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Krebstherapie zwischen
Helfen und Sparen
Vortrag anlässlich der Eröffnung des Brustkrebszentrums Dortmund am 25.3.2006,
neu kommentiert und mit einem Nachwort versehen

Dr. med. Johann Weiß
Stolzenbergstraße 8
93049 Regensburg
www.yourmedical.info

Alle Rechte beim Autor. Verwendung einzelner Teile unter Quellenangabe gestattet
Alternativtitel:
„Versprechen und Verweigerung“ im System der gesetzlichen Krankenversicherung GKV

Titelbild: Onkoteam 2003




Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.


(Konrad Adenauer)
Konrad Adenauer ist Vorbild für viele deutsche Politiker




Thesen zur Krebstherapie im GKV-System



•Bürokratie dient der Ausgabensenkung
•Bürokratie kostet umso mehr, je weniger Mittel zur Verfügung stehen
•Notwendige Therapie wird durch sog. Prüfverfahren verhindert
•Die Entwicklung der Krebstherapie zeigt zunehmende Erfolge
•Diese medizinischen Erfolge werden im GKV-System nicht mehr bezahlt
(GKV = gesetzliche Krankenversicherung)




Inhaltsübersicht



• I. Ausflug in die Niederungen der
Bürokratie
• II. Leistungsversprechen und
Leistungsverweigerung der GKV
• III. Krebsmedizin: Leistungsbedarf und Kosten
• IV. GKV und demografische Entwicklung
• V. Lösungsvorschläge
• VI. Nachwort




I. Bürokratie


Verwaltungskosten entstehen auf mehreren Ebenen. Da sind zunächst der Gesetzgeber mit seinem Apparat, dann die Organe der sog. Selbstverwaltung, also die Krankenkassen und die kassenärztlichen Vereinigungen (KV) auf Bundes- und auf Landesebene, die die Gesetze in Vorschriften umsetzen und deren Befolgung kontrollieren und die letztlich ihre Existenzberechtigung in der Ausgabenkontrolle gefunden haben. Die dazu von Kassen und KV eingerichteten „Prüfungsausschüsse“ werden von den Pflichtbeiträgen der Versicherten bezahlt.
Der Arzt und seine Mitarbeiter verbringen über 40% ihrer Zeit mit Abrechnung und zugehöriger Dokumentation. Ähnlich ergeht es anderen Leistungserbringern, ohne dass diese Tätigkeit dem Verwaltungsaufwand offiziell zugerechnet wird.
Bei zunehmender Leistungsnachfrage bzw. Leistungsverordnung würde das Honorar der Ärzte insgesamt sinken, da zunächst alle anderen Leistungserbringer bezahlt werden und die KV dann das ihnen von den Kassen zugewiesene Geld nach einem Punktesystem mit wechselndem Geldwert an die Ärzte verteilt. Dazu sind eine detaillierte Abrechnung und eine sorgfältige Dokumentation der erbrachten Leistungen notwendig. Die einzelnen (fünfstelligen) Abrechnungsziffern werden durch gegenseitige Ausschlüsse oder Kopplungen und durch regelmäßige Änderungen der Leistungsbeschreibungen immer komplizierter.
Die abgerechnete ärztliche Leistung unterliegt Stichprobenprüfungen, Durchschnittsprüfungen im Vergleich zur Leistungsmenge anderer Ärzte und Plausibilitätsprüfungen.
Die Verordnungen des Arztes unterliegen einer Einzelfallprüfung, einer Richtgrößenprüfung und vor allem (da äußerst wirksam) einer mengenmäßigen Durchschnittsprüfung im Vergleich zu einer von den Kassen bestimmten Vergleichsgruppe. Selbst wenn alle Verordnungen in der Einzelfallprüfung korrekt und notwendig sind, kann der Arzt anhand der Durchschnittsprüfung mit erheblichen Regressen (Kostenerstattung) belegt werden, wie noch gezeigt wird. Es ist für den Arzt also existentiell wichtig, möglichst wenig zu verordnen. Dies gilt für Medikamente genauso wie für Überweisungen, Massagen oder Einweisungen. Durch Rückgang der Verschreibungen des einzelnen Arztes sinkt wiederum der Durchschnitt der Verordnungsmengen, der aber der Maßstab für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist. Es ist mir nicht bekannt, ob schon einmal ein Arzt verurteilt wurde, weil er dem Patienten eine Leistung vorenthalten hat. Durchschnittlich alle 10 Jahre (Auskunft des Bundesgesundheitsministerium an die Fraktion der Grünen) wird der Arzt wegen Überschreitens der Durchschnittsmengen mit Regressforderungen konfrontiert, die über 10000 Euro betragen. Da an der Existenzvernichtung des Arztes bei höheren Forderungen auch die Kassen kein Interesse haben, wird dem Arzt in der Regel ein Vergleich angeboten, der gerade noch ein Weiterarbeiten ermöglicht. Oder aber der Arzt wehrt sich in Gerichtsverfahren, die bei ungewissem Ausgang in der Regel um 10 Jahre dauern, gegen die Forderungen der Krankenkassen.
Der Verwaltungsaufwand der einzelnen Leistungsbereiche ist erheblich. Genaue Angaben liegen aus verständlichen Gründen nicht vor. Was das Sozialgesetzbuch V verschweigt, ist, dass in diesem streng reglementierten System die Bürokratie der alles entscheidende Faktor geworden ist. Auf jeder Stufe und in jedem Leistungsbereich zweigt sie Gelder ab, die gar nicht als „Verwaltungskosten“ ausgewiesen sind.


