Als er das Taxi wegfahren sah, trat ein Lächeln auf sein Gesicht.
"Endlich ist es vorbei", dachte er bei sich und wandte sich von der Straße ab.
Alles begann vor zwei Wochen. Der Dackel seiner Schwiegermutter war gestorben. An diesem Tag rief sie bei ihm zu Hause an, um seiner Frau Sabine von ihrem Elend zu berichten. Schließlich wäre sie ja nun ganz alleine, da Purzelchen nicht mehr bei ihr sei.
Am nächsten Tag rief sie an, um seiner Frau von ihren Atembeschwerden zu berichten, was sie mit lauten, röchelnden Geräuschen anschaulich untermalte.
Der dritte Tag nach Purzelchens Tod war von Telefonanrufen gespickt, die sich alle um Depressionen, Alt werden und Selbstmordgedanken drehten.
Er erkannte an diesem Tag, dass das Unvermeidliche auf ihn zukommen würde. Und tatsächlich begann seine Frau beim Abendbrot damit, ihm einzureden, dass sie sich die letzten Jahre zu wenig um ihre Mutter gekümmert hätten.
Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn sein Schwiegermonster ihn nicht als Vorgartenzwerg zu bezeichnen pflegte.
Es kam, wie es kommen musste und seine Frau lud ihre Mutter übers Wochenende ein.
Damit sie nicht so einsam ist.
Sie kam Freitag nachmittags mit dem Taxi an. Als sie aus dem Taxi stieg, wirkte sie etwas schwerfällig.
Vielleicht wird sie doch langsam gebrechlich?
Aber als sie aufrecht stand erkannte er, dass sie nicht gebrechlich war, sondern einfach nur Mühe hatte, den vielen Goldschmuck den sie an sich trug in die Höhe zu wuchten.
Begeistert umarmte seine Frau ihre Mutter, die wirklich erfreut schien, hier zu sein. Also riss er sich zusammen und ging mit einem Lächeln auf sie zu. „Hallo Francine.... schön dass du hier bist“, sagte er und hielt ihr zur Begrüßung seine Hand hin.
Sie blickte ihn an, stellte mit leicht angeekeltem Gesicht fest, dass er „immernoch nicht gelernt habe, sich anständig zu rasieren“ und drückte ihm dann ihre leichte Reisetasche in die ihr entgegengestreckte Hand.
Daraufhin ging sie mit den Worten: „ Mein Gepäck ist im Kofferraum!“, an ihm vorbei und nahm schwatzend seine Frau mit in Richtung Haus.
Der Taxifahrer half freundlicherweise, die Koffer aus dem Kofferraum des Taxis zu holen. „Das macht zwölf Euro fuffzig Meister“, war sein abschließender Kommentar. „Zwölf Euro Fünfzig für das Herausheben der Koffer?“, fragte er verständnislos. „Ne, Meister. Für die Fahrt vom Bahnhof hierher“, war seine Antwort. Also bezahlte er und bedankte sich für die Hilfe.
Nun stand er am Straßenrand mit den 3 Koffern plus der leichten Reisetasche seiner Schwiegermutter.....
Wie lange wollte sie gleich noch einmal bleiben?
....und überlegte, wie er die Dinger mit möglichst wenig Aufwand ins Haus bekommen sollte. Da rief gnädige Frau auch schon zum Fenster heraus „ Joachim-Waldemar! Wo bleibt denn mein Gepäck? Ich will vor dem Kaffee noch die Geschenke verteilen.“
Er hasste es, wenn sie ihn Joachim-Waldemar nannte. Er hieß Joachim. Ohne Bindestrich und ohne antiautoritären Waldorf Doppelnamen. Einfach nur Joachim. Der Waldemar war ein eingetragener Zweitname. Den hatte er nur, weil sein Patenonkel so hieß.
Also ergab er sich in sein Schicksal und transportierte einen Koffer nach dem anderen in das Gästezimmer.
Als er ins Wohnzimmer kam, saß sie mit seiner Frau bereits am Tisch und hatte sich ein Stück Kuchen aufgetan, welches sie auch schon zur Hälfte gegessen hatte. Seine Frau empfing ihn mit den Worten „Schatz! Schön dass du auch kommst. Setz dich. Möchtest du lieber Kaffee oder Tee?“
Es gab bei ihnen Zuhause nie Tee. Der wurde nur gebrüht, weil Schwiegermonster so Probleme mit dem Herzen hatte. Trotzdem dampfte da eine tiefschwarze Flüssigkeit in ihrer Tasse.
„Ich nehm einen Kaffee!“ sagte er und hielt seine Tasse hin. Sabine versuchte einzuschenken, musste aber feststellen, dass die Kanne bereits leer war. „Tut mir leid Schatz, ich setzt gleich einen neuen auf.“ Sie wollte gerade aufstehen, als Francine sie aufhielt
„ Ach was, der Tee ist sicher genauso gut. Er kann meinen trinken. Mir ist heute sowieso mehr nach Kaffee“, und ehe er sich versah, hatte sie bereits die Teekanne geschnappt und eingeschenkt.
