Cover

Leseprobe

LICHTKRIEGERIN

SEELENREISE

STEFANIE GRUBER

INHALT

1. Verwirrende Begegnung

2. Gedanken lesen

3. Alltagstrott

4. Nächtlicher Besucher

5. Reise in die Vergangenheit

6. Schmerzliche Entscheidung

7. Schreckliche Ereignisse

8. Das Leben geht weiter

9. Unwiderrufliche Verwandlung

10. Mein neues Leben

11. Wer bin ich?

12. Die Suche beginnt

13. Die Höhle des Grauens

14. 14 Portale und große Mütter

15. Der König der Seelenzehrer

16. Das Erwachen

Über die Autorin

VERWIRRENDE BEGEGNUNG

Es war ein herrlicher Freitagmittag, ich war so aufgekratzt wie schon lange nicht mehr. Wir waren auf dem Weg nach München zu einem Konzert meiner absoluten Lieblingsband, den Red Hot Chili Peppers. Es herrschte mildes Frühsommerwetter, genial für ein Open Air. Wir, das sind mein geliebter Schatz Andreas, meine kleine Schwester Tessa und meine Wenigkeit. Darf ich mich an dieser Stelle kurz vorstellen, mein Name ist Lea Müller und ich bin 30 Jahre alt. Mein Mann Andreas und ich haben zwei Kinder, Leo und Anna, die wir dieses Wochenende in die Obhut meiner Mutter gegeben haben. Sie freut sich immer sehr über den Besuch ihrer Enkel. Tessa war mit von der Partie, da wir ihr das Konzert samt Übernachtung zum Geburtstag geschenkt hatten. Die ganze Fahrt blödelten wir und waren bester Laune, vor allem Tessa, die mit einem guten Freund von Andreas, namens Christian, einen heißen SMS Flirt am Laufen hatte. „Was schreibt er denn wieder?“, wandte ich mich nach hinten zu ihr, da das Handy schon wieder gepiept hatte. Ganz aufgelöst antwortete sie: „Er überlegt, ob er auch noch kommt!“ Ach je, dachte ich, das kann ja noch heiter werden. Wenn sich Tessa in was hinein gesteigert hatte, konnte man sie kaum wieder runterholen. Andreas grinste die ganze Zeit, sagte aber nichts. Er hatte ein ruhiges Gemüt, manchmal zu ruhig für meinen Geschmack, aber ich liebte ihn über alles und er mich auch. Der Gedanke daran, die nächsten Stunden gemeinsam mit ihm zu verbringen, machten mich richtig glücklich. Heute gehörte er mir ganz allein, ich musste ihn nicht mit den Kindern und schon gar nicht mit seiner Arbeit teilen.

„Wir sind gleich da“, sagte Andreas, „da links ist das Stadion und dahinter der Olympiapark und irgendwo dort ist unser Hotel.“ Er fuchtelte wild mit seiner Hand herum. Nach wenigen Minuten lenkte Andi den Wagen auf einen Parkplatz und wir stiegen aus. Er öffnete den Kofferraum und machte sich an unserem Gepäck zu schaffen. Tessa fragte ihn, „Glaubst du, dass Christian kommt?“ Andreas schaute sie kurz an, „Weiß ich doch nicht, aber Christian ist immer für eine Überraschung gut.“ „Lasst uns einchecken und die Zimmer anschauen“, sagte Andreas, um vom Thema abzulenken und ging voraus. Wir folgten ihm, Tessa mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht, sie glaubte felsenfest, ihr neuer Angebeteter würde nach dem Konzert im Hotel auf sie warten. Ich ließ ihr ihre Hoffnung, nahm meine Tasche und schloss mich ihnen an. Wir betraten das Foyer und wurden sofort freundlich begrüßt. Andreas erledigte die Formalitäten und drückte uns die Zimmerschlüssel in die Hände, wobei ich einen gleich meiner Schwester gab. „Lea“, fragte sie mich, „kommst du dann in mein Zimmer und hilfst mir beim Schminken?“ „Ja gerne“, antwortete ich ihr, „lass mich noch kurz duschen und dann bin ich gleich bei dir.“ Andreas verdrehte die Augen, „ Mädels, wir gehen auf ein Open Air, nicht in die Disco.“ „Was weißt du schon“, sagte ich darauf und lächelte ihn verschmitzt an, „wir wollen trotzdem hübsch ausschauen.“ Ich bekam gar nicht mit, dass wir den Aufzug wieder verlassen hatten und schon vor unserem Zimmer standen. Tessas Zimmer befand sich drei Türen weiter von unserem entfernt. „Was hast du für eine Zimmernummer?“, rief ich ihr noch zu, bevor sie in der Tür verschwand. „214“, rief sie zurück. „ Ich ruf an, wenn ich fertig bin.“ „Ok“, gab sie zur Antwort und dann schloss sich die Tür hinter ihr. Andreas stand schon im Zimmer und war gerade dabei, sich auf das Bett zu werfen, als ich die Tür zuzog. Das Zimmer war nicht sehr groß. In der Mitte stand ein Doppelbett mit weißer gestärkter Hotelwäsche überzogen, gegenüber stand ein Fernseher, daneben ein Sofa mit Tisch, somit war die Einrichtung komplett. Er grinste mich fröhlich an, „Hast du Lust?“ fragte er mich. „Schatz“, ich verdrehte die Augen, „können wir uns das nicht für später aufheben?“ „Und außerdem wartet Tessa auf mich“. Schmollend schaute er mich an, „Sie ist etwas anstrengend, aber heute gehörst du trotzdem nur mir“, scherzte er. Ich musste lachen und küsste ihn auf den Mund. „Ich liebe dich“, flüsterte ich an seinem Ohr und dann küssten wir uns leidenschaftlich. „Ich dich auch“, raunte er zurück. Dann änderte er das Thema. “Ich ruf kurz zuhause an und gebe ihnen Bescheid, dass wir gut angekommen sind.“ „Ok“, war meine knappe Antwort und ich stand auf und verschwand im Bad. Gleich darauf stand er mit dem Handy vor mir, „Die Kinder wollen noch mit dir sprechen.“ „Ja, gib her.“ „Hallo“, sagte ich ins Telefon, „Hallo“ erklang die Stimme unseres Ältesten, „Was machst du?“, fragte er mich neugierig. Ich erzählte ihm, wie das Zimmer aussieht und dass ich jetzt duschen möchte. Zum Schluss wünschte ich ihm noch einen schönen Abend und gute Träume. „Bussi, Leo“, sagte ich am Ende unseres Gesprächs, daraufhin reichte er das Telefon an Anna weiter. Ihr erzählte ich das gleiche und dann wünschte uns meine Mutter ebenfalls einen schönen Abend. „Danke bis Morgen“, gab ich ihr zur Antwort und wartete, bis sie aufgelegt hatte. Ich hörte den Fernseher und machte mich endlich fertig, schließlich wollten wir heute noch zum Konzert. Als ich aus dem Badezimmer kam, schaute mich Andreas an und sagte „Toll, siehst du aus.“ Erfreut antwortete ich ihm, dass man das von ihm nicht sagen kann. „Machst du dich bitte auch bald fertig, während ich zu Tessa gehe?“ „Gleich, nur kein Stress“, war seine kurze Antwort mit Blick auf den Fernseher.

Ich ging zum Telefon und wählte Tessas Zimmernummer, als sie abhob, fragte ich, ob sie bereit wäre für meine Schminkkünste. „Ja, ich warte schon auf dich“, schnatterte sie aufgeregt. Noch ein letzter prüfender Blick in den Spiegel und was mir da entgegen lachte, sah ganz passabel aus.

Mittlerweile war es 18.15 Uhr, wir hatten eben noch eine Kleinigkeit gegessen und machten uns endlich auf den Weg zum Stadion, denn um 19.00 Uhr war Einlass. Wir konnten zu Fuß gehen, denn Andreas hatte wieder mal das nächstgelegene Hotel ausgesucht. Da war er total praktisch veranlagt, da spielte der Preis keine so große Rolle. In Gedanken musste ich lachen. Wir schlenderten durch den Olympiapark, ich hielt Andreas Hand und Tessa war felsenfest davon überzeugt, dass sie Christian mit ihrer zweistündigen SMS-Attacke zum Kommen überredet hatte. Sie erzählte uns alle Details, die er geschrieben hatte und wir halfen ihr dabei, jedes Wort zu analysieren. Mann, war ich froh, als wir unser Ziel erreicht hatten. Wir stellten uns an der langen Schlange an und tausend Gerüche strömten auf mich ein. Die verschiedensten Parfüms, ekeliger Schweißgeruch und der Geruch von Essbarem, das an verschiedenen Ständen hinter dem Eingang zum Verkauf angeboten wurde, vermischten sich zu einem solchen Durcheinander, dass mir leicht schwindlig wurde. Andreas drückte meine Hand, „Geht’s dir gut?“ „Ja, alles klar“, war meine gutgelaunte Antwort, „nur die vielen Menschen sind wir Einsiedler nicht gewohnt“, scherzte ich. „Ja, ganz schön was los hier.“ Als wir den Eingang passiert hatten, erreichten wir die Treppe die ins Stadion hinunterführte und wir machten uns auf, einen guten Platz zu finden. Die meisten Leute saßen auf dem Boden und tranken oder aßen, lachten und unterhielten sich. Es war so voll, dass ich mich auf Andreas Rücken konzentrieren musste, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Tessa schleifte ich hinter mir her.

