An die Treue eines Tieres wird ein Mensch niemals heranreichen.
Zur Erinnerung an meine Pferde Alibaba, Lorina und Lady
sowie meiner geliebten Lucky, die viel zu früh
über die Regenbogenbrücke gehen musste.
Ein großer Dank gilt meinen Korrektorinnen Anni und Lizzy
Regina König
Alibaba
und die 40 Ermittler
ein Lokalkrimi aus Osnabrück
Personen und Handlung sind frei
erfunden. Ähnlichkeiten mit
lebenden oder verstorbenen
Personen sind rein zufällig und
nicht beabsichtigt
Alle Rechte am Werk liegen bei der Autorin.
© 2017 Regina König
Covergestaltung:
Foto/ Design: Regina König
… Schnell schlich sie sich wieder aus dem dunklen Hauseingang und ging zu ihrem Fahrrad zurück, das noch an der Mauer neben dem Busch lehnte. Ina schwang sich auf den Sattel und radelte mit gesenktem Kopf zügig nach Hause.
Nicht bemerkt hatte die junge Frau allerdings die Person, die sie hinter der Gardine beobachtet hatte, als sie das Türschild ablas. Unauffällig war ihr der Mann gefolgt, und beobachtete nun sie dabei, wie sie ihr Fahrrad in Garage abstellte und dann die Haustür aufschloss, um ins Haus zu gehen. …
Die Ehefrau und der Sohn eines Bielefelder Pelzhändlers sind entführt worden. Die Bande versteckt ihre Opfer in Osnabrück. Die erste Lösegeldübergabe scheitert. Das hatte Protagonistin Ina nicht beabsichtigt. Sie wollte doch nur mit ihrer Freundin Karin zum Tanzen gehen und stolperte zufällig in diese Polizeiaktion. Aber für Kriminalhauptkommissarin Mechtild Stein ist Ina keine Unbekannte. Die raubeinige Polizistin ist nicht nur bei der jungen Frau unbeliebt, sondern auch bei den Kollegen. Ina geht der Fall natürlich nicht aus dem Sinn, und mit einer großen Portion weiblicher Neugier, guter Kombinationsgabe und gehörigem Glück, sind sie und ihre Freundin der Polizei oft einen Schritt voraus. Das bringt die beiden Frauen nicht nur bei der Aufklärung des Falls weiter, sondern auch in Gefahr und die ermittelnden Kommissare damit auf die Palme.
Nur noch ein leises Wimmern war zu hören, immer wieder unterbrochen von einem erstickten Schluckauf.
Tränen kamen aus den brennenden und rotgeschwollenen Augen der beiden Gefangenen schon länger nicht mehr. Es war kalt und die beiden Menschen froren, trotz der dicken Schlafsäcke, in denen sie gefesselt steckten.
Sie hatten Durst, aber ihre Münder waren mit Isolierband verklebt, was das Atmen zusätzlich noch erschwerte. Für die Mutter war es schier unerträglich, dass sie ihr ängstliches Kind nicht in die Arme nehmen und trösten konnte.
Sie versuchte ihr Kind mit leisem Summen eines bekannten Kinderliedes zu beruhigen. Es war mehr aus Verzweiflung, um nur irgendetwas zu tun.
Draußen zwitscherte eine Amsel. Obwohl es schon Ende November und kalt war, entlockten die letzten Sonnenstrahlen des Jahres der heimischen Vogelwelt einen fröhlichen Gesang ab. Die Frau und ihr Kind hörten die Amsel in ihrem Gefängnis nicht.
Äußerlich deutete nichts auf das Drama hin, das sich hinter der durch wuchernde Ranken verborgenen Tür abspielte. Splitterschutzzellen finden sich noch vereinzelt auf Osnabrücker Gebiet. In Kriegszeiten dienten die aus Beton bestehenden Zellen der Sicherheit und retteten Leben, wenn Personen es bei Luftangriffen nicht rechtzeitig in die sicheren Schutzbunker geschafft hatten. Sie bieten Platz für einen Erwachsenen. Im Inneren herrscht fast völlige Dunkelheit, nur wenig Licht dringt durch die Lüftungsschlitze im oberen Teil des Betons, das in den vielen Jahren vom Efeu zugewachsen war.
Eine davon war jetzt zu einem Gefängnis für zwei Menschen geworden.
Ina hängte noch ordentlich ihren Mantel an den Kleiderhaken und stellte die Schuhe in den Schrank. Dann ließ sie sich erschöpft auf ihre Wohnzimmercouch fallen. Das Haus war ruhig. Sina war jetzt noch beim Klavierunterricht und Kolya beim Fußballtraining. Inas Kinder wurden nach der Schule von den Großeltern betreut, wenn sie arbeitete.
