" Ich muss los verdammt", lachte Lia und zog noch schnell an der Zigarette die ihr Kaleb anbietet.
" Es ist dein Geburtstag, komm schon, wir wollen doch feiern", sagt Kaleb legt den Arm um ihre Schulter und zieht sie dicht an sich.
Lia nimmt ein tiefen Schluck aus der Vodkaflasche und grinst Kaleb an.
" Jaa du kennst doch meine Mutter,wenn ich nicht rechtzeitig zur Auswahl komme, darf ich bis zu meinem Lebensende nicht mehr raus, bla bla", sagt Lia und gibt Kaleb einen Kuss auf die Wange.
Lia verabschiedet sich von ihren Freunden und stopft ihre Geschenke so gut es geht in ihre Tasche rein. Heute ist ihr 18. Geburtstag und eigentlich will Lia sie mit den Menschen die sie liebt verbringen. Tanzen, Lachen, Rauchen,Feiern,Trinken. Doch sie musste Nachhause zu ihren Eltern.
Gerade als sie gehen will, hält sie Kaleb am Arm umd dreht sie zu ihren Freunden und sie singen alle Lauthals Happy Birthday das ihr vor Lachen und Rührung, Tränen in die Augen steigen.
Nach noch eine Runde Umarmungen und Küssen schnappt Lia sich ihre Tasche und rennt los.
Der Weg vom alten Museum bis zu ihr Nachhause war weit, sie bräuchte mindestens eine halbe stunde wenn sie das Tempo durchhält.
Das Haus ihrer Eltern liegt im Reichenvirtel der Stadt, das Museum im Ghetto.
Sie war sehr sportlich trotzallerdem taten ihr die Beine weh und sie musste eine kurze Pause einlegen.
Rauchen war wohl doch keine so gute Idde, dachte sie sich, musste grinsen, trank kurz was und setze sich wieder in Bewegung.
Es war dunkel draußen und angenehm kühl, sodass Lia nach kurzer Zeit verschwitz und kaputt war.
Sie sah auf die Uhr, erschreckte sich das es so spät ist, legte einen letzten Sprint hin und sah das Haus ihrer Eltern von weiten, Atmet tief durch.
Zuhause angelangt, geht sie sofort zu ihrer Tür schlüpft in ihr Zimmer, schält sich aus ihren durchgeschwitzen Klamotten und schnappt sich frische Unterwäsche.
Ihre Mutter hatte ihr ein Kleid und hohe Schuhe aufs Bett gelegt, die sie weiter nicht beachtete und drehte die Musikanlage ganz laut und schlüpfte unter die Dusche.
Sie duschte sich eine geschlagene halbe Stunde bis sie rot und wie frisch geboren in ihre Unterwäsche und dann in das dunkelgrüne Kleid ihrer Mutter schlüpfte.
Das Kleid sitz viel zu eng an Lias schmaler, zierlichen Figur.
Sie schüttelte den Kopf und schlüpfte in die viel zu hohen Schwarzen Schuhen, in den sie sich wackelig zum Spiegel begab und sich schminkte.
Heute war ihr Geburtstag und trotzdem muss sie tragen was Mama sagt, wie ein 2 Jähriges Kind, was Lia gegen den Strich geht, aber sie wollte mal nett heute sein und ihre Mutter nicht schickanieren.
Sie hörte das getrampel von unten was ihr Signalisieren soll das sie sich auf den weg nachunten machen soll.
Verdammt, dachte sie sich, ich bin nur mit einem Auge fertig.
Sie schminkte in windeseile ihr anderes Auge und wäre fast an der Tür ausgerutscht, wegen den hohen Schuhen, fing sich aber noch rechtzeitig auf und schlüpfte durch die Tür atmete tief durch und ging durch die riesenvorhalle bis zur Wohnzimmertür.
Sie trat durch die Tür und wurde von hellem Licht, einem wunderschön Geschmückten Wohnzimmer und knapp 30 Leute die würdevoll klatschen und sie alle in den Arm nacheinander nehmen und ihr Komplimente wegen ihrem tollen Kleid und ihrer Figur machen.
Die hälfte der Personen hatte sie noch nie gesehn aber sie grinste trotzdem wie ein Honigkuchenpferd während ihre Mutter sie prüfend in den Arm nimmt und sie von oben bis unten begutachtet.
" Deine Augen konntest du auch nicht doller schminken, oder?", meint sie und fasst ihrer Tochter ins Gesicht und begutachtet sie kritisch.
Lia lächelt ihr Liebe-Tochter-Grinsen und äußert sich nicht dazu, sondern mustert ihre Mutter.
Sie trägt ein Tiefschwarzes bodenlange kleid das vorne hochgeschlossen ist mit langen Ärmeln, was aber ihren kompletten, reinen Rücken freiläasst.
Ihre Mutter war nicht alt, sie war gerade mal mitte dreißig, aber Lia schämte sich für diese Aufmachung sehr.
Die anderen Gäste hatten schlichte, spimple Kleider und Anzüge an und hielten sich resignierd im Hintergrund und prosteten Lia zu wenn sie in ihr Blickfeld gerieten.
Sie sah sich im Raum um, sieht den reich gedeckten Tisch, geht elegant, soweit es auf diesen Schuhen möglich ist, zum Tisch und stopft sich unaufällig ein paar Häppchen rein.
" Hallo, junge Dame", sagt eine tiefe, ruhige Stimme hinter ihr und Lia fängt an übers ganze Geishct zu grinsen und diesmal aus vollem herzen und dreht sich zu ihrem Vater um.
Ihr Vater lächelt sie an und nimmt Lias Hand und Lia dreht sich langsam für ihn.
" Du siehst Wunderschön aus", er lächelt zieht sie in den Arm und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.
" Und deine Augen sehen toll aus, egal was deine Mutter sagt", raunt er ihr leise ins Ohr und die beiden fangen an zu kichern.
Es tat gut den Geruch von ihrem Vater einzuatmen und sie fühlte sich wieder wie 10 als ihr Vater sie immer in Schutz genommen hatte.
Die zweisamkeit hielt nicht lange an, den ihre Mutter bittet zu Tisch und Lia löst sich von ihrem Vater und setzt sich an Ende des Tisches in einem extrangefertigten Glastuhl neben ihren großen Bruder.
Als alle Gäste sitzen und die Gespräche verstummt sind erhebt sich ihr Bruder und sagt:" Gute Abend die Damen, und die Herren, schön das ihr alle da seid und die Auswahl meiner kleinen nervigen schwester Liana mitzuerleben".
Alle Gäste brachten ihn Gelächter aus, manche klatschten und Lia kralle ihre Finger in ihre Oberschenkel und quälte sich ein kleines Lächeln ab.
" Wie ihr wisst, ist heute ihr 18. Geburtstag und heute wird entschieden wen sie heiraten wird. Seit Jahrzehnten gibt es diese System nun schon, nach der schrecklichen Epedemie, die fast alle Menschen umgebracht hat, hat man taktisch die besten zusammenpassenden Menschen zusammengetan um die best möglichen Kinder zu kriegen. Seit dieser Zeit gibt es keine fehlgeburten Mehr, keine behinderten Kinder oder Spastiker. Die Kinder sind kerngesund, gutaussehend und intelligent und repräsentieren unsere Welt", meint Niael und wendet sich wieder den Gästen zu.
Lia hat nach der Hälfte aufgehört zuzuhören. Diese Rede konnte sie auswenidg mitsprechen, das konnte jeder. Außer ein paar kleine Witzen und umänderungen war das die Tartitionele Rede die jeder Bürger seit klein auf auswendig lernen musste.
Sie sieht sich lieber die Gäste an, die gespannt an den Lippen ihres ach so tollen und umwerfenden Bruders kleben.
Die meisten Gäste waren arbeitskoleggen ihrer Eltern und auch so alt wie ihre Eltern.
Wenige Gäste waren in Lias alter. Da war Lias Nachbarin Sheana die ihr frech zuzwinkerte und Lia sich ein freches zurückgrinsen verkneifen musste.
Sharona, die zukünftige ihre Bruders sitzt lässig zwischen ihren Eltern und würdigt ihren Burder oder jemand anderen im Raum eines Blickes, sie schaute aus dem riesigen Terassenfenster raus.
Sharona, war eins der hübschesten Mädchen die Lia jemals gesehn hatte. Sie hatte feuerottes, lange Haar und haselnussbraune Augen und ihre Haut war so rein das man denken könnte das man durch sie hindurch sehen kann.
Doch sie war sehr still und zurückhaltend, Lia hatte sie erst einmal sprechen hören und das war am Telefon.
Lia sah sich im Raum um bis es aufeinaml Still im Raum wurde und ihr Bruder sie schmerzlich gegens nackte bein trat und sie in verwundert ansah.
" Das essen eröffnen schwachkopf", meint er zischend zu ihr und Lia erhebt sich und lächelt freundlich in die Runde
" Lasst uns alle anstoßen und ein fröhliches Beisammensein haben", sagt Lia und hebt ihr Glas an.
Die Gäste machen es ihr nach und die Butler kommen und decken die Teller auf und alle fangen wild durcheinander redend zu essen an.
Wie es nunmal üblich ist, werden fragen über Lias Leben gestellt.
Bist du gut in der Schule? Was möchtest du später Studieren? Hast du schon ein Gefühl wer es sein könnte? Bist du aufgeregt? Wie sollte er aussehn, oder wie sollte sein Charakter sein ? Wieviel Kinder möchtest du später haben& willst du sie nennen?
Am Liebsten wäre sie aufgestanden hätte mit den Gläsern durch den Raum geworfen und wäre schreiend weggelaufen, aber sie beantwortete jede Frage ruhig und mit den richtigen Antowrten die die Leute hören wollten und baute noch ein paar kleine Anekdoten ein.
Ihr Blick huschte zu ihrer Mutter die ihr kaum merklich zunickte.
Sie war die perfekte Tochter.
Ha Ha.
Nach dem Essen erhoben sich alle und gingen raus auf die Terasse und Sekt wurde an die Erwachsenen ausgeschenkt, Alkohol unter 21 war strengstens untersagt und wurde streng berstraft.
Alle Gäste lachten fröhlich und die Stimmung war ausgelassen. Lia hielt ausschau nach ihren Vater der sich aber gerade abgeregt mit Mr. Boston, seinem Chef unterhielt.
Sie seuftzte und nimmt sich ein Glas Punsch und setzt sich in einen der vielen Liegestühle und schließt die Augen.
Als sie sie wieder nach wenigen Minuten öffnet steht Sharona vor ihr und Lia wäre vor schreck fast das Glas aus der Hand geflogen und Sharona kann sich ein Lachen nicht verkneifen und setzt sich neben Lia neben einen anderen Liegestuhl.
" Freust du dich schon? Ist es nicht toll zu erfahren was für einen Jungen man kriegt?", sagt sie zu ihr und ihre glockenhelle Stimme passt hervorragend zu ihrer Feenhaften Aussehn, und Lia glaubt ein hauch von Ironie in ihrer Stimme zu hören.
Lia grinst und antwortet" Sicherlich, aber wehe ich kriege so einen wie meinen Bruder dann wandere ich aus".
" War auch meine erster Gedanke als ich in Reden gehört habe. Weißt du worüber unser erstes Gespräch ging? Er wollte das ich zuhause bleibe und auf die Kinder aufpasse", sagt Sharona und liegt sich auf den Liegestuhl breitbeinig hin, was unglaublich undweiblich aussieht aber Lia extrems symphatisch vorkommt.
" Ja, du wirst es echt nicht leicht mit ihm haben, aber er ist auszuhalten", meint Lia aufmunternt zu ihr und schnappt sich zwei Punschgläser von einem Butler und reicht es Sharona.
Einge Minuten sind die beiden Mädchen still und hängen ihre Gedanken nach als von innen eine sanfte, fast einschläfernde Melodie kommt.
Lia schaut zu Sherona rüber und sie nimmt schnell ihre Hand.
" Es fängt an", meint sie und drückt ihre Hand fest und zieht sie mit hoch.
" Ich wünsche dir alles gute", meint Sharona, umarmt sie fest und das erste Mal an diesem Tag fühlt sie das ein Mensch das viel Glück ernst gemeint hat.
Ihr Herz schlägt wie wild und sie fängt an zu schwitzen während alle in das Wohnzimmer zurückgehen. Im wohnzimmer angekommen bilden alle gäste einen Kreis um Lia und alle starren gebannt auf den riesigen Bildschirm.
Die einschläfernde Melodie hört auf und für einige schreckliche Sekunden ist es totenstill und Lia glaubt in Ohnmacht zu fallen.
Dann färbt sich der Bildschirm grellweiß und Lia muss ihre Augen für einige Sekunden geschlossen halten bis ein hübsches modelartiges Gesicht auftaucht. Embryo. Besser bekannt als Bryo.
Lia hört nicht wie Bryo ihr zu ihrem Geburtstag gratuliert und eine ähnliche Rede wie ihr Bruder hält.
Lia hört nichts und sieht nichts, sie starrt auf den Bildschirm, durch den Bildschirm hundurch.
Sie würde jede Sekunde in Tränen ausbrechen, aber sie hatte sei Jahren nicht mehr geweint und da sollte diese Auswahl auch nicht ändern.
Sie sah alles verschwommen, die Tränen die kommen wollten, verschleiern ihr die sicht und aufeinmal bricht wildes Gemurmel aus und Lia öffnet erst das eine dann das andere Auge und starrt auf den Bildschirm.
Jeremih.
Die Musik dröhnt in meinen Ohren. Der Sänger schreit mehr, als dass er singt. Der Schlagzeuger haut auf seine Trommeln, als wolle er seinen Erzfeind erschlagen oder einfach alles an Wut raushauen, was er hat. Alles an Gefühlen, alles was in ihm ist, alles was irgendwie da raus muss.
Oh, wie ich die Musik liebe! Wie ich die Gefühle in der Musik liebe!
Mein ganzer Körper spürt den Bass, die Gitarrenklänge, das Leben!
Dabei bin ich gar nicht wütend. Ich muss nichts raushauen, ich muss nichts loswerden. Vielleicht sollte ich lieber ein ruhigeres Lied einstellen, würde meinem Inneren zumindest mehr entsprechen. Das Leben ist so wundervoll!
Und schon wieder sind meine Gedanken wieder bei ihr. Immer wieder. Egal was ich denke, es endet bei ihr. Ihr. Der wundervollsten Frau. Ihre Augen. Ihre Haare. Ihr Lächeln. Alles passt so perfekt zusammen. Alles IST so perfekt. SIE ist perfekt. Und sie ist mein Mädchen! Ich werde ihren Mund küssen dürfen, so lange in ihre Augen gucken wie ich es nur will, ihre Hand nehmen, meinen Arm um sie nehmen. Und sie immer nur angucken. Stundenlang. Tagelang. Nur an sie denken.
Ich spüre, wie ich anfange zu lächeln.
Ich tu ja jetzt schon nichts anderes. Noch nie habe ich mit ihr gesprochen, nur dieses eine Bild gesehen und trotzdem kann ich nichts mehr tun, ohne an sie zu denken! Oh, dieses verdammt wundervolle Mädchen, die für mich ausgewählt wurde!
„Jarmo! Hallo! Jarmo!“
Ich schlage die Augen auf. Verdammt! Meine Mutter ist in mein Zimmer gestürzt und hat die Musik abgestellt.
„Ich rufe dich und du hörst mich nicht! Ich mag das nicht, wenn die Musik lauter ist als wie irgendjemand rufen kann! Und das weißt du doch auch!“
Ja… Ja, das weiß ich. Und wie ich das weiß.
„Sorry, Mama…“ Und ich meine es wirklich so. Es tut mir wirklich Leid. Ich weiß ja, dass ihr das nicht gefällt. Ich weiß, dass sie davon Kopfschmerzen bekommt. Ich weiß, dass sie mich rufen können muss. Wenn sie mich ruft, dann will sie was von mir. Und dann muss ich das auch hören! Aber wenn ich die Musik aufdrehe, dann kann ich einfach an nichts mehr denken. Dann merke ich gar nicht, wie ich nach und nach immer lauter drehe.
„Es ist halb 7, du wolltest doch Essen machen!“, meine Mutter klingt nicht vorwurfsvoll. So schnell wird sie das nicht. Sie hat aber ja auch keinen Grund dazu. Ich will nicht, dass sie enttäuscht von mir ist. Und wenn sie was von mir will, dann mach ich das auch. Warum auch nicht. Sie tut ja auch viel für mich. Aber seit ich weiß, welches Mädchen für mich bestimmt ist, kann ich einfach nicht mehr klar denken. Immer sie, überall sie, nur sie, sie, sie!
„Was schon so spät?! Verdammt, das hab ich total verpennt! Ja, mach ich. Ich fang sofort an zu kochen!“ Und mit den Worten springe ich von meinem Bett auf, laufe an meiner Mutter vorbei durch die Tür aus meinem Zimmer und rein in die Küche.
Ach verdammt, wie ich es hasse, jemanden zu enttäuschen! Besonders meine Mutter!
Ich höre schon wieder die Gitarrenklänge und das Geschrei des Sängers, den Schlagzeuger … Oh scheiße! Ich muss echt darauf aufpassen, mich mehr zu konzentrieren! Das ist mein Klingelton, mein Handy.
„Ja?!“
„Moin Jarmo, hier ist Ben! Heut Abend Party, denkst dran oder?!“
Scheiße! Scheiße! Scheiße! Das ist ja schon heute! Ben, mein Kindergartenfreund, mit dem ich im Kindergarten immer die größten Schwertkämpfe gemacht habe, die es hier in der Stadt je gab! Und auch die letzten Jahre hatten wir immer noch Kontakt. Er ist halt der einzige Junge in meinem Alter, der hier in der Gegend wohnt. Aber seit ein paar Jahren würde ich am liebsten gar nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er hat sich so verändert. Macht immer nur Party, säuft und macht alles schlecht. Und immer wieder will er mich zu seinen bescheuerten Partys mitschleifen. Aber was soll ich denn da?! Was soll das denn? Warum sollte ich saufen oder was die da sonst noch machen? Und dann noch die ganzen komischen Typen, mit denen er immer abhängt! Was sollte ich von denen wollen? Und was sollten die von mir wollen? Ganz einfach: Nichts! Nichts daran finde ich geil! Nichts! Besonders nicht heute Abend, wo ich meiner Mutter versprochen habe, zu kochen und aufzuräumen.
Aber letzte Woche hat mich Ben so sehr genervt, dass ich einfach ja gesagt habe. Was hätte ich auch sonst sagen sollen? Es war in der Schule, im Mathe-Unterricht. Die ganze Zeit hat er mir in mein Heft geschmiert und mich angetickt. Am Ende hat das sogar die Lehrerin schon mitbekommen! Dabei haben wir doch bald Prüfung! Ich muss doch aufpassen! Was wenn ich was Wichtiges verpasse? Da habe ich halt einfach ja gesagt. Einfach nur, um in Mathe was mitzubekommen!
„Jarmo, verdammte Scheiße! Ich bin um halb 11 bei dir ok?!“
„Ben.. äh,sorry! Ich kann heute echt nicht. Tut mir Leid! Ich hab total verplant, dass ich meiner Mutter versprochen hab, ihr heute mit aufräumen und so zu helfen. Geht heut echt nicht.“
„Immer deine Mutter! Alter, du bist 18! Dann sagst du ihr halt, dass du das morgen machst oder was weiß ich!“
„Ben, du verstehst das nicht…“
„Nein, verdammt, ich versteh das nicht! Und ich will’s auch nicht verstehen! Halb 11!“
„Ben…“ Er hat aufgelegt!
Was soll ich denn jetzt machen? Noch knapp 4 Stunden, dann würde er hier vor der Tür stehen. Und er würde mich mitschleifen, egal was ich mache… Scheiße!
Eine Stunde später steht das Essen fertig auf dem Tisch, meine Mutter und ich sitzen da und essen zusammen. Sie erzählt mir von ihrem Arbeitstag. Aber ich höre nicht wirklich hin.
Ich schiele unauffällig auf meine Armbanduhr. 3 Stunden noch.
„Jarmo, hörst du?“
„Was? Ja… ja, ich höre. Was denn?“
„Ach, Jarmo, in letzter Zeit bist du gar nicht mehr konzentriert, gar nicht mehr so wie ich dich kenne! Ich hoffe bloß, du fängst dich wieder! Du hast bald Prüfungen und man hört ja so viel von den Jugendlichen, die die verhauen und dann gar keine Alternativen mehr haben! Jarmo? Hörst du mir zu?“
„Ja!“ Diesmal hatte ich wirklich zugehört. „Du hast ja Recht, Mama. Ich will auf gar keinen Fall so enden! Ich schaff das schon, keine Angst. Ich lerne genug und das mit der Konzentration wird schon wieder. Ich denk nur in letzter Zeit oft nach, aber ich streng mich an, versprochen!“
„Gut, so kenn ich dich!“ Meine Mutter lächelte mich an. Ja, so kennt sie mich. So soll sie mich auch kennen. So bin ich auch. Es ist mir wichtig, die Prüfungen gut zu bestehen! Ich will Arzt werden, genau wie mein Vater. Der ist auch Arzt gewesen, bevor er gestorben ist. Da ist es doch klar, dass ich auch so einen Job haben möchte. Guter Beruf, gute Frau, gute Kinder. So muss das Leben sein! Und schon wieder waren meine Gedanken bei meiner tollen zukünftigen Frau!
„Ich werde gleich ins Bett gehen, Jarmo. Hörst du? Mir geht’s nicht so gut und ich denke, ich lege mich besser hin. Du kommst auch alleine klar mit dem Abräumen und Ordnung schaffen, nicht wahr?“
„Ja .. äh .. klar! Warum nicht. Das mach ich doch sonst auch immer. Ruh dich ruhig aus, Mama!“
„Danke, du bist ein toller Sohn! Gute Nacht!“ Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange, steht auf und geht ins Bad.
Jetzt sitze ich alleine am Tisch. Und gucke auf meine Uhr. 19:48 steht da. Also noch 2 Stunden und 42 Minuten. Wenn meine Mutter jetzt ins Bett geht, dann müsste sie dann doch eigentlich schlafen. Denke ich. Hoffe ich!
Und ich verfalle schon wieder in mein Gedanken-Wirrwarr. Meine Mutter hat Recht, das kommt in letzter Zeit dauernd vor. Wie soll ich mich aber auch konzentrieren können, wenn ich weiß, dass ich schon bald die schönste Frau der Welt in den Armen halten werde, um für immer mit ihr zusammen zu leben! Wie schön das doch ist! Wie schön das System doch ist! Wenn ich mir vorstelle, dass es früher mal anders war. Dass man sich überhaupt nicht sicher sein konnte, die Richtige zu finden! Unvorstellbar! Wirklich! Ich kann nicht glauben, dass es selbst hier bei uns in Deutschland mal so gewesen ist, dass alle sich einfach irgendwen ausgesucht haben…
Ich stehe ruckartig auf.
„Jetzt Konzentration!“, sage ich mir und trage die beiden Teller zur Spüle. Ein wenig Ordnung machen, ein wenig aufräumen. Und Ben … vielleicht kann ich ihm ja nachher vormachen, ich wäre krank. Vielleicht klappt das ja …
22:28 Uhr. Meine Mutter schläft. Ich höre sie ruhig atmen.
Ich stehe im Flur und starre auf mein Handy:
ey alter mach kein scheiß du bist nicht krank das weiß jeder! ich steh vor der tür komm raus!
Wär ja auch zu schön gewesen, wenn er mir das geglaubt hätte. Wenn ich mich so darum drücken könnte.
Ich gehe zwei Schritte vor und lege meine Hand auf den Türgriff. NEIN! Das kann ich nicht machen! Meine Mutter liegt im Bett und geht davon aus, dass ich mich jetzt auch gleich schlafen lege.
Ich gehe wieder zwei Schritte zurück. Stehe unschlüssig da und weiß nicht, was ich machen soll. Meine Hände schwitzen.
22:30 : komm runter oder ich klingel sturm!
Oh nein! Oh nein! Oh nein! Das geht auf gar keinen Fall! Er kann doch nicht um diese Uhrzeit Sturm klingeln! Er weiß doch, dass meine Mutter schläft!
Ich drehe mich wieder zur Tür um und lege die Hand nochmal auf die Klinke. Verdammt! Was mache ich hier, verdammt???
22:31 : mach hinne!
Ich setze mich im Flur auf den Boden und begrabe mein Gesicht in den Händen. Nein! Nein! Nein! Das geht nicht! Ich kann nicht gehen!
22:32 : jarmo du schisser!
Das reicht! Dann geh ich halt einmal weg! Was ist schon dran!
Ich versuche es mir einzureden. Aber es geht einfach nicht. Das kommt nicht zu meinem Kopf durch. Ich drücke die Klinke runter, trete nach draußen und gehe ein paar Schritte den Kiesweg vor unserem Haus entlang.
„Na endlich!“
Ben haut mir kumpelhaft auf die Schulter.
„Los geht’s!“, sagt er als wäre nichts dabei.
Mir ist zum Heulen zumute. Aber ich lasse mir nichts anmerken. Natürlich nicht.
Am Bahnhof treffen wir ein paar von Bens Kumpeln. Die komischen Typen, mit denen ich am liebsten gar nichts zu tun haben würde. Die, denen es vollkommen egal ist, ob sie gute Prüfungen schreiben oder schlechte! Wenn meine Mutter nur wüsste, mit wem ich mich jetzt abgebe …
,Nein, nicht nachdenken!‘, ermahne ich mich.
Wir laufen zu sechst durch die Straßen, alle haben sie was zu trinken. Ich will gar nicht genau wissen, was das ist. Lieber nicht.
„Ey Jarmo, nimm auch n Schluck!“, sagt der eine, der vielleicht Tobias oder so heißt, und reicht mir seine Flasche hin.
Ich zögere und das merkt er auch.
„Alter, hab kein Schiss! Davon kippst du schon nicht um!“ Die anderen lachen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie zugehört haben.
Ich greife die Flasche und trinke einen Schluck. Es schmeckt widerlich. Wirklich einfach nur widerlich. Aber was soll’s!
„Kannste behalten“, sagt Tobias, wenn er denn so heißt, und macht sich eine neue auf.
Ich halte jetzt also eine Flasche in der Hand, habe keine Ahnung, was drin ist und laufe mit fünf Kerlen durch die Stadt, von denen ich nur einen kenne. Eigentlich bin ich total unzufrieden mit der Situation! Aber je mehr ich von dem komischen Zeug trinke, desto leichter wird es. Und desto weniger Gedanken mache ich mir! Das wollte ich doch schon die ganze Zeit: keine Gedanken mehr!
Ich fühle mich so frei und so leicht und so locker! Ich lache über bescheuerte Witze und über Sätze, die gar keine Witze sind, aber das macht nichts.
Manchmal merke ich nicht, wie die Zeit vergeht. Dann weiß ich nicht, was ich vorher gemacht habe. Aber auch das macht nichts.
Ich sitze mit Tobias in stinkenden Sesseln und wir haben beide Flaschen in der Hand.
Es ist 3:43, sagt meine Uhr. Da ist Ben mit ein paar Mädchen und er setzt sich zu uns. Seine Begleiterinnen auch. Das eine Mädchen heißt Lia, an die anderen kann ich mich nicht erinnern. Auf jeden Fall ist keine so schön wie mein Mädchen.
„Jetzt geht’s los!“, sagt er. Und Tobias und ich finden das unheimlich komisch. Ben holt etwas aus seiner Tasche. Ich kann nicht erkennen, was es ist, aber es ist mir auch recht egal. Ich sitze hier und das Leben ist schön. Und lustig.
„Nimm!“, sagt er und hält mir was Tablettenähnliches hin.
„Hä?“, antworte ich nur. Was ist das? Ich gucke mir das Ding an. Warum gibt Ben mir eine Tablette? Was für eine? Da funktioniert mein Gehirn plötzlich für einen kurzen Augenblick doch wieder halbwegs. Drogen, schießt mir in den Kopf. Er hat mir Drogen gegeben? Aber das kann doch nicht sein? Sowas würde doch kein vernünftiger Mensch machen! Und Ben ist doch vernünftig. Oder?
„Jetzt nimm schon!“, sagt er und ich stecke mir die Pille in den Mund. Meinen Verstand schalte ich lieber aus. Was Ben macht, kann schon nicht so schlimm sein.
Wir sitzen nicht mehr lange auf den Sesseln, wir stehen alle zusammen auf und laufen noch ein wenig umher. Wo genau, weiß ich nicht. Aber ich merke, wie es mir immer, immer besser geht. Alles ist so schön! Ein wenig komisch ist mir auch, aber das macht nichts: Alles ist so schön!
Von den ganzen schönen Sachen will ich nur noch mehr! Die machen doch, dass es mir gut geht!
Und dann dreht sich irgendwie plötzlich alles. Irgendwie ist nichts an seinem richtigen Platz. Mein Kopf irgendwie auch nicht. An meiner Wange spüre ich kalten Asphalt. Das ist aber hart! Wer sucht sich denn so einen Platz zum Hinlegen aus?
Ich mache mir darüber keine Gedanken mehr. Meine Augen fallen einfach zu.
Lia schreckt aus ihrem Traum hoch. Ihre Augen wandern schnell umher und für kurze Zeit weiß sie nicht wo sie ist. Dann fällt ihr alles wieder ein.
Neben ihr liegt der seltsame Junge von gestern. Er schläft tief und fest. Klar, nach so einem Abend würde jeder fest schlafen. Sie richtet sich müde auf und beobachtet den Jungen neben ihr. Wie heißt er noch mal? Jarmo? Ja genau, so heißt er.
Er liegt auf den Bauch und sein Mund steht ein wenig offen. Sie legt vorsichtig ihren Kopf auf seine Brust. Sie hört seinen Herzschlag regelmäßig und stark. Sie atmet ruhig aus. Okay, er lebt noch. Sie legt sich wieder still neben ihn, aber mit dem Gesicht zu ihm. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages leuchten rein, genau auf sein Gesicht.
Er hat ein kantiges Gesicht, eine durchschnittliche Nase, aufgesprungene Lippen und leicht zerzaustes Haar. Er hatte ein freundliches Gesicht und schöne Lippen, aber sonst sieht er ziemlich durchschnittlich aus. Genauso wie seine Klamotten. Schwarze Jeans, Schwarzes Shirt. Er ist ihr gestern Abend nicht aufgefallen, weil er nichts gesagt hat, selbst als die Drogen bei ihm eingesetzt haben.
Doch als er neben ihr liegt, sieht sie ihn lange an. Außer das er etwas größer ist als die meisten Jungs, sieht er aus wie jeder andere.
Das Hotelzimmerbett ist klein, sodass Lia ganz nah an ihm ran liegt und sein Deo riecht. Sie lächelt leicht und kann den drang nicht widerstehen vorsichtig nur mit den Fingerspitzen über seine Wange zu streicheln. Seine Haut fühlt sich rau und kratzig an, was Lia aber nicht abschreckt. Ganz im Gegenteil.
Jarmo wirdruckartig wach und Lia zieht schnell ihre Hand zurück. Jarmo guckt wie sie zuvor sich wild im Raum um. Sie richtet sich langsam auf und Jarmo weicht schnell zurück von ihr und Lia lächelt ihn irritiert an.
“ Wo bin ich hier?”, fragt er zerstreut und steht hastig auf und guckt sich suchend im Raum um.
“ Wir haben die die Nacht hier hergebracht”, sagt Lia und steht selber auf und greift unter ihre Tasche und reicht Jarmo seine Jacke. Er nimmt sie hastig an sich und zieht sie sich über.
“ Wir ?”, sagt er und setzt sich wieder aufs Bett. Lia sieht ihn an aber er schaut lieber auf sein Handy.
“ Deine Kumpels haben dich hierher gebracht. Und ich sollte dann auf dich aufpassen”, sagt Lia und bleibt unschlüssig im Raum stehen.
“Achso”, sagt er und tippt wild auf seinem Handy herum.