So langsam stieg sein Blutdruck an.
„Franziska, ich dachte du darfst wegen deines Herzens keinen Kaffee trinken“, quetschte er zwischen seinen Zähnen heraus und benutzte absichtlich ihren vollständigen Namen. Diesen konnte sie nämlich überhaupt nicht leiden und hatte sich darum einen „Künstlernamen“ zugelegt.
Freundlich bleckte sie ihre gelben Zähne „Ach weißt du Joachim-Waldemar, seit mein Purzelchen nicht mehr ist, kümmert sich sowieso niemand mehr darum, ob ich noch lebe oder nicht“, war ihre mitleidheischende Antwort. Sofort sprang seine Frau darauf an. „Mama, natürlich interessierst du uns. Wir sorgen uns um dich.... nicht wahr Joachim?“ Da er die Stimmung nicht vollends verderben wollte, antwortete er nur mit einem undefinierten Brummen.
Nach dem Tee ging er in seinen Hobbyraum um sich abzulenken.
Wie sollte er dieses Wochenende überstehen? Vielleicht sollte er sich einen dieser beruhigenden Steine besorgen, für die auf den Esoteriksendern im Fernsehen immer geworben wurde. „Sie werden ihre innere Mitte finden und niemand von Außen kann ihnen etwas anhaben“, hieß es in den Werbesendungen. Tolle Sache. Ob das auch bei besonders schweren Fällen von Schwiegermonstern hilft? Er zweifelte daran.
Am nächsten Morgen kam er zum Frühstücken herunter, als er seine Schwiegermutter in der Küche zu seiner Frau sagen hörte „Was ist jetzt eigentlich mit deinem Vorgartenzwerg? Hat er immer noch keine richtige Arbeit?“
„Mutter, du sollst ihn nicht so nennen. Und doch, er hat eine richtige Arbeit. Dieselbe wie schon seit Jahren“, war die Antwort seiner Frau
„Was ist denn das für eine Arbeit? Ein paar Striche auf ein Blatt Papier zeichnen. So etwas lernt man schon in der Grundschule. Wenn er wenigstens Architekt oder Rechtsanwalt wäre.....“, wollte Schwiegermonster wieder wissen. Seine Frau verteidigte ihn „Er ist technischer Zeichner. Dazu gehört schon etwas mehr als ein paar Striche auf einem Blatt Papier. Er arbeitet ausschließlich am Computer.“
„Das ist ja noch schlimmer... “, war Francines Antwort „... diese Kisten machen ja alles von alleine.“
Er beschloss, seine innere Mitte nicht zu verlassen und betrat nicht die Küche, sondern setzte sich im Esszimmer an den fast vollständig gedeckten Frühstückstisch und nahm sich vor, heute auf seinen Kaffee zu bestehen.
Kurz darauf kamen seine Frau und seine Schwiegermutter herein und setzten sich an den Tisch, als wäre nichts gewesen.
An der Seite des Tisches standen einige Geschenke die nun Francine mit großen Gesten verteilte.
Wollte sie dies nicht bereits gestern machen, weshalb er die Koffer so dringend ins Haus tragen musste?
Für seine Frau gab es Parfum, einen Seidenschal, ein Buch sowie eine spezielle Teesorte. „Der wirkt beruhigend, wenn du einen sehr aufregenden Tag hattest“, war ihr Kommentar dazu.
Vielleicht sollte er den Tee auch mal probieren...
Für ihn hatte Schwiegermutter auch ein Geschenk mitgebracht. Einen Rasierpinsel. „Damit du endlich lernst dich anständig zu rasieren.“
Ein Rasiermesser wäre ihm deutlich lieber gewesen..... was man damit alles machen kann....!
Das Frühstück verlief für ihn wie ein Spießrutenlauf. Nach jeder spitzen Bemerkung seines Schwiegermonsters sah ihn seine Frau mit einem bittenden Blick an. Er liebte Sabine und wollte ihr nicht weh tun, aber ihre Mutter war sein ganz persönlicher Dämon. Er konnte sich nur schwer zurück halten. Aber wenigstens hatte er zum Frühstück Kaffee bekommen.
Da er wohl oder übel den Sonntag mit seiner Frau und Francine verbringen musste, redete er sich nach dem Samstagsfrühstück mit einem wichtigen Projekt heraus und fuhr ins Büro. Dort verbrachte er den ganzen Tag, bis er es nicht mehr weiter aufschieben konnte. Also ging er wieder nach Hause.
Dort angekommen wollte er zunächst ins Bad gehen, um sich etwas frisch zu machen. Als er jedoch die Türe zum Badezimmer öffnete, stand da seine Schwiegermutter frisch geduscht und splitterfasernackt vor ihm.
"Hilfe, ich werde blind"
Dieser Anblick hätte ihn vermutlich den Rest seines Lebens verfolgt, wenn seine Schwiegermutter nicht in einem entsetzen Aufschrei, das Nächste nach ihm geworfen hätte, was sie zu fassen bekam. Eine Karaffe aus Bleikristall, die ein duftendes Badeöl enthielt.
