Kapitel 01 – That Man
Seit geraumer Zeit spukte er willkürlich in meinen frivolen Träumen herum und entführte mich dabei bis dato unerforschte und undenkbare Welten, die mir zugleich vertraut jedoch auch ungeheuer fremd waren. Seine Rolle – exquisit. Der attraktive Schauspieler im gleißenden Scheinwerferlicht, dem alle zu Füße lagen. Meine Chancen vor ihm zu fliehen oder zu entkommen – gleich null.
Meines Erachtens nach war das ein unheildrohendes Omen – ich hatte ihn in letzter Zeit gedanklich abermals zu nah an mich herangelassen, was schließlich zur Folge hatte, dass er mein Denken tagsüber und meine unsittlichen Träume nachts wie ein König regierte. Doch ich müsste höllisch auf die imaginäre Mauer aufpassen, die ich vor fast einem Jahr zwischen uns errichtet hatte. Damals als ich den Job annahm. Die Prinzipien durfte und konnte ich keineswegs über Bord werfen, weil ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, ob er sich überhaupt für mich interessierte. Schließlich hatte er in den vergangenen Monaten überhaupt keine Andeutungen in der Richtung gemacht; ich war ihm stets die andauernde Sekunde seiner Aufmerksamkeit wert. Und davon abgesehen gehörte es sich nicht. Weder irgendwelche Gefühle für diesen schier unerreichbaren Mann zu hegen, noch auch nur ansatzweise solche Dinge zu denken.
Denn er war verheiratet und hatte ein Kind. Und besagtes Kind lag gerade in meinem Bett und schlief seelenruhig.
Ich seufzte frustriert und kehrte zurück ins Wohnzimmer, als ich mein Handy geschnappt hatte. Es war ein verfluchtes Klischee: Die Babysitterin verliebt sich in den attraktiven Vater. Doch in all den Szenerien, die ich mir in der ganzen Zeit ausgemalt hatte, ging es sehr schlecht für mich aus. Ich wollte niemals irgendeine Schlampe sein, die sich zwischen eine Familie drängte und dazu in der Lage war sie damit zu zerstören.
Kopfschüttelnd warf ich mich auf die Couch. Zwischen ihm und mir war nichts – rein gar nichts. Scheinbar hatte ich ein irres Talent dafür alles so dermaßen zu übertreiben, dass ich manchmal tatsächlich das Gefühl bekam, als befinde ich mich gerade in einer heißen, verbotenen und verflucht gefährlichen Affäre.
Ich blickte auf die Uhr.
Lediglich eine halbe Stunde trennte mich von einem heißersehnten Bad mit der neuen karibischen Badeessenz von Lush die ich letzte Woche online ergattert hatte. Ich schloss verträumt die Augen und stellte mir den glitzernden Badeschaum vor, der auf meiner – dank den Badeölkugeln – öligen Haut prickeln würde, den wunderbar exotischen Düften, die mich unnachgiebig in fremde entzückende Orte entführten und dem süßen Wein, in dem ich schier ertrinken würde.
Doch vorher würde ich ihn noch sehen. Schließlich musste er seinen Sohn bei mir abholen.
Ich biss mir fest auf die Unterlippe und haderte einen lächerlichen Moment mit mir, öffnete jedoch kurz darauf das Telefonbuch in meinem Handy und scrollte runter zu seinem Namen.
Silver.
Ich wollte lediglich wissen, ob er Dylan heute pünktlich um acht Uhr abholen würde. Sonst nichts. Nein, doch nicht um seine Stimme zu hören.
Etwas nervös setzte ich mir das Handy ans Ohr und hielt hörbar den Atem an. Es klingelte lediglich zweimal, ehe er ran ging. Wie immer.
„Miss Evans?“, sprach er ins Apparat. Seine tiefe, männliche und ruhige Stimme ließ mich Schaudern, verschaffte mir gleichermaßen auf eine ungewöhnliche Art eine innere Ruhe.
Ich räusperte mich. „Hallo, Mr. Bradford.“
„Alles in Ordnung?“, fragte er jedoch sofort alarmiert, scheinbar besorgt um Dylan.
„Ja, alles in Ordnung, Dylan schläft. Ich wollte nur nachfragen, ob Sie ihn heute pünktlich um acht abholen?“, fragte ich andächtig. Im selben Atemzug wurde mir bewusst, dass ich außer dem himmlischen Bad keine besondere Aktivität geplant hatte – weshalb also meine Nachfrage?
„Ich werde pünktlich da sein. Haben Sie etwas vor?“, wollte er interessiert wissen.
Ja, baden - mit der neuen karibischen Badeessenz. Wollen Sie mir Gesellschaft leisten?
Es schabte unfassbar an meinem Ego, dass er sich relativ erstaunt anhörte. Als könnte ich an einem Freitagabend nichts vorhaben. Das hatte ich zwar wirklich nicht, doch das spielte momentan keinerlei Rolle.
„Ja...“, sagte ich unsicher, „ich gehe Bowlen“, log ich schnell.
„Ist gut, ich werde in einer halben Stunde da sein.“
Ein Klacken beendete das seltsame kurze und völlig überflüssige Gespräch.
Frustriert schleuderte ich ein Kissen von der Couch, starrte missmutig auf den flimmernden Fernseher, ohne mir die belanglosen Bilder der Werbung wirklich einzuprägen. Ich war eine verdammte Heuchlerin, quengelte ständig davon, dass ich keineswegs die Absicht pflegte mich an einen verheirateten Mann ran zuschmeißen – einen unsagbar hübschen verheirateten Mann nebenbei erwähnt – mich aber bei jeder noch so winzigen Gelegenheit die sich mir bot, wie ein hormongesteuerter Teenager an mein Handy krallte und ihn anrief.
