Montag Abend.
"Hi Schatz!" Michael kam vom Geschäft nach Hause. Sie waren in Monis Wohnung zusammen gezogen. Er hielt ihr einen Strauß Blumen entgegen, den sie freudestrahlend an nahm.
"Oh wie schön, Freesien! Hmm... und wie die duften! Danke, Schatz!" Freesien waren ihre absoluten Lieblingsblumen. "Sag' mal", meinte sie dann scherzend. "hast du was ausgefressen, oder warum gibt's Blumen?"
Michael umschlang sie von hinten und drückte sie an sich. "Na, ich darf meiner Lieblings-Frau doch mal was Schönes mitbringen, oder?"
"Lieblings-Frau?" kam es auch schon retour, "Wie viele Frauen hast du denn noch so nebenbei?"
Er lachte: "Na, einen ganzen Harem, weißt du doch ... Aber ...", drehte er sie zu sich herum und meinte: "das Neueste weißt du ja noch gar nicht!" Wobei er vielsagend vor sich hin schmunzelte.
Neugierig sah sie ihn an: "Erzähl!"
"John hat mich vorhin angerufen: Er hat die Genehmigung!"
"Was? Echt? Das ist ja der Hammer!"
Voller Freude umarmten sie sich.
Da Johns altes Landhaus, in dem er wohnte, unter Denkmalschutz stand, konnte man dort nicht so ohne weiteres umbauen oder anbauen. Alles musste einem langwierigen Genehmigungsprozess durch die Behörden unterzogen werden.
Geplant hatten sie, dort alle vier zusammen zu leben, und den hinteren Teil von Michaels Fotoatelier auszubauen für Michael und Moni.
Jetzt konnte es endlich was werden!
Samstag Abend. Michael war bei John und sie wollten zusammen die Pläne für den Umbau besprechen.
Es klingelte an Monikas Wohnungstür. Sie war mit Johns Freundin Melanie verabredet. Die beiden wollten sich einen gemütlichen Abend machen - ohne die Jungs.
"Hi Melli! Komm' rein."
Melanie zog die Jacke aus. "Hier, ich habe uns den leckeren Rotwein von neulich mitgebracht!"
"Hey, super, dann steht unserem Mädels-Abend ja nichts mehr im Wege! Setz' dich doch schon mal, dann mache ich eben den Wein auf."
Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, hatte Melanie es sich schon auf der Couch gemütlich gemacht. Ganz überraschend war ihr Anruf am Morgen gekommen, ob Moni nicht Zeit hätte am Abend. Den ganzen Tag war Monika das Gefühl nicht losgeworden, dass sie irgendetwas erzählen musste. Nach ein wenig Geplänkel über dies und das platzte es dann aus ihr heraus:
"Sag' mal, Moni: Ist dir auch aufgefallen, dass unsere beiden Jungs, als wir letzten Samstag bei uns gekocht haben, den ganzen Abend über so komisch waren?"
Monika grinste vielsagend: "Natürlich ist mir das aufgefallen! Und natürlich habe ich Micha danach gefragt, ob irgendwas im Busch wäre."
"Und?" hakte Melli ungeduldig nach.
"Nichts und. Er faselte was von einem "Männergespräch" und dass er nicht das recht hätte, davon zu erzählen. Das war's dann. Du kennst ihn ja, der kann schweigen wie ein Grab!"
Plötzlich lächelte Melanie. "Aber ich weiß, worum es ging."
"Okay... und was?" Jetzt wurde Moni ungeduldig. "Na los, mach's nicht so spannend, erzähl' schon!"
Melanie berichtete von ihrem langen Gespräch mit John. Von seiner Angst, ihr all das Geschehene zu gestehen und seiner Angst, sie zu verlieren.
"Puuh..." Moni nahm einen Schluck Wein, dann sah sie die Freundin nachdenklich an: "Und du kannst dir das wirklich vorstellen, dass er dich eines Tages verwandelt?"
Melanie nickte bestätigend. "Ja! Absolut! Aber Michael hat so etwas schon mal angedeutet, dass so etwas für dich überhaupt nicht in Frage käme?"
Seufzend lehnte Monika sich zurück. "Ja, das stimmt. Erst war er wohl ein wenig beleidigt und hat es nur auf sich bezogen, weißt du. Aber dann haben wir noch mal in aller Ruhe über alles gesprochen und er hat verstanden, warum es für mich völlig indiskutabel ist."
"Warum denn bloß, ich versteh' das nicht! Ich meine, ich weiß nicht, was daran so schlimm sein soll?"
"Überlege doch mal: Willst du wirklich ewig leben? Immer mit der Angst, das dein wahres Ich ans Licht kommt? Nimm doch nur John: Die wievielte Identität hat er jetzt, die dritte? Immer nur für eine gewisse Anzahl von Jahren irgendwo leben können, das ist nichts für mich. Ich möchte lieber nur ein Leben!"
Heftig schüttelte Melli den Kopf: "Aber wie stellst du dir das vor? Du kannst doch mit Michael auch nicht ewig hier leben, denn in spätestens zehn, fünfzehn Jahren kannst du keinem mehr weiß machen, dass er in seinem Alter noch aussieht wie ein flotter Dreißigjähriger!"
Für einen Moment schloss Monika die Augen und stöhnte leise vor sich hin. Dann gestand sie: "Du hast ja recht. Das sind natürlich Fakten, an denen wir nicht vorbei kommen. Sicherlich habe ich auch gewisse Ängste, dass, wenn ich älter werde und er dagegen jung bleibt. Also, mir ist schon klar, dass wir irgendwann nicht mehr als Paar durchgehen werden."
Melanie sah sie forschend an. Es war deutlich zu sehen, dass sie noch etwas anderes beunruhigte. "Und ich könnte mir vorstellen, dass du fürchtest ihn zu verlieren, wenn du... na ja, vorsichtig ausgedrückt, körperlich an Attraktivität verlierst, oder? Was ist, Moni, wenn er sich dann in eine Jüngere verliebt?"
Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Hilflos sah Monika sie an.
"Das könnte ich dann wohl nicht verhindern."
Für einen Moment schwiegen sie. Ihnen beiden war eben noch einmal mehr bewusst geworden, wie problematisch sich das Zusammenleben mit jemandem gestaltete, der anders war als normale Menschen, sehr viel anders.
"Weißt du, Moni...", unterbrach Melanie die nachdenkliche Stille, "John und ich haben beschlossen, dass er mich verwandelt, wenn ich dreißig bin, dann wären wir immer gleich alt. Aber da du dir das nicht vorstellen kannst... Überleg' doch mal, ob es nicht doch besser wäre?"
