Background: Ich schreibe seit 8 Jahren und nach den ersten beiden Mammutprojekten, die noch in Arbeit sind habe ich beschlossen eine Sammlung von Kurzgeschichten anzufertigen deren Themen bekannte songtitel sind. Nachfolgend eine Beispielgeschichte um zu verdeutlichen was ich meine. Der titel stanmmt von Timbaland und Katy Perry. Falls jemand meine Story verbreiten möchte so kann er die mit verweis auf mich gerne tun. Sollte jemand bereit sein diese Idee weiter zu treiben so darf er/sie mich gerne kontaktieren: ossi-eastborn@gmx.de
nun die Geschichte:
If we ever meet again
Die Geschichte eines alten Mannes
Er sitzt wie an jedem Tag einfach nur am Fenster. Die Augen sind längst nicht mehr in der Lage zu betrachten was das Fenster ihm zeigt, und die Knochen sind zu ermüdet um aufzustehen und ihn woanders hin zu bringen. Doch er genießt seinen Fensterplatz, denn gerade an warmen Tagen ist die Sonne das einzige was ihn noch spüren lässt, dass er lebt. Sie hatte er zeit seines Lebens immer wertgeschätzt, denn schon als kleines Kind, ließ die Sonne ihn wissen, dass er noch nicht gestorben war.
84 Jahre alt, eine von runzligen Falten geprägte Glatze und warme, jedoch leblose Augen. Der ganze Körper übersät von kleinen und großen braunen Flecken, Hager, Blass und von einer großen Nase geprägt, ist Heinrich angehöriger einer aussterbenden Art. Jedes mal wenn er besuch bekommt, und sei es nur ein Pfleger oder ein anderer Bewohner seines Altenheims, erzählt er Geschichten seines Lebens. Viele dieser Geschichten erzählen von seinem Leben, seinen Erlebnissen, oder sind einfach nur Märchen, die er selbst als Kind erzählt bekam und auch schon seinen eigenen Kindern und Enkeln erzählte. Heinrich liebt es diese Geschichten zu erzählen, doch sprach er nie über seine Kindheit. Noch nie ließ er jemanden wissen, wie er gelebt hatte, was er tat oder wie seine Eltern waren, sobald es seine Kindheit betraf.
Er hat allerdings auch allen Grund dazu, denn die Geschehnisse sind das Intimste was er zeit seines Lebens besaß und so Traurig und düster, dass niemand, der nicht selbst dabei war, sie je hätte verkraften können.
Heinrich wurde am 1.Juni 1926 in Rangsdorf bei Berlin geboren. Seine Eltern waren Bauern in einem Dorf, welches gerade mal an die 500 Seelen zählte. Er lernte sie nie richtig kennen, da als er zu klein war die Welt und das um sich herum zu verstehen, sie immer arbeiteten, und als er größer wurde nur eine Nachbarin für ihn da war. Seine Mutter war gestorben als er sechs Jahre alt war, und sein Vater erlag dem Alkohol, der Hof ging zugrunde und für Heinrich war die Nachbarin die neue Mutter, die er lieben gelernt hatte. In diesem Jahr hörte er sie oft Fluchen, er verstand nicht worum es ging, hörte nur Wortfetzen auf einer Sprache die er nicht Verstand, doch eines hatte er sich merken können. Es war der Name eines Mannes, vermutete er, dem die Ziehmutter wohl nicht freundlich gesinnt war. Adolf Hitler. Erst später sollte der junge erfahren, was es mit diesem Namen auf sich hat, nun jedoch verbrachte er seine Zeit mit kindischen Aktivitäten. Er spielte am liebsten mit der Tochter seiner Zeihmutter Elsbeth, die nur ein Jahr älter war als Heinrich. Trotz seiner 7 Jahre, die er Zählte, wusste er schon damals, dass dieses Mädchen den Rest seines Lebens bei ihm sein würde. Andererseits spürte er, dass er seine Ziehmutter schon alsbald verlassen würde.
So kam es nicht lange danach dann auch. Heinrich spielte gerade mit Elsbeth hinter der Scheune seines alten Zuhauses, als zwei Wagen vorgefahren kamen. Heinrich, inzwischen 12 Jahre alt, bedeutete Elsbeth zu warten und rannte so schnell wie er konnte zu den uniformierten Männern, die die Wagen verließen. Er lief vorbei an dem kleinen Lädchen, welches seine Ziehmutter direkt im Haus betrieb, und an dessen Fenster nun schon seit zwei Jahren ein großer Sechsstrahlstern aufgemalt war und sah die Frau, die ihn aufzog ein stück Papier aus dem Schrank holen um es, auf Heinrich deutend, dem Mann darzureichen, der nach der Uniform zu urteilen, der Anführer dieses Trupps war. Dieser sah kurz das Papier an und wies seine Männer an den Jungen mitzunehmen. Auf diese weise gelangte Heinrich in die große Stadt Berlin. Was aus seiner Ziehmutter und aus Elsbeth wurde wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
In Berlin steckte man ihn zuerst in ein Weisenhaus, doch schon nach einem Halben Jahr wurde er im Zuge der Vorbereitungen für den Krieg in eine Kaserne gesteckt, um bei der Hitlerjugend ausgebildet zu werden. Heinrich war zwar erst 13 Jahre alt, doch schon einer der ältesten in seiner Einheit. Sein Kommandant war ein sadistischer und strenger Mann mittleren Alters, der bereits im Weltkrieg Erfahrungen sammeln konnte. Das Training war hart und Heinrich konnte nach wie vor nicht fassen was um ihn herum geschah. Er hatte angst vor den lauten Waffen und er sehnte sich nach Elsbeth und nach seinem friedlichen Zuhause. Er konnte nicht mehr Kind sein, konnte nicht, wie normale Kinder, spielen und toben, alles was er nun konnte war eine Waffe auf ein ziel zu richten. Und das konnte er sogar ziemlich gut. Schnell wurde er weiter und weiter befördert, bis er schließlich einer der wenigen Infanteristen war, der der 12. SS-Panzer-Division „Hitlerjugend“ angehörte. Der Krieg war längst in vollem Gange und Heinrich hatte bereits Erfahrungen als Flak-Schütze sammeln müssen, doch der Aufgabe der er nun gegenüber stand, war er nicht gewachsen. Er hatte schon viele Dinge gesehen, viele Dinge mitgemacht, und immer wieder hielt ihn nur der Gedanke an Elsbeth am Leben, die er wiederzusehen sich versprochen hatte. Nun wurde er also an die front in die Normandie geschickt um dort eben das Vaterland zu verteidigen, welches für ihn nie eine richtige Heimat war. Kurt Meyer, ein 33 Jähriger Soldat aus einer benachbarten Einheit, erinnerte ihn stark an seinen damaligen Ausbilder, denn auch wenn er stets ein Lächeln im Gesicht trug, hatte er eine brutale Aura, die Heinrich sofort bemerkte und die ihm Angst einflößte. Der junge Soldat lernte jetzt den richtigen Krieg kennen. Auch wenn er sonst nicht viel von dem was um ihn vorging verstand und mehr eine leblose Spielfigur in einem Spiel war, welches niemand gewinnen konnte, so verstand er doch, was sterben bedeutet. Das Sterben und der Tod waren allgegenwärtig, man konnte sich ihnen nicht widersetzen. Seine Kameraden fielen einer nach dem Anderen, die Luft stank nach Blut und Blei und überall wo man hinsah stieg rauch auf. Es war laut und es war eine Qual. Inmitten dieses Schlachtfeldes stand ein Junger Mann, gerade 18 Jahre alt geworden, mit einer MP-40, einer Pistole und einer mit dem Blut seiner Kameraden verschmierten Uniform. Seine Aufgabe war es die Panzer zu unterstützen und so ein weiteres vorstoßen der Alliierten nach deren Landung in der Normandie zu verhindern. Doch die Panzer waren längst zu großen teilen zerstört und sein Kommandant Witt starb direkt neben ihm und Heinrich sah mit an wie der neue Kommandant Kurt Meyer seiner Aura gerecht wurde, als dieser viele Kanadische gefangene hinrichten ließ. Nach dieser Exekution rannte Heinrich nachts zu den Leichen um zu sehen ob noch jemand lebte, doch alle waren in dem Kugelhagel umgekommen, zu dessen Schützen sich Heinrich mit glück nicht zählen musste. Der ganze Krieg hatte aus ihm einen Mann gemacht und er wusste, wenn er so weitermacht würde er nie wieder seine Elsbeth sehen, geschweige denn noch seinen 20. Geburtstag erleben. Er fasste den Beschluss zu fliehen, in der Hoffnung niemals gefunden zu werden. Im Juli 1944 sollte seine Einheit Caen erobern, doch Heinrich bekam das Gefühl, dass jetzt der letzte Zeitpunkt sei um zu flüchten, und rannte in der Nacht so schnell er konnte davon, kurz bevor sie zu dieser Stadt ausgerückt wären. Die SS-Führung registrierte die Flucht zu seinem Glück nicht als Flucht, sondern dachte er wäre wohl einer der Unzähligen vermissten, die diese Schlacht forderte. Heinrich hatte recht mit seinem Gefühl, denn nur ein paar Tage nach seiner Flucht wurde fast die gesamte Division vernichtend geschlagen. Er selbst lief in Uniform und voll Bewaffnet, also jederzeit als Soldat erkennbar, immer weiter nach Osten durch feindliches Gebiet, da er dort seine Heimat vermutete. Er hoffte, niemand würde ihn angreifen, solange er selbst niemanden angriff. Nach zwei Tagen erreichte er die Gemeinde Rumesnil. Dieser Ort war klein und abgeschieden, weit genug von Caen entfernt, um dort erst einmal eine Pause einzulegen. Überall lagen hier Trümmerteile von Höfen herum, wie er selbst sie kannte, die Bewohner des Dorfes sah er jedoch nicht. Erst am späten Abend sah er einen Jungen, der etwa 12 Jahre alt war, Kühe von einer Weide holen. Heinrich fragte sich wie man sich jetzt um Kühe kümmern könne, obwohl überall um sie herum der Krieg tobte. Dieser Junge sah aus wie er selbst früher, nur ohne die Waffe und die Uniform. Als er daran dachte fiel ihm erst auf, dass die Uniform immer noch seinen großen schlanken, aber dennoch muskulösen Körper bedeckte, der Helm immer noch auf seinem kurzen blonden Haaren saß und die Waffe auch immer noch in seinen großen prankenartigen Händen lag. Er musste sich neue Kleidung besorgen, doch mittlerweile hatte selbst er begriffen, dass er nicht willkommen sein würde, wenn er diese Uniform trägt und Nackt könnte er erst recht nicht in ein Geschäft gehen. Ein schrei durchschoss plötzlich die Nacht, der Junge ließ alles stehen und liegen und rannte die Straße entlang. Heinrich folgte ihm so schnell und unauffällig wie möglich nach. Sie liefen zu einem roten Haus am Dorfeingang, dessen Tür aufgebrochen war und vor dem eines dieser Autos stand, welches Heinrich schon einmal sah, damals vor seinem eigenen Zuhause. Der Junge lief in das haus und schrie etwas auf Französisch, woraufhin ein Mann schrie, er solle ihn in ruhe lassen. Ein lautes Krachen war zu hören und der Junge flog in hohem Bogen aus dem Haus heraus auf die Straße. Er rutschte so weit, dass er direkt vor dem gegenüberliegenden Haus zum stehen kam, neben dem sich bis eben noch Heinrich versteckt hielt. Dieser war jedoch als er das sah, mit dem Gewehr in beiden Händen herausgestürmt, lief an dem rutschenden Jungen vorbei und stand nun mit der Waffe im Anschlag in der Tür und schrie dem anderen Soldaten zu er solle sofort die Frau in ruhe lassen, welcher dieser bereits das Oberteil vom leibe gerissen hatte und im begriff war sie zu vergewaltigen. Als der Soldat den Deserteur sah schrie er ihm entgegen, er hätte ihm keine Befehle zu erteilen und solle wieder in seine Division verschwinden, doch dann bemerkte er die entsicherte Waffe, deren Lauf auf ihn gerichtet war. Heinrich indes hatte in dem Soldaten einen der Männer erkannt, der ihn damals in das Heim steckte und drohte diesem noch einmal, nicht ohne dieses Mal einen hauch von Wut zu verspüren, auf einen Mann, der mit schuld daran war, dass Heinrich hier landete. Der Mann ließ die Frau los und war im begriff seine eigene Pistole zu ziehen, doch Heinrich kam ihm zuvor und bedeutete ihm es sein zu lassen wenn er noch weiterleben wolle. Geknickt ging der Soldat aus dem Haus zu seinem Wagen, die Pistole mittlerweile jedoch in der rechten Hand. Der kleine Junge hatte indes das Auto des Mannes getreten und bepinkelt, woraufhin dieser als er es sah die Pistole auf ihn richtete, mit den Worten: „Falscher Tag du Drecksfranzosenbengel“. Er drückte, auf den Kopf des Jungen zielend, ab. Der Knall schreckte die Vögel und Hühner auf, die sich um das Haus herum befanden, und auch die Kühe, die von dem Jungen alleingelassen langsam antrotteten gerieten einen kurzen Moment in Panik. Weitere Schüsse folgten und Blut befleckte den Türrahmen des Bauernhofes, in dem Die Frau mit ihrem Sohn lebte. SS-Truppenführer Jonny Rieger ging zu Boden und auch der Junge lag nun rücklings im Straßenstaub. Neben ihm lag der Deutsche, der gerade eben noch seine Mutter rettete, in einer Blutdurchnässten Uniform. „Si vous êtes blessés?“ fragte ihn der Junge panisch. Heinrich verstand den Jungen nicht, doch er verstand die Bewegungen die er machte und den Gesichtsausdruck, den er, ob Freund oder Feind, schon bei so vielen Männern und Frauen sah. Er wusste, dass er im sterben lag.
Der Soldat bei ihnen hatte dieses Erlebnis bereits hinter sich, er starb durch eine Kugel, die durch einen Glücksschuss in seinen Torso drang. Der Junge und seine Mutter brachten Heinrich in die Stube und verscharrten den Truppenführer hinter dem Haus, so tief, dass eventuelle Suchtrupps ihn nie finden würden.
Tage später wachte Heinrich auf und sah neben seinem Bett die schlafende Mutter und den Jungen, der ihn mit feuchten Augen ansah. Er sprach ihn auf Französisch an, doch Heinrich hatte nie eine andere Sprache gelernt außer seiner eigenen. Er kannte nur einen einzigen englischen Satz und damit war sein Repertoire auch schon erschöpft. Durch das Geschrei wurde nun auch die Mutter wach und strahlte über das ganze Gesicht, als sie ihren Retter gesund und munter sah. Durch das Fenster strahlte die Sonne herein und Heinrich sah lange hinaus ohne auf den Jungen oder seine Mutter einzugehen. Er schloss die Augen und fühlte wie ihn die Wärme und das Licht der Sonne durchströmten. Er verweilte ein paar Minuten so, bis er letztendlich doch auf die Personen im Raum einging. Er wollte ihnen seinen Dank aussprechen, aber wusste er nicht wie das ging, jedoch musste er dies auch nicht, denn die Frau nahm seine Hand und sah ihn mit nun ebenfalls feuchten Augen fest an. „Merci!“ schrie sie, als sie in tränen ausbrach und in seinem Schoß zusammensackte. Auch ihr Sohn kam nun hinzu, sprang aufs Bett und die Tränen flossen auf das immer noch blutige Hemd während er den verwirrten Heinrich in den Arm nahm. Dieser Junge war nicht wenig jünger als Heinrich, doch er spürte wie die Last und die Trauer die sich über Jahre des Krieges in ihm angesammelt hatten ausbrachen, und nahm den Jungen ebenfalls in den Arm. Auch seine eigenen Erlebnisse brachen nun in ihm aus, er vermisste Elsbeth, er verabscheute den Krieg, erst recht jetzt im Angesicht dieser Familie und er fragte sich was aus seiner Zeihmutter geworden ist. All dies sorgte dafür, dass in diesem Raum in einem Haus in Rumesnil, umzingelt von Fliegern, Bomben, Soldaten und Panzern, sich drei Menschen in den Armen lagen, als wäre der Krieg vorbei und Heinrich der heimgekehrte Vater. Der ganze Krieg war in diesem Moment unwichtig, denn zum ersten Mal seit langer Zeit spürten diese Menschen was Glück bedeutete. Heinrich wollte ein paar Wochen bei der Familie bleiben, bekam neue Kleidung und half bei der Bewirtschaftung des Hofes mit. Auch beschützte er die Familie, falls sich wieder ein Soldat in die Gegend schleichen sollte. Doch zum Glück aller Dorfbewohner geschah dies nicht. Die Normandie war schnell befreit und die Alliierten rückten immer weiter in Richtung Deutschland. Heinrichs Uniform war sicher versteckt, denn weder er, noch seine Gastgeber wollten das Risiko eingehen von Alliierten entdeckt zu werden. Zwei Monate vor seinem 19. Geburtstag war er schon ein Teil dieser Familie und fühlte etwas, was er seit er ins Heim kam nicht mehr spürte. Ein Gefühl von Heimat verband ihn mit diesem Ort. Er hatte mittlerweile Französisch gelernt und konnte nun einigermaßen gut mit den Menschen Kommunizieren. Der Krieg war in dieser Gegend längst vorbei und man sah es den Einwohnern an, dass sie glücklich waren. Die Sehnsucht nach seinem richtigen Zuhause trieb ihn jedoch bald an nach Deutschland zu fahren und Elsbeth zu suchen. Seinen Geburtstag feierte er noch bei seiner neuen Familie, doch schon in der Darauffolgenden Woche machte er sich auf die Reise nach Berlin. Heinrich fuhr durch viele vom Krieg verwüstete Städte und Dörfer, sah neben den Trümmern Spielzeug und andere Gebrauchsgegenstände liegen, die wohl nie wieder jemand benutzen würde, dessen Besitzer dem Krieg zum Opfer gefallen waren. Den größten Teil der Strecke musste er, bedingt durch die vielen zerstörten Bahnstrecken und mangels eines Autos, zu fuß zurück legen, um sich herum viele Verletzte Soldaten oder ängstliche Einwohner, die dem Fremden nachsahen, wenn er an ihnen vorbei schritt. Im Laufe der Zeit wurden die Verletzten und die angstdurchströmten Menschen immer weniger. Nachdem er die halbe Strecke geschafft hatte, und am fuße des Harzes angelangt war, traf er nur noch auf freundliche und Gesunde Menschen, die ihm berichteten, dass der Krieg nun seit vielen Monaten vorbei war und die Alliierten für eine Sichere Umgebung sorgten. All der Hass und all die Bösen Leute, denen Heinrich in den letzten Jahren begegnete waren wie weggeblasen. Die selben Personen, die noch vor ein paar Jahren blind dem Führer folgten, blind vor Hass auf Juden, waren jetzt per du mit den Überlebenden der KZ oder verfluchten den Führer, der wie Heinrich erfuhr Selbstmord beging, als die Russen in Berlin einmarschierten. Noch zwei weitere Monate reiste Heinrich durch das Land, bis er an einer Grenze ankam, an der man ihm sagte er wäre im Begriff die russische Besatzungszone zu betreten. Der verwirrte Reisende wusste nicht was es mit Besatzungszonen auf sich hatte, doch er erklärte dem Russen, der am Schlagbaum saß, er sei auf dem Weg zu dem Ort an dem er das erste Mal die Sonne sah. Der Soldat ließ ihn passieren, warnte ihn jedoch das es schwer werden würde wieder auf die andere Seite des Landes zu gelangen. Das Geld ging dem jungen Mann langsam aus und er betete noch rechtzeitig in Berlin anzukommen bevor ihm das Geld ausging. Durch viele Zwischenstopps auf der Reise, die Tatsache, dass er hauptsächlich zu fuß unterwegs war und da er ohne Karte marschierte, kam er erst eine Woche vor seinem 20. Geburtstag an. Fast ein ganzes Jahr war er gereist, doch nun war er angekommen, sogar etwas Geld blieb ihm noch übrig. Sein erster Gang führte ihn zu der Vermisstenstelle, denn er wollte Elsbeth endlich wiederfinden, die, wie er dort erfuhr, zusammen mit ihrer Mutter als Jüdin in das KZ Ravensbrück deportiert wurde. In Berlin endete mit seinem 20. Geburtstag ein langes Kapitel schrecklicher Geschehnisse. Das Kapitel seiner Jugend war hier abgeschlossen.
Es begann ein neues Kapitel und ein neues schreckliches Regime herrschte über ihn, doch er hatte sich in Rumesnil geschworen nie wieder einer Regierung zu folgen, die böse ist. In der DDR zu leben war für ihn eine Qual, denn weder konnte er sich das wieder aufgebaute Deutschland ansehen, noch konnte er seine Freunde in Frankreich besuchen. Zum Schutze seiner Kinder wollte er nicht riskieren aus diesem Land zu fliehen, denn er hatte gehört, dass manche die es versucht haben umkamen. Erst nach der Wende konnte er frei reisen. Die erste Reise führte ihn an den Ort, an dem er neu geboren wurde. Nach Rumesnil, doch seine Gastfamilie lebte hier längst nicht mehr, er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt noch lebten. Die Nachbarn die er fragte konnten ihm diese Frage auch nicht beantworten und so zog er weiter um sich das mittlerweile erstrahlte Frankreich anzusehen. Danach fuhr er mit seiner Familie nach England. In Eastbourne übernachteten sie ein paar Nächte in einem Hotel, welches vor vielen Jahren von einem Gewissen Jean Mandieré gegründet und geleitet wurde. Das Hotel war nicht gerade ein Sternehotel, jedoch vermittelte ihm dieses Hotel mit seinen Angestellten ein schönes Gefühl. Die mittlerweile ergrauten Haare ließ er jeden Morgen an der Küste vom Wind umwehen, während er die Sonne beobachtete. Die Augen waren bereits schlechter geworden und er wollte sie sehen so lange er es noch konnte. Auf der Bank neben ihm saß eine sehr alte Frau, die ebenfalls auf das Meer hinaussah, der Sonne entgegen. Heinrich setzte sich neben sie, sich auf seiner Gehhilfe abstützend, die er benötigte, seit er sich die Hüfte beim reiten brach. „Do you enjoy this Twilight as so as me?“ fragte ihn die Frau neben ihm. Heinrich, der mittlerweile auch gutes Englisch sprach, antwortete ihr, er würde jeden Sonnenaufgang genießen, da sie ihn nie vergessen ließen, welche Qualen und welche Schönheit ein Mensch durchleben kann. Danach folgte langes Schweigen und beide genossen den Sonnenaufgang. Später kam der Vater des Hoteldirektors zu den beiden und stellte sich mit Blick auf das Meer hinter die Bank. „You promised us you would thank us…if we ever meet again“ Sagte der Mann. Heinrich sah ihn an und lächelte. Er richtete den Blick wieder auf das Meer, zählte die Wellen die er noch erkennen konnte und sagte ohne den Blick von der Sonne und dem Meer abzuwenden: “Yes…if we ever meet again…“
Die Grauhaarige Frau steht nun schon seit einer weile hinter dem Mann im Rollstuhl. Fragt sich was er wohl gerade denken mag. Sie teilt seine Liebe zur Sonne nicht, doch kann sie sich ihrer Schönheit nicht erwehren. Lange Jahre hatte sie diesem Mann zugesehen, wie er allein und in Gedanken versunken in die Sonne starrte, so wie er es jetzt immer noch tut, wenngleich er völlig erblindet ist. Ein seliges Lächeln durchzieht ihr Gesicht. Sie ist zwar ein Jahr älter als Heinrich, aber konnte sie sich eine gewisse Fitness erhalten, die es ihr ermöglicht körperlich aktiver durch das Leben zu schreiten, als es bei Heinrich der Fall ist. Sie kennt ihn nun schon sehr lange, hatte ihn liebgewonnen und ist seit nunmehr 51 Jahren mit ihm verheiratet. Sie haben vier Kinder und mittlerweile wimmelt es in ihrem Stammbaum von Enkeln und Urenkeln, von denen die meisten sie regelmäßig besuchen kommen. Auch sie schwelgt gerne in Erinnerungen, doch würde sie diese niemals aussprechen, denn anders als ihr Mann, erzählt sie nur ungern Geschichten. Sie hat nicht weniger erlebt als er, doch erfüllen sie all diese Erinnerungen mit Trauer. Sie musste mit ansehen wie ihre Mutter verhungerte, weil sie ihrer Tochter ihr ganzes Essen gab, damit diese nicht verhungern musste, sie wurde von Nazis vergewaltigt und obwohl sie noch ein Kind war, völlig der Unschuld beraubt und auch wurde sie beleidigt und bespuckt. All diese Erinnerungen, und noch viele weitere, viel düstere, belasten sie, doch durch ihren Mann konnte sie diese Trauer vergessen.
Als die Sonne Untergegangen ist nimmt sie ihren Mann, der auf seinem Rollstuhl eingeschlafen ist und schiebt ihn durch das Altenheim. Vorbei an vielen Dinosauriern, die wie dieses alte Paar viel Gesehen hatten in ihrem Leben, die ebenfalls bald aussterben würden. Überall hängen Bilder, die Geschichtsträchtige Momente aus einem Blickwinkel zeigen, der nicht einmal annähernd beschreiben kann, was sich wirklich abspielte. Sie erreicht das Zimmer, Welches sie mit Heinrich bewohnt und öffnet die Tür zu einem Raum, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Die Einrichtung erscheint wie aus einem schwarz-weiß Film und die Bilder Zeigen Stationen im Leben zweier Menschen, die zwar nie selbst eines schießen konnten, jedoch mit diesen Bildern Erinnerungen verknüpfen, auch wenn sie selbst nicht auf den Bildern zu sehen sind. Wie beispielsweise ein Bild auf dem man das zerstörte Caen sah, eines auf dem der Bau der Berliner Mauer zu sehen ist, oder aber ein weiteres Bild, geschossen von den Allierten bei der Befreiung der Juden aus dem KZ Ravensbrück.
Geschrieben von Marco Schabel, Hamburg am 13.04.2010
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2010
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