet Ihr um eine neue Stelle ausserhalb von Montgorda bemühen müssen. Hab ich mich klar verstanden?«

Zittrig stand Lord André da und konnte nichts weiter machen, als zu nicken. Und ihnen, Esmeralda und Chavo, freien Geleit zu gewähren.

Esmeralda zog die frische Luft tief in die Nase ein, als sie die Kaserne verlies. Sie genoss all die Düfte des Marktplatzes. Das gebratene Fleisch, die verschiedene Duftwässer, die Tabakwaren und sogar das frische Bier konnte sie wahrnehmen und es gefiel ihr um einiges besser als der miefe Gestank der Kaserne mit all den schweissgebadeten und ungepflegten Miliz, die kaum besser rochen als ihre Gefangenen. Stolz und mit erhobenem Haupt schlenderte sie auf dem Pflastersteinen hin und her.

»Eure Hoheit?«, sprach Chavo sie an. »In welchen Landen wollt ihr gehen?«

»In das Geschäft von Mateo.«

 

»Beehren Sie uns bald wieder«, verabschiedete sich Mateo von seinem Kunden.

Er wollte lediglich einige Sachen für die Fürstin holen. Als er sein Geschäft betrat, kam auch schon der erste Kunde, denn er bedienen musste. Die Welle von Kunden wollte nicht aufhören. Nun war es Mittag und er hatte nach wie vor keine Pause einlegen können um sich die Sachen zusammenstellen zu können. Als der letzte Kunde endlich das Geschäft verlassen hatte, lief er in den Lager, um endlich die medizinischen Kräuter und warmen Sachen zusammenzulegen. Sie wird auch Hunger und Durst haben, also legte er auch Trockenfisch und eine Feldflasche mit Wasser bei und band die Sachen zu einem Bündel zusammen. Kaum war er fertig, läutete das Glöckchen über die Tür, als jemand das Geschäft betrat.

»Ach nö«, seufzte Mateo vor sich hin.

Er hätte den Landen anschliessen sollen, bevor er ins Lager ging. Dafür, dass er so nachlässig war, tadelte er sich innerlich selbst. Hoffentlich würde es bei dem einen Kunden bleiben, sodass er sein Geschäft abschliessen und raus konnte. Als er in den Verkaufsraum kam, war Mateo mehr als erstaunt darüber, wenn er als Kunden hatte.

»Prinzessin Esmeralda, schön euch auf den Beinen zu sehen«, grüsste Mateo sie erfreut, aber nicht minder überrascht. »Kann ich euch was gutes tun.«

»Chavo hat mich eingeladen seine Frau zu besuchen. Da dachte ich mir, ich könnte ihr ein kleines Präsent kaufen«, schlenderte Esmeralda um die Regale und begutachtete die verschiedene und zum Teil exotische Ware an, dessen Verwendungszweck sie teilweise nicht verstand.

»Habt ihr an was bestimmtes gedacht?«

Eine innere Anspannung machte sich in Mateo breit. Vor weniger als zwölf Stunden tauchte vor seinen Augen die Mutter der Prinzessin auf, ohne dass er es sich erklären konnte. Und nun sah er sich mit der Situation konfrontiert mit der Prinzessin zu reden, die in seinem Geschäft etwas kaufen wollte. Er durfte seine Anspannung nicht zeigen und ihr nichts von letzter Nacht erzählen. Einerseits konnte er ihr nichts sagen, da er es nicht erklären konnte, andererseits musste er es ihr sagen, weil sie das Recht darauf hatte.

»Chavo, was mag deine Frau am liebsten?«, richtete sich die Prinzessin an ihren Leibwächter, der ahnungslos die Achsel zuckte.

»Schmuck, schätze ich.«

»Hast du was da?«, fragte Esmeralda den Händler.

»Bei mir wird selten Schmuck gekauft. Da müsstet ihr vielleicht zum Goldschmied im oberen Viertel«, meinte Mateo. »Bei mir werden Klingen, Schilde, Lederrüstungen und Stoffe gekauft. Oft auch Kräuter, Fälle und Pelze. Kann ich euch vielleicht davon was anbieten?«

»Hasst du auch Düfte?«

»Wenn, dann hinten im Lager.«

»Können wir gemeinsam nachschauen?«, fragte Esmeralda, fast eine Spur zu aufdringlich.

Sie hatte nur darauf gewartet, dass der hintere Teil des Geschäfts Erwähnung findet. Wenn der Traum der Wahrheit entspricht, dann befindet sich ihre Mutter dort. Obwohl sie sich nicht erklären konnte, warum sie davon überzeugt war, dass ihre Mutter wieder am Leben sein sollte. Es war schwachsinnig, dass Tote Menschen einfach so aus dem Jenseits kommen. Aber die Träume wirkten so real.

