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1. Einführung
Mein Name ist Nick, Nickolas Boos, und ja ich verabscheu meinen Namen. Nickolas, Gott sei Dank, nennen mich meine Freunde nur Nick. Meine Mutter fand ihn unter Einfluss der ganzen Schmerzmittel wohl schön, hmpf, vielleicht ist das der Grund dass ich auch heute noch immer eine Abneigung gegen jegliche Art von Tabletten habe. Schließlich will mein Kind bestimmt nicht Gottfried oder Homunkulus heißen.
Wenn ich so daran zurückdenke muss meine Geburt wohl ein ziemlicher Akt gewesen sein. All die Schmerzen und so… keine angenehme Vorstellung. Und trotzdem, manchmal beneide ich die Frauen um das Privileg Kinder zu kriegen. Was für ein wunderbares Gefühl muss es sein zu wissen das in einem ein neues Leben entsteht. Aber dennoch rate ich ihnen das niemals einer Frau zu erzählen, sie werden nur verachtende Blicke ernten, frei nach dem Motto: „ Wenn du wüsstest.“ Aber hey, denk ich mir, ja ich wüsste es wirklich gerne.
Kinder zu bekommen war immer einer meiner sehnlichsten Wünsche. Dabei ging es mir noch nicht einmal um die normalen 0815 Standard Gründe á la „ich will das Fußballteam trainieren.“ Oder „ Ich werde ihr das Klavierspielen beibringen“. Nein, bei mir sind es tiefere Gefühle die mich zu diesem Wunsch verleiten. Ich kann sie mir selber nicht richtig klar machen. Es ist nur so, jedes Mal wenn ich ein kleines Kind sehe das bei seinen Eltern ist, sehe es lachen sehe es weinen, sehe es in ihren Armen, dann steigt in mir tiefe Gefühle der Wärme auf, ich muss lächeln und ein kleiner Stich des Neids bringt mich dazu den Eltern zu sagen welches Glück sie haben. Oft ernte ich hierfür verwunderte Blicke.
Ja ich habe so manche Seltsamkeit, trotzdem würde ich nie sagen das ich seltsam bin, Pah nein dafür bin ich viel zu eitel. Eher würde ich sagen dass die anderen seltsam sind. Ich weiß zwar, dass es nicht wahr ist, und ich weiß auch dass ich durchaus meine Macken und Dellen habe, doch was kümmert es mich? Mein Motto lautet klipp und klar: „ Du lebst nur einmal, also leb dein Leben!“ Zumindest dachte ich das immer.
Mein Leben schien auf den ersten Blick perfekt. Ich hatte einen Job der mir gefiel und mich nie in Geldnöte brachte. Zudem hatte ich eine eigene Wohnung und ein e wunderschöne Freundin, namens Leonie.
Leonie war mein Leben. Wenn ich meine Gefühle für sie beschreiben soll, könnt ich mit meinen Worten ganze Romane füllen, achwas auch das würde nicht reichen. Sie hat leicht rötliches Haar das sich in leichten Wellen schulterlang an ihrem makellosen Gesicht herbseilt. Ihre Gesichtshaut ist sehr blass mit ein paar Sommersprossen überzogen, dazu leichte Hamsterbäckchen, welch ihr wenn sie lacht das schönste Honigkuchen Lächeln verleihen. Ihr Lippen werden dann ganz schmal und ihre Wangen puterrot. Dazu kommt ihre kleine Stubsnase über der Ihr Saphirblauen Augen wie zwei Diamanten glitzern. Sie selbst sagt sie sieht aus wie ein zu dick gewordener Hamster, aber ich weiß es besser, denn wenn man ihr so in die Augen schaut denkt man, man fällt in einen Ozean.
Dazu kommt noch ihre schlanke Statur auf einen kleinen 1,65 Körper. Ihre enorme Größe verlieh ihr bei mir den Namen Stups. An sich war sie die Frau meiner Träume. Zudem war sie nicht nur wunderschön, sondern auch über die Maßen intelligent. Was ihr manchmal an willen fehlte, macht sie mit ihrem Scharfsinn für allgemeine Dinge aber auch für die Gefühle anderer Menschen locker wieder weg. Ja sie besaß diese wunderbare Gabe das jeder Mensch sie einfach liebte. Sie kann mit jedem reden und jeder verfällt ihr sofort.
So ging es mir, oh Überraschung, nicht anders. Doch irgendetwas musste sie an mir gefunden haben was mir das Gefühl gab würdig zu sein.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was es war, denn ich finde an mir selber rein gar nichts, was für eine Frau von ihrer Statur von Interesse sein könnte. Ich bin seltsam, bin nicht über die Maße gut aussehend und bin auch nicht Albert Einstein. Auch habe ich keinen besonderen Charme oder dergleichen.
Aber möglicherweise bin ich einfach nur der größte Glückpilz der Welt?
Ich zog sogar die Möglichkeit in Betracht das das alles nur ein riesiger Scherz war den sich mein Kollegen für mich ausgedacht hatten, dafür das ich sie bei der letzten Firmenfeier mit Prostituierten überrascht hatte die sich letzten Endes als Transvestiten herausstellten. Doch all meine Befürchtungen schienen sich in Luft aufzulösen, als ich sie das erst mal küssen durfte. Ihre Lippen waren weich wie Butter und ihr Dufte hätte jede Rose der Welt vor Neid erblassen lassen. Unsere Lippen trafen sich, verschmolzen für eine Ewigkeit, so schien es mir.
Kennen Sie das Gefühl, jemanden zu küssen den man wirklich liebt? Nicht so ein kleines Scharmützel wie man es sich gibt wenn man seine Freunde trifft, oder den leichten Kuss der der zart verliebten. Auch nicht der Kuss voll wilde, ungehemmte, körperlichen Verlangen. Nein, das was ich meine ist ein Kuss der tief aus seinem inneren aufsteigt wie ein ganzer Schwarm von Vögeln welcher durch einen leichten Lufthauch aufgeschreckt wird. Jener Kuss, der erst so zart über die Lippen geht um dann wie in einem Rutsch in starke Leidenschaft überzugehen. Man erkundet sich, erst ganz vorsichtig, streichelt die Lippen aneinander, lässt sie sanft übereinander streifen. Dann kommt der peinliche Moment in dem der Mann seine Lippen anfeuchten muss, weil er wieder mal zu eitel für Labello war. Die Frau muss kichern. Ein verliebter, tiefgründiger Blick in ihre Augen der ihnen alles über sie verrät, was sie sowieso schon wussten; trotzdem sind sie verblüfft, weil sie wieder völlig überrumpelt merken:“ Ja Junge, es ist wahr.“
Dann, ganz unverhofft pressen sie ihre Lippen aufeinander von wilder Leidenschaft gepackt! Die Zungen treffen sich, der Atem des Partners wird eingesogen und verschmilzt mit ihrem. Gierig ziehen sie ihn ein, als ob es der letzte Schluck Wasser in der Wüste wäre. Die Arme greifen nun nach dem Nacken und Hinterkopf, um dann langsam vorzuwandern zu den Wangen, diese werden gestreichelt., der Kuss beruhigt sich; langsam geht man wieder in die Anfangsphase über, gemächlich, vorsichtig, bloß nicht zu schnell und hastig fährt die Hand an den Wangen entlang, den Hals hinunter, man spürt den Puls des Gegenüber, man kann das Leben und das Verlangen spüren, ja die tiefe Liebe selbst... Weiter hinunter. Sein Herz… ein Ruck, und die Welt ist vergessen…
Ja so ungefähr fühlt sich ein Kuss an, ein Kuss mit Leonie.
Leonie…. Ich liebe dich.


2. Herbst
Es war ein schöner Herbsttag, die Sonne schien ein letztes Mal mit voller Kraft, vielleicht nur um zu zeigen:“ Hey Leute, heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder keine Frage.“
Die Vögel sangen in den Bäumen ihre letzten Balzlieder um die Weibchen auf den kommenden Frühling einzustimmen. Jeder von ihnen wollte den anderen übertreffen, um bloß der zu sein der als der beste und stärkste unter ihnen in Erinnerung bleibt.
Die Bäume strahlten in den schönsten Farben, von Grün über Gelb, Ocker, orange, rot bis hin zu den diversesten Formen von Braun. Die Straßen waren gepflastert mit dieser bunten Decke aus Blättern, es sah aus als ob die Natur beschlossen hätte, neuerdings auch Karneval zu feiern. Wie klischeehaft dachte ich mir nur.
Ich war an diesem Sonntag mit Leonie im Park spazieren, die Woche war anstrengend gewesen, in der Firma bahnte sich ein Personalwechsel in der Führungsebene an und wir alle mussten schuften bis zur Resignation. Denn keiner wollte dem neuen Chef direkt negativ auffallen, nicht in diesen Zeiten wo der Jobverlust der finanzielle Ruin darstellt. Und so ließ sich die letze Zeit nur mit Energie Drinks und Kaffee in Massen Konsum überleben, was dazu führte das ich nachts nicht schlafen konnte und Leonie mich als hyperaktiver Kolibri bezeichnete.
So kam uns das verlängerte Wochenende gerade recht. In der Firma wurde ein neues Netzwerk verlegt, was sämtliche Arbeiten in dem Maße beschränkte das man der gesamten Belegschaft 2 Tage Urlaub gab. Drei Tage verbrachte ich damit meinen Koffeinrausch auszuschlafen, doch den letzten konnte ich nicht auch noch verschlafen. Leonie war schließlich mein Leben und ich wollte sie um keinen Preis wegen meines Jobs vernachlässigen. Lieber wäre ich gefeuert worden. Ja das gebe ich ganz offen und ehrlich zu. Viele verstehen meine Einstellung zu dieser starken Bindung nicht. Doch es war immer schon mein Motto gewesen, das man wenn man eine Frau wirklich liebt immer zu hundert Prozent für sie Dasein muss. Da gibt es kein „ 99% reicht doch“, nein wenn man jemanden wirklich liebt, dann sollten einem auch 100% nicht zu viel sein.
Zumindest fühlte ich so. Ich machte alles für Leo, alles was nötig war um ihr schönes Pfirsichlachen ins Gesicht zu zaubern. Vielleicht sollte das auch mein späterer Fehler gewesen sein, wer weiß. Wollen Frauen wirklich 100%ige Treue? 100% Liebe? Wer versteht schon die Frauen.
An jenem besagten Tag spazierten wir also durch den Park, es war gerade zwei und langsam fingen unsere Mägen an zu knurren, gefrühstückt hatten wir sehr früh damit wir den ganzen Tag für uns nutzen konnten.
„Mensch Nick… ich hab Hunger.“, fing sie an zu nörgeln. „Ich finde wir haben jetzt lang genug den alten Männern dabei zugesehen wie sie sich in der Nase popeln.“
Ich musste schmunzeln, ja das war die Leonie die ich liebte, frech, ungeduldig und nie zur Ruhe zu bringen.
„Ja klar“, sagte ich, „ Was willst du denn essen!“. Das brachte sie ins grübeln, natürlich hatte sie noch nicht darüber nachgedacht was sie denn essen könnte. „Hmmmmm…“, summte es aus ihr. „Na da hat sich aber wer Gedanken gemacht.“, ich musste mir ein Lachen verkneifen und setzte stattdessen ein grüblerische Miene auf. „Man könnte meinen du denkst na… AUA.“ , sie kniff mich mit einer verletzten Miene in die Seite. „Du bist ja so doof. Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht!“. Ja klar und ich heiß Gott. „Wir gehen zu McDonalds.
Nun war ich ernsthaft verwundert. „Du und McDonalds? Da brauchst du deinen Taschenrechner gar nicht erst auspacken um die Punkte zu zählen.“ Punkte zählen. Das können wirklich nur Frauen. Jahrelang beschweren sie sich darüber dass Mathematik in der Schule immer noch ein Hauptfach ist, und was machen sie? Sie verwandeln Essen in Zahlen fangen schon das Frühstück mit einem Taschenrechner an.
Ich kann mich zurücksinnen, als ich eines Sonntagsmorgens in mein duftendes Buttercroissant beißen wollte, kam von rechts: „Das, würde ich an deiner Stelle nicht tun.“ Das Ganze in einer Stimmlage als wolle sie einem Kleinkind erklären das es den Sandkuchen den es gebacken hat nicht essen kann. Den Monolog der daraufhin folgte erspar ich ihnen besser. Man kann nur sagen dass es bestimmt kein fairer Prozess war. Das Croissant wurde zu lebenslanger Haft in der Brotschublade verurteilt. Manchmal glaube ich ernsthaft es leise aus ihr wimmern zu hören.
„Okaaay McDonalds also.“ Ich lächelte sie an. Auch sie musste grinsen. „Hey, das war doch nur ein Test. Hätte nicht gedacht das du meine Diät unterstützen würdest.“ Sie gab mir einen leichten Kuss auf die Wange. Arm in Arm schlenderten wir die Straße hinab.
„McDonalds also?“
„Jops.“

3.
Am nächsten Morgen saß ich wieder im Büro, hatte meine Tür geschlossen und arbeitete mich durch einen großen Berg von Akten durch. Der Kaffee vor mir dampfte wieder und verbreitete einen angenehmen Duft der einem paradoxerweise den Eindruck einer entspannten Stimmung gab. Doch entspannt war wohl das falscheste Wort das einem hier einfallen könnte.
Eher kochte die Stimmung wie der Kaffee selbst.
Memo an mich selbst: Hör auf den Kaffee zu deuten, es ist nur deprimierend.
Heute wollte der baldige Chef meine Abteilung besichtigen und einfach nichts, rein gar nichts wollte so laufen wie es sollte. Der Höhepunkt war die Tatsache das meine Sekretärin Fr. Monika Weinstock den frisch gebrühten Kaffee komplett über den großen Industriekopierer schüttete, da sie über ein Kabel stolperte welches sie selbst vor einer halben Stunde dort platziert hatte. (Hier will ich noch mehr einfügen, á la Was für eine Firma, den Stress beschreiben usw.)
Memo an mich selbst: Es war doch keine so schlecht Idee mit der Axt unter dem Schreibtisch.
„Oh mein Gott, Herr Boos, das tut mir so schrecklich leid.“ Ihre ganze Kleidung war vom Kaffee durchnässt, und wir waren wohl beide froh das sie heute ausnahmsweise schwarz trug und nicht wie sonst immer weiß. Puterrot angelaufen stand sie da und war den Tränen nahe. Nicht nur an mir schien der Stress seine Spuren zu hinterlassen. Schon die ganze Woche über war die Stimmung dermaßen angespannt das sich die Mitarbeiter gegenseitig angifteten wo es nur ging, nur gegen mich wagte keiner etwas zu sagen. Tja. Das Recht des Vorgesetzten, war zugleich auch ein Fluch, andauernd kamen alle immer zu mir mit ihren Problemen über Gott und die Welt. Sah denn verdammt noch mal keiner, wie schlecht es mir selbst ging? War denn ein kleines bisschen Rücksichtnahme schon zu viel verlangt? Aber wie heißt es so schön? Melden entlastet und belastet den Vorgesetzten.
„Ach, halb so wild, “ versuchte ich locker und tröstend zu sagen, „Es wird sich schon ein Praktikant finden der das wieder in Ordnung bringt.“ Doch innerlich kochte ich. Warum zum Geier denn bitte immer ich? Kann sie denn nicht ein bisschen auf ihre Füße achten? Und gerade heute!
Jetzt weinte sie wirklich. RUMS. Mein Kopf knallte auf den Schreibtisch und ich war selber den Tränen nahe. Nur noch ein Gedanke brannte in mir, klar und deutlich das es einer Offenbarung gleich kam: „ASPIRIN!!“
„Herr Knopf, bitte kümmern sie sich doch kurz um Frau Weinstock...“, brachte ich noch über die Lippen und dann schlurfte ich schon Richtung Toilette um einen Moment Ruhe zu kriegen. Auf dem Weg kam ich am flureigenen Zigaretten Automaten vorbei, der mir plötzlich sehr sympathisch vorkam. Ich war immer ein großer Feind von Rauchen und Alkohol gewesen, naja ok ich gebe zu nicht wirklich immer, aber seit ich Leonie kenne habe ich keins mehr von beiden angerührt. Vielleicht sollte ich heute mal eine Ausnahme machen, nur dieses eine Mal…Sollte ich etwa? Nein… noch nicht. Meine Hand war schon auf dem halben Weg zu meinem Geldbeutel gewesen, doch dann hielt ich inne. Ach verdamm mich, soweit war es noch nicht. „Du musst dich jetzt zusammenreißen!“ dachte ich mir, „du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren, nur noch diese Woche, dann hast du es geschafft!“
Folglich ging ich nach fünf Minuten Pause wieder angespannt aber doch mit einer gewissen Zufriedenheit mit mir selbst in mein Büro zurück, nur um gleich wieder umzudrehen und einen Schreikrampf zu bekommen.
„Wie kann es sein das meine ganzen Akten die ich gerade geordnet habe jetzt verstreut auf dem Boden liegen?!“ Gegen Ende des Satzes wurde ich wieder etwas leiser da Mitarbeiter aus anderen Abteilungen die Köpfe in den Flur streckten.
„Ähm… Herr Boos“, machte sich eine ängstliche Stimme hinter mir laut, „das war wohl meine Schuld.“ Es war Frau Weinstock.
Memo an mich selbst: Vergiss die Axt… Wir brauchen stärkeres Kaliber.