Als er wieder zu sich kam, beugte sich gerade der Notarzt über ihn und riet ihm, still liegen zu bleiben, da er ein Schädel-Hirn-Trauma nicht ausschließen wollte. Francine stand im Hintergrund und betonte immer wieder, wie leid es ihr täte, aber sie hätte sich lediglich verteidigt. Schließlich sei sie sicher gewesen, er wollte sie sexuell belästigen.
Ein Schädel-Hirn-Trauma bestätigte sich nicht, aber über Nacht musste er im Krankenhaus bleiben, da er eine mittelschwere Gehirnerschütterung hatte.
Also stand ihm immer noch der Sonntag bevor.
Seine Frau holte ihn vom Krankenhaus ab. Gott sei dank ohne das Schwiegermonster. „Es tut ihr so leid Schatz“, sagte sie um ihre Mutter zu verteidigen. „Du hast sie nun mal erschreckt.“
„Wie gut, dass ich nicht erschrocken bin“, war seine kurze Antwort.
Zuhause angekommen, legte er sich auf das Sofa im Wohnzimmer, da er noch immer starke Kopfschmerzen hatte. „Willst du heute nicht aufstehen?“, war Fancines erste Frage als sie ihn auf dem Sofa liegend vorfand.
„Mutter bitte! Er hat eine Gehirnerschütterung. Er soll sich nicht so viel bewegen“, kam Sabine ihm mit einer Antwort zuvor.
„Woher sollte er denn eine Gehirnerschütterung haben?“, fragte sie daraufhin „Es war ja nur ein kleiner Schubs mit der Flasche. Außerdem müsste da ein Gehirn sein, welches sich erschüttern ließe.“ Sie lachte laut über ihren eigenen originellen Witz.
Da er noch unter starken Kopfschmerzen litt und deshalb nicht aufstehen konnte, musste er also den gesamten Sonntag Zuhause verbringen und sich Schwiegermonsters Sticheleien anhören. Seine innere Mitte befand sich kurz vorm Kippen, als Francine beschloss, zu einem kleinen Spaziergang aus dem Haus zu gehen.
Geh mit Gott, aber geh!
Sabine wollte sie lieber nicht begleiten, da sie immer noch in Sorge um Joachim war. Also ging Schwiegermonster alleine hinaus.
Nach kurzer Zeit allerdings kam sie bereits wieder zurück. Völlig aufgebracht und in einem erbarmungswürdigen Zustand. Sie war von oben bis unten nass und mit Matsch bespritzt. Die kunstvoll aufgesteckten Haare hingen schlaff an ihrem Kopf hinunter und von dem vielen Goldschmuck tropfte der Schlamm. Angesichts dieses Anblicks konnte er sich ein Lachen nicht verkneifen.
Der Nachbar wollte wohl gerade mit seinem Motorrad wegfahren, als Schwiegermutter geruhte, an seinem Grundstück vorbei flanieren zu wollen. Durch den Motorenlärm belästigt, fing sie wohl an, den jungen Mann zu beschimpfen. Dieser ließ sich davon aber offensichtlich nicht einschüchtern und hat – laut Schwiegermonster- völlig absichtlich Gas gegeben und den Reifen durchdrehen lassen.
Da sich ungeschickterweise aber genau an dieser Stelle eine Schlammpfütze auf dem Boden befand, landete der ganze aufgespritzte Matsch auf Schwiegermama.
Ich muss den Nachbarn bei Gelegenheit mal zu einem Bier einladen.
Durch sein Lachen tief ins Mark getroffen, verkündete Francine, dass sie nunmehr sofort abreisen würde, da sie es in dieser Stadt unter solch niveaulosen Menschen nicht mehr aushalten könnte. Mit großen Worten verabschiedete sie sich ins Badezimmer, um sich dort wieder ansehnlich herzurichten.
Hinrichten wäre besser und was heißt da überhaupt ansehnlich?
Er hielt sich für die nächste Stunde bewusst vom Badezimmer fern und benutzte ausschließlich die Gästetoilette im Flur.
Nachdem sie sich wieder frisiert hatte und neue Kleider angezogen, kam sie ins Wohnzimmer, um mitzuteilen, dass in fünf Minuten ihr Taxi ankommen würde und ihre Koffer noch immer im Gästezimmer stünden.
Mit leidender Miene richtete er sich vom Sofa leicht auf und sagte zu ihr „Da werden sie wohl auch bleiben müssen, wenn du sie nicht hinunter trägst.“
Mit einem Schnauben, welches einem wilden Stier Konkurrenz machen könnte, drehte sie sich auf dem Absatz um und polterte die Treppe hoch. Offensichtlich in der Absicht, ihre Koffer selbst auf die Straße zu schleppen.
Kurz darauf konnte er hören, wie draußen Autotüren klappten. Das Taxi war da. Um sich auch ganz sicher zu sein, dass sie auch wirklich einstieg und mitfuhr, ging er doch hinaus und lief bis an den Gehsteig um zu sehen, wie das Taxi mit dem Schwiegermonster wegfuhr.
Texte: Coverfoto © Rainer Sturm/Pixelio
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2011
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