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Tanz der Stunden



18:07 – Garderobe


„Ma, ich nicht verstehe: Warum die Frage? Warum fragen mich? Mamma mia, warum die commedia?“
Kommissar Schmid seufzt leise auf: Oft hilft es, wenn er sich mit all seiner Masse auf der einen Seite eines Tisches breit macht, dieweil der Verdächtige vor ihm auf einem Hocker hockt. Hier aber funktioniert dieses Spiel nicht: Die Frau ihm gegenüber sitzt so kerzengerade auf ihrem Hocker, als nehme sie eine Ballett-Pose ein. Zudem irritiert es den Kommissar, dass sie noch ihr Kostüm trägt: Denn dieses unterstreicht die sehnige, aber doch sehr weibliche Figur der Tänzerin.
Der Kommissar mustert sie noch, wie seine Kollegin die Frage der Italienerin beantwortet: „Immerhin wurde Ihre Konkurrentin schwer verletzt: Und es war offensichtlich kein Unfall; sicher nicht!“
Schmid sieht kurz zu der neben ihm stehenden Frau hinüber: Verglichen mit ihm selbst erschien sie ihm sonst schlank und sportlich, aber neben der Tänzerin wirkt sie fast plump; dabei dürfte sie kaum älter sein als die Ballerina. Diese starrt die Polizistin ungläubig an: „Schwer verletzt? War nur Sturz; passiert oft bei Tanz! Che peccato, ma, muss aufpassen! Wie verletzt?“
„Wohl ein verstauchter Knöchel.“ erklärt Schmid. „Wie auch immer: Für sie ist das Vortanzen vorbei.“
„Es hätte schlimmer kommen können: Viel schlimmer.“ ergänzt die Kollegin. „Es ist Körperverletzung; es hätte Mord werden können!“
„Omicidio? Madonna! Povera ragazza! Aber, sie tanzt bald wieder, vero? Also, warum die Fragen?“
„Nun, der Operndirektor ist ein guter Freund vom Polizeichef.“ bemerkt Schmid mit einem weiteren Seufzer. „Und solch ein Vorfall bei der Auswahl einer Solotänzerin... Wirklich peinlich!“
Die Tänzerin zuckt ungeduldig mit den Schultern: „É sfigato; Pech, si... Aber ich fertig, also Ende: Ich gewinne, in tutti i casi!“
Die Polizisten wechseln stumme Blicke, und beide erinnern sich sogleich an das vorhergehende Verhör.


17:37 – Garderobe


„Solch ein Vortanzen auf der Opernbühne, mit vollem Orchester... Ist das eigentlich normal?“
Der Choreograph hält sein Knie mit beiden Händen umfasst und wippt auf dem Hocker leicht vor und zurück, wie er antwortet: „Normal? Gewiss nicht! Aber wenn es um die Position einer Solotänzerin geht, zählt nicht nur die Leistung im Probenraum: Entscheidend ist die Performance auf der Bühne, das Wechselspiel mit dem Orchester, die Ausstrahlung, die Sicherheit... Verstehen Sie?“
Die Polizistin kommt ihrem Chef zuvor: „Apropos Orchester: Ich konnte bisher den Orchesterleiter, den Dirigenten nicht erreichen; mit ihm würden wir auch gerne reden.“
Das verwundert den Choreographen derart, dass das Wippen stoppt: „Maestro Grigoriew? Der ist unterwegs zum nächsten Konzert: Völlig ausgebucht, verstehen Sie? Aber von den Kandidatinnen weiß er eh nicht viel. Über die wollen sie doch reden, nicht wahr?“
Schmid nickt: „Stimmt. Zehn Kandidatinnen gab’s?“
„So ist es. Aber, um ehrlich zu sein: Favoritinnen gab es nur zwei: Annabella Cèneda, die als sechste tanzte, und nach ihr Annegret Müller, wo es dann...“
„Die dann auf den Brettern landete, kaum, wie’s losging...“
„So ist es, leider. Sie müssen wissen, auf ihre Performance war ich besonders gespannt: Höchst begabt, aber leider auch sehr unsicher, verstehen Sie? Just das Gegenteil von Annabella: Die ist, nun ja, sehr von sich überzeugt, und das meistens auch zu recht. Aber sie weiß durchaus, dass Annegret mindestens so begabt ist wie sie selbst, und sie verstand es, die arme Kleine immer wieder zu verunsichern.“
„Und der Tanz von Frau Cèneda? Wie beurteilen sie den?“
„Wie zu erwarten war, Frau Kommissar: Brillant! Nicht genial, aber klar besser als die fünf Kandidatinnen vor ihr.“
Schmid staunt: „Wirklich? Wenn Sie das sagen... Für mich sah eine Nummer wie die andere aus.“
„Ach, Sie haben sie schon gesehen?“


