Cover

Kapitel 1: Opa macht Pläne

"Ich liebe Opa!" Seine Enkelin Sandra schüttelte amüsiert den Kopf: "Aber manchmal spinnt er: Will mit 74 Jahren nach Hollywood... Der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank!"
Die Vierzehnjährige stand mit ihrer Mutter Sonja beim Abwasch in der Küche.
Die grinste sie an: "Du musst zugeben, mit ihm wird's nie langweilig, oder?"
Sandra lachte: "Opa hat manchmal schon ganz schön viele Flausen im Kopf! Das würde man einem in seinem Alter normal gar nicht zutrauen." Dann grinste sie ganz fürchterlich und meinte: "Brauche ich mich ja nicht zu wundern, von wem DU das hast...!"
Jetzt schmunzelte Sonja: "Tja, so ein bisschen verrückt hat schon was; die Welt ist ernst genug!"
"Genau das sagt Opa auch immer!"
Sonja seufzte auf und ihre Gedanken gingen in ihre eigene Jugend zurück; ihre Verbindungen zur Musik-Szene und all die Events, die sie -meist backstage- erlebt hatte. "Ach ja, wenn ich da so an meine Scorpions denke..."
"Nee, is' klar... welcher Insider kommt jetzt?" frotzelte ihre Tochter prompt und erntete einen Knuff in die Seite. Natürlich kannte sie die meisten Geschichten, die ihre Mutter erlebt hatte. Aber plötzlich wurde sie ernst.
"Du... sag' mal, Mama: Glaubst du, Opa will das wirklich?"

Opa Bernhard, auch liebevoll Opa Bati genannt, hatte sich beim Besuch seiner Enkelin Sandra darüber aufgeregt, welcher Hype im Fernsehen gerade wieder um die Nominierungen für den Oskar gemacht wurde.
"Mein Gott, die haben doch ’nen Sockenschuss, die in Hollywald!" hatte er lauthals herum gewettert.
"Hollywood, Opa. Das heißt Hollywood!"
"Weiß ich! Ich bin alt, aber nich’ blöd! Und trotzdem: Die sind trotzdem bekloppt, da in Hollywald! Wenn ich da mal auflaufen würde, ich würde den sogenannten Stars alle Oskars wegschnappen! Wetten?!"
"Klar, Opa... Du wärst der geborene Hollywood-Star!"
"Ja! Wäre ich auch!"
Zunächst hatte Sandra das alles ja noch amüsant gefunden, denn Opa Bati war jemand, der ihre jugendlichen Fantasien, Träume und Schwärmereien für eben diese Hollywood-Stars gut nachvollziehen konnte. Sie saß gerne mit ihm zusammen und sie dachten sich tolle Geschichten aus.
Nachdem ihre Oma vor zwei Jahren gestorben war, hatte Opa erst so einen richtigen Durchhänger gehabt. Aber Sandra hatte es immer verstanden, ihn aufzuheitern.
Oma und Opa waren immer für sie da gewesen. Ihr Vater war verstorben, als sie elf Jahre war und die Traurigkeit ihrer Mutter hatte ihr oft zu schaffen gemacht. Dann fand sie Trost bei Oma Wilma und Opa Bati. Und jetzt, da war es für sie selbstverständlich, genau so für ihren Opa da zu sein. Ihre Mama hatte sich nie wieder verliebt und da Sandra keine Geschwister hatte, gab es da nur sie beide.
Und den Opa, der nach Hollywood wollte.

"Sag' mal, Mama: Könnte Opa sich das überhaupt leisten?" Sandra räumte den letzten Teller in den Schrank und sah ihre Mutter fragend an.
Die zuckte mit den Schultern: "Keine Ahnung... Du, trinken wir noch 'nen Kaffee zusammen?"
"Nee, lass mal, ich mach' jetzt erst Hausaufgaben!"
Sonja grinste ihr Tochter an: "Lass mich raten: Sonst hast du nachher keine Zeit mehr für Nico? Hach, muss Liebe schön sein!"
"Haha... du bist doof...!" Sandra tat, als würde sie schmollen, dann grinsten die beiden sich an und Sonja meinte, während sie ihr über den Rücken strich: "Ich freue mich ja für dich, weißt du doch! Ist ja auch ein ganz Netter, dein Nico!"
Ihre Tochter hatte seit kurzem ihren ersten festen Freund und schwebte im siebten Himmel. Und ihr verklärter Blick sprach schon wieder Bände.
"Okay, Schatz... sagste Bescheid, wenn du noch weg gehst?"
"Mach' ich."