4.
„Wie war dein Tag?“, kaum war ich durch die Tür in unsere gemeinsame Wohnung eingetreten, rief sie mich aus der Küche zu.
„Kannst du dich an unseren zweiten Jahrestag erinnern?“, gab ich zurück.
„Uhhhh!“
„Der war ein Ponyhof mit Freischeinen dagegen.“
Jetzt streckte sie doch etwas besorgt den Kopf aus der Tür. „So schlimm?“ „Ich halte keine Minute mehr aus.“ Mit kummervollen Augen kam sie mir entgegen, blieb erst zehn Zentimeter vor mir stehen, betrachtete mich Gefühlte drei Sekunden mit einem Blick der jeden Lemming dazu gebracht hätte sein suizidgefährdetes Leben an den Nagel zu hängen und von nun an eine Selbsthilfegruppe für Alkoholsüchtige zu gründen. Dann nahm sie mein Gesicht in die Hand und streichelte mir liebevoll die Wangen, den Hinterkopf, den Nacken und umarmte mich schließlich mit solcher Liebe, das ich mich zurückhalten musste nicht für immer mit ihr zu verschmelzen. Dann küssten wir uns zärtlich nur um direkt wieder innezuhalten.
Sie zwickte mich in die Seite und setzte ihr schelmisches Grinsen auf, das sie nur benutzte wenn sie mich ärgern wollte.
„Hey,“ , protestierte ich sehnsüchtig,“ ich war noch nicht fertig!“ Darauf kicherte sie nur. „Den Rest heb dir lieber für später auf, du Casanova, ich muss doch die Bratkartoffeln wenden, wenn du etwas vernünftiges zu Abend essen willst.“ Bratkartoffeln! Auf einmal waren die ganzen Sorgen des Tages vergessen.
Schon früher war ich ganz verrückt nach Bratkartoffeln, am besten in Kombination mit Spiegelei und Spinat. Immer wenn ich bei meiner Großmutter war wurde sie von mir so lange genötigt, dass sie mindestens einmal in den Ferien meine Leibspeise kochen musste.
Mit drei beherzten Schritten schwang ich mich in die Küche. Leonie stand am Herd und lachte. „ich wusste doch dass du alles vergisst wenn ich für dich koche. Ich habe sogar die Punkte außer Acht gelassen.“ Langsam drehte sie sich um und schenkte mir ein Lächeln dieser Art auf die ich nicht wieder stehen konnte. Ihre saphirblauen Augen strahlten mich an und all das Leben in ihnen schien sich in diesem Augenblick nur auf mich zu konzentrieren. Wir sahen uns an, wussten es, es war so klar, es war das einzige was zählt, wir zwei, für immer und Ewig, was auch immer kommen mag.
Dann wurde mir schwarz vor Augen und ich viel zuckend zu Boden.

5.
Memo an mich selbst: Sein Herz zu verlieren, ist die schmerzhafteste Art festzustellen das man eines besitzt.
Oft stehe ich am Bahnhof, und genauso oft schaue ich die Gleise hinunter und wünsche mir ewig hier zu stehen. Doch genau in dem Augenblick in dem ich mir das denke, sehe ich noch ein bisschen weiter, sehe den Horizont, fühle das Abenteuer, wünsche mir ich wäre eingestiegen.

Es war ein Traum, ein schrecklicher Traum zwischen Angst und Sehnsucht. Ich fiel tiefer und immer tiefer, umgeben von Dunkelheit. „Leonie?“ Ich fragte es verwundert in die Leere hinein… Keine Antwort. „Leonie!“ rief ich jetzt etwas lauter. Angst packte mich als ob ich mich verlaufen hätte in einem Wald voller Einsamkeit, mitten in der tiefsten Nacht.
Der Zug war abgefahren, kein Gefühl der Erwartung mehr. Nur noch die nackte Angst Leonie zu verlieren. Mich zu verlieren. Die Angst zu verlieren. Alle fing an sich zu drehen, ein dunkler grauer Wirbel der mich aufsaugt, mir die Hoffnung aussaugt. Ich war tot, ich musste sterben. Ich hatte Leonie nicht verdient.
Dann ganz plötzlich wurde ich wach.