»Natürlich«, stimmte Mateo zu. »Kommt mit.«

Esmeralda’s Herz sprang kurz auf und blieb dann stehen. Sie zitterte innerlich. Konnte es sein, dass sie ihrer Mutter begegnet? Oder spielte ihre Erwartung und die Träume einen Streich mit ihr. Gespannt folgte sie dem Händler in den hinteren Teil des Geschäfts. Anstatt einen Schlafgemach vorzufinden, befanden sich im hinteren Teil des Geschäfts ein menge Gerümpel, ungeöffnete Holzkisten und jede menge von Flüssigkeiten in Flaschen verschiedener Grössen und Formen.

»Hier, probiert dieses aus«, kramte Mateo eine Ampulle mit einer grünblauer Flüssigkeit.

Esmeralda öffnete die Ampulle und zog eine kleine Brise in die Nase. Die exotisch aromatische Duft lag angenehm in der Nase und war nicht zu aufdringlich. Sie hatte bisher noch nichts vergleichbares gerochen.

»Ich nehme es«, sagte Esmeralda und griff nach dem Beutel an ihrem Gürtel. »Was kostet es mich?«

»Fünf Dukaten«, sagte Mateo, dem nicht entgangen war, dass die Begeisterung der Prinzessin nachgelassen hatte. Viel mehr wirkte sie Enttäuscht darüber nicht das gefunden zu haben, was sie sich erhofft hatte. »Stimmt was nicht. Prinzessin Esmeralda?«

»Alles bestens«, gab sie ein halbherziges Lächeln preis. »Es ist nur so, dass ich letzte Nacht davon geträumt hatte hier zu sein, in diesem Raum. Nur dass es kein Lager war...«

Esmeralda verstummte. Sie unterdrückte ein Schluchzen. Mateo konnte nichts weiter tun, als seine Hand tröstend auf ihre Schulter zu legen. Er konnte keine Worte finden, um sie wieder aufzuheitern. Das, was er ihr sagen konnte, musste vorerst warten. Aber wie lange?

»In meinem Traum war es kein Lager, sondern ein Schlafgemach in dem sich meine Mutter befand«, beendete Esmeralda ihren Satz. »Ich weiss wie töricht es von mir ist, zu erwarten, meine verstorbene Mutter wieder unter den Lebenden zu sehen.«

Mateo’s Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. Seine Muskeln spannten sich nervös zusammen. Wie um alles in der Welt konnte das passieren?

»Ich möchte einen kleinen Ausflug machen«, begann Mateo, als er sich wieder gefasst hatte. Seine Stimme klang matt und wählte die Worte mit bedacht. »Ich möchte euch etwas zeigen, wovon keiner erfahren darf.«

Misstrauisch sah Esmeralda zu ihm auf. Skeptisch neigte sie ihren Kopf zu Seite und ihr goldblonde Strähnen fielen ihr auf die Stirn.

»Um was handelt es sich?«

»Ihr sollt es mit eigenen Augen sehen. Ansonsten werdet ihr mir nicht glauben. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob es eine kluge Wahl meinerseits ist, das zu machen.«

»Wovon sprecht ihr?«

»Wenn Ihr mich begleitet, dann werdet ihr es erfahren.«

Kapitel 20: Rachegelüste

Mit einem brummenden Schädel kam Orlando allmählich zu Gesinnung. Irgendwo zwischen Wachzustand und Ohnmacht kamen die Bilder vor seinem inneren Auge hoch. Das letzte, woran er sich erinnerte, war der Sturz in der Arena, bevor er in die Taverne getragen wurde. Danach kam eine dunkle Leere in seinem Gedächtnis. Aber wer waren die beiden Frauen, die sich an ihn schmiegten? Das Öffnen der Augen war ein Kraftakt, das seines gleichen suchte. Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand bündelweise Sand in seine Augen gekippt. Nachdem er sich dieses ekelhafte Gefühl ausgerieben hatte, blickte er zu den nackten Schönheiten, die seine Brust als Kissen zweckentfremdet hatten. Da ist also doch was gelaufen. Oder nicht?

Ich sollte aufhören so viel zu saufen.

Orlando legte seine Hände um die schlafenden Schönheiten und gab jeder einen Kuss auf die Stirn. Er kannte die beiden. Sie waren Prostituierte im Hafenbordell von Kap Ardea. Wie hatte er in seinem Zustand eigentlich in die Stadt geschafft? Und vor allem, wie hatte er den Akt in seinem Suff durchziehen können? Es erfreute ihn dennoch das geschafft zu haben. Weniger erfreulich war die Erinnerungslücke für diesen Zeitraum. Dafür genoss er das Gefühl ihrer weichen Leiber zu spüren. Genüsslich zog er ihre Düfte die Nase hoch.

