Dr. Brandon Lennard, ein bekannter Archäologe und Experte für die Inka-Kultur Südamerikas, ist gerade von seiner letzten Expedition zurück. Er will sich zu Hause mit seinem alten Freund und Kollegen Michael Kamen treffen.
Und während alle Welt offiziell glaubt, es habe sich um eine ganz normale Ausgrabung gehandelt, werden wir nun Zeuge dessen, was sich wirklich zugetragen hat...
Es klingelte und Lennard öffnete die Tür.
"Michael, alter Freund - komm’ rein!"
Sie sahen sich eher selten, da Michael in Deutschland wohnte und selbst oft in der ganzen Welt unterwegs war.
"Hi, Brandon! Schon wieder ganz schön lange her, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben! Wie man so hört in Fachkreisen, war deine letzte Expedition ja ein voller Erfolg, nicht wahr?"
Er sah in ein zufriedenes Gesicht: "Da könntest du recht haben... Setz' dich doch, Michael. Kann ich dir einen Wein anbieten?"
"Danke, gerne. Wo ist denn deine reizende Frau? Hast du sie vor mir versteckt?"
Brandon schmunzelte: "Tja, in weiser Voraussicht!" Dann lachte er: "Nein, Quatsch, sie ist bei einer Freundin."
Sie saßen in der Couchecke und Michael war die Spannung anzusehen.
"Aber jetzt erzähl’ erst mal von deiner Entdeckung... Was ist, warum guckst du plötzlich so ernst?" Irritiert sah er, wie Brandons Gesichtszüge mit einem Mal ganz nachdenklich wurden und er sich zögernd mit der Hand durchs Gesicht fuhr.
"Michael, ich muss dir unbedingt was erzählen... Nur dir kann ich es anvertrauen - etwas, dass noch niemand weiß. Du glaubst nicht, was mir tatsächlich an der Ausgrabungsstätte passiert ist!"
Angestachelt von Brandons geheimnisvoller Andeutung, rückte Kamen näher: "Jetzt spann' mich nicht auf die Folter und erzähl!"
Und Brandon begann:
"Okay: Also, wir standen vor dieser Mauer und ich wusste: Das muss die Grabkammer sein! Aber bei aller Neugier, die mich vorantrieb, bin ich doch lieber erst mal alleine durch das Loch gekrochen, das wir in die Mauer geschlagen hatten - man kann ja nie wissen, was einen auf der anderen Seite erwartet..."
"Und? Was ist dann passiert?"
"Ich kroch also durch so eine Art von kleinem Tunnel und stand tatsächlich in der Grabkammer des alten Inka-Fürsten!" Seine Begeisterung war ihm noch deutlich anzumerken, er fuchtelte aufgeregt mit den Händen, als er weitererzählte. "Mitten im Raum stand eine Art Sarkophag, auf dessen Deckel ein großer Kristall eingebettet war. Und genau darüber, sowie parallel dazu an allen vier Wänden, war ebenfalls ein solcher Kristall."
"Ein Sarkophag? Aber davon stand gar nichts in den Berichten. Und in einem Inka-Grab? Klingt eher nach einer Ausgrabung in Ägypten."
"Richtig! Und dann sah ich etwas... Michael, du kennst ja diesen Anhänger hier, den ich immer trage, nicht wahr? Tatika hat ihn mir damals geschenkt, erinnerst du dich?"
Natürlich kannte Michael die Geschichte seiner damaligen Freundin; als die beiden bei einer Expedition in Ecuador in die Hände eines Drogenkartells geraten waren.
"Ja, klar: Er stammt doch aus Ecuador... Wie war das noch? Ihr Vater hatte das Goldstück bei Erdarbeiten auf einer Baustelle gefunden und für sie zu einem Anhänger machen lassen, richtig?"
"Richtig! Aber: Wir wussten ja nie, was dieses Zeichen darauf bedeutet."
"Ja? Und? Mach’s nicht so spannend!"
"Michael: Genau dieses Zeichen war in dem Kristall auf dem Sarkophag eingraviert!"
"Nein?! Ist ja der Hammer! Das gibt’s doch nicht! Und, konntest du mit dem Symbol irgendwas anfangen?"
Genüsslich lehnte sich Brandon zurück: "Das konnte ich! Ich habe den Anhänger in die Gravur des Sarkophags gelegt - und er passte!"