16:05 – Regieraum


„Wozu dienen eigentlich diese Aufnahmen?“
Der Regisseur bedient weiter seine Regler, während er auf die Frage des hinter ihm stehenden Kommissars antwortet: „Tja, kann ja sein, dass sich die Jury nicht gleich sicher ist, wer die Beste war, dass sie sich die Mädchen nochmal ansehen will... da, da ist’s: Jetzt geht die 5 ab, bei 12:50; die 6 kommt gleich-“
„Die Italienerin?“
„Bingo! Rassig, nicht? Und dieses knappe Trikot...“
Er verlangsamt die Aufnahme, schaltet einen größeren Monitor hinzu und zoomt an die Tänzerin heran, bis Schmid deren selbstbewusstes Lächeln erkennen kann. Wie der Tanz beginnt, wechselt der Regisseur wieder zum Weitwinkel: „Beim Tanzen geht nur die Totale, eh klar. So, 12:50; und wieder Ponchiellis ‚Tanz der Stunden’.“
Über die Lautsprecher hört Schmid, wie das Orchester einsetzt, und sogleich setzt sich die Tänzerin in Bewegung: Erst langsam, mit fließenden Bewegungen, passend zur Musik; dann, wie diese lauter und schneller wird, legt auch die Italienerin zu: In immer rascheren Tempo wechseln Läufe, Sprünge, Pirouetten und Arabesquen.
„Spulen Sie vor; das kenne ich jetzt schon!“
„So? Tja, bin auch kein Klassik-Freak, aber ‚Tanz der Stunden,’ das könnte ich immer wieder hören. Prima Prüfungsstück: Hat nur zehn Minuten, ist aber alles drin! Aber gut; vorwärts also... Da, 12:58; die letzten Sprünge, in die Grätsche... Scheiße, muss das wehtun! Schluss, Verbeugung, Abgang. Und schon kommt die kleine Müllerin.“
„Klein? Glaube nicht, dass sie kleiner ist als die Italienerin.“
„So mein ich’s nicht: Wenn man die Müller sieht, wirkt sie immer wie ein verschrecktes Schulmädchen –außer, sie tanzt! So, 12:59, los geht’s. Da, sehen Sie? Bin kein Experte; aber das hat doch mehr Stil, mehr Ausstrahlung als bei der Cèneda. Und ihre Sprünge! 13:00; der erste Lauf über die Bühne, und dann sollte eigentlich... Au Scheiße, das tut auch beim zehnten Zusehen noch weh!“
Dennoch verlangsamt der Regisseur das Video, so dass Schmid in Zeitlupe verfolgen kann, wie die Tänzerin mit einem Fuß irgendwo hängen bleibt, strauchelt, vornüber stürzt, sich dabei unglücklich verdreht und schließlich der Länge nach auf den Brettern landet. Das Orchester spielt noch ein paar Takte, aber selbst das kann den Aufschrei des unglücklichen Opfers nicht übertönen.
„Noch mal?“ wundert sich die Polizistin, die nun den Raum betritt. „Erkennt man, wann der Faden gespannt wurde?“
„Keine Chance.“ meinte Schmid kopfschüttelnd. „Zu dunkel.“
„Die Falle kann aber höchstens 15 Minuten vorher scharf gemacht worden sein: Ich habe das Sanduhr-Modell gefunden; sie läuft eine Viertelstunde.“
Erst jetzt wendet sich der Regisseur von seinen Monitoren ab und der Polizistin zu: „Sanduhr? Hä?“