Einige Minuten sagen beide nichts. Lia möchte mit ihm reden, aber er scheint sich nicht wirklich dafür zu interessieren das sie da ist.
“ Tut mir Leid, aber ich muss los, meine Mutter wartet”, sagt er und steht auf.
Sie nickt nur kurz und begleitet ihn zur Tür.
An der Tür dreht er sich noch mal um. Sie lächelt ihn leicht an und schaut in seine Augen, doch er schaut schnell weg.
“Also komm gut nachhause”, sagt er und ist auch schon aus der Tür raus.
Lia steht sprachlos da. Hatte er sich bedankt? Sie denkt kurz nach. Nein hatte er nicht. War ja klar das so etwas passiert!
Nichtmal vernünftig reden wollte er mit ihr. Sie geht unschlüssig im Raum umher. Er hat schüchtern auf sie gewirkt, aber er hatte ihr nichtmal in die Augen gesehn, geschweige den gelächelt. War ihre Nähe denn so schrecklich? Sie schaut sich im Spiegel an. Gut, sie wusste selber das sie durchschnittlich aussah, aber fand er sie hässlich? Sie schüttelte ratlos den Kopf.
Sie schnappt sich ihre Jacke, geht aus dem Hotelzimmer raus, legt den Zimmerschlüssel auf die Tresen und geht raus aus dem Hotel.
Sie schaut auf ihr Hand. Sie hatte ne SMS von ihrer besten Freundin Lisa
Deine mutter schöpft kein verdacht, ich hab dich gedeckt. Ich weiß, ich weiß, was bin ich eine gute Freundin.
Sie lächelte über die SMS und packt ihr Handy wieder weg.
Was war das nur für ein Junge? Das fragt sie sich den ganzen Weg nachhause. Sie schüttelt den Kopf. Egal, er ist nur ein Junge. Darüber sollte sie sich keine Sorgen machen. Lieber sollte sie sich Sorgen machen, wie sie ins Haus kommt ohne erwischt zu werden.
Sie schleicht sich in den Garten und macht leise die Terassentür auf. Keine Geräusche. Alle schlafen noch. Sie atmet tief durch, zieht ihre Schuhe aus und schlüpft geräuschlos in ihr Zimmer.
Sie schlüpft aus ihren stinkenden Klamotten, taucht unter die Dusche und versucht den Abend zu vergessen…
Ich stecke den Schlüssel ins Schloss. Und merke dabei wie schweißnass meine Hände eigentlich sind. Den ganzen Weg von diesem versifften Hotel bis hier nach Hause habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Zumindest habe ich versucht, mir keine Gedanken zu machen.
Dieser scheiß Abend gestern! Dieser scheiß Ben! Warum hat er mich mitgeschleift? Warum hab ich mich mitschleifen lassen?
Jaja, ich erinner mich wieder. Ich hab mir gedacht, es wird schon nicht so schlimm. Ich hab gedacht, ich geh halt einfach mal mit, komme spätestens um 2 wieder nach Hause und alles ist gut.
Aber nichts ist gut. Gar nichts ist gut! Denn es ist genau 8:12 Uhr, als ich es endlich schaffe, den Schlüssel umzudrehen und die Tür zu öffnen.
In meinem Kopf dreht sich alles. Ich kann nicht klar denken. Alles, was da so rumgeistert, sind Sachen wie: „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ und „Was ist mit Mama? Was sagt sie? Wo ist sie? Was denkt sie nur jetzt von mir? Denkt sie jetzt, dass ich auch einer von diesen unfähigen Jugendlichen bin, die sich ihr Leben verbauen?“ Bin ich das nicht vielleicht sogar echt? Mein Kopf tut immer noch weh. So genau kann ich mich nicht erinnern, was passiert ist. Aber ich habe Drogen genommen. Drogen. Das kommt mir seltsam unwirklich vor. Ich und Drogen? Ich nehme doch nie welche! Ich will auch nie welche nehmen! Niemals!
Doch diese kleine Stimme in meinem Kopf schafft es nicht, die Wahrheit zu verdrängen. Ich habe nun mal Drogen genommen. Ich habe mich von Ben überreden lassen. Und ich bin neben diesem komischen Mädchen im Hotel aufgewacht. Warum sie wohl da war? Und nicht Ben oder einer von den Jungs? Und was sie wohl von mir denkt? Aber wahrscheinlich denkt sie nur, dass ich ja überhaupt nichts abkann. Wahrscheinlich nimmt sie Drogen und hält das für ganz normal. Das könnte ich mir vorstellen. Aber naja, das soll mich nicht kümmern. Dann verkackt sie sich halt ihr Leben. Mit ihr will ich nun wirklich nichts zu tun haben. Ich kenn sie ja noch nicht mal. Außerdem brauche ich eh nur ein Mädchen auf der Welt. Mein Mädchen.
Und schon fange ich wieder an, zu lächeln. Das Glück durchströmt mich, ich fühle mich seltsam gut. Ich könnte die ganze Welt umarmen! Oh Gott, wie komisch das doch ist! Kaum denke ich an sie, vergesse ich sogar, dass ich Drogen genommen habe und meine Mutter schwer enttäuscht habe.
Ja, meine Mutter. Wo ist die eigentlich? Ich gucke mich um. Ob sie wohl noch schläft? Vorsichtig öffne ich die Tür zu ihrem Schlafzimmer. Nichts. Das Bett ist gemacht. Der Duft von ihr hängt noch im Raum. Aber von ihr selbst ist nichts zu sehen.
Langsam werde ich hektisch. Ich laufe in die Küche, ins Bad, gucke nochmal im Wohnzimmer nach, werfe sogar einen Blick in mein Zimmer. Aber nirgendwo ist meine Mutter.
Vielleicht sucht sie nach mir? Vielleicht ist sie auch zur Polizei gegangen? Vielleicht denkt sie, ich wäre entführt worden? Oh Gott! Das wird so Ärger geben! Aber das sollte es auch! Wer ist schon nicht sauer auf seinen Sohn, wenn der sich nachts rausschleicht, nicht nach Hause kommt und dann auch noch Drogen nimmt! Oh Gott! Man sollte mich aus der Gesellschaft ausschließen. Mich wegsperren. Zumindest bestrafen. Ich bin ein schlechtes Vorbild für alle. Vielleicht bin ich auch krank. Warum sonst sollte man Drogen nehmen?
Ich beende diesen Gedanken abrupt, weil mir ein gelber Klebezettel auf dem Esstisch auffällt.
Guten Morgen, Jarmo!
Ich hoffe, du hattest einen schönen Abend und hattest viel Spaß. Wenn du Hunger hast, da steht noch ein Rest von gestern Abend im Kühlschrank. Das könntest du dir warm machen.
Ich bin bei der Arbeit und gegen 19 Uhr zurück. Wie immer.
Ich liebe dich, Mama <3
Oh… Stimmt, meine Mutter muss ja heute arbeiten. Selbst das habe ich vergessen. Ich bin wirklich zu nichts zu gebrauchen momentan. Und sie ist gar nicht sauer auf mich? Aber wie kann sie nur? Ich habe sie doch enttäuscht! Sie sollte sauer auf mich sein! Vielleicht tut sie ja auch nur so und ist eigentlich schwer enttäuscht. Aber warum sollte sie das tun?
Ich verstehe die Welt nicht mehr und lese den Zettel wieder und wieder. Ich gucke mir die Schrift genau an. Und ja, es ist wirklich die Schrift meiner Mutter. Genau so schreibt sie. Mit genau solchen Kringeln verziert sie die Buchstaben, dass alles, was sie schreibt, wie ein Kunstwerk aussieht. Und genau solche Herzen malt sie. Immer.
Na gut. Dann muss ich wohl warten, bis sie wieder da ist, um das zu erklären. Ich werde mich auf jeden Fall bei ihr entschuldigen! Auch wenn sie so tut, als wäre das alles gar nicht so schlimm. Ich weiß, dass alles doch sehr schlimm ist!
Und um ihr zu zeigen, dass ich die Entschuldigung wirklich so meine, springe ich nur kurz unter die Dusche und fange dann an, die Wohnung aufzuräumen, staubzusaugen und das Bad zu putzen. Es ist zwar nicht wirklich unordentlich, aber sowas muss ja regelmäßig gemacht werden. Nicht dass es bei uns sonst so versifft aussieht wie bei manchen anderen Leuten. Wie zum Beispiel bei unseren Nachbarn. Da sieht es so aus, als würden die noch nicht mal einen Staubsauger und Putzmitteln besitzen. Früher war ich öfter bei denen drüben, wenn meine Mutter gearbeitet hat. Aber seitdem ich gemerkt habe, dass man den Staub sieht und der Müll oft auch ziemlich voll ist, vermeide ich es, da hinzugehen. Aber jetzt muss ja zum Glück auch niemand mehr auf mich aufpassen, wenn meine Mutter nicht da ist!
Den Gedanken finde ich lustig und ich fange an zu lächeln. Ich komme schon ganz gut alleine klar. Ich bin erwachsener als viele andere in meinem Alter. Und auch verantwortungsbewusster. Also das dachte ich zumindest immer. Aber das mit den Drogen gestern Abend, was war das denn dann?
Ich schaffe es einfach nicht, den Gedanken daran aus meinem Kopf zu verbannen. Es stimmt ja auch! Ich bin echt ein Trottel!
Und mit genau diesem Kram in meinem Hirn schmeiße ich mich nach dem Hausputz auf mein Bett und versuche mich ein wenig zu entspannen.
Ich stelle die Musik an. Die Gitarrenklänge ertönen wieder durch mein Zimmer, die Stimme des Sängers, die so viele tausend Gefühle gleichzeitig ausdrückt und dabei doch nicht zu viel von sich verrät. Natürlich habe ich nicht so laut aufgedreht. Für heute habe ich eindeutig genug Scheiße getan. Ich werde jetzt besser aufpassen, ordentlich zu sein und mich an alle Regeln zu halten!
'Cause you're everywhere to me
And when I close my eyes it's you I see
You're everything I know
That makes me believe
I'm not alone
(Yellowcard – Everywhere)
Der Sänger singt über sein Mädchen. Und ich denke an mein Mädchen. Sie ist überall für mich. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich nur sie. Sie ist alles. Einfach alles. So perfekt. Und mit diesem Lied im Ohr und dem wundervollsten Mädchen vor meinen Augen spüre ich die Müdigkeit und mir fallen die Augen zu. Ja, man kann bei Musik schlafen!
“ Lia verdammt, steh endlich auf! “, sagt Lias Mutter Anna, während sie die Gardinen von Lias Fenster zur Seite schiebt. Lia hat ihre Mutter gehört, bewegt sich nicht und hofft das ihre Mutter denkt, sie würde noch schlafen. Doch kaum 2 Minuten später zieht ihre Mutter ihr die Decke vom Körper. Lia seufzt und öffnet langsam ihre Augen. Ihre Mutter steht an ihrem Fenster und tippt wild mit ihrem Fuß auf Lias lila farbenden Teppich herum. Sie ist schick angezogen, frisch geschminkt und Lia riecht ihr Parfum bin zu ihrem Bett.
Lia richtet sich langsam auf. “ Was willst du Mutter?”, sagt Lia mit brüchiger Stimme.
“ Was ich will? Hast du mal auf die Uhr geguckt ? Es ist 14 Uhr am Nachmittag. Was machst du die Nacht eigentlich immer”, sagt Lias Mutter und schaut ihr kurz ins Gesicht, dreht sich aber gleich darauf wieder zum Fenster.
Lia muss sich ein lachen verkneifen. Wenn sie wüsste! Lia fährt sich durchs Haar und setzt sich hin und sagt: “ Wieso kümmert dich das ?”, sagt Lia mit einem bissigen Ton, steht auf und geht zu ihrem riesigen Kleiderschrank.
Als sie sich mit einer dunkelblauen Bluse und einer schwarze Leggings umdreht, starrt ihre Mutter sie mit ihren braunen Augen an. Sie starrt ihre Mutter so lange in die Augen bis Annas Handy klingelt. Lia seufzt, während ihre Mutter, mit dem Telefon am Ohr, aus ihrem Zimmer verschwindet.
Sie schlüpft unter die Dusche, putzt sich die Zähne und zieht sich an.
Sie kommt aus der Dusche und schaut sich im Zimmer um. Sie hatte das größte Schlafzimmer im Haus, größer als das Schlafzimmer ihrer Eltern.
Es ist in Lila und Schwarz gehalten, hat ein riesiges Ehebett, einen riesigen Schwarzen Kleiderschrank und wenige Dekoartikel und einen dunkel lila Teppich. Ihr Zimmer ist immer ein wenig chaotisch, aber nicht dreckig.
Sie hebt ihre herumliegenden Klamotten auf, macht ihr Bett und setzt sich an ihren Schminktisch. Als sie ihr Gesicht eingepudert hat klingelt ihr Handy. Sie schreckt hoch durch die schrille Melodie. Sie hat ne Sms von ihrer Besten Freundin Carol.
Schon wach Süße ? Was machst du heute? Bock auf ein bisschen Party und Abwechslung? Es gibt kein Nein.
Sie lacht. So ist Carol nun mal. Genauso wie sie. Deshalb liebt Lia sie so sehr.
Lia schreibt zurück:
Und wo steigt sie ?
Lia föhnt sich ihre Haare und schminkt sich ihre Augen.
Sie schaut noch mal auf ihr Handy, aber keine SMS von Carol. Sie seufzt und ihr Magen knurrt.
Sie lässt ihr Handy oben liegen und geht nach unten in die riesige Küche wo ihr Bruder (Namen vergessen ich nenne ihn einfach XY :D) auf einem Stuhl sitzt und auf seinen Handy herumtippt.
“Morgen”, nuschelt Lia eine Antwort und geht zum Herd wo das Mittagessen steht.
“ Morgen? Wie bist du denn drauf? Es ist schon 15 Uhr”, sagt ihr Bruder tonlos und schaut nichtmal von seinem Handy hoch.
Lia antwortet einfach nicht schnappt sich einen Teller, füllt ihn mit dem Mitagessen auf und setzt sich ihren Bruder gegenüber.
Sie beobachtet XY.
Er sieht gut aus, wie Lias Mutter. Schwarze Haare, Dunkle Augen, reine Haut und einen muskulösen Körper.
Sie dagegen hat eine sportliche Figur, hat aber dieselbe schöne volle Brust wie ihre Mutter.
Lia trägt selten bis fast nie Kleider, genauso wenig Röcke. Leggings trägt sie öfters, aber nur unter langen Oberteilen.
´XY schaut auf und guckt sie an. “ Was ist?”, sagt er zickig.
Sie lacht. Manchmal war er wirklich schlimmer als ein Mädchen.
“ Dein gutes Aussehen fasziniert mich”, sagt sie mit einem ironischen Unterton und ihr Bruder fixiert sie mit einem kalten Blick.
So läuft es immer zwischen den beiden.
Sie ärgert ihn und er lässt die Zicke raushängen. Sie verstehen sich nicht gut, streiten sich oft. Sie mochte ihren Bruder, natürlich, aber ob sie ihn aus ganzen Herzen liebt bezweifelt sie.
Überhaupt fühlte sie sich in ihrer Familie nicht wohl. Nur ihr Dad war ihr wichtig, aber er ist ständig auf Reisen, sodass sie ihn selten sieht. Ihre Mutter sieht sie auch selten, aber Lia würde sie am Liebsten gar nicht mehr sehen wollen.
Sie isst auf und bringt ihren Teller zum Spüle und rennt die Treppen zu ihrem Zimmer hoch und schaut auf ihr Handy. Eine neue Sms von Carol.
Du wirst mir nicht glauben, aber Kaleb hat uns Ticket besorgt für diesen neuen tollen Sauteuren Schuppen. Dort sind nur geile Typen und viel viel Alkohol. Komm einfach um 20 Uhr zu mir und denkt dir was als ausrede aus.
Lia denkt kurz nach und für eine Sekunde denkt sie einfach Nein zu schreiben. Sie weiß nicht wie ihr der Gedanke kommt, aber sie verdrängt ihn sofort.
Sie kaut nervös auf ihrer Lippe herum. Was kann sie ihren Eltern sagen?
Okay, ihr Vater ist nicht da, ihre Mutter ist keine Ahnung wo und ihr Bruder fährt bestimmt gleich zu Sharon. Sie denkt kurz nach. Sie hat schon länger nicht mehr bei Sharon geschlafen, also beschließt sie ihrer Mutter eine SMS zu schreiben das sie bei Sharon schläft, aber erst wenn sie wirklich bei Sharon ist.
Kurz vor 20 Uhr packt Lia ihre Tasche. Sie weiß, egal was sie anzieht, Sharon hat was dran zu meckern, also packt sie nur ihre High Heels ein und ihre Schminksachen und schlüpft aus dem Haus ohne Bescheid zu sagen.
Sharon wohnt in der selben Siedlung wie Lia, so muss sie nur 5 Minuten bis zu ihr laufen.
Sharons kleiner Bruder Brian macht ihr die Tür auf und lässt sie hochlaufen.
Lia klopf drei mal laut an die Zimmertür und kommt herein. Sharon steht da in sexy schwarzer fast durchsichtiger Unterwäsche und Lia muss kichern.
“ Was denn? Du hast mich schon viel schlimmer gesehen”, sagt Sharon und steckt sich ihre langen blonden Haare mit gefühlte tausend Spangen zu einer komplizierten Hochsteck- frisur zusammen.
Lia legt ihre Tasche auf das pinke Schlafsofa und setzt sich ans Sofa und schreibt ihrer Mutter.
Bin bei Sharon schlafen. Macht euch keine Sorgen, bin morgen Mittag wieder da.
Nachdem sie die SMS verschickt hat kriecht sie zur Musikanlage hinüber und dreht sie voll auf, bis der harte Bass ihr Herz zu kontrollieren scheint.
Lia beobachtet Sharon beim Haare machen. Sie war fast genauso groß wie Lia und hatte fast die selber Figur wie sie, doch sie wusste wie sie mit ihren Reizen umzugehen hat, was sie bei den Jungs sehr beliebt macht.
Als Sharon fertig ist, dreht sie die Anlage leiser und lächelt Lia an.
“Also, wie sieht’s aus? Was willst du heute anziehen?”, sagt sie während sie die Türen zu ihrem begehbaren Kleiderschrank aufmacht und Lia folgt ihr.
“Was ziehst du denn an?”, fragt Lia sie, während sie einige Kleidungsstücke inspiziert.
“Ich denke ich ziehe mein schwarzes fransen Kleid an, das was ich an meinem Geburtstag auch anhatte, kannst du dich dran erinnern?”, fragt Sharon sie und Lia nickt. Das Fransenkleid vor oben hochgeschlossen, hatte lange Ärmel und kein Ausschnitt, dafür war es kurz und war am Rücken offen.
“Und was soll ich deiner Meinung nach anziehen?”, fragt Lia Sharon skeptisch.
“Hm, ich hab da schon was”, sagt sie und verschwindet in ihren Meer aus Klamotten…
Fast 2 Stunden und 4 Mal umziehen später, betrachten sich die Mädels im Spiegel. Sharon hat sich doch für einen knallroten kurzen Rock mit durchsichtiger Strumpfhose und einem schwarzen top mit tiefen Ausschnitt und einem Schwarzen Blazer entschieden. Ihr Gesicht war dezent Geschminkt, was ihr unheimlich gut stand und ihre roten High Heels waren passend zu ihrem Rock ausgewählt.
Lia hatte ihre kurzen Haare gelassen wie sie sind, aber ihr Gesicht war aufällig und sexy Geschminkt. Sie trägt eine schwarze tiefsitzende enge Jeans und dazu ein Trägerloses hautenges kirschrotes Top und passend dazu schwarze High Heels mit roter Sohle. Mit dem Outift und den Haaren sieht Lia sehr sexy aus und stopft sich unauffällig noch eine schwarze Strickjacke in ihre Tasche.
“Sehe ich wirklich so okay aus?”, fragt Lia Sharon unsicher während die beiden sich auf den Weg nachunten machen.
“Wie oft denn noch, du siehst scharf aus!”, sagt Sharon schon zum 4. Mal.
Lia schnappt unsicher ihre Jacke und die beiden verabschieden sich von Sharons Mutter. Sharons Mutter war viel lockerer als Anna. Oft hat Lia sich gewünscht so eine Mutter zu haben, was das Verhältnis zu ihrer Mutter nicht gestärkt hat…
“Und ? Denkst du an deinen Schatz Jeremih?”, fragt Sharon Lia frech grinsend, während die beiden an der Bushaltestelle auf Kaleb und seine Kumpels warten.
“Haha, bist du heute wieder witzig “, sagt Lia forsch, bereut es aber sofort und grinst Sharon an.
Sie hatte wirklich an Jeremih gedacht und an das was sie über ihn herausgefunden hat.
Am selben Abend als sie erfahren hat das Jeremih ihr Mann sein wird, hat sie im Internet seinen Namen eingegeben und so einiges erfahren.
Jeremih ist Leistungssportler und ein begnadeter Fußballspieler. Man sieht ihn auf zahlreichen Zeitungsartikel Strahlend mit Pokalen in der Hand.
Er geht oft feiern, man sieht ihn ständig auf Partybildern, sehr oft mir hübschen Frauen.
Lia hatte fast die ganze Nacht nach ihm geforscht und sich gefragt was das für ein Mensch ist. Er sieht verdammt gut aus, aber der arrogante Gesichtsausdruck machte Lia sorgen. Hoffentlich ist er nicht so, wie er auf den Fotos zu sein scheint.
“ Schon gut Süßi, ers heiß, was willst du mehr?”, sagt Sharon und Lia muss lachen. Für Sharon zählt meistens nur das Aussehen, Charakter ist Nebensache. Lia dagegen achtet sehr auf den Charakter, nicht aufs Aussehen.
Sie raucht ihre Zigarette zu Ende, als auch schon Kaleb mit seinem schwarzen BMW angefahren kommt.
“ Hallo Mädels? Kann ich euch mitnehmen?”, fragt er lachend und die Mädels steigen lachend in das Auto ein. Lia setzt sich ganz vorne neben Kaleb, während Sharon sich zwischen Maik und Semih setzt, Kalbes besten Freunden.
“Wer kommt noch alles?”, fragt Lia während Kaleb Gas gibt.
“Du fragst mich vielleicht Sachen”, sagt er lachend,” Also Mick ist hinter uns mit seinen Jungs”.
“ Den hättest du auch zuhause lassen können”, sagt Lia zähneknirschend. Sie mochte Mick nicht. Er benutz Frauen nur und wirft sein Geld nur so zum Fenster raus.
“Lia, sei kein Spielverderber, stell dich doch nicht so an”, sagt Kaleb leicht genervt und Lia wirft ihn einen böse Blick zu.
Die Musikanlage wird aufgedreht und die Sektflasche wird herumgereicht und Lia kommt endlich in Partystimmung.
Als sie bei der Party ankommen, ist Lia schon angetrunken und sie und Sharon torkeln lachend und singend in die Villa rein.
Von innen ist die Villa spektakulärer als von Außen und die Housemusik fließt förmlich durch Lias Blut.
Nachdem sie ihre Jacke abgegeben haben, begeben sich die beiden Mädels zur Bar. Lia bestellt sich irgendwas, sie hat den Namen auch schon gleich vergessen. Unwichtig, solange es ordentlich reinhaut.
Während die beiden auf ihre Cocktail warten, kann Lia es kaum abwarten auf die Tanzfläche zu kommen. Sie wippt die ganze Zeit mit und als der Cocktail kommt, kippt sie ihn in einen Zug hinunter. Sie schnappt sich Sharons Hand, die selber schon betrunken ist und die beiden gehen geradewegs zu einem Box und krabbeln drauf und fangen an sich rhythmisch zur Musik zu bewegen.
Die ersten Stunden gehen vorbei wie im Rausch. Sie trinkt einen Cocktail nach den anderen, aber nach ner Zeit ist ihre Haut glänzend vor Schweiß und sie macht sich auf den Weg zu einem der viele Balkons.
Es ist angenehm frisch draußen und an der frischen Luft ist Lia doch nicht mehr so ganz betrunken, wie sie zuerst gedacht hat.
Sie schaut sich um, ihr fällt ein Junge auf, schwarze enge Jeans und schwarzes Shirt. Lia erschreckt sich. Jarmo. Das ist er. Sie schluckt kommt dem Jungen ein Stückchen näher und bemerkt das der Junge ein gutes Stück kleiner als er ist und sie sich hastig umdreht. Scheiße, war das Peinlich, denkt Lia sich. Sie entdeckt einen kleinen Raum, wo viel ruhiger Musik gespielt wird und geht auf ihn zu, bleibt am Eingang aber stehen. Der Raum war vielleicht so groß wie ihr Schlafzimmer und mit vielen kleinen Sitzkästen ausgestattet. Der Raum war mäßig gefüllt und halbnackte Frauen tanzten in Käfigen hoch oben an der Decke. Lia tritt vorsichtig in den Raum rein und geht zur Bar und bestellt sich einen Cocktail an der Bar und beobachtet die Gäste. Ein Junge fällt ihr auf, der sich eng tanzend an ein knapp bekleidetes Mädchen schmiegt. Das Mädchen kann sich kaum auf den Beinen halten doch der Junge grinst frech übers ganze Gesicht und legt die Hände auf ihren Hintern und drückt sie fest an sich. Zuerst überfliegt sie das Gesicht des Jungen kurz, doch dann verschluckt sie sich fast an ihrem Cocktail.
Oh scheiße! Oh scheiße, scheiße, scheiße. Das war Jeremih. Je länger sie ihn anstarrte desto sicherer wurde sie. Seine Hände wanderten über ihren Rücken zu ihren dunklen Haar und er streichelte es während er sabbernd an ihren Hals klebte und das Mädchen ihre Augen geschlossen hat. Lia fing an unkotrolliert zu zittern und kippt ihren noch halbvollen Cocktail um als sie ihn versucht auf die Tresen zu stellen. Das Glas zerbricht, Lia flucht und versucht mit zitternden Händen die Scherben aufzuheben. Sie hebt sie schnell auf und entschuldigt sich. In der Zwischenzeit gucken einige Gäste Richtung Tresen was da los ist und Lia schaut noch kurz zu Jeremih, der ihr geradewegs ins Gesicht schaut.
Sie dreht ihr Gesicht schnell weg, hastet so schnell es geht auf hohen Schuhe aus dem Raum. Sie spürt wie hass und trauer gleichzeitig sie zu überwältigen versuchen. Nein nicht jetzt, denkt sie sich, erst muss ich Sharon finden.
Kaum ist wie wieder auf den Balkon als Sharon ihr entgegen kommt.
“Lia wo warst du? Wir wollen nachhause, und du treibst dich sonst wo rum”, sagt Sharon und fällt ihr erleichtert um den Hals.
Lia muss einen schluchzen unterdrücken. Sharon drückt sie ein wenig weg von sich mustert ihr Gesicht und fragt besorgt “ Oh Gott Lia, was ist denn los?”
Lia schluckt die Tränen hinunter und braucht einige Anläufe bis sie Sprechen kann.
“Jeremih. Ers da drin. Mit einem Mädchen. Eng tanzend und küssend”, bringt sie hervor.
“Ach du Scheiße, wir müssen sofort weg von hier”, sagt Sharon, nimmt ihre Hand und drückt sie.
An den Rest des Abends kann Lia sich nicht erinnern. Sie weiß noch wie Sharon die ganze Rückfahrt ihre Hand gehalten hat und wie sie ihr ins Bett geholfen hat und wie oft sie gesagt hatte das er sie nicht verdient.
Am nächsten Morgen wacht Lia von einem schrillen Ton auf. Ihr Kopf brummt, ihr Mund ist ausgetrocknet und desorientiert geht sie an ihr Handy.
“Lia ? Willst du mich jetzt komplett verarschen? Habe ich dir erlaubt bei Sharon zu schlafen? “, fragt ihre Mutter wütend, fast schreiend.
Lias Kopf dreht sich und sie weiß zuerst nicht wer dran ist.
“Jaja Mama ich bin gleich da”, sagt Lia und drückt genervt ihre Mutter weg.
Kaum hat sie aufgelegt, schläft sie wieder ein und Träumt davon das das Mädchen mit dem Jeremih so getanzt hat, sie ist..
„Und wie war’s?“, fragt mich meine Mutter. Wir sitzen gemeinsam beim Abendbrot. Mit der Frage meint sie den Abend. DEN Abend. Den, an dem ich Drogen genommen habe und in diesem komischen Hotelzimmer aufgewacht bin. Aber das kann ich meiner Mutter natürlich nicht erzählen. Das ist einfach zu enttäuschend.
„Ganz nett“, antworte ich deswegen nur.
„Schön!“
Es wundert mich, dass meine Mutter offensichtlich so gar nicht sauer auf mich ist. Ich kann das nicht verstehen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob das nicht vielleicht alles nur vorgetäuscht ist. Vielleicht kann sie mir aus irgendeinem Grund einfach nicht sagen, wie sehr ich sie enttäuscht habe. Aber warum sollte das so sein?
„Warum bist du nicht sauer auf mich?“ Die Frage ist mir irgendwie einfach so rausgerutscht. Der Gedanken war da und plötzlich habe ich ihn auch ausgesprochen.
„Warum sollte ich denn sauer auf dich sein? Du darfst doch abends weggehen, wenn du magst. Ich freue mich doch sogar darüber, dass du endlich mal was mit Freunden machst. So wie andere in deinem Alter.“
„Aber … du hast doch gesagt, du kannst nicht verstehen, wie Jugendliche ihr Leben so wegschmeißen können und gar nichts für die Schule tun können und so!“
„Klar. Aber das ist doch was anderes. Nur weil man mal was mit Freunden macht, schmeißt man sein Leben noch lange nicht weg! Man muss den Mittelweg finden, Jarmo!“
Ja? Muss man das? Habe ich das bis jetzt einfach nur noch nicht gesehen? Habe ich meine Mutter vielleicht sogar bis jetzt immer enttäuscht, gerade weil ich nicht weggegangen bin? Ach, ich verstehe das nicht. Das ist einfach alles so kompliziert. Ich habe fast das Gefühl, man kann die Sachen nur falsch machen!
„Du Mama, ich gehe jetzt ins Bett. Ich hab ein wenig Kopfschmerzen.“
„Brauchst du eine Tablette? Soll ich irgendwas für dich tun?“
„Nein, nein. Alles gut. Ich brauche nur ein bisschen Schlaf, denke ich. Gute Nacht!“
„Gute Nacht, Jarmo!“
Sie gibt mir noch einen Kuss und dann verschwinde ich schnell in mein Zimmer. In Wirklichkeit habe ich keine Kopfschmerzen. Eigentlich geht es mir gut. Nur die komischen Gedanken, die sich dauernd in meinem Kopf drehen, gehen einfach nicht weg. Ich denke ja generell schon dauernd irgendwelche Scheiße. Oder an sie, mein Mädchen. Und jetzt kommt auch noch meine Mutter dazu, mit ihren Ansichten von Leben wegschmeißen oder nicht. Und natürlich der Abend mit den Drogen. An den denke ich auch dauernd.
Schon seit ich danach wieder zu Hause bin, überlege ich, Ben eine SMS zu schreiben. Ich wunder mich eh schon, dass er sich nicht meldet. Warum ist er nicht in dem Hotelzimmer geblieben? Warum war da dieses komische Mädchen? Und warum fragt er nicht mal danach, wie es mir geht?
Wahrscheinlich bedeute ich ihm eigentlich gar nichts. Wahrscheinlich macht er sich mit seinen neuen Freunden schon längst lustig über mich und darüber, wie wenig ich doch vertrage.
Nein! Solche Gedanken sollte ich mir nicht machen! Ben ist mein allerbester Freund. Und das schon seit dem Kindergarten! Sowas ändert sich auch nicht. Auch wenn er jetzt vielleicht ein anderes Leben führt als ich und komische Freunde hat. Ich bin immer noch der beste von seinen Freunden!
Ich lege mich auf mein Bett.