"Ey, krass, der Alte will wirklich nach Hollywood? Echt verschärft!" Nico amüsierte sich, als Sandra ihm von den Plänen ihres Opas erzählte.
Doch plötzlich wurde Sandra ganz ernst: "Weißt du, ich hab' echt Bedenken, das der das tatsächlich durchzieht! Selbst Mama ist sich nicht sicher, das er sein Vorhaben nicht auch wirklich in die Tat umsetzt."
"Wieso eigentlich nicht? Ich meine, was würde denn dagegen sprechen? Ist dein Opa denn krank oder schon zu alt und klapprig oder sowas?"
"Nee... das nicht..." Sie sah ihn nachdenklich an.
Und plötzlich grinste Sandra: "Eigentlich sollte er das echt machen! Ich meine, noch mal was voll Krasses erleben, oder? Anstatt zuhause zu vergammeln!"
"Cool!"
Und plötzlich hatte Opa zwei Verbündete...

 


Kapitel 2: Wenn nicht jetzt, wann dann?

"Aber sag' bloß deiner Mama noch nichts! Versprochen?"
"Versprochen!"
Opa Bati war begeistert: Sandra und ihr Nico waren zu Besuch und der Junge hatte seinen Laptop mitgebracht, da Opa ja kein Internet hatte. Nachdem er ihnen versichert hatte, es sich auch leisten zu können und topfit zu sein, waren sie dabei, im Netz nach Flügen zu suchen.
"Habt ihr denn auch die Zeitumstellung bedacht? Das liegt da doch neun Stunden zurück, stimmt's?"
Sandra und Nico sahen sich verblüfft an.
Nico musste lachen: "Du hast 'nen schlauen Opa!"
Und der grinste über alle vier Backen: "Wie gesagt: Ich bin alt, aber noch nicht verblödet!"
Sandra überlegte: "Opa: Sind deine Papiere denn alle in Ordnung, ich meine, so Ausweis noch gültig und so?"
Im Internet hatten sie schnell alle Hinweise gefunden, die sie brauchten. Einen passenden Hin-und Rückflug und eine Unterkunft für Opa gab's auch.
Und plötzlich stand fest:
Opa fliegt nach Hollywood!
Sandra seufzte: "Jetzt müssen wir das nur noch Mama beibringen...!"


Sonja sah ihren Vater irritiert an, als sie ihn zwei Tage später Samstags besuchte: "Papa! Sag’ mal, wie lange hast du dich nicht mehr rasiert?"
Opa Bati grinste seine Tochter an, während Sandra hinter ihrem Rücken noch mehr grinste. Sie hatte schon die größte Mühe gehabt, sich zuhause nicht zu verraten.
"Ich lass’ mir jetzt einen Bart wachsen. Damit ich was her mach’, in Hollywood!"
"Ähm... in Hollywood..." Für einen Moment stutzte Sonja, dann musste sie plötzlich lachen: "Ach, komm, Papa: Du nimmst mich auf den Arm!"
Aber Opa blieb ernst, sah sie einfach nur an und sagte nichts. Und Sandra, die sich neben ihn gesetzt hatte, auch nicht.
Sonja blickte in zwei entschlossene Gesichter. Und langsam dämmerte es ihr:
"Ist nicht wahr, oder? Papa...?!"
"Versuch gar nicht erst, mich davon abzuhalten! Ist sowieso zu spät: Die Flüge sind schon gebucht. Und keine Sorge, dein Vater hat auch eine Unterkunft. Verständigen kann ich mich auch, als alter Englisch-Lehrer. Und Nein, ich bin nicht verrückt! Im Gegenteil: Ich werd’ jetzt noch mal die Sau raus lassen!!"
Und das war Opas letztes Wort in der Sache.


"Es wird aufgerufen Flug 832 nach Los Angeles..."
Jetzt war es Opa Bati doch ein wenig mulmig zumute. Vor ihm lagen elf Stunden Flug und so eine weite Reise hatte er lange nicht mehr unternommen. Plötzlich wurde er ein wenig wehmütig und seine Augen etwas feucht:
"Das müsste Wilma noch erleben können...!"
Sonja sah ihren Vater liebevoll an:
"Ich weiß, das du gut zurecht kommen wirst! Du wirst viel Spaß haben! Und, Papa: Ich weiß, das Mama bestimmt bei dir ist!"
Sie nahmen sich in den Arm und drückten sich liebevoll.
Auch Sandra knuddelte ihren Opa nochmal: "Am liebsten würde ich mit fliegen! Hey, zeig's ihnen Opa, ja?!"
"Mach' ich, mein Liebes! Und sag' deinem Nico auch nochmal Danke von mir, ja?"