Zu allem Überfluss kam es mir so vor, als würde ich in jeden seiner Blicke zu viel hineininterpretieren – mal davon abgesehen, versuchte ich bei all seinen Worten eine etwaige Zweideutigkeit herauszulesen, die es einfach nicht gab. Aber manchmal...manchmal... ach lassen wir das.
Ich nahm mein Handy und wählte die Nummer von Shari, schließlich konnte ich tatsächlich mal wieder irgendetwas unternehmen. Seit ich meinen Abschluss letztes Jahr in Kunst an der Tulane Universität hier in New Orleans gemacht hatte, war ich gegenüber jeglichen Aktivitäten äußerst lethargisch geworden.
Meistens ging ich raus um mir neue Inspiration zu suchen, neue Fotos zu schießen oder zu malen, aber mittlerweile tat ich das auch immer seltener, was meinen Agenten James nicht sonderlich gefiel.
Es klingelte bei Shari, jedoch dauerte es einen Moment, bis sie ran ging. „Hey, Gracie“, flötete sie munter ins Apparat, ich grinste. „Grace“, korrigierte ich sie sarkastisch.
„Na, was machst du?“
„Nichts eigentlich, doch ich wollte das ändern. Hast du schon was vor?“
„Das ist ja ein Wunder!“, rief sie überaus theatralisch. „Nein, wollen wir etwas essen und danach vielleicht etwas trinken gehen?“, fügte sie letztlich hinzu.
Ich lächelte. „Gerne, im Antoine's?“
„Gut, ich fahr in einer halben Stunde los.“
Ich blickte auf die Uhr. Ja, Silver würde ebenfalls in weniger als zwanzig Minuten hier sein, und da ich noch mit der Bahn fahren musste, würde das zeitlich gut klappen. „Gut, bis dann.“
Ich legte auf und ging rüber in mein Schlafzimmer um mich umzuziehen. Meine Lieblingsjeans lag bereits griffbereit und dazu würde ich das schwarze ärmellose Oberteil mit transparentem Einsatz tragen. Nicht übertrieben, aber doch elegant.
Etwas umständlich und mit ein paar undamenhaften Grimassen löste ich das Zopfgummi aus meinem hellbraunen Haar und zupfte die einzelnen gewellten Strähnen mit den Fingern behelfsmäßig leicht zurecht, präparierte sie mit etwas Haarspray, weil ich nicht die geringste Lust dazu verspürte meine lange Mähne zu glätten.
„Grace?“
Ich zuckte zusammen und wandte mich äußerst überrascht von meinem Schminkspiegel, drehte mich zu Dylan. „Hey, Kleiner“, ich lächelte liebevoll und überquerte die kleine Distanz zwischen mir und dem Bett mit ein paar Schritten. „Tut mir leid, habe ich dich aufgeweckt?“
Ich strich ihm ein paar Strähnen aus dem Gesicht – er musste eindeutig mal wieder zum Friseur.
„Nein, ich war schon wach“, kicherte er amüsiert und legte sich seine kleinen Händchen vors Gesicht. „Du hast dich umgezogen.“ Er lachte.
Gespielt stemmte ich die Hände in die Hüfte und schnappte geräuschvoll nach Luft. „Und du hast mir dabei zugesehen? Du kleiner Spanner!“
Er gluckste und nickte, sich keiner Schuld bewusst, was mich dazu veranlasste ihn mit einer Kitzelattacke zu bestrafen. Lauthals fing er an zu lachen, es klang wie Musik in meinen Ohren.
„Ich machs nie wieder“, brabbelte er zwischen den Lachanfällen und mit dieser quitschigen kindlichen Stimme. Ich hörte auf und sah ihm in die Augen – er hatte fast dieselbe Augenfarbe wie sein Vater; graublau, nur etwas heller.
„Versprochen?“
„Versprochen“, er streckte mir seinen kleinen Finger entgegen und ich hakte meinen in seinen.
Als ich Dylan vor fast einem Jahr kennengelernt hatte, war er gerade mal drei Jahre alt und ein sehr schwieriges Kind gewesen. Er war schlicht und ergreifend mit nichts zufrieden, konnte fremde Menschen absolut nicht ausstehen, geschweige andere Kinder.
Mit Kindern stand er stets auf Kriegsfuß, allein die bloße Begegnung mit ihnen brachte ihn völlig aus der Bahn und er flippte regelrecht aus, was schließlich dazu führte, dass er sich gänzlich zurückzog und für den Rest des Tages mit niemandem mehr sprach.
So hatte ich scheinbar irdisches Glück gehabt, als ich ihn beim Vorstellungsgespräch mit seinen Eltern begegnet war. Er hatte sich missmutig hinter der Couch versteckt und alle paar Sekunden neugierig herausgelugt, als mir Silver oder seine Mutter Claire weitere Fragen stellten und ich für den Moment ruhig wurde.
Als hatte er sich davon vergewissern wollen, ob ich noch da war.
Seine Mutter meinte stets, dass sein Verhalten daher rühre, dass ihr Mann und sie Dylan zu sehr verwöhnt hätten und er es lediglich gewohnt war im Mittelpunkt zu stehen. Daher mochte er es auch nicht, wenn die Menschen, die tagtäglich mit ihm zu tun hatten, sich vor seinen Augen auch für andere – für ihn Fremde – interessierten.
Nach diesem ersten Gespräch hatte ich versucht eine Verbindung zu dem Jungen herzustellen – den Eltern hatte ich vorgeschlagen, dass sie mich während dieser Zeit, an den Tagen, an dem ich Dylan fürs Erste nur für eine Stunde besuchte, erst einmal nicht anzusprechen und auch nicht in meine Nähe zu kommen. Es war sicherlich keine allzu gute Idee gewesen, schließlich musste er sich von dieser Gewohnheit trennen, doch es war in meinen Augen die einzige Alternative gewesen, um überhaupt an ihn ranzukommen.
Und es hatte tatsächlich funktioniert. Mittlerweile konnte man ihn sogar auch irgendwohin mitnehmen, ohne dass er einen Heulanfall bekam und man so gezwungen war wieder nach Hause zu gehen. Man musste lediglich sehr gut darauf achten, dass er niemals das Gefühl bekam, unbeachtet zu sein.
„Wohin gehen wir?“, fragte Dylan.
Ich tuschte mir schnell die Wimpern und trug roten Lippenstift auf. „Ich gehe mit meiner Freundin Shari etwas Essen. Du kennst doch Shari noch, oder?“
Mittlerweile war er auch an sie gewohnt, schließlich war sie während der ganzen Zeit sehr oft bei mir vorbei gekommen.
Er nickte, ich konnte es im Spiegel sehen. „Kann ich mitkommen?“
Ich wandte mich zu ihm und half ihm vom Bett, holte seine Schuhe. „Dein Vater kommt sicherlich gleich, es ist schon spät mein Kleiner. Du musst nach Hause.“
Manchmal war ich von seinem Verständnis begeistert. Er nickte lediglich und schlüpfte ohne Gemecker in seine Schuhe. „Nein, lass ruhig. Das Jäckchen musst du nicht anziehen. Es ist warm.“
Das war es tatsächlich. New Orleans, Mitte Juli. Tagsüber prallte die Sonne mit über 30 Grad auf uns nieder und nachts war es meistens über 20 Grad. Ein dünnes Jäckchen vielleicht, alles andere war nicht nötig.
Ich zuckte kaum merklich zusammen, als es an der Tür klingelte. „Daddy ist da!“, quietsche Dylan freudig und es erwärmte mein Herz, dass er seinen Vater so gern hatte. Aufgedreht huschte er an mir vorbei und ich lief hinter ihm her, half ihm auf den Knopf zu drücken, der summend die Tür unten öffnete.
„Hast du Daddy vermisst?“ Er nickte hastig und öffnete umständlich die Tür.
Und da war er. Der Mann, der seit geraumer Zeit so erbarmungslos mein Denken und meine Träume beherrschte, obwohl er nichts außergewöhnliches tat.
„Hey, Kumpel“, sagte er, seine dunkelroten Lippen verzogen sich zu einem liebevollen Lächeln. Dylan sprang ihm um den Hals und ich musste unweigerlich anfangen zu lächeln.
Dieser Mann...
Es war äußerst adrett gekleidet, sein gut gebauter Körper steckte in einem sündhaft teuren Anzug - so wie ich es stets von ihm gewohnt war - und sein dunkles chaotisches Haar, schimmerte in der schmächtigen Beleuchtung, brachte seine graublauen Augen so wunderbar zu Geltung.
Ich seufzte.
Sein gebräunter Teint, der Dreitagesbart – ich fand es überaus sexy...alles an ihm. Und scheinbar schien er meine Gedankengänge irgendwie aus meinem Gesicht herauszulesen, denn er lächelte mich amüsiert an, schien mich von oben bis unten mit seinen Augen zu scannen.
„Sie sehen gut aus, Miss Evans.“ Mein Herz setzte kurz aus – genau in solchen Momenten schien ich unbewusst zu viel da hineinzuinterpretieren; es war ein einfaches Kompliment.
Reiß dich zusammen Grace!, rügte ich mich sofort zurecht.
„Vielen dank, Mister Bradford“, sagte ich lasch.
„Erwarten Sie jemanden?“
Ich war einen kurzen Moment lang verwirrt über diese Frage. „Nein...“, antwortete ich, schließlich würde ich mich mit Shari Vorort treffen.
„Und wieso haben Sie nicht zuerst über die Gegensprechanlage gefragt, wer an der Tür ist?“
Ich legte die Stirn in tiefe Furchen. „Nun, Mister Bradford, es ist genau 20 Uhr. Wer hätte es sonst sein sollen, wenn nicht Sie?“
Ein seltsames Gefühl flutete im selbigen Moment meinen Körper – traute er mir plötzlich nicht mehr zu dieser Aufgabe gewachsen zu sein; auf seinen Sohn aufzupassen? In den letzten neun Monaten hatte er mir stets mitgeteilt, wie sehr er und seine Frau mit mir zufrieden waren.
Wenn ich niemanden erwartete, fragte ich stets über die Gegensprechanlage wer da an der Tür war – verständlich, wie ich befand.
„Ja, stimmt“, sagte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen. „Wo ist deine Tasche, Kleiner?“, wandte er sich liebevoll an Dylan, der mit dem Daumen über seine Schulter zeigte. „Ich hol ihn schnell“, quakte er fröhlich und verschwand in der Wohnung.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, sah ihn abschätzend an. „Dein Dino ist sicher im Wohnzimmer, Dylan“, sagte ich laut, doch ohne den Blick von Silver zu nehmen. Er musterte mich eingehend, ein überhebliches Lächeln kerbte sich in seine Mundwinkel und er hob bedeutungsvoll eine dunkle Braue in die Höhe.
„Und Sie gehen....Bowlen?“, fragte er und deutete auf meine Klamotten, ein provozierendes Funkeln in den Augen.
Ich zuckte die Achseln. „Planänderung. Werde mit Shari im Antoine's Essen gehen.“
„Ach so. Da kann ich Sie ja mitnehmen. Royal Street?“
Ich wollte dankend ablehnen, doch ich tat es nicht. Natürlich nicht. „Ja“, sagte ich letztlich und sah ihm in die Augen; ich versank im graublauen Meer. Doch nur solange bis Dylan neben mich trat und am Zipfel meines Oberteiles zog.
Ich sah ihn fragend an.
„Ich hab Dino nicht gefunden“, sagte er und kräuselte die Stirn.
Lächelnd tätschelte ich ihm über den Kopf und lief in die Wohnung, sah prüfend noch einmal im Wohnzimmer nach, ehe ich ihn schließlich eingequetscht zwischen der Couch fand. Ich verdrehte die Augen. Wie schaffte es Dylan nur, sein Spielzeug in solch unüblichen Orten zu verfrachten? Es war mir tatsächlich ein Rätsel.
Im Gehen schlüpfte ich schnell in meine schwarzen Heels, stopfte mein Portemonnaie, das Handy und die Schlüssel in die Tasche und trat mit dem vermeintlich verschollenen Dino in den Gang.
„Da ist er ja!“, rief Dylan freudig und riss ihn mir ohne zu Zögern sofort aus der Hand.
Silver lächelte und sah an mir herunter, die Schuhe gefielen ihm. Das wusste ich. Er fand hohe Schuhe an Frauen äußerst anziehend. Ich hatte ihn sehr oft dabei erwischt, wie er stets Frauen in halsbrecherischen hohen Hacken in der Stadt hinter hergesehen hatte.
Manchmal verabredeten wir uns und unternahmen etwas zusammen. Natürlich nahm er Dylan mit, was auch der Hauptgrund unserer Treffen war.
„Wollen wir?“, hörte ich seine tiefe Stimme sagen; beinahe vibrierte es in meiner Brust. Eine kalter Schauer rieselte meinen Rücken hinab, ich verstand nicht weshalb.
Ich blickte auf und sah ihn an. Sein Augen huschten abermals über meinen Körper, meine Schuhe und blieben letztlich an meinen rot gefärbten Lippen hängen. Mir wurde warm, ich schluckte peinlich berührt, was ihn dazu veranlasste mir sofort in die Augen zu sehen. Er wollte irgendetwas sagen, doch er tat es nicht.
Stattdessen wandte er sich an Dylan, der gerade versuchte Dino die Augen rauszupulen und nahm ihn an die Hand. Er stieg mit ihm wortlos die Treppen hinunter und ich folgte ihm stumm, zuerst ein wenig perplex und verständnislos, weshalb sich sein Gesichtsausdruck so merkwürdig verändert hatte, doch danach versuchte ich nicht mehr daran zu denken...
Die Autofahrt dauerte höchsten zehn Minuten, da ich in der Bienville Avenue wohnte und es zur Royal Street nicht allzu weit war, doch es kam mir vor wie verdammte 70 Stunden. Sein undurchdringliches Schweigen war mir höchst unangenehm und die Räder in meinem Kopf nutzten die Gelegenheit, um auf Hochtouren zu rotieren und den Grund dafür ausfindig zu machen.
Vielleicht hatte ich ihm gefallen und er hatte sich – wie ich es stets bei mir selbst tat, wenn ich an ihn dachte – selbst dafür gerügt? Oder aber ihm ging noch die Sache mit der Gegensprechanlage durch den Kopf und er überlegte nun, ob ich vielleicht stets leichtsinnig handelte.
Denn Silver Bradford war nicht nur ein unverschämt attraktiver Mann und Vater, sondern auch der Gründer und Vorsitzende des Softwareunternehmens Silver Linings. Er war steinreich und ich konnte es ihm irgendwie nicht verübeln, dass er sehr auf Vorsicht bedacht war, was seinen Sohn anbelangte.
Er war ein sehr öffentlichkeitsscheuer Mensch, und obwohl die Medien dürftig über ihn Bescheid wussten, wollte er niemals ein Risiko eingehen. Er schickte stets einen Leibwächter wenn ich mit Dylan mal etwas außer Häusliches geplant hatte und manchmal auch mit dem Auto dafür eine halbe Stunde fuhr.
Aber verübeln konnte ich es ihm wirklich nicht. Das hier war Amerika, Entführungen waren keine Seltenheit und geldgierige Menschen, die jede Moralauffassung und Anstand dafür hintergehen würden, gab es schließlich immer.
„Fahren Sie später mit der Bahn zurück nach Hause?“
Ich zuckte beinahe zusammen, so grotesk hatte es sich urplötzlich angehört, als seine tiefe Stimme die Stille durchbrochen hatte.
„Ja.“ Sein betörender Duft benebelte meine Sinne, ich sog ihn tief in mich ein.
„Gut.“ Das Auto fuhr rechts ran, er schaltete die Warnblinklichter an. „Danke“, fügte ich schnell hinzu und drehte mich zu Dylan, der noch immer mit seinem Spielzeug beschäftigt war.
„Nun, dann. Viel Spaß.“
Er sah mich nicht mehr an und ich erwiderte nichts mehr darauf. Stattdessen stieg ich aus dem Auto, schlug die Beifahrertür zu und lief ins Antoines.
Es war seltsam.
Nein, er war seltsam.
Kapitel 02 – Moon over Bourbon Street
Gesang, Gelächter und entzückende Gerüche umfingen uns als wir nach dem genüsslichen Essen im Restaurant in die Bourbon Street abbogen. Das berühmte französische Viertel in New Orleans, das einen magischen Einfluss auf sämtliche Touristen hatte und sie jedes Jahr aufs Neue in ihren Bann zog - sogar die einheimischen Bewohner. Dieser Ort war berauschend und sie verlor niemals ihren Flair und die Eleganz - schließlich war ich hier geboren und aufgewachsen und irgendetwas an dieser Straße berührte meine Seele stets aufs Neue; vielleicht war es die Leidenschaft für Jazz, Blues und die entzückenden farbenfrohen Paraden, die wir miteinander teilten.
„Ich liebe diese Stadt“, hörte ich Shari murmeln, die sich bei mir eingehackt hatte und mit ihren hohen Schuhen klappernd neben mir herging.
„Mhmh“, machte ich und ließ die unterschiedlichen Bilder auf mich einwirken. Angefangen von den schönen Menschen in hübschen knappen Klamotten, Gitarristen im gleißenden Schein einer Lichtquelle, deren Gesang nach einem schwarzweißen Europa klang, bis hin zu den Touristen, die stets auf den Auslöser ihrer Fotoapparate klickten.
Vielleicht war es wirklich Magie. Vielleicht war das ein verzauberter Ort.
Dieser Gedanke sagte mir unheimlich zu.
„Da können wir was trinken.“ Mit dem Zeigefinger deutete Shari auf die Bar Genevieve. Die komplette Vorderfront bestand aus einer riesigen farbigen Glaswand in dem sich das Licht der etlichen Lichtquellen spielerisch brach und man nicht umhin kam, als staunend hinzuschauen. Der Barname prangte elegant in verschnörkelter goldener Schrift und wurde zusätzlich von zwei extra angebrachten Lichtquellen jeweils links und rechts beleuchtet.
Ich war schon sehr oft hier gewesen. Die Bar hatte etwas Harmonisches und Mystisches an sich, erinnerte mich mit der altmodischen Einrichtung an schöne kriminelle Frauen, die mit ihren kaltblütigen Liebhabern Bänke ausraubten und auf Durchreise gelegentlich in solchen Szenerien verkehrten, um ein Gläschen mit Fremden zu trinken, leidenschaftlich zu feiern und betrunken über die Großartigkeit des Lebens zu fluchen.
Mit ahnungslosen Menschen, die nichts von ihrem Doppelleben wussten und vermutlich auch niemals tun würden...
…~°~…~°~ …~°~…
Ich drehte den fragilen Stiel des Glases zwischen Zeigefinger und Daumen und bedachte sie mit einem ungläubigen Blick. Entweder hatte Shari tatsächlich ein Gläschen zu viel intus oder aber sie machte sich einen lächerlichen Scherz mit mir und ergötze sich nun an meiner Reaktion. „Bitte, was?“
Sie lacht herzhaft, als hätte ich gerade einen Witz gerissen. Danach zuckte sie unschuldig mit ihren Schultern und pustete sich mit einer lächerlichen Grimasse eine blonde Strähne ihres Ponys aus dem Gesicht. Der freche Pixie Schnitt stand ihr hervorragend und die ziemlich helle Blondierung wirkte tatsächlich kein bisschen künstlich, obwohl sie eher der dunkle Typ war.
Im Gegensatz zu mir trug sie ein trägerloses weißes Oberteil und helle enge Jeans.
Lächelnd stützte sie sich mit ihren dünnen Ärmchen auf dem Tisch ab und beugte sich vor, damit ich sie besser verstehen konnte. Die Musik war ungewohnt laut heute. „Das meine ich ernst, Gracie...“
Ungerührt nahm ich einen großen Schluck Wein und sah sie abschätzend an. „Ich soll mich an Silver ranmachen?“, fragte ich sicherheitshalber noch einmal nach, um mich zu vergewissern, dass mir der Alkohol keinen Scherz spielte...und ich lediglich das hören wollte, was ich stets dachte.
Sie zuckte schwerfällig die schmalen Schultern und lehnte sich wieder zurück. Jazz flutete in sanften Klängen den schmächtig beleuchteten Raum, wir saßen an einem der Tische, nicht allzu weit von der Bar. Ein paar heiter angetrunkene Pärchen hatten sich auf die Tanzfläche verirrt, wogen sich pittoresk zu den sinnlichen Klängen eng aneinander umschlungen hin und her. Ich liebte es – all das.
„Du sollst ja nicht bei ihm einbrechen und in sündhaften Dessous räkelnd in seinem Bett auf ihn warten“, witzelte sie scherzhaft und ich presste die Lippen zu einer strengen Linie. „Mal davon abgesehen, würde das seiner Frau sicher nicht gefallen.“
Ich schnaubte widerwillig und warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. „Hör auf so einen Quatsch zu reden.“
Mit einem Schlag wurde ihr Gesichtsausdruck vollkommen ernst, sie starrte einen Moment lang äußerst nachdenklich in die Ferne und blickte mir danach abschätzend in die Augen. „Hör mal, das ist ein Test. Du musst nichts provozieren oder erzwingen, sei einfach du selbst. Nur...hör auf die Gefühle, die er in deiner Gegenwart auslöst zu verdrängen.“
Ich sollte...was
Sollte ich ihr vielleicht beichten, dass ich ihn in Gedanken bereits auf ein heißes Bad eingeladen hatte? Das war doch absurd und konnte tierisch daneben gehen. „Ich würde ihm wie ein kleines Äffchen um den Hals springen, Shari...“
Tatsächlich war das nicht als Witz gedacht, doch sie brach in schallendes Gelächter aus, was mich grinsend den Kopf schütteln ließ. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, was für ein anarchisches Gefühlschaos er manchmal in mir auslöste und wie sehr er mein Blut mit einem Blick oder einer Geste in Wallung brachte. Und mal davon abgesehen versuchte ich die aufmüpfige Grace, die in seiner Gegenwart stets mit ihrer Libido dachte, an eisernen Ketten zu halten. Sie davon zu befreien wäre fatal...
„Er ist verheiratet...“ Ich blickte sie unverfroren an, jedoch entglitten mir jegliche Gesichtszüge, als ich ihre nächsten ungefilterten Worte vernahm.
„Ein Grund, aber kein Hindernis“, sagte sie leise, allerdings schlugen ihre Worte ein wie ein Kanonenschlag.
„Sag mal, gibst du deinen Lesern auch solche Ratschläge? Dass sie sich an verheiratete Männer ranschmeißen sollen, der auch noch ein Kind hat?“ Shari war Beziehungsberaterin und hatte eine eigene Kolumne bei der Redaktion ihres Vaters. Sie passte mit ihren 24 Jahren sicherlich nicht ganz in das Bild einer weisen viel erlebten Kolumnistin, aber tatsächlich schien das ihre Leser kaum zu kümmern. Letztlich nicht deshalb, weil Weisheit bekanntlich nicht in Jahren, sondern in den Erlebnissen steckte.
„Natürlich nicht“, sagte sie nachdenklich, „und das rate ich dir im Grunde doch auch nicht.“ Sie hob den Zeigefinger und sah mich tadelnd an. „Geh doch nur ein wenig auf deine Gefühle ein, hör zu was sie dir sagen, wenn er bei dir ist. Du sagst doch selbst immer, dass du zu viel in alles hineininterpretierst. Flirte ein wenig mit ihm, wenn er drauf eingeht, dann hast du doch deine Antwort.“
Ich verdrehte die Augen, betrachtete sie argwöhnisch hinsichtlich der Tatsache, dass ihre Ratschläge äußerst schimärisch in meinen Ohren klangen „Wirf dem Hund einen Knochen hin und erwarte, dass er es nicht annimmt?“
„Nicht wenn es ein treuer und satter Hund ist!“, lachte sie keck und zwinkerte mir zu.
In Anbetracht der irrationalen Situation und meiner Zwickmühle aus der ich scheinbar langsam entkam - geneigt dazu Sharis Ratschläge tatsächlich zu beherzigen und vermutlich sogar umzusetzen - überlegte ich fieberhaft ob meine vorigen Worte doch nicht äußerst überheblich und illusionär waren. Ich konnte keineswegs wissen ob Silver tatsächlich auf eine Flirterei meinerseits eingehen würde, schließlich hatte ich keinerlei Gründe zu dieser Annahme.
„Themawechsel“, bat ich letztlich und blickte in das amüsierte Gesicht von Shari. Ein triumphierendes Lächeln kerbte sich in ihre Mundwinkel und ich rang sichtlich um eine kühle Fassade, schlussendlich, weil ich keineswegs mehr die Lust dazu verspürte, überdies noch länger zu debattieren...und auch weil ihre Ratschläge hinsichtlich Silver mittlerweile doch sehr einleuchtend waren. Jedoch wollte ich das nicht wirklich postulieren und ihr das auch noch sagen – sie würde mir die Ohren vollquatschen.
„Wie läuft es mit der gesichtslosen Schönheit?“, lenkte Shari letztendlich ein und ich blickte auf, zuckte unschlüssig die Schultern.
Tatsächlich war die Inspiration für dieses Bild ein frappierender Traum gewesen, den ich vor einigen Monaten gehabt hatte. Doch irgendwie wollte es sich nicht wirklich malen lassen, meine Finger zogen nur schwerfällig die Linien und Schattierungen und das Bildnis nahm nur ganz zähflüssig Form an, als wollte es nicht ganz einfach nicht zeichnen lassen.
„Schwierig“, erwiderte ich und nahm einen genüsslichen Schluck Wein. „Sie ist ein störrisches Biest“, witzelte ich scherzhaft, was Shari ein leises Lachen entlockte.
„Wieso überlegst du dir nicht etwas anderes?“ Ich hörte bereits den Anklang eines Vorwurfs, der in ihren nächsten Worten lauern würde.
„Wie meinst du das?“
„Du weißt besser als jeder andere, wie schwierig es freie Künstler haben. Was nicht heißen soll, dass du kein Talent hättest und deine Bilder nicht ankommen würden. Aber seien wir mal ehrlich: Du hast dein Studium vor neun Monaten beendet, seither tust du fast nichts. Außer auf den kleinen Dylan aufzupassen und gelegentlich zu malen. Willst du das so lange tun, bis der kleine ein Teenager ist? Du bestreitest deine ganze Existenz praktisch durch den großzügigen Lohn von Silver, aber reicht dir das denn? Dein ganzes Leben dreht sich um diesen Mann und seine Familie. Mir scheint, als hättest ein wenig das Ziel aus den Augen verloren.“
Ihr Redeschwall traf mich trotz allem äußerst unerwartet, löste prompt ein mulmiges Gefühl in mir aus und ich musste widerwillig schwer schlucken. Auch wenn sie recht hatte, ärgerten mich ihre Worte zutiefst. „Du hast vermutlich recht...“, sagte ich, sichtlich darum bemüht die Ärgernis aus jeder Silbe zu tilgen und gleichermaßen meine kühle Fassade aufrechtzuerhalten. Sicherlich war ich nicht auf Shari sauer, schließlich hatte sie nichts verbrochen. Ich war sauer, dass sie recht hatte. Weil sich mein ganzes Leben tatsächlich um Silver und Dylan drehte. Den Job hatte ich damals zwecks den Studiengebühren angenommen, schließlich war mir mir von vornherein klar gewesen, welches Honorar mir Silver für diesen Job unterbreiten würde. Jedoch hatte ich nicht die Absicht gepflegt, so lange für ihn zu arbeiten...
„Hey, das war nicht so gemeint...Tut mir leid“, die Sanftheit in ihrer Stimme war von ausgewählter Sorgfalt, scheinbar meinen gedanklichen Hick Hack bemerkend führte sie ihre Finger an meine Hand und versuchte meinen gesenkten Blick abzufangen. Ich schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln und winkte ab. „Das muss es nicht. Du hast wirklich recht, Shari.“
Und obwohl ich sehr wohl wusste, dass ich nicht ewig auf Dylan aufpassen konnte, zog sich bei dem Gedanken, den Job zu kündigen, etwas in mir fürchterlich zusammen...
Mein hysterisches Lachen wurde von Caro Emeralds That Man verschluckt das durchdringend aus der Anlage dröhnte. Shari wirbelte wie eine wilde Fee über die ganze Tanzfläche, bewegte sich überaus unkoordiniert zu dem schwungvollen Rhythmus und vollbrachte Moves, die ich bis dato tatsächlich niemals gesehen hatte. Und obwohl es bei mir ein Gefühl der Scham auslöste, da ich mir durchaus bewusst war, dass die meisten Augenpaare auf uns – oder wohl eher auf Shari – gerichtet waren, war ihre quirlige Art und ihr Freimut überaus ansteckend.
Sie packte meine Hände, animierte mich zum Swing Dancing, den ich zum Glück beherrschte. Trotz der Tatsache, dass Shari nicht wirklich Taktgefühl hatte, trat sie mir kein einziges Mal auf die Füße.
Ich lachte, bis mir der Kiefer schmerzte und als anschließend ein langsamer Kuschelsong Caro Emerald ablöste, entfernten wir uns voreinander. „Du bist verrückt“, sagte ich lachend.
Bevor wir uns zurück auf unsere Plätze begeben konnten, wurde Shari von einem durchaus attraktiven jungen Mann gefragt, ober er ihr diesen Tanz schenken würde. Ihre dunklen Augen schwankten fragend zu mir und ich nickte, was den jungen Mann dankend breit lächelnd ließ.
Statt mich auf unseren Platz zu begeben, torkelte ich noch voller Euphorie zu der Bar, um mir etwas Kühles zu bestellen. Shari hatte wirklich ein irres Talent dafür, Menschen von ihren Hemmungen zu befreien und auf andere Gedanken zu bringen. Sie war wie ein Sog dem man nicht entkommen konnte.
„Was darf es sein?“, fragte die hübsche Brünette und lächelte mich ehrlich an.
Ich setzte mich auf den Hocker und überlegte einen kurzen Moment. „Gin Tonic“, kam es mir über die Lippen, obwohl ich das eigentlich nie trank. Doch der schöne Name des Getränks hatte mit penetranter Hartnäckigkeit ausgesprochen werden wollen, der Klang gefiel mir. Was das betraf, hatte ich eine seltsame Eigenart: Ich war nicht nur vernarrt in Sprachen, sondern ich achtete stets darauf, was und vor allem wie etwas gesagt wurde. Tatsächlich war dies die erste Sache bei einem anderen Menschen, auf das ich zuerst achtete. Jemand der eine schöne Stimme und gleichzeitig auch seine eigene Form der Aussprache hatte, die mir gefiel, ließ mich wirklich ins Schwärmen geraten. Vielleicht war ich diesbezüglich etwas seltsam...
Eine Hand auf meine Schulter ließ mich unwillkürlich zusammenzucken, doch noch bevor ich die Gelegenheit dazu hatte, mich umzudrehen, war die Hand verschwunden und ich spürte einen kühlen Windhauch neben mir. „Miss Evans.“
Eine Gänsehaut kletterte unnachgiebig über meine Arme und mein ganzer Körper versteifte sich augenblicklich. Sicherlich bedurfte es keines Seitenblicks um zu wissen, wer das war, denn ich würde seine Stimme unter Tausenden wiedererkennen...
„Ja?“, fragte ich gedehnt, versuchte mir die Unsicherheit keineswegs anmerken zu lassen, die er mit seinem Auftauchen im Genevieve unwillkürlich in mir ausgelöst hatte. Er trug mittlerweile keinen Anzug mehr, sondern dunkle Jeans und ein Nachtschwarzes Button Down Hemd; die ersten beiden Knöpfe waren nicht zu und ich konnte einen guten Blick auf sein ausgeprägtes Schlüsselbein erhaschen.
Für einen Moment starrte er mich mit solch einer Intensität an, dass ich nicht umhin kam, als den Augenkontakt zu lösen und meinen Blick abermals über die tanzende Menge schweifen zu lassen; sichtlich nach Shari suchend. Doch ich konnte sie nirgends ausmachen.
„Was kann ich Ihnen bringen, Sir?“
Mit einer eleganten Geste fuhr er sich über sein Kinn und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Whisky, Single Malt.“ Die angenehme Intonation lies mich abermals Schaudern, zugleich tief, rau und unbenutzt, dennoch hatte er eine besondere Zärtlichkeit in der Aussprache und eine schöne Sprachmelodie.
Die Eiswürfel klirrten, als sie im Glas landeten, Sie schenkte die farblose Spirituose ein und letztlich das Tonic Water. Vorsichtig rührte sie das Gemisch um, ließ noch eine Scheibe Limette hineinplumpsen, ehe sie es auf die Theke stellte und Silver anlächelte, obwohl es mein Drink war. Danach holte sie den Whisky für ihn.
„Sie tanzen gut“, sagte er anerkennend und sah mich von der Seite charmant lächelnd an, entblößte dabei eine Reihe perfekter weißer Zähne. Obwohl mich die Unsicherheit nicht gänzlich losließ, kam ich nicht umhin als wohlwollend sein Lächeln zu erwidern. Tatsächlich war ich ihm bisher noch nie zufällig alleine begegnet – geschweige denn in irgendeiner Lokalität, deshalb stimmte es mich etwas nervös, dass ich ihn ausgerechnet hier traf.
„Entspannen Sie sich, Miss Evans“, sagte er amüsiert, scheinbar hatte er mein Mienenspiel beobachtet. Ich nahm rasch einen Schluck von meinem Getränk und atmete zittrig die Luft aus meinen Lungen. Sollte ich mir vielleicht Gedanken um seine Absichten machen? War er mir vielleicht gefolgt und würde mir nun erklären, dass ich von nun an nicht mehr auf Dylan aufpassen konnte? Diese Annahme war überaus theatralisch und absurd, jedoch gingen mir seine Worte ärgerlicherweise nicht mehr aus dem Sinn.
Und wieso haben Sie nicht zuerst über die Gegensprechanlage gefragt wer an der Tür ist?
„Ich bin entspannt“, erwiderte ich gelassen. „Nur hätte ich niemals erwartet, Ihnen gerade hier zu begegnen.“
Er fuhr sich mit der rechten Hand durch sein chaotisches dunkles Haar, als vollführe er diese Geste zum Abertausenden Mal – was vermutlich auch der Fall war – und lächelte mich danach an. Ich versank einen Moment lang in seinen unergründlichen Augen. „Ob Sie es glauben oder nicht“, er führte das Glas Whisky an seine Lippen, hielt einen Moment lang inne, als würde er den rauchigen Duft tief in sich einnehmen, bevor er einen genüsslichen Schluck nahm. „Ich amüsiere mich auch gelegentlich. Alleine.“
Gelegentlich war die Übertreibung des Jahrhunderts. So wie ich ihn kannte, gab es für ihn nur zwei Dinge die absolute Priorität hatten: Die Arbeit und seine Familie. Diese Worte aus seinem Munde zu vernehmen, ließ mich zweifelnd dreinschauen, was ihm ein hinreißendes Lachen entlockte. „Sind Sie der gleiche Silver Bradford, der einmal gesagt hat: Zuerst kommt die Arbeit, dicht dahinter die Familie. Wenn dann mal ein bisschen Freizeit übrig bleibt, sollte man sie in diese beide Kategorien investieren.“
Seine graublauen Augen glänzten, das Lächeln verließ nicht sein Gesicht. „Dieser Silver Bradford scheint ja ein richtig weiser Mann zu sein.“
Die spürbare Gelassenheit, die mittlerweile von ihm ausging, irritierte mich zutiefst und ich kam nicht umhin, als zu überlegen was der Grund dafür war. Natürlich war mir bewusst, dass Silver Bradford kein einfach gestrickter und durchschaubarer Mann war – denn in den letzten Monaten hatte er diese Theorie abermals bestätigt – doch trotz allem, lösten seine ständig wechselnden Gemütslagen beinahe schon ein Schleudertrauma bei mir aus.
Seufzend klemmte ich mir eine widerspenstige Strähne hinters Ohr und nahm einen großen Schluck von meinem Getränk, ohne ihn auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Sharis Worte von vorhin sickerten allmählich wieder durch und ich fragte mich, ob ich tatsächlich alles auf eine Karte setzen und eine kleine unauffällige Flirterei beginnen sollte. Mir war durchaus bewusst, dass es auch nach hinten losgehen konnte, aber ich hatte es wirklich satt in dieser elenden Zwickmühle zu stecken, wohl wissend irgendwann etwas Falsches in einem noch falscheren Zeitpunkt zu sagen oder zu tun. „Mhm, das ist er wohl“, murmelte ich kaum vernehmbar und sog unauffällig den betörenden Duft ein, der so intensiv von ihm ausging.
„Ist alles in Ordnung, Miss Evans?“, fragte er unvermittelt, ein besorgter Ausdruck legte sich auf seine Züge. Mein Blick glitt wie von selbst über seine muskulösen Oberarme, die angespannten Muskeln und den feinen Härchen darauf, die ich dank der hochgekrempelten Ärmel gut sehen konnte.
„Miss Evans?“, wiederholte er ein weiteres Mal und katapultierte mich aus meinen tristen Gedanken.
Ich nickte hastig. „Ja, natürlich“, beeilte ich mich zu sagen und blickte in seine unergründlichen Augen.
Seine Züge wurden um einiges weicher als er meine Antwort vernahm und er wandte sich erneuert seinem Whisky, nahm einen weiteren Schluck.
Mir fiel ein, dass er mich äußerst selten bei meinem Vornamen ansprach. Allein diese Tatsache verschaffte eine Art Distanz zwischen uns und ich konnte ehrlich nicht sagen, ob das von ihm beabsichtigt war oder nicht. So gesehen war er mein Boss und mal davon abgesehen, fast sieben Jahre älter als ich. Ich fand es also legitim, dass ich ihn mit seinem Nachnamen ansprach, aber er konnte mich ruhig Grace nennen...
Seufzend nahm ich einen großzügigen Schluck von meinem Getränk und raffte die Schultern. Ein kleiner Schritt, eine ganz unschuldige Flirterei.
Ob das gut gehen würde...
Tag der Veröffentlichung: 08.03.2014
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