„Du, ähm… es macht mir wirklich nichts aus, dass du im Rollstuhl sitzt, aber können wir nicht einfach Freunde bleiben?“, das bekam Tom oft zu hören und er glaubte nicht daran, dass es nicht an seiner Behinderung, Ganzkörper-Spasmus, lag. Er traute sich schon gar nicht mehr, ein Mädchen anzusprechen.
Nun wollte er eine neue Schule besuchen. Die Schule hatte ein angrenzendes Internat, da wollte er wohnen. Schließlich musste er auch ohne Eltern klar kommen, außerdem gab es da auch Mädchen.
Er hatte großes Glück, denn auf seiner elfköpfigen Wohngruppe entdeckte er sofort die hübsche Sarah. Wie er, saß sie auch im Rollstuhl und die beiden verstanden sich auf Anhieb. Mit ihr konnte er über alles reden und hatte bei ihr keine Hemmungen, wegen seines Handicaps.
Es war Freitagnacht, Tom lag in seinem Bett und versuchte zu schlafen. Sein Zimmernachbar war nicht da, weil er auf irgendeine Feier gehen wollte. Wahrscheinlich kam die grauenhafte Technomusik von dort und er überlegte, ob er wieder aufstehen solle, um nachzusehen. Vielleicht durfte er ja mit feiern, die würden bestimmt nicht Nein sagen.
Als er sich gerade aufraffen wollte, ging plötzlich die Zimmertür auf, Sarah kam rein gerollt und schloss hinter sich die Tür. Er sah sie verblüfft an. Wie schön sie doch war! Leise sagte sie: „Ich war die ganze Zeit draußen feiern. Mir ist so kalt, kannst du mich etwas wärmen?“ Ohne auf seine Antwort zu warten, rutschte sie neben ihn unter die Decke. Unsicher was er machen solle, legte er seine Arme um sie. Offensichtlich hatte sie etwas getrunken, sie roch leicht nach Bier, aber auch nach ihrem süßen Vanilleduft.
Unerwartet spürte er ihre Hand unter ihrem T-Shirt und schon verlor er seine Kleider. Sie fing sofort an, mit seinem Körper zu spielen. Tom gestand ängstlich: „Ich hatte bisher nur einmal Sex.“ Sie lächelte ihn zu versichert an und erwiderte: „Das macht nichts.“ Schließlich streichelten sie sich und erkundeten gegenseitig ihre Körper. Mal zärtlich, mal leidenschaftlich küssten sie sich. Sie fühlte sich auf seiner Haut so warm und weich an. Er beugte sich über sie, schaute ihr in die Augen und flüsterte: „Du bist so schön!“ Lächelnd erwiderte sie seinen Blick, und er schmiegte sich zwischen ihren Schenkeln. Ein wohles Gefühl überkam ihn und er musste leise aufstöhnen.
Plötzlich wurde er von ihr weg gedrückt und sie sagte: „ Bist du schon drin? Ich merke überhaupt nichts. Man du bist echt ein Schlappschwanz!“
Tom war sich unsicher und wusste nicht, was er machen solle. Er bekam Panik und Tränen schossen ihm in die Augen. Grob schob sie ihn von sich weg und wirkte sauer. „Die Scheiße muss ich mir nicht antun! Du kannst ja gar nichts, du bist behinderter, als ich dachte!“ Mit diesen Worten zog sie sich an und ließ den verzweifelten Tom zurück. Kaum war sie weg, weinte er in sein Kissen bis er einschlief...
Am nächsten Morgen, fühlte sich Tom wie gerädert. Trotz des traumatischem Erlebnis und dem Schlafmangel, zwang er sich zur Schule zu gehen. Schon auf dem Weg zum Schulgebäude, kam es ihm vor, als würde ihn jeder anschauen und dann über ihn kichern.
Eine Mitschülerin klopft ihm beim Vorbeigehen auf die Schulter und grinst ihn an. „Na, das war wohl nichts gestern. Wenn man es nicht kann, sollte man es lieber lassen!“, sagte sie spöttisch und er bekam einen knallroten Kopf vor Scharm. Sofort wurde ihm klar, dass dies nicht der letzte dumme Spruch sein würde.