Auf ging's nach Los Angeles...




Kapitel 3: Opa und Hollywood

Es war der helle Wahnsinn: Als er das Hotel verließ, am Morgen nach seiner Ankunft, fühlte er sich so gut wie schon lange nicht mehr! Seine Tochter hingegen hätte wahrscheinlich einen hysterischen Anfall bekommen, wenn sie ihn gesehen hätte: Seinen alten Cowboy-Hut auf, die uralten Boots an den Füßen, mit verwegenem schon-mehr-als-Drei-Tage-Bart, seiner alten Fransen-Leder-Jacke und einem siegessicheren Grinsen auf den Lippen war er direkt zum Kodak Theatre gefahren, wo am darauf folgenden Tag die Stars auf dem roten Teppich flanieren würden. Opa Bati kam sich vor wie in einem Traum.
Alles dort war beherrscht von hektischer Betriebsamkeit, unzählige Menschen wimmelten umher und waren mit irgendwelchen Vorbereitungen beschäftigt. Zu seinem Erstaunen sah er, das die großen Oskar-Statuen geföhnt wurden, die auf dem Teppich standen.
Er konnte ja nicht wissen, dass sie vorher noch einmal mit Goldfarbe übersprüht worden waren, damit sie auch makellos glänzten. Es war schwierig genug, sich überhaupt einen der vordersten Plätze in der Nähe des roten Teppichs zu erkämpfen, denn viele Menschen kampierten hier schon seit Tagen, um nichts zu verpassen und alles aus nächster Nähe zu sehen. Aber Opa Bati wusste sich zu helfen: Gegen ein entsprechendes Trinkgeld fand er tatsächlich einen Verbündeten namens Jack, der ihm für den nächsten Tag einen Platz ganz vorne frei hielt. Das Grinsen in seinem Gesicht wurde immer breiter...


Am nächsten Tag brach die Hölle los!
Fotografen kämpften um die besten Schnappschüsse, die Menschen schrieen und kreischten, was das Zeug hielt und er fühlte sich plötzlich fünfzig Jahre jünger – mindestens!


Seine Enkelin Sandra und er hatten eine gemeinsame Leidenschaft: Kinofilme. Und allen voran war ihr gemeinsamer Lieblingsfilm "Pulp Fiction".
"Quentin Tarantino ist der beste Regisseur überhaupt! Wenn du den erwischen könntest, Opa, und ein Autogramm von ihm... das wäre so krass!"
Sie war aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus gekommen.

Und tatsächlich: Irgendwann lief ER tatsächlich über den roten Teppich, lachte winkte, gab Autogramme und Interviews, kam immer näher...

Opa schrie sich die Lunge aus dem Hals, sein Herz raste vor Aufregung wie ein Maschinengewehr! Und da! Er kam, auf seine Seite, schüttelte Hände... sah ihn an...
"Please, Mr. Tarantino, sign for my grandchild, PLEASE!!!"


Und er nahm das Bild, signierte es, und sah ihn an… ER sah IHN an!!! Und ging plötzlich ein paar Schritte zurück, mit gedankenverlorenem Blick, sprach mit seinem Begleiter...
Und mit einem Mal schrie Tarantino, völlig aus dem Häusschen:
"It’s HIM, that’s it!! It’s HIM!! Get me this guy!"

Und plötzlich stürmten zwei Sicherheitsleute auf Opa Bati zu und zogen ihn aus der Menge, während Kameras das hektische Geschehen verfolgten und Reporter aufgeregt berichteten!
Opa sah nur den sprachlosen Blick von seinem neuen Kumpel Jack während er in affenartiger Geschwindigkeit hinter die Kulissen gezogen und in einen abgeschirmten Bereich gebracht wurde.
Und sich fragte, was er eigentlich verbrochen hatte.
"What’s going on? Can somebody explane this to me?" bat er höflich um eine Erklärung.
"Wait for Mr. Tarantino!" war die knappe Erklärung.
Tja, dachte Opa, dann will ich mal auf den Tarantino warten, und musste irgendwie grinsen: Wenn Sandra das jetzt wüsste...! Er vermutete zwar, das sie vor der Live-Übertragung am Fernsehen saß, aber ob sie nun gerade das zeigen würden; er bezweifelte es.