Als wir nach ein paar Minuten einen Platz gefunden hatten, fragte uns Andreas was wir trinken wollten. „Ein Bier“, sagte ich und Tessa wollte auch eins. „Ich hol uns was, rührt euch nicht vom Fleck.“ Schon war er in Richtung Getränkestand verschwunden. Ich nutzte die Gelegenheit und musterte die Leute, die direkt vor und neben uns standen.

Die Vorband begann bereits zu spielen. Tessa fingerte ihre Zigaretten aus der Tasche und schaute mich fragend an. Ich war eigentlich seit Jahren Nichtraucher, aber in solchen Situationen wie diesen konnte ich nicht widerstehen. Außerdem bekam ich immer Lust aufs Rauchen, wenn ich Alkohol trank. Blöde Angewohnheit, aber so war das halt. Also nahm ich mir eine und bedankte mich. Sie hielt mir das Feuer hin und mit einem gekonnten Zug machte ich sie an, als hätte ich nie damit aufgehört. „Ich hab uns zwei Schachteln mitgenommen“, sagte sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Du denkst mit, kennst mich eben“, sagte ich scherzhaft. Tief zog ich den Rauch in meine Lungen und ließ ihn wieder ausströmen, weiter blickte ich mich um. Im ersten Moment bemerkte ich den Mann überhaupt nicht, da er mir den Rücken zukehrte. Er stand eine Reihe links vor mir. Doch plötzlich drehte er sich um und sah direkt in meine Augen. Mir wurde ganz komisch im Bauch und ich sah schnell weg. Ich schob das auf die Zigarette und mein Blick glitt wieder zu diesem gutaussehenden jungen Mann. Er stand da und war das schönste männliche Wesen, das ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Ein mir unbekanntes Gefühl zog mir fast die Füße weg. Er war groß, muskulös mit einer sportlichen Figur. Er hatte wunderschöne, lange, tiefschwarze, glänzende Haare, die ihm offen weit über die Schulter fielen.

Sein Gesicht war kantig, die gerade Nase über diesem verführerischen Mund war der Wahnsinn. Aber am meisten faszinierten mich seine großen mandelförmigen himmelblauen Augen. Sein Blick war so durchdringend, als würde er sich direkt in meine Seele bohren. Eine Ausstrahlung und Anziehungskraft gingen von ihm aus, die ich mit Worten nicht beschreiben kann. Ein Wesen aus einer anderen Welt. Bei diesem Gedanken, schauderte ich und mir stellten sich die Nackenhaare auf, mein Blick glitt zu Boden. In dem Moment kam Andreas mit zwei Bechern Bier für uns und einem Becher Caipi für ihn, den er mit den Zähnen festhielt zurück. „Nimm mir das ab“, nuschelte er unverständlich. Schnell nahm ich den Becher aus seinem Mund. Tessa bedankte sich und auch ich bedankte mich bei ihm. Seine Laune war super, das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ich lächelte, war doch albern, mich jetzt von diesem Typen da vor mir aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich prostete Andreas und meiner Schwester zu, drückte meine Zigarette aus und nahm einen tiefen Zug von dem kalten Bier. Schon besser, dachte ich. Was dann passierte ging ziemlich schnell, dieser Kerl ging direkt auf uns zu, besser gesagt auf mich und schob sich zwischen uns hindurch, er war mir so nah, dass er mich fast berührte. Mir wurde augenblicklich schwindlig. „Was soll das?“, schimpfte Andi, „Kannst du nicht aufpassen.“ „Spinnt der“, kicherte Tessa. „Entschuldigung“, war alles, was über seine Lippen kam und so schnell wie er gekommen war, war er in der Menge verschwunden. Ich stand da wie vom Blitz getroffen, er war mir so nah gewesen, dass ich die Wärme und Energie, die von ihm ausging körperlich spüren konnte. Aber was mich noch mehr beunruhigte, war die Tatsache, dass ich wusste, dass dies kein Versehen war. Er wollte an mir vorbei, aber aus welchem Grund, fragte ich mich. In dem Moment gaben meine Beine nach und ich musste mich auf den Boden setzen. Andreas beugte sich besorgt zu mir hinab, „Was ist los, Schatz?“ „Nichts“, log ich, „mir ist nur schwindlig von der Zigarette.“ Warum log ich ihn an? Ich verstand die Welt nicht mehr, in mir herrschte ein solches Gefühlschaos, dass ich nicht einmal mitbekommen habe, dass die Vorband zu Ende gespielt hatte. Eine erwartungsvolle Stimmung lag in der Luft, alle warteten gespannt auf die Stars des Abends. Dann ertönten die ersten Klänge der E-Gitarre und ein Jubel und Geschrei ging durch die begeisterte Menge, als die Red Hot Chili Peppers ihr erstes Lied anspielten. 40000 Menschen um mich jubelten, schrien und kreischten. Schnell stand ich auf. Von dieser Euphorie ließ ich mich gern mitreißen, ich konzentrierte mich voll auf das Lied und sang mit, obwohl es mich irgendwie anstrengte. Wo war er, schoss es mir durch den Kopf. Ich schaute zu Andi um, der hinter mir stand und mitsang, er lächelte mich an. Puuh, dachte ich, er hatte nichts bemerkt. Tessa entpuppte sich neben mir zum Kettenraucher und strahlte mich an. „Das beste Geburtstaggeschenk“, schrie sie mir zu. „Gern geschehen“, schrie ich zurück. Mein Blick glitt automatisch zu der Stelle, wo dieser unbeschreiblich anziehende Kerl gestanden hatte, es überraschte mich nicht, er war zurück. Er stand drei Schritte links vor mir und schaute mir direkt in die Augen. Mein Gott, ist der schön, wunderschön. Perfekt. Ich war wie geblendet, etwas in mir schmolz dahin, ich konnte nicht mehr klar denken. Jetzt grinste er mich auffordernd an. Hoffentlich bemerkt Andreas nichts. Zu spät, ich spürte wie er sich hinter mir versteifte, er muss gesehen haben, wie ich den schönen Mann anschmachtete. Ich tat so, als wäre ich voll auf die Band fixiert, aber in Wirklichkeit hatte ich nur noch Augen für ihn. Er war sportlich gekleidet, mit olivfarbenen Shorts und einer schwarzen Kapuzenjacke. Ich schätzte ihn ein paar Jährchen älter, vielleicht 35. Wir flirteten unaufhörlich und erst jetzt fiel mir auf, dass er nicht allein war. Eine hübsche, junge Frau, mit langen schwarzen Haaren, lehnte sich eben zu ihm und sagte ihm etwas ins Ohr. Ich konnte es natürlich nicht verstehen. Seine Freundin, ist doch klar, wie konnte so ein gutaussehender Kerl denn keine haben. Was machte ich da? Du bist verheiratet und hast zwei Kinder, schimpfte ich mit mir selbst. Ich drehte meinen Ehering am Finger und atmete tief durch. Soeben fragte mich Andreas, ob ich auch noch etwas trinken möchte und ich nickte ihm zu. Schon war er verschwunden. Sofort packte mich Tessa am Arm, „Bist du bescheuert“, fragte sie mich, „was flirtest du so offensichtlich mit diesem Kerl?“ „Ich flirte nicht“, gab ich betont ernst zurück, „aber der sieht doch unglaublich gut aus.“ „Das schon, aber Andreas gefällt das überhaupt nicht“, sagte sie vorwurfsvoll. „Man wird wohl noch gucken dürfen“, sagte ich darauf. Sie wechselte das Thema. „Die sind richtig gut, super Wetter haben wir auch“, plapperte Tessa drauf los. Ich ging nicht auf das Gespräch ein und meine Augen suchten automatisch diesen sonderbaren Mann, der mich komplett aus der Fassung brachte und etwas in mir erweckte, das ich nicht kannte.

GEDANKEN LESEN

Inzwischen hatte sich die Dunkelheit über den Olympiapark gelegt, das Stadion hatte sich in ein Tollhaus verwandelt. Nur er stand seelenruhig vor mir und grinste mich herausfordernd an. Es verwunderte mich, dass dieser verdammt gutaussehende Typ sich wirklich mich ausgesucht hatte für seinen Flirt. Ich sollte ihm meinen Ehering zeigen, dann würde er mich bestimmt in Ruhe lassen. Geh zur Toilette, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf, es war die seine. Ich wusste es. Nein, protestierte ich in Gedanken, lass mich in Ruhe. Was geschieht hier, ich drehe durch, ich habe Halluzinationen. Ich höre Stimmen. Ein klares Lachen war in meinem Kopf zu hören. Verschwinde aus meinen Gedanken, flehte ich mehr zu mir selbst. Wie sollte jemand mit mir in Gedanken sprechen? Wieder das amüsierte Lachen. Ich suchte seinen Blick, aber er war verschwunden. Ich schaute mich um. Keine Spur von ihm. „Ich muss mal“, schrie ich Tessa ins Ohr und klemmte meine Beine übertrieben zusammen. Sie verstand und fragte, ob sie mitkommen soll. Ich schüttelte den Kopf, nein sie konnte ich jetzt nicht brauchen. Schnell drehte ich mich um und zwängte mich durch die Menge Richtung Treppe davon. Andreas war noch nicht zurück, Tessa weiß ja Bescheid, beruhigte ich mein Gewissen. Was machte ich da bloß, wo sollte ich denn hingehen, fragte ich mich. Aber meine Beine trieben mich die Treppe hoch, als wüssten sie den Weg. An den Toiletten angekommen, huschte ich schnell hinein. Er war nicht da, wie auch. Das war alles nur Einbildung, schimpfte ich mit mir selbst. Ich beeilte mich und wollte zurück zu den anderen. Als ich oben an der Treppe stand und mein Blick über die vielen tausend Menschen wanderte, bekam ich Gänsehaut. Einem Impuls folgend, drehte ich mich langsam um. Hinter mir stand dieser fremde Kerl und blickte mich eindringlich an. Es verschlug mir die Sprache. Meine Hände zitterten, mein Herz machte einen Sprung. „Hallo, wie geht’s“, sagte er mit tiefer, dunkler Stimme. „ Gut“, war meine verdatterte Antwort. Er nahm meine Hand und zog mich von der Treppe weg, mein Instinkt sagte mir, ich sollte mich losmachen und schleunigst zu den anderen gehen. Aber mein Körper gehorchte mir nicht. „Wer bist du und was willst du von mir?“, sagte ich mit so fester Stimme wie möglich. Er grinste und zog mich weiter. Nein, ich will das nicht, bleib stehen, dachte ich. Er blieb stehen und sein Blick war eisig. „Wir müssen reden“, sagte er mit ernster Stimme. Ich merkte, wie ich wütend wurde, obwohl mir seine plötzliche Ausstrahlung unheimlich war. „Ich kenn dich überhaupt nicht, lass mich in Ruhe!“ Ich drehte mich hastig um und wollte davonlaufen, aber so schnell, dass ich die Bewegung nicht ausmachen konnte, stand er vor mir und versperrte mir den Weg. Jetzt bekam ich vollends Panik. Ein gutaussehender Psychopath, oder ein mordender Frauenverführer, waren meine nächsten Gedanken. Ein lautes Lachen kam aus seinem verführerischen Mund und er schaute mich erneut mit diesen durchdringenden Augen an. „Lea, hör mir zu, ich werde dir kein Haar krümmen.“ Jetzt war ich es, die hysterisch lachte, woher wusste er meinen Namen? Mir wurde schwindlig, meine Lider flatterten und ich schloss die Augen. Sanfte Hände und ein mir vertrauter Duft, sein Duft, nahmen mich mit. Als ich meine Augen aufschlug, saß ich an eine Mauer gelehnt und er hockte vor mir. Unsere Blicke trafen sich. „Wer bist du?“, kam es heiser aus meinem Mund. Meine Kehle war wie zugeschnürt. „Mein Name ist Magnus und ich bin schon seit sehr langer Zeit auf der Suche nach dir.“ „Warum nach mir, ich bin verheiratet. Such dir eine andere!“ Er grinste frech. „Das ist eine sehr lange Geschichte“, war seine knappe Antwort. „Du musst sofort mit mir kommen.“

Ich verstand überhaupt nichts mehr. Meine Gedanken fuhren Achterbahn. „Nein“, protestierte ich. Plötzlich schlug seine Stimmung um. Sein gehetzter Blick zur Treppe, holte mich in die Gegenwart zurück. Wie lang war ich schon fort, Andreas und Tessa würden sich bereits Sorgen machen. Ich stand schwerfällig auf und schaute ihn funkelnd an. „Verdammt, dein Mann sucht dich, gleich ist er da“, sagte er gepresst. „Bitte lass mich gehen!“, flehte ich ihn an. Mein Verstand wollte weg, aber mein Körper fühlte sich auf unerklärliche Weise zu ihm hingezogen. Ohne Vorwarnung küsste er mich sanft auf die Lippen. Mein Herzschlag setzte für eine Sekunde aus, ich zitterte erneut am ganzen Körper. Nicht aus Angst, sondern aus purer Verzückung. „Ich komme wieder“, flüsterte er in mein Ohr und war verschwunden. Ich wollte ihm noch etwas hinterher rufen, da sah ich Andi auf mich zu steuern. Er sah stinksauer aus. „Lea, wo warst du die ganze Zeit? Das Konzert ist gleich zu Ende“, wütete er drauflos. „Ich musste warten“, log ich nicht sehr geschickt. Hoffentlich hat er uns nicht gesehen, betete ich. Ich versuchte mich zu beruhigen, aber was eben Passiert war, brachte mich völlig aus dem Gleichgewicht. Dieser Magnus, seltsamer Name, lockte mich zur Toilette, um mich zu entführen. Er wusste meinen Namen und konnte aus unerklärlichen Gründen Gedanken lesen und in meinem Kopf sprechen. So ein Blödsinn, war mein nächster Gedanke, niemand kann das, aber das überzeugte mich nicht. Zum Abschied küsste er mich so unendlich zärtlich und liebevoll. Meine Lippen brannten noch immer und von seinem unwiderstehlichen Geruch war ich wie benebelt. Andreas schaute mich streitlustig an. „Kommst du mit, oder willst du Wurzeln schlagen?“ Bloß nicht streiten, beruhigte ich mich und hakte mich bei ihm unter. Mit genervter Stimme, sagte ich, „du kannst dir nicht vorstellen wie viel Mädels zeitgleich mit mir pinkeln mussten.“ „Wir reden später“, war seine gereizte Antwort und er zog mich mit, schnurgerade zur Treppe hinunter auf unseren Platz. Dort angekommen, begrüßte mich Tessa mit einem vorwurfsvollen Blick. „Du warst eine dreiviertel Stunde nicht da, die spielen bereits die Zugabe.“ Weiter kümmerte sie sich nicht um mich und wandte sich wieder der Band zu. Die Zeit war viel zu schnell vergangen. Von dem Konzert hatte ich zu meinem Entsetzen nicht viel mitbekommen. Außerdem kaufte Andi mir meine bescheuerte Lügerei nicht ab. Stocksteif und schweigend stand er hinter mir. Ich fühlte mich schlecht, was hatte ich getan. Fast wäre ich freiwillig mit diesem Kerl gegangen. Ohne es zu merken, wanderte mein Blick auf seinen Platz links vor mir. Doch der Platz war leer. Die hübsche Frau war ebenfalls verschwunden. Andere Fans standen dort und schwenkten voller Begeisterung Feuerzeuge. Die letzten Klänge der Zugabe hallten über den Olympiapark, dann brach der ohrenbetäubende Jubel los. Wie gelähmt stand ich in der Menge und die tiefe Stimme des schönen Mannes hallte wieder und wieder in meinem Kopf. Seine letzten Worte waren eindeutig. „Ich komme wieder.“ Beruhige dich, sagte ich zu mir. Morgen fahren wir nach Hause und es war ausgeschlossen, dass ich ihn jemals wiedersehen würde. Zu meinem Entsetzen machte mich diese Feststellung traurig. Wir bewegten uns bereits Richtung Ausgang, als ich merkte, wie meine Blicke nach ihm suchten. Meine Schwester und Andreas unterhielten sich über die letzten 100 Minuten. Tessas Begeisterung war grenzenlos. Andreas war immer noch etwas sauer. Der beruhigt sich schon wieder, hoffte ich und nahm seine Hand. Sie war angenehm warm und mir so unendlich vertraut. Wie konnte ich nur eine Sekunde unsere Liebe aufs Spiel setzen, durchzuckte es mich heftig. Tessas Redefluss war unaufhaltsam, vor allem da ihr wieder eingefallen war, dass Christian im Hotel auf sie warten würde. Wir strömten mit all den anderen Menschen durch den Olympiapark zum Hotel. Du musst dich zusammenreißen, befahl ich mir bestimmend. Zu unserer Überraschung war Christian wirklich gekommen und saß strahlend auf einem Stuhl im Foyer. Meine Schwester stürmte auf ihn zu und umarmte ihn heftig. Ich war einerseits froh darüber, weil sie mir jetzt nicht etliche Stunden vorjammern würde, warum er sie nicht haben will. Andererseits musste ich Andreas noch weiter belügen, was mir nicht gerade leicht fiel. Wir diskutierten noch eine Viertelstunde, ob wir uns einen Absacker an der Bar genehmigen, oder lieber auf unsere Zimmer verschwinden sollten. Da Tessa auf keinen Fall mehr aus Christians Umarmung gelöst werden konnte, wünschten wir ihnen eine Gute Nacht und trennten uns. Das Lachen der beiden war das letzte, was ich hörte, als sich die Tür zu unserem Zimmer schloss.

Andreas verschwand im Badezimmer und ich suchte meine Schlafsachen heraus. Ich hatte das Bedürfnis, erneut zu duschen, um etwas Zeit zu gewinnen. Andreas kam aus dem kleinen Bad, er roch frisch nach seiner Zahnpasta und ging sofort ins Bett. Als ich fertig war und zurück ins schwach beleuchtete Zimmer schlich, in der Hoffnung, er würde bereits schlafen, lag er auf der Seite, den Kopf auf die Hand gestützt und schaute mir direkt in die Augen. Ich musste lächeln und kroch zu ihm ins Bett, um ihm die Haare zu verwuscheln. Er drückte mich fest an sich und küsste mich mit solch einer Leidenschaft, dass mir die Luft wegblieb. In dieser Nacht liebten wir uns wie schon lange nicht mehr. Er beteuerte mir mehrmals seine Liebe und ich konnte ihm die meine nur bestätigen. Als ich glücklich in seinen Armen einschlief, waren die letzten verwirrenden Stunden vergessen.

ALLTAGSTROTT

Zuhause war alles beim Alten. Ich verdrängte das Erlebte in die Tiefen meines Unterbewusstseins und stürzte mich in die Arbeit. Bei banalen Tätigkeiten, wie bügeln oder Autofahren, fiel mir das Erlebte wieder ein und ich tat es mit meiner zu regen Fantasie ab. Alles nur Einbildung, beschwichtigte ich mich immer wieder. Zu viel Esoterikkram gelesen und blöde Filme geguckt. Trotzdem grübelte ich immerfort über die Begegnung mit meinem Unbekannten. Die Monate vergingen, nichts geschah, absolut nichts. Nur in meinen Träumen passierten die schrecklichsten Dinge. Auch Magnus kam immer wieder darin vor, so unglaublich gutaussehend wie ich ihn in Erinnerung hatte. Einmal hatte ich solch einen schrecklichen Albtraum, dass ich zitternd erwachte und froh darüber war, alles nur geträumt zu haben. Fürchterliche Kreaturen trieben darin ihr Unwesen und ich musste untätig zusehen, wie sie unschuldige Menschen auf grausamste Art und Weise töteten. Mir war entsetzlich kalt und ich kuschelte mich schnell unter Andreas Decke und versuchte wieder einzuschlafen. Am Morgen konnte ich mich nur vage an diesen gespenstischen Traum erinnern. Es war Samstag und wir frühstückten gemeinsam, da wir alle heute frei hatten. Andreas hatte frische Brötchen geholt und war in die Zeitung vertieft. Als er kurz aufblickte, sagte er mir beiläufig, dass er kommendes Wochenende auf eine Fortbildung fahren müsste und erst Sonntagabend wieder heimkommen würde. „Ja, geht in Ordnung. Ich könnte mit den Kindern meine Mutter besuchen, dann wird uns nicht langweilig ohne dich“, überlegte ich laut. „Das find ich eine gute Idee, sie hat dich und die Kinder schon eine Weile nicht mehr gesehen. Da macht ihr drei euch ein schönes Wochenende“, sagte er guter Dinge und ging auf meine Bemerkung nicht weiter ein. Ich erzählte Leo und Anna über den bevorstehenden Ausflug und beide freuten sich riesig. Vor lauter Übermut liefen sie wie wild durchs Haus und spielten fangen. „Was steht heute auf dem Programm, Schatz?“, fragte Andreas, nachdem er seine Zeitung ordentlich zusammengefaltet hat. „Ich weiß nicht, wir könnten vielleicht gemeinsam kochen und mit Sam, das war unser Hund, ein sechsjähriger Mischlingsrüde, einen langen Spaziergang machen“, schlug ich vor. „Find ich gut, wir könnten in den Wald gehen“, nickte er begeistert. Nach kurzer Überzeugungsarbeit, die Andreas bei den Kindern leisten musste, ging es nach dem Mittagessen los. Wir hatten einen kleinen Rucksack mit Proviant dabei, den ich schleppen musste. Andreas hatte Sam an der Leine und die beiden übernahmen die Führung. Die Kinder waren plötzlich mit Begeisterung dabei und hatten sich bereits mit Wanderstöcken ausgerüstet. Ich hing meinen Gedanken nach und war voller Glück und Dankbarkeit für alles, was wir gemeinsam bereits erreicht hatten. Ich hatte einen wundervollen Mann und Vater für unsere, zwei hübschen, klugen und gesunden Kinder. Wir hatten unser schnuckeliges Haus in herrlicher Alleinlage und gut bezahlte Jobs. Meine Familie, der Haushalt und meine Arbeit füllten mich völlig aus. Was wollte ich mehr? Fragte ich mich. Warum konnte ich den Unbekannten nicht vergessen? Ich wünschte mir ein glückliches, ruhiges Leben bis ans Ende meiner Tage mit den Menschen, die ich liebe. Aber da war sie wieder, diese Sehnsucht nach diesem wunderschönen Mann und mit der Erinnerung an ihn, kam das Gefühl von Angst, Verlangen und Schmerz. Alles würde anders kommen, aber dies konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen.

Die Woche verging wie im Flug, Andreas verließ mit uns das Haus und fuhr auf seine zweitägige Fortbildung, die Kinder fuhren mit dem Bus zur Schule und ich zur Arbeit. Meine Mutter wusste bereits, dass wir sie heute besuchen wollten und hatte jede Menge Vorbereitungen getroffen. Wie Omas halt sind, war meine Erklärung für ihre übertriebene Kocherei. Was würde ich für eine zukünftige Oma abgeben, bei dem Gedanken musste ich lachen. Würde ich dann immer noch Rockmusik hören und über mein nächstes Tattoo nachdenken? In der Arbeit angekommen, löste ich nach kurzer Übergabe den Frühdienst ab. Ich arbeitete vormittags von Montag bis Freitag an der Rezeption in einem Fünf-Sterne- Hotel. Die Arbeit mit den vielen unterschiedlichen Gästen machte mir Spaß. Freitag war immer mehr zu tun, da wir viele An- und Abreisen hatten. Der Vormittag verging daher schnell und ich konnte es nicht erwarten, mit den Kindern loszufahren. Da klingelte das Telefon und ich sah die Nummer meines Chefs aufblinken, was will denn der jetzt wieder? Ich nahm den Hörer ab und sagte so höflich und fröhlich wie ich konnte. „Guten Tag, Herr Schmidt, Lea Müller am Apparat, was kann ich für Sie tun?“ „Frau Müller, wollte Ihnen mitteilen, dass sie dieses Wochenende für Denise einspringen müssen, sie hat sich eben krank gemeldet“, befahl er im Kommandoton. „ Aber....“, setzte ich zum Protest an, da war die Leitung bereits unterbrochen und das Gespräch bereits beendet. So ein Kotzbrocken dieser Schmidt, dem könnte man glatt den Hals umdrehen und Denise gleich mit, dauernd muss ich für sie im Frühdienst einspringen. Mir blieb nichts anderes übrig als meine Mutter anzurufen, um sie zu fragen, ob sie die Kinder übers Wochenende behalten konnte. Meine Mutter hatte absolut keine Einwände und so holte ich die Kinder von der Schule und wir fuhren gemeinsam los. Auf dem Hinweg erzählte ich ihnen die kleine Planänderung, was sie super fanden, denn dann konnte ich sie nicht so zeitig ins Bett schicken. Meine Mutter hatte sich wirklich voll ins Zeug gelegt, um uns zu verwöhnen. Sie bekochte uns mit dem Lieblingsessen der Kinder, Lasagne mit frischem Salat. Außerdem hatte sie zum Nachmittagskaffee eine leckere Schokoladentorte gebacken. So gegen fünf verabschiedete ich mich von ihnen und fuhr müde alleine los. Zuhause angekommen erwartete mich Sam schwanzwedelnd am Gartentor, was mir jetzt, wo ich allein hier in der Abgeschiedenheit war, ein Gefühl der Sicherheit gab. Angst hatte ich keine, ich war schon öfter allein zuhause gewesen, aber ein beklemmendes Gefühl blieb. Als ich den Schlüssel der Haustür zur Sicherheit zweimal umdrehte, klingelte mein Handy. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis ich das Ding in meiner riesigen Handtasche fand und atemlos dranging. Andreas ruhige Stimme erklang am anderen Ende der Leitung. „Wo hab ich dich jetzt her gehetzt?“, fragte er neugierig. „Ich bin eben heimgekommen, die Kinder sind bei Oma geblieben, mein Chef hat mir eine Sonderschicht aufgebrummt“, sagte ich schon etwas ruhiger. „Hab mein Handy nicht gleich gefunden. Wie war dein Tag?“, fragte ich weiter. Ich erfuhr in knappen Sätzen, dass es sehr interessant war und dass er jetzt noch mit einigen anderen Schulungsteilnehmern Essen ging. Wir wünschten uns eine gute Nacht und schöne Träume. „Heiße Küsse, bis bald“, dann legte ich auf. Ich beschloss, früher ins Bett zu gehen als sonst und las in meinem Roman noch zwei Kapitel, dann fielen mir erschöpft die Augen zu.