6.
Habe ich ihnen eigentlich schon erzählt wie ich Leonie kennen gelernt habe? Die Geschichte ist ziemlich verrückt. Manchmal trifft man sich einfach an den unmöglichsten Orten. So kreuzten sich unsere Blicke das erste Mal in einem Zugabteil, das zugebenermaßen nicht gerade passend war für einen so monumentalen Moment. Es war exakt 00:14 Uhr. Ich kam gerade von einen meiner vielen Spätschichten, die man so machen muss wenn man neu in einem Betrieb ist. Frisch von der Uni hatte ich immer noch meinen passenden 3-Tage Bart und einen schlabbernden Anzug an. Was ihren Blick so auf mich zog weiß ich bis heute noch nicht wirklich. Es gab so viel an mir das aufsehenerregend war. Und leider hatte nichts davon einen positiven Aspekt.
Da waren zum einen meine viel zu abgekauten Fingernägel, der zu große Anzug, die Krawatte mit dem Kaffeefleck sowie ein großer Disney Thermobecher mit lächerlichen Mickey Mouse Ohren.
Ja als sie mich ansah musste sie grinsen. Aber bestimmt nicht weil sie mich so süß fand. Ich lief so rot an das man mich bestimmt auch noch für Schlaganfall gefährdet halten würde. [Wie war sich diese Aussage doch erweisen würde.]
Nach 5 Minuten traute ich mich sogar meinen Kopf wieder zu heben. Ich dachte mir, hey, Nicky, bleib cool. Vielleicht findet sie dich ja wirklich süß, ich meine, man sieht du hast studiert, du bist nicht auf den Kopf gefallen und verdienst in ein paar Jahren eine Menge Kohle. Ich warf ihr das wohl blödeste Grinsen in der Geschichte der Gesichtslähmungen zu. Gott sei Dank ging es bei einem ziemlich starken Ruck im Abteil unter und wurde von einem Schwall heißer Schokolade auf ihrer Hose abgelöst. Ich schloss die Augen und hoffte ganz fest, dass dies nur ein böser Traum war.
Das sind dann diese Momente in denen man sich fragt, wieso man eigentlich nicht im Bett liegen geblieben ist, warum man den Wecker nicht einfach ignoriert hat, warum man eigentlich rausgeht. Bin ich die Pointe in dem Witz namens Leben?
Deprimiert stellte ich an dem leichten Knurren vor mir fest, dass dies alles war, aber bestimmt kein Traum. Ein letztes Mal ging ich noch mal mein Testament durch und öffnete die Augen. Vor Staunen vielen mir die Augen aus. Kein Ansturm von Schimpfwörtern erwartete mich, nein, sie saß da auf ihrem Platz kicherte vor sich hin, ja sie lachte dermaßen, dass sie sich gar nicht mehr fing.
Eine Weile sah ich ihr dabei fasziniert zu und beobachtete sie. „Ähm..“, setzte ich an als ich es nicht mehr aushielt, „ist alles in Ordnung bei ihnen?“. Oder lachen sie mich aus, setzte ich in Gedanken dazu. „Neiiin.“, setzte sie prustend an,“ Es ist nur so…“, wieder eine halbe Minute Kichern. Langsam wurde es mir doch ein bisschen zu albern. „Es ist nur so?“, half ich ihr. „Naja wissen Sie, die Hose hier hat mir heute meine verrückte Mutter angedreht. Und sie ist einfach furchtbar! Also die Hose, mein ich jetzt. Und ich konnte sie meiner Mutter einfach nicht abschlagen. Jetzt habe ich wenigstens eine gute Ausrede.“ Wieder setzte sie ihr Grinsen auf. „ich bin Leonie und wie heißen sie?“
„Nischolasch..“ brachte ich noch über die Lippen.
Seit diesem Tag trafen wir uns immer öfter. Es schien wie ein Auslöser zu einer inneren Revolution in mir gewesen zu sein. Alles in mir fing an sich zu verändern. Jetzt könnte man meinen man sei aus der Pubertät entronnen, wenn man über die Zwanziger hinaus ist. Pah, vielleicht fangen keine Haare mehr an, an diversen Stellen zu wachsen, jedoch ändert man immer wieder seine Lebenseinstellungen und inneren Werte.
Ein ganz einfaches Beispiel dazu. Sie sind in einer depressiven Phase, alles auf der Welt scheint sich gegen sie verschworen zu haben. Würden Sie sich in diesem Moment „What a beautifull world“ anhören? Nein ! Das würden Sie nicht. Sie würden sich Heavy Metall schnappen, die Kopfhörer aufsetzen, die Lautstärke immer weiter aufdrehen bis es nicht mehr geht, dann noch ein Stückchen weiter nur um sich aufzuregen, das es nicht noch lauter geht! Dann würden Sie den ganzen Tag an Ohrschmerzen leiden, wenn nicht sogar die Tinitus Notfallklinik anrufen, welche ihnen nur mit einer liebenswürdigen Stimme sagt, Sie sollen doch bitte nach dem Piepston sprechen. Sie knallen das Telefon in die Ecke, ärgern sich fürchterlich weil es ja jetzt kaputt ist. Als nächstes erreichen sie das Stadium des „Ich betrink mich jetzt bis zum geht nicht mehr“.
Naja und so weiter.
Genau so eine Veränderung ging gerade in mir vor, aber etwas anders. Nämlich genau umgekehrt. All meine Probleme schienen mit einem Mal nicht mehr halb so schlimm. Ich fing wieder an Gitarre zu spielen, ich nahm den Stress im Büro lockerer.
Ja ich fing auch an mich äußerlich wieder zu verändern. Ich rasierte mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich ordentlich. Benutzte ein neues Aftershave und kein billiges Zeug aus dem nächstbesten Tante Emma Laden. All diese Veränderungen passierten so plötzlich das ich selber erschreckt war von all dem.
Ich fing an anders zu denken, ich fing an ein neuer Mensch zu werden. Meine Werte gingen zwar nicht verloren, dennoch… Ich war unbezweifelbar ein anderer Mensch.
Und dieses Gefühl hatte ich nun wieder…

7.
Irgendjemand sagte einmal, man soll aufhören wenn es am schönsten ist…

Ein leiser Laut, war alles was ich war nahm. Eine Mischung aus einem regelmäßigen Herzschlag gemischt mit dem Pfeifen einer Teekanne, angestrengt versuchte ich meine Sinne zu bündeln, doch er schien mir völlig fremd zu sein, egal wie sehr ich mich anstrengte. Ich hatte nicht die Kraft die Augen zu öffnen, alles tat weh, ja die ganze Welt schien nur noch aus den Schmerzen und diesen Lauten zu bestehen. Ich nahm alles auf wie ein großer, gieriger, ausgetrockneter Schwamm. Ich wollte es nicht, doch das Piepsen brannte sich in meinen Gedanken ein, machte jeden anderen Gedanken schwer und schleppend. All meine Denkprozesse schienen wie eingedämmt zu sein.
„Uhhh…“
Was war los mit mir?
Allein diese eine Frage wuchs in mir heran und vermochte die Qualen zu brechen. Wie ein Rettungsring klammerte ich mich an sie und zog mich langsam mit ihrer Hilfe aus der Betäubung hinaus. Wo bin ich? War die nächste Frage. Immer weiter, Frage um Frage kam ich der Oberfläche näher. Woher kommen diese Schmerzen? Was ist das für ein Piepsen? Je näher ich dem Bewusstsein kam, des so mehr Einflüsse schienen auf mich nieder zu prasseln. So als ob man ohne Druckausgleich einen Tauchgang beendet. Dann plötzlich hörte ich jemanden: „Er wacht auf!“ Leonie…? Leonie! Ja , ich bin es, ich bin hier ich lebe ich…. Wo bist du? Ich wollte die Augen öffnen, sie suchen und mich an ihre Liebe klammern. Doch das einzige was ich über die Lippen bracht war wieder dieser schreckliche Laut: „Uhhh…“
Durch die flackernden Augen konnte ich kurz ein Gesicht über mir erkennen. Dem Geruch nach war es Leonie. Aber da war auch noch ein anderer Geruch, künstlich, sauber, destilliert… Langsam fing ich an eins und eins zusammen zu zählen. Der Geruch, die Geräusche, plötzlich dämmerte es mir. Ich wusste was passiert war, ich wusste nun was dieses Piepsen war… ich konnte meine Schmerzen einordnen. Ja, ich war im Krankenhaus, vermutlich auf der Intensivstation. Der Schock über diese Situation, brachte mein Herz zum Rasen. Das durfte nicht passiert sein, ich war doch immer gesund gewesen, ich hatte mich doch immer um meine Gesundheit bemüht, wieso ich? Leise hörte ich im Hintergrund, das Piepsen immer schneller werden. Dann ein stechender Schmerz in der Brust und mir wurde wieder schwarz vor Augen.
„Uhhh…“
Es war warm als ich wieder aufwachte, nein es war nicht nur warm es war unglaublich heiß. Ich spürte einen nassen Film auf meiner Haut, unangenehm juckte er überall wie als wenn man nackt in einen Heuhaufen springen würde. Ein einzelner Wassertropfen löste sich und lief mein Gesicht hinunter. Das Jucken war so unerträglich, das ich mir den Schweiß mit meiner Hand wegwischen wollt. Nichts passierte. Der Tropfen lief mir in mein Auge. Doch das interessierte mich von ein auf die andere Sekunde nicht mehr. Hatte mein Arm mir gerade den Befehl verweigert? Noch einmal versuchte ich meine Arme zu bewegen. Der rechte zuckte ein wenig, aber ansonsten passierte nichts. Panik packte mich. Was war los? Wieso gehorchten meine Arme nicht? Frustriert versuchte ich wenigstens meine Augen zu öffnen. Hell, war mein erster Eindruck und ich kniff die Augen wieder zusammen. Wieder vorsichtig öffnen. Weiß, war mein zweiter Eindruck. Beide Eindrücke verfestigten sich zu dem Gesamteindruck, das ich wohl eine weiße Decke anstarren musste, an der eine große helle, sterile Lampe hing. Langsam wollte ich meinen Kopf drehen um mehr sehen zu können. Doch das Bild veränderte sich nicht. Ich brauchte ein, zwei Sekunden um zu verstehen warum. Auch mein Kopf gehorchte mir nicht. „Oh mein Gott…“, kam ein leises Flüstern aus meinem Inneren, so leise das es mich packte und ich eine Ewigkeit darüber nachdachte, während ich langsam wieder die Augen schloss. So lag ich da… allein.
Und dann, ganz unverhofft, lief mir eine einzelne Träne die Wange hinunter.


