Vor langer, langer Zeit, lebte einst ein König. Aber es war kein weiser und gerechter König, der sein Volk gut und fair regierte, es war ein habgieriger und gemeiner König. Er war reich, besaß alles und aß nur von den besten Speisen. Doch das war ihm immer noch nicht genug. Der König wollte immer mehr und so fuhr er mit seiner prachtvollen Kutsche Tag für Tag in die Stadt, um nach Dingen Ausschau zu halten, die sein Gefallen erweckten. Diese nahm er einfach an sich, denn er war der König, er konnte tun und lassen was er wollte. Die Menschen fürchteten sich vor ihm und hatten Angst, das der König ihnen das wegnahm, was sie zum Überleben brauchten.
So kam es, dass ein alter Bauer nun gar nichts mehr besaß. Seine Frau und seine Kinder waren gestorben und er lebte alleine in einer bescheidenen Hütte. Als der König eines Tages wieder einmal mit seiner prachtvollen Kutsche durch die Straßen fuhr, überlegte sich der Bauer eine List, wie er dem grausamen König eine Lehre erteilen konnte.
Denn eines muss man wissen: So habgierig und grausam der König auch war, so dumm war er. Schon als Kind hatte er seine Lehrer und Schulmeister in die Kerker geworfen. Er hatte nicht lernen wollen und da er über jedermann gebieten konnte, hatte er leichter Hand die Menschen hinter Gitter gebracht, welche ihn zu unterrichten hatten. So war der König Zeit seines Lebens dumm und unwissend geblieben. Ein erwachsener Mann, mit der Intelligenz eines kleinen Kindes.
Diese Unwissenheit machte sich der Bauer zu Nutze und schmiedete seinen Plan. Als dieser vollendet war und der König mit seiner Kutsche die Hütte des Bauern passierte, fing er heftig zu lachen an. Sein Lachen hatte die gewünschte Wirkung nicht verfehlt. Der König war darauf aufmerksam geworden und war aus seiner Kutsche ausgestiegen. Er wollte wissen was den alten Mann so erheiterte.
„Warum lacht Er, alter Mann?“, fragte der dickliche König, in seiner schönen Garderobe. Er war es gewohnt, ihm untertänigen Pöbel niemals direkt anzusprechen.
„Ich lache, weil ich trauere, mein König.“, antwortete ihm der Bauer.
„Er lacht, weil Er trauert?“, fragte der König empört „Wie soll das gehen und über was trauert Er?“
„Ich trauere über Euch, mein König.“
Der König war sichtlich überrascht, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen.
„Wieso sollte Er über mich trauern?“, fragte der König hochnäsig.
„Nun, mein König, es ist so“, versuchte der Bauer zu erklären „Ihr besitzt alles, habt aber doch gar nichts.“
Das verstand der König nicht. Er war immer stolz gewesen alles zu besitzen. Dinge von denen andere nicht einmal zu träumen wagten und dieser alte Mann meinte, er habe nichts? Von was konnte dieser Mann sprechen von dem er noch nicht besaß? Der König war neugierig geworden, dennoch wollte er sich seine Neugier nicht anmerken lassen. Anstelle dessen fragte er weiter:
„Was meint Er damit?“
„Ich werde es Euch zeigen, mein König. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt.“
Der König war hoch erfreut. Jetzt würde er wieder etwas Neues bekommen. Sobald der Bauer es ihm zeigte, würde er es ihm wegnehmen.
Der Bauer hatte den König in seine Stube geführt und ihm Platz angeboten. Er selbst ging in den Keller und holte eine Kartoffel. Diese legte er dem König auf den Tisch. Der König sah den Bauern sichtlich verwirrt an.
„Was soll das, alter Mann? Denkt Er, ich hätte noch nie eine Kartoffel gesehen?“ der König war so erbost über diese Anmaßung, dass er seine hinterhältige Zurückhaltung ganz vergaß.
„Das will ich nicht bestreiten“, entgegnete ihm der Bauer „jeder weiß um eure Intelligenz Bescheid. Ich möchte auf etwas ganz anderes hinaus.“
Der König war über das Lob seiner Intelligenz erfreut und so setzte er das Gespräch fort:
„Dann erkläre Er sich, alter Mann.“
„Nun, mein König. Ihr nehmt die besten Speisen zu euch. Das zarteste Lamm, die reifsten Früchte, den edelsten Honig und doch sage ich Euch, dass mir diese Kartoffel besser schmeckt, als Euch Euer Kaviar.“
„Wie kann Ihm diese Kartoffel besser schmecken als mir?“, fragte der König empört „Sie ist nicht gekocht, sie ist nicht geschält und mit keinerlei Gewürzen zubereitet.“
„Und doch schmeckt mir diese Kartoffel besser als Euch Eure zubereiteten Speisen Eurer besten Köche.“
„Wie soll das gehen?“, fragte der König den Bauern, der ihm schon immer wunderlicher erschien.