"Ich glaube, ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft ich darüber nachgedacht und alles Für und Wider gegeneinander abgewogen habe!" Plötzlich lächelte sie. "Ehrlich gesagt, fand ich den Gedanken schön, von dem selben jungen Mann im Arm gehalten zu werden, wenn ich sterbe, den ich als junge Frau kennen- und lieben gelernt habe. Na ja", schmunzelte sie dann vor sich hin, "war wohl ein sehr romantischer Anflug meiner Gefühle. Aber egal: So oft ich es mir auch durch den Kopf gehen lasse, ich kann's mir einfach nicht vorstellen ewig zu leben!"
"Ach, Moni, weißt du was: Lass uns den ganzen Mist für heute Abend vergessen. Komm, wir ziehen uns 'ne schöne Liebes-Schnulze rein!"
"Du hast ja recht, lass uns den Abend genießen! Ich hab' jetzt Bock auf was richtig Schmalziges!"
"Ja! Die Frau hat recht!" grinste Melanie und goss Wein nach.
Und so ließen sie ihre Sorgen außen vor und genossen den Rest des Abends.
Am nächsten Morgen fiel es Monika schwer, aus dem Bett zu kommen.
Michael lästerte: "Ihr habt wohl heftig zugeschlagen, was?"
Sie stöhnte: "Nein, eigentlich habe ich gar nicht so viel getrunken. Weiß auch nicht, mir tun alle Knochen weh..."
Nun bekam sie einen dicken Schmatzer auf die Backe gedrückt und hörte von ihrem neckisch grinsenden Michael: "Na, dann werde ich "der alten Frau" mal ein Frühstück machen, oder? Soll ich dir auch noch deinen Rollator holen, Schatz?"
Als Antwort flog ein Kopfkissen in seine Richtung. "Du bist sooo gemein..."
Lachend begab er sich in die Küche.
Währenddessen frühstückten John und Melanie bereits.
"Wie war den euer Mädels-Abend?"
"Gut!" Sie grinste: "So wie ich deinen Gesichtsausdruck deute, willst du bestimmt wissen, ob wir über das leidige Thema gesprochen haben, oder?"
"Na ja, ich muss zugeben, Michael hatte gehofft, dass du Moni umstimmen könntest, du verstehst..."
Melanie seufzte: "Ja, klar. Ich kann ihn ja verstehen! Natürlich möchte er gerne, dass Moni für immer an seiner Seite sein kann. Aber nach dem Gespräch gestern Abend kann ich Moni auch irgendwie begreifen. Das ist eine endgültige Entscheidung, mit der nicht jeder leben kann. Sie ist halt der Typ, der nicht für so ein Leben geschaffen ist, in dem man sich immer eine neue Existenz erschaffen muss. Für sie bedeutet es mehr, in nur einem Leben wirklich glücklich zu sein."
John wirkte mit einem Mal sehr nachdenklich. "Er liebt sie wirklich über alles...", dachte er laut nach, "Wenn es sein muss, hat er gesagt, dann werde ich sie eben noch lieben, wenn sie alt und grau ist. Er kann sich niemand anderen an seiner Seite vorstellen."
"Hach, ist das romantisch." Melanie schmolz dahin.
John lächelte sie verliebt an, während er ihre Hand ergriff: "Ich kann mir auch niemand sonst an meiner Seite vorstellen!"
Sie kam zu ihm herüber, setzte sich auf seinen Schoß und küsste ihn. "Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas mal passieren würde!"
Er lachte auf: "Dass du auf so einen verrückten Vampir triffst?"
Sie sah ihn zärtlich an: "Und ich mit dem Mann, den ich liebe, immer jung bleiben kann!"
"Ach so!" lästerte John. "Dir geht es also nur darum, immer jung zu bleiben, jetzt verstehe ich ...!"
Sie tat verständnislos: "Das du das nicht gemerkt hast... tzss..."
John lächelte, dann drückte er sie an sich und holte tief Luft. "Ich bin so froh, dass du dich so entschieden hast! Vor allem, weil du keine Angst davor hast, weißt du." Seine Hand strich sanft über ihr Gesicht. "Es gab eine Zeit, in der ich dachte, dass ich niemals die Chance dazu haben würde, mit jemandem glücklich zu werden."
"Hey... wer wird denn da melancholisch werden, hm?" Ihr inniger Kuss ließ ihn zufrieden auf seufzen.
Am Montag Abend läutete bei Monika daheim das Telefon. Es war Michael.
"Du, tut mir leid, aber es wird später!"
"Musst du noch ein Shooting machen?"
"Nein, Hansen will mit mir sprechen; unter vier Augen, nach Feierabend."
"Oh, ist irgendwas im Busch?"
"Keine Ahnung."
"Okay, lieb, dass du Bescheid gesagt hast!"
"Bis dann, Schatz!"
"Ja, bis nachher!"
Michael hatte sich schon gefragt, warum sein Chef ihn unter vier Augen sprechen wollte. Ob das Geschäft doch nicht so gut lief, wie es den Anschein hatte? Doch dann kam es anders, als erwartet, und so stürmte ein gut gelaunter Michael eine Stunde nach der Besprechung zuhause zur Tür hinein:
"Hi Süße! Wo bist du denn?"
Monika kam aus dem Schlafzimmer, hatte gerade Wäsche in den Schrank gelegt. "Was ist denn los?"
Ungestüm nahm er sie in den Arm und drückte sie, dass ihr fast die Luft weg blieb.
"Rate!"
Sie zuckte mit den Schultern. "Ach, Schatz, woher soll ich denn wissen, was los ist?"
Triumphierend stand er nun vor ihr, stemmte die Hände in die Hüften und verkündete lauthals: "Du kannst auch nicht wissen, dass du vor dem neuen Ladeninhaber von Hansen-Foto stehst!"
"Wie? Soll das heißen...?"
"Ja, ich übernehme den Laden!"
Dann erzählte er von seiner Unterredung mit Hansen, der durch den plötzlichen Todesfall seines Onkels in Hamburg einen großen gut gehenden Laden übernehmen konnte. Denn ursprünglich kam er von dort und war nur wegen seiner Frau nach Kiesdorf gezogen. Dass er damals den kleinen Fotoladen übernehmen konnte, war reiner Zufall gewesen. Jetzt hatten sie beschlossen, nach Hamburg zurück zu gehen. Sein Geschäft wollte er Michael zu mehr als günstigen Konditionen überlassen.
"Mensch, Micha: Da wird ja ein Traum für dich wahr!" Sie freute sich natürlich für ihn, hatte aber auch Bedenken. "Kannst du das finanziell denn tragen?"
Doch er konnte sie beruhigen: Ein Risiko bestand kaum, da Hansen all die Jahre gut gewirtschaftet hatte und der Laden in dem kleinen Ort noch so etwas wie eine Monopolstellung hatte. Hansen hatte bereits mit der Bank Details geklärt und die hatten ohne Bedenken grünes Licht gegeben.
"Stell' dir das vor: Durch Johns Connections in der Werbebranche haben wir ja schon mehr Aufträge als vorher! Ich könnte mich als Werbefotograf selbständig machen! Und das Atelier in der schönen Umgebung vom Landhaus für Fotoshootings nutzen!"
Michaels Enthusiasmus war kaum noch zu bremsen, den restlichen Abend schmiedete er nur noch Zukunftspläne.
Irgendwann war es schon fast Mitternacht und er war immer noch total aufgekratzt.
"Sei mir nicht böse, aber ich muss jetzt ins Bett." Monika fuhr sich müde durchs Gesicht und stand auf. "Ich geh ins Bad."
"Tut mir leid, Schatz, ich hab’ dich total zugelabert!" sah Michael ein, "Ich werde auch mal schlafen gehen."
Dann standen sie nebeneinander im Bad am Waschbecken und Monika putzte sich die Zähne.
"Sag’ mal," fiel Michael auf, "du hast ja schon wieder Zahnfleischbluten. Kriegst du 'ne Parodontose oder so was?"
"Keine Ahnung, wird schon wieder weggehen." Müde ging sie und ließ sich ins Bett fallen.
Als Michael fünf Minuten später ins Bett stieg, schlief sie schon. Vorsichtig drückte er ihr ein Küsschen auf die Wange und flüsterte: "Nacht, mein Schatz!"
Da Michael sich ja seinerzeit völlig abgekapselt hatte, waren von der alten Clique nicht mehr viel übrig geblieben: Michaels bester Freund Thomas Gerber und seine Freundin Anne Hausmann, Monis beste Freundin Karoline Herbert und ihr Freund Peter Neumann. Und natürlich Thomas' Schwester Melanie, die ja bereits mit John zusammengezogen war, in dem alten Landhaus.
Michael schwelgte in Erinnerungen, wie die beiden sich im vergangenen Winter auf dem Weihnachtsmarkt ineinander verliebt hatten.
"Weißt du noch, Moni? Wer hätte gedacht, dass es mit den beiden so ruckzuck geht: Im Dezember kennen gelernt und Anfang April schon zusammen gezogen!"
Monika nickte: "Ja! Aber was mich am meisten erstaunt hat, war die Tatsache, dass John sofort reinen Tisch gemacht hat; also, ihr gesagt hat, dass er ein Vampir ist. Sowas hätte ich nicht vermutet, weil er doch sonst immer so vorsichtig ist!"
Michael nickte: "Richtig! Aber irgendwie hat es einfach gepasst. Melanie kann man allerdings schlecht was vormachen, die hat 'ne Nase dafür, wenn was faul ist!"
Plötzlich wurde Monika ernst: "Wir müssen es den anderen sagen."
"Daran habe ich auch gerade gedacht. Sie wollen alle helfen, wir werden also ständig zusammen hocken... es lässt sich nicht vermeiden. Ich habe mir überlegt, da Thomas doch am 06.06. Geburtstag hat, da wäre es doch eine gute Gelegenheit, oder?"
Monika überlegte: "Knapp vierzehn Tage, wir könnten im Atelier feiern, da wären wir ungestört. Nur wir, und dann sagen wir es ihnen in aller Ruhe. Karo bohrt auch schon ständig nach; sie ahnt, dass was nicht stimmt. Lange kann ich sie auch nicht mehr hinhalten!"
"Gut! Dann machen wir das so! Ich werde das mit John absprechen und wir organisieren es dann."
06. Juni, Thomas' Geburtstag.
"Okay..." Thomas setzte sich neben Michael, drückte ihm ein Bier in die Hand und stieß mit ihm an. "Und? Sagst du mir jetzt, was los ist?"
Er sah Michaels erstauntes Lächeln. "Dir kann man nichts vormachen, oder?"
Thomas grinste: "Ach, weißt du, es war ja wirklich spannend, die ganze Aktion: Mich mit verbundenen Augen entführen, hierher schleppen... 'Ne flotte Party habt ihr organisiert, keine Frage. Aber die ganze Zeit werde ich das Gefühl nicht los, dass noch irgendwas kommt! Melli, John, Moni und du - den ganzen Abend schon werft ihr euch diese verschwörerischen Blicke zu, so nach dem Motto "Jetzt?". Willst du heiraten oder was habt ihr noch für eine Überraschung auf Lager?"
"Tja..." Michael seufzte laut auf. "Ganz so einfach ist das leider nicht." Dann stand er auf und bat John zu sich. "Leute! Setzt euch mal, ja? Melli, machst du bitte die Musik aus? Danke."
"Sollen wir es jetzt sagen?" wollte sie wissen.
John nickte.
Alle hatten sich zu Michael gesetzt und sahen erwartungsvoll auf ihn und John.
Der ergriff das Wort: "Liebe Freunde, es ist wohl am einfachsten, wenn Michael euch erzählt, was ihm nach der Feier zu seinem 30. Geburtstag passiert ist."
"Luisa ist passiert!" witzelte Karos Freund Peter.
Michael wurde ernst. "Richtig. Nur lustig war das wirklich nicht. Warum, das will ich euch erzählen. Ich würde euch auch sehr bitten, mich einfach bis zum Ende berichten zu lassen; eure Fragen dazu werde ich danach alle beantworten, einverstanden?"
So erfuhren seine restlichen Freunde von jener verhängnisvollen Nacht, in der Luisa ihn gegen seinen Willen verwandelt hatte.
Während Karo nachdenklich ihren Blick senkte, brach Peter plötzlich in Gelächter aus.
"Ja, klar, und gleich kommt Graf Dracula um die Ecke! Mal ehrlich, wie kommt ihr bloß auf so einen Blödsinn?!"
Wortlos stand John auf und holte ein Tomatenmesser vom Buffet.
"Lass es, John! Dass musst du nicht." Michael schien zu wissen, was er vorhatte.
"Schon gut, Michael. Glaub' mir, aus meiner Erfahrung heraus ist es die effektivste Methode, um es einfach und direkt klar zu machen, dass es kein Scherz ist."
"Na gut." Michael gab sich geschlagen. "Tu, was du nicht lassen kannst."
Irritiert sahen Karo, Peter, Thomas und Anne, wie John das Messer in die rechte Hand nahm, sich plötzlich die Spitze in die linke Hand stieß und wieder heraus zog. Das Blut tropfte auf den Boden.
"Hast du sie nicht alle?! Was soll das?"
Entsetzt war Anne neben ihm zurückgewichen, so wie die anderen.
Michael hob beschwichtigend seine Hände und gebot ihnen, ruhig zu bleiben.
Dann sahen alle ungläubig auf das, was nun geschah:
John tupfte das Blut mit einer Serviette ab und leckte über die Wunde. Die etwa 1,5 cm große Verletzung hörte auf zu bluten und es dauerte ungefähr zwei Minuten, bis man sah, wie sich die Wunde ganz langsam zu schließen begann. Immer mehr, bis schließlich nichts mehr zu sehen war.
Karo sah John forschend an: "Du bist auch einer, oder?"
"Ja."
"Dann ist das eure seltene Krankheit, stimmt's?" folgerte sie.
Michael nickte. "Ja, du vermutest richtig. Es dauert nämlich sehr lange, bis man wieder normal essen und trinken kann, weil der ganze Stoffwechsel sich umstellen muss. Von daher ist es die beste Möglichkeit, um unsere veränderten Nahrungsgewohnheiten zu erklären."
In Peter kam der Banker wieder durch: "Ihr wollt uns doch verarschen, oder? Das ist irgendein genialer Party-Trick!"
Jetzt meldete sich Monika zu Wort.
"Nein, Peter. Es ist kein Trick. Und glaube mir: Ich kann es aus erster Hand bestätigen!"
Sie erzählte von jener Nacht, als sie Michael das Leben rettete, indem sie ihm ihr Blut gab.
Es war still geworden. Thomas und Anne, Karoline und Peter saßen da und waren erst einmal sprachlos.
Dann ergriff Karo das Wort: "Es klingt zwar unglaublich, aber gut: Ich glaube euch. Jetzt wird mir auch einiges klar..."
Abrupt stand Peter auf und lief einige Schritte hin und her. Dann blieb er stehen und strich sich nachdenklich übers Kinn, während er Michael und John ansah.
"Ich habe so was ja immer für Humbug gehalten. Aber ich denke, ich muss es erst mal glauben; so schwer mir das auch fällt."
Er setzte sich wieder.
Michael sah ihn versöhnlich an. "Hört mal... Wir haben durchaus Verständnis dafür, wenn jemand von euch damit nicht klar kommt. Was ich sagen will: Sollte sich jemand dazu entschließen, dass er lieber nichts mehr mit uns zu tun haben möchte, so können wir das verstehen und werden demjenigen keinen Vorwurf machen." Er seufzte. "Ihr werdet jetzt vielleicht besser nachvollziehen können, warum ich mich so zurückgezogen habe. Alles worum ich euch bitte ist, mein bzw. unser Geheimnis zu wahren."
Abwartend sah er die anderen an.
"Sei mir nicht böse", meinte Anne, "aber da muss ich erst mal 'ne Nacht drüber schlafen!"
"Kein Thema." Michael sah in die verwirrten Gesichter seine Freunde.
"Und wenn ich eure Reaktion richtig einschätze, dann müsst ihr das alle erst mal verdauen. Deshalb würde ich sagen: Wir beenden die Party an dieser Stelle – wenn dir das recht ist, Thomas? – und ihr meldet euch einfach dann bei mir, wenn euch danach ist, einverstanden?"
Sie waren einverstanden und so blieb er mit Monika, John und Melanie zurück.
John sah ihn nachdenklich an: "Ob es gut geht?"
Michael zuckte mit den Schultern.
"Ich glaube schon!" warf Monika optimistisch in die Runde. "Karo zum Beispiel: Sie hat schon länger nachgebohrt, ob wir was verheimlichen. Vorhin hatte ich den Eindruck, dass sie es glaubt."
"Im Gegensatz zu unserem "Banker-Brain" Peter!" gab Michael zu bedenken.
"Ach, Micha, du kennst du Peter, der lässt sich immer eher vom Verstand leiten. Aber ich denke, Karo wird ihn überzeugen."
"Nun gut." John stand auf. "Warten wir es einfach ab. Wie wär's: Genehmigen wir uns noch einen?"
Michael stimmte zu: "Immer her damit! Ich glaube, ich brauche 'nen Doppelten!"
Einige Wochen später.
"Ach komm, Moni, was ist bloß los mit dir? Du mutierst noch zum totalen Stubenhocker!"
Karoline Herbert schien nun wirklich ärgerlich zu werden. Wieder einmal versuchte sie, ihre beste Freundin zum Ausgehen zu überreden. Ihre üblicher Kneipenabend, einmal im Monat. Aber Monika schien in letzter Zeit nicht einmal mehr dazu Lust zu haben.
"Ach, ich weiß doch auch nicht...", meinte sie nun seufzend, "Irgendwie fühle ich mich nur noch schlapp in letzter Zeit, immer müde, Fieber, schon wieder 'ne Mandelentzündung... keine Ahnung. Micha hat sich auch schon beschwert. Aber ich bin froh, wenn ich mir abends die Decke über den Kopf ziehen kann!"
Karolines Ärger schien auf einmal verflogen. Das Gespräch schoss ihr durch den Kopf, in dem Monika und Michael ihren Freunden seinerzeit ihr Geheimnis anvertraut hatte. Besorgt sah sie ihre Freundin an: "Ich bin jetzt mal ganz ehrlich, Moni: Wir machen uns alle Sorgen! Kann es sein, dass du irgendwie depressiv bist oder so was? Ich meine, ich weiß ja auch nicht, aber wenn wir dir irgendwie helfen können... Hast du vielleicht Probleme, von denen wir nichts wissen? Dass du mit der ganzen Situation doch nicht klar kommst? Komm, sei ehrlich!"
Moni freute sich über die offensichtliche Fürsorglichkeit. "Hey, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, mit mir ist alles in Ordnung, ganz bestimmt! Das Geschäft von Micha läuft klasse, und mir persönlich geht’s auch gut, dass ist es nicht. Vielleicht bin ich einfach nur überarbeitet, mit dem Umbau und so, weißt du."
"Vielleicht solltest du einfach mal in Münster zum Arzt gehen und nicht zu diesem Uralt-Doktor hier! Eine zweite Meinung kann nicht schaden, richtig?"
Moni sah auf die Uhr: "Mensch, ich muss los! Wir wollen noch tapezieren."
"Ja, ja, zieh’ dich nur elegant aus der Affäre...", Karo zog einen Schmollmund. "Aber geh’ los und lass dich durchchecken!"
"Mach’ ich, versprochen."
Ihre Freundin hatte ja recht: Zwei Tage später hatte sie einen Termin bei einem Arzt in Münster, den ihr John empfohlen hatte.