Aber auch die Patienten werden nicht verschont, sobald sie Leistungen in Anspruch nehmen. Eine Steuererklärung ist nichts im Vergleich zum Antrag auf Befreiung von Zuzahlungen. Diesen stellen aber gerade Menschen, die mit der Bürokratie nicht zurechtkommen. (Sonst wären sie ja nicht bedürftig.)


Die folgenden Folien zeigen exemplarisch AOK-Formulare, die ohne Hilfe von Steuerberater, Bank, Hausärztin kaum alle ausgefüllt werden können:
Antrag auf Befreiung von Zuzahlungen,
Einkommenserklärung Blatt 1 und 2,
Erträgnisaufstellung,
Wichtige Informationen zum Antrag auf Befreiung von Zuzahlungen,
Antrag zur Feststellung einer chronischen Erkrankung,
Informationen zur Bescheinigung einer chronischen Erkrankung,
Ärztliche Bescheinigung einer chronischen Erkrankung.











Die Ausbildung zur Ärztin ist hart. Oft muss sie mit Schweiß auf der Stirn ihre Position behaupten. Das Suizidrisiko von Ärztinnen ist statistisch dem von drogenabhängigen Prostituierten vergleichbar.




Nicht der Ausbilder, sondern die Ärztin steht nach der Weiterbildungsordnung (§ 8 WBO) in der Pflicht, die Ausbildungsschritte nachzuweisen. Mir bekannte Chefärzte der Chirurgie lassen den auszubildenden Arzt schon Mal ein Jahr im Garten arbeiten oder putzen, bevor sie ihn z.B. zur 25. Gallenblasenoperation einteilen, die Voraussetzung für die Zulassung zur chirurgischen Facharztprüfung ist.


II. Das Leistungsversprechen…


Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen und der Anspruch des Patienten sind durch das Sozialgesetzbuch V geregelt:
§ 12 Abs. 1 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot):


Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig und unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
§ 70 Abs. 1 SGB V:

Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten.
§ 2 Abs. 1 SGB V:

Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.
Nr. 12 AMR:

Für die Verordnung von Arzneimitteln ist der therapeutische Nutzen gewichtiger als die Kosten. Dabei ist auch die für die Erzielung des Heilerfolgs maßgebliche Zeit zu berücksichtigen.
Nr. 24 AMR:

Der Vertragsarzt soll bei der Verordnung von Arzneimitteln im Rahmen der Wirtschaftlichkeit auch den Preis des Arzneimittels berücksichtigen.