Und Sekunden später hole ich mein Handy doch aus der Tasche und schreibe ihm:
19:18 : hey wollt nur fragen wies dir geht und was du so machst
Das war zwar nicht ganz das, was ich wirklich wissen wollte, aber fragen, warum er einfach weg war, das ist halt nicht so einfach. Davon wäre er wahrscheinlich nur noch mehr genervt. Wenn er denn jetzt überhaupt genervt ist.
Ich gucke alle paar Sekunden auf mein Handy. Aber keine neue Nachricht.
Oh Mann, wie schnell soll er denn auch antworten? Ich mache mich die ganze Zeit doch nur selber verrückt!
Also setze ich mich an meinen Schreibtisch und schlage mein Mathebuch auf. Mathe lenkt mich sonst auch immer gut ab. Ich mag Mathe. Ich mag Zahlen. Die sind irgendwie einfacher zu verstehen als Menschen. Man muss nur wissen, wie man da rangehen muss und schon bekommt man alle Probleme gelöst. Nicht so wie im echten Leben.
Geben Sie eine Parametergleichung und eine Koordinatengleichung der Ebene E an, die die Punkte A, B und C enthält.
a) A(1/2/-1) B(6/-5/11) C(7/9/18)
b) A(2/3/9) B(7/4/-3) C(8/4/-4)
Warum bekommen wir auch immer so alte Bücher, die schon tausend Leute vor einem hatten! Die Aufgabe konnte ich nicht weiterlesen. Jemand hatte die einzelnen Punkte mit schwarzem Filzstift übermalt. Daneben steht
Make Love, not Maths <3
Liebe. Überall Liebe. Selbst in meinem Mathebuch finde ich Liebe!
Ich würde auch gerne Liebe machen. Dann bräuchte ich mich nicht mehr die ganze Zeit mit Mathe beschäftigen. Wenn ich doch nur endlich dieses verdammt perfekte Mädchen kennenlernen kann! Warum dauert das auch so lange? Warum darf man auch so lange keinem davon erzählen?
Sie ist einfach toll! Wie kann man erwarten, dass ich mich dann noch auf andere Sachen konzentrieren kann?
Don't know much about geography
Don't know much trigonometry
Don't know much about algebra
Don't know what a slide rule is for
But I do know that I love you
And I know that if you love me too
What a wonderful world this would be
(Sam Cooke – Wonderful World)
Der Text eines der schnulzigen Liebeslieder, die wir dauernd in Musik singen müssen, fällt mir ein. Und ich schreibe ihn neben die zugekritzelte Aufgabe in das Mathebuch. Passt doch!
Ich muss grinsen. Soll niemand von mir behaupten, ich wär immer nur ein Streber. Streber malen nicht in Bücher!
Und eigentlich male ich auch nicht in Bücher… Eigentlich traue ich mich das gar nicht. Und eigentlich will ich das auch gar nicht. Aber ich habe immerhin keine Aufgabe weggekritzelt. Man kann noch ordentlich mit dem Buch arbeiten! Und ich habe es auch nur mit Bleistift geschrieben.
Trotzdem radiere ich es nicht wieder weg. Seit ich weiß, dass ich mit einem perfekten Mädchen zusammenleben werde, gibt es einfach wichtigeres im Leben als Mathe. Mathe ist zwar schon auch wichtig und irgendwie schon auch schön. Aber nicht ganz so schön wie sie!
Ich male noch ein Herz zu meinem Liedtext und schreibe ein K hinein. K für Katharina. Mein Mädchen.
Katharina und Jarmo. K + J.
Und da kommt mir eine Idee. Ich grinse schon wieder und laufe grinsend aus meinem Zimmer.
„Bin noch mal kurz weg, Mama!“, rufe ich ihr zu.
„Geht es deinem Kopf wieder besser?“, fragt sie, aber ich antworte nicht. Ich stehe schon draußen. Dort binde ich mir vor der Tür noch schnell die Schnürsenkel meiner Schuhe zu. Meine Sportschuhe habe ich angezogen. Und dann jogge ich los.
Das habe ich lange nicht mehr getan. Früher war ich dauernd draußen unterwegs und am Laufen. Aber irgendwie habe ich damit aufgehört. Ich weiß gar nicht mehr genau, warum, denn kaum bin ich losgelaufen, fühle ich mich schon wieder besser. Mein Kopf fühlt sich nicht mehr ganz so voller Mistgedanken an. Er wird freier. Alles an mir wird freier. Ich fühle mich einfach gut.
Es ist zwar ein wenig kalt und dämmert auch schon, aber das macht nichts. Vor der Dunkelheit habe ich noch nie Angst gehabt.
Nach ungefähr einer Viertelstunde werde ich langsamer. Ich lehne mich an eine alte Eiche. So richtig viel Kondition habe ich doch nicht mehr. Ich hätte mal mehr trainieren sollen in letzter Zeit, denke ich. Und nehme mir vor, wieder regelmäßig laufen zu gehen. Aber für den Moment ist die Kondition egal, ich wollte eh nur bis hier hin.
Ich gehe um den Baum herum, fasse an seine Rinde und gucke ihn mir genauer an. Es ist ein wirklich alter Baum, er ist groß und sieht mächtig aus. „Wie lange der hier wohl schon steht?“, frage ich mich. So genau weiß ich nicht, wie alt solche Bäume werden können. Aber sicher ist, dass er schon einiges mehr erlebt hat als ich in meinem Leben. Und es kann auch gut sein, dass er noch mehr erleben wird als ich es je tun werde.
Als ich kleiner war, habe ich mit meiner Mutter manchmal Spaziergänge hier gemacht. Daher kenne ich mich ganz gut aus. Und damals hat es mir genau dieser Baum angetan. Denn sein Stamm ist der dickste von allen, er ist größer als die anderen und die Äste wachsen in komischen Formen. Früher habe ich mich oft an den Stamm gelehnt, nach oben in die Blätter geguckt und ganz viele verschiedene Sachen entdeckt. Ein Ast, der die Form einer Waffe hat. Blätter, die aussehen wie Gesichter. Äste, die aussehen wie Menschen, die sich umarmen. Manchmal auch Tiere. Elefanten, Hunde und ganz oft Dinosaurier. Tyrannosaurus, Raptorex, Allosaurus und mein Lieblingsdinosaurier, der Stegosaurus. Ja, ich war ein richtiger Dino-Experte. Und der Gedanke bringt mich fast zum Lachen. Oh Mann, ich sollte mich besser darauf konzentrieren, warum ich jetzt hier bin. Jetzt bin ich älter. Und habe nicht mehr wirklich was mit Dinos zu tun. Komisch, dass ich trotzdem noch alle Namen auswendig weiß…
Ich hole das Taschenmesser, das ich dabei habe, aus der Hosentasche und merke dabei, dass es mir so gut geht wie lange nicht mehr. Ich fühle mich frei, ich fühle mich an meine Kindheit erinnert. Und ich bin verliebt.
But I do know that I love you
And I know that if you love me too
…
Oh scheiße! Ich hab gar nicht gemerkt, wie ich angefangen habe, zu singen. Erstens kann ich überhaupt nicht singen und zweitens ist das Lied eigentlich total bescheuert und überhaupt nicht mein Geschmack! Ich gucke mich um. Zum Glück ist niemand da. Das wär auch extrem peinlich gewesen.
Ich weiß nicht genau, wie viel Zeit vergangen ist, aber ich bin fertig. Zufrieden betrachte ich mein Werk. Eigentlich bin ich in allen künstlerischen Sachen ziemlich unbegabt, aber dafür habe ich das hier ganz gut hinbekommen, finde ich.
In die Rinde der alten Eiche habe ich ein großes Herz geritzt und darin steht K + J. Das Herz ist vielleicht etwas unförmig und mein K bin ich ein bisschen abgerutscht, aber man erkennt es deutlich.
„Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich dich angeschnitten habe, Baum. Ich hab es auch mit ganz viel Liebe getan“, sage ich, betrachte das Kunstwerk nochmal und laufe langsam wieder nach Hause.
Den ganzen Weg bis dahin denke ich immer abwechselnd: „Katharina, ich liebe dich!“ und „OH GOTT, ich bin verrückt! Ich rede mit Bäumen!“
Als ich mich in meinem Zimmer wieder auf mein Bett werfe, ist es 20:22 Uhr. Keine Nachricht von Ben. Naja, egal. Wenn er nicht will, dann will er nicht. Ich für meinen Teil bin glücklich.
“Also das gefällt mir nicht”, sagt Anna, während Lia sich über ihre Zeichnungen beugt.
“Oh Mama, hör auf mich zu beobachten, dich geht gar nichts an was ich hier zeichne”, sagt Lia, während sie mit hochrotem Kopf schnell ihrer Zeichnungen wegpackt.
Ihr ist es peinlich, dass ihre Mutter sie beobachtet hat. Was macht sie das auch? Hat sie nichts anderes zu tun? Irgendwelchen Bürokram?, denkt Lia sich und geht aus ihrem Zimmer raus. Ihre Mutter geht ihr hinterher.
“Lia, du redest immer davon das ich mich mehr um euch kümmern soll und wenn ich es versuche, reagierst du so! Du weißt doch gar nicht was du willst”, sagt Anna, während Lia in die Küche flüchtet.
“ Mama, das habe ich das letzte Mal gesagt als ich 15 war. Findest du nicht auch, dass deine Aufmerksamkeit ein wenig zu spät kommt?”, fragt Lia Anna, während sie sich ein Joghurt schnappt und sich zu ihrer Mutter umdreht.
Ihre Mutter sieht sie an. Doch nicht direkt sie, sondern durch sie hindurch. So schaut sie immer wenn sie an ihrem Schreibtisch sitzt bei der Arbeit. War Lia für sie auch nur lästige Arbeit?, fragt sie sich.
“Lia, ich bitte dich, ich versuch mir doch Mühe zu geben, doch ich merke das du das nicht zu schätzen weißt”, sagt Anna mit brüchiger Stimme. Lia verschluckt sich fast an ihrem Joghurt. Wann hatte sie ihre Mutter jemals so traurig gehört? Noch nie.
Lia schüttelt den Kopf. Ihre Mutter hatte nie Mitleid mit ihr als sie klein war und geweint hat als niemand mit ihr gespielt hat. Jetzt hat sie auch kein Mitleid mit ihrer Mutter.
“Stell dich nicht so an. Ich bin alt genug. Für Interesse und Zuneigung ist es leider zu spät”, sagt Lia während sie ihren noch halbvollen Joghurt in den Müll wirft. Ihr Appetit ist ihr gründlich vergangen.
Lia ist genervt und hat höllische Kopfschmerzen und will aus der Küche raus gehen, aber ihre Mutter packt sie fest am Griff.
“Bitte Lia, ich hab mir extra frei genommen nur für dich. Wollen wir nicht was zusammen machen?”, fragt ihre Mutter schon fast flehlich.
Lia muss sich ein lachen verkneifen. Wie lächerlich doch ihre Mutter war!
“Bestimmt nicht, ich habe besseres zu tun, als mich mit dir zu treffen. Und außerdem weiß ich das du in weniger als einer Stunde eh wieder von einen deiner Arbeitskollegen angerufen wirst”, sagt Lia. Sie schluckt selber über ihre Grobheit und der Schmerz der über das Gesicht der Mutter huscht wirft sie kurz aus dem Konzept und sie will sich entschuldigen, als ihre Mutter bitterböse meint: “ Ich kann nicht glauben das du meine Tochter bist”. Böse. Kalt. Ohne ein Hauch von Reue. Lias Kopf dreht sich, sie reißt ihren Arm aus dem griff ihrer Mutter. Sie stolpert die Treppen hoch. Sie hört nicht die Entschuldigungen ihrer Mutter und wie sie ihr hinter her rennt. Sie hört nicht das verzweifelnde Klopfen an der abgeschlossenen Zimmertür und die tausend Entschuldigungen die ihre Mutter immer und immer wieder wiederholt.
Sie dreht die Musik auf bis es in den Ohren weh tut und schlüpft in ihre Jogginghose einen Top und ihre Trainigsjacke und Schuhe und klettert aus ihre Zimmer. Sie wohnt im ersten Stock das war echt hoch, aber sie hat sich daran gewöhnt an der Regenrinne hoch- und runterzuklettern.
Sie holt ihr Handy raus, steckt sich ihre Kopfhörer in ihre Ohren und rennt los.
Sie weiß nicht wann sie das letzte Mal gejoggt ist. Früher war sie eine hervorragende Läuferin gewesen. Sie hatte sogar einige Pokale bei sich zuhause stehen. Als sie dann in die Pubertät gekommen ist, fand sie es langweilig und sie hatte andere Hobbys für sich entdeckt. Sie lief so schnell sie konnte ohne Pause zu machen. Je schneller und länger sie lief, desto ruhiger wurde sie.
Obwohl sie wusste, das ihre Mutter als Mutter versagt hat, tut es ihr trotzdem manchmal noch sehr weh, wenn sie solche Sätze zu ihr sagt.
Sie war auch nicht gerade nett zu ihr, aber was sollte dieser Satz?
Denkt ihre Mutter wirklich ihr gefällt die Situation? Nein, bestimmt nicht. Doch ihre Mutter hat sie zu sehr verletzt. Lia konnte nicht einfach was mit ihr machen.
Und dann erst Jeremih. Sie weiß nicht was bei ihm schief gelaufen ist. Sie kann es nicht begreifen. Das Bild von ihm und den Mädchen geht ihr nicht aus dem Kopf. Er war ihr versprochen verdammt und sollte sich nicht für irgendwelche Schlampen da rummachen. War sie etwa eifersüchtig? Aber sie mochte ihn doch gar nicht!
Aber es geht ums Prinzip, er gehörte ihr. Punkt,Aus,Ende.
Nach fast einer Stunde bleibt Lia keuchend und mit wackeligen Füßen stehen. Ihr war unendlich heiß und ihr Gesicht brennt und sie schlüpft aus ihrer Jacke und geht noch weiter, damit sie nicht umkippt. Sie schaut sich um und wundert sich wo sie lang gelaufen ist.
Oh Gott, bin ich etwa beim Hotel gelandet?, fragt sie sich und sie hat recht. Vor ihr leuchtet das schäbige Schild des Hotels. Sie fragt sich wie sie hier her gekommen ist und setzt sich auf die Bank des Hotels. Sie wischt sich den Schweiß von der Stirn und lehnt sich zurück. Soll ich reingehen und gucken ob Jarmo da ist?, denkt sie kurz, aber verwirft den Gedanken sofort. Als wenn Jarmo hier wäre, sie hat seinen Gesichtsausdruck gesehen als er sich im Zimmer umgeguckt hat. Er wollte so schnell wie möglich weg aus diesem Dreckszimmer.
Lie atmet tief durch, stellt ihr Musik leiser und auf ein ruhigeres Lied und lehnt ihren Kopf zurück und starrt in den Himmel.
Ich schlage die Augen auf. Das erste, an das ich denke, ist: „Hä? Was ist los? Wo bin ich?“ Achso, in meinem Bett. In meinem Zimmer. Es ist halb 10. Die übliche Verwirrtheit am Morgen, das ist ja nichts Ungewöhnliches.
Ich setze mich aufrecht hin und überlege, ob ich jetzt aufstehen soll oder lieber doch noch ein wenig liegenbleiben. Ich taste neben dem Bett nach meinem Handy.
3:24 : alles super bei mir
Eine Nachricht von Ben. Na super! Mitten in der Nacht nimmt er sich mal 2 Sekunden, um auf meine SMS zu antworten. War wahrscheinlich eh wieder feiern. Und Drogen nehmen.
Und er fragt mich noch nicht mal, wie es mir geht oder irgendwas! Ach, warum mache ich mir darüber eigentlich Gedanken? Ist doch seine Sache, was er macht und mit wem er schreiben will oder nicht.
Genervt schlage ich meine Bettdecke zurück und stehe auf.
Nach dem Duschen fühle ich mich schon deutlich fitter und jetzt bemerke ich auch den Zettel, der auf dem Esstisch liegt. Meine Mutter schreibt wirklich unheimlich gerne irgendwelche Zettelchen.
Guten Morgen, Jarmo! Ich hoffe, du hast schön geschlafen.
Nach der Arbeit treffe ich mich noch mit Tina. Kann also später werden. Wenn du heute Abend auch weggehst, schreib mir doch bitte einen Zettel, damit ich mir keine Sorgen mache.
Ach und kannst du vielleicht einkaufen gehen? Die Einkaufsliste hängt am Kühlschrank. Bring den Kassenbon mit, dann geb ich dir das Geld heute Abend zurück.
Danke und schönen Tag, Mama <3
So so, trifft sie sich also mit Tina, ihrer besten Freundin. Ich hatte mir zwar gedacht, dass wir heute Abend vielleicht zusammen fernsehen könnten oder sowas. Das haben wir lange nicht mehr gemacht. Aber na gut, mir soll das so auch recht sein.
Auf jeden Fall finde ich es im Moment ganz gut, dass sie mich darum bittet, einkaufen zu gehen. So habe ich heute wenigstens was zu tun und sitze nicht den ganzen Tag rum und langweile mich. Ich muss natürlich auch noch einiges für die Schule tun und das werde ich auch noch, aber erstmal rausgehen und einkaufen ist auch nicht das schlechteste.
Also gehe ich zurück in mein Zimmer, ziehe mir eine Jacke über und stecke mein Handy auf die Tasche. Dabei gucke ich noch kurz, ob mir jemand geschrieben hat. Ben zum Beispiel. Hat er aber nicht. Aber warum auch, er hat ja auf meine SMS geantwortet. Für ihn reicht das offensichtlich. Ich habe nicht vor, ihm nochmal zu schreiben. Aber ob ich mich auch länger daran halten kann, weiß ich nicht. Meistens laufe ich dann doch allen möglichen Leuten hinterher.
Naja, egal. Ich greife meinen Schlüssel vom Regal und … eigentlich auch mein Portmonee. Das sollte genau hier liegen. Neben dem Schlüssel. Ich lege es da immer hin, wenn ich nach Hause komme. Auch wenn es sicherlich Leute gibt, die ordentlicher sind als ich, passe ich doch schon auf, dass ich nichts verliere. Und bestimmte Sachen gehören einfach an bestimmte Orte. Und dann sind sie da auch.
Also werde ich immer schnell panisch, wenn das nicht so ist. Ich gucke mich in meinem Zimmer um. Kein Portmonee auf der Fensterbank. Nicht im Regal. Ich durchwühle mein Bett. Unter der Decke vielleicht? Oder unter dem Kissen? Nein. Vielleicht unter dem Bett? Auch nicht.
Ich werde hektischer. Und versuche mich trotzdem zu beruhigen. Es gibt ja immer noch viele Möglichkeiten, wo es sein könnte. Zum Beispiel im Wohnzimmer. Oder in der Küche. Oder … Es klappt nicht, ich werde nicht ruhiger. Ich weiß doch ganz genau, dass es da nicht liegen wird. Wenn es nicht in meinem Zimmer ist, dann ist es hier auch nicht.
Aber wo sollte es dann sein? Hat es mir jemand geklaut? Aber wann? Oder habe ich es irgendwo liegenlassen? Aber sowas mache ich eigentlich nicht!
Ich lasse mich auf mein Bett fallen. „Ruhig bleiben!“, sage ich mir. Nachdenken, nicht die Nerven verlieren.
Nicht die Nerven verlieren klappt nicht ganz so gut. In meinem Portmonee sind alle wichtigen Dinge! Mein Ausweis, EC-Karte, Krankenkassenkarte, Busfahrkarte, das Geld ist dabei fast nur Nebensache. Obwohl es auch wichtig ist!
Ich versuche trotzdem nachzudenken und überlege, wann ich es denn das letzte Mal sicher dabei hatte.
Beim Feiern? War das wirklich das letzte Mal? Hatte ich es danach nicht vielleicht nochmal?
Ich will diesen Gedanken nicht wahrhaben! Das kann doch nicht sein, dass mir das auch noch da passiert ist! Nicht genug dass ich Drogen genommen habe, jetzt hat mir da auch noch jemand das Portmonee geklaut! Sofort denke ich an Ben. Er wird doch nicht etwa … Vielleicht meldet er sich ja deswegen nicht mehr bei mir. Vielleicht schämt er sich dafür.
Nein! Nein! Nein! Sowas darf ich nicht denken! Er ist mein Freund, auch wenn er in letzter Zeit komisch ist. Warum sollte mein Freund mir mein Portmonee klauen? Das macht man nicht! Das macht nicht mal Ben! Der klaut bestimmt nichts. Und erst recht nicht mir.
Wahrscheinlich habe ich es einfach irgendwo liegenlassen. Vielleicht ja in diesem Hotel! Vielleicht hat es auch das Mädchen mitgenommen, von dem ich gar nicht mehr weiß, wie sie heißt.
Ich versuche, an diese Theorie zu glauben. Allein schon, um das Verschwinden meines Portmonees nicht in irgendeiner Form mit Ben in Verbindung zu bringen.
Also werde ich wohl zu dem Hotel fahren müssen und nachfragen, ob jemand was gefunden hat. Naja, ich hab ja eh nichts anderes zu tun. So ganz ohne Geld kann ich auch nicht einkaufen gehen. Aber das will ich unbedingt! Ich kann ja meine Mutter nicht schon wieder enttäuschen.
Aus meinen Hosen- und Jackentaschen krame ich mit Mühe und Not noch 4,76 ¤. So kann ich mir wenigstens eine Fahrkarte leisten, meine Monatskarte ist ja auch weg.
Während ich etwa 20 Minuten später aus dem Busfenster schaue und den Regentropfen zugucke, werde ich allmählich wieder ruhiger. Ich kann ja eh nichts mehr tun als hoffen, dass ich mein Portmonee finden werde.
Die Wassertropfen perlen an der Scheibe ab, ich beobachte, wie sie nach unten laufen, eine nach der anderen. Manchmal holen sich zwei ein und vereinen sich. Die beiden gehören dann zusammen. Und wie ich da so sitze, gelangen meine Gedanken wieder zu Katharina und mein Körper entspannt sich endgültig. Ob ich mein Portmonee finden werde oder nicht, es gibt Wichtigeres im Leben. Katharina mit ihren wundervollen Augen ist wichtiger als alles andere.
Lia wird erst aus ihren Gedanken gerissen, als die ersten Regentropfen auf ihr Gesicht fallen. Sie öffnet blinzend die Augen. Dunkle Wolken sind aufgezogen und bedecken den Himmel. Aus vereinzelten Tropfen wird ein Regenschauer und Lia schlüpft schnell ins Hotel. Sie schaut sich um. Keiner steht an der Rezeption, nur das Radio war im Hintergrund an. Sie seufzt, setzt sich ans Fenster und starrt in den stömenden Regen raus.
Der Regen hat was tröstliches und sie kritzelt auf einem Stück Papier herum.
Ein ruhiges, trauriges Lied wird im Radio gespielt und Lia lehnt ihren Kopf an die kühle Scheibe und schließt die Augen.
I dont mind spending everyday
Out on your Corner in the pouring rain
Look for the girl wirth the brocken smile
Ask her if she wants to stay awhile
And she will bei loved
She will bei loved
(Maroon 5- She will bei loved)
Lia seufzt. Sie fühlt sich ungeliebt, unverstanden und einsam. Sie will wie in dem Songtext einfach geliebt werden. Selbst das ist zu viel verlangt.
Die Tür geht auf doch Lia öffnet die Augen nicht. Sie bleibt so sitzen. Ihr ist es egal wer da ist.
Die Person räuspert sich und Lia öffnet die Augen. Jarmo. Ihr bleibt fast das Herz stehen. Was zum Teufel macht er hier?
Er sieht sie genauso überrascht an. Sie starren sich an.
Look for the girl wirth the brocken smile
Als wenn dieser Satz Lia aufwecken würde steht sie langsam auf und bring ein kleines Lächeln zustande.
“ Was machst du hier?”, fragt sie ihn.
Er schaut wieder schnell weg und geht an die Rezeption. “ Ich suche mein Portmonee und ich denke das es hier sein müsste. Oder?”, fragt er Lia und dreht ich kurz zu ihr um.
Achja, das Pormonee, stimmt. Als sie ihn ins Bett gebracht hat, hat sie es auf das Regal gelegt. Und? Sie hat es ihn vergessen wiederzugeben.
“Ach Scheiße, stimmt es müsste noch auf dem Regal liegen, wenn ich mich nicht irre”, sagt sie und guckt sich unsicher im Raum um.
Eine Weile sagt er nichts, dreht sich dann doch zu Lia um, schaut sie skeptisch an und sagt: “Okay.” Er schaut sich suchend nach der Klingel um und Lia kommt an die Tresen, beugt sich vor und erwischt die Klingel sofort. Ein dröhnendes Klingeln ertönt.
Sie beobachtet ihn unauffällig. Er war ein wenig nass, aber nicht so, als wenn er den ganzen Weg hierhergelaufen ist. Seine größe überrascht sie wieder aufs neue und sie muss hochgucken um in sein Gesicht zu gucken, was angestrengt auf das Bild an der Wand starrt. “ Bist du zu Fuß hergekommen?”, fragt Lia trotzdem. Irgendwas musste sie ihn doch fragen oder?
“Nein, ich bin mit dem Bus hergekommen”,sagt er und schaut zu ihr herunter und mustert sie.
Lia wird unsicher und fragt sich was er wohl über ihre Sportklamotten denkt.
Er tippt nervös mit dem Fuß auf den Boden rum.
Lia versteht sofort, beugt sich noch mal vor und drückt die Klingel. Nach einigen Sekunden ruft jemand “ Bin sofort da.” Jarmo seufzt erleichtert und verschrenkt die Arme vor der Brust.
“ Hast du es so eilig?”, fragt Lia ihn.
“Ja, eigentlich schon. Ich sollte für meine Mutter einkaufen”, sagt er und schaut ihr in die Augen. Sie lächelt. Er schaut ihr endlich mal in die Augen!
Die freude ist von kurzer dauer. Er starrt wieder auf das Bild an der Wand.
“Aber bei so einem Regen kommst du nicht weit. Entweder du musst warten bis der Regen aufhört oder noch ne halbe Stunde warten bis der Bus kommt”, sagt Lia während sie raus guckt in den strömenden Regen.
Jarmo schüttel den Kopf und vergräbt sein Gesicht in den Händen.
“Das war so klar das so was passiert, ich habe auch nichts anderes erwartet”, sagt Jarmo. Eine kleine, etwas ältere Frau kommt endlich an die Tresen.
“Was kann ich für euch beiden tun?”, fragt sie freundlich.
“Ich habe hier letztens mein Portmonee vergessen, haben sie es vielleicht gesehn”, fragt Jarmo verzweifelnd.
“Ja, das habe ich. Einen Moment bitte”, sagt sie und verschwindet wieder. Nach eine Minute kommt sie mit einem schwarzen simplen Portmonee zurück.
“Ist es das?”, fragt sie während sie es aufklappt. Jarmo seufzt erleichtert auf und ein lächeln huscht über sein Gesicht.
Sein Lächeln ist schön. Es lässt ihn nicht mehr so ernst und erwachsen wirken. Es lässt ihn um Jahre jünger aussehn.
“Ja, das ist es”, sagt er und streckt seine Hand nach dem Portmonee aus.
Die Frau gibt ihm das Portmoee noch nicht.
“Was haben sie alles im Portmoee drin? Ich muss ja sicher gehen”, sagt sie Augenzwinkernd zu mir und kann mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen.
Jarmo seufzt genervt. Er zählt sein Geld auf und seinen ganzen Karten und als die Frau seinen Ausweis rausholt, sagt er sein Geburtsdatum seine Adresse und wie groß er ist.
Lia merkt sich alles was er sagt. Sie weiß nicht wieso, aber sie geht die Daten alle noch mal im Kopf durch.
Die Frau gibt Jarmo das Portmonee. “Okay, ich gehe mich ein wenig hinlegen, wenn was ist ihr Klingelt noch mal okay?”, sagt sie und ohne die Antwort abzuwarten ist sie auch schon wieder verschwunden.
Jarmo klappt sein Portmonee trotzdem noch mal auf und kontrolliert alles. Er packt es erleichtert weg und setzt sich auf den Stuhl wo Lia gesessen hatte und Lia setzt sich ihm gegenüber. “ Der Regen soll aufhören, ich muss zuhause sein bis meine Mutter wieder da ist”, sagt er und starrt in den Regen raus. Ihr fällt auf das ihr Zettel mit der Zeichnung da liegt und sie bricht in Panik aus. Niemand weiß das sie Zeichnet. Nichtmal Lisa.
Als wenn Jarmo gemerkt hat wo sie hinguckt, schaut er auf die Zeichnung. Lias Herz setzt einige Schläge aus und er nimmt die Zeichnung in die Hand. Auf der Zeichnung waren schöne große Augen zu sehn. Perket gezeichnet. Lia merkt wie sie rot wird und reißt fast die Zeichnung aus Jarmos Hand und stopft sich sie in ihre Hosentasche. Jarmo lacht fröhlich. Sie schaut schnell weg und muss auch lachen. “ Du kannst gut zeichnen”, sagt er und sie schaut ihn an. “ Meinst du wirklich?”, fragt sie ihn unsicher und er nickt ernst. Jetz muss sie lachen. Jarmos Blick gleitet kurz auf ihre Lippen, aber er schaut schnell wieder raus und Lia merkt wie schnell ihr Herz schlägt. “Hast du auch eine heimliche Begabung?”, fragt sie ihn, wärhend sie auch rausguckt….
„Ich schreibe Gedichte“, antworte ich dem Mädchen, das vor mir sitzt.
Habe ich das jetzt wirklich gesagt? Das ist doch unglaublich. Das ist irgendein Mädchen, die wahrscheinlich Drogen nimmt oder zumindest ein komisches Leben führt und dann auch noch daran Schuld ist, dass mein Portmonee hier rum lag! Warum erzähle ich gerade ihr davon? Noch nie habe ich das jemandem erzählt, nicht mal meiner Mutter. Aber was fragt das Mädchen auch so komische Fragen!
„Zeigst du mir eins?“ Ich glaube, mein Gesichtsausdruck entgleitet mir bei dieser Frage ziemlich, sofort danach sagt sie: „Ach was, tschuldige, das war blöd von mir. Vergiss es.“
Ich vergesse es lieber auch. Und wundere mich weiter über sie. Zum Beispiel darüber, warum sie hier so dumm rumsitzt. Das scheint ja so, als wenn sie den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hat als in diesem Hotel rumzuhängen. Aber vielleicht hat sie das ja auch nicht.
Sie scheint meine Gedanken erraten zu haben, verdammt. Schon als Kind konnte jeder schon durch mich hindurchsehen und wusste sofort, was ich denke. Auf jeden Fall erzählt mir das Mädchen jetzt, dass sie hier nur zufällig vorbeigekommen ist. Beim Joggen. Darum also die Sporthose und das noch leicht rote Gesicht, was sie irgendwie total unperfekt aussehen lässt. Aber naja, wen interessiert das schon.
„Achso“, sage ich. Und dann schiebe ich noch hinterher, weil sie sich offensichtlich ordentlich mit mir unterhalten will, auch wenn ich gar keine Zeit habe: „Ich gehe auch manchmal joggen.“
„Echt? Macht’s dir Spaß?“
„Schon ja. Ich fühle mich frei dabei.“
Ich bin froh, dass wir jetzt bei einem Thema sind, bei dem ich mich zumindest ein wenig auskenne. Auch wenn mir das alles doch ein wenig unangenehm ist. Ich mag es nicht, vor anderen Leuten zuzugeben, wie ich mich fühle. Vor allem wenn es Leute sind, die ich nicht kenne. Wahrscheinlich erkennt man auch schon wieder an meinem Gesicht, wie unwohl ich mich dabei fühle. Genau darum gucke ich auch lieber nach draußen als in die Augen des Mädchens.
