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PROLOG

Ich ging die Straße entlang. Die Luft war unangenehm schwül. Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause. Mich in mein Zimmer verziehen und ein paar Texte überarbeiten.

„Süße!“ ich biss die Zähne zusammen. Nein ich würde mich nicht umdrehen. Das würde ich ihm nicht gönnen. Das würde ihn nur wieder drin gestärkt sehen, dass ich ihn brauchte. „Süße! Warte bitte!“ Er wusste wie er mich kriegen konnte. Ich wirbelte herum. „Hör auf mich Süße zu nennen! Es ist vorbei! Ich hab die vertraut, aber du hast das schamlos ausgenutzt! Ganz ehrlich: diesen Fehler werde ich nie wieder machen!“ ich funkelte ihn an. Er sah mich erstaunt an. Okay, vielleicht war ich doch ein bisschen zu hart zu ihm gewesen. „Es tut mir leid!“ damit drehte er sich um und verschwand. Ich war fassungslos. Warum sah er das plötzlich ein. Ein paar Sekunden vorher hatte ich noch gedacht, er würde mich wieder anflehen. Und jetzt das?

Es dauerte eine Weile, bis ich mich aus meiner Erstarrung löste. Der Himmel zog sich immer mehr zu und die schwarzen Wolkenberge türmten sich immer wieder hin und her. Dann fing es an zu regnen. Erst nur ein bisschen und dann immer heftiger. Ich begann zu laufen, zu joggen und um die letzte Ecke bis nach Hause sprintete ich.

Trotzdem war ich klatschnass, als ich zuhause ankam. „Lilly, bist du das?“ hörte ich meinen Vater aus dem Wohnzimmer rufen. „Ja!“ antwortete ich, kickte meine Schuhe in die Ecke und warf meine Tasche über den Pfosten des Treppengeländers. „Du bist spät! Wo warst du?“ Das war meine Mutter. „Weg!“ ich hatte keine Lust mich zu rechtfertigen. Stattdessen machte ich mir nur schnell ein Brot und ging dann hoch in mein Zimmer, ließ mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen und schaltete meinen Laptop ein.

EINS

Miriam hatte mir eine Mail geschrieben. „Hi süße, wie geht’s dir? Mach mir sorgen! Was is mit Markus gewesen, der war ja ewig sauer! Meld dich bitte!“ okay sie war verzweifelt. Warum musste mein Freund, oder besser jetzt mein Ex-Freund, auch ihr Bruder sein?“ Sie bekam eine kurze Erklärung und dann konnte ich mich endlich meinem Text zuwenden.

Die Geschichte war über ein Mädchen, das eine unheilbare Krankheit hat und einen verzweifelten Versuch unternimmt noch ein letztes mal aus ihrem normalen, inzwischen sehr eingeschränkten Leben, zu entfliehen.

Ich war schon in der Endphase, in der ich die fertigen Kapitel nochmal überarbeitete und immer ein Stückchen weiter schrieb.

Mein Handy klingelte. Ich angelte danach, aber von meinem Schreibsessel aus, konnte ich es nicht erreichen. „Man ey! Wer stört denn grade jetzt?“ ich stellte meinen Laptop auf den kleinen Tisch neben meinem Sessel und nahm mein Handy vom Nachttisch. „Hallo?“ „Hey Kid! Whats up? Soll ich wieder auflegen?“ es war meine Tante Camilla aus Amerika. „Nein, Nein, Nein! Bloß nicht!“ wir lachten. „Deine Mutter meinte dir geht’s nicht so gut und da dachte ich, I just call you!“ ich seufzte. Meine Mutter. Das hätte ich mir ja denken können! „Willst du mir erzählen? Ich hab Zeit!“ „Ach es ist schon okay! Ich hab mich mit Markus gestritten und grad sieht's so aus, als wären wir nicht mehr zusammen...“ ich wartete auf ihre Reaktion. So direkt war ich normalerweise nicht. „Ach Sweetie, das wird schon wieder! You are such a Dreamteam!“ „Naja wir warten mal ab! Er kann halt einfach nicht verstehen, dass ich gerade in der Endphase bin und echt jede Möglichkeit brauche um mein Buch fertig zu schreiben!“ wieder seufzte ich. „Dann will ich dich gar nicht weiter stören!“ sie lachte „Und ich möchte unbedingt ein signiertes Buch haben!“ „Kriegst du!“ versprach ich. Wir verabschiedeten uns.

Dann holte ich mir wieder meinen Laptop auf den Schoß und fing wieder an zu tippen.

„Lalina Werner! Es ist hab drei! Wann willst du ins Bett gehen? Morgen ist Schule!“ Ich verdrehte sie Augen. Meine Mutter war so ziemlich die einzige, die mich mit meinem vollen Namen nannte, außer vielleicht einigen Lehrern. Und wenn sie auch noch meinen Nachnamen dran hängte war es ihr bitterer Ernst. „Ich geh gleich ins Bett!“ antwortete ich kurz angebunden. Ich musste diesen Gedanken fertig zu Papier bringen. Sie war mir einen verzweifelten Blick zu, drehte sich um und knallte die Tür hinter sich her. „Die armen Nachbarn!“ dachte ich, aber es hinter ihr her zu brüllen war nich so meine Art. Nicht mehr. Früher hätte ich es bestimmt gemacht, aber inzwischen war ich müde, ständig mit ihnen zu streiten und es langweilte mich. Okay sie hatte vielleicht recht. Es war schon ewig spät und ich musste in weniger als drei und halb Stunden wieder aufstehen.

Mein Wecker klingelte. Ich öffnete ein Auge und versuchte die Uhrzeit zu erkennen. 6.10 Uhr. Spät genug. Ich musste aufstehen. Das war mir zwar klar und mein Kopf wollte auch, dass ich die Decke zurück schlüge und mich in Richtung Bad bewegte, aber mein Körper sträubte sich.

Fünf Minuten später stand ich dann doch unter der Dusche. Wie ich dahin kam, war mir selbst nich so klar, aber es hatte funktioniert und ein bisschen Leben kehrte in mich zurück. Dann zog ich mich an, stopfte meinen Ordner in meine Tasche und nahm mein dickes Notizbuch in die Hand. Ich musste gleich beim Frühstück noch was aufschreiben. Nachts, in meinen Träumen entwickelten sich immer die besten Ideen.

„Lalina, kannst du mal normal mit uns frühstücken?“ mein Vater sah mich ärgerlich an. Und dabei hatte er selbst die Zeitung in der Hand. Nur meine Mutter konzentrierte sich vollkommen auf ihr Brot und den frisch gebrühten Kaffee. Ich entschied mich nichts zu antworten. Das war manchmal echt die einfachste Art. Ich stopfte mir den Rest meines Brotes in den Mund, füllt Kaffee in meinen Warm-halte-Becher und war schon fast aus der Tür. „Ich finde es nicht gut, dass wir so miteinander umgehen!“ erklärte mein Vater. Er sah mich dabei nicht an, aber trotzdem war klar, dass er mich meinte. „Ich verpass' meinen Bus!“ nuschelte ich, kaum hörbar, und schlug die Haustür hinter mir zu.

An der Bushaltestelle setzte ich mich auf die Bank und schlug mein Buch wieder auf. Aber ich schaffte es nicht mal einen einzigen vollständigen Satz aufzuschreiben. Miriam ließ sich neben mich auf die Bank fallen und quatschte an einem Stück. Ich hörte einfach zu. Das war meistens die schnellste Art sie zum Schweigen zu kriegen. Aber heute hielt sie mir gar keinen endlosen Vortrag über irgendwelche Jungs und wie gut ich es mit Markus hätte. Naja jetzt ja nicht mehr. Aber das war ein anderes Thema. Heute ging es nicht um irgendeinen Jungen sondern gerade um Markus. Okay, vielleicht sollte ich sie doch unterbrechen. Bevor ich irgendwem, und in meiner näheren Reichweite befanden sich nur zwei Personen sie und ich, etwas antat. „Miri! Bitte können wir über was anderes reden?“ sie sah mich erst überrascht an. Dann nickte sie und nahm mich nur in den Arm. So hielt sie zumindest die Klappe.