Sein Freund Marc erzählte ihm, dass Sarah es in der ganzen Schule verbreitet hat. Tom wäre am liebsten im Erdboden verschwinden und Marc klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter. „Das ist einfach eine dumme Gans!“, sagte er und Tom konnte dem nur zustimmen.
Als Tom diesem Miststück im Flur begegnete, lachte sie ihn frech an, was ihn nur noch mehr ärgerte und die Fäuste ballen ließ. Schon wieder alles nur wegen seiner Behinderung und es war ihm leid!
Ausgerechnet an diesem Mittag stand die Gruppenfahrt zur die Nordsee an. Zwei Wochen Urlaub mit Sonne und Strand, darauf hatte er eigentlich gar keine Lust. Doch Sara hatte sich kurz vor der Abfahrt krank gemeldet. Vielleicht hatte sie ja ein schlechtes Gewissen, aber wenigstens hatte er Ruhe von ihr.
Es war wunderschön 27 °C, die Sonne brannte und der Himmel war blau. Ein ungewöhnlich gutes Wetter für die Nordsee. Nach der Ankunft ging es sofort an den Strand. Mit so vielen Rollstühlen war das gar nicht so einfach, da sich die Räder in den Sand gruben, aber irgendwie ging es. Während die Anderen sich im Wasser vergnügten, lag Tom in der Sonne. Er versuchte alles zu verarbeiten und war ganz in seinen Gedanken versunken. Vielleicht war es besser, wenn er schwul werden würde, aber diesen Gedankengang verwarf er schnell wieder. Allein bei der Vorstellung, einen nackten Männerkörper zu streicheln, wurde ihm ganz schlecht. Das war also keine Lösung und nur wegen dieser Pute erst recht nicht!
Ein paar Meter von ihm entfernt spielte eine junge Frauengruppe mit einem Ball. Das sah nach ungeschicktem Volleyball aus, dachte er sich. Offensichtlich war es eine Schülergruppe von einer Erzieherinnenschule aus München. Zumindest stand das groß gedruckt auf ihren T-Shirts. Tom vermutete, dass sie Urlaub nach ihre schriftlichen Prüfungen machen.
Eine Zeit lang beobachtete er das Schauspiel, was ihn etwas von seinen grauen Gedanken ablenkte. Eine von ihnen verfehlte knapp den Ball, der neben Tom landete. Sofort machte sie sich auf dem Weg um ihn zu holen, während ihre Mitstreiterinnen lachten. Als sie näher kam, fielen Tom fast die Augen raus. Sie war die wunderschönste Frau, die er in seinen Leben gesehen hatte. Blonde lange Haare, blaue Augen und eine super Figur. Hübscher als Pamela oder Heidi! Das Sonnenlicht fiel ihr durch das Haar, kleine Tropfen schimmerten auf ihrer gebräunten Haut. Sie konnte nur eine Göttin sein! Je näher sie kam, desto nervöser wurde er. Dann stand sie genau vor ihm. Tom spürte, wie etwas seine Kehle zuschnürte, und er bekam keinen Ton heraus. „Hey, ich will nur meinen Ball holen. Sorry, für die Störung.“, sagte sie lächelnd, hob den Ball auf und ging wieder.
Sie war schon fast weg, da fand Tom seine Sprachfähigkeit wieder und rief ihr nach: „Wie heißt du?“ Ihr Haar wehte im Wind, als sie sich wieder nach ihm umdrehte. „Tina!“, antwortete sie kurz, zwinkerte ihm zu und ging zu ihren Kameraden. Sie ist so süß, dachte er und ärgerte sich, über sich selbst. Da war seine Traumfrau, und er hatte sie einfach gehen lassen… Wie blöd konnte man sein. Sauer über sich selbst, widmete er sich seinem mitgebrachten Buch. Den Mut, sich aufzuraffen, sich durch den Sand zu quälen und Tina anzusprechen, hatte er nicht. Er war doch behindert und was wollte so eine schöne Frau mit einem, wie ihm. Sie konnte jeden Mann haben, den sie wollte und er wäre bestimmt noch nicht mal die letzte Wahl.