8.
Geraume Zeit später, nahm ich das erste Mal andere Geräusche war als das ständig, monotone Piepsen. Es war eine Stimme, die leise auf mich einsprach. Ich verließ meinen Wach Alptraum um in die schlimmere Wirklichkeit zurückzukehren.
„Nick… oh Nick… Was ist nur geschehen?“
Ich kannte diese Stimme… Das war…“Leo…“
„Er ist wach!“ schrie sie wie aus einem Alptraum erwachend. „Herr Doktor, kommen sie schnell, oh Gott Nick, bist du in Ordnung? Hörst du mich? Verdammt noch mal wo bleibt denn der Arzt!?“ Sie zitterte am ganzen Körper und blickte die ganze Zeit hecktisch zwischen mir und der Tür hin und her. Halb wahnsinnig starrte sie mich noch einmal zwei Sekunden an. „Beweg dich nicht vom Fleck! Und bleib verdammt noch mal wach! Hast du mich verstanden? „Scherzkeks“, nuschelte ich, „wo soll ich denn bitte hingehen?“. Sie verstand das zwar nicht so wie es gemeint war, aber trotzdem entlockte es ihr ein kleines Lächeln. Ganz vorsichtig beugte sie sich vor und gab mir einen leichten Kuss auf die Stirn. „Bleib wach …“ hauchte sie in mein Ohr, dann sprang sie auf und war durch die Tür verschwunden.
Drei Minuten später kam Leo mit einem ganzen Geschwader von Ärzten und Schwestern zurück. Alle sahen sie mehr schockiert als glücklich über meinen Zustand aus, aber mir war es gleich. Ich hatte nur noch Augen für Leonie. Mit großen angsterfüllten Augen starrte sie mich die ganze Zeit durch den Bienenschwarm von Menschen an, die alle wohl einmal eine Spritze in mich stecken wollten. Alles verschwamm und ich sah sie wie sie dort stand. Ein kleines Mädchen verloren in der großen Welt, wie ein Kind das auf dem Weg zur Schule mit ansehen muss, wie ihre eigene Mutter angefahren wird und sich bewusst ist, das es nicht helfen kann. Aber wusste dieses Mädchen, das sie mir mit ihrer Anwesenheit mehr half als alles andere, mehr als jedes Medikament. Wusste sie, dass sie es war an der ich mich in meinem Traum geklammert hatte?
Zwischenspiel:
Ich sitze im Zug schau aus dem Fenster und höre Joe Cocker. „Sorry seems to be the hardest world“. Von draußen scheint die Sonne hinein und ein seltsames Gefühl von Nachdenklichkeit beschleicht mich. Eigentlich wollte ich das Buch weiter schreiben. Doch es klappt nicht. Ich habe das Bedürfnis meine Gedanken niederzuschreiben. Wie kommt das?
Ist es nicht so das Nicklas Boos eine sehr, sehr bemitleidenswerter Mensch ist? Er war immer fleißig und war immer für seine Mitmenschen bereit. Man könnte jetzt sagen das es das Leid des Starken ist, großen Kummer zu erfahren, denn ist es nicht in jeder traurigen Geschichte so, dass der Protagonist jenes Schicksal welches ihm wiederfährt am wenigsten verdient hat? Woran liegt das? Oder ist das wirklich der Fall? Ist es vielleicht nur eine Illusion die uns vorgespielt wird? Denn, je stärker und unschuldiger die Person ist, des so schrecklicher scheint sein Schicksal. Andersherum, hat er mal Glück, so ist es nahezu selbstverständlich und man sagt nur: „Immer haben die Glück, die es schon vorher hatten!“
Ist das gerecht? Sind deshalb die Starken nicht eher die Schwachen? Macht das ihr Schicksal nicht noch schrecklicher? Sind die Starken von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Das sind die Fragen die ich mir stelle, wenn ich Nick immer weiter in sein Schicksal versinken lasse. Wie viel kann ein Mensch ertragen, bis er zerbricht; und was braucht es um ihn wieder aufzurichten?

In den nächsten drei Stunden wurde mein Leben mit wenigen Schritten systematisch zerstört.
Es klopfte. Nein nicht an der Tür, sondern auf mein Knie. Immer und immer wieder ließ der Arzt sein Hämmerchen auf sämtlichen Stellen meines Körpers niedersausen, in der Hoffnung ihm doch wenigstens ein kleines Zeichen von Bewegung zu entlocken. Doch vergebens. Mit ernster, teils besorgter Miene hakte seine Assistenzärztin irgendwas auf ihrem Brettchen ab. Immer und immer wieder, wenn der Arzt irgendetwas Unverständliches grummelte. Seiner Miene nach zu urteilen schien es nicht allzu gut um mich bestellt zu sein, doch er sagte mir rein gar nichts. Dachte er vielleicht ich hätte nicht gemerkt; dass ich noch nicht mal meinen kleinen Finger rühren konnte? Oder wollte er mir Mut spenden mit seinem Schweigen? Wollte er mir das Gefühl geben, dass er sich nicht sicher sei, dass doch noch alles gut werden würde? Doch er erreichte genau das Gegenteil. Je länger die Untersuchung dauerte umso panischer wurde ich. Erst ließen sie mich tagelang alleine in diesem Raum liegen und nun ignorierten sie mich? Steht auf meiner Stirn vielleicht „dritte Welt“, das sie mich alle mit geheuchelter Dessinteresse ignorieren?!
„Herr.. Doktor. Ich unterbreche sie ja nur ungern…“, versuchte ich mit einem sarkastischen Unterton zu sagen, doch es klang eher wie ein Pferdehusten. „Hm?“, kam es von ihm. Er war gerade dabei die Liste seiner Assistentin zu studieren und wirkte als ob ich ihn aus der Trance gerissen hätte. „Können sie mir vielleicht endlich sagen was mit mir los ist?“, vielleicht lag es daran, dass man meinen ärgerlichen Ton nun doch raus hören konnte, denn der Arzt schien mich jetzt zum ersten Mal wirklich anzusehen. Doch kaum hatte ich mir diesen ernsten Blick von ihm erarbeitet, setzte er schon wieder sein mitleidiges und kummervolles Gesicht auf. „Nun… Herr Boos, ich möchte erst noch ein zwei Sachen überprüfen, bevor ich eine endgültige Analyse vorlegen kann. Ich würde vorschlagen sie entspannen sich einen Moment und warten bis ich wieder da bin.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich zu Leo die die ganze Zeit neben meinem Bett gesessen hatte. „Und Sie…“, er warf ihr einen vielsagenden Blick zu, “sollten sich jetzt erst mal einen Kaffee holen.“ Wieder ein tiefer, eindringlicher Blick. Leo schaute nur unverständlich zurück. „Aber…“ setzte sie an. „Mensch Leo! Er will das du mitkommst!“. Für wie doof halten die mich hier eigentlich, setzte ich in Gedanken dazu. „Oh…“, sie sah mich verunsichert an. „Nun los, geh schon. Ich lauf dir nicht weg, da kannst du dir sicher sein.“, ich lächelte sie mit meinem besten, falschen Lachen an. „Okay..“ , langsam stand sie auf schaute den Arzt noch mal an, der mich mit einem schon fast bösen Blick taxierte. Dann blickte sie noch einmal zu mir und ging dann mit dem Arzt hinaus. Wieder alleine.