"Wow... Ach Gott - dann hast du damit diese Falltür ausgelöst, die herunterkam? Die waren ja froh, dass du da lebend wieder herausgekommen bist!"
"Das war tatsächlich der Auslöser. Aber das war noch nicht alles."
Irritiert sah Michael Kamen auf seinen Freund, der verschmitzt schmunzelnd ihm gegenüber auf der Couch saß. Er wusste Spannung zu erzeugen!
Und noch amüsierter sah Brandon auf seinen Freund, der sich kaum zurück halten konnte.
Knurrend stieß der seine Frage durch die Zähne: "Herrgott! Jetzt erzähl' schon!"
"Also gut: So schnell, wie die Falltür herunter krachte, konnte ich gar nicht reagieren. Vor lauter Schreck stand ich wie hypnotisiert vor dieser Wand und dachte: Was habe ich jetzt angerichtet?! Ich musste mich zusammenreißen, wenn ich überleben wollte, das wurde mir schnell klar. Die Luft in dem etwa sechs Quadratmeter großen Raum würde nicht lange reichen. Ich hämmerte an die Wand, um mit den anderen draußen Kontakt aufzunehmen, aber man konnte nicht den geringsten Laut hören. Du kennst das ja: Funkgeräte machen bei solch dicken Mauern auch wenig Sinn. Es war offensichtlich, dass ich mich also mit ihnen nicht verständigen konnte. In so einer Situation ruhig zu bleiben, fällt dir selbst mit viel Erfahrung schwer..."
"Das kann ich mir vorstellen! Und: Was hast du getan?" warf Michael ein.
"Ich wollte gerade herüber gehen zum Sarkophag, um zu schauen, ob ich vielleicht einen Auslöser finden konnte, der den Vorgang wieder rückgängig machen würde. " Brandon vergrub das Gesicht in seinen Händen. "Das war so unheimlich...!"
Michael platzte vor Spannung: "Mein Gott, Brandon, mach' mich nicht fertig! Erzähl!"
Sein Freund sah ihn an: "Das hättest du sehen müssen, es war wie eine Kettenreaktion: Auf einmal fuhr aus dem Kristall auf dem Sarkophag ein Lichtstrahl, traf auf den Kristall über ihm an der Decke und von da auf die anderen an der Wand!"
"Und dann?!"
"Ich weiß es nicht."
"Wie? Ich weiß es nicht?"
Brandon zuckte mit den Schultern: "Ich weiß es wirklich nicht: Die Kristalle begannen zu leuchten, immer heller! Irgendwann hat mich dieses grelle Licht so geblendet, das ich ohnmächtig geworden bin."
Brandon sah ihn mit einem Blick an, den er noch nie zuvor bei seinem Freund gesehen hatte. Er hätte es nie zugegeben, aber jetzt wurde Michael ganz mulmig zumute. "Was ist dann passiert?"
"Bevor ich das Bewusstsein verlor, fühlte ich, wie eine angenehme Wärme durch meinen Körper floss, fühlte mich ganz leicht... So ein Gefühl... hm... als wenn du weißt, das du sterben wirst, aber überhaupt keine Angst verspürst, verstehst du? Dann war alles dunkel und ich fühlte gar nichts mehr... bis ich wieder zu mir kam..."
"Und? Du warst draußen, sie hatten dich gerettet?"
"Nein. Ich befand mich auf einer Liege, ich glaube, in einer Art Krankenstation. Zuerst dachte ich noch, was für ein merkwürdiger Traum das doch sei und das ich gleich in meinem Bett aufwachen würde. Aber dann kam dieser weißhaarige alte Mann auf mich zu, lächelte mich an und sagte: "Willkommen, Brandon! Du bist wirklich hier, es ist kein Traum. Und keine Sorge: Wir haben dich in friedlicher Absicht zu uns geholt!"
"Ich denke, ich muss ziemlich blöd geguckt haben und fragte dann, wo ich wäre und was das alles sollte. Dachte irgendwie schon, das wäre "Versteckte Kamera" oder so! Jedenfalls hat sich der alte Mann an meine Seite gesetzt und versucht, mir alles zu erklären."