NÄCHTLICHER BESUCHER

Kurze Zeit später wurde ich durch ein lautes Bellen von Sam aus meinem tiefen Schlaf gerissen. Ich lag im Bett und lauschte auf Geräusche, die von draußen hereinkamen. Sollte ich aufstehen und nachsehen, warum er so einen Lärm veranstaltete, fragte ich mich. Da jaulte er plötzlich entsetzlich auf. Mein Magen verkrampfte sich vor Schreck und ich saß stocksteif in meinem Bett. Was sollte das denn, hatte er sich etwa verletzt? Ich schlug die Decke zurück und biss die Zähne zusammen. Was kann schon passiert sein, bestimmt gibt es eine vernünftige Erklärung für sein blödes Gejaule. Mutig und wütend über diese nächtliche Störung schritt ich durchs Zimmer auf den dunklen Flur. Kein Licht machen, schoss es mir durch den Kopf. Langsam und leise atmend schlich ich die Treppe runter. Draußen war kein Laut mehr zu hören und Sam war mucksmäuschenstill, als ob nichts gewesen wäre. Ich stand an die Wand gelehnt vor unserer Haustüre. Vorsichtig blickte ich um die Ecke in die helle Nacht hinaus. Was ich jetzt im fahlen Mondlicht erkannte, konnte ich nicht fassen. Da stand lässig grinsend meine Konzertbegegnung. So wunderschön und engelsgleich wie bei unserem ersten Aufeinandertreffen. Er war gekommen und meine Erinnerung kam schlagartig zurück. Seine letzten Worte, nach dem unverschämten Kuss: ich komme wieder. Alles nur Einbildung, ruhig atmen, ermahnte ich mich. Ich hatte mich von der Tür abgewandt und wollte wieder zurück in mein Bett gehen, da hörte ich seine wohlklingende Stimme in meinem Kopf: „Hallo Lea, darf ich reinkommen“? Ich blieb wie angewurzelt stehen, aber wie beim Konzert, versagte mein Verstand und mein Körper bewegte sich selbstständig Richtung Tür und sperrte diese auf. Er glitt graziös herein und sah mir dabei tief in die Augen. „Es tut mir leid, dass ich dich und deinen Hund erschreckt habe, aber dein Hund mag mich nicht“, stellte er fest. „Ähm, hallo, komm doch rein“, war meine blöde verdatterte Antwort. Ich konnte in der Gegenwart dieses Mannes nicht richtig sprechen oder denken, geschweige denn sonst etwas. Ich führte ihn in unser gemütliches Wohnzimmer und drückte im Vorbeigehen auf den Lichtschalter. Ich ließ mich auf das Sofa nieder, bevor ich das Gleichgewicht verlieren würde. Er bewegte sich mit einer solchen Eleganz im Raum hin und her, dass ich mir in meinem ausgewaschenen Schlafanzug und den verstrubbelten Haaren richtig scheußlich vorkam. Er hingegen war fabelhaft gekleidet, wie ein Model aus einer Zeitschrift. Er trug eine schwarze enge Hose und ein weißes Hemd, das am Kragen eher offen war. Eine schwarze, eng geschnittene Lederjacke machte sein Outfit perfekt. Seine Haare waren im Nacken zu einem Zopf gebunden, was sein makelloses kantiges Gesicht noch besser aussehen ließ. Seine blauen Augen strahlten mich an. „Schön hast du es hier, gefällt mir“, er grinste mich an. In meinem Kopf drehte sich alles. „Was machst du hier?“, fragte ich mit fester Stimme. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich wieder komme“, antwortete er ernst. „Nicht leicht, dich hier allein zu treffen, ich hatte großes Glück, dass dein Chef so leicht zu manipulieren war.“ „Wer bist du und was willst du von mir?“, er machte mir trotz seiner wunderschönen Erscheinung Angst. „Ich wollte dich besuchen und dich einladen.“ Ich riss mich zusammen und sagte gereizt: „Ich höre Magnus“. Ich hatte seinen Namen nicht vergessen, also wenn er schon meinen benutzte, dann konnte ich das auch. „Nicht wütend werden, Lea, beruhige dich, ich werde dir bestimmt nichts tun.“ „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte er mit unschuldiger Miene. So schnell wie er neben mir saß, konnte ich nicht ablehnen. „Liebste Lea, hör mir genau zu, ich habe nicht viel Zeit. Du musst mir bitte vertrauen. Kannst du mir vertrauen?“, fragte er mich eindringlich und sein Blick war sanft und voller Liebe. „Ich weiß nicht“, sprudelte es aus meinem Mund, „ich habe so viele Fragen. Als erstes woher kennst du mich?“ „Das, Lea, ist ja die Schwierigkeit, ich kann dir das hier nicht erzählen, sobald du unsere Geschichte kennst, bist du hier nicht mehr sicher. Darum würde ich dich gern zu mir nach Hause einladen. Aber bitte beantworte erst meine Frage, willst du mir vertrauen?“ Gegen jede Vernunft, sagte ich ja. Als Antwort holte er einen Umschlag aus seiner Jacke hervor und reichte ihn mir. Ich nahm ihn entgegen und schaute in seine unergründlichen Augen. „Darin befinden sich zwei Flugtickets nach Schottland. Du wirst nächsten Samstag um 13.30 Uhr fliegen. Ich erwarte dich nach der Landung in Edinburgh. Bitte erlaube mir, dich eine Woche in meiner Villa als Gast begrüßen zu dürfen und dort werde ich dir alles erzählen. Ich werde dir jede Frage beantworten, die in deinem klugen Köpfchen herumschwirrt, ich verspreche es.“ „Aber“, versuchte ich zu protestieren, „warum muss ich nach Schottland fliegen und für wen ist das zweite Ticket? Ich ließ ihn nicht antworten. „Am besten wäre es, du sagst mir auf der Stelle, was ich wissen will und danach verschwindest du wieder.“ „ Ja, so temperamentvoll und direkt wie in alten Zeiten.“ Jetzt reichte es mir aber, ich sprang auf und schrie ihn an, „Du kennst mich überhaupt nicht und ich kenne dich auch nicht, also hör auf so was zu behaupten.“ Woher ich manchmal meinen Mut nahm? Da saß irgendein irrer Perverser auf meinem Sofa und faselt, er kennt mich, und ich schrei ihn an. Er blickte mich traurig an und ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Du vertraust mir doch, schon vergessen. Ich bin nicht irre oder pervers, jedenfalls nicht auf die Weise wie du meinst“, sprach er ruhig weiter. „Ja, ich kann deine Gedanken lesen, weil du mich lässt. Ebenso spüre ich deine große Anspannung und Angst. Zum letzten Mal, Lea, ich werde dir kein Haar krümmen. Das muss dir für den Moment genügen.“ Ich schaute dieses überirdisch schöne Wesen ungläubig an, wenn er wirklich weiß was ich denke, o Himmel, dann weiß er auch wie verdammt gutaussehend und anziehend ich ihn finde. Ein breites Grinsen war jetzt den ernsten Zügen gewichen. „Was für Talente hast du noch außer Gedanken zu lesen, unheimlich gut auszusehen, fantastisch zu riechen und Menschen zu manipulieren?“ „Tief in deinem Innern weißt du bereits, wer ich bin, aber wenn du mir versprichst, nicht zu schreien und nicht ohnmächtig wirst, verrate ich es dir.