Dort, wo die Vorschriften einen Spielraum zulassen, bestätigt das Bundesverfassungsgericht den Leistungsanspruch des Patienten. Es hat am 6.12.2005 (1BVr 347/98) ein patientenfreundliches Urteil gefällt. Demnach ist es nicht mit dem Grundgesetz und Solidaritätsprinzip vereinbar, einem gesetzlich Krankenversicherten eine Therapie zu verweigern, wenn er an einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die keine dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung verfügbar ist, und wenn für die gewählte Methode eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

…und Leistungsverweigerung



Wirklichkeit ist anders. Medikamente, die beispielsweise in der Schweiz oder in den USA zugelassen sind, werden erst Jahre später in Deutschland zugelassen. Ein besonders unrühmliches Beispiel ist die Kostenübernahme von Herceptin (einem nebenwirkungsarmen monoklonalen Antikörper) in der adjuvanten Behandlung des Mammacarcinoms, die von Patientinnen erst mühsam gegen die AOK Bayern vor Gericht erstritten werden musste.
Eine Tumortherapie ist heute spezifisch für einzelne Tumorarten zugelassen (beim Lungenkrebs z.B. wird dabei feingeweblich noch zwischen kleinzelligem Carcinom, Plattenepithel- und Adenocarcinom unterschieden), begrenzt auf bestimmte Krankheitsstadien (zur Rückfallverhinderung, im metastierten Stadium mit verstreutem Tumorwachstum, zur Ersttherapie oder Folgetherapie usw.), nach gentechnischer Voruntersuchung auf bestimmte Mutationen (wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit von diesen abhängt), nach Vorbehandlung mit bestimmten, meist älteren Chemotherapien und in Kombination mit bestimmten Zytostatika. In der Regel muss die Therapie bei erneutem Tumorwachstum oder bei fehlender Tumorverkleinerung beendet werden. Diese Vorschriften machen insgesamt gesehen Sinn, versagen Im Einzelfall aber. Und der Arzt behandelt nur Einzelfälle. Die Überlegung, dass der Tumor (bei fehlender therapeutischer Alternative) nach Absetzen der Therapie vielleicht doch schneller wächst, belastet den Arzt durchaus. Verwaltungstechnisches Denken nach Statistiken und Studienergebnisse, die von Pharmafirmen in Auftrag gegeben wurden, haben die Therapiehoheit übernommen, ohne den Patienten je gesehen zu haben. Der Patient wird von den Bürokraten nach seinen Wünschen und Vorstellungen (z.B. dass die Therapie keinen Haarausfall machen darf) nicht gefragt.

Oft hört sich schon die Zulassungsindikation nebulös an: MabCampath ist zugelassen für Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie vom B-Zell-Typ, für die eine Fludarabin-Kombinations-Chemotherapie „unangemessen“ ist. In der Regel sind neue Chemotherapien erst zugelassen, wenn alle älteren Therapien versagt haben. Andererseits ist Alimta(R) zugelassen in Kombination mit Cisplatin für Patienten mit Pleuramesotheliom „ohne“ Vorbehandlung. Das heißt im Klartext, wenn der Patient bereits vorbehandelt ist, darf er kein Alimta mehr bekommen. Der auf Helfen programmierte Arzt hat da erhebliche Schwierigkeiten und wird mit seiner Verantwortung allein gelassen. Die Zulassungsstudie hatte das Medikament wahrscheinlich aus praktikablen Gründen angesichts der insgesamt kurzen Überlebenszeit von Patienten mit Pleuramesotheliom schon als Ersttherapie eingesetzt. Es ist aber nicht durch Studiendaten erwiesen, dass Alimta später eingesetzt nicht mehr hilft. Das heißt, aus rein wirtschaftlichen Gründen mit dem Vorwand des fehlenden wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweises wird der spätere Einsatz der Therapie untersagt und der Arzt läuft Gefahr, diese Therapiekosten erstatten zu müssen. Der Terminus „fehlender Wirksamkeitsnachweis“ mit folgender Verweigerung der Kostenübernahme durch die GKV bedeutet oft nur, dass die Wirksamkeit nie ernsthaft geprüft wurde. Sobald die Patentrechte abgelaufen sind, hat die Herstellerfirma kein finanzielles Interesse mehr, durch eine im Schnitt 700 Mio. Euro teure Studie nachzuweisen, dass ein Medikament, das z.B. gegen Brustkrebs zugelassen und wirksam ist, vielleicht auch gegen Magenkrebs oder Lungenkrebs hilft. Die notwendige Studie zur Indikationserweiterung wird nie mehr durchgeführt werden. Die breiten Diskussionen über den sog. off-label-use relativieren sich, wenn der Arzt schon bei zugelassenen Indikationen in die Haftung genommen wird.
Denn was spielt eine wissenschaftlich orientierte Krebsbehandlung noch für eine Rolle, wenn anhand von Wirtschaftlichkeitsprüfungen mit Durchschnittsvergleich sowieso der Arzt die Zeche bezahlt? Das ärztliche Interesse am medizinischen Fortschritt hat derart nachgelassen, dass mittlerweile auch die Fortbildungspflicht geregelt ist und die Einhaltung überwacht wird. Das Medizinstudium sollte in die AOK-Verwaltungszentralen verlegt werden, damit der Arzt am schnellsten lernt, was er noch „aufschreiben“ darf. Die rigorosen Eingriffe zur Kostensenkung sind mit dem Leistungsversprechen nicht mehr in Einklang zu bringen.


