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Prolog

Die Tür wurde aufgebrochen und ein heller Lichtstrahl fiel ins Zimmer. Eine Frau kam auf mich zu und wollte mir aufhelfen, aber ich hatte nicht mal die Kraft nach ihrer Hand zu fassen. Sie rief etwas und drehte sich dann um.

 

Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist die weiße Krankenhauszimmerdecke. Ein Frau in blauem Kittel wuselte um mein Bett herum und quasselte an einem Stück. Ich machte mir erst gar nicht die Mühe zuzuhören.

Sie kam jeden Tag und redete ununterbrochen. Ab und zu schnappte ich ein bisschen des Inhalts ihrer ewigen Reden auf. Sie erzählte von ihrem Mann, ihren Kindern und von Bekannten. Sie schien nicht zu wissen, dass ich ihr zuhörte.

Nach etwa einem Monat durfte ich gehen. Eine vom Jugendamt holte mich ab. Sie versuchte mit mir zu reden, aber ich schwieg nur und sah aus dem Fenster. Die Stadt hatte sich verändert. Braunes Laub lag um die Bäume herum und der Himmel war dunkel und trist. Die Menschen gingen ihren eigenen Geschäften nach. Die Frau vom Jugendamt hatte bei ihren vorherigen Besuchen versucht mich zum reden zu bringen, aber ich hatte ich vehement gesträubt und dann hatte sie es aufgegeben einen Ton aus mir heraus zu bekommen. Sie war mir nicht so sympathisch, als dass ich ihr erzählt hätte war mir im Kopf herum spuckte. Das war für sie viel zu hoch. Sie schaffte es ja gerade mal die Formulare über mich auszufüllen.

Wir hielten schließlich vor einem großem, zugegebener Maßen, ganz nett aussehendem Haus. Sie stieg aus und auch ich löste meinen Gurt. Aus dem Krankenhaus hatte ich eine große Plastiktüte mitbekommen und das war auch alles, was ich jetzt hinter ihr her in das Gebäude hineintrug.

In ihren Büro wies sie mir einen Stuhl zu und ließ sich hinter ihren Schreibtisch auf ihren Stuhl fallen. „Ich habe mit ihrem Bruder gesprochen. Er wird sie für eine Weile, bis wir etwas besseres gefunden haben, bei sich aufnehmen!“ sie versuchte zu lächeln. Wie sie es schon sagte 'Etwas besseres gefunden haben' mein Bruder war ein wunderbarer Mensch. Nirgends konnte ich es „Sie müssen mir sofort Bescheid sagen, wenn ihnen etwas nicht gefällt und dann werden wir unser Bestes tun, um das zu ändern.“ Dieses Mal nickte ich. Ich wollte einfach wieder raus aus diesem Büro. Weg von dieser Frau, die so offensichtlich wenig Interesse an mit hegte.

Auf dem Schreibtisch standen Fotos von ihr und ihrer Familie. Ich wollte wegschauen, aber mein Blick wanderte immer wieder zurück. Sie redete noch eine Weile über organisatorischen Kram, aber ich hörte ihr wiedermal nicht zu. Mein Blick hatte sich endlich von den Bildern losgerissen und beobachtete einen Vogelschwarm, der in dem Baum direkt vor dem Fenster saß. Es schien, als hielten sie eine Sitzung ab. Hin und wieder flog einer weg und kam wenig später wieder.

 

Auf einmal stand die Jugendamtsmitarbeiter ruckartig auf und schreckte mich so aus meiner Vogelbeobachtung auf. „Dann wollen wir mal!“ sie packte eine Mappe in ihre Tasche und war schon auf dem Weg zur Tür. Ich folgte. Fast kam ich mir wie ein artiger Hund vor, der jemandem den ganzen Tag hinterher läuft.

Wir fuhren zu einem Altbau in der Innenstadt. Sie hielt. „Ich habs eilig. Schafft du das alleine? Dein Bruder wohnt direkt dort in dem Haus.“ Ich nickte, schnallte mich ab und stieg aus. Endlich weg von dieser Frau. Sie winkte mir zum Abschied und dann trat sie heftig aufs Gaspedal. Mit quietschenden Reifen fädelte sie sich wieder in den Verkehr ein und war auch schon verschwunden. So stand ich also allein vor diesem Haus. Es sah alt aus, aber für die Innenstadt doch gut gepflegt. Mein Blick wanderte an der Fassade nach oben. An den Fenstern im Erdgeschoss hingen überall Blumenkästen. Dagegen in der Etage darüber sah alles kahl aus und noch einen Stock höher waren zumindest Vorhänge zu erahnen. In der mittleren Wohnung waren außerdem an drei der vier Fenstern zur Straße raus, die Rollläden heruntergelassen.