„Ja, stimmt. Ich mag das auch total. Aber es ist lange her, dass ich das letzte mal richtig joggen war. Ich sollte es wieder öfter machen.“
„Ja, genau so war es bei mir auch. Gestern Abend war ich endlich wieder laufen!“
Schon in dem Moment, wo ich den Satz ausgesprochen habe, bereue ich es. Ich will einkaufen und mich nicht in irgendwelche Gespräche mit irgendwelchen Mädchen verwickeln lassen. Und das will ich ihr auch deutlich machen, also schaue ich deutlich auf mein Handy.
„Ich muss jetzt wirklich los!“
„Es regnet in Strömen, da werden deine bescheuerten Einkäufe doch eh nass!“
Sie versteht es nicht. War ja klar. Warum sollte so ein Mädchen auch verstehen, dass das Leben aus mehr als Drogen besteht?! Trotzdem schaffe ich es nicht, irgendwas Gemeines oder Schlagfertiges zurückzugeben. Ich kann das einfach nicht. Auch wenn ich es mir vielleicht manchmal wünschen würde.
„Naja, aber wenn ich erst beim Supermarkt bin, hat es ja vielleicht aufgehört.“
„Ach, das glaubst du ja wohl selber nicht! Guck doch nach draußen. Wenn es so regnet wie jetzt, dann regnet es schon auch noch länger!“
„Ja … Aber meine Mutter erwartet die Einkäufe doch…“ Ich merke, dass meine Stimme schon fast verzweifelt klingt. Ich bin aber auch verzweifelt. Verzweifelt und enttäuscht von mir, weil ich es schon wieder nicht hinbekomme, so eine einfache Bitte ordentlich auszuführen.
„Immer redest du von deiner Mutter! Die merkt doch auch, dass es regnet! Und sie stirbt schon nicht, wenn sie eine halbe Stunde länger warten muss!“
„Naja, das vielleicht nicht. Aber dann ist sie enttäuscht von mir.“
„Mann! Hör doch mal auf jetzt! Dann geh doch, wenn du meinst, dass das besser ist!“
Jetzt klingt sie echt genervt. Habe ich es also schon wieder geschafft, dass jemand sauer auf mich ist.
„Ok. Tut mir Leid.“
„Nein, nein, nein! Das muss dir doch nicht leidtun, ist doch alles gut!“
Sie berührt mit ihrer Hand meine, die auf dem Tisch zwischen uns liegt, zieht sie aber sofort zurück, als ich den Blick darauf richte. Vielleicht eine Sekunde hat sie mich angefasst, aber an der Stelle spüre ich es auch noch, als ihre Finger nicht mehr da sind. Ich schaue ihr nicht mehr ins Gesicht, aber aus den Augenwinkeln sehe ich, dass sie stur aus dem Fenster schaut. Und vielleicht auch leicht rot ist im Gesicht. Aber es kann auch sein, dass das noch vom Laufen kommt. Schon komisch. Ich verstehe nicht ganz, warum sie ihre Hand auf meine gelegt hat. Oder war das vielleicht nur Zufall?
Wir reden beide nicht mehr, sondern hängen unseren eigenen Gedanken nach. Ein wenig interessiert es mich schon, was sich gerade so in ihrem Kopf abspielt.
In meinem zumindest spielt sich im Moment nicht so viel ab. Sonst kann ich mich gar nicht retten, vor irgendwelchem Mist und jetzt ist da irgendwie nichts Greifbares. Ich beobachte einfach die Regentropfen draußen. Wie sie an der Fensterscheibe hinunterrutschen und wie sie draußen auf die Straße aufprallen, nur um dann wieder ein paar Zentimeter hochzuspringen. Das sieht interessant aus. Ich mag es, wenn es so stark regnet. Dann veranstaltet das Wasser sein eigenes Spiel.
„Dein Bus kommt gleich“, sagt sie und durchbricht damit die Stille. Für einen kurzen Augenblick bin ich verwirrt, irgendwie war ich in Gedanken schon ganz woanders.
„Oh, ok. Dann geh ich mal besser.“
„Ja, wär wohl besser. Sonst wird das heute nichts mehr mit dem Einkaufen.“
Ich weiß nicht, ob das ernst gemeint war oder nicht, aber eigentlich kann es mir auch egal sein. Auf jeden Fall hat sie fast Recht damit. Es muss ja nicht noch später werden.
Ich stehe auf und schiebe meinen Stuhl zurück.
„Also dann, tschüss!“ Ich nicke ihr zu, drehe mich um und gehe los. Nach ein paar Schritten bleibe ich stehen und blicke nochmal zu ihr. „Wenn du jetzt durch den Regen nach Hause rennst, erkältest du dich doch.“ Nicht dass es mir viel ausmachen würde, aber trotzdem kann man es ihr ja mal sagen.
„Ist doch egal. Am liebsten würde ich gar nicht zu Hause ankommen.“
Ich bin mir nicht sicher, ob ich den letzten Teil richtig verstanden habe. Sie spricht so leise, mehr als würde sie nur mit sich selbst reden.
Dann drehe ich mich endgültig wieder um und gehe aus dem Hotel. Der Regen prasselt sofort heftig auf mich ein. Aber das stört mich nicht. Ich denke noch über den letzten Satz des Mädchens nach. Falls ich den denn richtig gehört habe. Aber wahrscheinlich habe ich das nicht. Und auch wenn sie wirklich nicht nach Hause will, dann geht es mich nichts an. Sie kann ja meinetwegen im Hotel bleiben. Vielleicht ist sie ja auch öfter für eine Nacht da. Vielleicht hat sie deswegen auf mich aufgepasst und nicht Ben. Auf mich aufgepasst, wie sich das anhört. Als wäre ich ein kleines Kind.
Der Bus kommt und ich setze mich wieder ans Fenster und schaue hinaus. Eine ältere Frau schaut mich böse an. Vielleicht weil ich den Sitz nass mache, aber das ist mir egal. Ich kann ja auch nichts für das Wetter.
Lia beobachtet wie der Bus immer kleiner wird. Er hat sich kein Mal zu ihr umgedreht. Sie schließt die Augen und hängt ihren Gedanken nach..
Wieso zum Teufel hat sie ihre Hand auf seine gelegt? Sie weiß es nicht, vielleicht war es der Drang den sie die ganze Zeit verspürt hat. Sie wollte ihn anfassen. Seine Reaktion hat sie aber verschreckt und sie hätte am liebsten die Zeit zurückgedreht.
Und wie gut er wieder aussieht. In ihrem Kopf spielt sich immer und immer wieder die selbe Szene ab von seinem Lächeln. Wie gerne sie seine Lippen mit ihren berührt hätte.
Kaum merklich hört es auf zu Regnen und Lia öffnet die Augen. Es ist schon spät am Abend und eigentlich sollte sie sich langsam auf den Weg nachhause machen. Eigentlich.
Sie bleibt sitzen und starrt raus.
“Was ist mit ihnen junge Dame? Es hat doch schon aufgehört zu regen! Wollen sie nicht nachhause? “, fragt die Hotelbesitzerin und Lia schreckt hoch.
“Ehm, ja, eigentlich schon, aber ich weiß nicht so recht”, sagt Lia unsicher und schaut kurz die Frau an und dann auf den Boden.
“Was ist den los ?”, fragt die Frau Mütterlich und setzt sich auf den gegenüberliegenden Stuhl, wo kurz zuvor Jarmo saß.
Und Lia fängt an zu erzählen. Sie erzählt alles über ihre Eltern und ihren Bruder. Wie sehr sie ihren Vater liebt der nie da ist, wie sie ihre Mutter hasst, die fast immer da ist und ihren Bruder den sie nie wirklich kennen gelernt hat.
Wie sehr sie es zuhause hasst und wie sie die Tage zählt bis sie auszieht.
Die Frau hört ihr geduldig zu und stellt keine Fragen bis Lia zu Ende gesprochen hat.
Lia holt schwer atmend Luft und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und holt schwer atmend Luft. Sie kaut auf ihrer Lippe herum die gefährlich zittert.
“Ich weiß wie du dich fühlst, meine Eltern waren genauso. Bis ich 10 war, war alles super, doch dann hat mein Vater eine neue Frau gefunden, hat meinen kleinen Bruder mitgenommen und ich habe nie wieder was von ihm gehört.
Meine Mutter hatte meinen kleinen Bruder immer mehr geliebt, also fing sie an zu trinken und mich zu schlagen. Mit 18 bin ich ausgezogen und seitdem bin ich kein einziges Mal wieder nachhause gegangen”, sagt die Frau und zündet sich eine Zigarette an. Sie bietet Lia auch eine an, die sie dankend annimmt. Der Rauch beruhigt Lia ein wenig und sie schaut die Frau an. Sie war für ihr Alter noch sehr schlank, doch ihr Gesicht war gezeichnet vom Alter. Doch Lia konnte sich gut vorstellen, das sie mal ein wunderschönes Mädchen war.
Die beiden hängen ihre Gedanken nach.
“Und wo kannst du die Nacht schlafen?”, fragt die Frau Lia.
Lia schüttelt den Kopf. Lisa war nicht zu erreichen, bei Kaleb kann sie sich nicht blicken lassen und sonst fällt ihr keiner ein.
“Ich weiß es nicht”, sagt Lia niedergeschlagen und drückt ihre Zigarette aus.
Die Frau ist einige Minuten still doch dann sagt sie: “ Du kannst bei mir schlafen”, steht auf und verschwindet wieder hinter der Rezeption.
Während die Frau weg ist. Überlegt Lia ob sie mitgehen sollte. Die Frau wirkt nett und syphatisch aber zweifeln bestehen trotzdem. Sie seufzt, nimmt ihre Tasche und steht auf. Die Frau kommt wieder und lächelt. “ “können wir”, fragt sie, während sie die Tür hinter den beiden abschließt.
Die Frau heißt Maria, wohnt in einer schönen 2-Zimmer-Wohnung nicht weit vom Hotel entfernt. Lia hat eine schäbige stinkende Wohnung erwartet, was aber nicht stimmt.
Die Wohnung von Maria ist sauber und ordentlich und es riecht nach frischer Wäsche.
Maria bringt sie ins Wohnzimmer und bietet Lia eine Tasse Tee an und gibt ihr ein altes Hemd von ihrem Sohn zum schlafen.
Lia hatte erwartet das sie keine Kinder hat, aber ihr Sohn ist schon längst ausgezogen und besucht ihre Mutter regelmäßig mit seinen Kindern. Einen Mann hat Maria nicht.
Maria geht sofort schlafen, sie sagt sie hatte einen schweren Tag und erlaubt ihr alles zu nutzen.
Lia setzt sich aufs Sofa und lehnt den Kopf in ihre Hände. So bleibt sie eine Weile sitzen, bis ihr einfällt das sie zuhause bescheid sagen soll.
Sie packt ihr Handy aus und starrt den Bildschirm an. Wieso sollte sie bescheid sagen? Wieso?
Doch sie macht es. Sie schreibt ihrem Bruder:
Bin bei Lisa. Sag Mama bescheid.
Kaum eine Minute später schreibt ihr Bruder zurück:
Mama und Papa sind nicht zuhause. Hier ist Party und du bist nicht da! Ha Ha
Lia geht auf diese bescheuerte Nachricht nich ein.
Sie findet das Badezimmer sofort und schlüpft aus ihren Klamotten. Das heiße Wasser prasselt auf ihre nackte Haut und sie fühlt sich endlich ein wenig entspannt und duscht sich fast ne halbe Stunde.
Sie schlüpft wieder in ihre Unterwäsche und zieht das Hemd an. Es riecht gut, nach Waschmittel und es es ist viel zu groß für ihren schmalen Körper.
Sie lässt einige Knöpfe auf und betrachtet sich im Spiegel.
Hätte sie noch längere Haare und wäre ein Stück größer würde sie bestimmt in diesem Outfit verdammt heiß aussehn.
Aber jetzt sieht sie jünger aus als sie ist und ziemlich verloren.
Sie seufzt und als sie rasu kommt, ist das Sofa aufgeklappt eine Decke und mehrere Kissen liegen drauf. Auf den Tisch stehen mehrer Sandwich, auf die sich Lia dankbar stürzt.
Als sie ales bis auf den letzten Krümel verdrückt hat, sucht sie das Zimmer von Maria.
Maria schnarcht und Lia will sie lieber nicht wecken.
Sie geht wieder zurück ins Wohnzimmer, macht das Licht aus und legt sich aufs Sofa.
Sie kann einfach nicht einschlafen und wälzt sich hin und her.
Irgendwann ist sie doch eingeschlafen und träumt..
Lia ist in einem abgedunkelten Raum, ihr ist höllisch warm und die Musik dröhnt ihr in den Ohren. Sie will sich aufrichten, doch eine Hand neben ihr hält sie fest. Jeremih. Er lächelt sie an und zieht sie zu ihn heran. “Noch nicht gehen”, sagt er leise in ihr Ohr und Lia lächelt ihn verführerisch an. Für ihn würde sie immer da bleiben! Er lächelt sie an und zieht sie an sich heran und küsst sie. Seine Lippen sind weich und sanft und er zieht sie auf sein Schoß. Sie kann nicht aufhören ihn zu küssen und eine heiße Welle nach der anderen ihren Körper durchströmt. Sie drückt ihren Körper fester an seinen und flüstert leise seinen Namen. “ Lia”, flüstert er erregt zurück und Lia öffnet feschockt die Augen. Vor ihr sitzt Jarmo und grinst sie frech an. “Wieso so überrascht? Das willst du doch die ganz Zeit”, sagt er lachend und zieht sie wieder an ihn ran.
Lia erwacht keuchend und orientierungslos. Das Hemd klebt ihr schweißnass an ihrem Körper und ihr Herz hämmert nur so gegen ihre Brust. Draußen dämmert es langsam, doch Lia zieht sich in Windeseile um, klappt das Bett zusammen und hinterlässt einen Breif für Maria.
Sie geht aus dem Haus raus und ein angenehmer Wind bläst ihr ins Gesicht. Sie schließ die Augen kurz und fährt sich über die Lippen.
Es fühlt sich so an, als hätte sie wirklich Jarmo geküsst…
Ich sitze im Café und lese mir ungefähr zum sechsten Mal die Eiskarte durch. Schoko- und After-Eight-Becher für 4,90 ¤, Malaga-Becher und Tiramisu-Bisquit für 5,50 ¤, alle möglichen Fruchtbecher mit Früchten, von denen ich noch nie was gehört habe. Und dann noch einige Kindereissorten mit interessanten Namen, wie zum Beispiel Pinocchio-Eisbecher, Donald-Duck-Eis und Biene-Maja-Eis.
Ich bin so aufgeregt und nervös, dass ich gar keinen Gedanken ordentlich zu Ende denken kann. Ich kann im Moment einfach nicht mehr, als mir die Karte angucken und aufpassen, dass ich nicht in einen riesigen Schweißausbruch ausbreche oder aufstehe und im Laden rumhopse.
Immer wieder gleitet mein Blick zur Tür. Immer wenn sie aufgeht, hört mein Herz kurz auf zu schlagen. Denn in ein paar Minuten wird durch genau diese Tür ein ganz bestimmtes Mädchen treten. Nämlich mein Mädchen. Nämlich Katharina.
Heute ist endlich, endlich, endlich der Tag gekommen, an dem ich sie das erste Mal sehen darf. Ein Monat denke ich nun schon an sie, so lange weiß ich schon, dass sie meine Frau sein wird. Das heißt also: Genug gewartet!
Ob wie wohl auch so oft an mich gedacht hat? Vielleicht werde ich sie das fragen. Irgendwann. Wenn ich mich traue. Es muss ja nicht sofort sein, immerhin haben wir noch unheimlich viel Zeit.
„Hallo Jarmo!“
Ich zucke zusammen. Das ist sie! Und ich habe nicht mitbekommen, wie sie durch die Tür gekommen ist!
„Hallo Katharina, schön dich zu sehen!“, sage ich dann und stehe auf.
„Auch schön dich zu sehen!“ Wir setzen uns beide wieder hin. Jetzt gucke ich nicht mehr auf die Karte, sondern nur noch zu Katharina. Ihre Augen strahlen noch viel mehr als auf dem Foto. Ihr Gesicht in allem ist einfach perfekt. Und genau so ist auch ihr Körper. Sie sieht einfach umwerfend gut aus. Schön. Atemberaubend. Und geil.
„Wie geht’s dir?“, fragt sie jetzt. Und sie lächelt. Ihr Lächeln ist der Wahnsinn! Und sie lächelt nur für mich!
„Gut. Ich bin echt froh, dich zu sehen. Und dir?“
„Auch gut. Weißt du schon, was du nimmst?“, fragt sie mich und schlägt die Karte auf.
„Nein, noch nicht genau.“ Ich nehme mir auch eine Karte. Eigentlich unnötig. Immerhin kenne ich das Sortiment vom Biene-Maja-Eis bis zum Schoko-Becher auswendig.
„Dieser Frucht-Becher sieht lecker aus, findest du nicht?“
„Ja, stimmt!“, sage ich. Auch wenn Frucht-Becher eigentlich so gar nicht mein Geschmack sind.
Nach noch ein wenig hin und her haben wir beide was gefunden. Sie wirklich einen Frucht-Becher und ich lieber ein Bananen-Split.
Wir essen, reden und lachen auch viel. Ehrlich gesagt, redet hauptsächlich sie und ich höre ihrer wundervollen Stimme zu und kann immer mal wieder gar nichts sagen. Weil ich entweder total in Gedanken an unsere gemeinsame und bestimmt unglaublich schönen Zukunft versunken bin oder jeden ihrer Gesichtszüge genau betrachte und dann gar nicht mitbekomme, worüber sie gerade spricht.
„Was hast du denn so für Hobbies?“, fragt sie mich jetzt.
Ich hoffe, ich enttäusche sie mit der Antwort jetzt nicht. Ich weiß zwar nicht, was sie erwartet, aber so richtig toll und spannend bin ich nun mal nicht. Geschweige denn so toll und spannend wie sie!
„Naja, ich jogge gerne. Und ansonsten muss ich im Moment viel für die Schule machen. Sind bald Prüfungen.“
An ihrem Gesichtsausdruck kann ich nicht erkennen, was sie darüber denkt. Sie entgegnet zumindest nichts darauf. „Und was machst du so?“, hake ich also nach.
„Ach, dies und das. Ich gehe ins Fitnessstudio und spiele Tennis. Und ich mache unheimlich gerne was mit meinen Freunden, entweder ins Kino gehen oder feiern oder auch zu Hause Filme gucken.“
„Interessant.“ Und ich finde, es wirklich interessant. Weil ich einfach alles interessant finde, was irgendwas mit ihr zu tun hat. Ich möchte alles über sie wissen. Alles. Auch ihre Geheimnisse. Ich will, dass nichts zwischen uns stehen kann.
So richtig Gesprächsthemen außer den allgemeinen Informationen über uns finden wir irgendwie nicht so richtig. Mich stört es aber nicht. Ich bin nicht so gesprächig, oft beschäftige ich mich lieber mit mir selbst und mit meinen Gedanken. Und vor allem jetzt, wo ich Katharina auch einfach nur angucken kann.
Sie sieht das offensichtlich ein wenig anders, denn sie fordert mich auf: „Sag doch auch mal was!“ Die Tonlage lässt das eher als eine Art Scherz rüberkommen, aber wahrscheinlich will sie einfach nicht so gemein oder so rüberkommen, meint es aber schon genau so.
„Ja, was denn?“ Ich weiß, dass das eine eher bescheuerte Antwort ist, aber ich weiß wirklich nicht, was ich da sagen sollte. Ich habe nicht wirklich was zu erzählen. Über mich gibt es nicht so viel zu erzählen.
„Egal. Über deine Familie oder so.“
Ok, das ist kein Problem. Über meine Familie kann ich viel erzählen. Also erzähle ich ihr von meiner Mutter, mit der ich zusammenlebe. Ich erzähle davon, wie sehr ich sie mag und wie gut alles zwischen uns läuft. Dass ich ihr immer vertrauen kann und dass sie mir immer vertrauen kann. Und dann erzähle ich ihr auch noch von meinem Vater, der gestorben ist, als ich noch ganz klein war, und den ich nie wirklich gekannt habe. Und schon komme ich wieder zu meiner Mutter und erzähle Katharina noch alles mögliche andere über sie. Wie sie aussieht, was sie arbeitet, was sie sonst so macht, über ihre Familie und so weiter und so weiter und so weiter.
Zwischendurch macht sie mir immer mal wieder deutlich, dass sie noch zuhört. Manchmal sagt sie was, aber meistens lächelt sie mich nur mit ihrem tollen Katharina-Lächeln an und streicht sich mit der Hand durch die Haare. Ihre Haare sind auch so wundervoll! So lang und wellig und so strahlend. Ich freue mich schon darauf, wenn ich ihr auch die Strähnen aus dem Gesicht streifen darf. Ich hoffe, das wird nicht mehr so lange hin sein.
Als ich nicht mehr weiß, was es noch über meine Familie zu sagen gibt, erzählt sie mir von ihrer. Von ihrer jüngeren Schwester, von ihren Eltern und von ihrer Oma. Ich höre zu und alles interessiert mich. Und was mich auch interessiert ist, was sie beim Erzählen mit ihren Händen macht. Sie kann die gar nicht stillhalten, wedelt immer mit ihnen durch die Luft. Besonders süß sieht das aus, wenn sie dann auch noch den Löffel hält. Am liebsten würde ich meine Hände um ihre schließen oder ihre Hände auf meine Beine legen. Oder … Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu viel fantasiere. Ich sollte lieber den Augenblick genießen, wo sie mir gegenüber sitzt und ich sie so nah bei mir habe.
Oh, wie schön sie doch lacht! Und wie gut es tut, dass sie offensichtlich auch Spaß an unserem Treffen hat. Sie hat sich sogar noch eine zweite Tasse Latte Macchiato bestellt. Offensichtlich schmeckt der ihr, aber offensichtlich hat sie es auch nicht allzu eilig, wieder von hier wegzukommen. Und ich hoffe doch, das liegt auch mit an mir.
„Naja, du … Ich glaube, ich muss dann mal los. Wir schreiben und wir sehen uns!“
Ich erschrecke mich total, als sie das sagt, denn ich habe die Zeit total vergessen. Schon die ganze Zeit sitzen wir in diesem Café und haben uns unterhalten. Draußen dämmert es schon, trotzdem hätte ich mich gefreut, wenn sie nicht schon gehen müsste. Sie ist ja wohl nicht mehr so klein, dass sie zu Hause sein muss, wenn es dunkel wird!
Aber das sage ich natürlich nicht. Wenn sie gehen will, dann geht sie. Ich sehe sie ja bald schon wieder. Versuche ich mich zu beruhigen.
Wir umarmen uns zum Abschied. Ich rieche sie. Ich fühle sie. Als sie aus der Tür getreten ist, zittere ich fast. Einfach weil ich so glücklich bin. Ich verstehe es selbst nicht ganz, aber ich glaube, diese Umarmung werde ich nie vergessen. Und ich hoffe, ich habe genug Geruch von ihr aufgesogen, dass ich auch in ein paar Tagen noch weiß, wie sie riecht.
„Mein Mädchen“, denke ich, setze mich wieder an unseren Tisch, diesmal auf ihren Stuhl, der noch schön warm ist und bestelle mir noch eine Kugel Eis. Ich glaube, meine Beine würden mich jetzt nicht tragen. Außerdem sitze ich viel lieber noch ein wenig hier und genieße. Ich genieße, dass ich gerade fast 3 Stunden lang mit dieser geilen Frau an einem Tisch sitze. Und vor allem genieße ich, dass ich wohl noch tausende Male mit ihr an einem Tisch sitzen werde.
Lia seufzt. Sie nimmt anlauf, klettert die Regenrinne hoch und ist schon durchs Fenster in ihr Zimmer geklettert. Sie hält für einige Sekunden den Atem an. Es ist ruhig im Haus. Sie schleicht zu ihrem Schrank, holt eine große Tasche raus und packt.
Sie packt alles rein. Unterwäsche, Schuhe, Kleidung, Duschsachen, ihre Schminke und Stifte und einen Block. Ihre Kreditkarte nimmt sie auch mit zur Not.
Sie schaut sich im Raum um. Was soll sie noch mitnehmen? Sie will ja nicht für immer Weg, nur für einige Tage.
Sie klettert wieder aus den Fenster und macht sich auf den Weg in ein Cafe.
Sie setzt sich an einen Tisch und bestellt einen Kaffee und ein leckeres Frühstück und überlegt wo sie bloß hinkann.
Lisa und Kaleb kommen nicht in Frage. Zu ihren Verwandten kann sie nicht, die wohnen viel zu weit weg.
Lia seufzt, wo soll sie denn jetzt hin? Zu niemanden! Niemand will sie haben.
Zu Jeremih? Oh Gott, Nein! Sie sieht in frühstens in drei Wochen und das reicht ihr.
Jarmo. Sie verschluckt sich fast an ihren Brötchen. Stimmt, sie kann zu ihm! Doch der Gedanke verfliegt wieder sofort. Auf was für ne dumme Idee sie wieder kommt ! Ausgerechnet bei ihm soll sie aufkreuzen? Der würde sie nichtmal reinlassen.
Obwohl..
Lia schreibt sich die Adresse noch mal auf, die er gesagt hat. Sie konnte sie auswendig. Sie starrte den Zettel an und fuhr über die Buchstaben. Lia weiß sogar wo die Straße ist, er wohnt in der Nähe von Kaleb.
Sie isst in Ruhe ihr Brötchen auf, geht bezahlen und macht sich auf den Weg zu Jarmo.
Je näher sie dem Haus kommt, desto unruhiger wird sie, ihre Hände schwitzen und ihr Herz klopft ihr bis zum Hals.
Sie steht vor dem Haus. Es ist ein kleines unauffälliges Haus, mit einem sehr gepflegten Garten.
Nein, ich kann das nicht tun, denkt sie sich und geht ein Stück weiter die Straße hoch.
Nach wenigen Meter kehrt sie wieder zurück und macht das Gartentor auf.
Sie bleibt vor der Tür stehen.
Lia will auf die Klingel drücken, doch sie lässt ihre Hand unschlüssig in der Luft hängen. Sie will ja drücken, aber irgendwas hält sie zurück.
Nein, das kann ich nicht tun, denkt sie sich und dreht sich um.
“Hallo?”, fragt eine weibliche Stimme hinter ihr.
Lia dreht sich um und sieht eine hübsche große Frau. Jarmos Mutter.
“Kann ich ihnen irgendwie helfen?”, fragt sie freundlich.
Lia zögert. Was soll sie nur sagen?
“Ich wollte eigentlich zu Jarmo”, sagt sie und lächelt unsicher.
Die Mutter lacht . “Ja, der hat ein Date, müsste aber jeden Moment wiederkommen. Komm nur herein”, sagt sie.
Lia steht unschlüssig herum. Ein date? Hat er sich schon mit seiner Auserwählten getroffen?
Lia spürt einen Stich in ihrem Herzen. Ist sie etwa eifersüchtig?
“Na komm schon”, sagt die Mutter freundlich.
Lia kommt unsicher ins Haus rein und bleibt im Flur stehen.
“Wieso hast du denn eine so große Tasche mit”, fragt die Mutter sie.
Lia spürt wie ihr vor scham und Verlegenheit Tränen in die Augen schießen. Was macht sie hier nur?
“Och Mensch”, sagt die Mutter und zieht Lia in ihre Arme. Sie riecht angenehm und Lia schlingt die Arme um sie.
“Möchtest du mir erzählen was los ist”, sagt die Mutter und streicht eine Strähne von Lias kurzem Haar hinters Ohr.
Lia und Jarmos Mutter Lara sitzen im Wohnzimmer und trinken einen Kaffe zusammen.
Lia hat Lara nur das gröbste erzählt und nur eine Andeutung gemacht, das sie hier vielleicht ein paar Nächte bleiben mächte.
Lara hat sofort verstanden und ist sofort einverstanden.
“Jarmos Freunden helfe ich doch immer”, sagt Lara lächelnd und führt sie ins Gästezimmer das direkt neben Jarmos Zimmer ist.
Jarmos Freunde? Lia weiß nicht so genau ob sie eine Freundin von Jarmo ist. Sie kannten sich ja kaum.
Lara geht nach unten und Lia schaut sich Jarmos Zimmer an.
Es ist sehr schlicht und kein bisschen chaotisch. Alles ist blitz-blank geputzt.
Lia hätte auch nichts anderes erwartet.
Sie streich mit den Fingern über einige Kinderfotos von ihm und bleibt am Schreibtisch stehen.
Ein Zettel fällt ihr auf und sie zieht ihn heraus.
Ein Gedicht.
Er hatte eine wunderschöne Handschrift, sehr sauber und ordentlich.
Sie ließt es sich einmal, zweimal, dreimal durch.
Er schreibt über sein Mädchen. Wie sehr er sich darauf freut sie zu sehn und sie in den Armen zu halten.
Das überrascht sie. Lia hat nicht erwartet das er so etwas empfindet. Eher wirkt er kühl und ruhig auf Lia. Aber so gefühlsvoll? So hat sie ihn nicht vorgestellt.
“Was machst du hier?”, fragt eine Stimme hinter Lia wütend.
Sie dreht sich umd und starrt ihn an. Scheiße was mache ich hier?, fragt Lia sich und legt das Gedicht sofort wieder zurück.
Lia starrt ihrn weiter sprachlos an.
“Ich hab dich was gefragt”, sagt er diesmal nicht ganz so laut, aber wütender als zuvor.
“Ich..Ich wollte mit dir reden”, sagt Lia kleinlaut.
“Achso? Und deshalb durchsuchst du mein Zimmer? Das ist alles privat, das geht dich gar nichts an!”, sagt Jarmo, geht zum Schreibtisch und nimmt die ganzen Zettel die da liegen vom Schreibtisch und verstaut sie in einer Schublade. Es sind alles Gedicht und Lia kann sich denken über wen sie handeln.
Lia starrt ihn einfach nur an. Sie weiß nicht was sie sagen soll. Egal, was sie sagen würde, es würde ihn nur noch mehr wütend machen.
“Was willst du überhaupt bei mir zuhause? Hast du kein eigenes Zuhause?”, fragt er sie während er orientierungslos im Zimmer herumirrt.
“Nein, also eigentlich schon, aber ich habe sehr viel Ärger zuhause..”, sagt sie und sieund merkt das ihr Tränen die Augen verschleiern. Was ist bloß los mit mir?, fragt Lia sich, während sie kurz über ihre Augen wischt.
Jarmo bemerkt das nicht, oder tut nur so als hätte er das nicht bemerkt und sagt: “Jetz verstehe ich was du hier willst. Du willst bestimmt einige Tage hier bleiben oder?”, sagt er lachend.
Lia erschreckt vor seiner Reaktion und starrt ihn mit offenem Mund an.
Sie will was sagen doch Jarmo unterbricht sie: “ Was ist? Hast du keine anderen Leute die du nerven kannst? Was ist mit deinem Drogenfreund? Oder deinen anderen Drogenfreuden? Sind sie nicht dafür zuständig”, sagt er und schaut Lia stur ins Gesicht.
Jetzt reichts. Lia kann genauso wütend und bösartig sein. “Was ist loß los mit dir? Habe ich jemals gesagt das ich hier bleibe ? Nein habe ich nicht ! Deine Mutter hat mir das angeboten. Sie ist nett, nicht so wie ihr dummer Sohn”, sagt Lia kalt und merkt das erstaunen über Jarmos Gesicht huscht.
“Verurteile mich nicht Jarmo, du weißt nicht was ich durchgemacht habe. Du hast eine wundervolle Mutter, sei froh. Wärst du in meiner Lage würdest du anders reagieren, glaub mir”, sagt Lia und atmet tief durch. Es tat gut zu sagen was sie denkt.
Lia und Jarmo starren sich gegenseitig in die Augen. Keiner will zuerst aufgeben. Jarmo macht den Mund auf und wieder zu. Hat Lia ihm wohl die Sprache verschlagen.
“Ich gehe. Ich weiß das du mich nicht hierhaben willst, also erfülle ich dir diesen Wunsch”, sagt Lia, geht aus dem Zimmer schnappt ihre Tasche und geht nachunten. Lia schlüpft in ihre Schuhe als Lara aus der Küche kommt und sie erstaunt anschaut.
“Was ist los Lia? Wohin gehst du?”, fragt sie Lia.
“Ich gehe nachhause”, sagt sie ohne Lara ins Gesicht zu schauen.
“Oh nein, das tutst du nicht, du bleibst schön hier”, sagt Lara und legt ihre strake Hand auf Lias Oberarm.
“Nein, sie verstehen nicht, ich muss hier weg”, sagt Lia fast bettelnd.
“Aber wieso das denn? Du bist hier erwünscht Lia, du brauchst keine Angst zu haben”, sagt Lara und schaut in Lias trauriges Gesicht.
Ia schaut kurz die Treppe hoch und die Mutter versteht sofort.
“Jarmo, komm sofort runter”, ruft Lara wütend die Treppe hoch.
Einige Sekunden herscht stille und dann kommt Jarmo die Treppe herunter. Aber nicht ganz. Er bleibt einige Treppen höher stehen.
“Jetz sag das es okay ist wenn Lia hier für einige Nächte bleibt”, sagt die Mutter streng.
Lia kann Jarmo nicht ins Gesicht gucken. Sie kanns einfach nicht.
“Jarmo”, sagt die Mutter drohend.
Lia würde am liebsten im Erdboden versinken. Gott was macht sie hier?
Lia merkt wie ihr Herz einige Schläge aussetzt bis Jarmo sagt…
„Es ist ok, dass Lia hier bleibt.“
„Ein bisschen glaubhafter könnte das auch rüberkommen! Aber sowas kann man von Jungs ja nicht immer erwarten…“ Den letzten Satz sagt meine Mutter mehr zu Lia gewandt als zu mir. Die beiden gehen zusammen ins Wohnzimmer.
Ich gehe langsam die Treppe wieder hoch und in mein Zimmer. Lia. Endlich weiß ich auch wieder, wie sie heißt. Was macht das Mädchen hier nur? Hätte es mich gestört, wenn sie gegangen wäre? Nein, wahrscheinlich hätte es mich nicht gestört. Aber so richtig stören tut mich auch nicht, dass sie hier ist. Vor allem wenn meine Mutter meint, sie soll bleiben. Meine Mutter findet sie scheinbar nett und darum darf sie bleiben. Ist doch gut so. Und vielleicht ist es ja wirklich besser. Vielleicht hat sie ja wirklich Probleme zu Hause. Man hört ja viel von Eltern, die ihre Kinder schlagen und vernachlässigen. Vielleicht nehmen die Eltern ja auch Drogen. Vielleicht gibt sich Lia deswegen mit diesen Drogen-Leuten ab.
Ach, ich weiß es ja auch nicht. Aber ich meine, sie hatte Tränen in den Augen, als es um ihr Zuhause ging. Und das hat man ja nicht, wenn alles gut ist. Also ist es jetzt ok, so wie es ist.
Was Lia und meine Mutter wohl da unten machen? Ob sie sich wohl über mich unterhalten? Und, oh Gott, was Lia ihr wohl erzählt hat, woher wir uns kennen? Was wenn sie irgendwas von den Drogen verraten hat? Oh, das wäre schrecklich! Wenn meine Mutter das rausbekommen würde! Ich muss unbedingt mit dem Mädchen reden und ihr klarmachen, dass sie das auf keinen Fall erzählen darf!
Ich reiße meine Zimmertür auf und bleibe dann unschlüssig stehen. Was soll ich denn schon sagen? Und außerdem denken die beiden da unten doch, ich hätte meine Meinung komplett geändert und würde mich entschuldigen, wenn ich da jetzt ankomme und sage, dass ich gerne mal mit Lia alleine reden will. Oder das Mädchen denkt dann, ich will was von ihr. Sowas denken Frauen ja dauernd. Hab ich zumindest in den Zeitschriften gelesen, die die Mädchen aus meiner Klasse sich immer angeguckt haben. Da stand drin, dass ein Junge in ein Mädchen verliebt ist, wenn er sie anlächelt. Oder sie anspricht. Oder dies. Oder das.
Ich lasse mich auf den Boden zwischen den Türpfosten fallen. Irgendwie ist das Leben ja schon kompliziert. Wenn jetzt Katharina hier gewesen wäre und sich mit meiner Mutter super verstanden hätte, wie unglaublich hätte ich mich da nur gefreut! Aber stattdessen ist sie da! Das Drogen-Mädchen.
Ich will am liebsten gar nicht mehr aufstehen, sondern einfach hier sitzen bleiben, nichts denken und nichts tun müssen.
Aber das geht ja nicht. Also raffe ich mich auf und setze mich in meinem Zimmer auf den Schreibtischstuhl. Ich blicke durch mein Zimmer, weiß nicht genau, was ich jetzt mit mir anfangen soll. Dass Lia hier ist, bringt mich total aus dem Konzept. Es verwirrt mich, irgendwie verstehe ich einfach nicht genau, warum sie hier ist. Und ich würde es gerne verstehen. Offensichtlich hat sie Probleme zu Hause, deswegen will sie nicht da sein. Das kann ich zwar vielleicht nicht nachfühlen, weil ich immer unheimlich gerne nach Hause gehe, aber zumindest ist es verständlich. Aber warum kommt sie dann zu mir? Wir haben uns doch nur zweimal gesehen und uns auch immer nur ganz kurz unterhalten.
Und woher weiß sie überhaupt meine Adresse? Ich erschrecke selbst über diesen Gedanken. In mir wird alles unruhig. Vielleicht hat sie mich verfolgt! Oder sie stalkt mich. Oder sie kennt mich irgendwoher und ich kann mich nur nicht mehr erinnern. Vielleicht hat sie sich bei meiner Mutter auch nur eingeschleimt, sie um den Finger gewickelt und heute Nacht, wenn wir schlafen, dann bestiehlt sie uns. Ich kann mir alles vorstellen. Aber warum sollte sie dafür gerade zu uns kommen? Wir sind nicht sonderlich reich, da gibt es bei den meisten anderen Leuten eindeutig mehr zu holen. Aber es kann ja auch sein, dass sie jeden Cent nimmt. Vielleicht braucht sie das Geld ganz dringend. Vielleicht hat sie Probleme mit irgendwelchen zwielichtigen Leuten. Die Gedanken werden mir selbst immer unheimlicher und ich zwinge mich, damit aufzuhören.
Ein wenig sitze ich da so und versuche krampfhaft an nichts zu denken. Mein ganzer Körper ist angespannt, ich spüre jeden Muskel, jede Sehne. Sogar die, von denen ich gar nicht weiß, dass es sie gibt. Ich atme noch einmal tief durch und lasse alle Muskeln wieder erschlaffen, versuche mich zu entspannen. Es sieht bestimmt lustig aus, wie ich so eingefallen auf meinem Stuhl sitze. Aber das sieht ja zum Glück keiner. Oder doch? Ich drehe mich ruckartig um. Die Tür ist verschlossen. Keine Lia, die da steht und mich beobachtet. Ich bin erleichtert und drehe mich wieder zum Tisch.
An einer Ecke klebt noch der Rest eines Aufklebers, den ich schön fand, als ich kleiner war. Was für einer das war, erkennt man nicht mehr und ich weiß es auch nicht. Ich versuche, mit meinem Fingernagel die weißen Reste abzukratzen, das ist aber nicht sehr erfolgreich. Also öffne ich die Schublade meines Schreibtisches, um ein Geodreieck als Hilfsmittel herauszuholen. Da fallen mir die Papierbögen auf, die ich vorhin unordentlich hineingeschmissen habe. Meine Gedichte, die ich vor Lia retten musste. Sie hat eins davon gelesen! Niemand sollte die jemals lesen! Ich habe das Gefühl, rot zu werden. Welches hat sie wohl gelesen? Auch wenn mir der Gedanke unangenehm ist, hoffe ich doch, dass es ihr gefallen hat.
Ich blättere durch die Worte, die sich schon angesammelt haben, lese ein paar meiner Gedichte. Manchmal lächle ich selbst über mich, einige gefallen mir wirklich gut. So gut, dass ich fast gar nicht glauben kann, sie selbst geschrieben zu haben. Ich fahre mit der Hand über die Tinte und bin dabei unheimlich stolz auf mich. Wie viel aus meinem Inneren ich schon so schön auf ein Papier verewigt habe. Nicht nur in so schöner Schrift, sondern auch in so schönen Worten. Es macht mich glücklich, das alles hier vor mir liegen zu haben.
Es klopft an meiner Tür und ich fahre aufgeschreckt hoch und schmeiße die Zettel wieder in die Schublade.
„Ähhh… Ja?“, rufe ich durch die Tür und schlage noch schnell mein Mathebuch auf, damit es so aussieht, als wäre ich beschäftigt.
„Störe ich?“, fragt Lia, die schon in mein Zimmer getreten ist.
„Nicht wirklich.“
Einige Zeit steht sie einfach nur da, dann setzt sie sich auf mein Bett. Ich gucke sie an. Sie sagt aber immer noch nichts.
„Was machst du?“, fragt sie dann.
„Mathe.“
Und dann ist es wieder still im Zimmer. Ich höre nur, wie meine Mutter unten den Wasserhahn aufdreht. Das rauscht auch hier in den Wänden. Ich denke an das Wasser, wie es durch die dreckigen Rohre gleitet und immer in Bewegung ist. Ob da wohl kleine Tierchen, vielleicht Bakterien leben, die das Anstellen des Wasserhahns für eine riesige Sturmflut halten? Vielleicht surfen einige mutige kleine Bakterien ja sogar auf den Wellen. Bei dem Gedanken muss ich ein Lachen unterdrücken.
„Was ist?“, will Lia wissen.
„Nichts.“
„Doch. Warum hast du gelacht?“ Sie scheint ein wenig sauer oder genervt zu sein.
„Nein, es ist nichts. Ich habe nur gerade nachgedacht.“
„Über was?“
„Ist doch egal.“
„Nein, erzähl mal.“
„Das geht nicht.“
„Warum?“ Langsam werde ich genervt von ihr. Ich versinke nun mal häufig in verrückten Gedanken. Und da darf man dann einfach nicht nachfragen. Wie soll ich irgendjemand anderem schon erklären, dass ich gerade lachen musste, weil ich an surfende Bakterien in unseren Abwasserrohren gedacht habe?!
„Du würdest mich auslachen.“
„Nein, tu ich nicht. Versprochen.“ Sie lächelt mich an.
Ich zögere einen Augenblick, dann gebe ich mich geschlagen. Soll mir egal sein, was sie von mir denkt. „Ich habe überlegt, was die Bakterien in den Abwasserrohren wohl denken, wenn jemand Wasser anmacht. Ob sie Angst davor haben. Oder vielleicht auf den Wellen surfen.“ Ich schaue auf den Boden und hoffe wirklich, dass sie nicht anfängt, laut zu lachen.
Und das tut sie wirklich nicht. Sie sagt einfach gar nichts. Daher hebe ich langsam den Blick und gucke sie an. Sie sitzt einfach da auf meinem Bett und lächelt in sich hinein. Es scheint so, als wäre sie irgendwo ganz tief in Gedanken.
„Woran denkst du?“, frage ich sie.
Zuerst reagiert sie nicht, dann antworte sie aber: „Jetzt gerade muss ich auch an surfende Bakterien denken.“ Ich weiß nicht genau, was ich von der Antwort halten soll. Sie grinst dabei, aber es scheint mir nicht so, als wäre das ein hinterhältiges Grinsen oder als dass sie sich über mich lustig machen würde.
„Ach, komm! Guck nicht so böse!“, entgegnet sie jetzt und lacht dabei. Ganz herzlich und freundlich. Und das erste Mal sieht sie irgendwie richtig freundlich aus. Zumindest fällt es mir jetzt das erste Mal wirklich auf. Vorher sah sie immer ein wenig traurig oder ein wenig sauer oder genervt aus. Niemals ganz extrem, aber ich habe sie einfach noch nie so gesehen. So wie sie jetzt ist. Ihre Augen strahlen bei dem Lachen und das sieht irgendwie einfach gut aus. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es passt einfach zu ihr.
„Na gut“, sage ich also, versuche ein wenig zu grinsen und setze mich neben sie aufs Bett.
„Schon besser!“, lacht Lia.
Eine Zeit lang sitzen wir beide still da.
„Welches Gedicht hast du gelesen?“, frage ich sie dann. Das geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Wenn sie jetzt eh schon eins kennt, dann kann sie mir ja ruhig auch sagen, was für eins. Dann kann ich wenigstens vielleicht abschätzen, was sie jetzt über mich denkt.
„Ich weiß nicht mehr.“
„Ach doch, weißt du bestimmt! So wie du dir das angeguckt hast!“
„Nein wirklich. Ich hab’s ganz schnell vergessen, weil ich es ja nicht sehen durfte.“
„Ja ja, natürlich! Jetzt sag schon!“
„Nein.“
„Du bist stur.“
„Weiß ich.“
Wir lachen beide.
„Ok, dann zeige ich dir jetzt ein Gedicht, dann hast du eins gesehen.“ Ich kann kaum glauben, was ich da gerade aus meinem Mund gehört habe. Und Lia offensichtlich auch nicht, denn sie reagiert erstmal gar nicht.
„Möchtest du?“, frage ich darum lieber nochmal nach.
„Klar. Zeig schon!“
Ich stehe auf und öffne die Schreibtisch-Schublade. Ich hebe den Stapel heraus und blicke darauf. Das oberste Gedicht ist das, was ich mir als letztes angeguckt habe. Und es ist eins, auf das ich schon irgendwie stolz bin. Mit Sicherheit ist es nicht perfekt. Einige Wörter müsste man wahrscheinlich noch durch andere ersetzen und vielleicht auch noch eine Strophe hinzufügen oder eine entfernen. Aber ich bin eben keiner von den tollen Dichtern, die immer in der Schule durchgenommen werden. Wobei ich das auch nicht wirklich sein möchte. Keine Schüler sollen mit meinen Gedichten gequält werden. Ich will einfach nur aufschreiben, wie es in mir aussieht.
Ich nehme das Blatt Papier und lege die restlichen Bögen zurück in die Schublade. Diesmal ordentlich und nicht so plötzlich wie die zwei Male vorher.
„Du lachst nicht und du sagst nichts Gemeines! Ok?“
„Versprochen.“ Lia lächelt. Trotzdem zögere ich noch einen Moment. Ich kenne das Mädchen doch gar nicht wirklich. „Komm schon, ich hab’s versprochen!“
Ich setze mich neben sie und gebe ihr das Papier. Sie nimmt es an sich und liest es sich offensichtlich aufmerksam durch. Dabei hält sie es so, dass auch ich die Worte lesen kann, die ich selbst geschrieben habe. Ich lese mit. Vielleicht genau in dem Tempo, in dem sie die Worte gerade auch liest.
Der Wind weht durch die Welt,
Umschweift Liebende, wie sie sich küssen
Und die Leidenschaft mit ihnen tanzt
Alles nimmt er auf in sich
Sucht dann still weiter seinen Weg
Von Leben und Liebe erfüllt
Auch bei mir weht heut ein Wind
Umtanzt und umspringt mich freudig
Und das Papier in meiner Hand
Dein Foto bewegt sich in der Luft
Will Walzer tanzen mit dem Wind
Doch ich halte es – ist’s doch alles, was ich von dir hab
Und es scheint als würden deine Haare
Vom warmen Wind bewegt
Und deine Lippen regen sich
Die Augen wie sie glitzern
Dein Lachen kann ich hör’n
Du flüsterst auf mich ein
Doch der Wind haucht nun seine letzten Lüfte
Er zieht weiter durch die Welt
Und dein Gesicht ward wieder still
Als ich einmal durch bin, hält sie den Zettel immer noch in der Hand und blickt darauf. Vielleicht liest sie einfach viel langsamer als ich, vielleicht liest sie es aber auch mehrmals. Oder sie liest gar nicht mehr, sondern guckt sich das Papier einfach nur an.
„Es ist wirklich schön!“, sagt sie dann.
„Ehrlich? Danke.“ Ich weiß zwar nicht, ob sie das jetzt nur aus Höflichkeit sagt oder wirklich so meint, trotzdem freut es mich. Denn es hört sich zumindest nicht ganz unehrlich an.
„Hat es einen Titel?“, fragt sie dann.
„Ich weiß nicht. Nicht wirklich. Ich bin nicht gut im Titel Ausdenken.“
„Achso.“
„Vielleicht nenne ich es ‚Der Wind‘ oder ‚Des Windes Liebesspiel‘. Aber das klingt, glaub ich, ein wenig zu sehr nach Goethe oder so.“
„Ist doch ok. Dann bist du halt ein Goethe. Jarmo Goethe, passt doch.“ Sie lacht.
Ich lache auch. Und sage dann: „Wenn ich Jarmo Goethe bin, dann bist du Lia van Gogh!“ Und danach muss ich nur noch mehr lachen. Sie aber auch.
Lia lehnt ihren Kopf an meine Schulter. „Mir ist kalt und ich bin müde“, sagt sie.
Ich lege die Arme um sie und ziehe sie an mich.
„Dann leg dich doch ins Bett. Wir haben warme Decken hier.“
„Mh.“ Sie scheint nicht wirklich begeistert von der Idee zu sein.
„Mh“, sage ich jetzt auch, weil mir sonst nichts einfällt. Lia reagiert nicht. „Schläfst du?“, frage ich sie.
Immer noch keine Reaktion. „Dann denke ich mal das heißt ja…“
Ihr Kopf liegt auf meiner Brust und ich habe meine Arme um sie gelegt. Sie atmet ganz leise und ruhig und mit ihren geschlossenen Augen sieht sie so klein und zerbrechlich aus, dass ich sie am gerne beschützen mag. Ich drücke meine Arme fester um sie und streichle vorsichtig ihren Rücken.
„Ich mag dich“, sage ich. Ganz leise. Sodass Lia das wahrscheinlich noch nicht mal hören würde, wenn sie wach wäre.
Nachdem ich einige Minuten schon so da sitze mit der schlafenden Lia in meinen Armen, klopft es an meiner Tür.
„Ja?“, flüstere ich.
Meine Mutter öffnet die Tür. „Ich wollte nur …“
„Psst!“
„Oh, Entschuldigung.“ Sie flüstert jetzt auch. „Ich wollte nur fragen, ob ihr was essen wollt, wollte ich gerade sagen.“
„Sie schläft“, sage ich, obwohl das eigentlich offensichtlich ist.
„Dann lass sie auch schlafen! Sie hat wahrscheinlich einen anstrengenden Tag hinter sich.“
„Ich will aber nicht die ganze Nacht hier sitzen bleiben!“
„Ach Jarmo… Du legst sie halt in dein Bett, deckst sie zu und dann ist gut. Du kannst ja im Gästezimmer schlafen.“ Und als sie meinen unzufriedenen Blick sieht, fügt sie noch hinzu: „Oder du schläfst hier in deinem Zimmer auf dem Sofa.“
„Mh.“ So richtig einverstanden bin ich immer noch nicht. Trotzdem stimme ich meiner Mutter dann doch noch zu.
Sie kommt ein paar Schritte näher und streicht mir über die Haare. Dabei fällt ihr Blick auf den Zettel mit meinem Gedicht, der noch neben Lia auf meinem Bett liegt. Weil ich mich jetzt nicht ruckartig bewegen will, tue ich einfach so, als würde ich nicht merken, dass sie darauf schaut und es sich durchliest. Ich hoffe nur, dass sie nichts dazu sagen wird. Ich vertraue meiner Mutter zwar und liebe sie sehr, aber meine Gedichte sind mir einfach vor allen Leuten peinlich. Meine Gefühle und Gedanken gehen niemanden was an. So einfach ist das.
Meine Mutter löst sich jetzt von dem Blatt, wendet sich zur Tür und flüstert noch „Gute Nacht, ihr Beiden!“, dann geht sie hinaus.
Ein paar Minuten bleibe ich noch sitzen, dann bewege ich mich vorsichtig, lege Lia in der richtigen Richtung auf mein Bett und stehe auf. Dabei bin ich die ganze Zeit darauf bedacht, sie nicht aufzuwecken. Meine Mutter hat schon recht, wahrscheinlich hatte sie einen anstrengenden Tag. Ich überlege kurz, ob ich sie mit meiner Decke zudecken soll, zögere, mache es dann aber doch. Sie liegt schließlich auch in meinem Bett, da kann sie ruhig auch noch meine Decke haben. Außerdem hat sie gesagt, dass ihr kalt ist, und meine Decke ist wärmer als die aus dem Gästezimmer.
Ich denke kurz darüber nach, meine Gedichte mit aus meinem Zimmer zu nehmen, lasse es dann aber doch sein und wende mich zur Tür. Als meine Hand die Klinke berührt, bleibe ich noch einmal stehen und drehe mich zu Lia um. Sie sieht schon gut aus, wie sie da in meinem Bett liegt. Ihre kurzen Haare stehen lustig ab und hängen ihr ins Gesicht.
Ich gehe nochmal zu meinem Bett, in dem jetzt das Mädchen liegt, was ich mittlerweile auch gar nicht mehr so schlimm finde, und streiche ihr die Strähnen aus dem Gesicht.
„Schlaf gut, Drogen-Mädchen!“, flüstere ich, lächele und trete dann aus der Tür, um sie allein zu lassen.
Im Gästezimmer lasse ich mich auf das Bett fallen, was diese Nacht wohl meins sein wird. Da sehe ich Lias Tasche, die sie hier abgestellt hat. Sie ist geöffnet und ich sehe einige Klamotten. Es scheint, als hätte Lia sie schnell eingepackt und nicht wirklich auf Ordnung geachtet. Ganz oben liegt ein Block und guckt aus der Tasche heraus.
Ich überlege, ob ich ihn rausziehen soll. Es sind bestimmt schöne Zeichnungen darin. Und schließlich hat Lia sich auch meine Gedichte angeguckt. Ich halte das für eine gute Erlaubnis dafür, mir auch ihre Bilder anzugucken.
Doch dann lasse ich es doch sein. Es ist ihre Entscheidung, was sie mir zeigt und was nicht. Ich sinke wieder ins Bett und nehme mir vor, sie morgen danach zu fragen, mir was aus diesem Block zu zeigen.
Als ich die Augen schließe, denke ich an Katharina. Und an das Treffen, das wir vor nicht allzu langer Zeit gehabt haben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das sozusagen erst gerade eben war!
Ich spüre ein Stich im Herzen bei dem Gedanken an mein Mädchen. Eigentlich sollte sie jetzt in meinem Bett liegen und nicht Lia! Und ich sollte mit ihr darin liegen und nicht hier im Gästezimmer! Trotzdem entspannt sich mein Körper, wenn ich an das Mädchen mit den kurzen Haaren denke, das in meinem Zimmer schläft.
Ich fühle mich innerlich aufgewühlt, verstehe nicht ganz, was mein Herz, Verstand und alles andere denn nun wollen und was nicht. Ich versuche mich davon zu überzeugen, dass alles gut ist und denke abwechselnd an Lia und an Katharina. Kalia. Liatharina.
Lia erwacht und öffnet langsam die Augen. Sie befindet sich in einem fremden Zimmer und runzelt die Stirn. Das ist aber nicht ihr Zimmer!
Ach ja, ich bin ja nicht zuhause, denkt Lia und richtet sich auf.
Lia ist bei Jarmo zu Hause. Sie grinst über den Gedanken. Und noch mehr, als sie daran denkt das sie gestern so nah beieinander saßen und er sie fest gehalten hat und wie sehr sie diesen Moment genosse hat. Doch irgendwie fehlt da was, aber was ? War sie eingeschlafen?
Sie zieht die Decke von ihrem Körper. Okay, sie ist eingeschlafen, eindeutig.
Sie hatte noch ihre Straßenklamotten an. Lia setht auf und guckt raus. Die Sonne geht gerade erst auf, sie schaut auf die Uhr. Kurz nach 6. Wann war sie das letzte Mal so früh aufgestanden? Sie kann sich nicht dran erinnern.
Sie macht die Tür leise auf und schaut raus. Alles still im Haus. Okay, sie schlafen bestimmt noch.
Lia nimmt leise ihre Tasche aus dem Gästezimmer, wo Jarmo schläft. Sie muss über sein Gesichtsasdruck lächeln. Er sieht so zuckersüß aus!
Sie schlüpft aus ihren Klamotten in ihre Sportsachen, geht leise die Treppe runter und schnappt sich kurzerhand Jarmos Hausschlüssel.
Sie macht Musik über ihr Handy an und läuft los.
Sie rennt einige Rumden um die Siedlung und findet dann einen kleinen Weg der in einen kleinen Wald führt.
Sie läuft immer schneller und schneller, läuft noch ein paar Runden um die Siedlung und macht sich wieder auf den Weg zu Jarmo.
Sie schließt leise die Tür auf und geht die Treppe hoch und schlüpft in Jarmos Zimmer.
Ihr Kleidung ist schweißnass und ihr Gesicht ist rot und sie beschließt duschen zu gehen.
Ob das okay ist? Lia ist sich unsicher, aber nachfragen und jemanden wecken will sie nicht, also nimmt sie ihre Tasche, schlüpft aus den Klamotten und klettert unter die Dusche. Sie duscht schnell, putz sich die Zähne und überlegt was sie Anziehen soll.
Eigentlich trägt sie eher lockere Klamotten, aber irgendwie will sie das Jarmo auch sieht das sie einen tollen Körper hat und so greift sie zu einem dlickdichten weißen Top und eine helle Hose und schminkt sich dezent.
“Das ist aber aufmerksam von dir lila!”, sagt Lara während Lia den Tisch deckt.
“Das ist nicht annähernd so Aufmerksam wie sie es sind”, sagt Lia fröhlich.
Lara ist geschmeichelt und seztz sich an den Tisch und Lia bringt ihr Kaffee.
“Wie hast du geschlafen?”,frat sie Lara und porbiert den Kaffee.
“Sehr gut und sie?”, sagt Lia und bleibt unschlüssig im Raum stehen.
“Hervorragend und dein Kaffe schmeckt köstlich”, sagt Lara, während sie in einer Zeitung blättert.
Nach einigen Minuten des schweigens sagt Lara:” Du kannst ruhig Jarmo aufwecken.”
Lia setzt sich ans Bett und streicht ihm seine Haare aus dem Gesicht.
Lias Haare sind fast so kurz wie die von Jarmo.
Sie bereut es nicht sie so kurz geschnitten zu haben, aber manchmal vermisst sie ihre langen schönen Haare.
“Jarmo aufwachen”, sagt Lia leise und rüttelt an seinen Schultern.
Jarmo macht ein grummelndes Geräusch, und öffnet die Augen und Lia lächelt ihn an.
“Frühstück wartet auf dich”, sagt sie und Jarmo nickt verschlafen und dreht sein Gesicht weg und Lia muss sich zusammenreißen nicht zu lachen.
Nachdem Jarmos Mutter zur Arbeit gefahren ist und Lia sich ins Wohnzimmer geseztz hat, kommt Jarmo frisch gedsucht herunter. Lia steht auf und kommt auch in die Küche.
“Guten Morgen”, sagt Jarmo und schaut ihr in die Augen.
“Guten Morgen”, sagt Lia und kocht Kaffee.
“Wo ist meine Mutter hin?”, fragt Jarmo. Lia wartet bis der Kaffe fertig ist und antwortet dann: “ Sie ist schon zur Arbeit, sie wollte dir bescheid sagen aber du standest unter der Dusche.”
“Oh achso”, sagt er und Lia stellt den Kaffee auf den Tisch. Er sieht etwas betrübt aus.
“Was ist los?”
“Nichts.”
“Sicher?”
“ Ja und dein Kaffe schmeckt gut”, sagt er ablenkend und lächelt leicht.
Lia nickt und beobachtet ihn beim Essen. Die beiden Schweigen, aber es ist kein unangenehmes Schweigen, ganz im Gegenteil. So kann sie ihn beobachten und ihren Gedanken nachhängen.
“Warst du heute wieder Joggen?”, fragt Jarmo und reißt sie somit aus den Gedanken.
“Ja, aber woher weißt du das ?”, fragt Lia ihn. Hat er sie etwa beobachtet.
“Deine Sportsachen lagen in meinem Zimmer”, sagt er.
Scheiße, das habe ich ja ganz vergessen, denkt Lia und richtet sich auf.
Ihr Gesichtsausdruck will sie sich nicht vorstellen, doch Jarmo lacht.
“Schon gut, ich habs schon weggeräumt”, sagt er, steht auf und räumt sein Teller weg. Lia hilft ihm den Tisch abzuräumen.
“Nächstes Mal möchte ich gerne mitkommen”, sagt Jarmo und Lia ist überrascht.
“Oh, ja natürlich”, sie grinst übers ganze Gesicht. “Aber du hast keine Chance gegen mich, ich hab schon si einiges gewonnen.”
“Wann war das denn? Als du jung und unschuldig warst?”, sagt Jarmo und Lia schaut ihn sprachlos an.
Lia fängt an zu lachen und kann nicht mehr aufhören. Jarmo lacht mir ihr mit und als die beiden Luft holen meint Lia: “ Das war jetzt echt gemein und fies, aber so was hätte ich nicht von dir erwartet.”
“Ich eigentlich auch nicht, du machst mich so”, sagt er und Lia starrt ihn an.
Ihr Herz schlägt wie wild und die beiden starren sich einige Sekunden an, bis Lia rot wird und wegguckt.
Mein Gott, wann hat mich je ein Junge so in Verlegenheit gebracht?, denkt Lia und räumt das restliche Geschirr in die Spühlmaschine.
“Lia?”, fragt Jarmo und Lia dreht sich zu ihm um. Er steht näher an ihr als erwartet und Lia verschlägt es die Sprache, sodass sie nur kurz nicken kann.
“Kann ich deine Zeichnungen sehen?”, fragt er sie lächelnd.
Lia fängt laut an zu lachen. Das ist doch wohl ein Scherz oder?
Doch Jarmo guckt sie ernst an.
“Das war ne ernste Frage”, sagt er.
“Ich weiß nicht.”
“Aber wieso denn nicht? Du hast doch auch mein Gedicht gesehn!.”
“Deine Gedichte sind auch gut, meine Zeichnungen nicht.”
“Ich will sie sehn.”
Den letzten Satz sagt er mit solcher Überzeugung, das Lia sich erweichen lässt und die beiden hoch in das Zimmer von Jarmo.
Lia schnappt sich ihren Block und setzt sich aufs Bett, Jarmo direkt neben sie.
Sie hält ihren Block an ihren Körper gedrückt. Noch niemand hat diese Zeichnungen gesehen. Sie hat Angst davor, was er darüber denkt.
“Lia, du kannst mir vertrauen, wirklich”, sagt er mir sanfter Stimme und nimmt ihr den Block behutsam aus der Hand.
Er schaut sie an und sie legt vorsichtig ihre Hand auf sein Oberschenkel.
“Bereit?”, fragt er sie und Lia nickt vorsichtig.
Als er den Block aufschlägt, denkt Lia das ihr Herz zerspringt.
Die ersten Bilder sind Landschaftsmalereien.
Jarmo schaut sich die Bilder genau an, als wollte er sie in seinen Hirn abspeichern, doch er sagt nichts, was sie unglaublich wahnsinnig macht.
Die nächsten Bilder kann man nicht als Bilder bezeichnen, denn sie bestehen nur aus verschiedenen kleinen Zeichungen. Schöne Münder, Hände, Nasen, Augen. Ihr Herz bleibt stehen, als er das nächste Bild umblättert.
Es sind seine Augen und seine Lippen. Oh Gott, oh Gott, bitte fällt ihm das nicht auf!, denkt Lia und beobachtet Jarmos Gesicht genau. Er schaut immer noch konzentriert auf das Bild, aber er scheint nicht zu bemerken das es seine Augen und Lippen sind und Lia atmet innerlich tief durch.
Das nächste Bild hat Lia ganz vergessen, sonst hätte sie es sofort rausgenommen.
Auf dem Bild sieht man eine nackte Frau.. Naja nicht direkt, sie liegt auf Bauch auf einem Bett. Sie schaut in die Kamera und ihre Haare sind zur Seite geflochten.
Man sieht die Rundungen ihres Hintern und ihrer Oberweite. Das Bild ist sehr sexy und eigentlich für niemanden geeignet.
Lia traut sich nicht in sein Gesicht zu gucken. Sie starrt lieber stur das Bild an.
“Bist du das?”, fragt er sie und Lia wirft ihm kurz einen Blick zu. Sie schüttelt den Kopf.
“Nein, das ist Lisa, meine beste Freundin. Sie wollte unbedingt das ich sie zeichne, am besten nackt”, sagt sie und schaut weg, “ du willst nicht wissen, welche andere Position sie ausgewählt hat!”
Jarmo lacht und Lia lacht leise mit.
Die beiden schauen sich tief in die Augen. “ Du kannst wunderschön Zeichnen. Es sind wie Fotos, als wenn du sie anfassen würdest”, sagt er ruhig und Lia lächelt leise.
Sie kann es nicht lassen und schaut wieder aus seine Lippen, Jarmo bemerkt ihren Blick und lächelt auf und sie kommt näher mit ihrem Kopf. Sie schließt die Augen und spürt Jarmos warmen Atem auf ihren Lippen.
“Sie sieht meiner ausgewählten Katharina sehr ähnlich”, sagt er und Lia erschreckt sich, öffnet die Augen und sieht das er sie fassungslos anstarrt.
Oh Gott, wollte ich ihn grad wirklich Küssen?, fragt sie sich und würde am Liebsten im Erdboden versinken. Sie nimmt die Hand von seinem Oberschenkel, die komischerweise ziemlich hoch gerutscht ist und rückt ein Stück von ihm ab.
Jarmo scheint das nicht aufzufallen den er redet weiter.
“Sie hat dieselben schönen Haare und denselben kurvenreichen Körper”, sagt er mit einem frechen Grinsen und fährt mit den Fingern über die Kurzen der Zeichnung und Lia verschrenkt die Arme vor der Brust.
“Also war sie gestern dein Date”, fragt Lia nicht aus Neugierde, nur damit sie eine Bestätigung hat.
“Ja war ich und es war atemberaubend. Sie ist so schön und freundlich. Ich habe noch nie so ein Mädchen getroffen”, sagt er und schaut verträumt raus.
Wie konnte sie nur so dumm sein! Natührlich, mit dieser Beschreibung konnte Lia nicht mithalten. Sie fühlt sich unwohl in ihrer Haut und hässlich.
So ein Kerl wie Jarmo kriegt immer ein hübscheres und tolleres Mädchen ab. Lia merkt wie eifersüchtig sie wird. Sie hat diesen Jungen doch gar nicht verdient!
“Ich bin froh, wenn ich sie endlich wieder in den Händen halten kann und sie endlich küssen darf”, sagt er und dabei fällt ihm der Block aus der Hand.
Das ist zu viel zu Lia, sie het den Block auf und packt ihn in ihre Tasche.
“Ich muss los Jarmo, ich denke es ist besser wenn ich nachhause gehe. Ich will euch wirklich nicht zur Last fallen!”, sagt sie während sie ihre restlichen Sachen in ihre Tasche stopft.
Jarmo sieht sie fassungslos an. “Ach Quatsch, du fällst niemanden zu Last, bleib doch hier Lia, mach kein Qutasch”, sagt er, während er aufsteht und sie am Arm festhält.
Lia dreht sich zu ihm um und schaut ihm ins Gesicht.
Ich bin froh wenn ich sie endlich küssen darf …
Dieser Satz schwirrt ihr im Kopf herum und schüttelt Jarmos Hand ab.
“Nein Jarmo, ich muss wirklich los, wie ungern ich auch zu Hause bin, ich muss wirklich zurück”, sagt sie während sie konzentriert raus schaut.
Sie spürt das Jarmo sie anschaut. Er atmet tief durch.
“Okay, ich will dich nicht aufhalten, aber ich bring dich noch runter”, sagt er und begleitet sie nach unten.
Die beiden stehen unschlüssig an der offenen Tür. Lia weiß nicht was sie sagen soll und Jarmo anscheinend auch nicht.
Lia bricht das Schweigen indem sie sagt:” Okay, ich danke dir und deiner Mutter aus tiefstem Herzen, dass ihr mich hier aufgenommen habt”, sagt Lia und schafft es endlich in Jamos Gesicht zu gucken. Er lächelt freundlich. “ Dafür musst du dich nicht bedanken.”
Sie will böse auf ihn sein! Und wie böse sie auf ihn sein will! Aber sie kann nicht. Sie kann es nicht, wenn er sie so anlächelt.
Sie steht unschlüssig herum, geht ein Stückchen vor, kommt wieder zurück und gibt ihm einen Kuss auf die Wange und macht sich dann endgültig auf den Weg.
Mitten auf den Weg klingelt ihr Handy. Es ist ihr Vater. Lia nimmt mit klopfenden herzen ab.
“Hallo Sonnenschein”, sagt er. Lia lacht vor Freunde. Oh wie sehr sie ihn vermisst hat!
“Hallo Papa”, sagt sie und lächelt glücklich und Jarmo verschwindet für kurze Zeit aus ihren Gedanken.
“Ich weiß es ist schon fast Mittag, aber möchtest du Shoppen gehen und dann essen?”, fragt er.
“Ach Papa, du kommst nie zu spät”, sagt sie lächelnd.
Ich betrachte das Foto von Katharina, streiche mit der Hand über ihre Gesicht und stelle mir vor, dass sie jetzt wirklich hier bei mir ist und meine Finger wirklich ihre Haut und ihre Haare berühren. Es fühlt sich gut an.
Ich hatte noch gar nicht richtig die Zeit dazu, mir über unser erstes Treffen Gedanken zu machen. Danach war ich erstmal mit Lia beschäftigt, wie sie hier für eine Nacht eingezogen ist. Ein wenig schäme ich mich für den Gedanken und ich nehme mir vor, ab jetzt jeden Tag mehr an Katharina als an alle anderen Mädchen zu denken.
Katharina wäre bestimmt auch nicht so plötzlich abgehauen, wie es Lia heute getan hat. Was ist nur passiert, dass sie so schnell wegwollte? Ich versuche mich genau an die Situation zu erinnern. Doch dann lasse ich es ohne ein Ergebnis sein. Es ist doch nur Lia, sage ich mir. Wenn ich mir schon den ganzen Tag über Mädchen Gedanken mache, dann wenigstens über mein Mädchen und über keine andere.
Ich muss jetzt was tun. Also stehe ich auf und schlüpfe schnell in meine Sportsachen. Mit Lia wollte ich auch nochmal joggen gehen.
„Mann!“ Ich schlage mir mit der Hand gegen den Kopf! Dieses scheiß Mädchen! Mein scheiß Kopf soll gefälligst aufhören, an dieses scheiß Mädchen zu denken!
Ich schließe die Tür hinter mir und laufe los. Erst langsam, doch dann werde ich immer schneller. Ich höre meinen Atem, die Luft, die an meinen Ohren rauscht und jeden Schritt, bei dem meine Füße auf den Asphalt knallen.
Ich biege auf den kleinen Weg ab, der in den Wald führt. Hier knallt nichts mehr, hier raschelt nur das Laub. Ein angenehmeres Geräusch, wie ich finde. Ruhiger. Entspannnter.
Nach einigen weiteren Minuten werde ich langsamer. Ich bleibe stehen und fahre mir mit den Händen durchs Gesicht. Alles ist schweißnass. Trotzdem fühle ich mich unheimlich gut. Diese Freiheit! Die Möglichkeit, einfach wegzulaufen, allem den Rücken zuzukehren und keine Pflichten mehr zu haben. Ich spüre es in meinem Bauch kribbeln vor Euphorie.
„Wuhuuuuuuuuu! Jaaaaaahaaaaaaaa!“
Spontan habe ich mich dazu entschieden, einfach alles an Glück rauszuschreien. Es ist ja eh niemand hier, der mich hören könnte.
„Jeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeah!“
Es tut mehr als gut. Ich fühle mich stark und mächtig. Die ganze Welt wird von mir zusammengeschrien! Ich bin froh, dass meine Stimme doch so laut sein kann wie die von anderen Leuten. Normalerweise schreie ich nicht, ich spreche sogar meistens ziemlich leise. Da ist es schön, jetzt zu hören, dass es auch die andere Seite meiner Stimme gibt.
„Haben Sie eben so geschrien? Ist alles gut?“
Das Lächeln verschwindet aus meinem Gesicht, ich drehe mich zur Seite und blicke genau in das Gesicht eines älteren Herrn. An einer Leine führt er einen großen braunen Hund.
„Ist alles ok bei Ihnen?“, fragt er mich jetzt nochmal. Zum Glück ist mein Gesicht vom Laufen schon knallrot, ansonsten wäre es das spätestens jetzt.
„Ja ja“, keuche ich.
„Sicher?“
Ich stelle mich ordentlich hin und versuche, ihm in die Augen zu schauen. „Ja, alles gut. Ich bin nur gejoggt.“
„Und sie haben geschrien.“
Darauf antworte ich nicht. Das soll ihm doch egal sein! Warum haben alte Menschen diese bescheuerte Angewohnheit, sich dauernd irgendwo einzumischen! Er hat seinen Hund dabei, der wird ihn schon beschützen vor bösen schreienden Jugendlichen. Wie ich es bin. Ich muss lächeln. Schon immer war ich der Brave, für böse wurde ich noch nie gehalten.
„Früher, als ich noch jünger war…“ Oh nein, jetzt fängt das an! Der alte Mann möchte mir von seiner Jugend im Krieg erzählen. Oder von ähnlich uninteressanten Begebenheiten. Ich bin schon dabei, mir zu überlegen, wie ich ihm am elegantesten klarmachen kann, dass auch böse Jugendliche irgendwann keine Zeit mehr haben und leider wieder nach Hause müssen. Oder wohin auch immer. Hauptsache weg von sprechenden alten Männern. Doch da höre ich, wie er sagt: „Schreien hat mir damals auch immer gut getan. Es ist wie ein Heilmittel. Man sollte niemals vergessen, dass jeder Mensch eine laute Stimme haben kann. Jeder! Merken Sie sich das, junger Mann! Auch wenn Sie denken, Sie können sich nicht wehren oder Ihre Stimme würde nicht das Geringste ausrichten, da liegen Sie vollkommen falsch! Ihre Stimme kann mit Sicherheit genauso laut sein wie die Ihres schreienden Vaters oder des gemeinen Nachbarjungens. Vor wem auch immer Sie Angst haben!“
„Ich habe keine Angst“, höre ich mich widersprechen.
„Aber natürlich haben Sie das!“ Der Mann scheint erstaunt zu sein. Doch schnell hat er sich wieder gefasst. „Jeder Mensch hat Angst. Und jedes Tier! Meine Luna hier zum Beispiel hat Angst vor Fahrrädern! Das findet sie ganz schrecklich. Immer wenn wir spazierengehen und ein Fahrrad kommt uns entgegen oder überholt uns, dann jault sie und versucht wegzulaufen. Kann sie natürlich nicht, ich halte sie ja immer an der Leine!“ Und wie zum Beweis hebt er seine rechte Hand, in der er die Leine seiner Hündin hat, ein wenig an.
„Ich habe keine Angst vor Fahrrädern“, entgegne ich.
„Nein? Da haben wir was gemeinsam. Ich habe nämlich auch keine Angst vor Fahrrädern.“ Er lächelt mich an.
Ich verstehe nicht ganz, was er mir sagen will, versuche aber trotzdem zurückzulächeln. Mir gelingt nur ein schiefes Grinsen, aber das scheint ihm auszureichen.
„Es gibt viele verschiedene Formen von Ängsten. Es gibt ganz leichte Ängste und es gibt Ängste, über die man gar keine Kontrolle mehr hat. Das nennt man dann Panik. Oder Phobie.“
Ich frage mich, ob dieser Herr wohl mal Mediziner war oder ob er in seiner Freizeit einfach gerne Medizinzeitschriften liest. Denn es hört sich ganz so an, als würde er jetzt mit einer wissenschaftlichen Abhandlung anfangen.
„… so verspürt man dann oft einen Druck in der Magengegend und fühlt sich wie gelähmt. Die Gedanken rasen hin und her, schaukeln sich auf, überlagern sich, sodass es schwerfällt, sie in eine vernünftige Richtung zu lenken.“
Ich fühle mich ertappt. Das mit dem Gedankenchaos kenne ich wohl. Aber das bedeutet ja nicht gleich, dass ich Angst habe!
„Sie brauchen gar nicht wegzuschauen, junger Mann! Ich weiß doch, dass sie diese Gefühle kennen! Jeder Mensch kennt sie!“
„Und … ähm … Wenn man solche Gefühle hat, muss das dann gleich auch heißen, dass man Angst hat?“
„Natürlich gibt es für alles mehrere Gründe! Sie dürfen niemals nur nach einem Grund suchen, junger Mann! Hören Sie! Wenn sie eine Lösung haben, dann hören Sie niemals auf, zu suchen! Denn vielleicht ist das nur die kleinste Lösung oder nur der Anfang einer Lösung. Oder aber es ist gar keine Lösung, Sie gehen nur davon aus, weil ihnen nichts anderes mehr einfällt.“
Ich weiß nicht genau, ob ich seinen Gedankengang jetzt korrekt nachvollzogen habe. Und offensichtlich merkt das auch der Herr.
„Solche Gefühle können vieles bedeuten. Aber sicher ist eines: Angst bedeutet es auch! Nur ist da vielleicht noch mehr.“ Er mustert mich und sagt dann: „Liebe zum Beispiel!“ Er zwinkert mir zu.
„Manchmal weiß man vielleicht nicht, wovor man Angst hat. Aber dass die Angst da ist, da kann man sich sicher sein! Besonders wenn man solche Gefühle hat, wie Sie, junger Herr!“
Ich schaue ihn an und sage gar nichts. Schweigen scheint nicht seine Stärke zu sein, denn er fängt schon wieder an zu reden.
„Und da hilft das Schreien, da haben Sie vollkommen Recht! Die Anspannung sinkt, man fühlt sich stark und groß und aller Ängste überlegen. Auch der, von denen man gar nicht weiß, dass sie da sind!“
„Danke“, sage ich und laufe los. Das kann ich mir nicht weiter anhören. Es geht einfach nicht. Ich will jetzt gar nichts mehr hören, niemanden mehr sehen.
„Gerne! Wenn sie nochmal Hilfe brauchen, ich gehe hier öfter spazieren!“, ruft er mir hinterher.
Jaja, von Ihnen brauche ich mit Sicherheit nochmal Hilfe, denke ich mir, während ich weiterlaufe.
Als ich das Gefühl habe, weit genug weg zu sein, lehne ich mich an einen Baum und versuche zur Ruhe zu kommen.
Was ist, wenn der Mann Recht hat, so komisch er auch ist? Vielleicht habe ich ja wirklich Angst. Aber da ich ja eh nicht weiß, wovor, macht es ja auch nichts.
Ich grinse. Es gibt schon komische Leute auf der Welt. Eigentlich ist sogar jeder Mensch auf seine Art komisch.
Nachdem ein paar Minuten vergangen sind, trabe ich zurück. So lange wird der Mann ja wohl nicht auf einer Stelle rumstehen und warten!
Und tatsächlich tut er das nicht. Als ich an die Stelle komme, an der er mich eben aufgehalten hat, sehe ich nicht mehr als Bäume und andere Pflanzen, von denen ich die Namen nicht so genau weiß. Erleichtert atme ich auf und mache mich auf den Weg zurück.
Bevor ich wieder nach Hause komme, habe ich aber noch das Bedürfnis, bei meinem Baum vorbeizuschauen. Ich trete an ihn heran und sehe auch sofort das Herz, was ich dort hineingeritzt habe. K + J.
„Ich vermisse dich“, flüstere ich, während ich mit meinem Finger das K nachfahre.
Viel lieber würde ich jetzt mit meinen Fingern die Konturen ihres Körpers nachfahren und nicht die eines lächerlichen Buchstabens! Ich denke an ihren Körper. Die langen Beine, den Hintern und den Bauch. Ihre Brüste. Alles so perfekt geformt. Nicht so eckig wie ein K. Erst recht nicht mein K in diesem Baum, bei dem ich abgerutscht bin.
Auch als ich wieder zu Hause bin und unter der Dusche stehe, denke ich noch an Katharina und ihren Körper. Ich betrachte mich, während das Wasser über meine Haut perlt. Gegen sie bin ich ganz kantig. Einfach nur ein gerader Strich. Ihre Form gefällt mir eindeutig besser.
Ich hoffe nur, sie findet gerade Striche schön. Ich lächle. Warum nicht? In Mathe sind gerade Striche eindeutig einfacher zu berechnen und was man sonst noch so damit macht als Kurven.
Und da fällt mir auf, dass ich schon seit zwei oder drei Tagen nichts mehr für die Schule getan habe. Das sollte ich unbedingt nachholen!
Also sitze ich die nächsten Stunden an meinem Schreibtisch, mache Hausaufgaben und lerne viel. Unterbrechen lasse ich mich nur für ein leckeres Abendbrot mit meiner Mutter und ein bisschen fernsehen mit ihr.
Gerade versuche ich, mir englische Grammatik einzuprägen, da höre ich plötzlich ein Geräusch. Ich schrecke auf. Es klingt, als wäre ein Vogel gegen mein Fenster geflogen. Die Vorhänge sind aber zugezogen, daher kann ich nicht sehen, ob es wirklich ein Vogel war. Und wenn ja, was für einer. Manchmal sind diese Viecher echt dumm!, denke ich mir und ziehe den Vorhang zur Seite, gefasst auf ein Blut-Vogel-Matsch-Massaker. Daher bin ich ziemlich geschockt, als ich aus dem Fenster gucke, denn was ich sehe, erfüllt meine Erwartungen mal so gar nicht. Aber ja, diese Viecher sind offensichtlich auch oft ganz schön dumm!, denke ich wieder, als ich das Mädchen vor meinem Fenster stehen sehe.
“Was machst du hier?”, fragt Jarmo Lia erschrocken.
“Na, was denn wohl? Ich will dich besuchen”, sagt Lia und lächelt.
“Spinnst du? Weißt du wie spät das ist? Meine Mutter schläft schon”, sagt Jarmo und schaut sich um, ob noch jemand außer Lia da ist.
“Sei kein Spielverderber”, sagt Lia genervt. Sie ist extra für ihn hergekommen und er will sie nichtmal sehen anscheinend.
“Lia, ich meine das ernst, geh nachhause!”, sagt Jarmo ernst, doch Lia lässt sich nicht so leicht abwimmeln.
“Wenn du mich nicht reinlasst, werde ich die ganze Nacht Steine an dein Fentser werfen. Ich habe sehr viel Geduld”, sagt Lia und schaut Jarmo an.
Er scheint mit sich zu kämpfen, doch dann sagt er: “ Okay, sei aber bitte leise.”
Lia strahlt übers ganze Gesicht, geht um den Garten herum zur Tür und geht leise mit Jarmo in sein Zimmer. Jarmo schließt die Tür hinter ihr.
“Wieso kommst du so spät noch her?”, fragt Jarmo sie leise.
“Ich wollte sehen wie es dir geht”, sagt sie und sezt sich ans Bett.
Er schaut sie an und schüttelt den Kopf.
“Du überraschst mich immer wieder! Erst haust du heute morgen ab und jetzt stehst du wieder hier”,sagt er und lehnt sich an seinen Schreibtisch und schaut sie an.
Lia sagt eine Weile nichts.
“Ich weiß, ich bin eine komplizierte Person”, sagt sie und schaut ihn auch an.
Er lächelt. “Schon gut, ich habe schlimmer erlebt”, sagt er und beide lachen leise.
Jarmo mustert Lia von oben bis unten. Sie merkt wie ihr heiß wird, aber ihr gefällt das er sie anguckt.
“Wieso bist du so schick angezogen?”, fragt er sie.
Sie lächelt, steht auf, geht zu ihm und bleibt vor ihm stehen.
“Ich will Party machen gehen und ich wollte dich fragen ob du mit kommst”, sagt sie.
“Jetzt weiß ich wieso du hier bist”, sagt er und guckt sie skeptisch an.
“Bitte Jarmo, komm schon! Ich bin jetzt extra hergekommen”, sagt sie flehend und legt eine Hand auf seinen Arm, nimmt sie aber sofort wieder runter.
“Nein.”
“Bitte!”
“Nein Lia, ich kann wirklich nicht!”
“Bitte Jarmo, bitte!”
Lia sieht wie Jarmo mit sich selber kämpft. Lia schaut ihn flehlich an und er nickt schließlich langsam.
Lia lächelt. “ Danke, du bist ein richtiger Schatz”, sagt sie und will ihn in den Arm nehmen, weiß aber nicht wie sie das anstellen soll und lässt es dann einfach.
Sie setzt sich aufs Bett und lehnt sich zurück.
“Ich ziehe mir eben was anderes an”, sagt er und geht zu seinem Schrank.
Lia beobachtet ihn, wie er ein Hemd rauszieht und eine dunkle Hosen. Lia sieht ihn immer nur in dunkle Farben.
Sie legt sich ganz hin und beobachtet wie er sein Shirt auszieht.
Er ist sehr schlank und schmal, aber Lia starrt auf seinen Rücken. Wie gerne sie mit den Fingern drüber streicheln würde.
Er zieht sein Hemd an und dreht sich zu Lia um. Gut das es dunkel im Zimmer ist und er nicht sehen kann wo sie hinguckt, trotzdem schaut sie schnell weg. Sie traut sich nicht wieder zu ihm zu gucken.
“Okay, wir können los, aber wir müssen sehr leise sein!”, sagt er und Lia steht auf und nickt.
Die beiden schleichen wie Geheimagenten durchs Haus und Lia atmet erst wieder ruhig als die beiden draußen sind.
“Ist es weit von hier?”, fragt Jarmo, während Lia sich eine Zigarette ansteckt.
“Nein, nur einige Straßen. Ist ne gute Freundin von mir. Ihre Eltern sind nicht da und dann wird immer Party gemacht”, sagt sie.
Lia spürt das Jarmo sie anguckt.
“Rauchen ist ungesund”, sagt er und Lia schaut ihn an und lächelt.
“Alles was ich tu ist ungesund. Und ich bin trotzdem noch nicht gestorben. Außerdem tut das gut. Möchtest du?”, fragt Lia ihn und bietet ihm die Zigarette an.
Jarmo schüttelt angewiedert den Kopf. “Nein danke”, sagt er und die beiden gehen den restlichen Weg schweigend.
“Möchtest du was trinken?”, fragt Lia Jarmo durch den Lärm hindurch.
“Ja, aber bitte nichts alkoholisches”, sagt er und Lia verschwindet in der Menge.
Sie begrüßt alle ihre Freunde und es dauert eine ganze Weile bis sie wieder bei Jarmo ist.
Jarmo steht da mit einem Mädchen das sich ziemlich aufdringlich an ihn ran macht. Lia stelt sich zwischen die beiden und gibt Jarmo seine Cola und zieht ihn weg.
“Alles gut bei dir?”, fragt Lia ihn.
Er schüttelt den Kopf. “Du willst nicht wissen was das Mädchen von mir verlangt hat”, sagr er ernst, doch Lia muss lachen und kippt ihren Drink hinunter.
“Ich möchte wieder los Lia”, sagt er nachdem Lia sich schon den dritten Drink geholt hat.
“Ach, warte noch ein bisschen, komm schon”, sagt sie und hackt sich bei ihm unter.
Lia bemerkt das er sich im Raum umguckt.
“Nach wem hälst du ausschau?”, fragt sie.
“Nach Katharina.”
“Nicht dein ernst?”
“Wieso ? Kann doch sein das sie vielleicht hier ist”, sagt er und schaut sich weiter um.
Lia geht einige Schritte weg von ihm. Das ist doch nicht wahr! Er ist mit ihr hier und er denkt nur an seine Scheiß Katharina. Sie merkt wie böse und eifersüchtig sie auf Katharina wird. Sie ist erleichtert , als Kaleb zu ihr kommt und sie fällt ihm erleichtert um den Hals.
Er flüster leise:” Ich hab was für dich.”
Lia schaut auf seine Hand und kleine Pillen liegen drauf. Lia entspannt sich. Darauf wartet sie die ganze Zeit. Sie nimmt die Pillen in ihre Hand. Sie schluckt die Hälfte, die andere Hälfte hält sie Jarmo hin.
“Lia wieso schluckst du das, hör auf damit”, er scheint wütend zu sein. Was geht ihn das an was sie schluckt und was nicht?
“Komm schon Schluck sie”, sagt sie und hält weiter ihre Hand hin.
“Damit ich so ende wie du? Nein, bestimmt nicht”, sagr er und schaut sie dabei nichtmal an.
Lia merkt wie etwas in ihr zerreißt. Ihr ganzer Körper schmerzt. Er hatte sie verlezt. Unendlich verlezt. Was er kann, kann sie schon lange.
“Vielleicht wenn du sie schluckst, sehe ich aus wie deine kleine süße Katharina”, sagt sie ohne mit der Wimper zu zucken.
Er starrt sie an schüttelt langsam den Kopf und dreht sich um und geht raus.
“Oh Scheiße”, sagt sie leise, schluckt die letzten Pillen und folgt Jarmo raus.
“Jarmo, warte bitte, tut mir leid, es war nicht so gemeint!”,sagt sie und holt ihn endlich ein. Sie packt seinen Arm und hält ihn fest und er bleibt stehen und starrt sie an.
Es ist still, als würde sich die Welt nicht weiterbewegen. Die beiden starren sich für endlose Sekunden an und Lia sieht in seinen Augen Schmerz, Verzweiflung wenn nicht sogar Hass.
Er reißt seinen Arm schmerzlich aus Lias Hand.
“Ich weiß gar nicht was ich hier will! Ich sollte lieber bei Katharina sein und nicht mit dir auf irgendwelchen Partys”, sagt er, nein schreit er fast.
Lia hat ihn noch nie so erlebt und für einige Herzschläge ist sie überrascht das er so reagiert, doch er ist noch nicht fertig.
“Sie ist meine Außerwählte Lia, verstehs doch! Ich werde sie später heiraten und Kinder kriegen, wo ist dein Scheiß Problem ?”, schreit er diesmal wirklich.
“Achja? Liebst du sie denn auch? Oder bildest du dir das nur ein? Was ist wenn sie gar nicht so toll ist wie sie zuerst scheint? Was dann? Was willst du dann machen?”, schreit sie zurück.
“Sie wird toll sein und wie toll sie sein wird, darauf kannst du dich verlassen! Ich weiß nicht wieso dich das angehen sollte!”
“Was es mich angeht? Ich mach mir Sorgen um dich Jarmo, verstehst du das nicht? Ich will das du das beste kriegst und nicht enttäuscht wirst!”
“Jaja ist schon gut, ich versteh schon, du weißt besser als ich, was besser für mich ist!”
Lia ist sprachlos und ihr Hände zittern unkontrolliert.
Jarmo schaut sie an und diesmal sieht sie wirklich Hass in seinen Augen.
“Hör auf Drogen zu nehmen, zu Rauchen und zu Trinken, dann kannst du vielleicht beurteilen was das beste für mich ist.”
“Das hat doch gar nichts damit zu tun! Als wenn deine Katharina eine Heilige ist.Du weißt nichts über sie. Vielleicht ist sie ja schlimmer als ich.”
“Du kommst sie an sie heran und ich bin froh das ich dich nicht gezogen habe”, sagt er ruhig und für einen kurzen Augenblick sieht es aus, als wenn er es bereuen würde was er gesagt hat.
Lia starrt ihn sprachlos an und der Schmerz steigt ins unermessliche.
Sie weiß nicht, ob es die Drogen waren, der Alokohol, oder einfach nur der Schmerz der Lia dazu gebracht hat Jarmo ins Gesicht zu schlagen.
Sie hat nicht richtig getroffen und nicht so stark wie sie eigentlich wollte, doch Jarmo starrt sie ensetzt an.
Lia schluckt, geht an ihm vorbei und als sie außer Sichtweise ist, zieht sie ihren hohen Schuhe aus und rennt los. Es ist sehr weit bis zu ihrem Haus und es fängt wie aus Eimern an zu schütten doch Lia spürt das alles nicht. Sie spürt nur den Schmerz den Jarmo verursacht hat und kann die Tränen, sie sie seit Tagen zurückgehalten hat, nicht aufhalten. Einmal angefangen zu weinen, kann sie nicht mehr aufhören, selbst als sie in ihr Zimmer klettert und sich aufs Bett wirft.
Ihre Füße bluten und die ganze Bettdecke wird nass, doch Lia weint und weint und weint.
Sie weint um ihre Familie, sie weint um Jeremih, sie weint um Jarmo.
Lia weiß nicht, wann sie eingeschlafen ist, doch als sie aufwacht, scheint die Sonne ins Zimmer. Ihr Kopf scheint ihr zu zerspringen und sie friert.
Sie kriecht aus dem Bett ins Bad und nimmt ein heißes Bad. Sie sieht schrecklich aus. Tiefe Augenringe und geschwollene Augen. Sie kann kaum vernünftig laufen und ihr Kopf scheint zu zerspringen. Sie steigt vorsichtig aus der Badewanne, veraztet ihre Füße, wirft sich verschieden Kopfschmerztabletten ein bis der Schmerz nur noch minimal ist und kommt aus dem Badezimmer. Sie setzt sich im Handtuch gewickelt vom Spiegel.
Lia beobachtet sich. Sie weiß, das sie mit Katharina nicht mithalten kann. Doch ihr ist es egal. Sie will Jarmo nie wieder sehen.
Kaum hat sie an ihn gedacht, fließen wieder Tränen.
Sie wischt sie wütend weg und schüttelt den Kopf.
Sie verspricht sich selber, nie wieder wegen ihm zu weinen. Nie wieder.
Ich sitze auf meinem Stuhl und starre auf den Zettel vor mir. Dem Deutsch-Unterricht folge ich nicht mehr wirklich. Meine Klasse ist momentan in einer angestrengten Diskussion über Männer und Frauen. Vor mir auf dem Tisch liegt ein Arbeitsblatt, das meine Lehrerin vor ungefähr zehn Minuten verteilt hat.
Vermutlich hat Gott die Frau erschaffen, um den Mann kleinzukriegen.
Hat Voltaire gesagt. Der scheint ja Bescheid zu wissen.
Auf jeden Fall findet um mich herum jetzt eine Diskussion über das Verhältnis von Mann und Frau statt. Ich habe keine Lust einen Beitrag dazu zu leisten, obwohl das meiner mündlichen Note wahrscheinlich ganz gut tun würde. Ich mache mir lieber meine eigenen Gedanken, die die anderen eindeutig nichts angehen.
Es ist jetzt fast zwei Wochen her, seit Lia mir ins Gesicht geboxt hat. Oder mich geohrfeigt hat. Was auch immer das genau für ein Schlag sein sollte. Ich verstehe einfach nicht, warum sie das gemacht hat! Aber wahrscheinlich gibt es da gar nichts zu verstehen. Ihr Gehirn ist wohl schon ein wenig gestört von den ganzen Drogen, die sie immer nimmt. Und in dem Moment war sie ja auch gerade auf Droge. Ihr komischer Freund hat ihr schon wieder was gesteckt. Bescheuerte Leute! Ich bin mir sicher, dass der Typ sie dazu gebracht hat! Warum sollte sie von selbst auf solche Ideen kommen! Sie ist doch ein intelligentes Mädchen!