Dr. Walter war ein netter Arzt mittleren Alters. Er hatte sich Monikas Symptome genau angehört und sein tadelnder Unterton war ihr nicht entgangen, als er feststellte, dass sie eigentlich schon vor längerer Zeit einen Arzt hätte aufsuchen müssen.
"Rufen Sie mich in drei Tagen an, dann habe ich alle Ergebnisse und wir können die weiteren Schritte besprechen!"
Doch sie brauchte nicht anzurufen, denn zwei Tage später ging ihr Handy und die Sprechstundenhilfe bat Monika, am nächsten Tag in die Praxis zu kommen.
"Ähm, ja gut... aber kann der Doktor mir die Ergebnisse nicht am Telefon sagen?"
"Dr. Walter würde das gerne mit Ihnen persönlich besprechen und er hat mich gebeten, einen Termin für Sie morgen früh zu machen." Sie klang freundlich, äußerst freundlich.
Monika wurde mulmig zumute und sie sagte für den nächsten Morgen zu.
Als Michael am Abend nach Hause kam, merkte er gleich, dass etwas nicht stimmte. Ihr Pulsschlag war nervös und sie tat auffallend geschäftig. Er wusste natürlich, dass sie einen Arzt-Termin gehabt hatte und an diesem Tag die Ergebnisse ausstanden.
"Hey, was ist los, Schatz?" Er hielt sie am Arm fest und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
Sie stand vor ihm und fuchtelte hilflos mit den Händen. Anscheinend wusste sie selbst nicht, was sie ihm sagen sollte.
"Ich, ähm... der Arzt, weißt du, ich war doch in Münster bei diesem Dr. Walter..."
"Ja, klar! Und: Hast du die Ergebnisse? Hast du da heute angerufen?"
"Du... die haben mich angerufen. Wollten wohl am Telefon nichts sagen, also, ich soll morgen früh in die Praxis kommen, mit ihm persönlich sprechen."
Michael schluckte, nahm sie schnell in die Arme und drückte sie an sich, damit sie seinen besorgten Blick nicht sehen konnte. Bereits seit einigen Wochen hatte er den veränderten Geruch ihres Blutes wahrgenommen. Er hatte es auf ihren veränderten Hormonstatus geschoben, da sie die Pille nicht mehr nahm.
"Weißt du was, Schatz? Ich nehme mir morgen früh frei und wir fahren zusammen nach Münster zu deinem Doktor, was hältst du davon?"
Sie lächelte ihn an. Es war dieses "Ich will dich jetzt beschwichtigen und nicht mehr darüber reden"-Lächeln. "Okay, lieb von dir. 10:30 Uhr muss ich da sein."
"Gut, mein Engelchen. Dann machen wir das so. Hey, soll ich schon mal den Tisch decken fürs Abendbrot?"
"Okay..."
Die Fahrt nach Münster verlief schweigend. Michael spürte, wie Moni abblockte; er konnte ihr Adrenalin förmlich riechen. Sie war äußerst nervös und so versuchte er, einfach nur Ruhe auszustrahlen.
Als sie im Sprechzimmer des Arztes saßen, konnte er hören, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug. Die ernste Miene des Arztes bestätigte ihrer beider Vorahnung.
In aller Ruhe erklärte Dr. Walter, dass sich leider keine harmlose Ursache für Monikas Beschwerden gefunden hatte: Es handele sich um eine akute Leukämie mit erfahrungsgemäß sehr geringen Chancen auf Heilung, da der Krankheitsverlauf schon sehr weit fortgeschritten war. All das Unwohlsein, Zahnfleischbluten, die Mandelentzündungen... Es waren Vorboten gewesen.
Der Arzt seufzte: "Leider, leider... das wird in solchen Fällen leicht übersehen, auf Stress geschoben oder eben als normale Erkrankung abgetan. Ich wünschte, Sie wären zu einem früheren Zeitpunkt gekommen, wo man noch effektiv hätte eingreifen können, in den Krankheitsverlauf!"
Michael hielt ihre Hand und fühlte, wie sich der Griff verkrampfte.
"Alles in Ordnung?" Dr. Walter sah sie prüfend an. Monika war leichenblass abgezogen.
"Na ja..." Sie holte tief Luft. "Sie haben gerade mein Todesurteil ausgesprochen, oder?"
"Sie haben mich gebeten, ehrlich zu sein. Glauben Sie mir: Das sind die Momente, die mir in meinem Beruf am schwersten fallen."
Sie sah ihn an, während Tränen ihr Gesicht herunter liefen. "Wie lange habe ich Ihrer Meinung nach noch?"
Er strich sich nachdenklich übers Kinn, blickte nochmals auf seine Unterlagen. "Hm, erfahrungsgemäß... anhand der sehr akuten Krankheitsparameter... etwa sechs bis acht Wochen. Tut mir sehr leid!"
Michael vernahm seinen nervösen Herzschlag; es ging ihm tatsächlich nahe. Er löste seine Hand aus der Monikas und legte seinen Arm beruhigend über ihre Schulter.
Ihr Herz raste und ehe sich Michael versah, war Dr. Walter aufgesprungen und sah Monika prüfend an.
"Frau Franke? Sehen Sie mich an, Frau Franke!"
Sie zitterte.
"Ihr Kreislauf macht schlapp!" Der Arzt handelte schnell: "Kommen Sie, wir packen sie hier auf die Liege!" wies er Michael an, ihm zu helfen, während er gleichzeitig seine Arzthelferin herbei rief.
Monika hatte eiskalte Hände und war weiß wie die Wand. Der Schock hatte zu einem Kreislaufkollaps geführt. Verständnisvoll tätschelte Dr. Walter ihre Hand: "Ich gebe Ihnen jetzt eine Spritze zur Beruhigung, dann geht es Ihnen gleich besser, in Ordnung?"
Sie versuchte ein Lächeln: "Danke... Sie sind sehr nett."
Beruhigend strich er über ihren Arm: "Gerne..." Dann klopfte er Michael aufmunternd auf die Schulter, der Monis Hand ergriffen hatte und sie fest hielt. Er holte ein Medikament und Ringer-Lösung aus dem Schrank und gab seiner Arzthelferin Anweisung einen Tropf anzulegen.
"So, Frau Franke, jetzt bringen wir Ihren Kreislauf erst mal wieder auf Trab! Sie bekommen eine Spritze von mir und dann noch eine Infusion; das wird Sie stabilisieren..."
"Ich hätte nachhaken müssen! Sofort, als mir der veränderte Geruch ihres Blutes aufgefallen ist!"
John sah Michael mitleidig an.