9.
Es gibt zwei Arten von Menschen, die einen die sich ihr ganzes Leben lang mit anderen Menschen umgeben, damit sie sich nicht alleine fühlen. Jedem Familienmitglied, jedem Freund und sonst auch jedem nur flüchtig bekannten Menschen, wird ein eigenes Verhalten zugeordnet, so dass man mit möglichst vielen Menschen Kontakt treten kann. Die Flexibilität des eigenen Verhaltens wird auf ein Maximum gestreckt. Kommt zum Beispiel die eigene Mutter vorbei , ist man das liebe, gute Kind. Kommt der Chef vorbei, ist man seriös und ein wenig schmeichelnd. Bei der Freundin ist man(n) dann schelmisch und witzig.
Dann gibt es die anderen. Die anderen, das bin ich! Und ich bin anders das kann ich euch versprechen.
Memo an mich selbst: Wirr, Wirre, Schmerz, allein, Hass, Wut, Trauer…Schmerz! Ich hasse euch alle!
Nein warum erzähl ich das? Ganz einfach. Leonie ist dieser Typ von Mensch, der alles für dich tut, damit du ihn magst. Das Problem bei dieser eigentlich noblen Einstellung ist, das sie es nicht nur bei dir so ist, sondern auch bei jedem anderen. So geht sie jetzt mit diesem Arzt hinaus, obwohl sie eigentlich lieber bei mir sein würde. Obwohl sie weiß, dass ich sie jetzt mehr brauche als irgendetwas anderes. Sie weiß es, und trotzdem geht sie. Hat sie nicht den versteckten Zuruf gehört den ich ihr hinterherwarf als ich ihr sagte:“Nun los, geh schon.“?
Ich wollte nicht verlassen werden. Nie hatte ich etwas so geliebt wie Leonie und ich würde auch nie etwas anderes lieben können als sie. Ich wusste auch das ich etwas Schlimmes hatte, etwas das mir sagte das nichts so sein würde wie früher von nun an. Und dieses Etwas machte mich wahnsinnig. Denn ich hatte gerade meine innere Mitte gefunden, ich hatte das erreicht was ich immer erreichen wollte. Nämlich eine Liebe, ein Leben zu finden, in dem auch eine verdrehte Person wie ich Platz hatte. Ein Welt die mich so akzeptierte wie ich war. Nun hatte sie mich akzeptiert wie ich war, und jetzt fing ich an mich um 180° zu drehen. Alles wird anders werden, flüsterte es in mich hinein. Alles… Nein! Das will ich nicht, schallte es aus mir hinaus. Nein! „NEIIIIIIN!“
BUM! Die Tür zu meinem Zimmer flog mit einem atemberaubenden Knall auf. Es hätte mich nicht gewundert wenn alle Mäuse und Insekten in den Wänden den Tag des Jüngsten Gerichts feierten. Die Plastikblume auf der kleinen Kommode links neben der Tür fing bedenklich an zu schwenken und das Bild über ihr mit dem lächerlich kitschigen Wald hing jetzt schräg an der Wand. Mein Schrei schien sämtliches Personal im ganzen Krankenhaus aufgeweckt zu haben denn eine Schar voller weißer Gestalten flutete durch die Tür. Ganz vorne dabei Leo, als einzige in ihren bunten Hippie Pulover den ich so wunderbar fand und sie so schrecklich. Ich hatte ihr ihn einmal in einem Second Hand Shop gekauft, weil er mich so sehr an Woodstock erinnerte. Darin sah sie aus wie ein verrückt gewordener Teenager, verrückt nach The Who und Jimi Hendrix. Doch einen kleinen Unterschied zu sonst gab es jetzt. Sie sah keineswegs begeistert aus. Die nackte Panik war ihr ins Gesicht geschrieben.
Schuldgefühle übermannten mich, als sie zu mir aufs Bett stürmte mich in den Arm nahm, wieder aufblickte und mich leicht schüttelte. „Was?“, Nicht mehr kam aus ihr herraus. Keine Antwort. „Sag mir was los ist!“, langsam wurde ihre Stimme hysterisch. „Ich.. Leo… es ist alles in Ordnung, ich habe nur schlecht geträumt.“ Klar, das war jetzt nicht sehr glaubwürdig, aber was sollte ich denn sagen? „Hey Leo, ich hab Angst das sich alles ändert, dass ich dich verlieren und mein Leben den Bach runtergeht.“ Nein , das konnte ich nicht, denn das wäre nicht nur furchtbar selbstsüchtig sondern zugleich auch noch ziemlich unpassend gewesen. Leonie saß anscheinend schon eine ganze Zeit bei mir und wich nur wenn es nicht anders ging von meiner Seite und auch dann nur unwillig. Wie konnte ich ihr dann unterstellen, dass ich mir nicht sicher war ob sie bei mir bleibt? Was ist wenn alles beim alten blieb, wenn ich wieder gesund würde, ich meine im Grunde wusste ich nicht einmal was ich eigentlich genau hatte. Ich wusste gar nicht ob ich nicht schon morgen wieder gesund sein würde und wieder nach Hasue durfte. Vielleicht hatte ich mich in dem Arzt auch getäuscht und er war immer so... so unnahar.
„Bist du dir sicher das nichts ist?“, mein Engel weckte mich aus meinen Gedankenspielen. „Hm? Ach so, ja klar alles beim besten.“ Wieder dieses falsche Grinsen. Gott, ich kam mir vor wie ein elender Heuchler, nein ich kam mir nicht nur so vor, ich wusste ich machte ihr etwas vor und mir gleichzeitig auch. Denn irgendetwas sagte mir das ich mich gewaltig täuschte wenn ich glaubte das alles wieder zum Alten kommen würde. Aber ich wollte alles tun damit Leonie glücklich war, also musste ich ihr doch sagen was sie hören wollte, oder? Wie gesagt, vielleicht war das mein Fehler, immer alles so zu machen das ich meinte für sie perfekt zu machen oder zumindest erträglich.
„Schatz… nichts ist in Ordnung. Wir müssen reden… über… über das was mit dir passiert ist.“ Irgendetwas an ihrer Stimme gefiel mir gar nicht, nicht das es mich überraschte das er mit ihr über meine Krankheit geredet hatte und das es nichts positives war, aber dennoch, ihr Ton, er war mir ein Tick zu düster, so… als ob ich bald sterben würde. So als ob ich dem Tod geweiht wäre.
Plitsch, plitsch, platsch. Wieder lief mir der Schweiß durchs Gesicht, doch dieses Mal schloss ich einfach instinktiv die Augen und versuchte ihn nicht wegzuwischen, ich wusste das meine Arme mir noch nicht gehorchen würden, und deshalb wollte ich Leo deswegen nicht noch nervöser machen.
„Oh entschuldige.“ Leo wischte mir den Schweiß aus den Augen. „Oh Nick…oh mein Schatz… wie konnte das nur passieren?“, keuchte sie. Ich öffnete die Augen und ich erschrak so sehr das ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckte. Leonie saß mit tief roten Augen über mir und die Tränen liefen ihr in kleinen Bächen die Wangen hinab. Sie war völlig am Ende. „Frau Nathan, beruhigen sie sich.“ Eine kleine mollige Schwester mit freundlichem Gesicht trat an unser Bett und fasste sie sanft an beiden Schultern. „Kommen sie, es ist besser wenn wir Herr Boos jetzt mit dem Herr Doktor alleine lassen.“ Unfähig sich zu wehren wurde sie sanft von er Schwester auf die Beine gezogen und nach draußen geführt. „Leo..“ , rief ich ihr schwach hinterher, doch schon nach wenigen Sekunden wurde mein Blick auf sie durch alle die anderen Schwester, Pflegern und Ärzten verdeckt die ebenfalls mein Zimmer verließen. Nur mein behandelnder Arzt, ein alter streng aussehender Arzt von der alten Schule blieb bei mir. Doch selbst er sah mich nicht mehr taxierend oder hochmütig an. Sein Blick war gefüllt mit Trauer.
Ich war zu geschockt um einen klaren Gedanken zu fassen, was ist los mit mir war alles was ich denken konnte.
„Dr. Mambola… was ist los mit mir?“, fragte ich nach einer gefühlten Ewigkeit.
„Herr Boos, was ich ihnen jetzt sage ist sehr wichtig für ihr weiteres Leben.“, ruhig sah er mcih an. Er musste schon vielen Menschen eine schlimme Nachricht überbracht haben, denn er war kein wenig nervös und hatte auch nichts entschuldigendes in seiner Miene, nein, er sah nur sehr alt und sehr traurig aus. „ In Ihrem Gehirn war eine verstopfte Arterie vorhanden, diese ist geplatzt und es gab ein Blutgerinnsel in ihrem Kopf. Ihre Freundin sagte uns sie hätten viel Stress gehabt in letzter Zeit, dass wird wahrscheinlich der Grund gewesen sein.“
Er redete jetzt mit einer monotonen Stimme, alles kam mir vor alles würde es von ganz weit her kommen. Ich lag auf meinem Bett und konnte nur stumm zuhören und versuchen zu verstehen was er mir zu erklären versuchte.
„Dieses Gerinnsel hat sich ausgeweitet und hat ihre rechte Gehirnhälfte unter Druck gesetzt. Wir konnten zwar das Blut nach einer Not OP absaugen und die Arterie wieder veröden, doch so etwas bleibt nur selten ohne Folgen für den Patienten…“
Not OP? Blutgerinnsel? Das waren ein wenig zu viele Informationen auf einen Haufen, ich war verwirrte. „Was…. Was bedeutet das alles?“
„Herr Boos… Sie sind ab ihren Armen gelähmt. Es tut mir leid.“
Ein Schrei, ein Schmerz, ich viel in Ohnmacht.

