Cover

Nox Arcana


Im Schein des milchigen Mondes glänzte der Dolch mit den kunstvollen Verschnörkelungen wie schwarzes Gold.

Die Klinge erzählte eine Geschichte, eine uralte Geschichte und doch kannte sie niemand. Das schlagende Herz von Sunna.

Sie wirkte müde, erschöpft und verlebt. Kein Licht in ihren gelben Augen, nur gähnende Leere, einsames Leben.

Ihr Blick streifte über die kalte Welt - der Himmel streichelte ihr über den Rücken, der Wind flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Ja, es war Zeit.

Müde, sie war müde.

Das Farbenspiel wurde gespielt, das Lied gesungen und die waren Blätter gestorben. Sie waren gestorben, ihren prachtvollen Tod in scharlachrot und orange.

Doch ihr Herz, aus ihrem einsamen verlebten Herz sickerte ein winziges Tröpfchen Licht, erhellte die Finsternis, schenkte ihr Leben. Schattenaugen. Sie war müde, zu müde. Einen Kampf zu kämpfen, den man bereits verloren hatte war unsinnig und zwecklos.

Konnte ein Vogel fliegen, wenn er sich die Flügel gebrochen hatte? Ein Stift schreiben, wenn er blutleer war? Leben, wenn man starb...gelebtes und zeitgleich ungelebtes Leben, traurige Existenz. Müde.

Ihre goldene Mähne umhüllte ihre anmutige Gestalt wie ein Vorhang aus schillernder Seide. Sie atmete nicht, blickte trübsinnig auf den perlweißen Teppich, der über die ganze Stadt ausgerollt war.

Auf den Schneeteppich.

Kein Überlebungsinstinkt, lediglich aus einem Impuls heraus hob sie den wundervollen Dolch gen Himmel und betrachtete ihn sich in dem fahlen Mondlicht.

Er glühte, feuerrot. Das Herz. Sunnas schlagendes Herz.

Doch ihr Spiegelbild konnte sie in der Klinge nicht sehen. Sie sah sich nicht, wie denn auch, gelebt hatte sie nicht, ungelebtes Leben. Wo war es hin, ihr Herz?

Ihr Herz, in ihren Händen, doch ihr eigenes Herz war nicht in ihrer Brust.

Lichtdieb.

Schattenküsser.

Herz aus Eis.

Das Firmament musste aufgeräumt werden, die grauen Kleider zerschlitzt, aber sie war müde. Zu spät war es, das Licht erloschen, der Kampf verloren.

Die Eiseskälte wog sie in einen beruhigenden Schlaf. Sie fühlte sich leer, das Licht war aus ihr geflossen. Ihr Herz in ihren Händen zersplittert. Der Dolch blutete kohlrabenschwarz und ein kleiner Tropfen starb in weiß. Weiß und doch das Ende ihrer Existenz.

»Gelebt hast du, gestorben bin ich. Es ist Zeit.«

Sie hielt den Dolch weiterhin gen Himmel. Ein unausgesprochener Wunsch flackerte für einen Moment in ihren gelben Augen, doch dann war es vorbei.

Das Licht endgültig erloschen.

»Geboren wurdest du, sterben werde ich«, sagte sie tonlos und nahm den Dolch in beide Hände, betrachtete ihn sich einen Moment lang und verschmierte das Blut danach länglich auf die Klinge. Schwarz in Weiß.

Sunnas Herz, sie verstaute es in dem saphirblauen Federbeutel und drückte sich ihn anschließend an ihre Brust, an die Stelle, wo ihr Herz sein sollte. Doch sie hatte keins, würde niemals eins besitzen, denn ihre Aufgabe war es nicht zu fühlen, oder zu leben. Ihre Aufgabe war es nun zu sterben.

Sie war müde, unglaublich müde. Umklammert hatte sie den Federbeutel, als ihr Kopf auf dem Weiß zur Ruhe kam.

Die Welt unter ihr schlief und sie würde es nun auch tun. Schlafend sterben. So war es, würde es immer sein.

Er beugte sich zu ihr hinunter und ein samtiges Lachen perlte über seine Lippen, als er ihr über die goldene Mähne strich. Blau, er legte eine saphirblaue Decke über ihren schmächtigen Körper.

Geschenkt hatte er es ihr. Den Federbeutel. Gemacht aus seinen Federn. Aufbewahrt sollte darin Sunnas Herz, darin gefangen ihre Wärme. Denn nun war seine Zeit gekommen, die Zeit der Kälte.

»Nun, schlafe kleines Kind, Kind von Sunna.«

Ihre blassgelben Augen brannten sich in seine eisigen Blauen, doch kein Licht, kein Leben. Weder in seinen, noch in ihren Augen. Beide existierten schon so lange, doch wirklich gelebt hatten sie nie.

Ungelebtes Leben.

Ein kleiner gefrorener Kristall liebkoste flüchtig ihre Wange. Einzigartig in ihrer Vollkommenheit, kurzzeitige Existenz, kalter Tod.

Sie schloss die Augen, ihre langen Wimpern berührten hauchzart die Elfenbeinfarbene Haut ihrer Wangenknochen, während sich ein dichter Nebel wie ein Schleier über ihre Gedanken legte und sie daran hinderte zu denken. Vergessen und loslassen.

Ein winzigen Moment lang flackerte eine Zahl in ihrem inneren Augen auf. Leuchtend grell wie die Sonne und dann umhüllte sie tiefste Finsternis

Sie verstand die Botschaft und ließ endgültig los...

Leises Rauschen und dann stürzte sie hinab ins... Nichts.

Einsames Herz, leere Augen, ungelebtes Leben. Erloschen das Licht und zersplittert Sunnas Herz.

 

Denn er hatte ihr seine Federn geschenkt. Seine saphirblauen Federn und den Schnee.

Impressum

Texte: Liegt bei mir
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /