Prolog
Kolinder. Dunkle Geschöpfe der Nacht. Sie sind bößartig und haben kein Herz. Freundschaft, Liebe und Familie kennen sie nicht, nur der Tod anderer befriedigt sie.
Lara war eines dieser Geschöpfe, auch sie dachte nur an sich.
Unsere Geschichte beginnt im 19. Jahrhundert in England.
Es war schon nach Mitternacht und die Straßen in London waren fast leer. Nur einige Obdachlose liefen herum und diese Geschöpfe namens: Kolinder. In jeder Stadtecke lungerten sie herum und warteten auf ihr ganz besonderes Essen. Ihre Lieblingsmahlzeit sind Kinder. Sie müssen zwischen sechs und fünfzehn Jahre alt sein, denn nur dann schmecken sie gut.
Lara stand gerade in der Oxford Street und schaute sich um. In den Häusern war es dunkel und keine gute Seele war noch wach gewesen. Lara ging in die Knie, um gleich darauf wieder hoch zu springen. Nun saß sie auf einem Fensterbrett.
Angst davor, dass Menschen sie sehen konnten, hatte sie nicht. Lara hätte sie einfach getötet, es hätte ihr nichts ausgemacht.
Sie schaute in das dunkle Zimmer und dank ihren gelben Augen konnte sie perfekt sehen.
Ein kleines Mädchen mit roten Zöpfen lag im Bett. Seelenruhig schlief sie.
„Mädchen! Wie ich sie verabscheue.“, murmelte Lara vor sich hin. Sie überkam die Sehnsucht der Mädchenseele, es war das Einzige, was Lara an ihnen noch mochte.
Schnell fuhr sie ihre Krallen aus, um dann leise das Fenster zu öffnen. Lara stieg in das kleine Stübchen und ging näher an das Mädchen heran. Gerade wollte sie ihr die Seele herraussaugen, als sie in das Gesicht des Mädchens blickte.
Sie erschrak und ging einen Schritt nach hinten. Wie konnte das sein? Warum sah das kleine Mädchen im Bett genauso aus, wie Lara?
Erneut ging Lara auf das Mädchen zu und wollte sie verschlingen, doch sie konnte nicht. Irgendetwas in ihrem leblosen Körper hinderte sie daran.
Lara hörte Schritte auf dem Flur und verschwand schnell wieder aus dem Fenster.
Sie lief die Straße entlang. Voller Wut auf sich selbst, ging sie an die Themse und ließ sich reinfallen. Sie schwamm wie eine Irre auf den Grund, um dann zu einem kleinen Häuschen zu laufen.
Sie konnte nicht ersticken, denn sie atmete nicht. Schon lange nicht mehr.
Lara klopfte an die Tür und ein kleiner alter Mann öffnete ihr. „Komm rein Töchterchen.“, bat er sie rein.
Sie setzte sich auf einen kleinen Hocker und fing an zu erzählen: „Gonlin! Warum habe ich heute Abend auf meiner Jagd ein Mädchen gesehen, welches so aus sah wie ich?“
Verzweifelt raufte sie ihre roten Haaren. „Was sagtest du da? Du hast ein Mädchen gesehen, welches so aussah wie du?“, fragte Gonlin ungläubig. Lara nickte.
Schnell rannte Gonlin in seine Besenkammer.
In dieser bewahrte er hunderte, wenn nicht sogar tausende Bücher auf. Ein dickes und verstaubtes Buch, das in Leder gebunden war, holte er herraus.
„Lara. Es kann dafür nur eine Erklärung geben.“ „Und die lautet?“,fragte sie ungeduldig.
„Du bist die Auserwählte zur erlösenden Rache.“ „Auserwählte zur erlösenden Rache?“
Sie verstand nicht was er ihr mitteilen wollte.
Er schlug das alte Buch auf und blätterte hastig in diesem.
„Hier… Wenn ein Kolinder einem Menschen begegnet, welcher das gleiche Gesicht trägt, so befindet er sich in einem seltenen Zustand. Er hat das Glück der Auserwählte zur erlösenen Rache zu sein.“
Lara verstand immer noch nicht. „Und was bedeuten diese Worte?“ Gonlin kratzte sich an der Stirn und sagte dann: „Ich weiß es auch nicht.“ „Na toll. Danke für die Hilfe.“
Mit diesen Worten verschwand Lara aus dem Häuschen und schwamm zurück an die Wasseroberfläche.
Schnell schaute sie, ob auch ja niemand zu sehen war, dann ging sie an Land. Ihr Bauch grummelte. Sie schaute herab und bemerkte, dass sie immer noch nichts gegessen hatte. Ihre Kleidung hatte keinen Tropfen Wasser aufgenommen und daher konnte sie ruhig durch die Straßen Londons schlendern.
Es war schon fast zwei Uhr in der Nacht gewesen, bis Lara endlich ein Fressen gefunden hatte.
Ein Junge schlief im ersten Stock eines kleinen Häuschens. Er musste so etwa zehn Jahre gewesen sein.
Sie ging hinein und beugte sich über ihn. Dann ging sie an sein Ohr und saugte heftig daran. Der Junge riss die Augen auf, doch da Lara ihm ihre Hand auf den Mund gedrückt hatte, konnte er keinen Schrei ausüben. Unerträgliche Schmerzen durchfuhren den kleinen Jungen. Lara wusste wie es sich anfühlte, wenn man die Seele rausgesaugt bekam. Sie wollte allen das gleiche Leid zufügen, welches sie ertragen musste. Wenn es nach ihr ginge, durfte kein Kind mehr leben, da auch ihr Leben vor hunderten von Jahren geraubt wurde.
Nein… Bei ihr war es noch schlimmer. Sie bekam nur die halbe Seele rausgesaugt und musste nun für alle Zeit als Dämon auf der Erde rumspuken.
Nach wenigen Sekunden war Lara fertig und ließ ihn vollendsbefriedigt auf sein Bett fallen. Sie wusste es würde niemand erfahren, dass er ermordet wurde. Alle würden denken, dass er einfach einen Herzstillstand hatte.
Lara schlich wieder aus dem Haus und entdeckte auf der Straße einen Jungen in ihrem Alter. Er ging auf sie zu und ehe sie wegrennen konnte, hatte er schon ihr Handgelenk umfasst.
„Du bist Lara, richtig?“, fragte er. Sie nickte, doch wagte es nicht ihm zu antworten.
Ein Gefühl überkam sie, welches sie schon lange nicht mehr hatte. Lara wusste nicht weshalb, aber aus irgendeinem Grund machte ihr der Junge Angst.
„Endlich habe ich dich gefunden. Mein Name ist Dongho und ich bin weit gereist, um dich zu finden. Es gibt etwas, was nur alle paar Jahrhunderte passiert. Man nennt es die erlösende Rache.“
„Weißt du etwa, was das ist?“, platzte es neugierig aus ihr heraus.
Ein kleines und schlichtes Lächeln fuhr über sein Gesicht. „Also hast du schonmal davon gehört?“ „Ja… Gerade eben… Aber was genau ist das?“ „Ich erkläre es dir, bin aber nicht sicher, ob du es verstehen wirst. Es begann ungefähr vor drei Jahrtausenden. Ein Kolinder in deinem Alter bekam einen Jungen zu Gesicht, welcher genauso aussah wie er.
Jede Nacht saß der Kolinder am Fenster des Jungen und bewachte ihn.
Eines Nachts sah er einen anderen Kolinder, welcher ihm bekannt vorkam.
Nun wusste er, was ablief. Der Kolinder hatte die Chance seinem dämonischen Leben zu entkommen und vollends zu sterben.
Doch dies geling nur, wenn er den anderen Kolinder besiegen konnte.
Er hatte es geschafft und wurde befreit.“
Lara kratzte sich nachdenklich an der Stirn. „Und das heißt jetzt, dass wenn ich dieses Mädchen rette, ich dann erlöst werde und meinen Frieden im Himmel finde?“
„Genau Lara. Denn dieses Mädchen bist du. Heute Abend wolltest du dich selbst angreifen. Es passiert wirklich nicht vielen, aber du hast das Glück, eine derjenigen zu sein, die sich ihr Leben aussuchen dürfen.“
Ein Gefühl von Glück durchzog ihren ganzen Körper. Sie hatte wirklich die Chance ihrem Dasein ein Ende zu setzen.
„Was muss ich tun?“, fragte sie. „Ganz einfach. Setze dich jede Nacht an das Fenster des Mädchens, also dir. Warte ab, bis der Kolinder kommt, welcher dir dein Leben genommen hatte. Du hast die einmalige Chance ihm ein Ende zu setzen und gleichzeitig dich zu erlösen.“ „Gut. Aber noch eine Frage habe ich…“ Sie zögerte einen Moment, doch beschloss dann danach zu fragen. „Woher weißt du das alles? Ich kann spüren, dass du kein Kolinder bist.“
Er lachte erneut auf. „Ganz Recht. Ich bin ein ganz normaler Mensch. Ich studiere Kolinderologie. Es gibt nur wenige, die das dürfen und überhaupt davon wissen, doch da meine Eltern beide zu Kolindern wurden, durfte ich studieren.“ „Das heißt ich könnte jetzt, nachdem du mir das alles gesagt hast, dich einfach töten?“
Wieder ein Lachen von Dongho. „Ja… Es würde dir nur nichts bringen, da ich bestens ausgebildet bin und kinderleicht mit dir fertig werden würde.“
Nun musste auch Lara grinsen. Als sie merkte, was sie tat, musste sie an ihre Kindheit denken.
Wie schön hatte sie es doch. Sie hatte zwei Eltern, welche sie überalles liebten und einen kleinen knuffigen Hasen. Sie waren auch nicht arm und somit konnten Laras Wünsche fast immer erfüllt werden. Wut stieg in ihr auf, sie war entschlossen Rache zu nehmen. Auf einmal taten ihr auch die Kinder leid, welche sie auf ihrem Gewissen hatte. Wie konnte sie all diese unschuldigen Menschenkinder nur töten? Wie konnte sie an den falschen Personen Rache nehmen?
„Ich gehe nun wieder. Es wird nicht lange dauern, bis er kommt. Spätestens nach drei Sonnenuntergängen müsste er kommen. Viel Glück, Lara.“, unterbrach Dongho ihre Gedanken. „Dankeschön.“, sagte sie.
Dongho verschwand und Lara stand allein auf der dunklen Straße. Sie lief zurück zu dem Haus, in dem das Mädchen wohnte.
Doch sie ging nicht an das Fenster der Kleinen, sondern an das der Eltern. Und tatsächlich. Sie konnte ihren Augen nicht trauen. Es waren wirklich ihre Eltern gewesen. Eine Träne rollte über ihre Wange, eine zweite und dritte. Sie sackte zu Boden und fing nach Jahrzehnten jämmerlich an zu weinen. Laute Seufzer gab sie von sich und ein Meer aus Tränen bildete sich unter ihren Knien.
Auch die nächsten zwei Nächte verbrachte sie vor dem Haus.
Lara hungerte bis dahin und auch ihre Kräfte ließen spürbar nach.
Dann plötzlich hörte sie eine vertraute Stimme in ihrem Kopf: „Iss etwas… Geh in das Haus gegenüber und bereite dem kranken Jungen ein Ende. Du wirst die Kraft brauchen und der Junge wird endlich erlöst, so wie du es dir wünschst.“
Es war Dongho und sie fragte sich, wie er das nur anstellte, denn nirgends war er zusehen.
Lara tat wie ihr gehießen und kletterte in das Haus gegenüber. Es ging alles ganz schnell und als sie zurück zum Haus ging, kam auch schon ihr Mörder. Sie erkannte ihn gut und pure Wut stieg in ihr auf. Nicht wie damals Angst, nein… Einfach nur Wut.
Von hinten rannte sie auf ihn zu und biss ihm in den Hals. Er schrie auf und fiel auf die Knie. Er schleuderte Lara weg, welche unglücklich auf einem Stein aufkam. Ein Schmerz durchdrang sie, jedoch ließ dieser, zum Glück, schnell wieder nach.
„Du Göre!“, schrie er und drehte sich um.
Nun zeigte sich ein schadenfrohes Lächeln auf seinem Gesicht. „Nanu… Dich kenne ich doch. Hast du doch wieder zu mir gefunden? Wie ist das Leben als Kolinder? Faszinierend, nicht?“
Lara überlegte nicht lange und schrie: „Nein, sondern gleich vorbei!“
Erneut griff sie an und packte ihn diesmal am Ohr. Sie zog heftig und man merkte, wie ihm Stück für Stück der Garaus gemacht wurde.
Zum Schluss fiel er leblos auf den Boden und löste sich in Luft auf.
Dann war Lara an der Reihe.
Ein letztes Mal schaute sie mit Tränen in den Augen zu ihren Eltern und zu sich selbst.
Sie war Gott dankbar, dass sie nun erlöst wurde.
Ein letztes Mal hörte sie Donghos Stimme: „Super, Lara. Du hast es geschafft. Ich hoffe, du bist nun glücklich.“ Da niemand zu sehen war, antwortete sie einfach in den Himmel rein: „Ja… Ich bin glücklich.“
Das war das Letzte, was man von Lara gehört hatte.
-----------
„Dongho, kommst du?“
„Ja. Schau mal, ich bin gerade mit meinem Examschreiben fertig geworden.“
„Wow Junge… Da hast du dir ja Mühe gegeben…Aha, das ist diese Lara, von der du immer gesprochen hattest?“
„Ja… Ich kannte sie kein Stück, aber ich weiß, dass sie nun glücklich ist…“
Texte: Cover habe ich erstellt und die Rechte am Text liegen alle bei mir...
Viel Spaß :)
Tag der Veröffentlichung: 17.09.2011
Alle Rechte vorbehalten