"Und wo warst du? In einem Krankenhaus? Und was erklären?" Michael sah seinen Freund erwartungsvoll an.
"Nun... er nahm mich dann mit in einen anderen Raum, der wie eine große Computerstation aussah, mit einem großen Bildschirm. Er öffnete eine Datenbank und zeigte mir den Planeten Erde. Dann erklärte er mir, dass er aus der Zukunft käme.
"Das alles mag ein wenig verwirrend sein für dich," erklärte er dann, "aber sorge dich deswegen nicht: Wir werden dich zu genau dem Zeitpunkt zurückbringen, an dem wir dich geholt haben."
Ich war vollends durcheinander und wollte wissen, was sie mit mir vor hatten, aber er beruhigte mich.
Und dann zeigte er mir ein Bild von dem Raum, in dem ich mich gerade noch befunden hatte: Der Sarkophag, mit meinem Anhänger in diesem Kristall.
Anscheinend war ich -völlig unbeabsichtigt- einem der größten Geheimnisse der Menschheit auf die Spur gekommen! Ich erfuhr etwas wirklich Unglaubliches..."
Brandon holte tief Luft, dann sah er seinen sprachlosen Freund an und fuhr fort:
"Der alte Mann zeigte mir all die vergangenen Zeitabschnitte auf der Erde: Von der Urzeit an, über die Dinosaurier bis zu dem Zeitraum, an dem die Menschen zum ersten Mal den Fehler machten, in den Kreislauf der Natur einzugreifen und damit die Zerstörung der Erde zu beginnen. Und er ließ mich sogar das Volk der Inka sehen, so wie sie vor Urzeiten existierten! Er zeigte mir die Pyramidenbauten in Ägypten und, du wirst es nicht glauben, auch dort gibt es die selben unentdeckten geheimen Grabkammern! Es ist dasselbe wie in dem alten Inka-Grab: Eine Botschaft von den Gründern der Menschheit, die jedoch auch etwas beinhaltet, für das die jetzige Menschheit noch nicht reif ist: Würde dieses Wissen in falsche Hände geraten, würde es die Vernichtung der Menschheit zur Folge haben.
Ich war fassungslos. Ausgerechnet ich hatte zufällig das Goldstück, das in den Kristall passte. Und in dem Sarkophag war etwas; und es war nicht die Mumie des Inka-Königs..."
"Hast du das gesehen?!"
"Nein, bedauerlicherweise nicht! Und sie haben mich tatsächlich unbeschadet zurückgebracht. Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, nachdem die Falltür herab sauste. Keine Ahnung, wie sie wieder hoch kam, jedenfalls fanden mich meine Mitarbeiter bewusstlos, aber wohlbehalten, in dem Grabraum. Die Mumie des Inka mit den üblichen Grabbeigaben war auch da, aber der Sarkophag und die Kristalle waren verschwunden..."
Brandon sah Michael an: "Das konnte ich doch keinem erzählen, oder?"
Michael Kamen blickte Brandon mit ernstem Blick in die Augen: "Eine Wahnsinns-Geschichte... Das konntest du wirklich keinem anderen erzählen, die hätten dich für bekloppt erklärt!"
Dann löste sich sein starrer Blick und er begann laut los zu lachen: "Mensch, alter Schwede, ich fasse es nicht! Wie kommst du bloß immer auf solche Ideen, sag' mal?" Er prustete amüsiert vor sich hin, während Brandon ebenfalls laut los lachte.
"Hey, Kumpel, ich bin gut, das musst du zugeben, oder?"
Sie kriegten sich nicht mehr ein vor Lachen. Schon seit Jahren machten sie sich ein Vergnügen daraus, sich die unmöglichsten "erlebten" Geschichten auf die Nase zu binden.
Michael lehnte sich zurück und hielt sich den Bauch. "Ich muss zugeben: Diesmal warst du echt gut! Der Anfang war so spannend - ich war geneigt, dir zu glauben!"
"Ha!" Brandon triumphierte: "Jetzt steht's unentschieden!"
"Okay, ich gebe mich geschlagen!" gab Michael zu. Dann schmunzelte er: "Warte es ab: Ich werde mich gnadenlos rächen!"
Sein Freund lachte: "Ich freu' mich schon darauf!"
Texte: Orelinde Hays
Tag der Veröffentlichung: 04.04.2010
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