Schule verlief wie immer. Die Lehrer laberten uns voll. Wir Schüler bekamen so oder so nur die Hälfte mit und merkten uns mit Glück etwa ein drittel davon. Ich kritzelte in jeder freien oder unbemerkten Sekunde in mein Buch. Was mich allerdings nicht daran hinderte immer noch mehr vom Stoff mitzubekommen, als die meisten anderen. Ich konnte mich auch hervorragend an den Diskussionen beteiligen.

Nach der Schule schleppten mich Miri, Lucie und Chiara noch in die Stadt und durch die Läden. Während sie sich durch bergeweise Outfits probierten hatte ich schon wieder mein Notizbuch auf den Knien. „Hey, Lali, wann ist dein Buch denn endlich fertig?“ alle drei standen vor mir. „Ich hoffe mal bald!“ ich zwinkerte ihnen zu. „Irgendwas gefunden, womit ihr den nächsten Jungs imponieren könnt, die vorbeikommen?“ die drei lachten „Klar haben wir was gefunden!“ „Aber was ist mit dir? Seit Wochen trägst du nur noch T-Shirts und Shorts! Müssen wir uns sorgen um dich machen?“ „Ne, aber danke der Nachfrage, ich bin nur grad so viel beschäftigt!“ lachend steckte ich mein Buch und den Stift in meine Tasche. „Was machen wir jetzt?“ ich sah die drei abenteuerlustig an. „Ich hab langsam echt Hunger!“ bemerkte Lucie.

 

„Wo kommst du denn jetzt her?“ meine Mutter sah mich herausfordernd an. Okay, es war schon halb elf, aber ich hatte so viel Spaß mit den Mädels gehabt und dann hatten wir die Zeit vergessen. Nur leider würde meine Mutter das als Entschuldigung nicht einsehen und ich hatte auch keinen Bock ihr das zu erklären. Dann würde sie nur wieder fragen wo wir die ganze Zeit gewesen wäre und dann hätte ich ihr erklären müssen dass wir an einem der Ort in der Stadt abhingen, der von allen nur „Milieu“ genannt wurde, auch wenn da nichts dergleichen abging. Naja vielleicht passierten da schon solche Sachen, aber davon bekam man nichts mit. Dort hing nur eigentlich die gesamte Jungend der Stadt ab. Und wir waren dort ja auch nicht allein. Die halbe Stufe war jeden Abend dort und am Wochenende ging die Party erst recht ab.

In meinem Zimmer setzte ich mich gleich wieder an meinen Laptop. Ich hatte so viel Text in mein Notizbuch geschrieben, den ich unbedingt verarbeiten musste.

Es klopfte an meiner Zimmertür. „Ja?“ fragte ich genervt, jeder wusste, dass ich nicht gestört werden wollte, wenn meine Tür zu war. Okay, meine Tür war eigentlich immer zu, aber meistens wollte ich ja auch nicht gestört werden. „Ich glaube wir müssen mal reden!“ Mein Vater lehnte im Türrahmen. Ich schwieg. Vielleicht würde er wieder gehen, wenn ich nicht antwortete. „Fräulein! Jetzt! Im Wohnzimmer!“ Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. „Zwei Minuten! Dann bist du unten!“ presste er zwischen den Zähnen hervor und verschwand aus meinem Blickfeld. Das hörte sich nicht gut an. Vielleicht sollte ich doch nach unten gehen und mit ihnen reden. Ich stellte meinen Laptop auf den Schreibtisch und folgte meinem Vater nach unten ins Wohnzimmer.

„Lilly...“ fing mein Vater an. Was war denn jetzt los? Versuchte er es jetzt auf die nette Tour? „Wir machen uns Sorgen!“ sagte meine Mutter. Ja, soweit war ich auch schon. „Wir haben das Gefühl, dass du uns meidest und dich immer mehr von uns absonderst!“ Ach, auch schon bemerkt? Aber ich verkniff mir jeglichen Kommentar. „Und was jetzt? Das habt ihr ja schon mal gut erkannt!“ Ich kam gerade richtig in Fahrt, aber meine Mutter fuhr mir über den Mund: „Lalina! Versuch wenigstens freundlich zu bleiben! Wir versuchen auch nur die Situation hier in der Familie zu verbessern!“ Nur leider, dass sich die schon lange nicht mehr retten lässt. „Kind, wir versuchen nur zu helfen!“ jetzt sah mich auch meine Mutter flehend an. „Komm bitte zu uns und rede mit uns!“ das war wieder mein Vater. Ich zuckte mit den Schultern. „Gut, sind wir dann fertig? Kann ich jetzt wieder gehen?“ Ich stand auf, stapfte die Treppe wieder hoch und warf meine Zimmertür hinter mir zu.

 

Jetzt waren sie komplett verrückt geworden. Erst hatten sie vor etwa einem halben Jahr meine Schwester aus dem Haus geekelt und seitdem hatten wir so wenig wie möglich miteinander geredet. Warum konnte es nicht einfach so weitergehen? Ich hatte mich wunderbar mit der Situation angefreundet, dass wir einfach nur nebeneinander her lebten. Warum sollte sich das alles plötzlich ändern? Hatte ich was verpasst? Was hatte sich verändert, das meine Eltern plötzlich das gut funktionierende System umschmeißen wollten? Es war ein angenehmes Gefühl in Joannas Welt einzutauchen und, zumindest für ein paar Stunden, meine eigenen Probleme vergessen.

 

 

Joanna hatte es endlich geschafft aus dem Krankenhaus zu schleichen und war auf dem Weg in den Park. Aber der Park hatte sich verändert, seit sie das letzte mal dort gewesen war. Sie erkannte den Weg nicht mehr. Wie sollte sie Sasha finden? Ziellos lief sie eine ganze Zeit unter den Bäumen entlang. Hatte er in seinen Mails nicht von den drei Parkbänken gesprochen? Mist. Sie konnte sich nicht genau erinnern. So würde sie ihn nie finden. Sie ließ sich auf eine der Bänke fallen. Die Sonne schien warm und sie fühlte dieses angenehme Gefühl in sich aufsteigen.

 

 

Ich musste eine Pause machen. Ich wusste genau, was passieren sollte, konnte es aber nicht in Worte fassen. Vielleicht brauchte ich wirklich mal ne Pause. Vielleicht hatten die anderen Recht. Seit sich der Trubel um „Das nennt sich nicht mehr Familie“, mein erstes veröffentlichtes Buch gelegt hatte. Hatte ich mich sofort in mein neues Projekt gestürzt. Das war jetzt etwa zwei Monate her. Und nebenher auch noch die Schule.

