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Praktikanten.


Wenn ich unsere Praktikanten ansehe, wird mir klar, warum so viele Jugendliche in Deutschland keinen Ausbildungsplatz bekommen können. Glauben Sie mir, es liegt nicht nur an Mangel der Arbeitsplätze und wirtschaftlicher Lage des Landes, sondern an den Stellensuchenden selbst.
Fast jeder Woche begrüßt Hotel „Rosenberg“ Praktikanten, die entweder ein Schulpraktikum absolvieren müssen, das den Praktikanten von ihren Lehrkräften gewaltsam angedreht wurde, oder die sich für den Traumjob als Koch bzw. Köchin entschieden haben. Alle Namen von den Eindringlingen kann ich mir nicht merken, dafür aber ihre Taten, die manchmal meiner Meinung nach einfach entsetzlich sind.
Der Praktikant Nr.1.
Ein Mädchen. Ein sehr großes Mädchen. Nach einer langen Suche finden wir keine passende Schürze für sie. Größe XXXL ist leider in unserem Küchenkleiderschrank nicht vorgesehen. Dann stellen wir fest, dass nicht nur die Schürze für sie zu klein ist. Unsere gesamte Küche auch. Fredy, unser Koch, schickt sie in den Vorbereitungsraum, so mit können wir uns wieder frei bewegen.
Mike, der Kollege aus dem zweiten Ausbildungsjahr, denkt sich für die Ausbildungsplatzsuchende eine schöne Aufgabe aus, weil das nämlich zu den Aufgaben der Azubis gehört, Praktikanten zu beschäftigen. Herrn Streusel, dem Küchenchef, gehen die fremden Wesen in der Küche auf gut Deutsch am Arsch vorbei.
Das große Mädchen hat ihr Glück. Sie muss nur 200 Pakete mit vorportionierten Schnitzeln beschriften.
In genau zwei Stunden geht Mike kontrollieren, ob die Große ihre Aufgabe erledigte. Er bahnt sich den Weg zu den unberührten Paketen und guckt fragend das Mädchen an. Der Riese schnauft. Wahrscheinlich zur Folge einer Erkältung. Oder auch nicht.
„Ich habe eine 5- in Deutsch“, stammelt sie, „ich…ich kann nicht schreiben“.
Später erzählt sie uns, aus welchem Grund sie sich in unserem Hause beworben hat. Manche sagen, dass sie gerne kochen. Andere wollen seiner Kreativität voll ausleben. Das große Mädchen möchte das alles nicht. Sie möchte nur essen. Viel, viel Essen.
Der Praktikant Nr.2.
Ein Junge. Ein sehr großer Junge. Gleich am ersten Tag wiederholt sich die Geschichte mit der Schürze und dann baut der Praktikant ganz alleine ohne fremde Hilfe den Fleischwolf zusammen und ist sehr stolz darauf. Wir sind auch stolz auf ihn. Am zweiten Tag denkt der Held, er habe den Fleischwolf erfunden und tut absolut gar nichts, was ich zu ihm sage. Es ist unter seiner Würde. Das Schlimmste ist, er findet einen Stuhl, das Möbelstück, das in der Küche nichts zu suchen hat bzw. verboten ist, setzt sich arrogant darauf und beobachtet mich, wie ich zuerst beide Kühlräume mitsamt allen Kühlschränken putze und anschließend den Boden in der ganzen Küche schrubbe. Dabei unterhielt mich der Mann der Tat mit Geschichten aus seinem letzten Praktikum und ist voll davon überzeugt, dass er von unserem Betrieb übernommen wird. Ich wische den Schweiß von meiner Stirn und lasse ihn daran glauben.
Praktikanten Nr.3 und 4.
Zwei Schulpraktikumspflichtige Praktikanten, zwei Klassenkammeraden, die sich nach dem Kindergarten nicht weiterentwickelt haben.
Die ersten Tage verlaufen ganz ruhig. Die beiden scheinen sehr schüchtern zu sein. Trotzdem erfüllen sie alle von mir und Mike gestellte Aufgaben.
„Kinder“, sagt Mike, „bringt mir bitte eine Eierpalette aus dem Kühlhaus. Wir werden gleich zusammen Erdbeereis herstellen.“
Ihre Begeisterung kennt keine Grenzen. Ihr erstes Praktikum und sie bekommen eine brillante Aufgabe. Erdbeereis! Wahnsinn!
Die Jungs stürzen sich Hals über Kopf ins Kühlhaus. Eine Weile später kommt Nr.3 ohne Eier zurück und stellt uns eine äußerst dämliche Frage.
„Soll ich für das Eis weiße oder braune Eier nehmen?“
Mike lacht in sich hinein, zwinkert mir zu und hält dem Praktikanten einen Vortrag über die Bedeutung der Eierfarben in der Kochkunst. Ich weiß nicht, was weiter passiert, weil ich mich tot lache und letztendlich auf dem Klo verschwinde, um meine Tränen wegzuwischen.
Wenn ich wieder zurückkomme, dreht Nr.3 vorsichtig alle Eier im Uhrzeigesinn nacheinander um. Nr.4 guckt gelegentlich auf die Küchenuhr und notiert die Uhrzeit in seinen Schreibblock.
„Die Eier müssen jede zwei Minuten umgedreht werden“, erklärt Mike, “ so, dass Eigelb schön in der Mitte bleibt. Ohne diesen wichtigen Schritt ist die Erdbeereisherstellung einfach unmöglich.“
Ich verkneife mir mit Mühe das Lachen und danke Gott, dass ich keine Praktikantin bin, die man so leicht verarschen kann.
In der zweiten Woche merke ich, dass Nr.3 und Nr.4 alles anderes als schüchtern sind. Mittlerweile fühlen sie sich wie zu Hause oder besser gesagt auf dem Spielplatz, wo es auch selbstgemachtes Erdbeereis umsonst gibt. Ab jetzt wird nicht mehr gekocht, sondern Fangen und Rangeln gespielt. Wir spielen gerne mit. Komischerweise versteht Herr Petersen, der Hotelbesitzer, unsere Freude im Umgang mit Nr.3 und Nr.4 nicht und bittet sie noch vor dem Praktikumsende „Rosenberg“ zu verlassen.
„In der Küche gibt es nichts zu lachen!“ so seine Rechtfertigung.
Da täuscht er sich.