10.
Ein viertel Jahr später.
Winter
Ein kleiner kalter Lufthauch wehte mir durchs Gesicht und ich musste niesen. Es war tiefster Winter und Väterchen Frost arbeitete in Überschichten. Draußen war es minus zehn Grad, die Straße war mit dreißig Zentimeter Schnee bedeckt und man hörte Tag ein Tagaus nur das ewige Brummen der Schneeschieber, wie das wütende Gesumme von Bienen. Schlafen war so nachts fast unmöglich, ach was rede ich, es war unmöglich! Unsere Heizung hielt sich neuerdings für die Deutsche Bahn, denn einen warmen Zug durch die Wohnung gab es nicht unter dreißig Minuten Verspätung.
Ich selbst saß an diesem Tag mal wieder an dem Fenster im Wohnzimmer, welches Richtung Straße zeigte. Verträumt beobachtete ich ein faszinierendes Spiel auf der Fensterscheibe. Die Eiskristalle malten ihre schönen Bilder an die Scheiben, sodass es aussah als ob sie alle einen kleinen Teil zu einem großen neuem Picasso beitragen wollten. Doch immer wieder lief ein kleiner Tropfen durch ihr gerade entstandenes Bild. Schon eine ganze Zeit beobachtete ich dieses Spiel zwischen Entstehen und Vergehen, denn zu sehr erinnerte es mich an meine jüngste Vergangenheit, dass ich den Blick davon hätte abwenden können. Ja ich war gerade zu verzückt von diesem Theater. Doch mitten in meinen Gedanken wurde ich von einem leisen Knirschen auf der Straße unterbrochen. Ich blickte durch das Fenster nach unten, erst konnte ich nichts sehen, doch als ich meine Augen wieder halbwegs scharf gestellt hatte, erkannte ich die frischen Reifenspuren vor unserer Mietgarage. Auf einmal kam wieder Leben in meinen Körper. Das konnte nur Leonie sein! Endlich! Schon seit dem Frühstück war sie weg gewesen, einkaufen oder sowas in die Richtung hatte sie gesagt. Schnell stieß ich mich mit den Armen von der Fensterbank ab. Mein Rollstuhl kippte beinahe nach hinten über. Erschrocken taumelte ich eine Weile auf den Hinterrädern mit den Armen, doch Gott sei Dank konnte ich mich noch im letzten Augenblick fangen. Hatte ich doch schon wieder vergessen die Bremsen zu lösen... (Gedankliche Ohrfeige an mich selbst) Leise grinste ich in mich hinein, ich war immer so schusselig wenn Leo nach Hause kam. Tief durchatmen- noch einmal- Bremsen lösen. So jetzt konnte ich mich ein wenig beruhigen. Langsam drehte ich mich um und rollte mit drei gezielten Abstößen Richtung Tür. Ich war gerade angekommen, da hörte ich auch schon den Schlüssel das Schloss öffnen. Es quietschte natürlich, wie immer, musst echt mal geölt werden dachte ich mir in dem Moment. Dann ging die Tür auf ich grinste Breit, die Arme zur Umarmung weit geöffnet, dann trat meine Mutter ein...
Erinnern sie sich an das blödeste Grinsen in der Geschichte der Menschheit? Ja? Gut ich auch, aber ich wusste ich kann es besser!
„Hey.., Mum…“, sagte ich ungläubig. „Was machst du denn hier?“, meine Begeisterung muss ich sagen hielt sich bei dieser Art des Besuchs doch arg in Grenzen. „Auch schön dich zu sehen Sohn.“
„Schön dich zu sehen Mum.“, erwiderte ich direkt aus Reflex. Hochgezogene Augenbraun, ein taxierender Blick, „Ganz schön schmuddelig siehst du aus, was? Könntest dich mal wieder rasieren.“, während sie das sagte schweifte ihr Blick über mich und den Rest der Wohnung. Man muss ihr zugestehn das sie bei dem Chaos keine Miene verzog. Man merkte ihren Wiederwillen nur genau daran, dass sie keine Miene verzog. Sie seufzte, „Naja aber jetzt bin ich ja da. Lass dich erst mal drücken.“, feste Umarmung, nasser Kuss auf die Wange, „Puh waschen würde dir aber auch ganz gut tun, du stinkst ja schon fast wie dein Vater wenn ich mal eine Woche nicht zu Hause bin.“ „MUM!“ Argh, Kopfkino!
Meine Mutter, Fr. Boos, Frau Cornelia Boosum genau zu sein… was für eine Frau! Es fällt mir schwer meine Mutter in Worte zu fassen oder sie zu beschreiben. Denn das Problem bei meiner Mutter ist das sie kein fester Typ von Mensch ist. Ja so lustig das auch kling, aber das ist es ganz und gar nicht! Wer Forrest Gump kennt wird verstehen was ich meine wenn ich sage das meine Mutter wie eine Schachtel Praline ist. Jeden Tag aufs Neue, „Man weiß nie was man kriegt.“. Man kann sich nicht auf sie einstellen, man kann einfach nur hoffen richtig geraten zu haben. Als Kind hab ich das oft zu spüren gekriegt.
Das Problem mit unentschlossenen Menschen ist einfach, dass man wirklich nie weiß woran man ist. Denn Sie bewerten die gleichen Situationen, jeden Tag anders.
Früher war es öfters der Fall, dass niemand zu Hause war wenn ich von der Schule kam. Da stellte sich die Frage: Wer macht mir Mittagessen? Weil ich nicht an die Vorräte meiner Mutter gehen wollte machte ich mir einfach Stullen. Am Abend jedoch durfte ich mir anhören: „Warum hast du dir nicht einfach etwas gekocht? Dafür hab ich doch die ganzen Vorräte.“ Hm, gut zu wissen dachte ich mir dann und merkte es mir für das nächste Mal.
Eine Woche später, selbe Situation, aber dieses Mal dachte ich an die Worte meine Mutter und kochte mir selber Spagetti mit Tomatensoße. Jetzt hatte ich ja dann wohl richtig gehandelt… hehe… das wäre ja dann doch zu einfach. Meine Mutter kam abends nach Hause und hatte zufälligerweise einen Heißhunger auf Spagetti. Aber keine Spagetti waren mehr da. Böser Fehler. Danach folgten zwei Stunden voller Schimpfen, Toben, Wutausbrüchen, Tränen, Fernsehverbot usw. Wie könne ich es wagen einfach so an ihre Vorräte zu gehen, ich wisse doch gar nicht ob jemand anderes auch noch etwas davon wolle.
Ja das ist meine liebe Mama. Aber zu ihrer Verteidigung muss ich sagen, dass sie doch ein herzensguter Mensch ist. Unberechenbar aber herzensgut.
Meine Mutter ist mitten in den Fünfzigern und um keines ihrer Jahre verlegen. Ja, sie strotzt gerade so vor Lebensfreude.
Ich seufzte, fünf Stunden nun sah ich schon zu wie meine Mutter durch das ganze Haus flitzte, mal hier was putzte, da was richtete, dort was umräumte. Und ein ums andere mal fiel der Satz: „Ach Nick…“ worauf ein Kopfschütteln folgte.
Ich hasste es wenn sie das machte. Meine Wohnung ist ein Teil von mir. Mein Durcheinander, meine Faible für das Vollstopfen ebenso. Ich meine wie würden Sie es finden, wenn sie morgens ins Bad gehen und sich die Zähne putzen wollen und dann schreiend aus dem Bad rennen weil sie ihr Schuhputzpaste fälschlicherweise für ihre Zahnpasta gehalten haben? Oder du die Seife mit Klostein verwechselst… oder… Naja ich denke Sie wissen was ich meine.