"Hey... du hast auf ihre Hormonlage getippt, weil sie die Pille abgesetzt hatte. Mach' dir keine Vorwürfe. Ich meine, also, wir waren doch alle so eingespannt, mit den Umbauaktionen und allem. Wer hätte das ahnen können?"
Die Nachricht hatte ihn auch hart getroffen, denn er mochte Monika. John hatte sich so sehr für seinen Freund gefreut, nachdem die beiden wieder zusammen gefunden hatten.
Plötzlich funkelte ein Lichtblick auf, in Michaels Augen. Er sah John nachdenklich an, man konnte sehen, wie es in ihm arbeitete.
Irritiert sah John ihn an: "Was denkst du gerade?" Er konnte den aufgeregten Herzschlag fast am eigenen Leib spüren.
Angespannt krallte Michael seine Hände zusammen: "Ich muss sie überreden!"
"Überreden?" John ahnte nichts Gutes.
"Ja! Das ist es! Ich muss Sie überreden, sich doch verwandeln zu lassen, oder? Ich meine, dann kann sie heilen! Dann kann sie leben! Dass ich da nicht eher dran gedacht habe! Ich war so blockiert..."
Jetzt war es John, der blass wurde.
Irritiert sah Michael, wie dieser nichts sagte und ihn nur mitleidig ansah.
"Hey? Was? Sag' doch was! Das ist doch die Lösung!"
John holte tief Luft, lehnte sich zurück und fuhr mit den Händen durch sein Gesicht. Es war deutlich zu spüren, wie sehr er mit sich rang.
Michael verstand seine Reaktion nicht: "John!... WAS?"
"Micha... ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll..."
"Du machst mir Angst: Was sagen soll?"
"Also gut, pass' auf: Das, was ich dir jetzt klar machen muss, wird dir nicht gefallen. Du kannst sie nicht verwandeln."
"Was, wieso nicht? Spinnst du?! Was soll das?" Aufgeregt fuhr sich Michael durch die Haare und starrte seinen Freund ungläubig an.
John fiel es schwer, ruhig zu bleiben. "Bitte. Hör' mir jetzt einfach zu, okay?"
Michael zwang sich ruhig zu bleiben und sah John auffordernd an.
"Gut, Micha... Ich glaube, ich muss dir was erklären; etwas, dass du anscheinend überhaupt noch nicht weißt oder begriffen hast. Also... wie fange ich an... Du erinnerst dich an letzten Winter, nach dem Weihnachtsmarkt, als ich die heftige Grippe hatte?... Gut. Dann erinnerst du dich sicher auch noch, dass du herumgescherzt hast, weil es vierzehn Tage dauerte, bis ich wieder gesund war. So nach dem Motto "Alternde Vampire brauchen wohl etwas länger". Ich wollte dir dazu erst was sagen, aber dann... na ja, ich dachte, es wäre nur so ein blöder Spruch von dir. Aber durch deine Bemerkung vorhin ist mir klar geworden, dass du anscheinend etwas entscheidendes nicht weißt. Das war keine Grippe, die ich hatte, Michael. Als ich damals in Glen Lyon von Arthur verwandelt worden bin, war ich schwer krank, du erinnerst dich? So, wie mein Arzt in Münster herausgefunden hat, muss ich damals wohl eine schwere Lungenentzündung gehabt haben. Genau die hatte ich im Dezember auch. Ich werde sie immer und immer wieder bekommen! Und zwar aus dem Grund, weil es eine Rolle spielt, wie deine gesundheitliche Verfassung zum Zeitpunkt deiner Verwandlung ist, verstehst du? Du hast wahnsinniges Glück gehabt, dass du bei deiner Verwandlung kerngesund warst! Denn, wenn dir jetzt etwas passiert, kann dein Körper immer nur in den Zustand zurückheilen, in dem du gewesen bist! Ist dir klar, wie ich das meine?"
Michael schien sprachlos, sah ihn fassungslos an.
"Okay, Micha, ich will es noch mal an einem Beispiel verdeutlichen: Es gab da mal vor langer Zeit eine junge Vampirin, die ich ein wenig unter meine Fittiche genommen hatte. Der war folgendes passiert: Sie war zum Zeitpunkt ihrer Verwandlung noch Jungfrau. Dass bedeutete für sie, dass nach ihrem ersten Geschlechtsverkehr die "Wunde" wieder heilte und das Jungfernhäutchen wieder zuwuchs! Sie wurde also jedes Mal aufs Neue wieder entjungfert, verstehst du? Kein wirklicher Spaß... Aber ganz im Ernst:" John seufzte laut vor sich hin. "Micha... wenn du Monika jetzt verwandelst, dann wird sie immer wieder an Leukämie sterben. Weil die Krankheit bereits da ist, wenn du sie verwandeln würdest. Und ich denke, das willst du ihr nicht antun, oder?"
Da saß sein Freund, sagte nichts, starrte vor sich hin mit leerem Blick.
John stand auf. "Ich glaube, ich hol' uns mal 'n Whiskey..."
Noch immer schwieg Michael, aber seine Augen füllten sich langsam mit Tränen. Er kippte den Whiskey herunter und hielt John das Glas wortlos hin.
Der setzte sich neben ihn und legte seinen Arm tröstend um dessen Schulter. "Scheiß-Abend..." murmelte er. "Tut mir so leid für dich..."
Dann hielt er seinen heulenden Freund einfach fest. Da konnte man nichts mehr schönreden. Monika würde sterben. Und nichts in der Welt konnte das ändern.
Die Tage vergingen viel zu schnell.
Nachdem sie ihre Freunde über Monikas Zustand informiert hatten, packten alle mit an und innerhalb von vierzehn Tagen war der hintere Ausbau im Landhaus fertig. Monika und Michael hatten ein gemütliches Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Den Küchenbereich teilten sie sich gemeinsam.Die notwendige medizinische Betreuung war organisiert und Michael hatte sich für die nächsten Wochen im Geschäft frei genommen, wo er von seinen ehemalige Kollegen und jetzigen Mitarbeitern nach Kräften unterstützt wurde. "Kümmere du dich um deine Monika, wir regeln das hier schon!" Dafür war er sehr dankbar, schaute nur ab und zu nach dem rechten oder wenn was Besonderes anlag.
Michael hatte ein Doppelbett ins Wohnzimmer gestellt, dessen linke Seite krankengerecht ausgestattet worden war. Zur linken Seite sah man von dort auf den Kamin, rechts auf die Couchgarnitur. Wenn sie nun im Bett lagen, dann blickten sie direkt auf die große Terrassenfront, mit Blick auf den wunderschönen Naturgarten und den angrenzenden Wald dahinter.
Monika war zur Behandlung die ganze Zeit in der Klinik gewesen. Keiner hatte verraten, dass die Renovierung bereits fertig war.Michael holte sie nach Hause. Aber zu Monikas Überraschung fuhren sie nicht in die Wohnung, sondern zum Landhaus, wo ihre Freunde und Eltern sie gemeinsam begrüßten.
"Herzlich willkommen!!!" scholl es ihr von allen entgegen!Sie freute sich sehr, denn Michael hatte auch nicht verraten, dass alle da sein würden, wenn sie nach Hause kam. Und noch etwas hatte er nicht verraten...
Nach dem Kaffeetrinken klingelte es. "Ist nur der Catering-Service, für unser Abend-Buffet." erklärte Michael. Wer da wirklich hereingekommen war, verriet er nicht. Fünf Minuten später war er plötzlich verschwunden, ebenso Karo, Anne und Melanie.
Monika hatte sich bereits gewundert, warum ihre Mutter plötzlich feuchte Augen bekam, als die Tür wieder aufging und ihre Freundinnen herein kamen: Überall verstreuten sie Rosenblätter, gefolgt von Michael, der eine einzelne Rose in der Hand trug. Und ein Schmucketui.
Alle Augen waren auf Monika und Michael gerichtet. Eine gespannte Stille hatte vom Raum Besitz ergriffen, als er vor ihr niederkniete, sie liebevoll ansah, die Rose überreichte und das Etui öffnete. Monika erblickte die Trauringe, die sich darin befanden.
"Monika, meine Liebste, mein Leben, meine große Liebe... Es gibt niemanden auf der Welt, den ich so sehr liebe, wie Dich! Von ganzem Herzen! Und darum frage ich dich jetzt, hier vor unseren Eltern und Freunden:Willst Du meine Frau werden?"
Seine Hände zitterten vor Aufregung.
Es war mucksmäuschenstill.
Während Monikas Augen sich mit Freudentränen füllten, kam ein ebenso zittriges "Ja!" über ihre Lippen.Applaus von allen Anwesenden brandete auf, als er ihr den Ring überstreifte und sie ihm seinen an den Finger steckte.
"Au man, dass ist soooo geil!!" kreischte Karo völlig aufgeregt.
Monika lachte und schmiegte sich in Michaels Arme. Der hielt sie glücklich fest und rief zu John herüber: "John! Holst du bitte den "Catering-Service" herein?" Sein Freund grinste und tat, wie ihm geheißen.
Herein kam jedoch nicht der Catering-Service, sondern eine Standesbeamtin! Michael hatte im Vorfeld alle schriftlichen Dinge geregelt und sie zu diesem Termin geladen, was die Frau aufgrund der besonderen Situation gerne tat.
Schnell hatten John und Melanie einen kleinen Tisch vor die beiden hingestellt und drei Stühle platziert.
Michael und die sprachlose Monika nahmen vor dem Tisch Platz, auf dem die Standesbeamtin nun die Papiere ausbreitete. Nach den üblichen Formalitäten, begann sie lächelnd mit ihrer Rede.
"Liebes Hochzeitspaar, liebe anwesende Trauzeugen und Gäste!Wir haben uns hier zusammen gefunden, um Zeugen zu sein, wenn Monika und Michael sich das Jawort geben.In dieser ganz besonderen Situation, an diesem ganz besonderen Tag.
Und so frage ich Sie, Michael Klaus Hofer: Sind Sie gewillt, mit der hier anwesenden Monika Maria Franke die Ehe einzugehen, dann antworten Sie mit Ja."
Michael kämpfte mit den Tränen: "Ja!"
Die Standesbeamtin nickte wohlwollend und sah dann Monika an:"Und nun frage ich Sie, Monika Maria Franke: Sind Sie gewillt mit dem hier anwesenden Michael Klaus Hofer die Ehe einzugehen, so antworten Sie mit Ja."
Monika antwortete mit einem strahlenden Lächeln: "Ja!"
Sie fielen sich in die Arme und das mit einem Schmunzeln ausgesprochene "Sie dürfen die Braut jetzt küssen!" der Standesbeamtin ging völlig im frenetischen Jubel der Anwesenden unter.Es dauerte einige Minuten, bis sich alle wieder beruhigt hatten.
Dann bat die Standesbeamtin nochmals um Gehör.
"Liebes Brautpaar, Liebe Gäste,ich habe lange überlegt, wie ich, aufgrund dieser besonderen Situation hier und heute am besten abschließen kann. Und darum möchte ich diese Zeremonie mit einem Gedicht nach Hermann-Josef Coenen beenden."Alle lauschten gespannt.
"Ich nehme Dich an.
Dich.
Nicht ein ideales Traumbild von einem Supermann, einer Superfrau.
Ich meine wirklich Dich:
Diesen leibhaftigen Menschen neben mir.
Mit deinem Charme und deinen Eigenheiten.
Dich mit Haut und Haaren,
und Dich mit den kleinen Grübchen auf den Wangen, wenn du lächelst.
Dich nehme ich an
So, wie du bist.
Nicht so, wie ich dich gerne hätte.
Ich nehme dich an,
mit deiner Kinderstube
und deinen Manieren.
Mit dem, was du gelernt hast,
und mit dem, was du nicht gelernt hast.
Mit den Verletzungen deiner Kindheit
und den Narben deiner Jugendjahre.
Mit deine Stärken
und deinen Schwächen,
mit deiner Sonnenseite
und mit deinem Schatten.
Ja, auch das nehme ich an,
was du selbst nur schwer
annehmen kannst an dir.
Diesen erwachsenen, verwachsenen,
nie ausgewachsenen, immer weiter wachsenden,
stacheligen, zärtlichen, spröden,
herzlichen, liebenswerten,
unausstehlichen, lebendigen,
menschlichen Menschen.
DICH nehme ich an.
Liebes Brautpaar, nochmal meine herzlichsten Glückwünsche!"
Es gab kaum jemanden in diesem Raum, der keine Tränen in den Augen hatte.
Nacht für Nacht hielt er sie in seinen Armen, gab ihr Trost und Mut.
Dann kam ihre letzte Nacht.
Zufrieden lächelte Michael vor sich hin, als den Tee abgoss, den er für Monika aufgebrüht hatte. Langsam wurde es dunkel, und er hörte draußen die Vögel zwitschern, als er die Sachen auf ein Tablett stellte und ins Wohnzimmer brachte.
Monika freute sich: „Hm... der Tee duftet!“
„Möchtest noch irgendetwas?“
„Nein. Komm! Lass uns weiter die schöne Musik hören.“
Er legte sich wieder zu ihr ins Bett und sie kuschelte sich an ihn.