“ „Ich höre“, mehr brachte ich vor Aufregung nicht hin. Er zögerte und nahm meine Hände in seine, sie waren warm und ein wohliges Kribbeln ging von ihnen aus. Ich schreckte zurück, riss mich aber gleich wieder zusammen. Ich wollte wissen, was er für eine Erklärung hatte. „Lea, wo soll ich bloß anfangen? Ich bin ein uraltes Wesen. Ich bin ein Gefährte der Baobhan-Sith. Meine Sinneswahrnehmungen sind um ein hundertfaches stärker als die eines Menschen. Das heißt, ich rieche, höre und sehe um ein Vielfaches besser als du. Außerdem bin ich unwahrscheinlich stark und schnell. Meine körperlichen Wunden heilen in Sekunden und mein zellulärer Zerfall kam zum Stillstand. Wir altern nicht und sind somit praktisch unsterblich. Ich kann menschliche Nahrung zu mir nehmen, sie sättigt mich aber nicht auf Dauer. Ich nähre mich vom Blut meiner Seelengefährtin und falls ich das nicht erhalte, muss ich gelegentlich auf anderes menschliches oder tierisches Blut zurückgreifen.“ Ich sog laut die Luft ein, ich hatte fast zu atmen vergessen. Das war unglaublich. „Das ist ja ekelhaft“, mich schüttelte es bei diesem Gedanken. „Du bist ein abstoßendes Monster“, fauchte ich ihn an. „Weißt du, Kleines, wir müssen keine Menschen töten, falls dich das beruhigt. Es ist unglaublich, aber wir haben mehr Blut als wir brauchen. Das reicht für alle Baobhan-Sith auf diesem Planeten. Vor ungefähr zwanzig Jahren haben einige von uns Blutbanken gegründet, so kommen wir ohne Mord an unser kostbares Lebenselixier. Wir melken euch, so wie ihr die Kühe.“ Er verzog seine Lippen wieder in dieses verlockende Grinsen. „Uns, du hast uns gesagt, gibt es denn mehr von euch?“, wollte ich wissen. Ich fand das bizarr, mich machte die Sache auf einmal neugierig. „Es gibt schon ein paar, aber wir sind nicht die Bösen“. „Musst du die Sonne meiden?“, fragte ich als nächstes. Er lachte, „Nein, die Sonne macht uns nichts aus. Obwohl mir persönlich die Nächte lieber sind, sie sind ruhiger, weil viele Menschen schlafen. Weißt du, die vielen Gerüche, Gedanken und Gefühle von euch sind oft sehr anstrengend. Wir können zwar alles ausblenden, wenn wir wollen, aber das kostet uns Kraft. Deshalb leben wir zurückgezogen und abgeschieden. Fast wie du mit deiner Familie hier in diesem Haus. Der Volksmund würde uns als Vampire bezeichnen, wegen der Blutgeschichte, obwohl das der falsche Ausdruck ist, wir sind Baobhan-Sith.“ Als er das sagte, sprang ich auf und machte mich von ihm los. Was machte ich hier bloß, ich sitze mit einem „Vampir“ auf meinem Sofa und überlege, ob ich ihn in Schottland besuchen komme. Er nickte und lachte laut auf. Alles klar, er konnte ja meine Gedanken lesen. „Ich will nicht, dass du meine Gedanken liest“, sagte ich barsch. „Dann lass es nicht zu, es ist ganz einfach, konzentrier dich.“ „Es ist wie bei einer Tür, abschließen und zusätzlich einen Riegel vorschieben.“ „Das kann ich nicht.“ „Du wirst es bald lernen, sonst kommst du dir in unserer Gegenwart ziemlich nackt vor.“ konterte er lächelnd. „Oh, wie witzig du doch bist. Jetzt nochmal langsam, ich steige nächsten Samstag in ein Flugzeug, um Vampire oder Baobhan-irgendwas zu besuchen. Wie stellst du dir das bloß vor, was sage ich meinem Chef, wenn ich von heute auf morgen eine Woche verschwinde? Und wer soll sich um Andreas und die Kinder kümmern? Die kann ich unmöglich allein lassen, nein, das kommt nicht in Frage.“ „Das ist alles bereits erledigt, du hast ab Freitag zwei Wochen Urlaub, deine Mutter kümmert sich um die Kinder und Andreas erzählst du, du müsstest deine liebeskranke Schwester wegen irgendeiner ungeklärten Affäre nach Schottland begleiten. Sie hat dich übrigens eingeladen.“ Er winkte mit den Flugtickets. „Du solltest sie die nächsten Tage einweihen, damit sie nichts verrät und Andreas nicht misstrauisch wird. Du wirst übrigens allein fliegen. Dort am Flughafen angekommen werde ich dich persönlich abholen. Bitte vertrau mir, du bist in Gefahr und du musst schnellstens deine Vergangenheit kennenlernen.“ Er blickte mich sorgenvoll an und fügte hinzu, „So bist du in der Lage, auf alle deine Fragen eine Antwort zu finden.“ Er erhob sich völlig lautlos von der Couch und machte Anstalten, sich zu verabschieden. „Es ist an der Zeit, dass ich verschwinde, wie du so schön sagst.“ „Nein, bitte noch nicht. Eine Frage musst du mir noch beantworten“, flehte ich ihn an. „Warum ausgerechnet ich, es waren tausend junge Frauen auf diesem Konzert und was weißt du über meine Schwester?“ „Das sind bereits zwei Fragen, aber ich will ehrlich zu dir sein, obwohl die Zeit drängt.“ Schmerzerfüllt traf mich sein Blick als er anfing, die eben gestellte Frage zu beantworten und krampfhaft nach den passenden Worten suchte. „Wie soll ich dir das erklären, genügt es dir fürs erste, wenn ich dir sage, dass ich seit 350 Jahren auf dich gewartet habe? Es war ein glücklicher Zufall, dass du auf diesem Konzert aus heiterem Himmel aufgetaucht bist. Du weißt nicht, wie lange und intensiv ich dich gesucht habe, seit sicher ist, dass du als Mensch wiedergeboren wurdest. Ach Lea, wie gerne würde ich dich in meine Arme schließen und küssen. Meine Selbstbeherrschung ist fast dahin.“ Er wirkte auf einmal tieftraurig und todernst. Am liebsten hätte ich ihn auf der Stelle in meine Arme geschlossen und getröstet. Einerseits fühlte ich mich bereits vom ersten Augenblick von ihm magisch angezogen, andererseits ekelte mich die ganze Geschichte so an, dass mir im Moment die Worte fehlten. Er wusste sowieso über mein Gefühlschaos Bescheid, da er in meinen Gedanken lesen konnte wie in einem Buch, was das Ganze noch unangenehmer machte. „Ok, ich werde nach Edinburgh fliegen, aber meine Schwester kommt mit. Da du im Manipulieren so großartig bist, dürfte das für dich kein Problem darstellen.“ Diesmal schien er verblüfft zu sein, nickte aber nur. Die Luft zwischen uns knisterte förmlich. Mein Widerstand gegen ihn löste sich in Luft auf und ehe ich mich versah, lag ich in seinen starken Armen und wir küssten uns heftig. Der intensive Kuss schien eine Ewigkeit zu dauern und jagte mir wohlige Schauer über den Rücken. Mein Unterleib reagierte verräterisch auf seine Zunge. Er war mir nicht fremd, mein Innerstes, meine Seele kannte ihn. Seine Hände fanden den Weg unter mein Oberteil. Sanft strichen sie über meine nackte Haut am Rücken. Die unter seiner Berührung entzückt prickelte. Ruckartig machte er sich von mir los und sah mir tief und lange in die Augen. Ich war wie hypnotisiert und unter Schock. Mein Atem ging heftig. „Bis bald, meine Schöne“, flüsterte er heiser und war verschwunden, bevor ich überhaupt ein Wort des Abschieds über die Lippen bringen konnte. Meine Hand fuhr über meine angeschwollenen Lippen. Sie schmeckten köstlich - nach ihm. Mein Körper bebte erregt. Magnus war über alle Berge.

Ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigte, dass es unmenschlich wäre, jetzt um drei Uhr morgens meine Schwester anzurufen, um ihr die ganze Sache zu erklären. Aber ich war viel zu aufgewühlt, um wieder ins Bett zu gehen. In meinem Kopf ratterten die Gedanken wild umher und an Schlaf war keinesfalls zu denken. Deshalb schnappte ich mir mein Handy und wählte die Nummer meiner Schwester. Es klingelte eine Ewigkeit, bis endlich eine ziemlich verschlafene Stimme am anderen Ende zu hören war. „Hallo“, krächzte Tessa. „Hallo, Tessa, sorry, dass ich dich mitten in der Nacht anrufe, aber ich muss dringend mit dir sprechen. Kann ich vorbeikommen?“ „Wie spät ist es?“ Es raschelte in der Leitung, dann war ein Fluch zu hören: „Ich hab in drei Stunden Dienst, was ist los, ist was passiert?“ „Mach uns Kaffee, ich bin in 20 Minuten bei dir.“ So schnell es ging schlüpfte ich in meine Jeans, zog mir einen Pulli über und eilte aus dem Haus. Die ganze Sache war zu viel für mich, was sollte ich bloß machen, ich habe eben einen wildfremden Mann, ach was, ein wildfremdes Wesen geküsst, ich war im Begriff, ihn zu besuchen und was dann passieren würde, weiß nicht mal Gott. Meine tiefe Verzweiflung und Verwirrung nahm immer mehr zu, ich liebte Andreas von ganzem Herzen und natürlich unsere Kinder. Er kann doch nicht hier auftauchen und mir nichts dir nichts mein Leben auf den Kopf stellen. Ich beeilte mich und fuhr los. Nach endlosen Minuten sah ich das Haus, in dem meine Schwester wohnt. Ich parkte an der Straße. Leise stieg ich aus und lief die letzten Meter zu ihrer Wohnung. Von rechts, hörte ich etwas in den Büschen rascheln, mein Finger drückte den Klingelknopf, schon wieder raschelte es, jetzt fast neben mir. Irgendwie war mir das Geräusch unheimlich. Komm schon, Tessa, mach die Tür auf. Ich versuchte mich zu beruhigen, bestimmt war es nur eine Katze, oder was weiß ich. Es half alles nichts, ich spürte es zu deutlich, ich wurde beobachtet. Dieser Blick aus der Dunkelheit brannte förmlich auf meinem Rücken. „Mach doch die verdammte Tür auf“, murmelte ich vor mich hin. Schließlich ertönte das Summen der Türanlage und ich drückte etwas zu heftig dagegen, stürzte schnell hinein und stemmte mich mit voller Kraft dagegen, um das, was da draußen war, auf keinen Fall hier rein zu lassen. Zwei Stufen auf einmal nehmend lief ich die Treppe hinauf und stand vor meiner Schwester. „Um Gottes Willen, was ist mit dir passiert, du siehst schrecklich aus. Ist der Teufel hinter dir her?“ Ich packte sie am Arm und zog sie in die Wohnung. Im Wohnzimmer angekommen drückte ich sie auf die Couch. „ Bitte stell mir jetzt keine Fragen und hör zu!“ Ich tigerte hin und her und musste völlig durchgedreht aussehen. „Irgendetwas oder irgendjemand war da unten vor deiner Haustür und hat mir einen riesigen Schrecken eingejagt, aber dazu später. Ich hatte eben Besuch und du wirst mir das wahrscheinlich nicht glauben, aber ich habe dich da jetzt mit reingezogen und deshalb muss ich dich einweihen.“

Meine Schwester sah am Ende meiner Berichterstattung genauso bescheuert drein wie ich und starrte mich mit schreckgeweiteten Augen an. „ Du willst ihn besuchen, hab ich recht?“, meinte sie aufgeregt. „Weißt du, ich muss dahin fliegen, erstens, um zu wissen, dass ich nicht durchdrehe und zweitens, bringt er in mir eine Seite zum Klingen, er hat eine tiefe Sehnsucht angestoßen, der ich auf den Grund gehen möchte. Ich weiß, das alles ist so unglaublich und total unrealistisch, das es nicht wahr sein kann. Vampire, Gedanken lesen, als Mensch wieder geboren, was soll das alles bedeuten. Ich bitte dich komm mit und falls ich mir das alles nur eingebildet habe, bringst du mich in die Psychiatrie. Ist das klar?“, erwiderte ich schmunzelnd, obwohl mir bei diesem schrecklichen Scherz das Lachen besser vergehen sollte. Vielleicht war ich wirklich krank, es könnte ein Burn-out sein, das konnte doch vorkommen. Tessa richtete sich auf und kam auf mich zu, sie schlang ihre Arme um mich und drückte mich fest. Ich war völlig fertig und sackte zusammen, heiße Tränen rannen über mein Gesicht. „Schsch, ist ja gut, meine Große, alles wird gut. Wir klären das auf, falls du die Tickets selbst gekauft hast, müsste dein Kontostand sich verschmälert haben und wenn er dir die Tickets wirklich geschenkt hat, dann machen wir eben eine Woche Urlaub und besuchen deinen Gönner. Hätte nicht gedacht, dass dieser Irre nochmal auftaucht. Ab morgen hab ich sowieso Urlaub und da machen wir uns eine schöne Zeit. Ich erzähl Andreas, dass ich dich eingeladen habe und er nicht nein sagen kann. Die Kinder bekommen Besuch von Oma, das wird ihr gefallen, sie ist sowieso viel zu oft allein.“ Langsam beruhigte ich mich und nickte zu Tessas Worten. Ihre Erläuterung war einleuchtend und eine andere Wahl blieb mir nicht. Ich musste Magnus besuchen. Wir besprachen noch weitere Details unserer bevorstehenden Reise ins Ungewisse und legten uns eine Geschichte zurecht, die wir den anderen erzählen würden. Es war mir zuwider, Lügen zu erfinden, aber in dieser Situation war es für alle Beteiligten das Beste. Als Tessas Wecker klingelte, verabschiedete ich mich von ihr und eilte nach Hause. Ich war hundemüde und musste dringend unter die Dusche, bevor meine Schicht anfing. „Ohh“, kam es ärgerlich über meine Lippen, das versaute Wochenende ging auf Magnus Konto, er hatte ja meinen Chef manipuliert.