Kurz bevor Tom mit seiner Gruppe den Strand verlassen wollte, fiel ihm etwas im Sand auf. Als er genau hinschaute, erkannte er ein Handy. Aber außer ihm war doch niemand hier. Wem gehörte also dieses Handy? Jetzt traf es ihn wie ein Blitz. Tina! Das musste Tinas Handy sein. Schnell zog er es aus dem Sand und steckte es ein.
Sein Freund Christian kam ihm entgegen: „Du, wir wollen zurück ins Hotel, Es gibt gleich Essen, aber Alter, hast du eben die geilen Schnecken mit dem Ball gesehen. Die kommen aus einer Erzieherinnenschule in München und wohnen im gleichen Hotel wie wir. Das habe ich direkt abgecheckt.“ Tom konnte seinen Ohren nicht trauen. Vielleicht sah er Tina ja doch wieder, aber er wollte sich nicht zu früh freuen. Dennoch musste er es versuchen…
Zurück im Hotel, dachte er gar nicht ans Essen und rollte sofort zur Rezeption. Er nahm all seinen Mut zusammen und fragte, wo sich die Zimmer der Erzieherinnenschule aus München befinden. Die Mitarbeiterin des Hotels schaute ihn skeptisch an, denn eigentlich darf sie solche Informationen nicht weiter geben. Tom überlegte schon mögliche Ausreden, aber dann schaut sie doch im Computer nach und sagt dann: „Zweiter Stock, Zimmer 100 bis 120.“ Er war dankbar und verwundert zugleich, warum die Frau so einfach die Zimmernummern rausgab. Jetzt musste er es einfach wissen, also hakte er nach: „Ist da auch eine Tina dabei?“. Die Mitarbeiterin schaute ihn nochmal musternd an und Tom wollte schon aufgeben, als sie wieder auf den Bildschirm starrte und die ersehnten Worte aussprach: „Tina Zimmermann, Einzelzimmer Nr. 106.“ Jackpott! Tom hatte es geschafft, er hatte Tina gefunden. „Vielen Dank!“, sagte er und rollte davon. Allerdings konnte er nicht sofort das Mädchen aufsuchen. Er musste warten, bis ihre Betreuer schliefen. Erst dann konnte er sie besuchen.
Tom saß in seinem Zimmer und konnte es kaum erwarten. Von Minute zu Minute wurde er nervöser. Sollte er wirklich zu ihr ans Zimmer gehen, oder es lieber doch sein lassen? Die Zeiger standen auf 23:50 Uhr. Alles auf dem Flur war ruhig. Tom wagte es, er schwang sich in sein Gefährt und verließ so leise wie möglich sein Zimmer. Mit dem Fahrstuhl fuhr er in den zweiten Stock und hoffte, dass ihm niemand entgegen kam, den er kannte. In der Dunkelheit versuchte er das Zimmer mit der großen 106 zu finden. Aufgeregt für er den Gang entlang. Da war es, Zimmer 106, nie hätte er gedacht, dass drei Zahlen sein Herz so rasen lassen konnten. Er konnte vor Anspannung die Hand kaum bewegen, doch er schaffte es zu klopfen. Nichts passierte. Nur Stille. Sie schlief bestimmt schon, dachte er. Enttäuscht wollte er wieder in sein Zimmer rollen, aber dann öffnete sich langsam die Tür.