 


Kapitel 4: Mein Kumpel Quentin

Ungefähr 24 Stunden später lag Opa Bati völlig gerädert, aber glücklich in seinem Hotelbett und versuchte zu begreifen, was da mit ihm geschehen war. Er griff zum Telefon und rief bei seiner Tochter an. Sandra meldete sich.
"Hallo, mein Schätzchen, ich bin's, Opa!"
Die kreischte gleich los:
"Mamaaaa!!! Opa! Er ist am Telefon, Mamaaa!!"
Er versuchte, seine Enkelin zu beschwichtigen:
"Hey, jetzt beruhige dich mal, ich leb' ja noch..."
"Boah, Opa, wir haben dich im Fernsehen gesehen! Wie die dich da weg geschleppt haben, was hast du denn gemacht?!"
Ihr wurde der Hörer aus der Hand gerissen:
"Papa? Alles in Ordnung? Was war denn da los? Geht's dir gut?!"
Wenn sie das Schmunzeln in seinem Gesicht sehen könnten...
"Jetzt beruhigt euch endlich mal, ihr Zwei! Es ist ja alles gut, nichts passiert!"
"Aber wieso haben sie dich denn da weg geschleppt? Papa, was hast du ausgefressen?"
Sie hörte ihren Vater seufzen.
"Gar nichts! Ich habe nichts verbrochen! Im Gegenteil..."
"Wie, was, im Gegenteil?"
"Kind! Jetzt lass mich doch mal ausreden!"
Jetzt holte Sonja tief Luft:
"Ja, entschuldige, Papa, natürlich. Ich stelle mal eben auf Lautsprecher, dann kann Sandra mithören.. So, erzähl!"

Und Opa erzählte, wie er hinter den Kulissen in diesem Raum auf Tarantino gewartet hatte. Bis der auf dem roten Teppich zu Ende flaniert hatte, war einige Zeit vergangen, dann war er plötzlich zu ihm herein gestürzt, hatte gefragt, ob er bis nach der Verleihung warten könne, denn er müsse was mit ihm besprechen.
"Ich war völlig verdutzt, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, was der von mir wollte!" berichtete er.
Doch dann stellte sich heraus, das er für sein neues Filmprojekt noch einen ganz besonderen, ganz bestimmten Typ von Nebendarsteller suchte; aber alle Bemühungen bisher erfolglos gewesen waren.
"Tja", grinste Opa dann über alle vier Backen, während er weiter erzählte, "er sucht einen skurrilen alten Cowboy-Typ. Und ich wäre genau der, den er sich vorgestellt hat!"
Auf der anderen Seite des Kontinents fiel seinen beiden Mädels fast der Hörer aus der Hand:
"Was??!!"
Opas Stimme klang selbstbewusst:
"Nicht was sondern JA! Ich hab' dann noch einen interessanten Abend im Kodak Theatre verbracht: Natürlich bin ich sicherheitsüberprüft worden -das müssen die ja machen, ist ja klar!-, aber dann konnte ich backstage warten, bis die Verleihung zu Ende war. Hab' lecker was gegessen und so... Und mein Kumpel Quentin hat mich dann mitgenommen auf 'ne Aftershow-Party, um mir das Projekt zu erklären; war ganz lustig..."
Sandra kriegte sich garnicht mehr ein:
"Dein Kumpel Quentin... nee, is' klar!"
"Du kriegst selbstverständlich ein ganz besonderes Autogramm, das hat er mir übrigens versprochen! Und du könntest ja mal mitkommen, zu den Dreharbeiten!"
Sandra wäre beinahe umgekippt...


Tja, der Opa Bati: Da hat er auf seine alten Tage noch Hollywood aufgemischt! Wer hätte das gedacht?
Für die Presse war das alles natürlich auch ein gefundenes Fressen und plötzlich war Sandra fast nur noch "die Enkelin von dem coolen Opa!", aber das nahm sie gerne in Kauf.
Die Dreharbeiten begannen übrigens zwei Monate später und er verbrachte fast acht Wochen an zwei verschiedenen Drehorten und den Universal-Studios.
Sandra durfte ihn tatsächlich, wie versprochen, währenddessen besuchen und lernte ihr Idol Quentin Tarantino persönlich kennen.
"Gar nicht so einfach und echt 'n Knochenjob, so Dreharbeiten..." erzählte Opa später gerne. Jedenfalls war es für alle eine tolle Erfahrung in ihrem Leben - und für Opa Bati das letzte große Abenteuer!


Na, warten wir mal die nächsten Oskars ab...
Für den besten Nebendarsteller?


Impressum

Texte: Orelinde Hays
Bildmaterialien: Titelbild: M.G.Gubler
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /