Fester. Und immer stärker. Die Luft zwängt sich wie riesige Ketten um mich. Noch eine Sekunde zuvor, war ich fest entschlossen gewesen, stand zu halten. Mit geradem Rücken vorbei zu maschieren, ohne auch nur einen Blick an sie zu verlieren. Aber so ist das nun mal mit Vorhaben. Wenn es drauf ankommt, zieht man den Schwanz ein und wird schwach.
Schwach. Genauso fühle ich mich. Als ob mich eine unglaubliche Kraft überrinnt. Ich fühle mich hilflos. Jetzt bin ich wieder gefangen, eingekettet. Ich habe mir doch geschworen es nie wieder zu tuen. Einfach alles zu vergessen. Aber dieser Wunsch ist nun, wie immer, in weite Ferne gerückt. Ob es jedoch wirklich ein Wunsch ist, kann man nicht sagen. Es ist ein muss. Ich muss sie vergessen, es geht nicht anders.
Nur dieser Blick ist das Letzte, was passieren darf. Wieder fühle ich, wie ich zusammensinke und die Kraft mich verlässt. Gleichzeitig spüre ich, wie es mich anzieht. Wie ich immer näher zu ihr will. Der Drang wird größer, aber ich weiß dass ich zumindest jetzt Standfest bleiben muss. "Jetzt bloß nicht schwach werden.", fließt es durch meinen Kopf.Wieder mal zu spät. - "Hallo!".
Verstand? Jemand zuhause? Leere. Anscheinend ist das Vöglein ausgeflogen. Und als würde mein Blick dem geflüchtetem Vogel folgen, mache ich eine schwungvolle Bewegung in ihre Richtung, so dass ich fast in jene Arme falle. "Jetzt nicht das noch." Heute ist wirklich alles andere als mein Tag. Ich muss mich schnell berappeln, schaue kurz nach unten - nur nicht rot werden.
Was sagte ich nochmal über Vorhaben? Genau. Als ob ich mich daran halten würde. Aber ich muss. Zu meiner großen Verwunderung schaffte ich es, ein gequältes Lächeln hervor zu bringen. Jedoch wie erwartet, verabschiede ich mich nur und verhaspele mich. Genau. Den ich bin von dem Typ Mensch, der es schafft, den Satz "'Tschuldige', keine Absicht. Bis Bald." so rüber zu bringen, als ob man ein einäugiges Wesen vom Pluto wäre.
Somit kann Punkt 1 auf meiner Liste schonmal abgehakt werden. Mich total zum Affen vor Maryvonne machen. ☑
Der Tag beginnt wirklich formidable, würde ich mal so sagen. Mal sehen was der restliche so bringt. Die Schreie im Hintergrund verheißen jedenfalls nichts Gutes. Mein Vögelchen "Verstand", verliert nach einem kurzen Duell, gegen meinen "Instinkt" und somit schaue ich natürlich nach woher die, selbst für einen Montag, ungewöhnlich hohe Geräuschkulisse kommt.
Einige Treppenstufen später, wie auch einige strengriechende Mitschüler, komme ich am Ort des Geschehens an. Ich blicke mich um. Überall an den Wänden, sind seltsame Symbole und Zeichen gemalt. Selbst hinter den Schränken, kann ich noch weitere Muster erkennen. Aber das war doch wohl kaum der Grund, für das hysterische Schreien, welches ich gehört habe.
Die Antwort kommt prompt. Mit lautem Getose, fliegt die Tür auf und ich spüre einen Luftzug. Er wird von einigen Leuten, in Sanitärskleidung verursacht, welche in windeseile in einen Raum am Ende des Ganges flitzen. Ich will ihnen folgen, um der Sache auf dem Grund zu gehen. Aus meinem Vorhaben wird aber nichts, denn mein Rausch wird unsanft von einem strengen und knorrigen Körper gedämpft.