Berufsschule für angehende Köche.


Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Standort meiner Berufsschule irgendwo im Ausland ist. Wenn ich kein Auto hätte, ich habe aber zum Glück eins, müsste ich schon um 4 Uhr morgens aufstehen, damit ich punkt 8 Uhr die Schulbank drücken könnte. Mit dem Auto schaffe ich locker in einer Stunde bis zur Irrenanstalt, die sich Berufsschule nennt. Eine halbe Stunde dauert die Autobahnfahrt und eine halbe Stunde, wenn nicht länger, die Aufenthalt im Stau vor der Schule und Kampf um den Parkplatz. Genau aus dem Grund schaffe ich nie pünktlich zum Unterrichtsbeginn. Es ist auch nicht schlimm, da unsere Lehrer in der Regel eine viertel Stunde später nach mir kommen. Wenn überhaupt.
Jedes Mal müssen wir uns ihre Entschuldigungen anhören: der Kopierer ist kaputt gegangen; die Babysitterin ist krank geworden; der Wecker hat nicht geklingelt und so weiter und so fort. Und jedes Mal nicken wir verständnisvoll und verzeihen sie für ihre täglichen Verspätungen. Wehe, kommt einer von den Schülern später als ein schon verspäteter Lehrer zum Unterricht! Dann sind ein Eintrag mit einem dicken roten Filzstift ins Klassenbuch und ein Anruf im Betrieb garantiert. Die Petzen haben keine Gnade mit uns. Aber damit müssen wir leben.
Nach der üblichen Routine wird von dem Lehrer entschieden, ob er Lust zu unterrichten hat oder nicht. Falls nicht, kommt ins Klassenzimmer ein großer Fernseher angerollt und wir dürfen Filme und Sendungen, in denen das Wort „kochen“ mehrmals vorkommt, betrachten. In dem Fall, wenn die Lehrkraft doch ein bisschen Bock auf Unterrichtsstoff hat, bereiten wir uns Spielfelder für „Schiffe versenken“ und „Stadt, Land, Fluss“ vor, holen Zeichenblöcke und Malstifte ins Licht, da unser Traumberuf so kreativ ist. Manche, die am Abend davor hart gearbeitet haben, machen sich auf den Tischen mit einem Lieblingskissen bequem. Erst dann kann der Unterricht losgehen.
„ 5 Köche benötigen für eine Arbeit 6 Stunden. Wie viel Zeit brauchen 8 Köche für diese Arbeit?“
Diese äußerst schwere Frage kann keiner beantworten. Ich weiß nur, dass wir seit zwei Jahren versuchen, diese Aufgabe zu lösen. Und unser Lehrer ist der Haken in der ganzen Geschichte. Sein Schwerpunkt ist leider Politik und nicht Mathematik. Aus dem Grund probiert er die Aufgabe politisch zu lösen. Am Endeffekt stehen an der Tafel HARZ IV Ergebnisse. Wie viel Geld würden die drei Köche vom Arbeitsamt bekommen, wenn sie gar nicht benötigt wären?
„Du hast dein Schiff übers Eck gebaut. Das darfst du doch gar nicht machen!“ Höre ich eine verärgerte Stimme nebenan.
„Sorry“, entschuldige ich mich, „ es wird nie wieder vorkommen. Ich war nur mit meinen Gedanken bei den armen Köchen, die ab jetzt vom HARZ IV leben müssen.“

Impressum

Texte: illustriert von Oxana Döppner
Tag der Veröffentlichung: 21.12.2008

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