Ich hatte meinen Bruder schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen, oder gesprochen. Nur zu Weihnachten hatte er eine kurze Karte geschrieben, allerdings auch nur an mich. Ich erinnerte mich, wie seine Haare ihm immer wirr in die Stirn gehangen hatten. Auch seine Eigenarten, die alle Teile des Lebens betrafen, kamen mir wieder in den Sinn.

Die Haustür war nur angelehnt und ich trat ein. Auf dem Klingelschild des ersten Obergeschosses stand sein Name.

 

(1)

Dann stand ich vor der Wohnungstür und klingelte. Von drinnen schallte Musik ins Treppenhaus. Aber sonst rührte sich nichts. Einen Moment überlegte ich, aber dann drückte ich nochmal auf den Klingelknopf. Dieses mal ließ ich meinen Finger länger auf der Klingel liegen. Wieder ertönte das nervenaufreibende Schnorren der Türklingel. Aber weiterhin auch weiterhin, war keine Regung hinter der Tür zu erahnen. Auch nach mehrmaligem langen Klingeln öffnete niemand. Verzweifelt ließ ich mich auf die Welcome-Home-Fußmatte nieder. Mit dem Rücken lehnte ich gegen die Tür und ließ die Plastiktüte achtlos neben mir liegen.

Ich hatte die Augen geschlossen und schaffte es an nichts zu denken. Alles andere erinnerte mich nur unangenehm an irgendein Detail aus meiner Vergangenheit. Plötzlich tippte mich jemand auf die Schultern. Ich schreckte hoch und zog automatisch noch in der selben Bewegung den Kopf ein. Grün-braune Augen sahen mich ein bisschen verwirrt an, doch dann veränderte sich der Blick sich in Überraschung und dann in Entschuldigung.

„Ich wusste nich dass du schon da bist...“ Mit diesen Worten half er mir auf, strich sich nervös durch die blonden kurzen Haare und fummelte den Schlüssel aus der Hosentasche. Die Tür öffnete sich und er ließ mich eintreten. „Hier sieht's ziemlich chaotisch aus... Wir haben Semesterferien und die Jungs haben es nicht so mit der Ordnung.“ Schnell schnappte er sich noch meine Plastiktüte aus dem Hausflur und schloss dann die Tür hinter uns. „Hunger?“ ich zuckte mit den Schultern und er bedeutete mir ihm in ein Zimmer zu folgen. Es war die Küche und dort sah es wirklich nicht sehr ordentlich aus. Auf der gesamten Ablage stand Geschirr und auf dem Küchentisch stapelten sich sechs Pizzakartons. Er seufzte und stellte sie auf den Boden, dann öffnete er einen Schrank und fand wirklich zwei saubere Gläser. Mit einem schiefen Grinsen stellte er sie auf den Tisch und nickte mir zu, mich zu setzen. „Was zu trinken?“ Ich zuckte mit den Schultern. Standardantwort für alles. Er holte eine Flasche Cola. Dann setzte er sich gegenüber an den Tisch. Wir schwiegen uns an. Meine Finger fuhren am Rand der Tischdecke entlang. „Willst du reden?“ Seine Fingerknöchel waren weiß. So stark umklammerte er sein Glas. Ich schüttelte langsam den Kopf und senkte den Blick auf meine Hände, die in meinen Schoß lagen.

Noch eine Weile saßen wir einfach nur schweigend da. „Komm ich zeigt dir dein Zimmer. Bevor die Jungs kommen.“ Er schob lautstark seinen Stuhl zurück, stand auf und wartete an der Tür auf mich.