Mein Blick streift sie von oben bis unten, ich mustere sie ganz genau. Wer ist das? Aber sie kommt mir zuvor: "Was machst du hier. Du hast hier nichts zu suchen. Geh in deine Klasse!"Na, die ist ja klasse drauf. Sie scheint mir, als würde sie jeden Moment ihren Monokel mit ihren ultraspitzen Fingernägeln greifen um durch das Glas einen verächtlichen Blick auf mich werfen zu können. Zwar hat sie keinen Monokel, ihr Blick hat aber eindeutig einen großen Teil Verachtung intus. "Der Frau passt ihr Beruf perfekt", denke ich mir ironisch. Mit so einer Einstellung, kann man jeden noch so umotivierten Schüler überzeugen.. ganz bestimmt!
Da ich mir aber von der Frau ohne Monokel nichts vorschreiben lassen will, (in Ordnung: Lassen wir mal außen vor, dass ich mir allgemein von niemanden gerne etwas vorschreiben lasse) setze ich meine trotzigste Miene auf und entgegne ihr ein: "Was ist bitte ihr Problem? Ich habe Schreie gehört und gerade liefen, direkt vor meinen Augen, Sanitäter in diesen Klassenraum. Ich bitte sie, ich habe doch wohl ein Recht zu erfahren, was passiert ist."
Jetzt verzieht sich ihr Gesicht zu einer äußerst merkwürdigen Grimasse. So, als wäre ich jemand, der sie gerade nach ihren intimsten Privatgeheimnissen ausgequetscht hat. "Ich werde es dir nicht noch ein drittes Mal sagen. Steck deine Nase nicht in Angelegenheiten, die dich nichts angehen.Jetzt scher dich dahin, wo du hin gehörst. Kusch, kusch!" Leider bin ich heute weder besonders feindseelig auf Streit aus, noch besonders scharf darauf mir mit dieser Frau weiterhin dieselbe Luft zu teilen. Von daher beschließe ich einfach auf dem Absatz kehrt zu machen und Rettungskräfte, Rettungskräft sein zu lassen. Und verbitterte, alte Lehrerinnen, vebitterte, alte Lehrerinnen sein zu lassen.
Ich hoffe einfach, dass ich nach der Blamage heute morgen und dem seltsamen Aufeinandertreffen einen relativ geordneten Resttag erleben kann. Zum Glück, ist es auch so und ich komme ohne besondere Vorkomnisse wieder nach Hause.Absolut geschafft vom ganzen Trubel und dem Stress, lasse ich mich erschöpft in die sanften Federn fallen.
In dem guten Glauben, einen angenehmen und vorallem erholsamen Schlaf zu finden, falle ich in meine Träume. Zum großen Übel von mirselbst, ist es mir leider nicht vergönnt mich zu erholen.So jage ich in meinem Schlaf von einem kuriosen Traum zum nächsten. Alle rauschen an mir vorbei, wie ein Zug durch die Landschaft donnert. Aber plötzlich wird es still in meinem Traumgewirr. Die Dunkelheit umgibt mich. Ringsherum um mich sind nun also nur noch zwei Dinge.
Ruhe und Finsternis.
Es ist als könne ich mich von außen beobachten. Aber nein, ich bin noch nicht tot und berichte deshalb aus dem Jenseits. Es scheint nur gerade, als ob ich momentan irgendwo zwischen ein paar Traumwelten feststecke. Um mich herrum ist alles dunkel, das einzige was ich hier wahrnehme, ist das Aufflackern von einer Kerze. Ich gehe näher an sie herran und spüre wie wunderschön warm die Luft ringsherum doch ist. Als ich gerade meine Augen schließe, um den wunderbaren Duft einzu atmen, vermischen sich aufeinmal, eine mir unbekannte Stimme mit dem Flackern der Kerze. Verwirrt blicke ich mich um. Wer war das? Eh ich mich versehe, bemerke ich wie eine wohlige Hand meine Hüften umgreift. Ich will ihr ins Gesicht blicken, ich will wissen wer dort neben mir steht. Aber meine Frage bleibt unbeantwortet und der Blick in ihr Gesicht mir verwehrt. Die Finsternis ist Schuld.
Somit möchte ich mich auf meine anderen Sinne verlassen, ich taste vorsichtig nach dem zarten Körper der mich umschließt. Aber ich fühle nichts, nichts, außer dem Arm der um meine Hüften geschlungen ist. Hinzu kommt nun wieder diese Stimme: "Lu. Lu, hör mir genau zu. Was ich dir jetzt erzähle wird von großer Wichtigkeit für dich sein. Also passe genau auf." Aufmerksam schließe ich die Augen, da ich weiß, dass es vergeblich wäre, sie ansehen zu wollen.