Ein leises, kaum hörbares Geräusch drang in sein Ohr. Vermutlich eine Dirne, die ihren Kunden in ein Zimmer brachte. Er lies es bei dem Gedanken, als er sich wieder in den Dämmerzustand fallen lies. Das kalte Stahl eines Dolches an seinem Hals lies ihn wieder wach werden. Die beiden Frauen kreischten vor Entsetzten und ergriffen eilig die Flucht. Beinahe drang die Klinge in seine Kehle.

»Das wirst du mir büssen«, vernahm er die wütende Stimme eines Mannes.

Orlandos müde Augen musterten den langhaarigen Mann mit dem Ziegenbart. Hatte dieser nicht in der Arena bestanden gegen ihn zu kämpfen und dann haushoch verloren?

»Mach dich nicht unglücklich«, sagte Orlando ruhig und mit heisser Stimme.

Scipio holte mit seiner Dolchhand aus. Orlandos flinke Reaktion, trotz des durch Alkohol benebeltem Verstand, folgte sogleich. Der eiserne Griff des Schädelpsalters drückte fest die Kehle des Angreifers zu, bis er röchelnd die Waffe fallen lies. Aus dieser Position konnte Orlando keine vernünftige Aktion durchführen, weshalb er ihn wegstiess. Donnernd krachte Scipio gegen die Wand. Orlando sprang auf und fand noch die Zeit seine Hose überzustreifen. Flachatmend und mit einem feurigen Blick sprang Scipio auf ihn. Torkelnd wich Orlando aus, lies ihn gegen die Wand hinter ihm krachen und zog seinen Gegner am Haarschopf hoch. Zu spät erkannte er den Dolch in dessen Händen. Die Klinge schwingend konnte sich Scipio aus dem Griff befreien. Beinahe hätte die Klinge den Weg in die Lende gefunden, wäre Orlando nicht im letzten Moment weggesprungen. Seine Fäuste hob der Schädelpsalter schützend vors Gesicht. Der Restalkohol in seinem Verstand drohte ihn wieder in die Bewusstlosigkeit zu reissen. Taumeln versuchte er sich bei einem halbwegs klarem Verstand zu bleiben um den nächsten Angriff seines Gegners vorhersagen zu können. Er wollte nicht solange warten um zu parieren. Er musste ihn mit einem richtig platzierten Schlag ausser Gefecht setzten. Der darauffolgende Tritt in den Bauch stoppte Scipio bei seinem Angriff und trieb ihm die Luft aus den Lungen.

Orlandos Magen fing an zu rebellieren. Er holte tief Luft, um den Inhalt nicht durch seinen Mund hinauszukatapultieren. Das musste vorerst warten. Um seinen Gegner so schnell wie möglich loszuwerden, packte Orlando ihn am Hals und schleuderte ihn gegen die Tür. Laut polternd schrie Scipio vor Schmerzen auf. Orlando gab ihm keine Zeit um nach Luft zu ringen. Mit all seinem Gewicht rammte er seine Schulter in die Brust seines Gegners. Durch die Wucht des Aufpralls brachen die beide Männer durch die Holztür. Die Brüstung des Innenbalkons bestand ebenfalls aus Holz, weshalb sie den beiden, schnell ankommenden Männern nicht standhalten konnte. Sie fielen zwei Stockwerke tief und zerbrachen dabei die Stühle und Tische des Bordells. Brechende Knochen und zermalmende Innereien waren nicht zu überhören. Die meisten trug Scipio davon. Der unerträgliche Schmerz nahm ihm das Bewusstsein. Dies hinderte Orlando nicht im geringsten daran wie ein Berserker auf ihn einzuschlagen, bis sein Kopf zu drehen begann und der Mageninhalt sich nicht mehr bändigen liess. Ein unappetitlicher Strahl aus Alkohol und Essensresten regnete auf den komatösen Scipio.

»Aufstehen!«, schrie eine befehlsgewohnte Stimme ihn an. »Und keine Bewegung!«

Mit trüben Augen, aber inzwischen klarem Verstand, blickte Orlando zu einem Mann in einem Waffenrock der Miliz mit mehreren Orden an der Brust. Er erkannte ihn wieder. Doch sein Name wollte ihm nicht einfallen. Um ihn herum standen ein duzend weitere Milizionäre des niederen Ränge, die ihre geladene Armbrüste auf ihn richteten. Orlando war ein leidenschaftlicher Kämpfer und ein wahnsinniger Schlächter, denn kaum einer bezwingen konnte. Aber zwölf Bolzen, die zeitgleich aus verschiedenen Richtungen und aus nächster Nähe auf ihn gezielt wurden, konnte selbst er nicht überleben. Es recht nicht in seinem momentanen Zustand. Kapitulierend hob er die Hände in die Luft und lies sich Handschellen anlegen.