Da stand sie und linste durch den Türspalt. Auf Toms Augenhöhe viel ihm sofort der Tanga auf und dann ihr T-Shirt, mehr hatte sie nicht an. Sichtlich zuckte sie zusammen, als sie den jungen Mann im Rollstuhl erkannte. In ihrer Ausbildung hatte sie viel über Kinder und Behinderungen lernen müssen. Allerdings alles nur Theorien und sie wusste nicht, wie sie auf ihn reagieren solle. Hatte er sie verfolgt? Man musste da ja vorsichtig sein, weil sie schnell Gefühle entwickeln und das nur, weil man freundlich ‚Hallo‘ sagte. Zumindest hatte das ihre Klassenkameradin erzählt, ihr war das im Praktikum öfters passiert. Also musste das ja so kommen, dachte sie sich. Er stand mitten in der Nacht vor ihrem Zimmer, nur weil sie am Strand freundlich zu ihm war, und ausgerechnet jetzt, hatte sie kaum was angezogen. Leise sagte sie: „Du bist doch der von der Gruppe aus dem Internat für Behinderte, die vorhin am Strand waren. Was willst du denn?“
Tom musste schlucken, ihr Anblick verschlug ihm immer noch die Sprache. Er wusste nicht, was er sagen sollte, doch trotzdem musste er jetzt etwas tun, sonst würde sie die Tür vor ihm zu machen. „Ääh, mein… äääh… mein Name ist… Tom… Tom Schneider…“, stotterte er vor sich hin und sein Kopf glühte fast, „Ich… ich habe… habe am Strand dein Handy gefunden… und… und ich wollte… es dir bringen…“ Mit zitterten Händen reiche er ihr das Handy. Tinas Gesicht hellte sich freudig auf und sagt: „Oh, danke! Das hab ich schon überall gesucht.“ „Ooookey… dann gehe… ich meine… rolle ich wieder.“, erwiderte er und hätte sich am liebsten für diesen Satz selbst erschlagen. Ich rolle wieder… Das war alles andere als cool, dachte er.
Tina merkte, wie unsicher dieser Tom war und dachte: Hey, Behinderte können ja doch ganz nett sein. Jetzt hat er schon den ganzen Aufwand betrieben, sich wahrscheinlich aus dem Zimmer geschlichen, da kann ich ihn nicht einfach ohne weiteres wegfahren lassen. Also gab sie sich einen Ruck: „Du Tom, ich hab noch zwei Colas in meinen Zimmer. Mag du mit rein kommen?“
Tom traute seinen Ohren nicht. Hatte sie wirklich gefragt, ob er reinkommen wollte... „Äääääh, ja gern!“, sagte er mehr krächzend, als deutlich und beide verschwanden in ihrem Zimmer. Wie ein Schulkind an seinem ersten Schultag, stand er mitten im Raum und wäre fast von seiner Nervosität überwältigt. Ohne genau auf ihn zu achten, schmiss sich Tina wieder in ihr warmes Bett und Tom bekam große Augen. Erst jetzt merkte sie, wie es für ihn aussehen musste, wenn sie sich halb nackt vor ihm auf dem Bett rekelte. Sie sagte: „Sorry, ich glaube, ich sollte mich etwas mehr anziehen?“ „Ääh, nein, ich steh drauf. Ich meine, das geht schon in Ordnung…“, sagte er so lässig wie er konnte, als hätte er öfters Frauen so gesehen. Tina lachte ihn an und sagte: „Es ist komisch. Obwohl du ungefähr in meinem Alter bist, schäme ich mich nicht, auch wenn ich fast nichts an hab.“
Plötzlich klingelte ihr Handy. Offensichtlich eine SMS, das konnte man schon am Ton erkennen. Erst lächelte sie, als sie auf das Display schaute, doch ihr Strahlen verflog schnell. Sie warf es auf die andere Seite des Bettes. Große Tränen liefen ihr über die Wangen. Tom war geschockt, wie schnell eine SMS die Laune eines Menschen verändern konnte. Was war wohl der Inhalt, fragte er sich und greift nach dem Ding. Die SMS leuchtete noch hell auf und er las: Hi Schlampe! Na, mit wem fickst du jetzt? Bald bis du wieder bei mir, dann zeig ich es dir richtig!
Entsetzt schaute er das Mädchen an. Sie weinte bitterlich. Erst jetzt fielen ihm die blauen Flecken an ihren Armen und Beinen auf. Er musste was tun. Niemand durfte so einer schönen Frau etwas antun. Doch jetzt musste er sie erst mal trösten. Also schwang er sich rüber ins Bett und legte den Arm schützend um sie. Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, fragte er: „Wer ist der Mistkerl? Wer tut dir weh?“ Ohne Tom anzuschauen sagte sie mit einer zitternden Stimme: „Pascal, mein Freund. Er war super nett, aber dann hat er angefangen zu trinken. Wenn er getrunken hat, dann wird er aggressiv und schlägt mich.“ Tina wusste nicht, warum sie ihm das erzählte. Schließlich war er ein Fremder, aber irgendwie musste sie ihm davon erzählen, sie vertraute ihm. Es kam ihr vor, als ob sie ihn schon ewig kannte.