11.
Zwei Stunden später kam Leo endlich nach Hause. Zwei schrecklich lange, lange Stunden. Ich weiß nicht wie sie es geschafft hatte, aber meine Mutter hätte ohne weiteres auch den Slogan „Ich mach die Wohnung schön“ vertreten können. Oder als Außenwette bei Wetten dass: „ Ich schaffe es in 120 Minuten die Wohnung meines Sohnes komplett umzustellen.“ Ja, wie ein Derwisch gemischt mit einem hyperaktivem Kolibri auf Speed war sie durch meine Räume gerast und hatte aus A, B aus B, C gemacht sowie aus C eine postmoderne Version der Quantenphysik.
Viele Worte kurzer Sinn:“Uahhh ich bin ein Star, holt mich hier raus!“
Aber jetzt war Leo ja da. Endlich… Ein Segen so dachte ich. Haha!
Kennst du solche Momente wo du dir denkst, es könne gar nicht schlimmer werden und genau das passiert? Bestimmt. Aber kennen Sie auch solche in denen selbst der steinige Weg von Xavier Naidon Ihnen wie ein gemütlicher Spaziergang vorkommt? Das Grauen hat einen Namen: Singstar.
Welche Blitzbirne hat nur dieses grausam Spiel erfunden? Sollte es eine Strafe an all die männliche Bevölkerung sein? Vielleicht aber auch war es ein geheimes Projekt direkt aus dem Pentagon stammend, darauf aus die gesamte weibliche Bevölkerung der Erde zu verblöden und ihre Männer in den blanken Wahnsinn zu treiben. Nach diesem Abend kamen mir beide Varianten doch sehr wahrscheinlich vor.

Memo an mich selbst: Ich WILL nicht mehr! Ich hab keine Lust mehr ständig in meinem Leben der Abwurfbehälter für alles und jeden zu sein. Steht auf meiner Stirn „Idiot, mit dem kann man alles machen“? Muss ICH immer derjenige sein der für alle da ist, der allen immer alles Recht macht, der sich krummer macht als es anatomisch möglich ist nur um anderen zu gefallen und ihnen ihr Leben leichter zu machen? NEIN, also lasst mich in Ruhe ich bin mein eigenes Leben, ich bin ich selbst, koste es was es wolle.

Nach stundenlangen singen, wenn man es denn so nennen kann, waren auch Mum und Leo endlich mit den Nerven am Ende. Beide hatten sich beim Singen nicht viel geschenkt und hatten um jeden Halbtonschritt gekämpft. Und waren immer gleichauf gewesen. Man könnte nun natürlich meinen dass das bedeutet, dass beide sehr gut waren. Sagen wir es so, sie wären unschagbar gewesen, wenn es das Ziel des Spiels wäreDisstonalität auf eine neue Ebene zu führen. Umso saurer waren nun beide auf mich, weil ich immer gewann. Was wiederum auch nicht heißt das ich gut singen kann. Aber, bitte, eine Nacktschnecke singt besser als die beiden. Auch wenn sie zermatscht auf der Straße liegt.
Als sich meine Mutter nun endlich verabschiedete, wir hatten mittlerweile halb neun, umarmte sie Leo herzlich und bedachte mich mit einem leicht beleidigtem Gesicht, brachte es jedoch fertig mir ein gezischeltes: „Schlaf gut … Nick.“ Zu gewähren. „Schlaf du auch gut Mum, und pass auf die Scherben auf.“ Sie schaute mich verdutzt an. „Was für Scherben?“ Ich grinste schelmisch, „Nach die von den geplatzten Flurlampen.“ „Nick!“, Leo kniff mich in den Unterarm. Aua, dass tat weh! Aber ich überspielte den Schmerz mit einem Lachen drehte mich um und rollte richtung Küche. „War nur Spaß Mum, schlaf gut.“ Rie fich ihr noch zur Versöhnung über die Schulter zu. Als ich die Tür zur Küche erreichte, hörte ich sie noch leise hinter meinem Rücken tuscheln und kichern. „Nächstes mal…“ ,“…und dann zeigen wir’s ihm“ „Auf jeden Fall.“
Ich verdrehte die Augen und öffnete grinsend den Kühlschrank. Das war gar nicht so einfach wenn man im Rollstuhl sitzt. Denn wir hatten einen Kühlschrank der sich nur mit einem Fufpedal öffnen ließ. Also hatten wir kurzerhand einen langen Gehstock aufgetrieben, mit dem ich das Pedal auch vom Rollstuhl aus bedienen konnte.
Doch nicht überall war die Lösung so einfach. So hatte unsere Wohnung beispielsweise keinen Aufzug, was natürlich auf Dauer undenkbar war. Ich bin nicht der sportlichste Typ und ich traute es mir einfach nicht zu die Treppen alleine zu bewältigen. Und so blieb uns nichts anderes über als nach einer neuen Wohnung Aussschu zu halten.
Und auch das war schon wieder ein neues Problem. Denn durch meinen Zwischenfall konnte ich natürlich auch nicht arbeiten gehen. Ich kriegte natürlich aus Veersicherungstechnischen Grüneden immer noch mein gewohntes üppiges Gehalt. Doch langfristig musste ich mir eingestehen das ich damit wohl nicht mehr allzu lange rechnen konnte.
Ich konnte also damit rechnen, dass wir unseren gewohnten Lebensstandart wohl früher oder später aufgeben mussten. Leonie schien darüber wohl noch nicht wirklich nachgedacht zu haben, vielleicht wollte sie es auch nicht wahrhaben. Denn diese Wohnung und all ihre Erinnerungen die hier lebten, bedeuteten ihr unglaublich viel.
Aber ich wusste auch nicht wie ich es ihr am schonensten beibringen konnte, denn ich war selber nicht in der Lage diese Tatsache zu akzetieren.

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Tag der Veröffentlichung: 06.06.2011

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