Ich ging nach unten in die Küche um etwas zu trinken zu holen. Wir hatten nur noch Wasser im Kühlschrank und ich wollte nicht noch in den Keller laufen. Auf dem Küchentisch lag das Telefon. Ich sah es einen Moment lang an, bevor ich es in die Hand nahm und wählte Blues Nimmer. Es klingelte eine gefühlte Ewigkeit, bevor sie abnahm. „Here's Blue!“ „Hi Schwesterherz!“ Ich freute mich so, mal wieder mit ihr zu reden. Ich hatte es in den ganzen zwei Monaten nicht über mich gebracht sie anzurufen. Und sie traute sich auch nicht mehr bei uns zuhause anzurufen, weil beim ihrem ersten Anruf, als sie nur Bescheid sagen wollte, dass sie gut angekommen war, unsere Mutter dran gegangen war. Und sofort hatte es wieder zwischen ihnen gekracht. Ich hatte es aus der Küche bis in den Garten gehört und das wobei unsere Küche zur Straße raus ging. „Falls Mum mit mir reden will oder dir gesagt hat, dass du mir irgendwas ausrichten sollst, vergiss es und leg am besten gleich wieder auf!“ Das war ja mal ne Ansage. „Ne... Ich ruf nich deswegen an!“ Vielleicht war es doch nicht die beste Idee gewesen, sie anzurufen. „Hey, tut mir leid! Also schieß los!“ „Ich wollte mal fragen wie's dir da drüben geht? Ich halt's hier nicht mehr lang aus. Anscheinend haben Mama und Papa jetzt beschlossen, dass wir wieder eine richtige Familie werden! Sie wollen dass ich mit ihnen rede!... Aber sie verstehen dann auch nicht, was mein Problem ist!“ „Ach Kleine! Ich wusste nicht das es dir so schlecht geht! Es tut mir so leid, dass ich dich allein gelassen hab, aber du kennst die Gründe, oder?“ Ich nickte. Bis ich bemerkte, dass sie das ja nicht sehen konnte. „Klar weiß ich das!“ „Sag mal, vielleicht wär es ja auch die beste Idee für dich, auch auszuziehen!“ „Du meinst ich soll ausziehen? Und wohin?“ „Woher soll ich das wissen? Ich bin tausende Kilometer weit weg!“ „Dir ist aber schon klar, dass Mama und Papa das nie im Leben erlauben? Und wer soll das alles bezahlen? Nein, ich muss wohl oder übel hier bleiben, bis ich genug Geld zusammen hab!“ „Jetzt lass bitte den Kopf nicht hängen. Ich frag Camilla, sobald sie wieder da is, ob sie mal mit deinen Eltern reden kann...“ „Meinen Eltern? Es sind immer noch UNSERE Eltern!“ fiel ich ihr ins Wort. „Egal, also ob sie mal mit Mum und Dad reden kann. Was meinst du dazu?“ Ich zögerte. „Ich... Ich weiß nicht... Das gibt bestimmt Ärger... aber du kannst es versuchen... ich mein du warst schon immer die bessere Entscheiderin von uns beiden!“ Ich hörte sie lachen. „Ich denk mir was aus okay!“ Da war sie wieder. Meine abenteuerlustige, spontan verrückte Zwillingsschwester.

 

 

ZWEI

„Lilly, können wir kurz reden?“ ich saß in meinem Zimmer und versuchte Hausaufgaben zu machen. Und jetzt standen meine Eltern in meiner Zimmertür. Beide sahen mich erwartungsvoll an. „La...“ fing meine Mutter an, aber mein Vater hielt sie zurück. „Lilly, wir würden gern mit dir etwas besprechen!“ „Ja, kommt rein!“ antwortete ich abwesend. Sie setzten sich auf mein Bett. Da hatten sie schon mal gesessen. Damals hatten sie mir erklärt, dass Blue zu Camilla ziehen würde. Sie hatte es mir nicht selbst sagen wollen. Wir hatten da auch grad ne schwierige Phase und die hatten wir vor drei Wochen, bei unserem ersten Telefonat, seit ihrem Auszug vor einem halben Jahr, endlich beendet.

Lalina, könntest du uns bitte kurz zuhören?“ Ich nickte, ohne mich von meinem Laptop abzuwenden. „Lalina Werner!“ in der Stimme meiner Mutter schwang etwas warnendes mit. Ich zuckte mit den Schultern und drehte mich doch zu ihnen um. „Wir haben nachgedacht...“ fing mein Vater an. Könnt ihr sowas überhaupt? Wollte ich schon fragen, aber ich sprach es doch nicht aus. Vielleicht hatten sie wirklich mal nen guten Vorschlag. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

„Wir haben das Gefühl, dass es nicht gut klappt, wenn wir hier alle zusammen wohnen. Jetzt hatten wir die Idee, ob du nicht vielleicht... erst mal bis zu den Ferien... in eine eigene kleine Wohnung ziehst...“ erklärte mein Vater. Ich sah wie schwer es ihm fiel diesen Vorschlag auszusprechen. „Eh... Ehrlich jetzt?“ Ich war verwirrt, als mir bewusst wurde was er da gerade vorgeschlagen hatte. „Natürlich erst mal zur Probe! Und auch nur wenn du willst.“ erklärte meine Mutter. Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht war es nicht so schlau, sich jetzt so sehr zu freuen. Sie freuten sich nicht wirklich, aber sie hatten anscheinend eingesehen, dass es so auf Dauer nicht funktionierte.

Wir sahen uns unentschlossen an. Jeder wollte etwas sagen, war sich aber nicht sicher, ob es wirklich der beste Zeitpunkt dafür war. „Du kennst doch Claudia, oder?“ Jetzt lächelte sie. Ich kniff die Augen zusammen. Jetzt war klar: Sie hatten war ausgeheckt. Ich hätte es wissen müssen. „Nein... wer is das?“ mir sagte der Name wirklich nichts. „Claudia, ist eine Arbeitskollegin deiner Mutter!“ erklärte mein Vater. Okay in dem Zusammenhang sagt mir der Name was, aber wer das war, wusste ich immer noch nicht und auch nicht was sie mit der ganzen Situation zu tun hatte. „Sie hat noch eine kleine Wohnung zu vermieten.“ Ich war sprachlos. Sie hatten sogar schon ne Wohnung gefunden. War es wirklich so, dass sie meinte, dass es so nicht funktionieren konnte oder wollten sie mich einfach nur möglichst schnell loswerden.

„Okay...“ Ich hatte ja gehofft, dass wir schnell ne Lösung finden würden, aber so schnell? „Und wann soll ich umziehen?“ „Du musst natürlich nicht!... Die Wohnung ist ab Anfang nächsten Monats beziehbar!“ zum einem war mit klar, dass sie mich eigentlich nicht gehen lassen wollten, aber es war fast schon erschreckend, wie schnell sie alles organisiert hatten.

„Der nächste Monat beginnt in vier Tagen!“ beide nickten. „Heißt: Ich ziehe in vier Tagen um?“ ich sah die beiden verblüfft an.

 

„Miri! Miri!“ Ich stand unter ihrem Fenster und warf Steinchen gegen ihr Fenster. Nichts rührte sich. Aber ich musste ihr das erzählen. Jetzt. Auch wenn es mitten in der Nacht war. „Miri!“ ich warf einen weiteren Stein gegen ihr Fenster.

„Lalina, was machst du denn hier?“ ich erschrak, als ich seine Stimme hörte. „Is Miri da? Ich muss mit ihr reden!“ Er schüttelte den Kopf. „Hat sie dir nicht gesagt, dass sie dieses Wochenende bei Finn ist?“ ich schüttelte den Kopf. „Naja... willst du weiter da draußen im Regen stehen oder reinkommen?“ Ich hatte gar nicht gemerkt, dass es immer stärker geregnet hatte. Als ich von zuhause los war, hatte es grade mal ein bisschen genieselt. Er verschwand vom Fenster und wenig später öffnete sich die Haustür. Ich zögerte. Wir hatten seit fast vier Wochen nur das nötigste geredet. „Komm schon! Ich will nicht, dass du krank wirst! Und ich beiße nicht!“ ein Lächeln.

Ich machte ein paar zögernde Schritte auf ihn zu. Dann war ich an der Tür angekommen. „Komm rein!“ er hielt mir die Tür auf und ich machte ein, zwei Schritte hinein. Ich hörte die Tür hinter mir ins Schloss klicken. Einen Moment waren wir still. Ich spürte seinen Blick in meinem Rücken. Dann machte er einen Schritt auf mich zu. Ich hielt den Atem an, er wollte etwas sagen, genau wie ich, aber keiner von uns wollte den ersten Schritt machen. Er trat noch einen Schritt zu mir heran. Was wollte er? Das was ich hoffe, oder das wovor ich mich fürchtete. Plötzlich tapste Chica in den Windfang. „Pssscht!“ flüsterte Markus. „Lass uns hoch gehen, bevor wir noch jemanden aufwecken!“ Er nahm den Hund am Halsband und schickte sie in Richtung Treppe. „Kommst du mit?“ Zögernd nickte ich. Warum auch nicht? Es würde sicher nicht schaden sich zumindest auszusprechen. Wir schlichen nach oben. Ich blieb mitten im Zimmer stehen. Er schloss die Tür und dann standen wir uns einfach nur gegenüber. „Tut mir leid!“ fing er ganz unvermittelt an. Er kam zu mir und nahm meine Hand. „Tut mir leid, dass ich dich allein gelassen hab!... Ich wusste nicht was ich machen sollte...“ Aus seine Augen sprach Aufrichtigkeit. Es tat mir auch leid. Aber ich war mir nicht sicher, ob es das richtige war ihm zu verzeihen. Aber dann nickte ich. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Es löste sich eine Träne.

Im ersten Moment war er erschrocken, aber er bemühte sich das nicht anmerken zu lassen. Dann zog er mich an sich heran.

 

Ich schluchzte. Er hielt mich immer noch fest. Ja wir hatten uns ausgesprochen. Alles hatten wir gesagt. Wirklich alles. Und jetzt war es an der Zeit ihm von meiner Wohnung zu erzählen. Nur wie fängt man so etwas an? Es ist doch nicht gewöhnlich, dass sechzehnjährige in eine eigene Wohnung zieht. Oder?

Wir saßen dicht nebeneinander auf der Bettkante und sahen uns an. „Gut dass wir das alles geklärt haben...“ ich wollte aufstehen und mich auf dem Weg nach Hause machen, aber er hielt mich zurück. Er erwischte mein Hand und hielt mich fest. „Nicht...“ Ich grinste in mich hinein. Er stand ebenfalls auf und trat hinter mich. „Süße...“ Jetzt war ich erleichtert. Es hatte sich alles geklärt. Ich spürte seine Hände an meiner Taille.

 

„Hey, ich glaub wir sollten langsam mal aufstehen!“ ich blinzelte. Markus strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Och ne...“ ich vergrub den Kopf in seinem Kissen. Er kitzelte mich. Ich hatte keine andere Möglichkeit. Er kannte mich einfach zu gut. „Ich muss dir noch was erzählen!“ fing ich an. „Schieß los!“ er sah mich leicht verwirrt an. „Is nix schlimmes!“ Ich grinste triumphierend. „Muss ich mir Sorgen machen?“ „Ne... Ich ziehe um!“ Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. „Was?“ „Hier in der Stadt! Ich zieh aus!“ Seine Miene lichtete sich wieder. „Echt jetzt?“ Ich nickte. „Eigentlich wollte ich das nur kurz Miri erzählen...“ Er legte mir den Finger auf die Lippen. „Sie wird’s noch früh genug erfahren!“ Dann küsste er mich. Es war wirklich wieder alles okay.

„Oh, Lilly! Ich wusste gar nicht dass, du da bist!“ Seine Mutter stand in der Küche. „Können wir auch noch was frühstücken?“ Er ließ meine Hand los und holte verschiedene Sachen aus dem Kühlschrank. „Sagt Bescheid, wenn ihr noch was braucht!“ Damit ließ sie uns allein. „Und wann ziehst du um?“ er zog mich zu sich in die Sitzecke. „Ich glaub' nächstes Wochenende... Meine Eltern haben alles organisiert und meinten, dass ich ab Anfang Juni einziehen kann!“ „Wow, ich dachte nicht, dass das so schnelle gehen würde!“ irgendwie sah Markus bedrückt aus. „Hey, ich bleibe doch in der Stadt und ich geh weiterhin aufs Heine!“ Ich wuschelte ihm durch die Haare. „Na dann!“

 

„Lalina, da bist du ja!“ rief meine Mutter aus der Küche. „Willst du noch etwas frühstücken?“ ich ging in die Küche und sah ihr zu, wie sie an der Spüle stand und das Frühstücksgeschirr abwusch. „Wie war's bei Miriam?“ Ich ließ mich auf einen der Stühle fallen. „Sie war nicht da, aber Markus! Und wir haben uns ausgesprochen!“ Sie drehte sich auf einmal um. „Ich freu mich für dich... für euch! Ich war ja sowieso überrascht, dass das zwischen euch plötzlich vorbei sein sollte...“ Okay, jetzt redete sich wirr.

Normalerweise kümmerte sie sich nicht sonderlich um meine Beziehungen. „Naja, irgendwie war's auch ne komische Situation...“ Ich zögerte. Wir redeten normalerweise nicht über diese Art von Sachen. Nicht wir beide. Mit meinem Vater kam dieses Thema schon eher mal auf, aber meine Mutter war irgendwie die falsche Person. Wir redeten generell ziemlich wenig.

„Lilly, bist du auch wieder da! Wie war's bei Miriam?“ mein Vater kam in die Küche. „Och ganz gut, nur dass sie nicht da war... Aber ich hab mich mir Markus ausgesprochen!“ Er nickte zustimmend.

Ich ging hoch in mein Zimmer. Mein Zimmer. Mein Bett, mein Schreibtisch, mein Schreibsessel, mein Kleiderschrank. Es war so gewohnt. Hier hatte ich die meiste Zeit des letzten halben Jahres verbracht. Sonst war ich meistens bei Miri oder Markus gewesen. Zu den anderen, die ich zu meinen Freunden gezählt hatte, hatte ich den Kontakt verloren, als Blue zu Camilla gezogen war. Klar, redeten wir in der Schule und machten auch Nachmittags oder am Wochenende mal was zusammen. „Du solltest dir überlegen was du mitnehmen möchtest!“ ich wirbelte herum. Mein Vater stand in der Tür. „Weißt du, ich denke du kannst auch ein paar Sachen hier lassen. Wir brauchen das Zimmer eigentlich nicht und ich würde vorschlagen, dass wir einfach dein Bett und ein paar Sachen von dir hier lassen. Du kannst immer vorbeikommen!“ er lächelte und nahm mich in den Arm. „Danke!“ hauchte ich. Mir kamen die Tränen, aber das wollte ich nicht zeigen. „Falls du schon mal anfangen willst ein paar Sachen einzupacken, ich hab unten im Keller einige Umzugskartons stehen!“ er lächelte mich aufmunternd an.

Ich sah ihm nach, als er mein Zimmer verließ. Er war mein Vater. Er kannte mich seit fast 17 Jahren. Mein ganzes Leben. Er kannte mich, oder? Irgendwie hatte ich nicht wirklich das Gefühl. Manchmal schaffte er es meine Gedanken genau zu erraten, aber wenn wir miteinander redeten, missverstand er mich meistens. War das normal?

 

 

DREI

„Claudia, darf ich dir meine Tochter Lalina vorstellen?“ Meine Mutter umarmte ihre Arbeitskollegin und langjährige Freundin. Claudia lächelte mich an. „Freut mich!“ Wir schüttelten uns die Hände und dann bedeutete sie uns die Treppen hinauf zu steigen. Noch mehr Treppen. Ich stöhnte, aber gut, irgendeinen Haken musste die Sache ja haben. Immerhin würde ich gleich vor meiner eigenen Wohnung stehen. Unglaublich oder? Claudia wohnte schon im Fünften und ich fragte mich wie viele Stockwerke es wohl noch geben würde und in welchen ich dann schlussendlich wohnen würde.

Wir waren nur einen Stock nach oben gegangen. Und hier ging es nicht mehr weiter. Ich brauchte einen Moment um zu realisieren, was das bedeutete. In der Zeit zückte Claudia einen Schlüssel und schloss die hübsche weiß gestrichene Tür auf. Und dann öffnete sich die Tür. Ehrfurchtsvoll traten wir ein.

Also eigentlich nur ich, meine Eltern spazierten hinein, als würden sie was beim Bäcker kaufen wollen. Aber ich betrat grade in meine eigene Wohnung. War es zu glauben? An diesen Moment wollte ich mich mein Leben lang erinnern und dazu musste ich mir alle Einzelheiten merken.

