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Prolog



Die Tür fiel leise ins Schloss und der Schlüssel verriegelte sie ohne Probleme. Die Fensterläden waren alle geschlossen, als ich zurücktrat, rastete die Fliegentür automatisch ein. Ich blickte zur Seite auf die weißen Holzmöbel, die immer noch auf der Terrasse standen, und dachte an den Augenblick, als sie neu gestrichen wurden. Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen. Ich hätte sie gerne mitgenommen, ein letztes Stück Erinnerung an
meine Kindheit, denn sie standen hier schon, seit ich denken konnte.
Doch ich hatte es mir geschworen, keine Andenken.
Nichts, das mich an das Vergangene erinnerte. Ich schloss meine Erinnerungen in diesem Haus in. Dort würden sie für immer verschlossen bleiben, wie Wasser gefangen im ewigen Eis. Nichts konnte es zum Tauen bringen, zu tief war es gefroren.
Den Schlüssel legte ich wieder unter den großen Blumen- topf neben der Tür. Dort hatte er schon immer gelegen, unbemerkt für Nichteingeweihte.
Langsam strich ich über die Blüten der Hortensienbüsche, die mir ihre Köpfe entgegen streckten, als warteten sie nur darauf, von mir berührt zu werden. Ich ging ein letztes Mal um das Haus, in den Garten und prüfte, ob die Terrassentür auch wirklich verschlossen war, zu oft hatte ich es vergessen.
Mein Blick fiel auf den Platz, an dem früher die Rosen standen.
Sie würden später durch Lupinen ersetzt werden, denn ich konnte die Rosenbüsche nicht einfach zurücklassen. Dafür waren sie zu liebevoll gepflegt worden.
In dem großen Sommerflieder saßen wieder eine Zahl von Schmetterlingen und saugten geschickt mit ihren kleinen Rüsseln den Nektar der Blüten auf. Nur für einige Sekunden verharrten sie und flatterten dann leichtfüßig zur nächsten Blume.
Ihr Flügelschlag wog für einen Augenblick so wenig, konnte aber so viel bewirken.
Ich riss mich vom Anblick der Schmetterlinge los und ging weiter zur Garage, um mich zu vergewissern, ob ich auch das Tor gut verschlossen hatte.
Auf dem Gehweg blickte ich noch ein letztes Mal zum Haus ohne Wehmut, ging mit festen Schritten blicklos an dem Schild ‚zu verkaufen‘ vorbei und stieg in den Wagen, der schon am Straßenrand mit laufendem Motor auf mich wartete.




Ankunft



Kapitel 1

Die Straße zog sich endlos hin, fortwährend die gleichen Richtungsschilder. Ich fuhr die Interstate fünf von San Francisco Richtung Portland über Eugene.
Seit elf Stunden identische Bäume, der gleiche Asphalt, ähnliche Landschaften. Sogar das Radio schien endlos dieselben Lieder zu spielen. Ich schaltete es aus und legte eine CD ein. Leise erklangen die Töne von ‚O Mio Babbino Caro‘. Es war ein instrumentales Geigenstück, ohne schrille Stimmen oder Texte, die man im Kopf mitsang.
Ich beachtete die Namen auf den Hinweisschildern schon gar nicht mehr. Mit der Zeit passierte ich drei Bundes- staaten von Kalifornien über Oregon nach Washington. Der Highway am Meer entlang wäre eine Alternative gewesen, doch ich hatte mich für die Interstate entschieden. Ich wollte keinen Abstecher zum Strand, sondern so schnell wie möglich ankommen, damit ich ohne Umstände wieder abreisen konnte.
Einige Städtenamen kamen mir nicht mehr bekannt vor, aber es gab auch viele, an die ich mich noch sehr gut erinnerte.
Doch gab es nur einen Namen, in dessen Richtung ich fuhr. Nach Hause.

Zuhause, ein großer Begriff, und etwas was ich nicht hatte, schon lange nicht mehr. Es bereitete mir Unbehagen, das Wort auszusprechen. Vor über vierzehn Jahren hatte ich es verlassen und kehrte nun zurück, da mein Pflichtgefühl es verlangte. Eine Pflicht, der sich kein Mensch entziehen konnte.
Langsam flogen die Bäume an dem Seitenfenster vorbei. Ich schenkte ihnen nur wenig Beachtung. Je weiter ich in Richtung Norden fuhr, umso grüner wurde die Natur. Immer mehr Nadelbäume mischten sich in die Vegetation. Die Farben vor meinen Augen gingen von einem hellen Gelbgrün, in ein dunkles Grünblau über.

Dunkle Wolken zogen am Himmel auf, sie passten gut zu der Stimmung und der Leere in meinem Kopf. Mein Weg führte mich geradewegs in ein Gewitter, doch es machte mir nicht viel aus. Als es langsam zu regnen begann, empfand ich den Regen wie einen schützenden Mantel, den ich eng um meinen Körper schlang.
Behutsam trat ich auf die Bremse.
Die Straße war rutschig, ich hatte es ja nicht eilig. Der Regen wurde immer dichter und nahm mir fast jegliche Sicht. Die großen Tropfen flogen mir nur so entgegen und fingen sich auf der Windschutzscheibe, wo sie in kleinen Bächen hinunter rannen.
Weder vor, noch hinter mir fuhren andere Autos, es kam mir vor, als wäre ich der einzige Mensch auf dieser Welt. Einsamkeit, mein ständiger Begleiter.
Gegen Abend erreichte ich endlich mein Ziel. Olympia. Die Hauptstadt des Staates Washington, hoch oben im Nordwesten, der USA. Obwohl sie diese Bezeichnung gar nicht so richtig verdiente.
In meinen Augen war sie eher eine Kleinstadt. Schon bei der Einfahrt wurde mir klar, sie war unverändert. Mir war, als hätte ich sie erst vor wenigen Wochen verlassen. Der Regen ließ endlich nach und einige letzte Sonnenstrahlen kamen langsam durch die Wolken gekrochen. Sie warfen ein warmes Licht auf die Stadt. Jetzt, Anfang Mai, standen die ersten Frühblüher in voller Pracht und hießen neue Touristen herzlich willkommen.
Ich fuhr langsam durch die Straßen, die mir immer noch vertraut waren, und glaubte mich sogar an das eine oder andere Schlagloch zu erinnern. Der Weg führte mich unweigerlich am State Capitol Museum vorbei. Bei seinem Anblick kamen vertraute Gefühle auf. Ob ich sie zulassen wollte, darüber war ich mir noch nicht im Klaren.
Viele Jahre war es mein Zufluchtsort für schwierige Stunden gewesen. Dort hatte ich die Zeit vergessen können und mich in unzähligen Büchern vergraben, in eine andere Welt geträumt, an einem unbekannten Ort.
Ich parkte das Auto und schaute zur Kuppel hinauf. In der untergehenden Sonne erstrahlte sie in ihrem Weiß, als wäre sie nie schöner gewesen. So stand ich dort eine ganze Weile und mein Herz erfüllte etwas, dass ich nicht genau beschreiben konnte, aber eine gewisse Zuversicht machte sich in mir breit, denn ich wusste, ich hatte mein Ziel erreicht.


Copyright © Oldigor Verlag

Impressum

Texte: Oldigor Verlag ISBN: 978-3981426724
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2011

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