Ich folgte ihm durch das dunkle, dreckige Treppenhaus, ein Stockwerk höher. "Ich hoffe es ist für dich okay, aber du würdest jetzt erst mal bei den Mädels wohnen. Das kann ich dir nicht antun mit den Chaoten in einer Wohnung zu hausen.“ ich nickte ihm zu, um verständlich zu machen, dass ich verstanden hatte und vielleicht würde ich es auch später noch verstehen. Er zog einen Schüssel aus der Hosentasche und schloss auf. Ein blumiger Duft schlug uns entgegen. „Hereinspaziert!“ er winkte mich hinein und schloss die Tür hinter uns wieder. Der Flur war hell und mir gefielen die frischen Blumen, die auf dem halbhohen Regal an der Wand standen. An der Garderobe hingen einige Jacken und Mäntel, allerdings schien auch hier niemand zuhause zu sein. Langsam zog ich meine alten Turnschuhe von den Füßen und folgte ihm. Hier war es deutlich aufgeräumter und als ich die Küche betrat staunte ich nicht schlecht. Das war das komplette Gegenteil von der Wohnung ein Stockwerk tiefer. Er führte mich in ein Zimmer im hinteren Teil der Wohnung. Es war zwar nur spärlich möbliert, aber es das Bett sah gemütlich aus und der Schreibtisch, der Schrank und die Kommode gefielen mir auf Anhieb mit ihren verschnörkelten Verzierungen und der normalen braunen Holzfarbe. „Die Mädels müssten eigentlich auch bald kommen!“ Mein Bruder lehnte am Türstock und beobachtete mich, wie ich einfach nur mitten im Zimmer stand und mir aus der Ferne die Sachen ansah. Aus dem Flur hörte man Stimmen und ich sah wie er sich umdrehte und verschwand. „Hey, Baby!“ sagte eine Frauenstimme. Ich vermutete einfach mal, dass es seine Freundin war, auch wenn er mir nichts davon erzählt hatte. Die Schritte kamen näher und ich drehte mich wieder zum Fenster um. Draußen konnte ich die Umrisse eines Baumes ausmachen, dahinter wieder graue Hausfassaden. „Hanna.“ vernahm ich die vorsichtige Stimme meines Bruders. Sie mussten also in der Zimmertür stehen. Langsam drehte ich mich um und erblickte die beiden. Er hatte einen Arm um ihre Taille gelegt. Sie lächelte mir offenherzig entgegen. „Hallo Hanna, ich bin Paula. Bisher haben wir uns ja noch nicht kennen lernen können, aber ich denke wir werden gut miteinander auskommen!“ Zwinkerte sie mir allen ernstes zu? Unschlüssig überlegte ich einen Moment was ich sagen könnte und entschied mich dann dafür, weiter aus dem Fenster zu sehen, durch das es zugegeben absolut nichts zu sehen gab. Hinter mir hörte ich ein hörbaren Ausatmen und dann sich entfernende Schritte. Sie waren also wieder weg. Erst als ich das Kratzen von Stuhlbeinen auf Fliesen hörte, wagte ich es mich zu bewegen. Vorsichtig machte ich einen, zwei Schritte auf die Kommode zu, sodass ich sie mit ausgestrecktem Arm berühren konnte. Das Holz fühlte sich glatt an und ich strich ein Stückchen mit dem Finger darüber. Kein einziges Staubkorn.

Auf leisen Sohlen ging ich in den Flur und dann zur Küchentür. Paula und mein Bruder saßen drinnen und unterhielten sich. „Ja kein Problem. Ich hoff einfach dass ihr auskommt und wenn's nicht geht, kommt sie runter zu uns.“ „Nein, nein. Erstens schaffen wir das schon und zweitens kann man ihr das nicht antun!“ ein lautes helles Lachen ertönte.“Danke! Ich mach mir schon ziemliche Sorgen um sie. Die komische Tusse vom Jugendamt hatte aber ja auch nicht wirklich viele Informationen.“ Er klang bedrückt und durch den Türspalt konnte ich erkennen, wie sie sich schwungvoll auf seinen Schoß gleiten ließ, ihre Arme um seinen Nacken schlang und ihm dann etwas zuflüsterte, woraufhin er sie küsste. Ein leeres Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus und ich beeilte mich, zurück in mein Zimmer zu kommen. So leise wie möglich schloss ich die Tür und legte mich dann, komplett angezogen, ins Bett. Die Plastiktüte lag auf dem Schreibtischstuhl. Ich betrachtete sie. Darin befand sich alles was mir von meinem bisherigen Leben übrig geblieben war. Ein anderes T-Shirt, ein Satz Unterwäsche, sowie drei Paar Socken. Und natürlich noch die Zahnbürste aus dem Krankenhaus. Sonst besaß ich nichts.

Impressum

Texte: Elisabeth Kerstin
Bildmaterialien: Elisabeth Kerstin
Tag der Veröffentlichung: 14.03.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für all die die für mich da waren und auch immer wieder sind, wenn die Welt zusammenbricht und ich sie nicht allein wieder aufbauen kann.

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