GKV-Sparprogramm


a.) Niederlassungssperre für Ärzte (Verknappung)
b.) Verzögerung der Zulassung neuer Medikamente
c.) Ausschluss der Kostenübernahme z.B. ausländischer Medikamente
d.) Zwang zu Generika („Nachahmermedikamente“)
e.) Disease-Management nach Behandlungspfaden
f.) Widersprüchliche Gesetzgebung und Rechtsprechung
g.) Mindestmengen, DRG´s
h.) Senkung der Nachfrage z.B. durch Praxisgebühr
i.) Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach Durchschnitt
j.) Therapie nach Leitlinien unter Kostenaspekten


Die AOK erhält zwar als Risikostrukturausgleich 3500 Euro von den anderen Krankenkassen,
will aber selbst nur 234 Euro für die Behandlung einer Patientin mit Brustkrebs ausgeben


Sog. Einzelfallprüfung: Der Wirksamkeitsnachweis von Wobemugos gegen Krebs konnte nicht erbracht werden. Die Kassen lehnen deshalb die Kostenübernahme ab mit dem einleuchtenden Argument, man könne diese nicht den Beitragszahlern aufbürden. Die Patientin lehnte aber jede Form von Chemotherapie ab und verlangte nach der Wobemugostherapie. Sie hat genauso in die GKV einbezahlt wie andere Patienten auch - aber trotz Krebserkrankung letztlich nichts zurück bekommen. Die Nachfrage an die AOK wegen Kostenübernahme wurde sibyllinisch beantwortet: „entscheidet alleine der behandelnde Arzt." Nach Einzelfallprüfung zahlte auf Antrag der AOK der Arzt das Medikament. Nicht nur dem Arzt, auch dem Patienten ist im GKV-System die Entscheidung über die Therapie genommen worden.

Formen der Wirtschaftlichkeitsprüfung
• Einzelfallprüfung
• Richtgrößenprüfung
• Durchschnittsprüfung
_______________________________
• Plausibilitätsprüfung



Die wirksamste Möglichkeit, die Arzneiausgaben niedrig zu halten, ist die Durchschnittsprüfung: Alle Verordnungen, die 25% über der (von der AOK bestimmten) Vergleichsgruppe liegen, muss der Arzt erstatten. Stellen Sie sich vor, man würde allen Autofahrern, die 25% über der Durchschnittsgeschwindigkeit der Smart- oder Twingo-Fahrer (entsprechend der von der AOK bestimmten Vergleichsgruppe) unterwegs waren, das Auto wegnehmen, als „nicht schuldhaft verschuldeter Schadenersatz“, wie es das Bundessozialgericht einmal formulierte. Jedes Quartal wieder.
Die nächsten drei Dokumente zeigen, dass als Ergebnis der Durchschnittsprüfung anhand der Vergleichsgruppen für die Behandlung eines Krebspatienten pro Quartal 230 Euro zugestanden werden. Wie später gezeigt wird, kostet ein noch unter Patentschutz stehendes (also noch nicht 20 Jahre altes) Krebsmedikament aber regelmäßig 12000 Euro im Quartal. Im Einzelfall kann auch die Kombination von 2 oder 3 derartigen Medikamenten angebracht sein. Die Regressforderungen und Berechnungen der AOK auf der Basis von 230 Euro waren kein Versehen, sondern sind heute noch gerichtsanhängig. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit usw., die Kontrollhoheit des GKV-Systems, verwies nach meiner Beschwerde auf seine „fehlende Einflussmöglichkeit.“