Ich versuche meine Gedankenflut zu unterbrechen. Immerhin weiß ich doch gar nicht, was sie wirklich für ein Mädchen ist. Ich kenne sie nicht. Alles, was ich von ihr kenne, sind die Drogen. Und dass sie kein richtiges Zuhause hat. Und komische Freunde! Das alles spricht nicht unbedingt für sie.
Außerdem gibt es ja noch ein ganz anderes Mädchen in meinem Leben. Eins, das ich auch gleich viel besser verstehe. Sie hat mich noch nie geschlagen. Und ich denke auch nicht, dass sie das tun wird. Das glaube ich nicht. Immerhin liebe ich sie. Und sie liebt mich. Und wir werden zusammenleben.
Und während meine Klassenkameraden weiter darüber diskutieren, ob Frauen in die Küche gehören oder arbeiten sollten, freue ich mich einfach auf die Zukunft mit meiner Katharina.
Heute treffe ich mich wieder mit ihr. Und ich freue mich so sehr darauf. In letzter Zeit haben wir uns zwar immer mal wieder getroffen, meistens im Café, einmal waren wir auch im Kino. Aber für heute habe ich mir ganz fest vorgenommen, sie endlich zu küssen. Ich träume schon so lange davon. Und ich hoffe, das tut sie auch. Ich hoffe, sie wartet nur noch darauf, dass ich mich endlich traue. Aber das werde ich. Für heute hat sie mich das erste Mal zu ihr nach Hause eingeladen. Das bedeutet doch fast schon, dass sie mir auch endlich näherkommen will! Sie küsst bestimmt fantastisch. Ich freue mich so sehr darauf, endlich ihre Lippen zu spüren. Ihr endlich so nach zu sein, dass ich sie riechen kann, sie spüren kann, ihr so nah zu sein, wie es nur geht.
Es klingelt und die Schulglocke reißt mich aus diesen Schwärmereien. Ich muss mich beeilen! Gleich laufe ich schnell nach Hause, dann esse ich schnell und mache mich dann hübsch für meine tolle Freundin. Duschen, die Klamotten anziehen, die ich mir schon gestern Abend für diesen großen Tag rausgesucht habe. In Gedanken gehe ich nochmal den Ablauf der Vorbereitung durch, als ich aus der Schul-Tür trete.
„Tschüss, Jarmo!“, ruft mir jemand hinterher, aber ich weiß nicht, wer. Das ist mir auch egal. Ben spricht seit dem Abend mit den Drogen nicht mehr mit mir und so richtig andere Freunde habe ich nicht. Nicht dass ich mich mit den anderen schlecht verstehen würde, wir haben einfach nicht viel miteinander zu tun. Muss aber auch nicht sein, ich habe ja Katharina.
Ich denke gerade wieder an den Kuss heute Nachmittag, als ich sie am Ende des Schulhofs stehen sehe. Sie guckt in meine Richtung, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich wirklich schon gesehen hat. Es ist nicht Katharina, es ist die andere sie in meinem Leben. Es ist Lia. Ob sie wohl auf mich wartet? Aber warum sollte sie das tun? Nein, wahrscheinlich wartet sie auf irgendwelche Drogen-Leute. Davon gibt es schließlich auch an meiner Schule einige.
Als ich an ihr vorbeigehe, nicke ich ihr kurz zu und will eigentlich gerade weitergehen, da sagt sie: „Hey Jarmo. Warte mal. Hast du kurz Zeit?“ Sie spricht ganz leise, darum hätte ich sie fast nicht gehört.
„Kommt drauf an wofür.“
In Gedanken bin ich schon wieder bei meinem engen Zeitplan, auf lange Diskussionen oder ähnliches habe ich weder Lust, noch habe ich Zeit dazu.
„Ich …“ Sie zögert. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen“, sagt sie dann schnell, als würde sie nicht hören wollen, was sie da sagt. Trotzdem klingt es ehrlich.
„Ahja? Wofür?“
Sie scheint ein wenig verwirrt, fasst sich aber sofort wieder. „Dafür dass ich dich geschlagen hab. Ich weiß auch nicht, was da mit mir los war. Es tut mir Leid.“
„Ist mir egal. Und außerdem habe ich jetzt keine Zeit.“ Meine Worte klingen härter als beabsichtigt, als ich ihr den Rücken zukehre und vorbeigehe.
„Achja? Und warum? Triffst du dich etwa schon wieder mit deiner Katharina?“ Das, was sie mir hinterherruft, klingt wie ein Witz.
Ich drehe mich ruckartig um, schaue ihr ins Gesicht, überlege einige Sekunden, was ich Schlagfertiges sagen könnte und entscheide mich dann für ein einfaches „Ja“, kehre ihr wieder den Rücken zu und gehe weg.
Ich schaue nicht mehr zurück. Auch ein bisschen, weil es mir Leid tut. Aber sie hat es ja nicht anders verdient. Sie hat mich geschlagen, sich bescheuert verhalten und jetzt kriecht sie hier an. Wahrscheinlich wollte sie nur wieder bei mir übernachten, weil in ihrem Zuhause sonst was los ist. Interessiert mich nicht.
Ich fange an zu laufen. Nicht dass das Gespräch mit Lia lange gedauert hätte und meinen Zeitplan wirklich gefährdet, aber es hat mich schon aus dem Konzept gebracht. Meine innere Ruhe und Entspannung ist dahin, wenn ich mich jetzt nicht beeilen würde, würde ich nur durchdrehen auf dem Weg nach Hause. Außerdem tut die körperliche Anstrengung gut, um die ganzen Gedanken zu vertreiben.
Erst als ich unter der Dusche stehe, erlaube ich mir, wieder über irgendwas nachzudenken. Und wie von selbst kommt mir Katharina in den Sinn. Lia scheint wie weggeblasen. Ich freue mich auf die Zeit mir ihr und vor allem auf den Kuss. Ich bin mir sicher, er wird mich nicht enttäuschen. Er wird sogar besser sein als wie ich ihn mir vorstelle.
Nach ein paar Minuten stelle ich das warme Wasser aus, trockne mich ab und ziehe mich an. Ich hoffe, ich gefalle ihr so. Dunkle Jeans, dunkles T-Shirt. Also eigentlich alles Standard.
Noch nie habe ich mir so Gedanken über meine Kleidung gemacht, aber für den ersten Kuss mit der Auserwählten scheint irgendwie so gar nichts passend. Egal! Sie wird mich schon so nehmen, wie ich bin. Ich bin immerhin ihr Freund. Das hört sich gut an. Ich sage es mir noch ein paar Mal in Gedanken. Ihr Freund. Freund. Freund.
Nachdem ich noch ein wenig gegessen habe, mache ich mich auf den Weg zu Katharina. Ich freue mich darauf, endlich das Haus ihrer Familie und ihr Zimmer zu sehen. Ich bin mir sicher, ich werde mich wohlfühlen.
„Hallo!“, sage ich, als Katharina mir die Tür öffnet. „Schön dich zu sehen.“
Wir nehmen uns in den Arm. Ich genieße den Moment, in dem ich sie so nah bei mir habe. Sie fühlt sich so gut an!
Katharina zeigt mir das Wohnzimmer und die Küche. Aber die beiden Räume interessieren mich nicht so wirklich. Sie sind zwar schon echt schön und ganz sicher kann auch ich mich in solchen Zimmern wohlfühlen, aber ich bin in Gedanken einfach schon die ganze Zeit bei dem Moment, in dem ich sie küsse. Ich überlege mir, wann ich das wohl machen werde und vor allem wie.
Eine Viertelstunde später öffnet sie die Tür zu ihrem Zimmer. Die Wände sind orange gestrichen, die Möbel sind weiß. Der Raum sieht freundlich und warm aus. Es gibt einen Tisch, ein großes Bett, einen noch größeren Schrank und eine Kommode mit Fernseher und allem möglichen anderen Kram. Eine der Wände ist durch massenweise Fotos ausgefüllt. Ich stelle mich davor und blicke darauf. Auf vielen ist Katharina selbst zu erkennen, oft mit anderen Leuten. Manchmal Mädchen, manchmal Jungs, manchmal Männer, manchmal Frauen. Oft auch viele Leute. Auf anderen Bildern ist sie noch jünger. Man sieht ein Bild von ihrer Einschulung und welche von Babys, die vielleicht auch meine Freundin in viel jünger sind.
„Schöne Bilder“, sage ich und hoffe, dass bald auch welche von mir da hängen werden. Am liebsten von ihr und mir, küssend oder kuschelnd.
„Danke“, sagt Katharina, die sich auf ihr Bett gesetzt hat.
Ich lasse mich neben mir fallen. Sie erzählt mir jetzt von ihrem Tag und davon, was sie am Wochenende vorhat. Doch so richtig höre ich nicht zu. Ich bin schon einen Schritt weiter. In meinen Gedanken beuge ich mich schon vor, meine Lippen treffen auf ihre, ich öffne meinen Mund und spüre wie unsere Zungen sich berühren. Wie ich meine Hände um ihren Körper lege, sie überall berühre.
Doch in der Realität sieht es anders aus. In der Realität beuge ich mich auch vor, aber meine Lippen treffen nicht auf ihre, denn Katharina dreht ihren Kopf weg.
„Nicht“, sagt sie. „Das will ich nicht.“
Ich ziehe meinen Kopf zurück. An die Möglichkeit habe ich eigentlich nie gedacht. Daran, dass sie mich vielleicht gar nicht küssen will. Dass sie nicht die gleichen Träume hat wie ich, überrascht mich. Es war für mich immer ganz selbstverständlich, dass es auch bei ihr so ist. Dass sie sich auch nach meiner Nähe und meiner Liebe sehnt.
Ich bin verwirrt und kann nicht mehr klar denken. Ihre Worte dringen nicht wirklich zu meinem Gehirn durch. Ich habe zwar bemerkt, dass sie mir noch irgendwas gesagt hat, aber was es ist, merke ich erst, als sie an meinem Arm rüttelt und es nochmal sagt:
„Ich glaube, es ist besser wenn du jetzt gehst.“
Ich reagiere nicht. Nein, das kann nicht sein. Meine Freundin schmeißt mich aus der Wohnung, weil ich sie küssen wollte. Unglaublich. Das kann nicht sein. Sowas darf nicht sein. Warum macht sie sowas?
Ich bewege mich nicht.
„Jarmo! Geh!“ Sie schreit jetzt fast.
Da stehe ich auf, drehe mich von ihr weg und gehe. Ich denke nicht nach und ich weiß nicht, wohin ich gehe. Einfach raus. Einfach draußen sein. Einfach bewegen, bloß nicht stehen bleiben.
Meine Freundin hat mich rausgeschmissen.
Meine Katharina wollte mich nicht küssen.
Sie wollte mich nicht.
Sie hat mich weggeschickt.
Meine Gedanken drehen sich nur darum. Und ich verspüre plötzlich die Lust, einfach loszurennen. So schnell wie ich noch nie gerannt bin. Egal wohin, am liebsten meilenweit. Meilenweit weg von allem.
Und was sagst du zu dem?”, fragt Jeremih Lia, während er sich im Spiegel betrachtet.
“Die dunkle war besser”, sagt Lia und lehnt sich in dem großen Sitzkissen zurück.
Er ist ja schlimmer als alle Mädchen zusammen die Lia kennt!
Wie lange sind sie jetzt schon unterwegs? 4 oder 5 Stunden bestimmt!
Aber sie muss zugeben, das ihr der Tag ganz gut gefällt. Er ist wirklich nett !
Aber manche Sprüche von ihm, müssen auch nicht sein.
Und er sieht einfach verdammt gut aus, Lia muss ihn immer anstarren. Es ist so unwirklich das so eine Sexbombe, Lias Auserwählte ist. Er ist nur ein kleines Stück größer als Lia, hat aber breite Schultern und ist sehr durchtrainiert. Er trägt immer die neusten Klamotten und er hat ein zahnpastalächeln. Irgendwie mag sie ihn, aber irgendwie ist es auch komisch, denn wenn sie ihn anlächelt, muss sie an Jarmo denken. Sie kann es nicht abschalten und insgeheim will sie es nicht.
“Beeil dich “, sagt Lia und sie hört ihn Lachen.
“Wieso? Hast du noch ein Date?”, fragt er sie und sie muss auch lachen.
Sie hat sich bei Jarmo entschuldigt, aber seine Reaktion hat ihr wehgetan. Sehr wehgetan. Eigentlich wollte sie ihn nicht wieder sehen und ganz bestimmt nicht bei ihm entschuldigen. Sie weiß selber nicht, wieso sie einfach nach der Schule auf ihn gewartet hat. Er hat kaum was gesagt und hat nur den Kopf geschüttelt. Er nimmt die Entschuldigung nicht an und er muss schnell los zu Katharina. Sie spürt wieder Tränen in ihren Augen, aus Wut über sich selbst. Was wollte sie wieder bei ihm? Wie erniedrigend sich das angefühlt hat, abgewiesen zu werden.
“Und was meinst du jetzt?”, sagt Jeremih mitten in ihre Gedanken rein.
Lia schaut ihn an und grinst.
“Das sieht echt gut aus, verdammt gut !”, sagt sie und es stimmt sogar.
Lia bemerkt wie die Mädchen inn anstarren und Lia fühlt ein wenig Stolz. Ja das ist ihr Mann!
“Okay, wir können los”, sagt er, als er aus der Kabine kommt.
Lia nickt erfreut und er geht zur Kasse, während sie raus geht.
Jeremih hat sie nicht gefragt, ob sie das auf der Party war. Lia ist sich aber sicher, er hat sie erkannt.
Wieso fragt er sie dann nicht? Oder hat er sie doch nicht erkannt?
“Buh”, sagt er und Lia schreckt hoch.
“Alles gut Lia, ich bins nur”, sagt er und hält sie am Arm fest.
“Hör auf mich so zu erschrecken!”, sagt sie geschockt.
Er nimmt die Hand von Lias Arm. “Okay okay, ist ja gut”, sagt er lächelnd.
Lia lächelt auch.
Er begleitet sie bis nachhause. Vor dem Haus bleiben sie stehen und schauen sich an. Er hatte fast die selbe Augenfarbe wie sie, was sie etwas irritierte und sie nicht lange hingucken konnte.
“Danke für den schönen Tag”, sagt sie um die Stille zu brechen. Sie lügt nicht, der Tag war wirklich schön.
“Ich muss dir danken, das du mich so lange ausgehalten hast”, sagt er und beide lachen.
“Nein quatsch, der Tag war wirklich schön Lia”, sagt er sanft und es hört sich echt an.
“Wollen wir vielleicht am Wocheende zusammen Party machen?”, fragt er sie und Lia nickt sofort. Party machen ist ihr Element!
“Gerne, sehr gerne sogar”, sagt sie.
“Okay, ich schreib dir noch ne SMS, aber wehe du gehst ohne mich Party machen! Dort gibt es viele Jungs, die es auf kleine süße Mädchen abgesehen haben”, sagt er lachend, aber an seiner Stimme erkennt sie, das er das ernst meint.
Fast wäre Lia, was böses rausgerutsch. Aber er darf mit irgendwelchen Mädchen rummachen also?
“Natührlich nicht, ich warte bis du bescheid gesagt hast Boss!”, sagt sie und Jeremih grinst triumphierend.
Er steht drauf die Hosen in der Bezihung anzuhaben. Gott, was ein Macho!
“Gut okay, ich geh dann mal rein”, sagt sie und Jeremih nickt und gibt ein einen Kuss auf die Stirn.
Lia lächelt und geht rein. Er hat sich nicht an sie rangemacht, oder Annäherungsversuche gemacht. Vielleicht ist er doch nicht so schlimm, wie sie gedacht hat?
“Und wie wars Schatz?”,fragt ihr Vater und streicht über Lias kurzen Haare.
Lia lächelt ihren Vater an. “ Er ist echt nett, ich habe ihn anders eingeschätzt”, sagt sie, während sie sich aufrichtet. Es ist schon spät und morgen muss sie früh raus, aber für ihren Vater hat sie immer Zeit.
“Wie war das bei dir und Mama?”, fragt sie ihn. Das hatte sie ihren Vater, geschweige denn ihre Mutter, noch nie gefragt.
Ihr Vater schaut sie überrascht an.
“Deine Mutter war so wunderschön. Ich habe mich sofort in sie verliebt. Sie war so nett und liebevoll, du kannst dir das nicht vorstellen. Ich wollte für immer mit ihr zusammen leben und am liebsten 10 Kinder haben”, sagt ihr Vater und lacht traurig.
“Irgendwas ist mit ihr passiert, ich weiß nicht genau was, aber nach deiner Geburt hat sie sich so verändert. Sie ist wie ein neuer Mensch. Ich hoffe dir passiert so was nicht!”, sagt er ernst.
“Ach Papa, mir tut das leid für dich”, sagt Lia und sie meint es auch so. Ihr Vater bedeutet ihr alles. Wie gern sie ihre Mutter kennen gelernt hätte, als sie noch so anders war.
“Du solltest schlafen”. sagt ihr Vater, gibt ihr ein Kuss auf die Stirn und verschwindet aus ihrem Zimmer.
Lia bleibt noch lange wach. Wird ihr Leben auch so verlaufen? Sie hofft nicht. Lia glaubt kaum das sie Jeremih jemals aus ganzem herzen lieben wird,aber es wird aushaltbar mit ihm sein.
Gerade als sie einschläft, bekommt sie eine SMS.
Jeremih:
Hallo Lia, danke für den schönen Tag. Ich hol dich am Samstag um 22 Uhr ab, zieh dir was schickes an.
Lia schüttelt den Kopf. Er hat sie nichtmal gefragt, ob sie sich umentschieden hat. Doch insgeheim muss sie grinsen…
Ich liege in meinem Bett, die Decke über meinen Kopf gezogen. Ich will nichts hören, außer der Musik, die mir in den Ohren dröhnt. Ich habe ein Lied angestellt, bei dem man den Text nicht verstehen kann und auch nicht verstehen soll. Der Sänger schreit. Er will nicht, dass man ihn versteht. Das Lied hat keine richtige Melodie, aber das ist mir egal. Hauptsache ich höre irgendwas, was auf mich eindröhnt. Was mir nicht die Möglichkeit gibt, über irgendwas nachzudenken.
Trotzdem verstehe ich immer wieder Worte, im Geräusche-Wirrwarr, das aus dem Mund des Sängers kommt. Worte, die mein Gehirn dazu auffordern zu denken.
Go ……. Run ……. Never …… Love ……
Meinem Gehirn reichen auch solche Satzfetzen aus, um darin einen Sinn zu sehen.
Geh raus! Renn einfach los, und höre niemals wieder auf! Es ist nur Liebe.
Der Satz, den sich mein Gehirn ausgedacht hat, macht keinen Sinn. Trotzdem verkrampft sich mein Körper bei dem Gedanken an Liebe. Er verkrampft sich bei generell allem, was mit Katharina zu tun hat. Wie sie mich weggeschickt hat! Wie sie mich nicht bei ihr haben wollte! Nicht genug dass sie mich nicht küssen wollte, sie wollte mich gar nicht mehr! Und ich habe gedacht, sie kann nur das gleiche empfinden wie ich. Eine andere Möglichkeit gibt es eigentlich nicht. Sie ist meine Auserwählte.
Die Wortfetzen, die ich eben gehört habe, sollten offenbar sowas wie den Refrain darstellen. Auf jeden Fall höre ich sie jetzt wieder.
Go ……. Run ……. Never ……
Bevor wieder das L-Wort kommen kann, stelle ich die Musik aus. Die plötzliche Stille ist ohrenbetäubend. Sie macht mich krank! Sie drängt sich gegen mich! Macht, dass ich mich eingesperrt fühle.
Ich springe aus meinem Bett auf, mache mir gar nicht die Mühe, mir meine Sportsachen anzuziehen, sondern laufe einfach aus dem Haus und jogge los. Eigentlich jogge ich gar nicht wirklich, ich sprinte. Ich will weg, so schnell es nur geht.
Es regnet in Strömen und ich laufe nur eine kleine Runde, denn in dem Tempo halte ich nicht lange durch, aber als ich wieder vor unserem Haus stehe, fühle ich mich trotzdem besser als eben. Ich bin klitschnass, aber beim Laufen haben sich meine Gedanken soweit befreien können, dass sie sich zu einem Plan geformt haben.
Einem Plan, der mit einem anderen L-Wort zu tun hat, über das ich mir in letzter Zeit krampfhaft keine Gedanken gemacht habe. Lia.
Sie wollte sich bei mir entschuldigen. Und ich war so geblendet von der Vorfreude auf den Kuss mit Katharina, den es dann doch nicht gegeben hat, dass ich ihr überhaupt nicht zugehört habe.
Mit Sicherheit ist sie jetzt total sauer auf mich und will mich vielleicht auch gar nicht sehen, außerdem weiß ich sowieso nicht, wo sie wohnt und ob sie überhaupt da ist, immerhin scheint das ja nicht ihr Lieblingsplatz zu sein. Aber sie ist trotzdem irgendwie die einzige, bei der ich mir vorstellen könnte, dass sie meine Laune aufbessern kann. Vielleicht. Unter Umständen.
Also konkretisiere ich meinen Plan, während ich unter der warmen Dusche stehe und ein wenig Vorfreude breitet sich aus. Ich kann mich nicht daran erinnern, schon mal irgendwas in der Richtung durchgezogen zu haben.
Einige Zeit später stehe ich halbwegs ordentlich aussehend am Fenster und beobachte die Dunkelheit draußen. In den letzten drei Stunden habe ich ungefähr alle fünf Minuten auf die Uhr geguckt, und gehofft, dass es jetzt endlich so weit ist.
Jetzt ist es so weit. Jetzt.
Ich öffne die Tür und trete nach draußen. Meiner Mutter habe ich gesagt, dass ich bei Ben übernachte. Das ist zwar eine glatte Lüge, aber komischerweise macht mir das momentan nicht wirklich was aus. Wahrscheinlich bin ich so angespannt, auch wenn mein Gehirn das nicht zugeben will, dass ich mir über Lügereien gegenüber meiner Mutter keine Gedanken machen kann. Die Schuldgefühle werden später schon noch kommen. Das tun sie eigentlich immer bei mir.
Ich steige in den Bus. Er ist fast komplett leer. Außer dem Busfahrer sitzt nur noch ein älterer Herr darin, der angespannt in eine Zeitung blickt. Was er jetzt wohl vorhat? Worüber er sich wohl Gedanken macht? Ob er Sorgen hat? Oder sich vielleicht freut?
Ich versuche meine Hände und Beine ruhig zu halten, es gelingt mir aber nicht. Jetzt merke ich, wie sich die Nervosität breit macht.
Ich überlege schon, bei der nächsten Station direkt wieder auszusteigen, zu Fuß wieder zurück nach Hause zu gehen und mich dann einfach ins Bett zu legen.
Das mache ich nicht.
Stattdessen lasse ich sieben Stationen verstreichen und drücke dann auf den Halte-Knopf. Mittlerweile sind der alte Herr und ich nicht mehr alleine im Bus, aber das nehmen meine Augen fast gar nicht mehr auf. Von meiner Umgebung bekomme ich nichts mehr mit. Ich merke nur, wie mein Herz immer schneller schlägt und mein Bauch sich zusammenzieht.
Was mache ich hier eigentlich? Ich weiß doch gar nicht, ob das was bringt. Ob sie wirklich da ist.
Der Bus bleibt stehen, ich steige aus und stehe jetzt in der Kälte. Ich beobachte, wie die Rücklichter des Fahrzeuges immer kleiner werden und bewege mich erst dann.
Noch nie war ich alleine in diesem Bereich der Stadt.
Ich hole tief Luft und betrete dann den Club. Es ist stickig und laut. Am liebsten würde ich sofort wieder umdrehen, aber ich habe es jetzt schon so weit geschafft, da gehe ich nicht jetzt wieder.
Nach einem kurzen Blick über die Menschenmassen werde ich unsicherer. Ich dachte wirklich, ich spaziere hier kurz rein, sehe Lia und gehe dann mit ihr wieder raus. Ein sehr naiver Plan, der so sehr wahrscheinlich nicht aufgehen wird.
Selbst wenn sie hier sein sollte, bedeutet das noch nicht gleich, dass ich sie auch sehe. Geschweige denn dass sie mit mir reden will. Oder es kann. Vielleicht ist sie ja auch besoffen, bekifft oder beides. Die Möglichkeit halte ich für nicht unausgeschlossen.
Ich versuche tief durchzuatmen, bekomme aber nicht wirklich Luft. Ich muss schnell machen, egal was ich mache, denn so lange werde ich es hier bestimmt nicht aushalten. Vielleicht kippe ich vorher um und der Rettungswagen muss kommen. Aber das würde Lia zumindest auf mich aufmerksam machen, vorausgesetzt sie ist wirklich hier.
Ich drängle mich durch die Menschen und werde immer unruhiger, immer genervter und immer lustloser. Die Leute lachen und tanzen, die Musik ist schlecht. Außerdem ist mir sowieso nicht danach, Spaß zu haben. Ich bin nicht glücklich, wie es die ganzen Leute hier meinen zu sein.
Das bringt alles nichts. Ich bewege mich Richtung Tür. Ich bin zwar erst eine Viertelstunde hier, aber dann gebe ich halt auf. Ich gebe schon mein Leben lang immer auf. Da macht das eine Mal mehr jetzt auch nichts mehr.
Doch dann sehe ich plötzlich aus den Augenwinkeln jemanden, der mir bekannt vorkommt. Und ich kann mein Glück kaum fassen!
Es ist zwar nicht Lia, die da rumhopst, aber es ist jemand, der Lia kennt. Ich weiß nicht, wie er heißt, und es ist mir auch ziemlich egal, aber die beiden haben sich sogar umarmt. Und er hat ihr irgendwelche Pillen angeboten, die Lia mir dann anbieten wollte. Offensichtlich ist es also einer von ihren Drogen-Freunden.
Ich kenne mich nicht wirklich aus mit Drogen-Freundschaften und weiß nicht, ob Drogen-Freunde voneinander wissen, wo der andere wohnt oder sich gerade aufhält, aber einen Versuch ist es wert.
„Hallo!!“, brülle ich den Jungen an.
Er dreht sich zu mir um.
Und ab jetzt weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll. Auf so eine Situation hat mich mein Plan nicht vorbereit.
Er guckt mich fragend an. Offensichtlich erkennt er mich nicht wieder, aber das macht nichts.
„Weißt du, wo Lia ist?“, frage ich einfach ganz direkt.
Ich weiß nicht, ob er mich jetzt erkannt hat, aber auf jeden Fall antwortet er mir: „Hier nicht!“
Das ist eindeutig nicht die Art von Antwort, die ich gebrauchen kann. Immerhin weiß ich jetzt nur, wo Lia nicht ist, nicht wo sie tatsächlich ist.
„Und wo dann?“
„Was weiß ich! Ich bin nicht ihr Bodyguard! Zuhause vielleicht?!“
„Und wo ist ihr Zuhause?“
Er fängt an zu lachen.
„Warum sollte ich dir das verraten?“
„Weil ich mit ihr sprechen muss.“
„Achja? Dann ruf sie doch an!“
„Ich will persönlich mit ihr sprechen.“ Dass ich ihre Nummer nicht habe, erwähne ich lieber nicht. Das würde vielleicht so rüber kommen, als hätten Lia und ich so gar nichts miteinander zu tun. Was ja auch annähernd hinkommt.
Er scheint darüber nachzudenken, ob er mir ihre Adresse geben kann oder nicht. Ich hake nochmal nach: „Wo wohnt sie?“
„Ja Mann! Ich hab dich schon gehört!“
„Gut, dann antworte mir doch einfach. Dann bin ich auch sofort weg und nerv nicht weiter.“
„Besser ist“, sagt er dann und brüllt mir ihre Adresse ins Ohr. „Hoffe, du kannst dir das merken“, schiebt er noch hinterher. „Und jetzt tschüss!“
Ja, tschüss. Freut mich auch, dich kennengelernt zu haben.
Das denke ich mir. Sage es aber lieber nicht. Ich weiß jetzt, wo Lia wohnt. Ich weiß zwar nicht, ob sie auch zuhause ist, aber immerhin bin ich ein Schritt weiter als eben. Also hat sich mein Ausflug hierher wohl gelohnt.
Als ich wieder an der frischen Luft stehe, atme ich erstmal kräftig durch und überlege dann, ob ich wohl jetzt noch bei Lia vorbeischauen sollte. Immerhin ist es schon spät. Und ihre Eltern sind anscheinend nicht so nett wie meine Mutter.
Ach, was soll’s!
Ich habe mir einen Plan gemacht und bin jetzt einen Schritt weiter, also ziehe ich das jetzt auch weiter durch.
Ich lächle über meine eigene Entschlossenheit und mache mich auf den Weg. Ein Glück kenne ich mich in der Stadt ganz gut aus, so dass ich weiß, wo die Straße liegt, die ihr Freund mir zugebrüllt hat. Und noch ein Glück ist das nicht sehr weit von hier.
Zehn Minuten später stehe ich vor dem Haus, in dem Lia wohnt. Ich weiß nicht, wie ich weiter vorgehen soll. Es ist spät, also kann ich nicht klingeln. Aber ich weiß auch nicht, welches Zimmer ihres ist, also kann ich auch keine Steinchen dagegen werfen.
Einige Zeit stehe ich vor dem Haus und blicke es an. Hinter mehreren Fenstern brennt Licht, es ist also definitiv jemand zuhause.
22:13 Uhr, sagt meine Armbanduhr. Ich rede mir ein, dass das noch nicht extrem spät ist, und drücke auf die Klingel.
Während ich warte, halte ich den Atem an und muss mich konzentrieren, nicht panisch wegzurennen.
Ich zähle die Sekunden. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, … Nach sieben Sekunden und ein paar Nanosekunden wird die Tür aufgerissen.
Ich schaue direkt in Lias erstauntes Gesicht und muss lächeln. Sie sieht so lustig aus mit dem Gesichtsausdruck! Als hätte sie einen Alien gesehen.
„Hallo!“, sage ich.
„Hey..“ Sie spricht leise und scheint nicht begeistert davon zu sein, dass ich hier vor ihrer Tür stehe.
„Ich weiß, es ist spät, aber darf ich vielleicht reinkommen? Sind deine Eltern da?“
„Nein.“
Ich bin mir nicht sicher, ob das Nein auf die erste oder auf die zweite Frage bezogen war, also bleibe ich einfach stehen. Wir schauen uns gegenseitig an und keiner sagt etwas.
„Lass mich bitte rein..“
Lia antwortet nichts, öffnet aber die Tür jetzt ganz und tritt ein wenig zur Seite. Ich interpretiere das als „Ok, du darfst reinkommen“ und trete unsicher ein.
„Kannst deine Schuhe dahinstellen“, fordert sie mich auf.
Nachdem ich die Straßenklamotten ausgezogen habe, stehen wir uns wieder ohne ein Wort gegenüber.
„Zeigst du mir dein Zimmer?“, frage ich sie.
Sie zuckt nur mit den Schultern.
„Meins hast du ja auch gesehen“, füge ich noch hinzu.
„Ja stimmt.“
Lia führt mich in ihr Zimmer. Es ist ein wenig unordentlich, aber auch nicht extrem chaotisch. Irgendwie fühle ich mich wohl. Es sieht einfach lebendig aus.
„Sieht schön aus“, sage ich.
„Danke.“
„Endlich lächelst du!“
„Ja sorry“, entgegnet sie. „Ich war schon überrascht, dass gerade du jetzt plötzlich hier auftauchst!“
„Ich weiß.. Dass ich dir da bei der Schule nicht wirklich zugehört habe, tut mir Leid. Ehrlich.“
„Mh.. Mir tut das mit der Ohrfeige auch ehrlich Leid.“
„Ja, schon ok. So sehr hat es jetzt auch nicht wehgetan.“
„Ach, hab ich nicht doll genug geschlagen?!“
Wir lachen beide. Endlich scheint die Stimmung wieder lockerer zu sein.
Wir grinsen uns beide an.
„Woran denkst du?“, frage ich sie.