Ich sah mich um. Links eine große Küche mit einem Tresen und drei Stühlen in der Mitte. Geradeaus sah man durch eine Glasfront über die Dachterrasse und selbst von der Tür aus konnte man schon über die halbe Stadt schauen. Rechts stand eine Tür zu einem weiteren Raum offen. Wenn man um die Ecke neben der Tür schaute sah mein einen weiteren Teil des riesigen Raumes. Allgemein, war die Wohnung ziemlich nur ein einziger Raum. Dort war nochmal eine Glasfront und ein großes Fenster nach Norden hinaus. Claudia ging um die Ecke und öffnete die dortige Tür. „Das Badezimmer. Man kann direkt in das Schlafzimmer dahinter durchgehen.“ Sie ging weiter zur Glasfront und zog die Glastür auf. Meine Eltern folgten ihr nach draußen auf die Dachterrasse. Ich schaute aus dem Fenster. Wow man sah echt von oben auf die Dächer.

In diesem Viertel waren die Häuser selten höher als drei vier Stockwerke hoch. Und meine neue Wohnung lag schon im sechsten.

Wie es wohl werden würde, mit Miri hier oben zu sitzen und die Lichter der Stadt zu beobachten? Oder den Regentropfen zuzuhören, wie sie auf die Dachfenster, die sich über das ganze Dach zogen, prasselten?

„Und wie gefällt es dir?“ Claudia stand plötzlich hinter mir. War ich so in Gedanken gewesen? „Sehr gut!“ ich lächelte. Meine Eltern tauchten hinter ihr auf. „Das ist doch sehr passend für dich! Was meinst du Lilly?“ ich nickte zustimmend. „Wunderbar! Ich weiß schon ziemlich genau, wie ich alles einrichten will!“ Meiner Mutter schlich ein Lächeln über die Lippen. Sie wollte nicht, dass ich es sah und setzte gleich wieder ihr Pokerface auf.

Was war das eigentlich für ein Spiel das wir miteinander spielten? Keiner-darf-die-Stimmung-des-andere-erraten?

Aber vielleicht würde sich dass jetzt ja ändern. Mein Vater sah einfach nur glücklich aus. Ich vermutete mal, dass er einfach froh war, dass ich es gut getroffen hatte und außerdem war ich nicht aus der Welt. Das hatte er mir in den letzten Tagen schon ein paar mal erklärt. Als wäre mir das nicht selbst klar! Aber gut, jeder hatte seine eigene Art mit Situationen fertig zu werden.

Als Blue damals ausgezogen war, war seine Methode gewesen so viel wie möglich mit mir zu unternehmen. Was nicht wirklich meiner Vorstellung entsprochen hatte. Ich war sowieso sauer auf meine Eltern, dass sie meine Schwester, die der einzige Lichtblick in diesem Familienchaos gewesen war, einfach hatten gehen lassen.

Er hatte anscheinend draus gelernt. Auch wenn es nicht wirklich leicht für uns gewesen war. Ein paar mal hatten wir uns deswegen heftig gestritten, aber mit der Zeit konnten wir beide besser mit der Situation umgehen.

 

Später saß ich in meinem Zimmer und versuchte mir zu überlegen, wie ich alles genau organisieren wollte. Das war verdammt schwer, wenn man bedachte, dass ich eigentlich alles allein machen musste. Aber ich würde es schon schaffen. Beziehungsweise ich musste es schaffen. Und wenn wirklich etwas ernsthaft schief gehen sollte, hatte mir Claudia ihre Hilfe angeboten. Sie war wirklich nett und ich erinnerte mich auch an ein frühere Zusammentreffen. Allerdings musste ich da etwa fünf gewesen sein und konnte mich nicht wirklich gut erinnern. Und das wichtigste war doch dass ich schon mal wusste, dass ich zumindest eine nette Nachbarin und Ansprechpartnerin hatte.

Es klopfte. Ich wunderte mich. Mein Eltern wollten eigentlich Fernsehen und dabei durfte man sie nicht stören. Und da es gerade mal halb zehn war, konnte die Sendung auch noch nicht um sein. Ich tapste barfuß zur Tür und öffnete. „Ja?“ „Darf man reinkommen, oder muss ich vor der Tür festwachsen?“ „Bitteschön!“ ich ließ ihn hinein. Er ließ sich aufs Bett fallen. Ich stand unschlüssig da, die Hand am Türgriff.

„Störe ich?“ er sah sich suchend um. „Nein, nein!“ antwortete ich schnell. Irgendwie waren heute alle ein bisschen seltsam drauf. Vielleicht ich auch? Ich fühlte mich komisch und seit Wochen hatte ich nicht das Bedürfnis sofort mit meinem Laptop zu verwachsen.

Ich schloss die Tür und ließ mich neben ihn fallen. So lagen wir da und starrten die Decke an.

„Alles okay mit dir?“ unterbrach er die Stille. Ich nickte. Was sollte ich denn sagen? In meinem Kopf tanzten die Gedanken Samba und ich konnte mich nicht auf einen einzigen konzentrieren, geschweige denn einen fertig denken. Er richtete sich auf und beugte sich über mich. „Hallo erst mal!“ ich grinste.

 

Er half mir mit der Planung und zusammen schafften wir es auch eine Liste von Dingen zu erstellen die ich brauchte. Meine Eltern, oder besser mein Vater, hatte sich schon um eine Menge Sachen gekümmert, aber es wurde trotzdem eine lange Liste.

Gegen halb zwölf verabschiedete er sich. Ich brachte ihn nach unten an die Tür. Meine Eltern waren inzwischen ins Bett gegangen. „Sehen wir uns morgen?“ fragte er, als wir unten an der Tür standen. „Denk schon, ich hab nix vor, außer einkaufen!“ „Das lässt sich doch irgendwie einrichten!“ er grinste und zog mich ein Stück zu sich ran. „Meld dich mal, wenn du wach bist!“ ich legte mein Arme um seine Hals. „Mach ich!“

Er bekam seinen Abschiedskuss und ging dann. Ich sah ihm noch nach, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden war. Es war doch gut, dass wir uns wieder ausgesprochen hatte. Ich brauchte ihn. Ohne ihn war mein Leben irgendwie leer. War ich so abhängig von ihm? Ich musste mir dringend eine andere Beschäftigung suchen. Was wenn er mal nicht da war. Dann würde ich ja eingehen, wie eine Zimmerpflanze, um die sich niemand kümmerte, weil sie nicht mal eben, die Leute anschreien konnte „Hey, ich bin auch noch das, kümmert euch verdammt nochmal um mich!“

 

Natürlich, hatte er gesagt, ich sollte mich melden, weil er genau wusste, dass ich noch ein paar Stunden arbeiten würde. Es war Samstagabend, oder auch schon Sonntag seh früher Morgen und damit optimale Zeit um eine Nachtschicht einzulegen. Aus der Küche nahm ich mir eine Tafel Schokolade und eine Flasche Wasser mit. Damit, meinem Laptop und meinem Notizbuch setzte ich mich in mein Bett.

 

Als ich ins Esszimmer kam, erwartete ich eigentlich nicht, dass meine Eltern noch da waren, aber das waren sie komischerweise noch. „Morgen!“ nuschelte ich, ließ mich auf meinen Platz fallen und nahm mir ein Brötchen. „Morgen, Lilly!“ Mein Vater war bester Laune. Warum auch immer, ich wollte den Grund lieber gar nicht erst wissen. „Lilly, wir haben großartig Neuigkeiten!“ Okay ich würde nicht drum herumkommen, zu erfahren, warum er so gut drauf war. „Ja?“ „Wir dachten, da du jetzt schon so eine tolle Wohnung gefunden hast, wollen wir dir ein bisschen unter die Arme greifen und helfen die beim Einrichten. Was hältst du davon?“ Tja was hielt ich davon. Erstens: Nicht ich hatte die Wohnung gefunden, sondern sie. Aber das war nicht wirklich der ausschlaggebende Punkt. Sie wollten mir beim einrichten helfen? Was sollte das heißen? „Wir haben schon eine Bestellung abgeschickt. Es wird dir gefallen!“ erklärte meine Mutter mit Grabesstimme. Das war mir irgendwie schon fast klar gewesen. Natürlich. Sie wollten mir helfen und bevor ich ihnen das ausreden konnte, hatte sie einfach schon eine Bestellung abgeschickt. Sie kannten mich leider in manchen Punkten doch besser, als mir manchmal lieb war. Ich zuckte mit den Schultern. „Super, dann muss ich mich darum zumindest nicht mehr kümmern!“ ich schaffte es in einem ganz passablem Tonfall zu sagen.

Wie frühstückten fertig und dann ging ich wieder nach oben. So dann hatte ich wohl doch den Tag frei. Markus würde sich freuen. Ich schrieb ihm eine SMS. Und keine zwei Minuten später bekam ich schon eine Antwort. „Super! Wollen wir dann einfach einen gemütlichen Fernsehtag machen? Wetter soll nich so besonders werden & wir haben sturmfrei.“ Die Idee war ganz gut. Und ich kam von zuhause weg. Es hörte sich wirklich nach einer gute Idee an. „Bin in ner halben Stunde bei dir!“ antwortete ich.

„Papa, Mama ich bin bei Markus!“ Damit schlug ich zwanzig Minuten später die Tür hinter mir zu. Zu Fuß brauchte man nur knappe fünf bis zehn Minuten zu Markus und Miri. Es nieselte und ich zog mir die Kapuze tief in die Stirn. Trotzdem war ich ziemlich nass als ich bei ihm ankam. Mein Jeans klebte ekelhaft nass an meinen Beinen.

„Miri, is oben! Sie hat bestimmt ne Hose für dich!“ schlug Markus nach dem Begrüßungskuss vor. „Ich muss sowieso kurz mit ihr reden!“ grinste ich und hüpfte die Treppe nach oben. Miri saß an ihrem Schreibtisch, als ich reinkam. Mathehausaufgaben. „Miri hast du ne Hose für mich?“ fragte ich und schloss die Tür hinter mir. „Verdammt nochmal. Erschreck mich nicht immer so!“ Ich sah sie entschuldigend an. Sie nickte, ging zu ihrem Schrank und zog eine Jogginghose heraus. „Hier!“ sie warf sie mir entgegen. „Danke Süße!“ ich entledigte mich meiner nassen Jeans und zog die Jogginghose über. „Was gibt’s neues?“ wir hatten uns irgendwie seit Freitag in der Schule nicht mehr gesehen. „Nix! Sag mal hast du Mathe schon gemacht?“ sie sah mich verzweifelt an. „Ja! Markus hat mir geholfen! Vielleicht solltest du ihn auch mal fragen! Ich habs ernsthaft verstanden, nachdem ers mir erklärt hat!“ Ich grinste und lehnte mich gegen ihren Schreibtisch. „Damit ich ihm an die Gurgel gehe, bevor wir mit der ersten Aufgabe fertig sind?“ sie sah mich vielsagend an. Ja meine beste Freundin und ich Bruder hatten beide zu viel Temperament, als dass sie wie normale Menschen miteinander arbeiten könnten. „Kannst du mir nicht einfach schnell helfen? Ich mach auch deine Franz aufgaben!“ Das war ein Deal. Ich zog mir einen Stuhl heran und begann ihr die Aufgaben zu erklären.

„Mensch und ich dachte schon du bist entführt worden oder sowas!“ Markus stand plötzlich in ihrer Zimmertür. „Sorry, du kannst sie gleich haben! Wir sind gleich fertig!“ antwortete Miri. Er grinste breit. „Mathe?“ sie nickte verbittert. Ich erklärte ihr die letzte Aufgabe, während er hinter mir stand in seine Arme um mich legte. „So jetzt kannst du sie mitnehmen!“ Miri klatschte ihr Buch zu. „Danke auch, dass ich behandelt werde, als wäre ich ein Haustier oder sowas in der Art!“ ich schüttelte verzweifelt den Kopf. Was dachten die beiden sich? Wobei das war bei den beiden eigentlich normal. Warum wunderte ich mich immer wieder darüber?

„Danke Schwesterherz!“ meinte Markus und verließ ihr Zimmer. „Danke, Süße!“ sagte sie und drückte mir ein Küsschen auf die Wange. „Kein Problem, gegen Franz doch immer!“ wir grinsten uns an und dann ging ich runter ins Wohnzimmer. Markus schob grade den ersten Film rein. Ich ließ mich aufs Sofa fallen und kuschelte mich in einer der Decken.

Irgendwann kam Miri rein und fragte ob wir nicht auch was essen wollten. Sie hatte Spaghetti gekocht. Klar ich brauchte auch mal was richtiges im Bauch. Man konnte sich schließlich nicht nur von Popcorn ernähren.

 

Dann wollten wir noch einen Film schauen. Miri setzte sich, gegen ihre ursprüngliche Aussage, doch zu uns. Herr der Ringe dauerte ewig und ich war irgendwie verdammt müde. Ich war in einer Decke eingekuschelt und Markus hatte mich halb auf seinen Schoß gezogen. Langsam fielen mir die Augen zu.

 

In den Tagen bis Freitag besorgten wir einige Sachen, die ich brauchte und ich fing schon jeden Tag ein bisschen meines ganzen Zeugs einzupacken. Und nebenher noch zu schule gehen und tatsächlich mein Buch fast fertig schreiben. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müsse es noch zuhause, also im Haus meiner Eltern fertig schreiben. Die Geschichte hatte einen persönlichen Bezug für mich mit meinen eigenen vier Wänden und der dortigen Einrichtung.

 

VIER

„Aufwachen Süße!“ Markus wuschelte durch meine Haare. Ich zog mir die Decke über den Kopf. „Ich steh nicht auf! Das ist doch Mord! Weißt du wann wir ins Bett sind?“ Für die Uhrzeit, und ich vermutete es war noch früh, war mein Gehirn erstaunlich leistungsbereit. Zumindest der Teil für Argumentieren war so weit wach. „Wenn du umziehen willst, musst du jetzt aufstehen!“ „Dann zieh ich halt nicht um!“ ich war viel zu unmotiviert um aufzustehen. Ich spürte, wie er mich hochhob. Samt Decke. War für ihn ja kein Problem. Ich wühlte meinen Kopf aus der Decke, sodass ich ihn anschauen konnte. „Was hast du vor?“ „Dich irgendwie dazu bringen, dass du aufstehst!“ er grinste mich an und trug mich die Treppe herunter. „Du bist verrückt! Und wirst es nicht schaffen!“ ich zog mir die Decke wieder über den Kopf und machte die Augen zu. Insgeheim grinste ich. Er war der Beste. Was würde ich nur ohne ihn machen?

Er setzte mich ab. „Frühstü...“ Ich konnte hören, wie mein Vater stutzte. „Sie wollte nicht aufstehen...“ erklärte mein Freund und die beiden lachten. „Und dabei hab ich doch extra Rührei und Toast gemacht!“ Mist! Mein Vater wusste, wie er mich kriegen konnte. Und das wo er eigentlich nicht wollte, dass ich ging. „Wir frühstücken auf der Terrasse!“ ich hörte, wie er das Zimmer verließ.

„So... ich weiß wie sehr du Rührei und Toast liebst!... Is meine kleine Maus krank?“ Er zog die Decke weg und ließ sich neben mich aufs Sofa fallen. „Was ist los? Hab ich was falsch gemacht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Willst du drüber reden?“ Wieder schüttelte ich den Kopf. „Frühstück?“ er grinste und beugte sich zu mir rüber. „Okay!“ er küsste mich und half mir aus der Decke raus zu kommen. Ich wollte raus aus der Terrasse, meine Eltern frühstückten schon. Er schnappte nach meiner Hand. Ich blieb stehen, drehte mich aber nicht um. „Du kannst immer zu mir kommen! Das weißt du oder?“ Ich nickte. Er stand direkt hinter mir. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. „Frühstück?“ fragte ich und mein Bauch gab mir die Bestätigung, dass ich das jetzt dringend brauchte. Er legte mir ein Hand um die Taille und wir gingen hinaus auf die Terrasse. „Habt ihr also doch Hunger?“ mein Vater sah uns beide wissend an.

