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Ist Bettina wirklich darauf erpicht, ihre Mutter um Haus und Vermögen zu betrügen? Immer mehr mischt sie sich in das Leben der alten Frau ein und übernimmt unter dem Deckmantel der Sorge unaufhaltsam die Kontrolle.

Doch wie so oft ist nicht alles, wie es auf den ersten Blick scheint.

 

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Verräterin! Das, was heute passiert ist, hallt immer noch in mir nach, sodass ich mich nicht auf meine Lieblingssendung konzentrieren kann. Immer wieder sehe ich die Szene vor mir, wie sie mit besorgter Miene auf meinen Hausarzt einredet, als verkünde sie nichts als die Wahrheit. Dabei ist jeder Satz eine einzige Lüge!

Ich gebe auf und schneide dem Fernsehdoktor das Wort ab. Erst in diesem Moment sehe ich es plötzlich glasklar vor mir: all die kleineren Angriffe, die ich bisher nicht ernst genommen hatte, ihre übertriebene Besorgnis, ihr ständiges Kommen und Gehen und jetzt als Krönung des Ganzen ihre Behauptungen Dr. Morris gegenüber, ich sei nicht mehr fähig, allein zu leben. Natürlich hatte ich sofort protestiert. Das, was sie ihm erzählte, stimmte so überhaupt nicht. Weder vergaß ich die wichtigen Dinge, die ich regeln musste, noch lebte ich ständig in der Vergangenheit. Ich meine, ich bin fünfundachtzig. Dass man das ein oder andere mal übersieht oder etwas verlegt und danach suchen muss, ist doch wohl völlig normal. Aber ich bin durchaus noch fähig, mein Leben allein zu regeln.

Ich lehne mich in meinem Lieblingssessel, in dem ich immer sitze, wenn ich abends den Fernseher anschalte, zurück und atme tief durch. Dieses durchtriebene Luder. Ihr fürsorgliches Getue hatte von Anfang an nur den einen Grund, mich in ein Pflegeheim abzuschieben und mich am besten auch gleich entmündigen zu lassen, damit sie schon vorab frei über ihr Erbe verfügen kann. Genau das ist es, sie und ihr Mann wollen sich an mir gesundstoßen.

Holger ist seit über einem Jahr arbeitslos. Ihm droht bald der Wechsel in Hartz IV. Das würde bedeuten, sie müssten ihre schöne Wohnung mit dem großen Garten, in dem sie seit der Geburt der Jungen leben, aufgeben und sich kleiner setzen. Im Prinzip ist das keine schlimme Geschichte. Die Kinder sind aus dem Haus, ihre Räume werden als Arbeits-, beziehungsweise Gästezimmer genutzt, was eigentlich lachhaft ist, weil Holger ja wie gesagt nicht arbeitet. Bettina hat eine Halbtagsstelle als Verkäuferin im Lidl angenommen, dafür muss sie zu Hause garantiert nichts Schriftliches erledigen. Und Besuch, der über Nacht bleibt, ist auch selten. Nein, auf die Extraräume können die gut verzichten.

Meine Tochter jammert mir die Ohren voll, dass ihr Verdienst nicht reicht beide zu ernähren, ihr Einkommen und ihr Erspartes aber auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden. Bevor Holger Unterstützung bekommt, müssten sie so lange davon leben, bis ein erklecklicher Teil verbraucht ist.

Ja und? Es ist ihr Leben. Entweder geht Bettina ganztags arbeiten oder noch besser, ihr Mann soll sich irgendeinen schlecht bezahlten Job suchen. Den wird er garantiert auch in seinem Alter - er ist siebenundfünfzig - bekommen. Spätestens wenn ich gestorben bin, geht es ihnen wieder gut. Das Haus und die Papiere auf der Bank reichen, um ihren Lebensabend zu sichern.

Mittlerweile sehe ich es glasklar vor mir: Die beiden wollen sich auf meine Kosten vorzeitig zur Ruhe setzen!

Dabei waren die Anzeichen mehr als deutlich. Anfangs habe ich mich wirklich gefreut, als meine Tochter öfter vorbeikam, um nach mir zu sehen, wie sie sagte. Warum ist mir eigentlich nicht aufgefallen, dass sie mich nach und nach zur Seite drängte, bis sie mir praktisch den Haushalt führte? Sie wäscht und putzt und mäht den Rasen, seit kurzem kocht sie sogar für mich. „Lass, ich habe genug Zeit dafür“, wehrt sie stets ab, wenn ich versuche, sie davon abzubringen. Sie will einfach nicht begreifen, dass ich viele dieser Aufgaben weiterhin lieber selbst übernehmen würde.

Ich meine, es ist mein Haus, ich muss mich darin wohlfühlen. Ich finde nicht, dass es nötig ist, einmal in der Woche alles von oben bis unten zu säubern. Und dass ich die Kartoffeln habe anbrennen lassen, ist nur geschehen, weil ich mich durch das Telefonat mit Mimi derart ablenken ließ. Gut, der Topf war hinüber, von dem Essen ganz zu schweigen. Ich habe genügend Dosen und Tiefkühlkost im Haus, ich verhungere nicht gleich. In meinem Alter benötigt man sowieso nur noch Miniportionen, was macht es daher, dass ich meist von Fertiggerichten lebe?

Vor zwei Wochen ist sie gemeinsam mit ihrem Mann aufgetaucht, beide mit ernsten Gesichtern. Sie wollten etwas Wichtiges mit mir besprechen. Ich dachte schon, es handele sich um ihre Kinder, dass einer der Jungen schwer erkrankt sei. Mit dem, was dann kam, habe ich nicht gerechnet. Nachdem wir uns alle auf die Garnitur im Wohnzimmer gesetzt hatten, rückte Bettina ganz dicht an mich heran und legte ihre Hand auf meine. „Mama, meinst du nicht, es wäre besser, wenn wir zu dir ziehen würden? Halt, warte!“ Sie hob die Hand und ließ mich nicht zu Wort kommen. „Holger und ich richten uns in den oberen Zimmern ein, die du nicht nutzt, und du behältst hier unten dein eigenes Reich. Ich übernehme jeden Tag das Kochen und wir essen zusammen, alles andere bleibt wie zuvor.“

Ha, dass ich erst jetzt die Wahrheit sehe! Sie wollen bei mir unterkriechen, statt sich zu verkleinern. Wahrscheinlich hatten sie sich ausgerechnet, dass Holger auf diese Weise gar keine weitergehende Unterstützung beantragen muss. Bettina macht ihren Halbtagsjob, er sucht sich irgendeine Kleinigkeit für nebenbei – damit kommen sie zwar auf keinen grünen Zweig, aber es reicht für das Nötigste. Nein, nicht mit mir! Man weiß ja, wie das ist. Bald wäre ich nicht mehr Herr in meinem eigenen Haus.

Genau aus diesem Grund habe ich vor ein paar Jahren auch ihren anderen Vorschlag abgelehnt. Damals wollten sie, dass ich ihnen das Haus und die Eigentumswohnungen nach und nach überschreibe. Ich würde weiterhin das Sagen haben, behaupteten sie, das wäre nur wegen der Steuer. Aber darauf bin ich nicht hereingefallen. Ich lehnte ihren

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: K. J. Weiss
Bildmaterialien: Ralf B. Franke
Tag der Veröffentlichung: 17.08.2015
ISBN: 978-3-7396-0976-8

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