Ich frage mich nur, wieso du so angezogen bist”, sagt Lia und schaut ihn an.
Jarmo sitzt auf ihrem riesigen Bett, während Lia sich auf ihrem Kuschelteppisch gemütlich gemacht hat.
“Ach ja, hm ich habe zuerst gedacht du bist wieder Feiern oder so und da muss ich doch gut für aussehen”, sagt er und schaut sich im Zimmer um.
Lia richtet sich auf und legt den Kopf schräg und schaut Jarmo an.
“Ach, hast du mich etwa gesucht?”, fragt sie ihn frech grinsend.
“Vielleicht?” sagt er und lächelt Lia zu.
Lia schüttelt den Kopf und beobachtet ihn. Die Entschuldigung, ist nicht der einzige Grund, wieso er hier ist. Lia weiß nicht wieso, aber das hat sie schon die ganze Zeit im Gefühl. Aber was könnte es noch sein? Wegen seiner Mutter? Nein, das kann sie sich nicht vorstellen. Jarmo und seine Mutter verstehen sich zu gut. Katharina ? Katharina! Stimmt! Bestimmt hat er Probleme mit ihr, aber sie will lieber nicht so direkt nachfragen.
“Wieso bist du wirklich hier?”, fragt Lia.
“Woher weißt du, das es noch einen anderen Grund gibt?”, fragt Jarmo Lia erstaunt.
“Habe ich so im Gefühl”, sagt sie und schaut ihn an, aber er schaut schnell weg.
“Vielleicht täuscht dich dein Gefühl”, sagt er leise.
Er ist ein schlechter Lügner und Lia schaut ihn skeptisch an.
“Jarmo, jetzt sagt schon!”, sagt sie und legt sich jetzt richtig auf den Teppich hin.
Es ist still, doch Lia schaut nicht ihn an, sondern an die Decke. Wieso liegt sie hier auf dem Teppich und nicht neben Jarmo? Sie weiß es nicht genau, vielleicht wegen dem Fast-Kuss, oder weil sie sich nicht sicher ist, ob er damit einverstanden ist. Ihr Teppich ist auch eine gute Alternative.
“Es ist wegen Katharina”, sagt er leise und als würde ihn die Antwort sehr viel Mühe kosten. Bingo, denkt Lia.
“Ich wollte sie Küssen, naja eigentlich und ich habe gedacht das es okay ist, ich meine sie ist meine Auserwählte, mein Mädchen!”, sagt er schnell und die Wörter verschwimmen fast ineinander.
“Jarmo hast du nicht gelernt, das man nicht so rangehen sollte”, sagt sie und lächelt Jarmo an. Jarmo schaut sie finster an.
“Tut mir Leid, erzähl weiter”, sagt sie.
“Ja, was soll ich denn noch sagen? Sie hat den Kopf weggezogen und gesagt das sie das nicht möchte und mich rausgeschmissen”, sagt er fast tonlos.
Lia richtet sich auf. War das jetzt Realität? Hat sein Mädchen, ihn rausgeschmissen? Lia freut sich. Und wie sie sich freut! Das ist ihre Chance. Sie lässt sich aber nichts anmerken. Jarmos Schultern hängen und er sieht noch schmaler aus als sonst. Lia steht auf und setzt sich neben ihn hin.
“ Jarmo, das muss doch nichts heißen!”, sagt sie und nimmt seine Hand. Er riecht so gut!
“Nein! Das sagst du nur um mich zu beschwichtigen!” sagt er und schaut sie an. Er ist wirklich betrübt.
Sie klettert richtig auf ihr Bett zu ihrem Kopkissen und Jarmo ihr hinterher. Sie schaut ihn an und er legt seinen Kopf in ihren Schoß.
“Sag mir was ich machen kann Lia, irgendwas!”, sagt er und schaut sie an. Sie streicht über seine Haare und ihr Herz klopft ihr bis zum Hals. Er ist ihr so nah. So unglaublich nah.
“Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich kenne mich mit so was nicht aus. Aber sie ist doof, das sie den Kopf zurückgezogen hat! “, sagt sie und lächelt.
Jarmo schüttelt den Kopf muss aber auch lächeln und legt seine Hände über seine Augen.
Lia legt ihre Hände auf seine Hände.
“Du brauchst dich nicht zu verstecken vor mir”,sagt Lia leise und beugt sich ein wenig vor.
“Ich weiß doch”, sagt er genauso leise und nimmt seine Hände vom Gesicht und nimmt Lias Hände in seine.
Er streicht über Lias Hände, schaut sie an, vergleicht sie mit seinen.
“Machts Spaß?”, fragt Lia kichernd.
Jarmo lächelt und richtet sich auf, legt sich neben Lia und lässt ihre Hände los.
“Vielleicht solltest du auf eine Antwort von ihr warten?”, fragt Lia.
“Das wäre die beste Idee”, sagt er und sein lächeln verfliegt gleich wieder. Lia wechselt das Thema.
“Hast du eigentlich auch ein Gedicht über mich geschrieben ?”, fragt sie ihn.
“Nein, wieso fragst du?”, sagt er und schaut schnell weg.
Lia lacht, legt eine Hand unter sein Kinn und dreht sein Gesicht zu ihrem.
“Lüg nicht”, sagt sie und schaut ihm in die Augen.
“Okay, wenn ich ehrlich bin, habe ich ein nackt Bild von dir gezeichnet, wie du auf dem bett liegst”, sagt er und Lia schaut ihn sprachlos an.
Er fängt laut an zu lachen. “Lia, das war nur ein Scherz!”
Lia schaut ihn fassungslos an. Das war ein böser Sherz, musste sich aber das Lachen auch verkneifen. Während er lacht, schnappt Lia sich einfach sein Handy aus der Hosentasche.
“Mal sehen, ob du vielleicht irgendein Gedicht auf deinem Hand abgespeichert hast!”
“Lia, gib sofort mein Handy her!”
Lia muss lachen und krabbelt weg, nicht schnell genug den Jarmo hält sie am Fußgelenk fest.
Lia versucht ihn abzuwehren.
“Lia, letzte Chance!”, sagt er und dreht sie auf den Rücken. Er ist genau über ihr. Lias Herz ist am zerspringen.
“Sonst was ?”
“Sonst werde ich zu deinem schlimmsten Albtraum”, sagt er leise und beugt sein Gesicht noch näher an ihrs.
Lia saugt alles in sich auf. Die vereinzelten Sommersprossen auf seiner Nase, die dunklen Augen und besonders seine Lippen.
Das wäre der perfekte Moment zum Küssen, doch Lia traut sich nicht. Wie würde dieser Kuss enden? Lia durchläuft ein heißer Schauer. Sie atmet schwer.
“Ich stehe auf Albträume”, sagt Lia und lächelt vergnügt.
“Du hast ja komische Vorlieben”sagt er und lächelt auch. Lia legt ihre Hände um sein Gesicht. Sie streicht über seine Wangen, über seine geschlossenen Augenlieder und über seine Lippen. Er bewegt sich nicht. Sein Gesicht ist regungslos und Lia streicht weiter runter bis zu seinem Hals und in seinen Nacken und krault ihn ein wenig. Lia spürt wie Jarmos scharf die Luft einzieht und selber schwer Atmet.
Irgendwie schießt Lia Katharina ins Hirn. Ihr Herz zieht sich schmerzlich zusammen. Er liebt sie und nicht Lia. Was macht sie zum Teufel?
Lia zieht vorsichtig ihre Hände aus seinen Nacken und Jarmo öffnet seine Augen.
“Wieso hörst du auf auf?”, fragt er mit brüchiger Stimme.
Lia schüttelt den Kopf. Sie lächelt.
“Weil ich sonst zu deinem schlimmsten Albtraum werde!”, sagt sie lachend und schubst ihn weg. Er seufzt und legt sich neben Lia.
Sie schaut ihn an und sieht das seine Wangen leicht rot sind. Sie will gar nicht erst wissen wie sie aussieht.
“Du kannst hier schlafen, wenn du möchtest, also, wenn du nicht nachhause willst”, sagt sie nervös.
“Nein, ich schlafe gerne hier, wenn du mir das schon anbietest”,sagt er und Lia steht auf.
“Okay, ich gehe eben duschen und dann können wir was essen” sagt sie und kramt ihre Duschsachen zusammen.
Sie dreht sich an der Tür noch mal um und schaut ihn an. Er schaut sie an. Sie lächelt und er lächelt zurück und die verschwindet unter der Dusche.
Sie duscht sich so schnell sie kann und schlüpft in ihre Schlafsachen und kommt aus der Dusche. Jarmo liegt auf dem Bauch und sie hört ihn leicht schnarchen. Sie grinst, holt sich was zu essen aus der Küche und deckt ihn zu.
Lia legt sich neben ihn, traut sich nicht sich an in zu Kuscheln. Viel lieber beobachtet sie ihn.
Selbst als ihr die Augen zufallen, sieht sie sein Gesicht..
Ich merke, wie ich langsam wach werde. Ich gleite aus der Traumwelt in die Realität zurück. Ich lasse meine Augen geschlossen und bewege mich nicht. Wie spät es wohl ist? Welcher Wochentag ist überhaupt? Auf jeden Fall hat mich weder mein Wecker noch meine Mutter geweckt. Also ist es vielleicht noch recht früh.
Ich drehe mich mit noch immer geschlossenen Augen um und halte dann ruckartig inne. Das Bett fühlt sich nicht an wie mein Bett, die Decke fühlt sich nicht an wie meine Decke, es riecht nicht wie in meinem Zimmer. Ich schlage die Augen auf. Und sehe direkt in Lias Gesicht.
Ich muss mich zusammenreißen, damit ich nicht laut loslache. Sie scheint noch zu schlafen und ich will sie nicht wecken. Aber es ist einfach so lustig, dass ich nicht mehr wusste, wo ich bin. Und es ist auch lustig, dass ich mit Lia zusammen in einem Bett liege. Lia ist lustig. Ich grinse über dein Satz. Zwei L’s. Lia lacht lustig. Jetzt sind es drei L’s.
Und nun kann ich mich nicht mehr zurückhalten und muss doch kichern.
Schnell fasse ich mich wieder und schaue angespannt in Lias Gesicht. Ihre Augen bleiben geschlossen und sie atmet weiter ruhig.
Ein Glück! Ansonsten hätte sie mich wahrscheinlich gleich wieder gefragt, warum ich lache. Und es reicht, dass ich ihr einmal von meinen komischen Gedanken mit den surfenden Bakterien erzählt habe - obwohl das echt coole Gedanken waren! -, da muss das mit den L-Sätzen jetzt nicht auch noch sein.
Ich betrachte Lia. Sie hat die Bettdecke bis über ihren Hals hochgezogen, von daher kann man nur ihren Kopf sehen. Die strubbeligen Haare sind noch strubbeliger als sonst, habe ich das Gefühl. Aber das kann auch täuschen.
Jetzt fängt sie an sich zu bewegen und ich erwarte schon, dass sie gleich wach wird und irgendwas Lustiges sagt, aber ihre Bewegungen scheinen im Schlaf zu passieren. Sie zieht einen Arm unter der Decke hervor und legt ihn auf meine Brust.
Vielleicht träumt sie ja von mir.
Aber wahrscheinlich eher nicht. Wohl eher von ihrem Auserwählten. Ich zucke innerlich zusammen. Über den hat sie mir noch nie etwas erzählt. Das ist mir bisher noch nicht aufgefallen, aber jetzt finde ich es schon komisch. Wenn ich darüber nachdenke, wie das bei mir und Katharina die ganze Zeit war… Aber naja, vielleicht ist das bei Mädchen generell anders. Katharina hat ja anscheinend auch nicht so viel von mir geträumt. Also träumt Lia vielleicht auch nicht so viel von ihren Mann. Was das wohl für einer ist? Ob sie ihn schon kennt? Ob er nett ist? Ich beschließe, sie danach zu fragen, wenn sie wieder wach ist.
Ich lege meine Hand um Lias, die immer noch auf mir liegt. Sie hat starke, aber trotzdem dünne Finger, ihre Hände sind nicht viel kleiner als meine. Irgendwie finde ich ihre Hände schön. Das ist mir schon gestern aufgefallen. Dabei wusste ich gar nicht, dass auch solche Körperteile attraktiv sein können. Aber warum auch nicht.
Ich fahre die Kontur ihrer Finger mit meinen nach und drücke ihre dann zu einer Faust zusammen. Ich finde es lustig, aber gleichzeitig auch ein bisschen unheimlich, dass man sich im Schlaf so gehen lässt. Da können andere über einen bestimmen und man ist ganz schutzlos.
Ich lege mich näher an Lia und flüstere ganz leise: „Ich beschütze dich.“
Schon eine Sekunde danach komme ich mir doof vor und ich bin froh, dass sie das nicht gehört hat. Ich muss sie nicht beschützen, niemand muss sie beschützen. Sie kann ganz gut auf sich alleine aufpassen und ist definitiv kein kleines Kind mehr. Trotzdem bleibe ich so nah an ihr liegen.
Sie riecht gut. Nicht nach etwas Bestimmtem und auch nicht auf eine perfekte Art. Sie riecht einfach nach sich selbst. Eine Mischung aus Schweiß, Shampoo, Deo, vielleicht einem Rest Parfum und dem ganz speziellen Bett-Geruch, den jedes Bett hat. Der Lia-Geruch.
Wenn man ein Parfum kreieren würde, könnte man es auch Lia nennen. Das ist ein schöner Name. Und man kann ihn schön schreiben. Mit diesem schönen geschlungenen L. Lia. Lia. Lia.
Ich nehme mir vor, ihren Namen irgendwann ganz oft aufzuschreiben.
Jetzt zieht Lia ihre Hand von mir weg und streckt sich. Sie hat die Augen zwar noch geschlossen, aber ich gehe davon aus, dass sie sie gleich öffnet.
Erst grummelt sie aber und hält sich den Arm vors Gesicht. So bleibt sie einige Zeit liegen und dreht sich dann plötzlich mit offenen Augen zu mir um.
Sie grinst und legt ihren Kopf auf meinen Bauch und ihre Arme um mich. Dieses Mädchen kann mich wirklich immer wieder überraschen! Ich grinse. Gerade das macht es doch so spannend.
Ich fahre ihr durch die Haare.
„Guten Morgen, Strubbel-Kopf!“, sage ich.
„Du machst meine Haare doch gerade strubbelig!“
Ich lache. „Nette erste Worte von dir am Morgen!“
Sie reckt ihren Kopf hoch, lächelt mich an und legt sich dann wieder zurück auf meinen Bauch.
„Bist du schon lange wach?“, fragt sie dann.
„Nein, nicht wirklich.“
„Ok gut. Ansonsten hättest du ja auch schon mal Frühstück machen können.“
„Wie nett du heute bist!“
„Das war ein Scherz!“, sagt sie und kriecht mit ihren Kopf näher an meinen heran. Jetzt liegt sie also eher auf meiner Brust als auf meinem Bauch, was eindeutig angenehmer ist.
Ich nehme ihre Hand wieder in meine und merke, wie es in meinem Bauch kribbel als wäre ich nervös. Ich versuche, ganz ruhig zu atmen, aber ich glaube, es klappt nicht ganz und mein Herz schlägt schneller und lauter als es eigentlich sollte.
Immer wenn ich mich auf meinen eigenen Atem konzentriere, funktioniert der nicht mehr ordentlich. Ansonsten klappt das alles automatisch und mein Körper weiß ganz genau, wann er sich wie zusammenziehen muss, um die Luft in sich aufzunehmen. Aber immer gerade dann, wenn ich darüber nachdenke, mache ich mir wahrscheinlich zu viele Gedanken und fusche meinem Unterbewusstsein in die Arbeit.
So ist es wohl auch jetzt, also versuche ich mich konzentriert auf etwas anderes zu konzentrieren, um meinen Atem wieder zu normalisieren.
Und da es nicht so viel Spannendes in diesem Raum gibt, konzentriere ich mich auf Lia. Sie liegt jetzt nur noch mit ihren Beinen unter der Decke, also kann ich den Rest ihres Körpers sehen. Die Arme und die Hände, die ich sowieso so schön finde und auch ihren Rücken. Ihr T-Shirt ist ein wenig hochgerutscht und man sieht an der Stelle kurz über ihrem Hintern ein Stück Haut. Sie hat helle Haut, dort ganz besonders; noch mehr als in ihrem Gesicht und an ihren Händen. Aber ich merke, dass es mir gefällt. Ich kann nicht sagen, auf welche Art, aber ich finde es interessant und ich spüre das Verlangen, ihr T-Shirt weiter hochzuziehen, um ihren kompletten Rücken zu sehen.
Ich lasse es sein. Ich denke nicht, dass es ihr gefallen würde und außerdem hätte ich eh nie den Mut dazu.
Ich korrigiere meinen Gedanken sofort wieder. Vielleicht werde ich ja doch irgendwann den Mut dazu haben. Mit Lia ist alles so viel einfacher als mit Katharina. Da ist alles so selbstverständlich. Und ich kann ihre Gesellschaft so genießen.
„Ich bin froh, hier zu sein“, sage ich ihr in die Stille hinein.
„Ich bin auch froh, dass du hier bist.“
Ich drücke sie ganz fest an mich und berühre dabei wie zufällig die nackte Stelle an ihrem Rücken. Es scheint sie nicht zu stören und ich lasse meine Finger da liegen.
Kurz denke ich noch daran, sie nach ihrem Auserwählten zu fragen, wie ich es mir vorhin überlegt habe, lasse es dann aber doch sein. Ich will ihn nicht hier haben. Nicht in ihren Gedanken und nicht in meinen Gedanken. Ich weiß nicht genau, ob ich schon jemals eifersüchtig war und ich weiß auch nicht, ob ich es jetzt bin, aber sowas in der Richtung scheint es zu sein. Dabei kenne ich den unbekannten Kerl ja noch nicht mal.
„Du bist gemütlich“, unterbricht Lia meine Gedanken. Und ich bin ihr dankbar dafür.
Ich weiß nicht, was ich darauf entgegen soll, bleibe also einfach still.
„Sag was!“ Sie piekst mich in die Seite und ich kann mir vorstellen, wie sie jetzt grinst, auch wenn ich ihr Gesicht nicht sehen kann.
„Aua! Was denn?“
„Irgendwas.“
„Ich habe doch schon mal ein Gedicht über dich geschrieben“, sage ich nach kurzem Zögern.
„Ich hab dich auch schon oft gezeichnet“, erwidert sie.
Und irgendwie macht mich das unheimlich stolz. Sie zeichnet mich. Und sie kann so wundervoll zeichnen, dass ich auf ihren Bildern bestimmt auch wundervoll aussehe. Ich würde es gerne sehen, frage aber lieber nicht danach, weil ich weiß, sie würde dann auch mein Gedicht sehen wollen. Und das möchte ich nicht. Noch nicht. Vielleicht ja irgendwann.
Offensichtlich denk sie sich sowas Ähnliches wie ich, denn auch sie fragt nicht weiter nach. Es herrscht wieder Stille, aber die ist nicht unangenehm. Wir beide gehen einfach unseren Gedanken nach, und keiner stört sich daran. Das gefällt mir.
Ich betrachte ihren Körper weiter. Ihren Rücken mit meiner Hand darauf. Und ich stelle mir vor, wie ich jetzt mit meiner Hand weiter unter ihr T-Shirt gehe und ihre helle schöne Haut unter meinen Fingerspitzen spüre.
Und dann muss ich mich konzentrieren, keinen Steifen zu bekommen, dass ich nicht weiter über die Vorstellung nachdenken kann.
Ich atme hörbar ein und genieße wieder ihren Duft. Ich berühre mit meiner Nasenspitze ihre Wange, um noch mehr davon zu riechen. Wir schauen uns jetzt in die Augen.
Ihre sehen so gut aus! So interessant, so frech, mit so viel Leben darin.
Ich muss lächeln und sie fährt mir mit ihren Fingerspitzen über die Lippen.
„Ich liebe dein Lächeln“, flüstert sie, als dürfe ich das eigentlich gar nicht hören.
„Ich liebe dich“, antworte ich. Ich habe mir keine Gedanken über den Satz gemacht, ich habe ihn einfach so gesagt. Irgendein Teil meines Körpers hat den einfach so gesagt. Und am meisten wundert es mich, dass dieser Teil Recht hat.
Ja, ich liebe sie. Ich weiß zwar nicht genau, wie man Liebe definiert oder was man genau fühlen muss, um verliebt zu sein, aber trotzdem weiß ich einfach, dass es stimmt. Mein Körper wusste das offensichtlich, bevor mein Verstand überhaupt nur daran gedacht hat.
Ich spüre Lias Lippen an meinen. Sie fühlen sich weich an, und ganz zärtlich küssen wir uns. Ich spüre, wie ihre und meine Zunge sich ganz vorsichtig berühren, schließe die Augen und sehe in der Dunkelheit Lias Augen vor mir. So wunderschön.
Sie löst ihren Mund von meinem, flüstert dann: „Ich liebe dich auch“ und wir küssen uns nochmal.
“Das ist nicht witzig Lia”, sagt Jarmo und zieht seinen Kopf weg. Lia kichert und löst ihre Lippen aus seinem Nacken.
“Das soll doch auch nicht witzig sein!”, sagt sie und legt ihr Arme um seinen Hals.
“Lia, ich kann so nicht arbeiten”, sagt Jarmo und die beiden kichern.
“Okay, okay”, sagt Lia und lässt ihn alleine.
Lia lässt Jarmo alleine im riesigen Garten sitzen bei seinen Gedichten.
Sie holt sich lieber was kaltes zu trinken. Es ist unglaublich warm draußen und Lias sonst so helle Haut ist leicht braun. Jarmo dagegen sieht aus wie 10 Stunden Solarium. Sie muss lächeln. Jarmo. Er gehört ihr. Sie ist so glücklich!
Sie liebt ihn von Tag zu Tag mehr. Lia lächelt in sich hinein und geht nach oben in ihr Zimmer. Ihr Bett ist aufgewühlt und ein Schirt von Jarmo liegt auf dem Stuhl. Sie schnappt es sich und riecht dran. Sie zieht den Geruch ein. Das macht sie ganz oft, aber immer wenn er es nicht sieht. Sein Geruch beruhigt ihn. Lia legt das Shirt weg und geht zu ihrem Schrank und schlüpft aus dem Top und der kurzen Hose in ein leichtes hellblaues Sommerkleid.
Lia beobachtet sich im Spiegel. Das Kleid sitzt eng an ihrem schmalen Körper und sie hofft das es Jarmo gefällt.
“Ich weiß das du mich beobachtest”, sagt Jarmo ohne sich umzudrehen.
Lia lacht leise und kommt aus dem Türbogen heraus und stellt sich neben Jarmo. Jarmo schaut sie sehr intensiv an, besonders ihren Körper.
“Gefällt es dir?”, fragt sie und dreht sich lächelnd. Er nickt stumm und fummelt nervös an seinem Block rum.
Er steht auf und reicht ihr sein Gedicht. Sie fährt über die sanften Schwünge seiner Schrift. Er hatte eine so schöne Schrift, und er konnte sich so gut ausdrücken. Manchmal fragt sie sich, wo er die ganzen Ideen herhat.
Aber diesmal ist es kein Gedicht über Lia, sondern über seine geliebte Mutter.
Lia ließt das Gedicht einmal, zweimal, dreimal und lächelt Jarmo an.
“Wie immer wunderschön Jarmo”, sagt sie und legt das Gedicht auf den Tisch.
Er zieht sie an sich ran, legt seine Hände um ihre Hüfte. Lia drängt sich näher an ihn ran, bis ihr kleiner Körper gegen seinen gedrückt wird.
“Fast so wunderschön wie du”, sagt er leise und Lias Herz schlägt unregelmäßig.
Sie legt ihre Hände auf seinen Rücken und küsst ihn. Seine Lippen sind warm und weich und vorsichtig. Er küsst immer vorsichtig, als hätte er Angst das Lias Lippen sonst zerstört werden.
Lia öffnet ihren Mund gleichzeitig wie Jarmo und ihre Zungen verschmelzen miteinander.
In letzter Zeit dreht Lias Körper durch. Er verlangt mehr von Jarmo. Alles von Jarmo. Lias Körper will Jarmos Körper spüren, alles sehen und anfassen.
Lia kann ihre Leidenschaft nicht zurückdrücken und drängt ihren Körper noch fester an seinen. Ihre Hände wandern von seinem Nacken in seinen Rücken und weiter runter. Seine Hose ist ein Stückchen runtergerutscht und Lia tastet an seine Boxershorts entlang. Ihre Hände schlüpfen von alleine in seine Boxershorts doch Jarmo löst seine Lippen von Lia.
“Lia, hör auf, du machst mich wahnsinnig”, flüstert er leise und sein Atem geht schneller als sonst. Lia legt ihre Hände wieder an seinen Rücken, lässt die Augen aber geschlossen und lehnt ihre Stirn an seine.
“Tut mir Leid, es geht einfach mit mir durch. Du machst mich wahnsinnig!”, sagt sie und die beiden lachen leise.
Jarmos Hände wandern von ihrem Hintern, wieder hoch zu ihrem Rücken.
“Ich weiß, ich merke es”, sagt er und Lia löst sich von ihm.
“Arschloch!”, sagt sie und merkt wie sie leicht rot wird.
“Ach Lia, das war doch nicht so gemeint!”, sagt er lachend und drängt seinen Körper wieder an ihren doch Lia drückt ihn weg.
Ihr ist es unangenehm, zu wissen, das sie anscheinend mehr will als Jarmo. Viel mehr.
Er drückt ihr einen Kuss auf die Stirn und alles ist wieder gut. Immer wenn Lia sich unwohl fühlt, oder sie böse auf ihn ist, gibt er ihr ein Kuss auf die Stirn und alles ist vergessen.
“Und was ist da jetzt so toll dran?”, fragt Jarmo sie. Die beiden liegen auf dem Bett. Es ist dunkel draußen und es ist angenehm kühl in ihrem Zimmer. Lias Kopf liegt auf seiner Brust und die beiden schauen TV. “Du verstehst das nicht, du bist ein Junge”, sagt Lia und konzentriert sich auf den Fernsehr.
Ihre Lieblingsserie läuft und da kann Jarmo tun und machen was er will, sie verpasst keine Folge.
“Gibs zu, du liebst sie mehr als mich”, sagt Jarmo und lacht.
“Wenn du weiter redest, überlege ich es mir noch mal”, sagt sie und schaut zu ihm hoch. Die beinden grinsen.
Lias Handy klingelt und sie richtet sich auf. “Wenn jetzt nicht irgendjemand einen Unfall hatte, dann gibt es ärger”, sagt sie und beugt sich über Jarmo zu ihrem hand hinüber. “Kannst du mir bitte mein Handy geben?”, fragt sie, weil das Handy zu weit weg liegt. “Und was bekomme ich dafür”, fragt er frech grinsend. “ Einen Arschtritt weniger”, sagt sie und setzt sich auf Jarmos Schoß und greift zu ihrem Hand und nimmt ab. Zu spät.
“Das war jetzt klar”, sagt sie und legt ihr Hand weg, bleibt aber so sitzen.
Jarmo richtet sich auf und lächelt. “Egal, ich bin ja da”, sagt er und gibt einen sanften Kuss. “Genau, mehr brauche ich nicht”, sagt sie und Jarmo lehnt sich zurück ins Kissen und die beiden Küssen sich. Lias Atem geht schneller und ihr Herz pumpt wie wild. Sie löst ihre Lippen von seinen, küsst seinen Hals und fährt mit den Händen unter sein Shirt. Sie zeichnet den leichten Ansatz seines Sixpacks nach und Jarmo zuckt leicht zusammen. Jarmos Hände liegen auf Lias nackten Oberschenkel und rutschen langsam immer höher bis unter ihr Kleid. “Lia”, flüster Jarmo leise. Sie hebt ihren Kopf an und schaut ihn an. Sie versucht klar zu denken. Es ist wieder mit ihr durchgegangen. “Tut mir Leid, ich kann dir nicht widerstehen”, sagt sie und legt sich wieder neben Jarmo.
Jarmo beugt sich über sie und zieht ihren Körper an seinen. “Sollst du doch gar nicht”, sagt er und legt seine Hände wieder auf ihren Oberschenkel. Sie bekommt Gänsehaut am ganzen Körper und ihr Blut rauscht in ihren Ohren. Bevor sie was erwidern kann, zieht er ihren Körper wieder auf seinen und seine Lippen suchen fordern ihre. Er zieht sein Schirt von selbst aus und Lia schaut seinen nackten Oberkörper an der sich schwer hebt und wieder sinkt. Lia küsst seine Brust bis hinter zu seinem Bauch. Jarmo zieht Lias Kopf wieder hoch zu seinem, gerade als sie bei seinem Hosenbund angelangt ist.
Lia schaut in sein Gesicht. Seine Wangen sind rot und er atmet unregelmäßig. “Ich habe Angst Lia”, sagt er und schaut sie an.
Lia schließt ihre Hände sanft um sein Gesicht. “Wovor hast du Angst?”, fragt sie ihn sanft.
“Das es nicht so wird, wie du es dir vorstellst “, sagt er leise und Lia lächelt freundlich.
“Mit dir wird alles schön Jarmo, egal was du machst”, sagt sie und küsst ihn vorsichtig.
“Okay”, sagt er und drängt sich wieder an sie. Seine Hände wandern von ihrem Oberschenkel unter sein Kleid. Lia atmet hörbar ein und spürt ein heißes Kribbeln im Unterleib.
Jarmo fährt über ihren Slip, über ihren Bauch zu ihrer Brust. Lia schließt die Augen. Jarmo sucht nach dem Reißverschluss und öffnet ihn und Lia schlüpft aus dem Kleid. Jarmo schaut ihren Körper genau an. Ihre nackten Beine, ihren Bauch und ihre Brüste. Seine Hände und Lippen sind überall gleichzeitig und Lia stöhnt leise auf. Lia zieht ihn an sich ran und öffnet seine Hose. Sie merkt wie er kurz zögert und nimmt die Hände weg, doch Jarmo zieht seine Hose selber aus. Er zieht sie auf ihn drauf. Das hiße Kribbeln in ihrem Unterleib wird immer stärker und durch Jarmos Errektion noch verstärkt. Seine Hände wandern von ihrem Bauch hoch wieder zu ihren Brüsten. Seine Berührungen machen sie wahnsinnig. Lia kann nicht klar denken und ihr Körper ist elektrisiert durch ihn.
Ihr Hände wandern von selber zu seiner Boxershorts. Er zuckt zusammen und stöhnt leise als Lia seine Errektion berüht. Sie zieht seine Boxershorts ganz aus. Auch Jarmos Hände wandern von ihren Brüsten hinunter zu ihren Slip..
Jarmo und Lia liegen nebeneinander und schauen sich an. Sie atmen im selben heftigen Rhythmus und ihre Erregtheit steigt ins unermäßliche. Er beugt sich über sie und küsst sie. Lia spürt einen kurzen Schmerz, als er ihn sie eindringt, der aber schnell vorrüber geht. Sie schauen sich an und küssen sich mit offenen Augen.
Jarmo bewegt sich langsam und ruhig und Lia hat noch nie so etwas gefühlt. Die beiden passen perfekt zusammen. Jetz auch sexuell.
Jarmos und Lias stöhnen vermischen sich und Lia denkt nur noch an das hier und jetzt. Und an Jarmos Körper. Und an Jarmo. Jarmo Jarmo.
Lia wacht bevor Jarmo es tut. Sie dreht sich gähnend um und schaut einem schlafenden Jarmo an.
Er liegt ganz ruhig da, entspannt und wunderschön wie immer.
Was würde sie nur ohne ihn machen? Sie liebt ihn.. Liebt ihn so wie sie noch nie jemanden geliebt hat und nie jemals jemanden wieder lieben wird..
Gähnend kuschelt sie sich wieder an ihn. Riecht seinen Geruch und es fühlt sich wie zuhause an.
Texte: K. Filzow
Tag der Veröffentlichung: 27.03.2012
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