Ihr Bürotag war mal wieder so einer dieser schrecklichen Tage gewesen. Das Telefon stand nicht still, Kollegen waren krank und die EDV streikte fast den ganzen Vormittag. Deswegen standen auch unvorhergesehene Überstunden an. Später als üblich, kam Ina darum nach Hause. Ihre beiden Kinder wusste sie in ihrer Abwesenheit aber gut versorgt.
Sie lebte nach ihrer Scheidung wieder bei ihren Eltern. Das Haus aus den Sechzigern liegt am Riedenbach. Die Bäume und Büsche in den angelegten Gärten waren in den Jahrzehnten ordentlich gewachsen und gaben von der Straße aus wenig Einblick in den hinteren Teil der Grundstücke. Zum Zoo war es ebenfalls nicht weit. Früher führte ein Fußweg durch den Wald zum Haupteingang, der aber schon vor vielen Jahren in den Nahner Ortsteil verlegt worden war. Im Sommer konnten Burgers und Nachbarn das markante Rufen der Gibbons hören oder der Robben, wenn sie ihre Tierpfleger um Nahrung anbettelten. Ina liebte das, obwohl es ja eigentlich nicht zu Lauten der ortsüblichen Natur gehörte. Die Stimmen der Zootiere gehörten zu ihrer Kindheit. Sie freute sich, dass auch ihren Kindern die Rufe der wilden Tiere so vertraut waren.
Marianne und Volker Burger hatten sich nie in Entscheidungen Inas eingemischt. Sie waren ein ruhiges Ehepaar. Als langweilig beurteilte sie Ina manchmal während ihrer Kindheit. Marianne Burger hatte nach Inas Geburt ihre Bürotätigkeit bei einem Anwalt aufgegeben und sich nur noch um die kleine Familie, den Haushalt und den großen Garten gekümmert. Sie war glücklich dabei und sehnte sich nie in ihren Beruf zurück.
Volker Burger war Lehrer für Mathe, Erdkunde und Latein am Käthe-Kollwitz-Gymnasium gewesen, was für Ina ausschlaggebend dafür gewesen war, aufs Graf-Stauffenberg-Gymnasium zu gehen, obwohl sie dafür einen etwas längeren Schulweg in Kauf nehmen musste. Mit ihrem Vater versteht sie sich sehr gut, denn Volker Burger ist ein ruhiger Vertreter seiner Art, und nun in seinem Ruhestand hat sich daran auch nichts geändert. Sie fand es in ihrer Teenagerzeit trotzdem ziemlich uncool, vielleicht von ihrem Vater unterrichtet zu werden.
Die kleine Familie verband aber immer die Liebe zu Pferden. Marianne Burger und Ina ritten abwechselnd den braven Holsteiner Wallach Alibaba, den die Tochter zum bestandenen Abitur geschenkt bekommen hatte. Nach der Pensionierung des Vaters hatte das Ehepaar auf Kutschfahrten umgesattelt. Der Einspänner mit der Haflingerstute Lorina passte gut zu den Burgers. Ina begleitete ihre Eltern oft auf gemeinsame Ausritte durch die Wälder des Nettetals, wo sie auch gern die Stadtgrenze nach Rulle hin überschritten. Sina und Kolya hatten sich nie sonders für die Reiterei interessiert. Sie fuhren aber begeistert auf der Kutsche mit dem Opa mit. Im letzten Jahr kam die Mischlingshündin Lucky in die Familie. Das Tierheim hatte ihre Daten ins Internet gesetzt, und Kolya quengelte so lange, bis er auch das letzte Familienmitglied auf seiner Seite hatte. Der Junge und die Hündin sind ein Herz und eine Seele. Lucky gehorchte, und Kolya kümmerte sich um sie, wie versprochen.
Ina Burger hatte in ihrer Schulzeit einige Hänseleien zu ertragen gehabt. Als die erste McDonalds Filiale in Osnabrück eröffnete, stand ihr Nachname für viele Fastfood-Gerichte Pate.
„Hey Burger! Hab´ Hunger, schieb mal ´nen Cheeseburger rüber“, frotzelte besonders Michael in den Schulpausen.
Ina war selbstbewusst und gehörte zu den Mädchen in der Klasse, die einen großen Freundeskreis besaßen. Sie nahm deshalb das Gespött mit Humor.
„Hampelmänner sind aus Holz und vertragen nix mit Käse überbacken“, rief sie dem frechen Jungen der Nachbarklasse zurück. Der hieß nämlich Hampel und war passenderweise der Klassenclown.