Tom konnte es nicht fassen: „Warum verlässt du ihn nicht?“ „Ja, weil… er sagt doch… das er mich liebt…“, sagte sie und blickte zu ihm auf. Doch dann drückte sie ihn von sich weg und sagte verbittert: „Außerdem, Männer sind doch alle gleich! Sie wollen nur Spaß mit einer Frau haben, wie es der Frau geht, kümmert sie nicht.“ Dann schaute Tina in seine Augen und versuchte aus ihnen zu lesen. Sie erkannte, dass es nicht wahr war und sie gestand: „Ok, vielleicht nicht alle Männer…“
Toms Gefühle fuhren Achterbahn. Sie hatte ihn weggeschoben und mehr, als sie tröstend in den Armen halten, konnte er sie im Moment nicht. Tina sprach unerwartet weiter: „Du bist der erste Mann, den ich ein wenig vertrauen kann. Kannst du heute Nacht hier bleiben? Ich möchte nicht, allein sein.“
Tom wusste nicht, was er antworten solle. Er konnte doch nicht hier bleiben, aber sie alleine lassen, ging auch nicht. „Bitte, bitte bleib“, flehte sie regelrecht und legte ihren Kopf auf seine Brust. Schluchzend begann sie wieder an zu weinen und Tom konnte nicht anders. Er legte seine Arme um sie und sie kuschelte sich an ihn. Er verdrängte den Gedanken, was passieren könnte, wenn die Betreuer davon erfuhren. Denn zum ersten Mal hatte er das Gefühl von Vertrautheit bei einer Frau und er hoffte, dass dieser Moment nie verging.
An Morgen wachten die beiden, Arm in Arm, auf. Tina sagte leise: „Guten Morgen, ich habe schon lange nicht mehr so gut geschlafen.“ Tom lächelte sie an. „Ich auch nicht…“, gestand er, „Wie spät ist es?“ Er griff nach dem Handy, welches er auf den Nachttisch gelegt hatte. „Oh mein Gott! Die Anderen sind schon beim Frühstück! Es tut mir leid, aber ich muss weg!“, sagte er hektisch und versuchte so schnell er konnte, in den Rollstuhl zu gelangen.
Schnell in den Aufzug, ins Erdgeschoss und in den Frühstücksraum. Zum Glück trug er zum Schlafen ein T-Shirt und eine kurze Hose, da fiel es nicht auf, dass er sich nicht umgezogen hatte.
Im Speisesaal wurde er schon von den Betreuern erwartet, die ihn sofort verhörten, wo er denn gewesen sei. Tom erklärte aufgeregt, es sei ihm zu heiß im Zimmer gewesen und er habe am Strand geschlafen. So richtig wollten sie ihm das nicht glauben, aber sie beließen es dabei. Er sollte nur das nächste Mal Bescheid sagen, und Tom konnte erleichtert essen. Seit gestern Mittag hatte er nichts in den Magen bekommen und hatte nun einen riesen Hunger.
Später gingen sie wieder an den Strand. Tina und ihr Gruppe waren da, was Tom umso mehr freute. Durch den Sand kämpfend schaffte er es zu ihr. Ihr schien es viel besser zu gehen, sie lachte ihn mit liebevollem Ton Blick an. Es freute ihn, sie so zu sehen, aber trotzdem war er ziemlich nervös. „Sieht nicht einfach aus, mit den kleinen Rädern durch den Sand zu kommen.“, scherzte sie und warf ihm den Ball zu. Tom wollte ihn fangen, doch dazu hätte er einen Hechtsprung nach links aus dem Rollstuhl machen müssen, was er mit Sicherheit geschafft hätte, davon war er überzeugt, aber als sie den Fehlwurf erkannte, lief sie schon dem Ball nach.
An den restlichen Urlaubstagen verbrachten Tom und Tina sehr viel Zeit miteinander. Sie redeten viel, hatten Spaß und Tina sah richtig glücklich aus.
Am letzten Tag hatten sie sich dann um 0:10 Uhr am Strand verabredet. Tina hatte ihm am Vorabend gesagt, dass sie jetzt die Kraft hatte, sich von Pascal zu trennen. Sie wollte ein neues Leben anzufangen, ohne diesen Mistkerl.