„Öden euch eure Speisen nicht schon an? Ihr esst stets nur das Beste, aber könnt Ihr behaupten, dass Euch diese Gerichte mit einem solchen Hochgefühl erfüllen, wie mich meine Kartoffeln? Wartet Ihr sehnsüchtig darauf, endlich von Euren Speisen probieren zu können? Erfüllen Euch Eure Gerichte mit wahrer Freude?“
Der König musste dies verneinen, er hatte zwar immer die besten Mahlzeiten und sie schmeckten ihm auch, aber wahre Freude hatte er dabei noch nie erlebt.
„Er gebe mir sofort von der Kartoffel zu essen!“, befahl der König erbost.
„Sie wird euch nicht schmecken, mein König.“, antwortete ihm der Bauer.
„Ich habe gesagt ich möchte davon kosten. Mein Wort ist für Ihm Befehl!“
Der Bauer gehorchte unterwürfig. Doch in Wahrheit war es genau das was er wollte. Er holte ein Messer und schnitt dem eingebildeten König eine Scheibe ab. Dieser nahm sie in den Mund, fing an zu kauen und spuckte es sofort wieder aus.
„Das schmeckt ja widerlich.“, sagte der König empört.
„Ich verstehe Euch“, sagte der Bauer geduldig. „Ihr müsst wissen, ich habe schon zwei Tage nichts gegessen. Ich spüre den Hunger schwer in meinem Magen und ich kann es kaum erwarten von dem genüsslichen Geschmack dieser Frucht zu kosten. Das ist etwas, das Ihr nie haben werdet, mein König, und darum trauere ich.“
Der König wurde wütend. Er, derjenige der alles besaß, sollte über diese einfache Freude des Lebens nicht verfügen können? Wutentbrannt sprach er zum Bauern:
„Wenn es zwei Tage des Fastens sein müssen, so werde ich diese über mich ergehen lassen!“
Mit diesen Worten entfernte sich der König und als er gegangen war, lachte sich der Bauer ins Fäustchen. Eines Tages würde der König noch an seiner Habgier ersticken.
In zwei Tagen, schon am frühen Morgen, stand der König wieder vor seiner Tür.
„Ich habe zwei Tage lang nichts gegessen. Bringe Er mir sofort die Kartoffel.“
Man sah dem König wirklich an, dass er in letzter Zeit nichts zu sich genommen hatte. War er vielleicht auch ein wenig dünner geworden? Der Bauer tat wie ihm geheißen, brachte dem König eine Kartoffel und schnitt ihm eine Scheibe ab. Dieser spuckte sie nun nicht mehr aus. Der Hunger ließ ihm sogar die ganze Kartoffel aufessen. Aber die Speisen die ihm am königlichen Tische von den besten Köchen des Landes serviert wurden schmeckten ihm immer noch besser.
„Das ist schon richtig.“, sagte der Bauer zum König. „Ihr müsst wissen, dass Fasten nicht alles ist. Ich habe diese Kartoffel unter Anstrengungen gesät. Ich habe sehnsüchtig auf ihre Ernte gewartet und habe dabei stets Acht gegeben, dass keine wilden Tiere sie mir wegnehmen. Habt Ihr schon einmal so etwas getan, mein König?“
Der König musste verneinen. So etwas hatte er noch nie tun müssen. Er hatte noch nie für sein Essen gearbeitet. Deshalb war er ja König. Aber auch er wollte über diese edlen Genüsse verfügen, wie sie der alte Bauer beschrieb. Und so nahm der Bauer den König mit zu seiner täglichen Feldarbeit. Er gab dem König einen Sparten und zeigte ihm wie er damit umzugehen hatte. In die Löcher, die er grub, musste er dann eine Kartoffel legen, die er mit Erde zudeckte, damit diese im Laufe der Zeit wuchs und gedieh.
„Nur wer sich für sein Essen anstrengt, dem wir es auch schmecken.“, erzählte ihm der Bauer.
Und so kam es, dass am Ende des Tages der König dem Bauern keine Arbeit mehr ließ. Er wollte alles selbst verrichten, auf das ihm das Essen besser schmecke als dem Bauern.
Am Abend saßen der König und der Bauer wieder am Tisch. Doch diesmal war der König von der Feldarbeit geschafft und ebenso hungrig. Diesmal sollte ihm die rohe Kartoffel weitaus besser schmecken, als das letzte Mal. Und tatsächlich, es war so. Die Anstrengung am Feld und der zunehmende Hunger machte die Kartoffel weitaus appetitlicher. Der König freute sich endlich sein Ziel erreicht zu haben. Doch als er dem Bauern in die Augen sah, erblickte er nur Trauer.
„Was ist los mit Ihm? Freut Er sich nicht für Seinen König?“
„Nein, das tue ich nicht. Denn Ihr könnt nie den wahren Genuss dieser Kartoffel schmecken.“
„Was meint Er damit?“, fragte der König empört. Er hatte doch alles getan, was der Bauer gesagt hatte und es war jetzt endlich so weit, dass ihm die rohe Kartoffel auch schmeckte.
„Schmeckt Euch die Kartoffel wirklich so gut wie euch eure königlichen Gerichte schmecken? Wie die exotischen Speisen aus fernen Ländern? Die perfekt abgestimmten Gerichte Eurer Köche? Oder die süßesten Nachspeisen, welche mit einer dicken Schicht Schokolade überzogen sind?“
Erschrocken stellte der König fest, dass ihm die rohe Kartoffel wirklich nicht so sehr schmeckte, wie seine geliebten Cremetörtchen oder die Marzipan-Schnitten.
„Aber was kann ich tun, alter Mann?“, fragte der König hoffnungslos „Ich möchte auch so genießen können wie du. Ich möchte auch die Freuden haben, die du ständig erlebst.“ vor lauter Verzweiflung vergaß der König seinen Hochmut und sprach den Bauern direkt an.
„Dazu kann ich Euch leider nicht verhelfen.“, sagte der Bauer traurig. „Ihr müsst wissen, dass ich nicht über Eure Macht verfüge. Ihr könnt jederzeit zu euren Köchen in sicherer Gewissheit zurückkehren und das wisst Ihr auch. Ich aber kann das nicht und somit kann ich diese Kartoffel genießen wie es kein anderer kann.“
Der König war entsetzt. Sprach der Bauer wirklich die Wahrheit? Sollte er niemals so etwas Einfaches wie diese Kartoffel genießen können? Entmutig ließ sich der König, der ansonsten so habgierig und grausam zu seinem Volk war, in seinen Sessel sinken.
„Es muss ein hartes Los sein.“, begann der Bauer zum König und zog dabei die Fäden seines Netzes immer enger um ihn. „Ihr seid König und müsst ständig über euer Land regieren. Ihr habt alles und habt doch keine Freude daran. Nicht einmal die einfachsten Dinge wie Eure Speisen könnt Ihr genießen.“
Dieser alte Bauer hatte Recht, dachte sich der König. Was hatte er doch für ein hartes Los gezogen und dabei kannte der Bauer nicht einmal die halbe Wahrheit. Ständig musste er das tun, was seine Berater ihm rieten und zudem hasste ihn sein Volk, weil er immer so grausam zu ihnen war.
„Ich möchte nicht mit Euch tauschen.“, sagte der Bauer gespielt traurig.
Daraufhin hatte der König, der noch immer nicht den Plan des Bauers durchschaut hatte, eine Idee. Er würde mit dem Bauern die Rollen tauschen, dann würde er endlich über all die edlen Genüsse verfügen, die der Bauer hatte. Niemand würde ihm mehr sagen was er zu tun hatte und er wäre frei von seinen Pflichten. Den Bauern aber würde er zum König machen und damit würde er ihm all die Freuden an den Speisen nehmen. Sollte er doch einmal sehen wie schwer seine Pflichten als König waren. Hinterhältig lachte sich der König ins Fäustchen, als er dem Bauern seinen Plan schilderte.
Der Bauer tat zwar entsetzt, aber in Wahrheit war es genau das was er erreichen wollte.
Und so kam es, dass aus dem König ein Bauer geworden war und aus dem Bauern ein König. Nun hatte das Volk endlich einen Herrscher, der sich um sie kümmerte und trotz des hohen Alters des ehemaligen Bauers, regierte er noch viele Jahre über das Land. Und was ist aus dem dummen und habgierigen König von damals geworden? Nun, das weiß niemand so genau, aber vermutlich isst er seine Kartoffel immer noch roh.
Tag der Veröffentlichung: 23.03.2012
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Widmung:
Dieses Buch ist meiner guten Freundin und "Lektorin", Katharina gewidmet, welche die Geduld und Ausdauer besitzt, all meine Fehler zu korrigieren und zudem der Geschichte noch den finalen Schliff gibt. Ein herzliches Danke an dich.