»Du wirst verhaftet, wegen Ruhestörung und Sachbeschädigung«, sagte der kommandierende Milizionär in einem ruhigen, aber dennoch auffordernd Ton.

»Hätte dieser Mistkerl mich nicht im Schlaf erdolchen wollen, wäre das nicht passiert«, verteidigte sich Orlando.

»Welcher Kerl?«

»Na der hier?«, deutete Orlando mit einem Nicken auf die vor ihm liegende Kleidung. Erst nach und nach begriff er, dass niemand in der Kleidung steckte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf den Bündel.

»Gerade noch war er hier. Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist.«

»Es ist allgemein bekannt, dass dir nichts und niemand heilig ist«, entgegnete der Milizionär und gab zwei von seinen Anhängern das Zeichen, ihn abzuführen.

 

Licht. Weiches, einladendes Licht war es, das Scipio umhüllte. Er wusste nicht, wo er war, geschweige, wie er her kommen konnte. Aber es fühlte sich zu gut an, um sich über so was Gedanken zu machen. Es war beinahe so, als ob es egal wäre, was er zuvor in seinem Leben war. In der sorgenauflösenden Decke aus Licht fühlte er sich glücklicher, als in seinem Leben zuvor. Von einem Moment in den anderen änderte sich alles. Aus dem Glücksgefühl wurde ein erbarmungsloser Schmerz, das jede Faser seines Sein erfüllte. Scipio schrie so laut er konnte. Doch kein Ton kam heraus. Jede Sekunde fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Was zum Teufel geschah mit ihm? War er nun in der Hölle gelandet?

So schnell die Schmerzen auch kamen, so schnell hörten sie auf.

Es dauerte eine Weile, bis seine Sinne wieder ihre Funktionen aufnahmen. Unter sich spürte er eine harte, unebene Fläche. Stein vielleicht?

Hier und da flackerte ein schwacher Lichtkegel auf und unterbrach somit die pure Finsternis. Seine Augen sahen noch verschwommen. Aber er konnte die Silhouette vor sich sehen, die auf ihn zu steuerte.

»Willkommen in deiner persönlichen Hölle, Scipio«, sagte die tiefe Stimme des Mannes, den er von seinem Steckbrief kannte.

Instinktiv griff er nach seiner Waffe. Seine Hand ging ins Leere. Panisch suchte er nach seinem Schwert. Vergebens. Es war nicht mehr da. Genauso wie seine Kleidung, wie er erschrocken feststellen musste.

Sagat verpasste ihm einen Schlag ins Gesicht, bevor er ihn auf die Schulter packte und ihn forttrug. Benommen nahm Scipio wahr, wie er in einem Raum gebracht und auf eine Pritsche gelegt wurde.

»Was denkst du dir eigentlich dabei?«, fuhr Sagat ihn böse an. »Dein Job war es das Drachenauge auszukundschaften. Aber was machst du stattdessen? Du lässt dich von einem gnadenlosen Schlächter in der Arena demütigen und vergeudest deine Zeit mit einem zwecklosen Versuch dich an ihm zu rächen. Bist du ein verdammter Schwachkopf?«

»Wer bist du?«, krächzte Scipio, der sich noch von Sagat's Schlag erholte.

»Wer ich bin, ist nicht von belang. Wichtig ist nur, dass Meister Lucor dir die Illusion gegeben hat, mich zu jagen, damit du dich von den Gardisten rekrutieren lässt. Und das sollte den Zeck haben, dass du dich in der verdammten Festung umsiehst. Hattest du denn nicht das Verlangen danach?«

Es dauerte eine Weile, bis Scipio denn Sinn der Worte verstand. Und noch eine weitere Weile, um über die Antwort nachzudenken. Das Verlangen hatte er tatsächlich gehabt. Aber er hatte sich von dem Schädelpsalter hinreissen lassen in der Arena zu kämpfen, was sich im Nachhinein als ein Fehler entpuppte.

»Wonach hätte ich suchen sollen?«, fragte Scipio wie in Trance.

»Nach einem Weg in die Katakomben«, antwortete Sagat. »Und du wirst solange in der Zelle bleiben, bis der Meister wieder zurück ist um zu entscheiden, wie es mit dir weiter geht.«

Ohne ein weiteren Wort zu verlieren, ging Sagat aus der Zelle und verriegelte diese.

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Tag der Veröffentlichung: 15.03.2015

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