Tom stand aufgeregt am Stand und wartete auf sie. Er hatte ihr einen silbernen Ring gekauft. Er war sich jetzt sicher, dass er sie liebte und das wollte er ihr heute sagen. Da kam sie auch schon. Sie trug kurze Shorts und ein weißes T-Shirt. Im Mondlicht sah sie noch schöner aus. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das überhaupt noch ging.
„Hey, heute ist unsere letzte Nacht. Ich muss dir dringend was sagen...“, begann sie zu sprechen, doch Tom unterbrach sie: „Ich zuerst!“ Mit zitterten Händen und Tränen in den Augen zog er den Ring aus der Tasche. „Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, aber ich liebe dich. Du bist die erste Frau, die mich nicht ausnutzt und die mich versteht. Obwohl ich behindert bin, behandelst du mich, wie einen Mensch und…“, er stoppte in seiner Ansprache, als er Tina zitternd weinen sah. Er bekam Angst, dass er jetzt etwas falsches getan hatte und wollte schon alles hinschmeißen. „Ich liebe dich doch auch!“, sagte sie plötzlich, „Du hast mir gezeigt, dass nicht alle Männer mir weh tun. Du hast mir gezeigt, wie schön Liebe sein kann.“ Er war erleichtert und er schloss sie in seine Arme. Er setzte sich zu ihr in den Sand, steckte ihr den Ring an den Finger und sie küssten sich. Gemeinsam betrachteten sie den Mond und die Sterne, während das Meer leise vor sich hin rauschte. Arm in Arm lagen sie fast eine Stunde einfach nur da. Tom hätte Wochen mit ihr so liegen können.
„Du, das ist unsre letzte Nacht...“, unterbrach Tina die Stille, „und wir wissen nicht, ob und wann wir uns wiedersehen.“ Er schaute sie fragend an. Ihr Lächeln war süßer als Zucker. „Ich möchte mit dir schlafen. Ich hätte noch nie Sex mit einem Mann, den ich geliebt habe…“, erklärte sie, und Tom war sich unsicher, was er machen solle. Noch immer musste er an das letzte Mal denken, was sich als ein Albtraum entpuppt hatte. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und etwas sagte ihm, er sollte schreiend davon laufen, doch laufen konnte er nicht. Tinas zärtliche Küsse ließen ihn den Gedanken ein wenig verdrängen. Sie küsste seine Lippen, mit ihrer Zunge spielte sie mit seiner und küsste seinen Hals. Wie automatisch wanderte seine Hand unter ihr Shirt, wie weich sie war. Langsam begann Tina sich auszuziehen, bis sie vollkommen nackt war. Wie selbstverständlich, half sie auch Tom beim Auskleiden. Beide lagen sie da, wie Gott sie geschaffen hatte. Sie war ihm so vertraut, und Tom hatte die letzte Katastrophe komplett vergessen.
Auf der einen Seite war er sich unsicher, was er tun solle, auf der anderen Seite hatte er genug Filme gesehen, wo es um nichts anderes ging. Manches wollte er schon länger ausprobieren und jetzt war die Gelegenheit.
Er begann sie zu küssen, erst am Hals, am Bauch und dann weiter tiefer. Er wusste die Stelle, wo man Frauen mit der Zunge verrückt machen konnte und er hatte diesen Punkt auf Anhieb gefunden. Tina hatte so etwas Gefühlvolles noch nie erlebt. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie sich ganz fallen lassen. Sie flüsterte: „Das ist soooo schön, hör bitte nicht auf!“ Doch dann schob sie ihn sanft von sich. Nicht schon wieder, dachte Tom, aber bevor er fluchen konnte, küsste sie ihn. „Ich will dich jetzt!“, flüsterte sie und stieg über ihn. Wieder fiel ihm auf, wie schön sie war. Sanft streichelte er ihr über die Brust und sie kicherte. „Das kitzelt…“, erklärte sie und er erkannte im Mondschein, dass sie eine Gänsehaut bekam. Oh ja, er wollte sie ebenfalls, aber… Als könnte sie seine Gedanken lesen, sagte sie: „Keine Angst, ich nehme die Pille.“ Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, überkam ihm ein wohliges Gefühl. Sie war so warm und weich, sie fühlte sich einfach unglaublich an. Bei jeder Bewegung verstärkte sich dieses Gefühl, und sie gaben sich immer weiter ihrer Leidenschaft hin, bis sie beide den höchsten Punkt erreicht hatten, was sie lauter aufstöhnen ließ. Es war für beide das Schönste, was sie je erlebt hatten.