15:12 – Hinterbühne


Der Kommissar schüttelt den Kopf, aber sein Lächeln verrät eine gewisse Anerkennung: „Wirklich raffiniert!“
Er und der Choreograph betrachten einen unübersichtlichen Aufbau auf einem Tisch vor ihnen; die Polizistin dagegen widmet sich der Umgebung: „Kein Wunder, dass das niemandem aufgefallen ist: Bei diesem Durcheinander hier; überall Kisten, Kulissenteile, Requisiten... Das sind doch Requisiten, oder? All die Möbel da?“
„Gewiss, gewiss.“ bestätigt dies der Choreograph, ohne sich von dem Tisch abzuwenden. „Es läuft gerade der Umbau für eine neue Insze-nierung; für das Vortanzen haben wir nur die Vorderbühne freigeräumt. Aber das da, das verstehe ich nicht: Wie funktionierte das?“
„Sie sehen das Gegengewicht dort?“
„Gewiss: Wie ich sagte, halten die sonst Kulissenteile.“
„Nun, das da habe ich selber vorhin aus dem Loch da gezogen-“
„Aus der Versenkungsklappe? Die sollte zu sein!“
„Sollte... Ich denke, es lief so: Das Gewicht lag auf dem rechten Arm der Wippe auf dem Tisch da. Das zweite Gewicht liegt noch auf dem linken Arm; es hielt den unten –wenn auch nur dank des Gewichtes der Sanduhr. Sehen Sie; die liegt da unten: Kaputt, doch nicht wegen des Sturzes: Der untere Glaskolben wurde geöffnet, so dass der Sand heraus lief; der hat sich da auf dem Tisch verteilt. So wurde die Uhr leichter, und das Gleichgewicht der Wippe war so geschickt eingestellt, dass sie irgendwann kippte. Dann rutschte das erste Gewicht vom Tisch, fiel in das Loch, der Faden am Gewicht spannte sich, und während er vorher auf dem Boden lag, lief er nun in gut 20 Zentimeter Höhe quer über die Bühne. Wie gesagt: Ein wirklich raffiniertes Fangnetz! Gut vorbereitet –wohl letzte Nacht– und automatisch ausgelöst, so dass der Täter sich problemlos ein Alibi besorgen konnte. Mittels der Sanduhr wurde der Aktivierungs-Zeitpunkt der Falle recht genau eingestellt, aber wann Täter den der Countdown hier vor Ort startete... Lässt sich kaum genau sagen!“
Die Polizistin blickt zum Bühnenrand hinüber, von wo aus immer noch mehrere Ballerinen die Ermittler neugierig beobachten: „Und ich nehme an, es hat auch jeder Zugang zu diesem Bereich? Oder jede?“
„Gewiss, gewiss: Jeder, der wegen des Vortanzens... Aber Sie meinen doch nicht etwa, dass eines von den Mädchen...?“
„Nun, nur sie hatten Gelegenheit und Motiv.“
„Und die Mittel finden sie gleich hier.“ ergänzt dies die Polizistin, wie sie sich erneut in dem Chaos umsieht. „Jede Menge Mittel.“


12:59 – Seitenbühne


„Mann, ich hätte auch gleich zuhause bleiben können: Ich glaube, du bist glatt einen Meter höher gesprungen als ich.“
Annabella Cèneda nimmt das Lob ihrer Konkurrentin lächelnd entgegen, während sie sich den Schweiß abwischt: „Grazie! Einen Meter, nein, aber... War gut!“
Drei weitere Tänzerinnen sehen sich vielsagend an; die anderen eilen an den Bühnenrand zurück: Denn gerade ertönen schon wieder die ersten Takte vom ‚Tanz der Stunden.’ Das will sich auch Annabellas Lobrednerin nicht entgehen lassen: „Jetzt kommt Annegret!“
Sie will den anderen folgen, aber Annabella hält sie am Arm zurück: „Sag, Sophia: War ich gut? Detto francamente!? Ehrlich!?“
Ihre Kollegin mustert Annabella erstaunt: „Ehrlich? Ja, natürlich! Gut, bei der Pirouette warst du hinter dem Orchester zurück, aber-“
„Alles Schuld von Orchestra!“ erregte sich darauf Annabella. „Schuld von Maestro Grigoriew! Dirigiert molto presto, troppo presto!“
„Zu schnell, meinst du? Ja, ging mir genauso. Mal sehen, wie Annegret damit klarkommt, wenn –was war das?“
Und wie die zwei sich zu den anderen Beobachtern am Bühnenrand gesellen, verstummt die Musik schon.


18:22 – Probebühne


„Und Sie haben nichts vergessen? Sicher?“
Sophia nickt eifrig: „Natürlich, Herr Kommissar! Ich weiß nicht, was Ihnen die anderen Mädchen über mich erzählt haben-“
„Über Sie habe ich sie gar nicht befragt. Und wenn doch-“
„-so dürften Sie mir das nicht sagen; ich verstehe schon. Aber, was ich sagen wollte: Ich mag nicht die beste Tänzerin sein; ich hatte wohl auch nie eine ernsthafte Chance bei diesem Vortanzen, aber mein Gedächtnis ist sehr gut; ehrlich! Ich habe Ihnen alles erzählt, was wir Mädchen so hinter der Bühne geplaudert haben –während die vorne tanzten, und bis zu Annegrets Sturz, heißt das. Bis Sie dann hier ankamen, dauerte es –oder wollen Sie das auch wissen?“
„Danke; ich denke, das reicht fürs erste.“


