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Mea culpa

Es war einer dieser Tage, an denen mit schier endloser Kraft, der Wunsch in mir hervorbrach, nicht zu existieren. Nie existiert zu haben. All das Leid, das wie die pure Verzweiflung meine arme Seele betrübt und sie in das traurige Dunkel hüllt, das wir in den Stunden empfinden, in denen wir uns hilflos, allein und machtlos fühlen.

Ich hatte nichts getan.

Immer wieder rauschten die Gedanken in meinem Kopf umher und sie dröhnten in mir wie das Brummen, das man wohl hört, wenn man zur Rushhour auf dem Mittelstreifen einer sechsspurigen Autobahn steht. Dieser Druck, der meinen Kopf in Milliarden Einzelteile sprengen will wie eine reife Melone, die mit einem Wasserschlauch zum Zerbersten gebracht wird.

Ich wollte sinken. Tiefer und tiefer in die Matratze fallen, auf der ich lag. Mich begraben lassen von allem, was um mich herum war, ausgelöscht werden und in tiefer ewiger Dunkelheit verschwinden. Doch stattdessen lag ich nur da. Steif. Unbeweglich.

Ich bin unschuldig.

So gerne hätte ich meinen nackten Körper unter dem Dröhnen meines Schädels gekrümmt und aufgebäumt und alles aus mir herausgeschrien, was mich in dieser Situation gefangen hielt. Ich hätte mich zusammengekauert, meinen Schädel gegen die Matratze gepresst, in der Hoffnung, dass alles ein Ende nehmen würde. Doch das Ende wird nie kommen. Stattdessen lag ich nur da. Still. Gelähmt. Nackt.

Ich musste nicht an mir herunterzusehen, um zu wissen, dass mein Penis noch da war. Ich hätte ihn mir am liebsten ausgerissen. War es nicht in höchstem Maße zynisch, dass ich jetzt in dieser Situation war genau an der Stelle, an der ich sie so oft geliebt hatte? An der wir uns nach unseren nackten Körpern so sehr gesehnt haben und ihre Begierde nach dem Stück Fleisch, das ich nun verwünsche, mich so sehr gefreut hat?

Ich wollte nicht sterben.

Mir wäre nur lieber, ich wäre nie gewesen. Immer wieder stellte ich mir so viele Stimmen vor. Was sie wohl sagen würden?

„Warum hat er das getan?“

„Ich wollte das nicht.“

„Ich bat ihn aufzuhören.“

Wie viele von ihnen würde kein Mensch je wieder zu hören bekommen? Wie viele schweigen? Und wie viele von ihnen für immer?

Ich schämte mich. Und ich wollte weinen, um diese grausame Welt, doch ich konnte keine Träne für sie aufbringen. Es wäre Verschwendung gewesen. Und ich wollte weinen, um ihre Töchter. Doch trocken wie die Wüste lagen meine Augen, hatten sie sich doch an so manchem erfreut, was sie in ihrem Leben gesehen hatten: Gierig saugten sie sie alle auf, egal ob blond, rothaarig oder brünett. Schlank oder dick. Sie sahen alles und es gefiel ihnen.

Ich verwünschte mich. Und wie donnerte schallte meine Stimme durch meinen Kopf, um dem Tosen Einhalt zu gebieten und das Grauen zu beenden. Doch es würde kein Ende geben. Nie. Und ich wollte weinen.

Ich war schuldig.

Und niemand würde es je erfahren. Selbst wenn: Es würde niemanden interessieren.

Wenn ein Stein ins Wasser fällt, zieht er große Kreise und alle, die dabeistehen, können sie sehen. Doch meine Schuld taucht einfach ein und verschwindet für immer. Ich beneide sie so sehr darum. Denn sie wäre weg. Ich hingegen würde wieder aufstehen müssen, irgendwann, und wieder zu den Menschen gehen, die mich Tag für Tag umgeben und wir werden leben, wie gestern und vorgestern und vor einer Woche, einem Monat, einem Jahr. Morgen und übermorgen. Ohne Ende.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.09.2018

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Alle unbekannten, deren endloses Leid, ich mir in den tiefsten Stunden der Trauer, nicht einmal im geringsten ausmalen kann.

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