Im Morgengrauen versuchte Tom cool zu bleiben und verabschiedete sich: „Süße, wir müssen uns leider verabschieden. Ich verspreche dir, wir sehen uns bald wieder...“ Seine Stimme brach ab und er musste schlucken, um weiter sprechen zu können: „Du bist das Beste, was mir je passiert ist. Es tut so gut, wie du mich liebst.“ Tina war es anzusehen, wie traurig sie war. Sie wollte etwas sagen, aber sie konnte nicht. Schließlich rannte sie einfach weg, und er hörte sie nur rufen: „ICH LIEBE DICH!!!!!“
Tina war fertig mit der Welt. Sie hatte den Mann ihrer Träume gefunden und musste ihn wieder gehen lassen. Noch immer lag Tom im Sand und konnte nur weinen. Als er sich ein wenig beruhigt hatte, rollte er zum Hotel zurück. Dort hatte seine Gruppe schon alles in die Busse geladen, und sie warteten nun auf ihn. Tom sagte während der ganzen Rückfahrt kein Wort. Jeder fragte ihn, was denn los sei, aber er antwortete nicht. Auch als sie zurück im Internat waren, ging er sofort in sein Zimmer. Er konnte nur an Tina denken. An die letzte Nacht. Er fragte sich, ob sie es schaffte, sich von dem Schwein, Pascal, zu trennen und ob ihre Eltern ihr halfen. Erst musste sie ihren Eltern alles erzählen, sie wussten nicht, was ihre Tochter durchgemacht hatte. Die blauen Flecke hatte Tina immer gut verstecken können.
Der Urlaub war nun drei Wochen her, und Tom musste immer noch 24 Stunden am Tag an Tina denken. Auf dem Handy konnte er sie nicht erreichen, das machte ihm große Sorgen. Er war unfähig, zur Schule gehen und er ließ niemanden an sich ran. Er saß lediglich in seinem Zimmer und grübelte.
Plötzlich klingelte sein Handy. Er schaute auf das Display. Tina rief an. Sofort machte sein Herz einen Sprung und er nahm ab. „Hey! Wie geht’s dir, Tina… Schatz?“, fragte er direkt und sie antwortete: „Hey! Ich habe mich mit einem Brief von Pascal getrennt. Ich bin jetzt in München bei einer Freundin. Bei meinen Eltern hatte ich noch keine Gelegenheit etwas zu sagen und jetzt sind sie 3 Wochen im Urlaub, sie wissen also von nichts... Ich habe solche Angst, dass er mich hier findet.“ Ohne groß zu überlegen sprudelten die Worte aus Toms Mund: „Hab keine Angst! Ich komme zu dir. Gibt mir die Adresse, dann bin ich noch heute Abend bei dir.“ Sie weinte und gab ihm dankend die Adresse.
Nachdem sie aufgelegt hatten, suchte Tom im Internet die Zugverbindung raus und packte ein paar Sachen. Unbemerkt konnte er sich aus dem Internat schleichen und er fuhr mit dem Bus zum Bahnhof, als hätte er nie was anderes getan. Ein wenig hatte er Angst, er war noch nie allein mit dem Zug gefahren. Seine Eltern wollten das nicht, aber für Tina machte er alles. Außerdem war der ICE ganz komfortabel, aber die Zugfahrt schien endlos zu sein.
Da war er, der ersehnte Hauptbahnhof von München. Er stieg in den Bus, der laut Routenplaner richtig war, und fuhr zu einem Münchener Vorort, wo Tinas Freundin wohnt solle. Die letzten zwei Kilometer musste er mit dem Rollstuhl zurücklegen, da der Busfahrer meinte, dass jetzt keine Rollstuhlfahrer mehr mitfahren durften. So ein Schwachsinn, dachte Tom sich, aber stieg aus. Er hatte schließlich besseres vor, als sich mit dem Fahrer zu streiten.