Drei Dokumente Wirtschaftlichkeitsprüfung im Wert von 584001,69 Euro








Nichts wird so leicht für Übertreibung gehalten wie die Schilderung der reinen Wahrheit


(Joseph Conrad)


III. Krebsmedizin: Leistungsbedarf und Kosten



Die historischen Daten zeigen nach 20 Jahren einen deutlichen Überlebensvorteil der nach Brustkrebsoperation mit CMF-Chemotherapie behandelten Patientinnen (sog. adjuvante Chemotherapie) im Vergleich zur nur operierten und nicht chemotherapierten Kontrollgruppe. Der Erfolg neuerer adjuvanter Therapieschemata ist noch eindrucksvoller.




Die zusätzlich zur Chemotherapie durchgeführte adjuvante Herceptinbehandlung verbessert in der HERA-Studie nach 2 Jahren das krankheitsfreie Überleben von 77 auf 86% (bei Herceptinrezeptor-positiven Brustkrebspatientinnen).
Nach neuen Studien kann eine Chemotherapie, die noch vor der Brustkrebsoperation durchgeführt wird, das krankheitsfreie Überleben weiter verbessern (sog. neo-adjuvante Therapie):



Bedeutung von Hb (Hämoglobin)-Wert und Erythropoetin


•Ein pathologisch niedriger Hämoglobinwert (Anämie, „Blutarmt“) führt zur Tumorhypoxie (=Sauerstoffunterversorgung des Tumors)
•Tumorhypoxie und Anämie korrelieren beide mit einer schlechten Prognose und stimulieren die Tumorangiogenese (=Gefäßneubildung)
•Erythropoetin ist zugelassen zur Verbesserung eines unter Chemotherapie erniedrigten Hb-Wertes.

Die Diel-Studie beweist erstmals den Überlebensvorteil von Brustkrebspatientinnen,
die adjuvant (nach der Operation) zusätzlich Bisphosphonate erhalten.





Auch die Diagnostik macht Fortschritte: ein PET-CT, ein neues Verfahren
zum Tumornachweis, kostet mehr als 1000 Euro pro Untersuchung.


Intelligenz lässt sich nicht am Weg, sondern am Ergebnis feststellen


(Gary Kasparov)

Uns fehlt zur Zeit etwa 1 Prozent der Einnahmen, die wir brauchen. Nach Angaben des Sachverständigenrates fehlen 25 % der Qualität, die wir eigentlich haben sollten. Da liegt das wahre Defizit in der Gesundheitsversorgung.

(Ulla Schmidt am 15.11.2002)
Es gelingt im GKV-System nicht, die Qualitätsanforderungen zu erfüllen.




Die Hoffnung ist eine Form von Glück, und vielleicht das größte Glück, das die Welt zu bieten hat.


(Samuel Johnson)


IV. Die Folgen der demografischen Entwicklung auf das GKV-System






Die Zahl der über 60 jährigen, bezogen auf 100 Erwerbsfähige, verdoppelt sich von 1990 bis 2030 von 35 auf 73. Die über 60 Jährigen verursachen 80 % der Gesamtausgaben der GKV.

Einfache Rechnung


Wenn die über 60 Jährigen jetzt 80 % der Gesundheitsausgaben verursachen, sich ihre relative Zahl bis 2030 aber verdoppelt, dann verursachen sie im Jahr 2030 160% der Gesundheitsausgaben. Dabei ist der Fortschritt in Diagnostik und Therapie mit Lebensverlängerung und der Notwendigkeit, auch Zweit- und Dritterkrankungen immer länger behandeln zu müssen (können) noch nicht berücksichtigt. Um die Kosten zu kontrollieren (= 160 % auf 100 % zu senken), wird der Verwaltungsaufwand zur Ausgabenkontrolle weiter zunehmen, bis nichts mehr für die Patienten übrig bleibt.


V. Lösungsvorschläge

.

Das medizinisch Notwendige wird so definiert, dass es noch finanzierbar ist


(Jörg Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer)
Ein ironischer Vorschlag, der aber von der Wirklichkeit schon eingeholt ist.