REISE IN DIE VERGANGENHEIT

Natürlich war Andreas überhaupt nicht begeistert und redete die ganze Woche fast kein Wort mit mir. Er war schon irgendwie eigenartig gewesen, als er von seiner Schulung zurückgekommen war. Aber was mich mehr beunruhigte war, dass er jeden Abend Überstunden machte und völlig erschöpft nach Hause kam. Ich konnte ihm keineswegs böse sein und war froh, dass er mich ziemlich in Ruhe ließ, so dass meine schlechte Lügerei keinem auffiel. Ich hasste es, zu lügen. Meine Mutter und die Kinder freuten sich auf ihre gemeinsame Zeit und eine Woche war viel zu kurz für alle ihre Pläne. Mein Schwesterherz rief mich jeden Tag fünfmal an und fragte mich, was sie denn einpacken sollte, wie dort das Wetter sei und anderen so unwichtigen Kram. Die Tage schlichen dahin, aber niemand konnte die Zeit aufhalten. Irgendetwas Unerklärliches war in Gang gesetzt worden, ich konnte es spüren. Ich fühlte, dass etwas Schreckliches geschehen würde und schob es auf die bevorstehende Reise. Am Ende war der verfluchte Tag schneller gekommen als ich es mir gewünscht hatte. Wir saßen bereits im vollbesetzten Flugzeug nach Edinburgh, dort erwartete uns nach Ansage des Piloten Regen und kalter Wind. Von meinem unsterblichen Verehrer hatte ich bis dato kein Lebenszeichen mehr vernommen. Einerseits flehte ich, er möge nicht aufkreuzen, andererseits musste ich mir dann über meine psychische Gesundheit wirklich Sorgen machen. Zum Zeitvertreib übte ich verzweifelt, meine Gedanken abzuschirmen, wobei ich natürlich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich das überhaupt anstellen sollte. Ich wollte es Tessa ebenfalls erklären, aber die hörte mir nicht zu. So ganz, vermutete ich, kaufte sie mir meine unglaubliche Geschichte sowieso nicht ab, aber vielleicht war das auch gut so, beruhigte ich mich. Einer von uns sollte schließlich im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte sein. Schon während der Landung, fing mein Herz in meiner Brust wie verrückt zu schlagen an, ich konnte bereits im Flieger Magnus Anwesenheit spüren, es war als wäre ich elektrisiert. Ein Summen und ein mir unbekanntes Vibrieren erfüllten meinen gesamten Körper. „Geht’s dir gut, du bist ganz grün im Gesicht?“, fragte Tessa mit besorgtem Blick. „Er ist hier, ich kann ihn fühlen“, war alles, was ich zitternd herausbrachte. Als wir unsere Koffer hatten und Richtung Ausgang stöckelten, stand mein schöner Unbekannter bereits spitzbübisch grinsend im Ausgangsbereich und erfüllte diesen mit seiner mysteriösen Präsenz. Tessa geriet leicht ins Stolpern, als ich ihr zu raunte, „Scheiße, da steht er, ich bin nicht verrückt.“ Er hatte eine betörende Wirkung auf jedes weibliche Wesen hier am Flughafen. Jede Frau im näheren Umkreis, starrte ihn unverblümt an. „Hallo, meine Damen, schön euch zu sehen, wie war der Flug?“, erkundigte er sich zur Begrüßung. „Hallo, war in Ordnung, darf ich vorstellen, meine Schwester Tessa“, erwiderte ich schnippisch. Die ganze Sache brachte mich so aus der Fassung, dass meine Nerven mehr als gereizt waren, mein Körper stand wie unter Strom und meine Gedanken schlugen Purzelbäume. „Herzlich willkommen, Tessa, wir haben uns bereits auf dem Konzert gesehen. Ich heiße Magnus und freue mich, dich kennenzulernen. Draußen wartet unser Wagen, darf ich bitten.“ Er war so verdammt charmant und höflich, dass ich ihm am liebsten vors Schienbein getreten hätte. Warum machte er mich so wütend? Tessa war völlig von der Rolle und schnatterte wild drauf los. Sie bedankte sich für die großzügige Einladung und so weiter und so fort. Er nahm unsere Koffer, als wären es Kosmetiktäschchen und schlenderte zielstrebig zum Ausgang. Wir hinter ihm her. Draußen parkte ein riesiger schwarzer Geländewagen mit getönten Scheiben. Ich hatte noch nie so ein monströses Gefährt gesehen. Ein rothaariger, ebenfalls verdammt gutaussehender Typ mit Sonnenbrille öffnete bereits für uns die Türen. „Darf ich vorstellen, das ist mein bester Freund Caleb. Caleb, Tessa und Lea.“ Caleb machte eine lässige Verbeugung in unsere Richtung und begrüßte uns. Meine Schwester starrte den Kerl mit einem schmachtenden Blick an, der richtiggehend peinlich war, sie hatte ausgerechnet eine Schwäche für rothaarige Männer. Wenn seine Augen jetzt noch smaragdgrün sind, dann heiratet sie mir diesen Kerl auf der Stelle, dachte ich zerknirscht. Magnus suchte dauernd meinen Blick und grinste mich herausfordernd an. „Dein Gedankenschutz klappt schon hervorragend“, meinte er an mich gewandt. „Ja, wenn du das sagst. Wohin bringt ihr uns jetzt? Direkt in die Unterwelt?“, war meine gereizte Antwort. „Lea, sei nicht so unhöflich zu unserem Gastgeber! Wir sind hier zu Besuch“, ermahnte mich Tessa. Lachend meinte Magnus: „Hör auf deine Schwester, Schatz.“ Ich überhörte die Anrede von wegen Schatz. „Wie kannst du bloß zu denen halten?“, schnauzte ich meine Schwester an. Als wir die Plätze verteilten, bot Tessa, die Verräterin, sich natürlich als Beifahrerin neben diesem Caleb an. Der freute sich ersichtlich über ihre zugewandte Aufmerksamkeit. Verdammt, er passte genau in Tessas Beuteschema. Magnus setzte sich zu mir auf den Rücksitz, näher als mir lieb war, da er in mir solch ein feuriges Verlangen auslöste, dass mir ganz schwindlig wurde. Seit ich im Flieger mit jeder Faser meines Körpers seine Energie gespürt hatte, war es jetzt, wo er direkt bei mir war, schier unerträglich für mich geworden, still zu sitzen. Ich wollte ihn berühren und weiß der Himmel was sonst noch alles. Dieses Gefühl der Lust, das er in mir auslöste, machte mich so schrecklich wütend. „Uns steht eine dreistündige Fahrt bevor, also entspann dich ein bisschen“, beschwichtigte er mich. Mir war wohl bewusst, dass er seine Wirkung auf mich und meine immer stärker werdende Erregung wahrnahm. Es war, als hätte jemand ein Feuer, ach was, einen Waldbrand in meinem Innern entfacht. „Wollen die Damen einen Schluck trinken?“ Er öffnete einen Kühlschrank und bot uns Wasser, verschiedene Säfte, Champagner, oder Hochprozentiges an. Ich wendete den Blick ab und lehnte das Angebot ab. Tessa verlangte nach Champagner, sie war in Feierlaune und hatte Urlaub. Na toll! Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass es an der Zeit war, mich zuhause zu melden. In meiner Tasche kramte ich nach meinem Handy und merkte erst jetzt, wie stark meine Hände zitterten. Was sollte ich gegen dieses Gefühlchaos unternehmen, meine Wut und fehlende Beherrschung war nicht besonders hilfreich. Ich fand mein Handy und hielt mich daran fest. Vielleicht sollte ich mir ebenfalls einen Drink genehmigen? Da hielt mir Magnus bereits ein Glas Champagner entgegen. „Hier, nimm einen Schluck!“, soviel zu meiner hervorragenden Gedankenkontrolle. „Unser Anwesen hier in Schottland liegt in der Nähe von Inverness, es wird euch gefallen“, hörte ich Caleb zu Tessa sagen. Mit meiner zitternden Hand schob ich das mir angebotene Glas beiseite. „Nein danke, ich brauch einen starken Kaffee und muss dringend telefonieren.“ „Caleb, würdest du bitte bei nächster Gelegenheit anhalten, damit Lea ihre Wünsche erfüllt bekommt?“ „Geht klar, in zwei Kilometern kommt eine Tankstelle“, erwiderte er. „Du erfüllst mir meine Wünsche?“, fragte ich belustigt an Magnus gewandt. „Bist du vielleicht die gute Fee?“, blaffte ich ihn an. „Ich würde dir jeden Wunsch erfüllen, du müsstest mir nur die Gelegenheit dazu geben.“ „Weißt du, Magnus, ich will ehrlich zu dir sein, die letzte Woche war eine Katastrophe, ich bin ziemlich erschöpft und müde.“ Ich war wirklich am Ende meiner Kraft. Magnus nahm meine zitternde Hand in seine und drückte sie leicht. Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper und mein Herzschlag beruhigte sich, das Zittern meiner Hände hörte schlagartig auf. „Was machst du da?“ Er ging nicht auf meine Frage ein und zog mich näher zu sich heran. Es fühlte sich fantastisch an, so nah bei ihm zu sein. Seine Energie vermischte sich mit meiner und ein wohliges Gefühl machte sich in mir breit. Ich hatte mich noch nie so gut gefühlt wie in diesem Moment. Er war mir so unendlich vertraut. „Erzähl mir, was dich beunruhigt hat.“ „Es war eigenartig, wahrscheinlich hab ich mir das nur eingebildet, aber in der Nacht, als du mich besucht hast, wurde ich verfolgt. Die ganze Woche über fühlte ich mich beobachtet. Irgendetwas war da. Andreas war auch so seltsam, so unnahbar, mal abgesehen davon, dass er sauer war, war er nicht wie sonst. Er hat sich nicht mal verabschiedet.“ Diese Erkenntnis machte mich plötzlich sehr traurig. Magnus drückte mich an seine Schulter und legte sein Kinn auf meinen Kopf. Es fühlte sich so verdammt richtig an, in seinen Armen zu liegen. Er schien nachzudenken und ich fühlte, wie sich seine Muskeln anspannten. „Das gefällt mir nicht.“ An Caleb gewandt fragte er. „ Gab es irgendwelche Aktivitäten in der Nähe von Leas Haus, von denen ich nichts weiß?“ Jetzt war er

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Stefanie Gruber
Bildmaterialien: Grafiken von Adobe Stock: Victor, britaseifert, Jenifoto
Cover: Florin Sayer-Gabor - www.100covers4you.com
Satz: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 16.10.2013
ISBN: 978-3-7554-4350-6

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Erinnert aus meiner Seele - geboren für die Welt Für meine Schwester Christina Danksagung: Mein besonderer Dank gilt vor allem meiner Familie, ohne euch und eure Unterstützung hätte ich das nicht geschafft. Danke Uli, mein Seelengefährte und Ehemann. Danke Maximilian für dein anerkennendes Staunen. Danke Emily für dein feuriges Anstacheln. Danke Valentina für die lustigen Spielpausen. Danke Christina für die ständige Inspiration und das Kinderhüten. Danke an alle die mir Mut gemacht haben nicht aufzugeben. Ich danke der "Rotte": Allen voran Claudia, ohne dich würde es dieses Buch nicht geben! Michael, Rudi, Gundula, Angelika, Gabi, Maria, Eva, Ulrike, Doris, Tanja, Karina, Anton. Danke meiner Herzensschwester Julia, dass sie immer ein offenes Ohr und Herz für mich hat. Ich danke allen meinen Leserinnen und Lesern. "Möge euch beim Lesen der Lichtkriegerin, eure Seele Bilder schenken, damit auch Ihr euch erinnert."

Nächste Seite
Seite 1 /