Wie lange habe ich nun nicht mehr richtig geschlafen? Ich weiß nicht genau, sicher schon seit Wochen nicht mehr. Doch dafür gibt es einen Grund. „Sie“ ist der Grund. Ich fühle mich ständig von ihr beobachtet. Ich habe große Angst, meine Augen zu schließen denn ich weiß, dass sie mich genau im Blick hat.
Ich schütze mich vor ihren Blicken, indem ich die Bettdecke über meinen Kopf ziehe. Doch ich weiß sie sieht mich an. Von dem Regal aus starrt sie mit Vergnügen auf mich herab, in dem Wissen, dass ich nicht schlafen kann.
Ihre Augen, sie wirken so echt und zugleich düster, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken läuft. In ihnen spiegeln sich keinerlei Emotionen wieder doch kommt es mir auch so vor, als könnte man leben darin erkennen.
Das Gesicht ist aus weißem Porzellan und die Haare sind pechschwarz und wirken echt wie Menschenhaare. Ich hasse diese Puppe und dennoch werde ich sie nicht los - nie mehr. Wenn es ruhig ist, kann ich sie leise flüstern hören. Um Mitternacht summt sie gerne ein Kinderlied. Ich kann es nicht mehr ertragen. Doch egal was ich versuche, sie folgt mir. Überall hin. Und nichts scheint mich von ihr befreien zu können, denn was ich auch mache und wohin ich sie auch bringe, nachts ist sie wieder auf ihrem Platz vor meinem Bett. Sie sitzt dann regungslos in dem Regal und summt ihre Lieder.
Vor ein paar Tagen habe ich sie in den Ofen geworfen. Als sie lichterloh brannte, hätte ich schwören können ein leises Lachen aus dem Ofen zu hören. Ich sah zu, wie nur ein Häufchen Asche von ihr übrig blieb. Glücklich ging ich in mein Zimmer und erstarrte. Sie saß unversehrt im Regal und starrte mich an.
Ihr Blick hatte etwas Seltsames. Der Ausdruck in ihrem Gesicht sagte schon fast, „Mich wirst du nicht los“. Was soll ich nur tun? Sie zu verbrennen war nicht das Einzige, was ich versucht habe. Ich habe sie schon verschenkt, verkauft und vergraben. Doch jede Nacht ist sie wieder zu mir zurückgekommen. Ich werde noch wahnsinnig. In den letzten paar Nächten flüstert sie immer leise „gib auf“. Ich kann nicht mehr. Ich schiebe die Bettdecke von mir weg und sehe sie direkt an. Sie scheint mich auszulachen. Neben der Bettdecke finde ich ein großes Messer. War das ein Zeichen von ihr? Soll es so enden? Soll ich dem Ganzen wirklich ein Ende setzen, indem ich mich selbst von diesem Albtraum erlöse? Ich nehme langsam das Messer und schaue auf die scharfe eiserne Klinge. Sollte ich wirklich gegen sie verlieren? Sollte ich mich ihr ergeben?
Sie war etwas, was ich nicht besiegen konnte und in meinem tiefsten Inneren wusste ich das. Wie ferngesteuert setze ich das Messer an meiner Kehle an und ziehe die Klinge durch mein Fleisch. Das Blut - mein Blut färbt das weiße Kleid der Puppe rot. Sie lächelt - ich bin tot. Du hast richtig gehört, ich bin nicht mehr am Leben. Und ich sehe dich. Ich sitze in der Nähe deines Bettes, mit meinem Porzellangesicht und meinen beinahe lebensechten Augen und sehe dir jede Nacht beim Schlafen zu. Ich werde gewinnen und du wirst dich mir ergeben. So wie ich mich einst ihr ergeben habe und ihren Fluch auf mich nahm.
Tag der Veröffentlichung: 07.11.2021
Alle Rechte vorbehalten