"Es gibt einige Menschen, welche in engen Kontakt mit dir stehen. Achte sie genau, denn ich weiß, dass du mehr weißt als die anderen. Nur dir ist bis jetzt aufgefallen, worüber andere kein einziges Wort verloren haben. Entweder sie wollten es gar nicht wissen und haben es desshalb tot geschwiegen oder sie ahnten wirklich nicht. Aber bitte, meine Kleine, ich darf dir deine vielen Fragen nicht beantworten. Aber dir sei versichert, du wirst deine Antworten bekommen. Sei geduldig. Nur Mut!"
Selbst als die Stimme schon lange Zeit verstummt ist, kneife ich meine Lider immer noch fest auf einander. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich nur zuviele Fantasy-Romande in meinen Ferien gelesen habe oder ob das gerade wirklich passiert ist. Und vorallem frage ich mich, woher sie weiß, dass ich mehr weiß als andere. Das weiß ich ja nicht mal.Von dem ganzen Gegrübel wird mir schwummerig. Ich setzt mich hin, auf den Boden. Obwohl, ich weiß ja nicht mal ob es ein Boden ist, es kann sonst was sein. Denn ich sehe immer noch nichts und das liegt nicht nur daran, dass ich meine Augenlider immernoch fest verschlossen habe.
Meine Beine zucken und mein Kopf rotiert unruhig von einer Seite zur anderen. Solange bis mein Körper plötzlich schreckhaft zusammenfährt. Schnell taste ich nach dem Lichtschalter. Gott sei danke, Licht. Nach etlichen weiteren Träumen, kann ich nun endlich wieder richtiges Licht sehen. Es ist mir etwas schleierhaft, wieso ich die ganze Zeit nichts sehen konnte in meinem Traum. Ich bin nicht blind und fühlen kann ich auch alles. Wer weiß, vielleicht wollten sie in meinen Träumen einfach unerkannt bleiben. Weiß weiß? Zensur in fremden Träumen, sehr interessant!
Ich stehe auf, schwinge meine Beine über die Bettkante und bewege mich Richtung Fenster. Nachdem ich die Jaloussien hochgezogen habe, blinken einige Sterne vom Himmel hinab. Gefolgt von einem kräftigen Windstoß öffne ich das Fenster und sehe zu wie die Gardinen von der etwas zu starken Brise bis ins Badezimmer fliegen. "Macht nichts."
Daraufhin ziehe ich mir meine Socken an, trinke einen Schluck Wasser um meine trockenen Lippen, die ich immer bei Stress bekomme, zu befeuchten. Müde falle ich wieder in mein Bett. Ein Blick nach rechts - "4.34". Zufrieden mit dem Gedanken, dass morgen Samstag ist, schlummere ich in eine, endlich traumlose restliche Nacht.
Der Wind fegt über den Balkon, durch das Fenster, das seit letzter Nacht nun ohne Gardinen geschmückt ist. Vorbei an dem Bett, in welchem normale Menschen um diese Zeit liegen würden. Selbst als der Luftzug unter meiner Decke hindurchzieht, bleibe ich verschwunden. Er lässt die selbstgemalten Gemälde ein wenigzittern und fliegt dann weiter, nachdem er mit lautem Getose die Tür zu meinem Schlafzimmer verriegelt hat.
Passend dazu, hört man in der Küche plötzlich ein schallendes Geschepper und keine Sekunde später, zieht mir der eiskalte Windhauch einen Schauer über den Rücken, als würde Väterchen Frost persönlich hinter mir stehen. Ich zucke zusammen und blicke mich um. Zwar ist es gerade mal 08.03 und die meisten würden um die Zeit an einem Samstag wohl noch wohlwollend das Bett hüten, aber nicht in meinem Fall. Lieber stehe ich schon früh auf, um den Tag in vollen Zügen genießen zu können, als wenn ich dann am frühen Abend rummurre, wie schnell der Tag doch vorbeigeht. Manche finden meine frühe Ativität ein wenig verstörend. "Machts nichts.", denke ich mir erneut und rühre gedankenverloren in meiner Müslischüssel, bevor ich mich in Richtung Balkon bewege.
