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Prueks Traum








Longmaa sagt



Longmaa, ein kleines Mädchen sitzt mit traurigem Gesicht am Straßenrand, irgendwo in einem kleinen Dorf in Südostasien. Sie spricht zu einer nicht mehr ganz jungen Frau: Bitte nimm mich mit! Ich war schon einmal ein Mensch, aber meine Mutter hat mich nach der Geburt getötet. Sie meint, sie kann mich nicht behalten, weil sie schon so viele Kinder zu ernähren hat, sie kann das einfach nicht schaffen. Aber trotzdem möchte ich gern ein Mensch werden. Ich habe einige Frauen gefragt, ob sie bereit sind, mich als Kind auf die Welt zu bringen und anzunehmen, bisher ohne Erfolg. Diese Frau hat auch schon viele Kinder, aber sie nimmt sie mit ins Haus. In diesem Moment erwacht die Frau aus ihrem Traum .Sie muss gleich ihrem Ehemann davon erzählen.Einige Monate später sagt Hrun, ihr Gatte, zu ihr: „Pruek, ich denke, du willst keine Kinder mehr, aber jetzt bist du doch wieder schwanger?“–„Ja, jetzt will ich doch noch ein Kind haben, sie soll Longmaa heißen.“ Im folgenden Winter bekommt sie das Kind, ein Mädchen. Ihr Mann hat sich zwar einen Jungen gewünscht, doch keiner hat sich beschwert.

Eines Tages kommt der älteste Sohn Lood aus Pak Chong zu seiner Mutter nach Ban Rai. Er sagt: „Wenn Vater einverstanden ist, dann möchte ich Longmaa gegen einen meiner Söhne eintauschen.“-Er hat vier Söhne, hätte gern eine Tochter, aber Vater Hrun liebt seine Tochter zu sehr, dass er sie jemals eintauschen könnte. Sie lernt langsam sprechen und sich auszudrücken. Lood fragt Longmaa, als alle beim Abendessen sitzen: „Wie geht es dir, meine Kleine?“- „Nicht so besonders gut.“- „Warum denn?“- „ Ich bin traurig. Ich möchte gern sprechen, wo ich herkomme, Bescheid sagen, was passiert ist!“-Alle sind erschrocken. Ihre Mutter ermutigt sie: „Komm, Kleine, setz dich zu mir und erzähl mir mal, was mit dir los ist, ja?“-„ Ich war schon einmal fast ein Mensch. Ich habe zwei Mütter und Väter. Und ich weiß noch genau, wo ich vorher gewohnt habe.“ Und sie beschrieb der Familie den Weg dorthin. Am nächsten Morgen macht sich der gesamte Clan unter Führung der Kleinen auf den Weg. Nach circa fünf Kilometern hält die Kleine inne: „Hier ist es gewesen. Hier bin ich geboren.“

Sie treffen auf eine kranke Frau mit neun Kindern. Sie erklären ihr den Grund ihres Kommens. Die Frau bestätigt die Schilderung von Longmaa, sie weint und entschuldigt sich immer wieder. Puek sagt zu ihr: „Weißt du, wen du getötet hast? Schau sie dir an, diese Kleine hier, meine Tochter Longmaa. Sie hat dich wiedergefunden.“ Die Frau möchte Longmaa umarmen, aber die lässt sich von ihr nicht anfassen und entgegnet: „Warum hast du das getan? Was habe ich dir getan? Ich möchte gern ein Mensch werden und helfen. Die Frau ist sehr erschrocken und verstummt. Die Eltern beraten sich, wie man am besten helfen kann, denn Longmaa spricht jetzt jeden Tag über ihr vorheriges Leben und ihren Tod. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass sie zum Wat Ban Rai gehen müssen und den Onkel Luang Phoo Khuun um Rat fragen. Der rät dazu, die Kleine verschiedenen buddhistischen Ritualen zu unterziehen, damit sie das vorherige Leben vergessen kann. Dieses zieht sich über mehrere Tage hin. Einige Mitglieder der Familie müssen dreimal, ohne Luft zu holen, über Longmaa hin und herspringen, während sie in einer Hängematte schläft. Jedenfalls ergibt eine Befragung eine Woche später, dass sie alles vergessen hat. Die Mönche befürchten dass, wenn Longmaa nicht vergessen kann, ihre Lebenserwartung fünf Jahre nicht überschreiten wird. Wiederholt wird sie befragt, ob sie sich erinnern kann und als sie das verneint, kommt allmählich Hoffnung auf, dass sie weiterleben darf.

Als Longmaa fünf Jahre alt ist, bekommt ihre Mutter plötzlich Post von der Verwandtschaft in Nakhonratchasima, sie solle sofort dorthin kommen. Sie sagt zu Longmaa, sie soll bei ihrem Papa bleiben, doch Longmaa bettelt, sie will unbedingt mit, sie kann ja hier und da behilflich sein, letztendlich darf sie mitfahren. Am nächsten Morgen kommen ihr Onkel und sein Sohn um sie abzuholen. Er muss aber noch sieben Leute mehr mitnehmen, die in Wat Ban Rai arbeiten sollen.

Um dreizehn Uhr mittags passiert folgendes: Der Wagen fährt die Serpentinen in Richtung Ban Rai, als Longmaa vom Schoss ihrer Mutter gerissen wird und sich nach geraumer Flugphase bei strömendem Regen im Gebüsch wiederfindet. Das Auto hat sich fünf bis sechsmal überschlagen und ist einen Abhang heruntergestürzt, Longmaa befindet sich circa einhundert Meter vom Auto entfernt. Sie rafft sich auf, ruft nach ihrer Mutter, hört Menschen schreien und weinen und jammern. Sie läuft zum Auto oder was davon übrig ist und sucht ihre Mutter, die sie schließlich, Gottseidank lebend, unter Reissäcken begraben, findet. Sie hilft ihr zuerst, dann ihrem Onkel Lung Li, dessen Bauch von einem geborstenen Eisenträger aufgeschlitzt ist und dessen Gedärme herausquellen. „ Bitte Longmaa, hilf mir, nimm das Eisen weg!“ Sie zieht das Eisen beiseite, jemand hilft ihr dabei. Dann verfrachtet sie die Gedärme wieder zurück in den Körper und verbindet die Wunde mit seinem Schweißband. Fünf Menschen haben bei diesem Unglück ihr Leben verloren, Longmaas Mutter erwacht erst wieder im Krankenhaus, ihr Kopf schwillt fast auf das doppelte Maß seiner ursprünglichen Größe an. Sie und der Onkel verbringen mehrere Monate im Krankenhaus, Longmaa ist außer ein paar Abschürfungen nichts geschehen. Ihre Mutter soll bis zu ihrem Tod unter chronischen Kopfschmerzen leiden.Die Mönche raten Hrun, Longmaa für neun Tage ins Kloster zu bringen, um dort für ihre Zukunft zu beten. Sie fährt nach diesem schrecklichen Unglück mehrere Jahre nicht mehr nach Ban Rai um ihre Verwandtschaft zu besuchen, die Angst vor einem Unfall sitzt noch sehr tief. Sie bleibt zu Hause. Eines Tages trifft sie einen Mönch auf Wanderschaft, der sich im Schatten eines Mangobaumes am Grundstück ihrer Familie zum Rasten niedergelassen hat. Sie sagt ihren Eltern Bescheid; die geben ihr Essen und Trinken für ihn mit. Sie bietet es ihm an. –„Guter Tag, gute Zeit, guter Platz“, sagt der Mönch. Als er mit seiner Mahlzeit zu Ende ist, will er noch mit Longmaa sprechen. „Wann bist du geboren?“-„An einem Freitag, dem 13.12.1968.“-„Hattest du schon einmal einen schweren Unfall?“-„Ja“-„Du warst schon tot und bist zurückgekehrt?“-„Ja. Kannst du etwa meine Zukunft sehen?“-„Deine Zukunft ist nicht so leicht, du wirst Menschen treffen, die es nicht gut mit dir meinen, die nur immer ihren persönlichen Vorteil aus dir ziehen wollen und dich ausnutzen wollen. Du wirst eine lange Zeit viel Unglück haben, dann wird auch für dich die Freiheit kommen. Dann wirst du fliegen wie ein Vogel und das sehr weit weg von zuhause über den Himalaya hinweg nach Westen und du wirst heiraten und du und dein Mann, ihr werdet ein schönes Leben haben bis ins hohe Alter, eine gute Zukunft.“ Das sind die Worte des Mönches, Longmaa denkt lange darüber nach und berichtet ihren Eltern davon.

Als Longmaa sieben Jahre alt wird, soll sie zur Schule kommen. „Longmaa, du bist jetzt schon groß und kommst zur Schule, ich würde dich so gern mal in deiner Schuluniform anschauen, aber meine Augen sind mit zunehmendem Alter rapide schlechter geworden, so, dass ich dich nur noch schemenhaft wahrnehmen kann.“ sagt ihr Vater. “Ach, Papa, ich komme in der großen Schulpause nach Hause und gebe dir zu essen.“-„Das ist sehr nett von dir, und du bist sehr vernünftig, aber du bist noch nicht so groß, meine Kleine.“

Eines Tages, als Longmaa nach der Schule nach Hause kommt, hat ihr Vater noch nichts zu essen, so geht sie in die Küche, findet dort Süßkartoffeln, die sie mitnimmt und beim Kaufmann gegen Chinanudeln eintauscht. Die bereitet sie für ihren Vater zu. Ihr Vater will ihr etwas davon abgeben, aber Longmaa sagt, sie hat keinen Hunger. Sie hat allerdings den ganzen Tag noch nichts gegessen, doch sie will, dass sich ihr Vater erstmal richtig satt essen kann. „Ich muss zurück zur Schule“ sagt sie und macht sich wieder auf den Weg. „Wo kommst du denn jetzt her, Longmaa?“ fragt Herr Nai Sanit Puangphet, der Lehrer. „Ich war spielen und habe die Zeit vergessen.“- „Du musst in Zukunft pünktlich erscheinen!“ Am nächsten Morgen spricht ihre Mutter mit ihren Geschwistern: „Ich kann allein nicht mehr so schwer arbeiten wegen meiner Kopfverletzung. Ich möchte Longmaa aufs Land mitnehmen, damit sie mir hilft. Aber ihr geht dann zur Schule.“ Longmaa hat darüber nachgedacht, sie will eigentlich gern zur Schule gehen.