18:58 – Garderobe


„Und? Wie geht es Ihnen inzwischen?“
Die Ermittler haben die Garderobe gewechselt, und hier verzichtet der Kommissar auf seine übliche Verhör-Methode. Stattdessen hockt er sich auf den Hocker, und seine Kollegin stellt sich neben den Schminktisch: Denn auf dem Sessel sitzt das Opfer, und auf dem letzten verbleibenden Stuhl ruht ihr dick einbandagierter Fuß. Auf dem Gesicht der Frau sind die Spuren eines emotionalen Zusammenbruches unübersehbar. Trotzdem kann Schmid nicht umhin, zu bemerken, dass auch sie noch ihr Kostüm trägt. Es ist nicht nabelfrei wie bei ihrer italienischen Konkurrentin, aber selbst durch den Trikotstoff kann er die Bauchmuskeln zählen. Dennoch versucht er die Frau zuerst einmal zu trösten: „Sprach eben noch mit dem Arzt: Ist also wirklich nichts gebrochen?“
„Gebrochen!?“ schreit die verhinderte Solistin auf. „Da könnte ich ja gleich Verkäuferin werden, wie meine Mutter! Schon das jetzt... Wenn ich Glück habe, könnte ich in zwei, drei Monaten wieder richtig trainieren; bestenfalls wäre ich in einem halben Jahr wieder so weit wie heute... Warum habe ich nicht besser aufgepasst...“
Ein Schluchzer lässt sie verstummen, worauf auch die Polizistin Trost zu spenden versucht: „Den Stolperfaden konnten Sie einfach nicht sehen; unmöglich: Es ist durchsichtige, extra stabile Drachenschnur.“
Schluchzer bilden sie Antwort, und so übernimmt Schmid wieder: „Nun, wer könnte ihr Vortanzen sabotiert haben? Irgendeine Idee?“
Die Tänzerin sieht ihn so überrascht an, dass sie fürs erste sogar das Schluchzen vergisst: „Sabotieren? Mich? Sie meinen... Jemand von den Mädchen? Jemand unter Annabella und den anderen?“
„Interessant, dass Sie gerade Frau Cèneda namentlich nennen.“
„Annabella? Sie meinen... Ich möchte sie nicht verdächtigen! Ja, sie hat mich immer wieder schlecht gemacht, aber dass sie deswegen... dabei habe ich ihr immer wieder gesagt, dass sie gut ist: Sehr gut!“
„Wirklich? Auch besser als Sie?“
Die Frau zögert mit der Antwort: „Wie könnte ich das sagen?“
Die Polizistin wird nun konkret: „Hat sie Sie jemals bedroht?“
Wieder Zögern: „Bedroht, nun ja... Sie ist Italienerin; sie redet viel... Aber so was dürfte sie doch bestimmt nicht ernst meinen.“
Die Ermittler wechseln vielsagende Blicke. Wie Schmid gerade fortfahren will, betritt der Choreograph die Garderobe: „Ich bitte um Verzeihung, aber dauert dies noch länger heute? Sie verstehen; die Mädchen wollen heim... Keine Sorge, Kleines: Es wird gewiss alles gut!“
Die Tänzerin nickt schwach, und auch der Kommissar nickt: „Denke, wir sind hier soweit fertig; alles andere eilt wirklich nicht.“
„Da bin ich Ihnen sehr dankbar. Dabei dachte ich schon, wir könnten wir ausnahmsweise mal früher fertig werden, aber nein...“
„Sie meinen, weil der Dirigent das Stück teils schneller als üblich dirigiert hat?“
Der Choreograph blickt den Ermittler erstaunt, fast bewundernd an: „Haben Sie das bei den Aufzeichnung bemerkt?“
„Teilweise. Aber, um ehrlich zu sein: Vorher kannte ich das Stück nur aus ‚Fantasia’, dem Disney-Film; habe ich mal mit meiner Tochter gesehen. Freilich, hier tanzen ja nun wirklich keine Elefanten und Nilpferde...“
Dem Choreographen fehlten die Worte, während das Unfallopfer nun sogar kurz glucksend auflacht.


Folgender Tag, 14:38 – Privatwohnung


„Danke, dass Sie zugesagt haben, angesichts Ihres Zustandes...“
„Kein Problem; es geht schon; meine Eltern sind gerade weg...“
Der Kommissar blickt auf die Krücke, die an dem Sofa lehnt, auf dem Annegret Müller nun ihr Bein ausgestreckt. Sie wirkt entspannter als am Vortag, was auch an der Alltagskleidung liegen mag. So kommt er gleich zur Sache: „Ich habe mich heut noch mal mit der Sache befasst, die wir gestern zuletzt besprochen haben: Das Tempo des Dirigenten.“
„Grigoriews Dirigat? Ja, darüber hat gestern Sophia geklagt –die, die vor Annabella dran war. Aber wieso-“
Schmid unterbricht sie; zugleich zückt er einen Notizblock: „Stimmt; auch Signora Cèneda fiel es auf; ebenso dem Choreographen. Der Regisseur hat heut früh die Spielzeiten für den ‚Tanz der Stunden’ anhand seiner Aufzeichnungen genau abgemessen: Bei der ersten lag sie bei gut 10 Minuten, dann 9.5, 9, 8.6, 8.1, und zuletzt sogar nur bei 7.3 Minuten.“
Die Tänzerin ist fassungslos: „Drei Minuten weniger als bei der ersten? Was wäre das für eine Chancengleichheit!? Es hieß zwar, dass er hinterher rasch weg muss, zum nächsten Konzert, aber trotzdem...“
„Sie haben völlig recht. Aber das wirft ein völlig neues Licht auf den- oder diejenige, die Ihr Vortanzen sabotiert hat.“
Die Ballerina schweigt; so fährt Schmid fort: „Wie erwähnt, wurde die Falle durch einen simplen, aber wirkungsvollen Zeitauslöser ausgelöst. Der lief höchstens 15 Minuten, und um sich ein Alibi zu verschaffen, wurde der Zeitauslöser vermutlich vor Frau Cènedas Vortanzen gestartet. Können Sie mir folgen?“
Annegret nickt nur.
„Deren Vortanzen begann um 12:50; Ihr Sturz erfolgte genau 10 Minuten später. Grigoriews letzte Aufnahme vom ‚Tanz der Stunden’ läuft knapp über 10 Minuten. Nun, sie haben die CD ja da drüben auf Ihrer Anlage liegen.“
„Die brauche ich zum Üben!“
„Wie auch immer: Hätte Grigoriew normal dirigiert, hätte sich der Faden spätestens bei den letzten Sprung-Kombinationen von Frau Cèneda gespannt: Vor denen sie quer über die Bühne Anlauf nehmen muss.“
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Darauf, dass nicht Ihr Vortanzen sabotiert werden sollte, sondern das von Frau Cèneda. Und die Hauptverdächtige dafür ist ihre härteste Konkurrentin.“
„Ich!? Ist das Ihr Ernst? Ich bin diejenige, die gestürzt ist!"
"Weil Sie glaubten, dass sich Ihr Netz nicht gespannt hat. Und weil Sie beim Vortanzen natürlich keine Uhr trugen."
"Das könnten Sie nie beweisen!“
Nun zieht der Kommissar ein Beutelchen aus der Tasche, das er sich aus dem Beweismaterial geborgt hat. Hätte seine Kollegin gewusst, was er damit vorhat, sie hätte es ihm gewiss nicht gegeben, aber vielleicht funktioniert der Bluff ja...
„Erkennen Sie das?“
Die Tänzerin beugt sich etwas vor und späht –mit arg irritierter Miene– auf den Inhalt des Plastikbeutels: „Sand!?“
„Sanduhr-Sand: Sand, den Sie eigenhändig in die angebohrte Sanduhr gefüllt haben. Kann sein, dass Sie Handschuhe trugen, als Sie nachts den Aufbau im Theater hergerichtet haben, aber gewiss nicht, als Sie den Sand abgefüllt und so den Timer eingestellt haben.“
Nun lacht die Beschuldigte höhnisch auf: „Und? Wollen Sie Fingerabdrücke von den Sandkörnern abnehmen?“
„Nein. Aber ich fürchte, sie hatten ziemlich schweißnasse Hände, als Sie den Sand abgefüllt haben. Und der Schweiß, den der Sand aufgesaugt hat, reicht für einen DNA-Test.“
Unbewusst wischt sich die Täterin die Hände an ihrer Jeans ab, während sie Schmid trotzig anblickt: „Annabella hätte es verdient gehabt, sich die Knochen zu brechen! Sie hat geradezu danach geschrieen!“
Seufzend erhebt sich der Kommissar: „Tja, Sie mögen Ihr Fangnetz gut gespannt haben; dumm nur, dass Sie sich dann selber ins Netz gegangen sind... Frau Müller, ich nehme Sie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung fest. Kein Gericht der Welt wird Sie dafür in den Knast schicken, aber, wie auch immer...“

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Tag der Veröffentlichung: 19.10.2009

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