Ein kleiner Schauer lief über seinen Rücken: Sie fühlte sich so weich und zart an, so als würde sie jeden Moment davon gleiten.
Michael spürte es deutlich, dass der Abschied nicht mehr weit war. So gut, wie er konnte, versuchte er stark zu sein und sie seine Traurigkeit nicht spüren zu lassen.
Sie kuschelte sich innig in seine Arme und gemeinsam sahen sie diesen letzten Sonnenuntergang, während die Vögel draußen ein letztes Lied sangen.
Der Vorhang des großen Terrassenfensters war zur Seite gezogen; man sah nach draußen in den blühenden Garten, in all das Grün und das bunte Blütenmeer.
„Das ist so wunderschön, diese Aussicht!“ hatte Monika am Vortag noch zu ihm gesagt.
Jetzt seufzte sie wieder zufrieden auf. Ihre Hand strich über seine Brust und sie sah ihn an. So liebevoll, so zärtlich...
„Schau mal...“, flüsterte sie, „der Himmel... fast dunkel... und der Vollmond, wie er leuchtet!“
Genau wie er selbst liebte sie den Vollmond. „Hast du das Licht da angeknipst?“ lächelte sie.
Michael sah ihr in die Augen und küsste sanft ihre Lippen. „Ja... extra heute Abend...“, flüsterte er, „eine Mondlicht-Symphonie – nur für dich...“
Voller Inbrunst drückte er sie an sich und hielt sie liebevoll in seinen Armen.
Ihr Atem war schwach. „Ja... eine Mondlicht-Symphonie... so schön..........“
Michael kämpfte mit den Tränen.
"Du kannst ruhig weinen... macht nichts... schon gut... so schön, dass ich bei dir im Arm einschlafen kann..."
Sie hatte kaum noch Kraft, zu sprechen. Dann drehte sie sich zu ihm und sah ihm in die Augen, hob ihre Hand und streichelte sanft seine Wange. "Ich liebe dich... für immer..."
"Ich liebe dich auch so sehr!" Michaels Stimme zitterte, als er sie zärtlich küsste.
Sein zärtlicher Blick ruhte auf ihrem Gesicht. Ihre Augen waren geschlossen, ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Er horchte auf ihren schwächer werdenden Herzschlag; spürte, wie das Leben langsam ihren Körper verließ. Ein letztes Mal schien sie aufzuseufzen, dann war es still. Noch immer hielt er sie in seinen Armen, drückte sie liebevoll an sich. Tränen liefen über sein Gesicht. Sie sah so friedlich aus. Seine große Liebe. Seine beste Freundin. Seine Geliebte. Seine Inspiration. Seine Lebensfreude. Sie war gegangen.
John und Melanie hatten in ihrem Wohnzimmer gesessen und noch einen Film angeschaut, als John plötzlich aufstand. Er wirkte angespannt, stellte sich nachdenklich ans Fenster und sah nach draußen.
Auch Melanie hatte eine seltsame Stimmung gespürt, die sie sich nicht erklären konnte. Sie stand auf, ging zu John und schlang ihre Arme um seine Hüften. „Hey... was ist los?“
John wandte sich ihr zu und sie sah die Besorgnis in seinen Augen. „Irgendwas stimmt nicht...“, murmelte er, „ich kann es spüren...“
Melane schluckte: „Moni...?“
Er hielt sie an den Armen, sah sie bittend an: „Gehst du mit?“
„Ja, natürlich. Komm.“
Vorsichtig waren sie durch den Flur gegangen und standen schließlich vor dem Wohnzimmer ihrer Freunde. Leise Musik war von drinnen zu vernehmen.
Melanie spürte, wie John sich verkrampfte. Dann sah er sie an und flüsterte: „Er weint...“
Ihr stockte der Atem: „Moni...?“
Unter Tränen nickte er: „Ich höre nur noch einen Herzschlag...“
Es war eine stille Beerdigung gewesen. So, wie sie es sich gewünscht hatte. Im engsten Kreis der Familie und mit den vertrauten Freunden.
Zwei Tage verließ Michael das Bett nicht und weinte nur. Weder John noch seine Eltern oder irgendjemand sonst vermochte ihn zu trösten. Am dritten Tag schien er sich zu fangen, stand auf und begann aufzuräumen.
Als er die Bettwäsche vom Krankenbett abzog, fiel plötzlich ein Zettel auf den Boden, der wohl unter dem Laken gesteckt hatte. Irritiert hob er ihn auf und las die wenigen Zeilen, die darauf standen.
Sie waren von Monika.
"Liebster Micha, mein Herzens-Mann!
Ich hätte uns mehr Zeit gewünscht, sollte wohl nicht sein
Ich wünsche mir aber für DICH, dass all deine Träume sich noch erfüllen!
Die Zeit war so kurz, aber du hast mich so glücklich gemacht!!!
Ich liebe Dich bis in die Ewigkeit
deine Moni"
Fassungslos hielt er ihre letzten Zeilen in den Händen, kauerte in sich zusammen gesunken vor ihrem Bett.
Und weinte.
Drei Tage später stand er mit John an ihrem Grab.
"Weißt du, Micha...," Mitfühlend legte John seine Hand auf dessen Schulter: "...manche Träume erfüllen sich vielleicht nie. Aber gerade deshalb dürfen wir nie aufhören, sie zu träumen."
Michael reagierte nicht.
„Micha, kannst du dich noch an den Wahlspruch meines Clans erinnern, von dem ich euch seinerzeit erzählt habe? Er hieß „Nunquam obliviscar“ und das heißt „Ich werde niemals vergessen“. Und deine Moni werde ich auch niemals vergessen, sie war eine wunderbare Frau!“
Michael erwiderte nichts und so trat John rücksichtsvoll ein paar Schritte zurück, um seinem Freund ein wenig Privatsphäre zu lassen.
Michael legte die Freesien auf ihr Grab, ihre Lieblings-Blumen, und sank auf die Knie. Sie war tot, unwiederbringlich.
Er hatte den Menschen verloren, der ihm das Liebste auf der Welt war. Seine Seelenverwandte, seine Verbündete, beste Freundin, Lebensgefährtin, Geliebte ... Tränen liefen über sein Gesicht, als er leise flüsterte: "Ich liebe dich... bis in die Ewigkeit… Nunquam Obliviscar..."
Und er wusste, was er jetzt tun würde.
Texte: Orelinde Hays / Auszug aus "Ich nehme dich an" von Hermann-Josef Coenen, copyright H.-J.Coenen
Bildmaterialien: Orelinde Hays
Tag der Veröffentlichung: 17.05.2015
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