Die Kräfte des Marktes werden das Problem beheben


(Willy Brandt)


Vorschlag: Notprogramm


1. Abschaffen der Mehrwertsteuer von 19 % auf Medikamente
(wie in allen zivilisierten Ländern).
2. Praxis-Informationstechnologie für die Zwecke des Arztes, nicht der
Krankenkassen.
3. Versorgungsverträge mit Herstellern für alle Patienten (Staat ?), nicht für einzelne darum konkurrierende Kassen.
4. Beteiligung des Patienten an den Ausgaben (ähnlich
Privatpatienten).
5. Einblick des Patienten in alle Abrechnungen.
6. Völlige Freigabe des Marktes für Leistungsanbieter, Versicherungen und Patienten (als Leistungsnachfrager).
7. Schrittweise Abschaffen der GKV: Der Staat finanziert eine allgemeine
Basisversorgung durch Steuereinnahmen. Spezielle Ansprüche (z.B. neue Therapien) zahlen der Patient selbst oder seine (individuelle) private Versicherung.
8. Regelmäßige Kontrolle (ähnlich Gewerbeaufsicht oder
Lebensmittelüberwachung) dient der Qualität der Leistung und nicht der Mengenkontrolle nach Durchschnittswerten.
9. Abrechnung nicht erbrachter medizinischer Leistung wird strafbar, wie in jedem anderen Lebensbereich auch.

Vorschlag für die AOK: Lachtherapie ist gesund und billig!

VI. Nachwort:


Grundsätzlich versucht die Politik auch das GKV-Problem durch Aussitzen zu lösen, was aufgrund der biologischen Gegebenheiten durchaus möglich erscheint. Solange die Menschen gesund sind, kümmern sie sich nicht um die GKV; allenfalls leiden sie unter den hohen Beitragszahlungen. Wenn sie aber krank sind, ist es zu spät, um sich neben dem Kampf gegen die Krankheit auch noch mit der Bürokratie auseinanderzusetzen. Wenn Ministerin Ulla Schmidt wiederholt äußerte: „Jeder bekommt was er braucht“, so nehme ich ihr ab, dass sie das selber geglaubt hat. Frau Schmidt hat richtungweisende Verbesserungen im GKV-System eingeführt, unter anderem die Praxisgebühr. Diese ist der erste Schritt, um zu zeigen, dass der Arzt tatsächlich etwas kostet. Seit der Praxisgebühr hat der Kassenarzt auch eine Kasse, in die der Patient einzahlt und einen Quittungsblock. Man muss allerdings (als Ausgleich für deren Eigenleistung) Patienten und gesunde Versicherte schrittweise von den Kassenbeiträgen entlasten. Denn sonst wird ja doppelt abkassiert: einmal mit den Kassenbeiträgen für deren leeres Heilsversprechen und ein zweites Mal dann im Ernstfall für die in Anspruch genommene Leistung. Wie auch von offizieller Seite bestätigt, wird bei nachlassender Qualität im GKV-System längst nicht mehr alles bezahlt, was notwendig ist. Die Behauptung „Jeder bekommt alles was er braucht“ ist längst widerlegt. Zunehmend zahlt der Patient nicht nur „IGeL“ und Vorsorge aus eigener Tasche. Auch sinnvolle therapeutische Leistungen werden ihm vorenthalten mit dem Argument, die wissenschaftliche Beweislage sei nicht eindeutig. Der strapazierte Begriff „notwendige Leistung“ wird nach Kassenlage immer enger ausgelegt nach dem Motto „Was ist schon notwendig?“ Und vor allem „Für wen?“ Mit den einbezahlten Kassenbeiträgen wird nur noch das Nichts mit immer aufwändigeren Reglementierungen und Kontrollen verwaltet. Und wie in der Endzeit eines zusammenbrechenden totalitären Systems werden Verstöße und behauptete Verstöße mit immer brutaleren Sanktionen geahndet.
Auf den ersten Blick mag das Abschaffen des GKV-Systems gegen die Patienten gerichtet sein und gegen die Menschen, die ihr Leben lang einbezahlt haben und nun nichts zurück bekommen. Doch je früher der unausweichliche Schritt kommt, nämlich dass der Bürger nicht mehr in eine Kasse einbezahlt, die nicht hält, was sie verspricht, sondern dass er sein Geld für seine gesundheitlichen Bedürfnisse verwendet, umso geringer werden die Schäden und die Belastungen für den Einzelnen sein.
Die Versprechen der Kassen waren nie auf Einhalten ausgerichtet: es kann nicht jemand, der im letzten Jahrhundert in das GKV-System einbezahlt hat, daraus den Anspruch erheben, mit neuesten gentechnischen Methoden im Jahr 2035 untersucht und behandelt zu werden. Genau das ist aber das Versprechen. Als Beispiel für die Kosten des Fortschritts sei die chronisch myeloische Leukämie angeführt, die in jedem Lebensalter auftritt. Bis 1990 lag die Lebenserwartung nach Diagnosestellung bei durchschnittlich vier Jahren. Heute wird eine annähernd normale Lebenserwartung erreicht, allerdings unter Dauertherapie, die jedes Jahr über 40000 Euro kostet (kosten würde, wenn der Patient sie denn bekäme). Die Finanzierung kann auch nicht damit erreicht werden, dass Krankenhausärzte weiterhin täglich 3 unbezahlte Überstunden leisten. Das System hat so allenfalls bis 1974 funktioniert, als der Erfolg der Medizin im Sinne einer Lebensverlängerung gleich Null war, als, ähnlich einem Schneeball-System, viele Junge der geburtenreichen Jahrgänge einbezahlt haben, während wenige Alte, die den Krieg überlebt hatten, nach medizinischen Leistungen nachfragten. Als die technische Entwicklung der Medizin gerade erst begann.