Sie hat nun größtenteils auf den Schulbesuch verzichten und stattdessen auf dem Land arbeiten müssen aus Zuneigung zu ihren Eltern. Ihr Vater hat dann oft gesagt, so etwas geht doch nicht, sie soll doch Lesen und Schreiben lernen, sonst wird sie Schwierigkeiten bekommen. Ihre Mutter sagt dann immer: „Hrun, dann kannst du mir ja bei der Landarbeit helfen! „-„Wie denn, ich kann doch kaum noch etwas sehen, das geht doch auch nicht. Wir haben jetzt neun Kinder, vorher habe ich immer gearbeitet, jetzt geht das nicht mehr, versteh das doch!“-„ Okay, also nehme ich Longmaa mit aufs Land.“ Am Morgen danach kommt der Lehrer auf einen kurzen Besuch vorbei und möchte zu bedenken geben, dass Longmaa ihre Schulpflicht erfüllen soll. „Darf sie nicht, “ erwidert Hrun bestimmt, „Ihre Mutter braucht sie zu ihrer Unterstützung bei der Landarbeit.

Drei Jahre kein Regen, kein Wasser, kein Reis, kein Gemüse, die Tiere sterben, insgesamt fällt acht Jahre lang kein Regen. Longmaas Mutter gibt der Familie Erde zu essen. „Mama, warum bist du so traurig, guck mal, ich nicht, es schmeckt sogar!“ Sie ziehen durch den Dschungel, durch die Wälder und die brachliegenden Felder und suchen nach Dingen, die essbar oder zumindest genießbar sind. Manchmal sind sie wochenlang unterwegs. Sie sammeln Vogelreis und wilde Süßkartoffeln, die sie kochen und essen. Nicht sehr schmackhaft, aber welche Wahl haben sie? „Mama, warum regnet es nicht?“ – „Gott hat keine Lust zu pinkeln. “ wirft ihr Bruder ein, und der Schwager entgegnet:„…weil er auch lange nichts zu trinken hatte.“„ Mama, warum sind wir arm?“ – „Mein Kind, wenn du viel Geld haben willst, musst du viel arbeiten. Ich bin Hebamme von Beruf, aber ich arbeite meistens mit Menschen, die auch arm sind und nicht viel bezahlen können. Dein Vater ist Kräuterdoktor, er verdient auch wenig Geld. Viele Leute, die zu ihm kommen, sind Mafiosi, die meinen, sie brauchen für nichts zu bezahlen, das hätten sie nicht nötig, bis irgendwann jemand kommt und ihnen ein Loch in den Kopf schießt. Da kannst du sehen; selbst für ihr Leben zu bezahlen sind sie noch zu geizig. Fast jeden Monat muss er Schusswunden behandeln, sie brauchen ihn, deshalb lebt er noch, aber Geld gibt es dafür wenig. Manchmal zahlen sie mit Ware: Gemüse, Süßkartoffeln, Reis oder dergleichen.“ Eines Abends danach sagt Longmaa zu ihrem Vater: „Papa, ich möchte, dass es euch besser geht, ich möchte arbeiten gehen.“ Am Tag zuvor ist eine ältere Frau durch das Dorf gegangen, die Kinder für Arbeiten wie den Verkauf von Süßigkeiten und Eintüten von Lebensmitteln auf den Märkten von Rangsit, einem Außenbezirk von Bangkok, gesucht hatte .Die Kinder sollten pro Tag zweihundert Baht bekommen. Kurz vor ihrer Abreise, stürzt Longmaas Mutter unglücklich beim Gemüsegießen und soll danach drei Wochen im Krankenhaus zubringen. Wieder zu Hause, sagt sie Longmaa, sie möge wieder zur Schule gehen, es sei für ihre Zukunft einfach besser. Im Krankenhaus haben die Ärzte ihr dringend zu einer ständigen Überwachung ihres Gesundheitszustandes geraten, weil sie stark schlaganfallgefährdet ist, aber es ist der Familie nicht möglich, die Kosten dafür aufzubringen. Longmaa spricht mit ihren Geschwistern, dass sie sich um die Gesundheit ihrer Eltern bemühen müssen, wer wo bei wem bleiben soll.

Longmaa entscheidet sich nun dazu, in Rangsit zu arbeiten, Lamyong in Saraburi, zusammen wollen sie das Geld für die Behandlung ihrer Mutter auftreiben, sie fragen die Ärzte und ihre Mutter nach ihrem Gesundheitszustand und man kommt zu der Erkenntnis, dass sie schon Kopfschmerzen und Taubheitsgefühle an den Fingerspitzen und Lähmungen in einem

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.10.2015
ISBN: 978-3-7396-1882-1

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