Kurz vor ihrem Abitur waren Ina und Michael sogar kurz ein Paar. Ina war zuerst sehr verliebt in den lustigen jungen Mann. Doch der Prüfungsstress und seine bald nervige gute Laune machte dem bald ein Ende. Außerdem machte sich Ina schon früh Gedanken um ihren Nachnamen, sollte sie einmal heiraten. Hamburger, Cheeseburger oder Juniortüte sollten ihre Kinder nämlich nicht gerufen werden.
Als sie fünf Jahre später ihren späteren Ehemann kennenlernte, schien namentlich das Glück perfekt. Mit einem schlichten „Meier, mit ei “ stellte sich Andreas vor. Fast drei Jahre lang glaubte Ina das auch. Denn seine Eltern wohnten in Köln und waren beruflich viel in der Welt unterwegs.
Als Ina schwanger wurde und Andreas ihr daraufhin einen Heiratsantrag machte, kam die Beichte ob seines richtigen Namens gleich hinterher. Inas Liebe zu Andreas und die Abneigung zu Fastfood-Gerichten waren da noch sehr groß. Deshalb heißen Ina und ihre Kinder Sina und Kolya nun Koscielniaczyk. Da nur die wenigsten auf Anhieb den Namen richtig schreiben können, stellen sich die Drei deshalb inzwischen auch oft mit „Meier“ vor.
Als sich Inas zweite Schwangerschaft mit Kolya ankündigte, bekam Andreas endgültig kalte Füße. Er fühlte sich der Verantwortung einer Familie nicht gewachsen; hatte die Welt noch nicht gesehen und packte daraufhin panisch einen Koffer und verließ Ina mit tausend gemurmelten Entschuldigungen.
Den Unterhalt für die Kinder zahlen seine Eltern, wohl aus großelterlichem Pflichtbewusstsein. Die Schwiegereltern kommen nur sehr selten nach Osnabrück, um ihre einzigen Enkel zu besuchen. Es fehlt ihnen an familiärer Wärme, weshalb sie nie so ein inniges Verhältnis zu Ina aufbauen konnten, wie Ina es zu ihren Eltern hat. Da Andreas nur von Gelegenheitsjobs lebt und ständig ziellos durch die Welt reist, kommen Gerhard und Anneliese Koscielniaczyk der Unterhaltszahlung nach. Andreas schickt jedes Jahr zu Weihnachten eine Ansichtskarte vom jeweiligen Aufenthaltsort. Zu Anfang entschuldigte er sich noch darauf bei Ina, aber inzwischen schreibt er nur noch seinen Namen auf die Rückseite. Keine Briefe mit Informationen, keine Fotos von ihm oder seinem Leben, nur die klassischen Ansichtskarten touristischer Sehenswürdigkeiten. Der 10-jährige Kolya sammelt jede dieser Postkarten und durfte im Arbeitszimmer seines Großvaters eine Weltkarte aufhängen, auf der er die Stationen seines Vaters mit einer Stecknadel fixiert. Volker Burger erzählt seinem Enkel dann immer Besonderheiten des Landes, der Gegend oder der Stadt, aus dem die Karte geschickt wurde.
„Lehrer bleibt Lehrer“, lächelte Ina über ihren Vater, war aber dankbar für diese pädagogische Arbeit. Ina fand diese Art von Vater-Kind-Beziehung zunächst merkwürdig, denn ihr Sohn hatte den Vater nie persönlich gesehen und kannte nur die alten Fotos aus glücklichen Tagen mit Ina. Seine drei Jahre ältere Schwester Sina, die noch vage Erinnerungen an Andreas hat und auf den alten Familienbildern glücklich von den Schultern ihres Vaters lacht, steckt mitten in der Pubertät und hält nichts von diesem vaterverklärenden Erdkundeunterricht. Sie hat für sich entschieden, ihren Vater und den Erdkundeunterricht in der Schule zu hassen.
Als Andreas Ina so plötzlich allein ließ, waren es Marianne und Volker Burger, die sie in ihrem Seelenschmerz auffingen.
Nach dem Abitur hatte Ina eine Banklehre absolviert und nach erfolgreichem Abschluss schnell eine verantwortungsvolle Position in einem renommierten Geldinstitut gefunden. Ihre offene und positive Art mit Menschen umzugehen, öffneten ihr oft viele Türen.
Das Telefon klingelte. „Jaaaa“, sagte Ina, was sie grundsätzlich tat, denn so vermied sie die Nennung ihres Nachnamens.
„Ich bin´s, Karin. Kommst du heute mit zum Yoga?“, fragte die Freundin, weil Ina letzte Woche abgesagt
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Regina König
Bildmaterialien: Regina König (2), Jessica von den Benken (1)
Tag der Veröffentlichung: 06.04.2017
ISBN: 978-3-7438-0661-0
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