Eine Möglichkeit eines sanften Übergangs wäre, die GKV-Leistungen auf dem jetzigen Niveau einzufrieren und die Beiträge entsprechend der sinkenden Nachfrage nach aktuell angebotenen aber bald veralteten Leistungen und Medikamenten abzusenken und sie schließlich auf die Steuer umzulegen. Der öffentlichen Hand käme überwiegend die Aufgabe zu, die Struktur einer Basis- und Notfallversorgung zu erhalten, die allen zugänglich ist, ähnlich wie bereits heute Investitionen in Krankenhäusern von der öffentlichen Hand geleistet werden. Kosten für neue Entwicklungen und zukünftige medizinische Möglichkeiten muss der Patient allerdings zunehmend selbst oder über eine individuell auf ihn zugeschnittene Risikoversicherung bezahlen. Da dem Patienten die Kassenbeiträge erspart bleiben, kann er dies in der Regel leisten. Durch Wegfall des, die Ressourcen auffressenden, gigantischen Verwaltungs- und Kontrollapparates muss der Systemwechsel unter dem Strich für den Patienten nicht teurer werden. Der Vorteil wäre, dass der Patient dann wirkliche Leistung nach seinen Bedürfnissen erhält und nicht nur „Strukturqualität“ mit Verwaltungsaufwand. Außergewöhnliche Kosten, damit sind nicht die Kosten für häufige Krebserkrankungen gemeint, sollten weder dem Arzt aufgebürdet noch von einem gewinnorientierten Versicherungssystem übernommen werden. Die Gesellschaft insgesamt muss dafür gerade stehen und sich ständig vor Augen führen, wie weit sie mit welchem Aufwand gehen kann. Der bisherige Umweg, dass über Gesundheitskosten, zum Beispiel in Form der Mehrwertsteuer, der Staatssäckel und in Form von Leistungsprämien die Taschen der Bürokraten gefüllt werden, während Leistungserbringer ausgenutzt und Patienten um ihre Ansprüche betrogen werden, ist eine Sackgasse. Weder der Patient noch die Ärztin brauchen einen AOK-Direktor!
Wenn eine Krebstherapie 12000 Euro im Quartal kostet, dem Arzt aber – wie gezeigt - nur 234 Euro von den Krankenkassen genehmigt werden, haben sich die Bürokraten des GKV-Systems selbst entlarvt und der Patient ist um seine eingezahlten Beiträge betrogen worden. Es ist schade für jeden weiteren Euro, der diesem System hinterher geschmissen wird und so den Patienten und den Beitragszahlern verloren geht. Während bislang die Antwort auf die Finanznot des GKV-Systems immer noch mehr Bürokratie war, lässt die demografische Entwicklung keinen anderen Ausweg offen als den umgehenden Ausstieg aus dem GKV-System jetziger Prägung.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.05.2012

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