„Du hast zu viel Zeug!“ sagte Markus und sah sich um. Wir saßen in meinem Zimmer auf dem Fußboden und packten alles mögliche in Umzugskisten. Wir hatten ein Wochenende um alles fertig ein und in meiner neuen Wohnung wieder auszupacken. Markus stand vor meinem Bücherregal und stapelte Bücher in einen Karton. „Es könnte schlimmer sein!“ Ich stand auf und ging zu ihm hinüber. „Oh, schau mal! Das is gut! Ich hab's ungefähr tausendmal gelesen!“ Ich fing an zu blättern. „Du bist verrückt!“ Er griff um mich herum und nahm mir das Buch aus der Hand. Ich hielt seine Hand fest. „Bin ich nicht!“ „Sicher?“ er legte das Buch in den Karton und schubste mich in Richtung meines Bettes. „Ja, bin ich!“ ich grinste ihn an. Ich landete rücklings auf dem Bett. Er neben mir.

„So werden wir nie fertig!“ Miri stand plötzlich in der Zimmertür. „Hi Süße!“ ich rappelte mich auf und umarmte sie zur Begrüßung. „Ich hab Verstärkung mitgebracht!“ Finn tauchte hinter ihr auf. „Schön dich mal wieder zu sehen!“ Finn ging aufs Leibniz, dem Elitegymnasium in der Stadt. Ich hatte immer noch keinen Schimmer, wie er und Miri sich kennen gelernt hatten, aber plötzlich waren sie zusammen gewesen. Das Thema war tabu. Keiner sprach darüber.

„Könnt ihr vielleicht schon was runter bringen und wir machen hier den ganzen Kleinkram?“ Miri nickte in Richtung Tür.

Wenig später waren die Jungs verschwunden. „Weißt du, wie cool das ist?“ Ich nickte lachend. Meine beste Freundin hatte sich irgendwie noch nicht mit dem Gedanken angefreundet. Was erstaunlich war. Immerhin redete sie schon die ganze Woche von nichts anderem. Ganz im Gegensatz zu mir. Klar ich freute mich auch, aber irgendwie musste ich es nicht jedem hundertmal erzählen.

„Beruhig dich wieder! Hilf mir stattdessen lieber die Kisten fertig zu packen!“ Ich nahm die restlichen Sachen und klappte den Deckel der Kiste zu. Meine Freundin packte in der Zeit die Bücherkiste fertig, mit der Markus nicht mehr fertig geworden war. Als sie fertig war, sammelte die den Kram ein, den ich auf meinem Bett ausgebreitet hatte. Stifte, Müll, DVD-Hüllen, CD-Hüllen, Bücher und so einige Zettel. Sie hob eines nach dem anderen auf und legte es in die Kiste.

„Wow, was ist das?“ Sie hielt einen zerknüllten Zettel in der Hand. „Keine Ahnung...“ ich nahm ihn ihr aus der Hand. Es war eine neue Idee. Ich hatte sie nur schnell hingekritzelt, nur ein paar Wörter, nichts ausformuliertes. „Ach nichts...“ ich knüllte es wieder zusammen und warf es in Richtung meines Papierkorbes, verfehlte ihn zwar, aber das war grad egal. Dann schnappte ich mir eine der fertig Kisten und brachte sie nach unten.

Auf der Treppe kamen mir Markus und Finn entgegen. „Ich helf dir!“ Markus nahm mir die Kiste ab und brachte sie zum Transporter. Drinnen standen schon mein Sessel, mein Schreibtisch und einige andere Sachen. Er stellte die Kiste zu den anderen und setzte sich auf die Kante der hinteren Ladetür. „Willst du über irgendwas reden?“ er zog mich zu sich. „Nein ist schon okay!“ „Ach Süße!“ er sah mir direkt in die Augen. Liebevoll. Er spielte mit meinen Haaren. Und das erste mal seit wir zusammen waren, sah ich so etwas wie Angst in seinen Augen. „Ich bin für dich da!“ flüstert er. Ich nickte und senkte meinen Blick nach unten. „Meine Schuhe müsste mal wieder geputzt werden.“ dachte ich. Er hob mein Kinn und ich konnte nicht anders, als ihm in die Augen zu sehen. „Ich liebe dich!“ dann küsste er mich.

Lächelnd lösten wir uns voneinander. „Komm wir packen fertig!“ ich nahm seine Hand und zog ihn wieder ins Haus, die Treppe rauf und in mein Zimmer.

Miri und Finn saßen auf meinem Bett. „Okay, ihr beiden Turteltauben! Lasst uns fertig werden! Wir müssen das auch noch alles ausräumen!“ Miriam stand auf und packte die Bücher fertig ein. Finn und Markus trugen die letzten Kisten in den Transporter. Miriam und ich brachten die letzten Sachen hinunter.

Die anderen setzen sich schon ins Auto. Ich ging nochmal nach oben in mein Zimmer und packte meinen Laptop und meine persönlichen Sachen zusammen.

Ich stand in der Zimmertür und betrachtete mein altes Zimmer. Gut ich würde nicht für immer gehen, aber es war ein Abschied. Hin oder her. Ich sah nochmal auf mein Bett, das schön gemacht war. Meinen Schreibtisch, ordentlich aufgeräumt.

Okay, das war genug. Ich drehte mich um und zog mit einem Ruck die Tür zu. Dann ging ich langsam die Treppe runter.

Auf der letzten Stufe blieb ich nochmal stehen. „Neuanfang! Ich werd das beste draus machen! Und ich kann immer zurück kommen.“ dachte ich, lächelte und ging nach draußen.

„Können wir los?“ mein Vater saß auf dem Fahrersitz. „Jap! Kann losgehen!“ ich zog die Tür zu und winkte den anderen, die von meiner Mutter in unserem Kleinwagen gefahren wurden.

„Hast du deine Liste, was wir noch einkaufen müssen?“ Ich nickte. Klar. Ich hatte sie noch ungefähr tausendmal abgeschrieben und noch etliche male was ergänzt. „Welche Geschäfte brauchst du?“ „Baumarkt und ein Supermarkt! Ich hoff ich krieg da alles!“ „Das schaffen wir schon!“ er nickte zufrieden und konzentrierte sich wieder ganz auf die Straße.

 

Er parkte direkt vor der Tür, wo wir extra so ein Parken-verboten-wegen Umzug-Schild aufgestellt hatten. Ich öffnete die Autotür und hüpfte hinaus. Das würde eine ganz schöne Schlepperei werden. Sechs Stockwerke. Ich sah nach oben und in dem Moment schaute ein Kopf aus einem der oberen Fenster. „Lilly, hilfst du uns?“ ich nickte und riss mich von dem Anblick der alten Hausfassade los.

Die Jungs und mein Vater schleppten meine wenigen Möbel, die ich mitgenommen hatte nach oben, während wir die leichteren Kisten und den ganzen Kleinkram hoch brachten.

Es war schon früher Abend, als wir soweit fertig waren. „Lilly, wir müssen noch einkaufen, morgen ist Sonntag!“ ich hatte mich gerade auf das neue, gemütliche Sofa fallen lassen. „Okay, aber es reicht wenn wir zum Supermarkt fahren! Baumarkt kann ich auch noch nächste Woche machen!“ „Dann aber mal los!“ er klimperte mit dem Schlüsselbund.

„Gefällt es dir? Oder müssen wir noch was ändern?“ wir saßen in unserem Kleinwagen und stauten uns durch die Innenstadt zu dem letzten Supermarkt der noch offen hatte. „Alles bestens! Und die Aussicht is einfach grandios!“ antwortete ich und lächelte. Der Sommer hatte gerade erst angefangen und damit hatte ich hoffentlich noch ein paar schöne Abende, an denen man auf der Dachterrasse sitzen konnte.

