Ich habe es endlich geschafft. Nein, nicht in dieser Tonlage soll ich das sagen. Juhu, ich habe es geschafft!!!! Endlich kann ich Auto fahren. Dafür habe ich zwei lange Jahre meines Lebens vergeudet. Für das Geld, das ich für den Spaß ausgegeben habe, könnte man eine kleine 1-Zimmer Wohnung in Hamburg kaufen, oder Karten für alle bekanntesten Musicals Deutschlands in der ersten Reihe, oder eine Kreuzfahrt mit „QueenMery 2“. Ich dagegen habe auf all diese Sachen verzichtet und entschied mich für die Fahrschule.
Nicht, dass ich keinen Führerschein hatte. Den habe ich bereits in Russland gekauft. Wofür, weiß ich auch nicht, denn in einer großen Stadt braucht man eigentlich kein Auto. Aber alle meine Freundinnen besaßen eins, also wollte ich einfach nicht zurückbleiben.
Bedauerlicherweise wurden mein gekaufter Führerschein in Deutschland nicht anerkannt und ich ging zur… Fahrschule.
Mein erster Fahrlehrer, Markus, war schön wie ein Gott. Unnatürlich abgrundtiefe blaue Augen (mit Sicherheit trug er Kontaktlinsen), unnatürlich blonde Locken (dabei hat der Aufheller nicht die letzte Rolle gespielt) und eine Figur eines Athleten. Mein Gott! Wie sollte ich nur fahren lernen, wenn alle meine Gedanken, und Augen übrigens auch, nur auf Markus gerichtet waren?
Meine erste Fahrstunde war ein Desaster. Mit einem Affenzahn erzählte Markus, woraus das Auto besteht, als hätte ich einen Computer im Kopf, und wo man Gas, Kupplung und Bremse finden kann und schon in wenigen Minuten durfte ich losfahren. Aber es hat nicht sein sollen.
Der Absatz meines Schuhs (der war ja nur zehn Zentimeter lang) ist in der Fußmatte stecken geblieben und die Fußspitze ist vom Pedal abgesprungen. Der Motor setzte aus.
Der schöne Mann blickte auf meine modernen Highheels und schrie aus vollem Halse “Hast du sie nicht mehr alle? Oh, Mann. Frauen und Autos. Das kann nicht gut werden. Erklärst du mir wenigstens, wie du eigentlich darauf kommst, DIESE Schuhe anzuziehen?”
Ich murmelte nur “weil die Turnschuhe nicht zu meinem Sommerkleid passen”. Es reichte aber Markus, um unseren Unterricht zu beenden.
Meine zweite Fahrstunde ist nicht viel besser gelaufen. Zehn Minuten stand ich vor der geschlossenen Tür der Fahrschule. Und noch zwanzig Minuten. Und dann verlor ich meine Geduld und wählte zornig Markus’ Telefonnummer.
“Ist doch nichts Schlimmes passiert. Wenn die A7 frei ist, bin ich schon in zwanzig Minuten da”, beruhigte mich verschlafen mein Fahrlehrer, der höchstwahrscheinlich noch gemütlich im Bett lag.
Als die Geschichte sich noch drei Mal wiederholte, wechselte ich ohne zu zögern die Fahrschule.
Die total nette Chefin lud mich sogar zum Kaffe ein, um alle Details meiner Fahrausbildung zu besprechen. Sie sprach leise und sah dabei mysteriös aus, als würde sie mir ein Geheimnis anvertrauen wollen. Dann packte sie endlich aus.
“Ich erzähle das nicht allen Schülern, aber du gefällst mir, also erzähle ich es dir, wie du deinen Führerschein schneller machen kannst.” Sie drehte sich um, kontrollierte, ob uns jemand belauscht oder nicht und sprach rätselhaft weiter.
“Du muss unbedingt zwei Stunden am Tag fahren. Oder lieber drei Stunden. Genau, drei Stunden. Und nicht weniger!!!”
Ein Jahr lang, fast jeden Tag (Ausnahme waren nur Feiertage und Wochenenden), bin ich mit Frau Spick, einer Lehrerin, die eigentlich an der Uni unterrichten sollte, durch die Hamburger Straßen gesaust. Ein ganzes Jahr lang bin ich zur Fahrschule wie zur Arbeit gegangen. Währenddessen saß Frau Spick hochnäsig mit der Brille auf der Spitze ihrer langen Nase und mit dem hochgesteckten Dutt auf dem Beifahrersitz und las gelassen ihr Buch “Krieg und Frieden”, das fast zweitausend Seiten hat. Aber dafür hatte sie auch genügend Zeit, weil sie sich beim Unterricht nicht besonders anstrengte, nur ein bisschen, wenn sie mir Anweisungen gegeben hatte, ob ich links, rechts oder geradeaus fahren sollte. Und sonst kamen absolut keine Bemerkungen von ihr. Vielleicht dachte sie, es wäre unter ihre Würde mit mir zu sprechen. Wer weiß.
Das ganze Jahr lang habe ich mir die ganze Zeit nur eine Frage gestellt: was macht so eine hochintelligente Lehrerin bei der Fahrschule? Anderthalb Jahre später habe ich es zu guter Letzt kapiert. Frau Spick hat nicht mehr und nicht weniger ihr Geld verdient.
Meiner Meinung nach ist meine praktische Prüfung super gelaufen. Obwohl es wie aus Eimern schüttete, ich auf der Autobahn Vollgas bis hundertachtzig Kilometer pro Stunde gab, und ich habe es noch geschafft über eine gelbe Ampel zu fahren und war unheimlich stolz auf mich. Der Prüfer dagegen sah dies anderes. Ich fand es unmöglich von ihm, als er sagte “gehen Sie, bitte, nach Hause und Gott bewahre, sehe ich Sie irgendwann hinter dem Lenkrad!”
In der dritten Fahrschule (zum Glück ist Hamburg eine große Stadt und hat viele davon) habe ich erfahren, dass es so etwas wie Verkehrsregeln gibt und dass man parken auch lernen kann.
Ralph, mein neuer Fahrlehrer, schwor mir beim Leben, dass ich es in seiner Fahrschule endlich schaffen werde. Bei den Worten blieb ich gleichgültig. Ich wusste nicht mehr, ob ich diesen verdammten Führerschein noch wollte.
Meine zweite Prüfung ist fast nur in der ``Zone 30`´ verlaufen. Einige Male war ich bereit einzuschlafen. Aber ich habe die Prüfung bestanden!!
Als der Prüfer mir meinen hart verdienten Führerschein überreichte, lobte er mich herzlich. “Charlotte, ich muss wirklich sagen, Sie sind eine tapfere Frau. Man muss nur an seinen Traum fest glauben und dann klappt schon alles.”
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2008
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