Typisch für mich, schaffe ich es natürlich nicht, mich einfach nur gemütlich auf den Balkon mit einer Schüssel Müsli in der Hand und einer Tasse Kaffee auf dem Tisch, hinzupflanzen. Nein, ich wäre nicht ich, wenn ich nicht vorher noch ein paar actionreiche Stunts hinlegen würde. Das beste Beispiel liefere ich gerade: Fast mein Müsli vom Balkongeländer segeln lassen. Nach einem eleganten Auffangen meinerseits, schaffe ich es endlich, es mir bequem zu machen. Diesen Moment der Entspannung und der Ruhe, die nur durch mein leisen Schmatzen gestört wird, halte ich exakte 2 Minuten aus. Solange, bis mir kalt wird und ich mich just eine Jacke aus meinem Kleiderschrank hole. Ein fixer Griff, denn ich bin nicht unbedingt einer der allzu viel wert auf sein Aussehen legt, und schon friere ich nicht mehr.
Auf dem Rückweg zu meinem Stuhl, schalte ich noch schnell die Musik an.Endlich kann der enspannte Morgen beginnen. Genüßlich stopfe ich mir die letzten Löffel voller Müsli in den Mund, um daraufhin meine Augen zu schließen und meinen Kopf Richtung Sonner zu strecken. Auch das hielt nicht lange. Denn aufeinmal hielt es eine gewisse freche Katze für notwendig vom Dach auf meinen Schoß herabzu springen. Manchmal würde ich diesem Tier echt gerne eine kleben. Aber dafür habe ich sie zu gerne. Schnurrend streicht sie um mich herrum, nur um es sich dann auf meiner Armlehne bequem zu machen. Dort döst sie wie immer fröhlich vor sich hin.
Zumindest kann ich nach dem kleinen Schock endlich einen ruhigen Vormittag verbringen. Katzen. Kaffee. Killer-Romane. Auch wenn mir klar ist, dass es nicht gerade die vorteilhafteste Lektüre ist, liebe ich sie. Richtig verrückte und psychopathische Krimis und Horrorromane. Irgendetwas an ihnen fasziniert mich, was nicht heißen soll, das ich auf einmal Todessehnsucht bekomme. So sitze ich bis Mittag da. Obwohl ich eher gesagt hänge. Meine Hand, welche meine Krimi hält, rutscht schlaff die Armlehne herab. Mein Kopf liegt auf meinem Schoß, wobei man Kaffee mittlerweile über meine gesamte Jacke gelaufen ist. Und im Hintergrund verklingen gerade die letzten Töne meines Lieblingsstückes von Simon&Garfunkel.
Langsam soll ich meine Lektion gelernt haben. Einschlafen beim Kaffee trinken ist alles andere als gut. Es ist sogar richtig unproduktiv und kann Flecken verursachen. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Neben den Sonnenstrahlen, die in meiner Nase kitzeln, werde ich plötzlich durch das mehrmalige Klingeln meiner Haustüre wach. So oft, wie ich die Klingel in meinem Halbschlaf höre, muss entweder gerade jemand vor einem Serienkiller fliehen, oder aber jemand ist eingeschlafen, während er bei mir geklingelt hat. Mit der Nase auf der Klingel.Während dieses Bild fest verankert in meinem Gehirn sich weiter ausbreitet, stolpere ich fast über meine Katze, nur um der, möglicherweise ein wenig ungeduldigen Person vor meiner Tür Einlass zu gewähren.
Ächzend drücke ich die Türlinke hinunter, in der Erwartung ein mir bekanntes Gesicht zu sehen. Oder in der Erwartung überhaupt jemanden zu sehen. Stattdessen ist der Grund, weshalb ich mir beinahe die Haxen gebrochen habe, ein alter Zettel vor meiner Tür. Als ich mich jedoch nach ihm bücken will, klappe ich auf einmal zusammen und höre wieder die, diesmal wimmernde Stimme aus meinem Traum.
"Hilfe. Bitte, hilf mir."
Texte: Fiona Grüger
Bildmaterialien: Fiona Grüger
Tag der Veröffentlichung: 27.10.2013
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