Wir parkten und holten uns einen Einkaufswagen. Ich hatte mir eine Liste gemacht, was ich ungefähr brauchte, aber als wir dann durch die Gänge marschierten fielen uns noch massenweise Sachen ein.

 

Wieder zurück in meiner Wohnung räumten wir alles weg und dann kochte ich einen Topf Spaghetti mit Tomatensauce, zu mehr hatte ich nicht wirklich Lust und langsam hatten wir alle so großen Hunger, dass wir nicht auch noch ein ausführliches Essen kochen wollten. Meine Eltern verabschiedeten sich noch während ich in der Küche stand. Sie waren bei einem Kollegen meines Vaters zum Essen eingeladen. Sie wünschten uns einen schönen Abend und gingen dann. Markus half mit den Tisch auf der Terrasse zu decken. Wir stellten noch zwei Stühle gegenüber der Bank an den Tisch. Miri und Finn saßen auf meinem Sofa und sahen sich Bilder an. Die hatten sie irgendwo zwischen meinen Sachen gefunden und faden es super interessant. Warum auch immer.

„Das is super lecker, Süße!“ meinte Markus und schaufelte sich eine zweiter Portion auf den Teller. „Ich arbeite noch an meinen Kochkünsten. Ich mein ich kann schlecht jeden Tag Nudeln mit Sauce oder Pizza essen!“ entgegnete ich lachend. Die Vorstellung war echt unangenehm. „Oder ich muss jeden Tag bei dir vorbeikommen und kochen!“ schlug Miri vor. Sie war eine begnadete Köchin und ich wettete schon seit ich sie kannte darauf, dass sie mal irgendwas mit kochen machen würde. „Das Angebot kann ich natürlich nicht ausschlagen!“ „Dann sagt mir aber bitte Bescheid, dann komm ich auch vorbei!“ warf Finn ein und küsste Miri. „Mir bitte auch!“ „Jaja, zieht doch gleich alle hier ein...“ wir lachten, denn uns war allen klar, dass das nicht funktionieren würde. Wir vier in einer WG...

Nach dem Essen saßen wir noch ein bisschen da draußen und schauten über die Dächer. An dieses Anblick musste ich mich erst mal gewöhnen, allerdings im absolut positiven Sinn. Nach dem wir schnell die Abwasch gemacht hatten, ging ich wieder auf die Terrasse und stand einfach einen Moment an der Brüstung. Unter mir die Straßenschlucht und vor mir die ganze Stadt. Dann spürte ich zwei Hände an meiner Hüfte. Langsam lehnte ich mich nach hinten. Ich spürte Markus' Atem im meinen Haaren. So stehen wir einfach da und schauen uns die Stadt von oben an.

„Markus... Oh sorry wollte nicht stören!“ wir hörten Miri die Terrassentür wieder zu machte. „Ich glaub die beiden wollen nach Hause...“ meinte Markus und ich war mir nicht sicher, ob er mit mir sprach. „Komm einfach vorbei, ich bin sowieso da, denk ich mal!“ ich grinste und sah in seine braunen Augen. Ich brachte die drei noch zur Tür und zum Abschied bekam ich noch einen Gute-Nach-Kuss. Lächelnd sah ich ihnen nach, wie sie die Treppen runter stiegen.

Dann ging ich wieder rein. Meine Wohnung. Schon irgendwie ne komisches Gefühl. Im 'Wohnzimmer' standen noch einige Kisten vor allem mit meiner Büchersammlung. Ich kniete mich zwischen die Kartons und fing an sie auszupacken.

Viel zu spät ging ich ins Bett. Vorher hatte ich noch das Badezimmer soweit eingerichtet und mich dann fertig gemacht.

Ich lag in meinem Bett und grinste einfach die Decke an. Gerade war einfach alles perfekt.

 

Ich wurde von einem durchdringenden Klingeln geweckt. Genervt zog ich mir die Decke über den Kopf. Warum konnten meine Eltern nicht einfach die Tür öffnen, die mussten doch schon wach sein. Im nächsten Moment war ich hell wach. Ich war in meiner eigenen Wohnung, meine Eltern waren am anderen Ende der Stadt, wie bitte schön sollte sie die Tür aufmachen? Mit einem Lächeln auf den Lippen ließ ich barfuß und im Schlafanzug zur Fernsprechanlage neben der Wohnungstür. Wenn es jetzt nur der Postbote war, würde ich die Krise kriegen. Moment es war Sonntag, da kam die Post normalerweise nicht. „Hallo?“ meine Stimme war noch total verschlafen. „Lalina, es wäre toll wenn du die Tür öffnen würdest, langsam werden die Brötchen kalt!“ ertönte Markus' Stimme aus der Gegensprechanlage. „Dann lass ich die lieber mal rein!“ ich betätige den Summer und hängte den Hörer ein. In der Küchenzeile füllte ich den Wasserkocher und stellte ihn an. In Windeseile deckte ich den Tisch. „Morgen, Süße!“ ich hörte, wie er die Tür zu machte. „Morgen!“ flötete ich zurück. Meine Laune war nicht zu trüben. Es war einfach grad alles perfekt. Er gab mit einen Morgen-Begrüßungskuss und half mir noch schnell ein paar Eier zu braten. Mit diesem ausgiebigen Frühstück setzten wir uns an den Tisch.

Später packten wir noch weiter aus und setzten uns schließlich draußen auf die Bank. Die Sonne schien warm vom Himmel und ich schloss entspannt die Augen. Ich hörte wie er nach drinnen ging und Musik anmachte. Durch die offene Tür konnte man ganz angenehm zuhören. Dann setzte er sich neben mich und zog mich halb auf seinen Schoß. Keiner von uns sagte etwas, aber das störte nicht. Ich war froh, dass sie das wegen dem Streit gelegt hatte und dass ich diesen wunderschönen Tag mit ihm verbringen konnte.

Später wurde es uns zu warm. Die Sonne brannte regelrecht auf uns herunter und ich überlegte dringend mir einen Sonnenschirm oder etwas in der Art zu besorgen. Drinnen standen immer noch eine Menge Kartons herum und überall lag Kram verteilt. Mit seiner Hilfe stellten wir zumindest mal das Sofa, den Sessel und den Coachtisch so hin, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich sortierte ein paar weiter Bücher in das Regal, das sich über die gesamte Wand erstreckte. Markus saß in der Zwischenzeit auf dem Sofa und sah mir belustigt zu. „Magst du mir erklären, was daran so lustig ist?“ ich sah ihn ein bisschen verwirrt an. „Ach, es ist nur süß wie du bei jedem Buch noch dreimal überlegst....“ ich stellte mich vor ihn und stemmte die Hände in die Hüften. „Das ist wichtig sonst find ich die Bücher nicht wenn ich sie brauche!“ ich zog warnend die Augenbrauen hoch. Über meine Ordnung sollte sich bloß niemand Gedanken machen, es reichte vollkommen aus, wenn ich damit zurecht kam!

„Schon gut!“ er lächelte mich versöhnlich an und griff nach meiner Hand. Ich grinste. Es war ein lächerlicher Grund um sich aufzuregen und sowieso konnte ich ihm gerade nicht lange böse sein.

Ich räumte weiter ein und später bestellten wir uns Pizza zum Abendessen. Damit kuschelten wir uns aufs Sofa und schauten einen Film. Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu grinsen. Es war einfach perfekt. Ich saß mit dem besten Freund, den man haben konnte auf der Coach. Und das auch noch in meiner eigenen Wohnung.

Es war schon nach zehn, als er sich mit einem Kuss von mir verabschiedete und nach Hause fuhr. Ich packte noch schnell meine Schulsachen zusammen und ging dann ins Bett.

 

Impressum

Texte: Elisabeth Kerstin
Tag der Veröffentlichung: 16.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Beste, die mir heimlich immer wieder Ideen gibt, ohne dass sie es wirklich merkt. Du bist die Beste! Isch Libbe Disch!

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