Kurz bevor er am Haus der Freundin ankam, wolle er Tina anrufen und ihr Bescheid geben, das er gleich da war. Er wählte ihre Nummer. Es tutete. Sie ging nicht dran. Er versuchte es noch mal, das gleiche. Er machte sich große Sorgen. Hatte Pascal sie schon gefunden? Kam er zu spät?
Er rollte, so schnell er konnte, die Straße entlang. Er holte alles aus seinem Körper, was möglich war. Da endlich, das musste das Haus sein. Tina hatte erzählt, dass ihre Freundin Sam alleine wohnte, die zwei Frauen waren also völlig allein.
Tom klingelte und klopfte an der Haustür. Niemand öffnete. Tom rollte um das Haus. Warum mussten manche Menschen Kies, als Wegkennzeichnung nutzen, dachte er und kämpfte sich zu der Terrassentür. Tom schaute durch die Scheibe, aber er konnte nichts erkennen. Sie mussten doch da sein. Ein Schreien aus dem Haus. Das war Tinas Stimme, da war er sich sicher. Mein Gott, Pascal war da, schoss ihm durch den Kopf. Wut stieg in ihm auf. Er musste in das Haus, egal wie!
Er hob einen großen Grenzstein auf, der eigentlich als Wegumrandung dienen solle. Woher er die Kraft nahm, wusste er nicht. Er musste es einfach tun. Tom holte aus und schlug damit die Scheibe ein. Eilig öffnete er die Terrassentür, überwand irgendwie zwei Stufen und stand in einem Wohnzimmer.
Auf dem Boden lag eine junge Frau und sie hatte eine Platzwunde am Kopf. Das musste Sam sein. Sie atmete noch.
Mit seinem Handy rief Tom die Polizei an. Er sprach sehr leise und sagte, was geschehen war. Schnell gab er ihnen die Adresse durch und legte wieder auf. Er musste Tina finden. Wieder ein Schrei und er folgte ihm bis zu einer Tür, dort musste sie sein. Tom hatte keine Angst, er konnte nur an Tina denken. Er riss die Tür auf, denn nur mit dem Überraschungseffekt hatte er eine Chance.
Was er sah, ließ fast sein Herz stehen. Tina lag mit aufgerissener Bluse und zerrissenem Rock auf dem Bett. Pascal kniete über ihr und versuchte sie offensichtlich zu vergewaltigen.
Für ein paar Sekunden konnte Tom sich nicht bewegen. Dann löste sich seine Schockstarre und er rollte zum Bett. Tom überlegte nicht, er handelt nur. Er sprang förmlich auf Pascal. Die Wucht so groß, dass beide vom Bett auf den Boden fielen. „Was willst du Krüppel?!“, schrie Pascal, „Diese Hure ist meine Frau!“
Wütend erwiderte Tom: „Nein, ist sie nicht!“ Tom nahm all seine Kraft zusammen und haute Pascal mit der Faust mitten in sein Gesicht. Volltreffer! Pascal blieb bewusstlos liegen. Tom kletterte zu Tina ins Bett. Sie war total verängstigt. Vorsichtig legte er einen Arm um sie. Sie zuckte zusammen, aber drückte sich dann fest an ihn. „Es ist alles vorbei. Du hast es geschafft“, versicherte er ihr. „Danke, ich liebe dich jetzt noch viel mehr…“, gestand sie, als gerade die Polizei in das Zimmer stürmte. Sofort kümmerten sie sich um den bewusstlosen Pascal und nahmen ihn in Gewahrsam. „Haben Sie das getan?“, wollte ein Beamter wissen und wies auf den Bewusstlosen hin. Tom nickte nur, und der Mann musterte ihn und den Rollstuhl. Mit dem Wort: „Respekt!“ ließ er die beiden für einen Augenblick alleine.
Tina konnte sich gar nicht beruhigen und weinte. Immer wieder sagte sie: „Danke, danke Tom…“ Er streichelte sie zärtlich und versicherte ihr: „Ich lasse dich nie mehr allein…“
Texte: Then Feré & Jashina Lie
Bildmaterialien: Jashina Lie
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2014
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